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Die Mädchengruppe der katholischen Pfarrei Rödnbach plant eine Fahrt ins Zeltlager. Anlass genug für aufgeregte Kommentare böser Zungen in dem kleinen, konservativen Dorf. Doch dann geschieht tatsächlich Schreckliches. Ein als Gaudi geplanter Überfall der Fußballjugend auf das Lager endet mit einem tragischen Zwischenfall, einem toten Jungen und vielen offenen Fragen. Die Polizei hat den Verantwortlichen bald eruiert und in die Untersuchungshaft verfrachtet, wo er auf seine Verurteilung wartet. Niemand kann ihm auf Grund der anscheinend erdrückenden Indizienbeweise Hoffnung machen. Sein Anwalt stellt sich als totaler Versager heraus. Da wenden sich Lena, die Freundin des Jungen und Manfred Bräunlein, der Trainer der erfolgreichen Rödnbacher Fußballjugend an Peter Kleinlein, den unfreiwilligen Hobbydetektiv, der schon ein Jahr zuvor in seinem ersten Fall so Unglaubliches geleistet hat. Kann er auch diesmal helfen? Findet er neue Beweise, die Marc und Lena wieder in Freiheit zusammen führen können? Er wird die Hilfe aller seiner Rödnbacher Freunde brauchen. Der zweite Fall für Hobbydetektiv Peter Kleinlein und seine Rödnbacher Hilfstruppen.
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Seitenzahl: 216
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Die Mädchengruppe der katholischen Pfarrei Rödnbach plant eine Fahrt ins Zeltlager. Anlass genug für aufgeregte Kommentare böser Zungen in dem kleinen, konservativen Dorf. Doch dann geschieht tatsächlich Schreckliches. Ein als Gaudi geplanter Überfall der Fußballjugend auf das Lager endet mit einem tragischen Zwischenfall, einem toten Jungen und vielen offenen Fragen.
Die Polizei hat den Verantwortlichen bald eruiert und in die Untersuchungshaft verfrachtet, wo er auf seine Verurteilung wartet. Niemand kann ihm auf Grund der anscheinend erdrückenden Indizienbeweise Hoffnung machen. Sein Anwalt stellt sich als totaler Versager heraus. Da wenden sich Lena, die Freundin des Jungen und Manfred Bräunlein, der Trainer der erfolgreichen Rödnbacher Fußballjugend an Peter Kleinlein, den unfreiwilligen Hobbydetektiv, der schon ein Jahr zuvor in seinem ersten Fall so Unglaubliches geleistet hat.
Kann er auch diesmal helfen? Findet er neue Beweise, die Marc und Lena wieder in Freiheit zusammen führen können? Er wird die Hilfe aller seiner Rödnbacher Freunde brauchen.
Der zweite Fall für Hobbydetektiv Peter Kleinlein und seine Rödnbacher Hilfstruppen.
Mords-Wut
Inhaltsverzeichnis
Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe
Vorwort und kleine Einweisung für Nicht-Franken
Handelnde Personen:
Rödnbach
Wohlauf! Die Luft geht frisch und rein!
Wer jetzig Zeiten leben will
Schön ist die Welt
Grün und weiß, wie lieb ich dich
O verfluchte Unglücks-Karten
Jenseits des Tales
Wir wollen zu Land ausfahren
Der Kommissar geht um
Herr Kommissar wissen sie schon wer es war
Mein Name ist Hase
Wahre Freundschaft
Die Gedanken sind frei
Ein Ausflug mit dem Metzgerauto
Faktenlage
Eine verzweifelte Lage
Ein dringend notwendiges Gespräch
Der Anwalt
Manfred Bräunlein hat eine Idee
Ein Besuch bei den Kleinleins
Abschied
Marga und Peter kümmern sich um „ihre“ Fälle
Schindlers Methoden
Ein Ausflug nach Herschenbach
Ein Besuch im Info-Zentrum inklusive Haarschnitt
Ein Männergespräch
Wer A sagt, der muss auch B sagen
Peter erklärt die Lage
Kommissar Schindler wird aufgeklärt
In der Perle der Uckermark
Ein Grund um Pfannkuchen zu verbrennen
Tatort Franken
Glossar
Mords-Kerwa (Juli 2012)
Erstfassung Dezember 2012
Alle Rechte vorbehalten
Die in der folgenden Geschichte vorkommenden Personen sind ebenso wie die Handlung frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit wahren Begebenheiten oder realen Personen sind unbeabsichtigt und rein zufällig.
