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Skurile Anschuldigungen tauchen an den unterschiedlichsten Plätzen im idyllischen Röthenbach auf. Anonym und unheimlich. Zettel kleben an Bäumen, wüste Anschuldigungen werden von der Kanzel herab verkündet. Ein Übeltäter treibe sein Unwesen, einer, der sogar vor Mord nicht zurückschrecke. So steht es dort schwarz auf weiss. Entsetzen breitet sich aus, als sogar der Name des Übeltäters genannt wird: Simon Bräunlein. Ein Giftmörder soll er sein. Ist jetzt das Wohl der Röthenbacher Bürger in Gefahr? Immerhin ist Simon Inhaber der einzigen Metzgerei im Ort und für seine Spezialitäten berühmt. Muss man ab sofort auf Bräunleins 1A Bratwürste verzichten, wenn einem sein Leben lieb ist? Nach einem Faschingsball wird die Leiche eines Mannes aufgefunden, erstochen mit einem Fleischermesser, das eindeutig aus der verdächtigen Metzgerei stammt und die Fingerabdrücke des Meisters trägt. Alle Beteuerungen zum Trotz, das Messer sei gestohlen worden, nimmt Kommissar Schindler den Verdächtigen fest. Zu erdrückend sind die Indizien. Vorbei sind die Zeiten, da Simon nur mit seinem Gewicht kämpfen musste, jetzt geht es um seinen guten Ruf und seine gesamte Existenz. Da ist es gut, wenn man einen Freund wie Peter Kleinlein hat. Er ist der Einzige, der seinem Freund noch helfen kann und so nimmt er sofort die Fährte auf, die ihn am Ende zu einer überraschenden Lösung des leidigen Problems führt.
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Skurile Anschuldigungen tauchen an den unterschiedlichsten Plätzen im idyllischen Röthenbach auf. Anonym und unheimlich. Zettel kleben an Bäumen, wüste Anschuldigungen werden von der Kanzel herab verkündet. Ein Übeltäter treibe sein Unwesen, einer, der sogar vor Mord nicht zurückschrecke. So steht es dort schwarz auf weiss. Entsetzen breitet sich aus, als sogar der Name des Übeltäters genannt wird: Simon Bräunlein. Ein Giftmörder soll er sein. Ist jetzt das Wohl der Röthenbacher Bürger in Gefahr? Immerhin ist Simon Inhaber der einzigen Metzgerei im Ort und für seine Spezialitäten berühmt. Muss man ab sofort auf Bräunleins 1A Bratwürste verzichten, wenn einem sein Leben lieb ist?
Nach einem Faschingsball wird die Leiche eines Mannes aufgefunden, erstochen mit einem Fleischermesser, das eindeutig aus der verdächtigen Metzgerei stammt und die Fingerabdrücke des Meisters trägt. Alle Beteuerungen zum Trotz, das Messer sei gestohlen worden, nimmt Kommissar Schindler den Verdächtigen fest. Zu erdrückend sind die Indizien. Vorbei sind die Zeiten, da Simon nur mit seinem Gewicht kämpfen musste, jetzt geht es um seinen guten Ruf und seine gesamte Existenz.
Da ist es gut, wenn man einen Freund wie Peter Kleinlein hat. Er ist der Einzige, der seinem Freund noch helfen kann und so nimmt er sofort die Fährte auf, die ihn am Ende zu einer überraschenden Lösung des leidigen Problems führt.
Mords-Fasching
Inhaltsverzeichnis
Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe
Handelnde Personen
Wetterwechsel
Empörung
Der zweite Streich
Das Leben geht weiter
Der Schlachtplan
Eine schwarze Stunde
Eine schwere Entscheidung
Warum ist es am Rhein so schön?
Lesung aus dem ersten Brief des heiligen Apostels Paulus an die Korinther
Ein grausiger Fund
Der nächste Schreck
Der Schlächter von Röthenbach
Gedächtnislücken
Schlechte Nachrichten
Entlastung
Ein Überraschungsgast
Schindler denkt
Eigentumsübergang
Eine neue Lage
Eine Lücke im Kriegswaffenkontrollgesetz
Ein nächtlicher Ausflug
Die neue Spur
Schauderhaft
Die Blumenkinder
Wiedervereinigung
Weit ist der Weg zurück ins Heimatland
Des einen Freud, des andern Leid
Fragen über Fragen
Kriegsrat
Ein Besuch in der Altstadt
Wartezeit
Die Verschwörung
Zugriff!