Der geneigte Leser wird im Verlauf des folgenden Textes des Öfteren feststellen (müssen), dass die agierenden Personen in diesem Buch ein buntes Gemisch aus Hochdeutsch, beziehungsweise dem, was sie dafür halten und Fränkisch sprechen, letzteres allerdings in vielen unterschiedlichen Ausprägungen.
Der Grund ist darin zu suchen, dass es im Fränkischen leider keine einheitliche Schreibweise für die zahlreichen typischen Laute gibt, die sich gefühlt wohl aus einer Mischung aus mehreren existierenden Buchstaben zusammensetzen. Es werden daher von unterschiedlichen Schreibern jeweils unterschiedliche Hilfskonstruktionen verwendet, obwohl deren Aussprache, könnten wir sie denn hören, unter Umständen sogar einigermaßen identisch klingen würde. Die logische Folge davon ist, dass sie die Dialektwörter auf unterschiedliche Weisen schreiben, von denen keine als allgemein verbindlich angesehen wird.
Erschwerend kommt dazu, dass der fränkische Dialekt selbst zwischen benachbarten Orten sehr unterschiedlich ausfällt. Bestellt der Nürnberger beispielsweise zum Frühstück seine Wegglä (oder Weggla, Weckla, Weggler usw.), so würde man bereits im benachbarten Fürth erwarten, dass er sich des Begriffs Semmerlä, in der Mehrzahl Semmerli, bedienen würde. Um die gesprochenen Endlaute richtig schreiben zu können, müsste man gut und gerne ein halbes Dutzend neue Buchstaben einführen. Darum sieht man auf den Bratwurstbuden auch häufig „3 im Weckla“ angeschrieben, ein Notbehelf, denn kein Einheimischer würde hier allen Ernstes ein CK sprechen oder das Wort mit einem reinen A beenden.
Zum Dritten, und das ist heutzutage wohl der häufigste Anlass, muss man wohl die unterschiedlichen sozialen Umfelder in Betracht ziehen. Deswegen sprechen die einen noch den unverfälschten Dialekt, obwohl sie auch anders könnten, zumindest einigermaßen, während andere ein nur leicht fränkisch gefärbtes Hochdeutsch vorziehen. Für die letztere Entscheidung gibt es wohl hauptsächlich schulische oder Karrieregründe, was einem Schulsystem, das bereits mit neun Jahren die Weichenstellung für die bildungstechnische Zukunft zementiert, angelastet werden muss. Heimatlich gefärbte Sprache erweckt bei Vielen leider den Eindruck des Zurückgebliebenen. Im günstigsten Fall glaubt man Jemand mit eingeschränkten Sprachfähigkeiten vor sich zu haben, im schlechtesten Fall sogar einen ausgemachten Deppen.
Dazwischen gibt es natürlich unzählige Abstufungen, abhängig vom Erfolg der diversen Umerziehungsmethoden und den Notwendigkeiten, die einem die Umwelt diktiert. Wundern Sie sich deshalb bitte nicht, wenn in ein und demselben Kapitel unterschiedliche Personen gleiche Begriffe leicht unterschiedlich aussprechen.
Bei allen, die sich meiner gutgemeinten Warnungen zum Trotz nicht davon abbringen lassen dieses Buch zu lesen, obwohl sie nicht in Franken geboren sind, möchte ich mich bereits im Voraus entschuldigen, falls sie aufgrund der verwendeten Sprache und deren Schreibweise vor ernsthafte Probleme gestellt werden.
Doud mer Leid, wohr nedd äsuu gmaand!