Gänseleberpastete
Ende gut - Alles gut
Glossar
Mords-Kerwa(Juli 2012)
Mords-Wut(Dezember 2012)
Mords-Urlaub(Mai 2013)
Mords-Schuss(August 2013)
Mords-Kerle(November 2013)
Mords-Krach(März 2014)
Mords-Brand(August 2014)
Erstfassung Februar 2015
Alle Rechte vorbehalten
Peter Kleinlein
Rödnbacher, Hobbydetektiv
Marga Kleinlein
seine Ehefrau
Simon Bräunlein
Metzgermeister aus Rödnbach, Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst
Gisela Bräunlein
Seine Ehefrau, das Gehirn des Familienbetriebes
Patrick Bräunlein
Sohn der beiden, mittlerweile Geselle
Lothar Schwarm
Friseurmeister aus Rödnbach, sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung
Maria Cäcilie Leimer
Kosmetikerin aus der Oberpfalz und Lebensgefährtin von Lothar Schwarm
Willibald Stiegler
Dorfpfarrer, den die vielen Todesfälle am Ende deprimieren
Walburga Prell
Pfarrhaushälterin und oberste moralische Instanz
Helmut Holzapfel
Bürgermeister
Erika Siebenkäs
Teilzeit-Gemeindesekretärin
Erwin Schindler
Kriminalhauptkommissar
Heinz Havranek
Kriminalobermeister
Bernhard Radek
Lektor der Röthenbacher Pfarrgemeinde
Harald Schmitt
Ein lebloser Beamter
Hannelore Schmitt
Seine Frau, Besitzerin einer exklusiven Randsteinmischung
Frau Sebald
Anwaltsgattin, „grüne Witwe“
Claus W. Sebald
Ihr Gatte, ein Starverteidiger
Simone Lindner
Gelegenheitsbarfrau
Heinrich Übler
Zeuge eines peinlichen Vorfalls
Florian Hüttlinger
Gemeindearbeiter
Melanie Ammon
Eine junge Mutter
Silke Ahrens
Noch eine junge Mutter
Alexander Kröll
Verdächtiger junger Mann
Antonia Fischer
Seine Freundin
Anton Hofmeier
alias Antoine, Kellner
Karl Brunnhuber
alias Charles Brunel, Wirt
Draußen fing es endlich an zu schneien. Die Landschaft war mittlerweile durchgehend mit einer feinen Schicht Puderzucker überzogen, hauchdünn und so zart wie auf den Faschingskrapfen aus der Bäckerei Hufnagel. Höchste Zeit ist es geworden. Genau so hätte man es sich das Wetter zum Advent gewünscht, spätestens aber zum Weihnachtsfest oder wenigstens zum Jahreswechsel. Aber am Heiligen Abend hatte es, wie schon in den vergangenen Jahren, um Punkt fünf Uhr nachmittags bei acht Grad im Plus angefangen wie aus tausend Kübeln zu gießen.
Dass zum Weihnachtsfest allenhalben Wärme einkehrt, das ist eine alt bekannte Tatsache, allerdings sollte diese eher einen festen Platz in den Herzen der Menschen finden als im täglichen Wetterbericht. Eine schöne Bescherung! Draußen strömte unaufhaltsam ein warmer Regen herab, während im Licht des festlich geschmückten Christbaumes Weihnachslieder von einer einsamen Geburt in einem Stall mitten im bitterkalten Winter kündeten. Läge Bethlehem in Franken, dann hätte die Heilige Familie tropfnass im zugigen Stall stehen müssen und sich eine mordsmäßige Erkältung geholt. Die Heiligen Drei Könige hätten Gummistiefel unter ihren seidenen Kaftanen getragen und anstatt der Kamele ein Schlauchboot gebraucht, um ihre Geschenke zur Krippe zu schaffen. Und es war nicht besser geworden. Auch zu Sylvester hatte es durchgehend genieselt. Peter Kleinlein drängte sich automatisch der Vergleich mit der tropischen Atmosphäre des Manatihauses im Nürnberger Tiergarten auf, welches er im vergangenen Herbst zusammen mit seiner Marga besucht hatte. Röthenbach im Regenwald! Die feuchtigkeitsschwangere Atmosphäre hatte das Zünden der Raketen und Böller nachhaltig erschwert, so dass nicht Wenige das neue Jahr ob der Widrigkeiten mit wüsten Schimpfworten begrüßten. Die allgegenwärtige Nässe hatte sich gleich einer gewaltigen Glocke über Röthenbach festgesetzt und sich mit dem Pulverdampf der Feuerwerkskörper zu einem nahezu völlig undurchdringlichen Vorhang verbunden, der allenthalben für dicke Luft sorgte. Ein Blick nach oben ließ Schlimmstes befürchten. Filmliebhaber erinnerten sich trotz der vorherrschenden Wärme mit fröstelndem Schaudern und Gänsehaut an den Streifen Independance Day. Und zwar genau an die Szene, wo der Angriff der Außerirdischen unmittelbar bevorstand und eine allgemeine Verfinsterung die Erde erfasste. Eine gewisse Ähnlichkeit war in der Tat nicht abzustreiten. Wie weiland in besagtem Hollywoodepos erschwerte ein höllischer Gestank nach Schwefel und Verbranntem das Atmen. Und weit und breit kein Mr. President in Sicht, der diesen tödlichen Angriff eigenhändig und heroisch abwehren konnte. Eine solche Persönlichkeit gab es in Röthenbach leider nicht. Obwohl äußerst umtriebig, verfügte Bürgermeister Helmut Holzapfel nicht annähernd über das geforderte Format.
Hoffentlich war das kein schlechtes Omen für das neue Jahr. Ein Jahr, in das die Röthenbacher mehrheitlich große Hoffnungen setzten, nachdem das vergangene von schrecklichen Morden geprägt war. Diese schlimmen Ereignisse hatten allesamt im Umfeld des 900-jährigen Gemeindejubiläums stattgefunden und für immer und ewig einen unrühmlichen Platz in der Geschichte des Ortes eingenommen. Aber nicht nur in den Annalen des Ortes hatten diese schrecklichen Morde Eingang gefunden, auch in den Herzen der Röthenbacher waren danach Trübsal und Niedergeschlagenheit eingezogen.
Es war Sonntag. Der Hausherr stand am Fenster und betrachtete nachdenklich das Schauspiel der munter zu Boden tanzenden Flocken. Endlich hatte sich ein zur Jahreszeit passendes Wetter eingestellt. Weihnachten war inzwischen endgültig vorbei, ebenso der Jahreswechsel und Dreikönig. Das Kleinleinsche Eigenheim war bereits vollständig umdekoriert. Der Christbaum war abgeleert, das Lametta hatte Peter Kleinlein Faden für Faden fein säuberlich wieder abgenommen und eingepackt und die bunt glänzenden Kugeln wieder in ihren Schachteln verstaut. Die heiligen drei Könige, die frommen Hirten und die heilige Familie hatten sich wieder aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und ihren Ruheplatz in der geräumigen Schachtel mit der Aufschrift „Vorsicht zerbrechlich“ eingenommen. Der nun leere Stall stand für ein weiteres Jahr im Keller auf der ausrangierten Kommode von der Oma.
Die beschaulichen Tage waren zweifellos vorbei. Im Wohnzimmer dominierten mittlerweile bunte Luftschlangen, vom Korkenzieherhaselzweig hingen jetzt anstelle zuckersüß lächelnder kleiner Weihnachtsengel und der unvermeidlichen Minilichterkette an seidenen Fäden einige aus glitzernder Pappe gestanzte Sektflaschen herab. Im Aufwind der angenehm warmen Heizungsluft drehten sich farbige Stanniolspiralen um sich selbst. Der Fasching stand unmittelbar vor der Tür, die ideale Zeit, wieder etwas gute Laune in den Alltag zu bringen.
Inzwischen war das Mittagessen einschließlich des gemeinsam erledigten Abwaschs vorüber und die Kleinleins befanden sich gerade auf ihrem obligatorischen Verdauungspaziergang. Einmal rund herum um die Kleingartenanlage, ein paar Kilometer über verschneite Gehwege, vorbei an brachliegenden Feldern und schließlich zurück über den Kirchplatz. Dort gibt es einen kleinen Tümpel, der in vergangenen Zeiten der Feuerwehr als Löschweiher diente und nun bei schönem Wetter zu einer kurzen Rast auf einer der hölzernen Parkbänke einlädt. Die Bänke sind neu. Die Röthenbacher verdanken sie den Feierlichkeiten anläßlich des 900-jährigen Ortsjubiläums vor einem dreiviertel Jahr. Einer der wenigen bleibenden Gewinne, die die Gemeinde aus diesem Anlass ziehen konnte, ganz im Gegensatz zu dem höllenschlundartigen Haushaltsloch vom Ausmaß eines riesigen Vulkankraters, das die ausufernde Feier in die ohnehin nicht üppigen örtlichen Finanzen gerissen hatte. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kommen zudem noch die viel peinlicheren Erinnerungen an die hinterhältigen Morde im Umfeld des Jubiläums hinzu, die die Feierlichkeiten nicht nur damals nachhaltig gestört hatten. So manchen Röthenbacher Bürger verfolgen sie noch heute im Schlaf.
Es schneite immer noch. Die Flocken tanzten angesichts der Windstille anmutig im Kreis, bevor sie sanft zur Erde schwebten oder auf den Mützen und Jackenkrägen der beiden Spaziergänger landeten. Es machte ihnen nichts aus. Im Gegenteil, sie erfreuten sich an dem herrlichen Anblick verschneiter Bäume und den kleinen flauschigen Häubchen, die der Schnee auf die Latten der Gartenzäune gezaubert hatte. Marga und Peter waren schon über eine Stunde unterwegs und bogen eben in den Eibenweg ein, als Marga, an einen der Bäume geheftet, ein Papier von der Größe einer Schreibmaschinenseite entdeckte. Zum Schutz vor der Nässe war es in eine Plastikhülle gesteckt und mit Reißzwecken in Augenhöhe befestigt.
„Wahrscheinlich iss jemand sei Katz entlaufn odder vielleichd hodd anner woss verlorn. Komm, schau mer amal, woss dou stäihd.“
Letztere Aufforderung galt Peter, dessen Neugierde sich diesbezüglich normalerweise in sehr engen Grenzen hält. Ihm war weder ein verirrtes Haustier zugelaufen, noch hatte er etwas Wertvolles gefunden. Doch seine Marga war bereits unterwegs und zog ihn unfreiwillig mit, da sie die letzten Meter bis nach Hause untergehakt gegangen waren. Eighengd, wie man in Röthenbach sagt. Schon nachdem sie die ersten Worte gelesen hatte sah sich Marga gezwungen ihre bisherige Theorie zu verwerfen. Hier war offenbar ein religiöser Fanatiker am Werk, wahrscheinlich ein eifriger Angehöriger irgendeiner äußerst obskuren, eventuell sogar gefährlichen Sekte, ganz sicher aber ein Mensch mit agressivem Hang zum Missionieren. Der Text, in übergroßer Computerschrift zu Papier gebracht, klang unversöhnlich und wirkte geradezu bedrohlich.
„Und der Herr spricht: Mein ist die Rache! Denn unter uns weilt das Böse, ein Feind von Gottes Kreatur. Doch wird der Herr zu Gerichte sitzen über den Sünder und den Frevler strafen. Er wird seine Engel aussenden mit flammendem Schwert. Den Änhänger des Satans wird Er in die tiefsten Tiefen der Hölle verbannen und seines Jammerns wird kein Ende sein.“
„Woss iss ner etz dess?“, entfuhr es Marga in der Aufregung, um gleich entschlossen hinzuzufügen: „Den Zeddl nimmi etz soford midd. Den zeichi morgn in Herrn Bfarrer, der muss doch dess unbedingd wissen. Suwoss fälld doch in den sein Zuschdändichkeidsbereich. Mir wern doch nedd etz aa nu solche religiösen Schbinner im Dorf haben odder gar an Derrorisdn! Dess hädd ja grad nu gfehld.“
Und nach einer kurzen Pause, die sie dringend brauchte um wieder einigermaßen zu Atem zu kommen, schob sie nachdenklich nach: „Und abber scho glei aso bösardich, woss ner dess für anner iss?“
Im selben Moment hatte sie den verdächtigen Wisch bereits energisch an sich gerissen, zweimal zusammengefaltet und in ihre linke Manteltasche gleiten lassen. In ihren Augen hatte in einem anständigen Dorf, wozu ihr Röthenbach eindeutig zählte, niemand außer dem Pfarrer das Recht, solche Bibelauszüge unter die Menschen zu bringen und darum handelte es sich bei dem sichergestellten Pamphlet ohne jeden Zweifel. Dafür hatte der schließlich studiert. Für Sektierer hatte sie als praktizierende und schon von klein auf eingeschworene Katholikin keinerlei Verständnis. Peter, dem solche verrückten Aktionen völlig egal waren, wenn nicht sogar komplett am Allerwertesten vorbeigingen, sofern man dies in dieser deutlichen Weise aussprechen darf, konnte nur über die Energie staunen, die seine Frau zur Abwehr dieses vermeintlichen Sakrilegs aufbrachte. Da er jedoch seine Marga in- und auswendig kannte wusste er natürlich, dass Widerspruch zwecklos war und so ließ er sie kommentarlos gewähren.
Auch am nächsten Morgen hatte sich die Marga noch nicht beruhigt, zumindestens nicht so weit, dass sie ihren alltäglichen Aufgaben in gewohnter Weise nachkommen konnte. Unmittelbar nach dem eiligst eingenommenen Frühstück verließ sie das Haus in Richtung Kirche, wo sie unverzüglich an der elektrischen Klingel des Röthenbacher Pfarrhauses Sturm läutete.
„Ja! Ich komm ja schon“, konnte man von drinnen eine ungeduldige Stimme vernehmen. Allerdings gehörte sie nicht dem Hochwürdigen Herrn Geistlichen Rat, dem eher gemütlichen Ortspfarrer Willibald Stiegler, sondern seiner seit kurzem im Amte waltenden neuen Haushälterin. Dazu ist es nötig zu wissen, dass nach dem unfreiwilligen Tod von Anneliese Lohmaier vor einigen Jahren, der Pfarrer sich nicht gleich aufraffen konnte zur Tagesordnung überzugehen und eine feste Nachfolgerin einzustellen. Irgendwie hatte sich in ihm wohl unterschwellig das Gefühl festgesetzt, dass es nicht schicklich sei, sich sofort nach Ersatz umzusehen. Er verhielt sich in dieser Frage nicht viel anders als ein Witwer, der sowohl aus kirchlicher, als auch aus traditioneller Sicht ja auch nicht im ersten Trauerjahr auf Freiersfüßen wandeln soll. Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Das Verhältnis zwischen Pfarrer Stiegler und seiner getreuen Anneliese war durchaus nie erotischer oder gar sexueller Natur. Aber gemocht hatte er sie schon sehr. Sie war wohl eher die Tochter, die er aufgrund seiner Berufung niemals haben würde.
Da er aber trotzdem unmöglich vom Fleisch fallen dufte und weil der Haushalt eine ordnende Hand brauchte, hatten sich zunächst einige ältere Frauen der Gemeinde in den einschlägigen Tätigkeiten abgelöst. Das war zwar gut gemeint, führte aber letztendlich nur zu einem heillosen Durcheinander, einem schier unübersehbaren Chaos, das letztendlich seinen Höhepunkt in einem handfesten Skandal fand. Als nämlich eine der laienhaften, in Ehren ergrauten Helferinnen mit viel Enthusiasmus, aber keinerlei Ahnung von modernen Hilfsmitteln wie Computern oder gar Online-Terminplanern, eine vorgesehene Hochzeit zum falschen Zeitpunkt in den Wandkalender eingetragen hatte, da war es endgültig so weit. Das Fass war übergelaufen. Es kam zum Eklat. Das festlich herausgeputzte Brautpaar nebst einer großen Schar von Freunden und Verwandten hatte sich vor der verschlossenen Kirchentüre eingefunden und wartete vergeblich auf den Segen der heiligen Mutter Kirche, der aber wegen der ausgebliebenen Information des Pfarrers leider ausbleiben musste. Eine endgültige Beendigung der Vakanz war unverlich geworden. Und so sorgte Pfarrer Willibald Stiegler höchstpersönlich dafür, dass die größtmögliche alle denkbaren Lösungen nun schon seit einigen Monaten in Gestalt von Walburga Prell mit tüchtiger Hand im Pfarrhaus für Zucht und Ordnung sorgte. Willibald und Walburga! Fehlte nur noch ein Wunibald, dann hätte die Dreiheit der Geschwister aus dem englischen Wessex, die im frühen Mittelalter Franken erfolgreich missionierte, in Röthenbach auf perfekte Art und Weise eine Wiedervereinigung feiern können. Alle drei Missionare waren seither Heilige der römischen Kirche, ein Umstand, der auf unsere aktuelle Röthenbacher Walburga leider nicht zutraf. Die Aussichten, es auf die geheime Kandidatenliste des Vatikans für künftige Ernennungen und damit eventuell sogar die Aufnahme in die Allerheiligenlitanei zu schaffen, waren auch eher gering, um nicht zu sagen aussichtslos.
Die zuvor angesprochene Zucht war nie das Problem, denn Pfarrer Stiegler war auch ohne die nunmehr allgegenwärtige Aufsicht von je her ein äußerst korrekter Mann, doch was die neue Haushälterin unter Ordnung verstand, sollte die Gemeinde bald mit staunenden Blicken erfahren. Zugang zum Hausherrn gab es nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des staatlich geprüften Hausdrachens. Das fragliche Diplom stammte von einer anerkannten Hauswirtschaftsschule und bestätigte der Besitzerin hervorragende Leistung in Küche und Haushaltsführung. Zudem konnte Frau Prell ein Zeugnis vom Landesverband der Pfarrhaushälterinnen in Bayern über eine erfolgreiche Fortbildungsmaßnahme bezüglich religionsspezifischer Belange vorweisen. In keinem der beiden Leistungsnachweise fand sich allerdings ein Hinweis auf das Fach Sicherheitstechnik oder gar auf eine Ausbildung als Personenschützerin, trotzdem hatte Frau Walburga, wie sie auf ihren eigenen Wunsch genannt wurde, eigene, sehr limitierte Vorstellungen von den Zugangsregeln zu ihrem Schützling. Die Verplanung ihres Vorgesetzten, der diese Bezeichnung schon nach nach wenigen Tagen kaum mehr verdiente, war bald schon perfekt organisiert. Auch der Ton im Pfarrhaus hatte sich seither massiv verändert, Verbote waren an der Tagesordnung. Selbst sein geliebtes Glas Rotwein am Abend war dem nominalen Hausherrn nicht mehr vergönnt. Die Kenntnisse seiner neuen Beherrscherin erstreckten sich leider auch auf die gesunde Ernährung. Alkohol war jetzt tabu, mit Ausnahme des Schlückchen Messweins natürlich, von dem Pfarrer Stiegler seither offensichtlich immer einen größeren Schluck nahm als man das jemals zuvor erlebt hatte. Der neue Chef hieß Walburga Prell, dem Pfarrer blieb nur noch die untergeordnete Abteilung religionstechnischer Service.
Die Pfarrhaustür ging einen winzigen Spalt weit auf.
„Guten Morgen. Was möchten sie?“
Leutseligkeit gehört ganz sicher nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften von Walburga Prell. Zu ihrer Ehrenrettung muss man allerdings hinzufügen, dass in ihrem Bewerbungsschreiben auch keinerlei Anspruch auf diese Eigenschaft erhoben wurde.
„Grüss Godd! Ich muss unbedingd middn Herrn Bfarrer schbrechn, es iss wichdich“, gab Marga, die die abweisende Absicht sofort herausgehört hatte, kampfeslustig zurück. Doch die Frau hinter der feindlichen, hochgezogenen Zugbrücke war unnachgiebig. Fehlten nur noch ein Wassergraben und oben angespitzte Palisaden.
„Das ist im Moment leider nicht möglich. Der Herr Pfarrer ist beschäftigt. Er bedarf seiner Ruhe und kann jetzt nicht gestört werden. Schließlich muss er sich konzentrieren, wenn er seine Predigt vorbereitet!“
„Woss? Bredichd? Am Monndaach in der Früh? Dess glaubns doch selber nedd!“, empörte sich Marga über diese offensichtliche Unwahrheit. Dabei schwoll ihre Stimme mächtig an, teils aufgrund der Erregung über das bedrohliche Pamphlet, das sie aufgeregt wedelnd in ihren Händen hielt, teils wegen der abweisenden Haltung der unbeliebten und anscheinend auch vor glatten Lügen nicht zurückschreckenden neuen Haushälterin. Der kleine Konflikt schaukelte sich unaufhaltsam hoch.
„Was erlauben sie sich? Wollen sie etwa behaupten, ich würde ihnen die Unwahrheit sagen? Das ist ja unerhört!“, schimpfte die Verteidigerin der Pforte wutschnaubend zurück.
Von der Lautstärke des erregten Wortwechsels alarmiert kam Pfarrer Stiegler mit fragender Miene und schlurfenden Schrittes in den Hausflur. Gerade noch rechtzeitig um eine Eskalation in Richtung Handgreiflichkeiten zu verhindern. Marga hatte die Ellenbogen schon verdächtig ausgefahren.
„Was ist denn da los?“ Und als er die beiden Damen sah, die offenbar im Begriff waren sich ganz unchristlich an die Gurgel zu gehen, versuchte er beruhigend einzugreifen. „Aber meine Damen, was ist denn nur so wichtig, dass sie sich derart aufregen, wo doch heute so ein schöner Tag ist?“
„Schöner Daach? Dess werd gleich verbei sein mid dem schöner Daach, Herr Bfarrer, wenns dess erschd amal gleesn haben!“, ereiferte sich Marga, noch immer wütend wegen der versuchten Abweisung und streckte ihm vor Aufregung zitternd die rechte Hand mit dem verdächtigen Schriftstück entgegen. „Schauers no woss ich gesdern gfundn hobb auf unsern Sonndaachnachmiddachschbaziergang. Herr Bfarrer, dou will ihner scheinds irgndjemand Konkurrenz machen.“ Und verschwörerisch fügte sie hinzu: „Villeichd iss ja blouß a Schbinner, abber möglicherweis sogar aso a Seggdnheini, woss wass mer denn!“
Man wusste es nicht. Zumindestens solange der Geistliche den Text nicht gelesen und seine fachmännische Meinung dazu Kund getan hatte. Also bat er zu diesem Zweck die Marga herein. Anlass genug, ihrer Gegenerin im Vorübergehen einen entsprechend triumphierenden Blick zuzuwerfen. 1:0 für Marga Kleinlein. Pfarrer Stiegler ging voraus in das kleine Eßzimmer, wo immer noch die Reste seines unterbrochenen Frühstücks herum standen. Von wegen Predigtvorbereitung! Mit einer einladenden Handbewegung bat er die immer noch hell empörte Marga Platz zu nehmen.
„Kann ich ihnen noch ein bisschen was zum Essen anbieten oder einen Kaffee, Frau Kleinlein oder haben sie schon gefrühstückt?“
„Danke, Herr Pfarrer“, winkte Marga ab, „dess hobbi grad noch gschaffd, bevor ich mich zu ihnen aufgmachd hab. Und woss sangsn zu dem Schrieb?“
Der Priester nahm den mittlerweile schon etwas abgegriffenen Zettel zur Hand, rückte seine Lesebrille zurecht und las sich sorgfältig die darauf abgedruckte Drohung durch. Ein paar Augenblicke schien er noch zu überlegen, was er davon halten sollte. Dann aber hatte er sich offenbar entschieden, die Sache von der humorvollen Seite zu nehmen.
„Naja, Frau Kleinlein“, fing er an, „so ein richtiges Bibelzitat haben wir da nicht vor uns. Der Schreiber scheint eher alle möglichen Stellen aus dem alten Testament zusammengewürfelt zu haben, um seinen Zorn über einen Teil der Menschheit oder auch nur eine bestimmte Person auszudrücken. Er schreibt an einigen Stellen von dem Sünder und dem Freund des Satans. Vielleicht hegt er einen Groll gegen einen ganz bestimmten Mitbürger. Aber solange er das Handeln unserem Herrgott überlässt, scheint mir kein Grund zu ernsthafter Sorge zu bestehen.“
Mit diesen Worten nahm er seine Lesebrille wieder ab und schaute Marga bedauernd an.
„Aber“, wollte Marga ansetzen, doch der anerkannte Experte in Sachen biblischer Sprüche bedeutete ihr die Ruhe zu bewahren.
„Ich glaube, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen, liebe Frau Kleinlein. Solange diese Person nicht konkreter wird in ihren Anschuldigungen, können wir sowieso nichts unternehmen.“ Und eher scherzhaft fügte er hinzu: „Sie können ja einmal mit ihrem Mann sprechen, unserem allseits geschätzten Meisterdetektiv. Vielleicht hat er ja eine Idee oder es macht ihm sogar Spaß, Nachforschungen anzustellen. Für die heilige Mutter Kirche sehe ich jedenfalls keine Gefahr, die von diesem wirren Machwerk ausgehen würde.“
Nun war es an der zuvor überstimmten Walburga Prell, die immer noch abwartend im Raum verharrte, das verkniffene Gesicht zu einem triumphierenden Siegerlächeln zu verziehen. Ausgleich, es stand zumindest wieder 1:1. In der eigentlichen Sache hatte Hochwürden Stiegler ein klein wenig zur Beruhigung Margas beigetragen, wenngleich er ihre Bedenken nicht völlig ausräumen konnte.
Ganz anders sah es in den beiden Kommunikationszentren des Dorfes aus, wo die offenkundige Bedrohung der öffentlichen Sicherheit bereits heftigst diskutiert wurde. Marga hatte noch am Sonntagnachmittag bei Gisela und Simon Bräunlein angerufen, um den beiden von ihrem Fund zu berichten. Diese wiederum hatte die Meldung postwendend an die örtliche Verschönerungsanstalt von Lothar Schwarm und seiner Lebensgefährtin Maria Cäcilia Leimer weitergereicht, in deren Frisörgeschäft beziehungsweise Kosmetikstudio das Thema bereits ebenso hitzig diskutiert wurde wie in der Metzgerei Bräunlein. Jeder Kunde trug seinen Teil an Vermutungen bei, so dass sich bald ein regelrechter Flächenbrand in Röthenbach auszubreiten begann. Ein Brand, den weder die Feuerwehr noch vernunftbegabte Argumente zu löschen im Stande sein würden. Und wie es bei der Verbreitung diffuser Gerüchte unvermeidlich ist, kam bei jeder weiteren Station das eine oder andere erfundene, aber äußerst interessante Detail dazu. Es war wie mit einem winzigen Schneeball, der sich, einmal ins Rollen gekommen, im Verlauf kürzester Zeit zu einer veritablen Lawine entwickeln kann.
Eben diskutierte Gisela, die beste Fleischereifachverkäuferin des Ortes, die Auswirkungen der anonymen Schrift auf die Meinungsfreiheit des Dorfes mit einer der entsetzten Kundinnen.
„Und steht dou daadsächlich drin: Allah wird seine Engl sendn, mid flammende Schwerder und so? Allmächd, mier wern doch nedd aa nu Islamisdn odder gar Sallerfisdn dou her gräing. Allmächd na, dee schneidn doch sugor die Leit bei lebendichn Leib die Köbf ab! Dou sachd mer lieber nix verkehrds, sonsd kummd dou affd Letzd nu asu a Killerkommando.“
So weit wollte die Gisela denn doch nicht gehen. Nichts gegen ein interessantes Gesprächsthema, aber sie sah keinen Grund darin, unnötige und unberechtigte Panik zu verbreiten. Daher bremste sie die aufgeregte Kundin rasch ein.
„Wo homms nern dess her? Von an Allah stäihd dou nirgns woss. Blouß, dass anner im Ord iss, der wo middn Saddan im Bund iss und dass nern der Herr scho strafn wird. Der Herr, kanne Addndääder in lange Umhäng und anner Handgranaadn im Gürddl. Wemmer ner wissd, um woss dass dou genau gäihd und vor allem, wer der Sauhund iss, den die Rache des Herrn dreffn soll!“
„Und wosser genau angschdelld hodd. Dess müsserd mer hald rausgrieng! Dann kummerd mer villeichd aa drauf, um wen dass dou eigndlich gäihd“, warf eine der interessierten Damen ein.
„Schdimmd!“, rief Gisela und zeigte dabei anerkennend nickend mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Vorrednerin, genauso wie es früher der Lehrer Wohlgemuth immer gemacht hatte, wenn der seltene Fall eingetreten war, dass sie einen brauchbaren Beitrag zum Unterricht beigesteuert hatte.
„Abber bis etz wiss mer erschd amal nix, außer dass jemand andere Leit beschuldichd und ihner irgndwelche Racheengl aufn Hals wünschd.“
„Ein bisschen was sagt uns das schon, meine ich“, ließ sich Frau Sebald hören. Als Gattin eines bekannten, in der nahen Großstadt agierenden Anwalts schien sie die Sache analytischer anzugehen als die anderen Damen. „Zum einen könnte die Wortwahl darauf hin deuten, dass der Schreiber dieses anonymen Traktats eigentlich gar nichts weiß und nur seinem allgemeinen Frust über die verdorbene Welt freien Lauf lassen will. Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass sich die Vorwürfe gegen eine konkrete Person richten, der Ankläger aber nicht den Mut oder die Möglichkeiten hat, sich persönlich zu wehren. Ich, für meinen Teil, tippe auf Letzteres.“
So oder so ähnlich liefen die Verkaufsgespräche, besonders die sie begleitenden müsigen Reden, den ganzen Tag über ab. Man wusste zwar nichts, hatte dazu aber eine konkrete Meinung. Also alles wie immer, nur eine ganze Stufe höher angesiedelt als der übliche Dorftratsch, bedenklich nahe an der Hysterie.
Giselas Birkenstockschuhe verursachten auf dem harten Fliesenboden des Verkaufraums ein klackerndes Geräusch, ähnlich dem eines Paars gegeneinander geschlagener Holzstöcke. Das Echo hallte durch das ganze Haus. Sie kam eben von der Wohnung und durch die Wurstküche in den angebauten Laden, um für einen neuen, hoffentlich eher ruhigen Tag aufzuschließen. Es war Dienstag früh. Nach dem allgemeinen Schlemmen am Wochenende war nun wieder die übliche kleine Flaute zu erwarten, die bis zur Wochenmitte dauern würde.
Gisela war gerade im Begriff, die Ladentür aufzusperren, als ihr unvermittelt ein Plakat in die Augen stach, das jemand unbefugt an die gläserne Eingangsfront geklebt hatte. Das ging aber gar nicht. Sie war ja wirklich nicht so. Sie war selbstverständlich immer gerne bereit auf ihrer Theke Reklamezettel für den Sportverein oder andere kleinere Geschäfte auszulegen, zum Beispiel die Änderungsschneiderei, die eine örtliche Hausfrau nebenbei betrieb, um die geringen Einkünfte ihres Mannes ein wenig aufzubessern. Das war überhaupt keine Frage. Man unterstützt die Dorfgemeinschaft ja wo man kann. Die Ladentüre aber war tabu. Der Eingang gehört, wie Gisela anlässlich eines Fortbildungskurses der Metzgerinnung gelernt hatte, zum öffentlichen Erscheinungsbild eines Betriebs. Er hat einen ordentlichen, in jedem Fall sauberen Eindruck zu machen, was den potentiellen Kunden im Gegenzug ein überzeugendes Bild von der ebenso ordentlichen und sauberen Arbeitsweise des Geschäftsinhabers vermitteln soll. Es ist schließlich immer der erste Eindruck, der zählt. Aus diesem Grund und weil die betreffende Schulung noch gar nicht so lange zurück lag, riss Gisela den störenden Zettel schwungvoll von der Glasscheibe und wischte mit einem feuchten Lappen sogleich die verschmierten Stellen nach, die der Klebestreifen hinterlassen hatte. Sie wollte das Blatt schon achtlos in den Abfalleimer werfen, als sie sich anders besann. Sie faltete das bereits zerküllte Papier noch einmal auseinander und nahm den Inhalt genauer in Augenschein. Vielleicht musste man mit dem oder der Verfasserin ein freundliches, aber bestimmtes Wort sprechen, damit so etwas nicht noch einmal vorkam.
Bereits nachdem sie die ersten Worte gelesen hatte schlug ihre anfangs noch heitere Miene urplötzlich um. Allmächtiger! Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Bei dem was da stand verflog ihre gute Laune, mit der sie wie meist den neuen Tag begonnen hatte, sofort schlagartig. Sie löste sich ins Nichts auf, so wie ein Tropfen Wasser, der auf der heißen Herdplatte zischend verdampfte.
Die Stunde der Rache ist nah. Auch wenn Du bereuest deine Missetaten, es wird kein Entkommen für dich sein. Denn siehe, der Herr spricht: „Selig sind die, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen gesättigt werden.“
Na sauber! Es fehlte jeglicher Hinweis auf den Ursprung, insbesondere auf den Verfasser dieser unverhohlenen Drohung. Was sollte das Ganze bedeuten? Meinte derjenige etwa gar ihren Simon? Wenn sich Gisela recht entsann, dann war im ersten Schreiben, das ihre Freundin Marga am Sonntag gefunden hatte, von „dem Sünder“ und „dem Anhänger des Satans“ die Rede gewesen, also von einer Einzelperson, genauer betrachtet von einem männlichen Mitbewohner. Die Wahl der Metzgereitüre als Ort der Veröffentlichung ließ in ihren Gedanken die Vermutung reifen, dass die Botschaft an den Besitzer des Geschäfts, also an Simon direkt gerichtet war. Aber wieso sollte jemand ausgerechnet ihn einer Tat beschuldigen, die der Herr mit seiner Rache überziehen würde? Ausgerechnet ihren Simon, den gemütlichsten und wohl harmlosesten Bürger Röthenbachs. Für Simons Friedfertigkeit könnte die Gisela jederzeit ihre Hand ins Feuer legen. Ihr Mann war schon immer die Harmlosigkeit in Person. In jeder Beziehung! Leider auch auf eine ganz bestimmte Art und so sehr, dass sie diese seine Eigenschaft in gewissen Momenten sogar bedauerte. Etwas mehr stürmische Leidenschaft wäre eher zu wünschen gewesen.
Eigentlich konnte es sich nur um einen Irrtum handeln. Trotzdem verlor Gisela keine Sekunde Zeit, die erschreckende Neuigkeit ihrem Ehemann mitzuteilen. Schließlich ging es allem Anschein nach um ihn und wenn die Drohungen nicht nur leere Worte waren, dann drohte ihm sogar ernste Gefahr, möglicherweise von einem gefährlichen Fanatiker, der auch vor einem hinterhältigen Anschlag nicht zurückschrecken würde.
„Simon!“
„Sie-moon! Schnell kumm amal her!
Die Aufregung schwang in jeder Silbe mit. Simon, der in der Werkstatt zu Gange war, kam, das blutige Beil beiläufig wie eine mittelalterliche Streitaxt schwingend, herbeischlurft.
„Wossn lous? Warum schreisd denn so?“ Und als seine Gisela nicht sofort antwortete setzte er hinzu: „Etz saach hald scho woss lous iss, ich hobb doch nedd ewich Zeid. Maansd die Koddledd haggn si von selber?“
„Dir wern deine Krämbf glei vergäih. Dou schau her, wossi grad an der Ladndüür hänger hobb seeng.“
Mit diesen Worten reichte sie im das verknitterte Machwerk des unbekannten Verfassers hin. Simon nahm es in seine freie, allerdings blutverschmierte Hand und fing an zu lesen. Mit jedem Wort wurden sein Augen weiter und ungläubiger.
„Na, dess gibbds doch nedd. Wer schbinnd sinn dou aso zamm. Und dess war an unsrer Ladndüür hiebabbd?
„Wenner ders saach. Horch amal, woss maansdn woss der will?“
Und auf Simons unverständiges Schulterzucken hing fügte sie erklärend hinzu: „Ich glaab, der Kerl maand dich, Simon. Der drohd uns. Ich fürchd mich ja nedd vor irgndanner Strafe Goddes, weecher woss denn aa, abber mer wass ja nedd woss dess für a närrischer Zeidgenosse iss. Aufd Letzt will der dir woss ohdou.“ Und sichtlich mitgenommen fügte sie hinzu: „Allmächd Simon, etz glaabi werds mer schlechd.“
Das wollte etwas heißen. Gisela machte so leicht nichts Angst. Aber im vorliegenden Fall ging es um ihren geliebten Simon, der ob seiner Naivität immer noch nicht recht begriffen hatte, dass er bedroht wurde, eventuell sogar mit Gewalt, ja vielleicht gar dem Tod. Natürlich würde seine Gisela sofort den gemeinsamen Freund und Hobbyermittler Peter anrufen und ihm den Sachverhalt schildern, dass er sich um die Angelegenheit kümmern könnte. Angesichts des Ernstes der Sache musste aber auf jeden Fall auch die Polizei verständigt werden. Mit einer Morddrohung ist keinesfalls zu spaßen.
Peter war sofort am Telefon, als es noch nicht einmal zweimal geläutet hatte. Ein sicheres Anzeichen, dass die Marga nicht zu Hause war, vermutlich befand sie sich auf ihrer morgendlichen Einkaufsrunde.
„Kleinlein“. „Meine Frau ist nicht da“, wollte er schon routinemäßig ergänzen, als er die außergewöhnlich aufgeregte Stimme Giselas am anderen Ende erkannte. Die sonst so souveräne Metzgermeistersgattin schien völlig aus dem Häuschen zu sein.
„Beruich di hald erschd amal, Gisela. Woss gibbdsn so Aufreechndes?“
Es dauerte eine ganze Weile bis die heftig schnaufende Freundin den Vorfall geschildert hatte. Peter versprach sofort vorbeizukommen und sich die neuerlichen Ergüsse des bislang unbekannten Propheten unverbindlich anzusehen.