Peter Kleinlein
Rödnbacher, Hobbydetektiv
Marga Kleinlein
seine Ehefrau, die erst nicht will, dass er Detektiv spielt, ihn dann aber sogar anspornt
Simon Bräunlein
Metzgermeister aus Rödnbach, Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst und Gelegenheitsspediteur
Gisela Bräunlein
Seine Ehefrau, das Gehirn des Familienbetriebes
Patrick Bräunlein
Sohn der beiden, Lehrling
Lothar Schwarm
Friseurmeister aus Rödnbach, sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung
Willibald Stiegler
Dorfpfarrer, gutmütig, aber nicht dumm
Erwin Schindler
Kriminalhauptkommissar
Heinz Havranek
Kriminalobermeister
Barbara Reinwald
genannt Bärbel, 26 Jahre alt, leidgeprüfte Gemeindehelferin und Kathechetin
Marc Brunner
Freund von Julian und mit Lena verbandelt, Mordverdächtiger
Lena Helmreich
Freundin von Marc Brunner
Nadine Lang
beste Freundin von Lena und scharf auf Julian Baumgärtner
Julian Baumgärtner
Freund von Marc und Fußballer
Manfred Bräunlein
Bruder von Simon und Trainer bei SV Eintracht Röthenbach
Vera Heimbucher
Gefängnispsychologin
Kevin Rösler
Fußballer, Überfallteilnehmer
Leo Zeltner
Fußballer, Enkel des Zeltnerbauern, Überfallteilnehmer
Helmut Brunner
Vater des vermeintlichen Täters Marc
Petra Brunner
Mutter des vermeintlichen Täters Marc
Hanna Baumgärtner
Mutter des Opfers, lebt allein seid ihr Mann nach Nürnberg abgehauen ist
Gerhard Baumgärtner
Vater des Opfers, lebt jetzt mit einer Jüngeren in Nürnberg
Herbert Helmreich
Besorgter Vater von Lena
Stefan Holzinger
Anwälte
Ralf Obermeier
Noch ein Anwalt
Christoph Lämmermann
Landwirtssohn und Liebhaber
Achim Klenze
Jägersmann
Endlich ist der Frühling doch noch in die Gänge gekommen. Die angenehm wärmende Maisonne strahlt huldvoll auf die zu neuem Leben erwachte Natur herab und animiert die riesige Vielfalt der bunten Blumen zu ungeahnten Höchstleistungen. Das kleine fränkische Dörfchen Röthenbach oder Rödnbach, wie die Einheimischen ihren Heimatort liebevoll nennen, scheint jedoch in tiefem Schlaf zu liegen. Unverändert friedlich liegt es an den Ufern des munter dahinfließenden gleichnamigen Bächleins inmitten der anheimelnden, von schroffen Felsen und sanften Wiesen geprägten Landschaft Mittelfrankens. Der Ort vermittelt bei erster, oberflächlicher Ansicht das Idealbild eines klassischen Postkartenidylls. Er gibt dem Betrachter ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, ist sprichwörtlich ein Hort von Gediegenheit und Tugend, wie es ihn eben nur noch auf dem Lande gibt. Hier erwartet man fleißige, ehrbare und bescheidene Bürger, die pflichtbewusst ihrer Arbeit nachgehen, in perfektem Einklang mit Gott und der Welt.
Gott ist hier eindeutig katholisch, wenn auch nicht mehr so allgegenwärtig wie in früheren Zeiten. Ein bisschen hat die Moderne schon Einzug gehalten, mit ihr einhergehend eine gewisse Mündigkeit der Menschen. Man glaubt nicht mehr alles was die Kirche sagt und gleich gar nicht mehr im wörtlichen Sinne, wie damals noch im Kindergartenalter, als man sich aufgrund der recht anschaulichen Darstellungen in der Kinderbibel den dreifaltigen Gott noch als alten Mann mit weißem Bart und mit drei Augen vorstellte. Einen mit stets wachsamen Augen, denen nichts, was auf der Welt geschieht, entgeht und als gütigen Großvater, der darüber wacht, dass seinen Schutzbefohlenen kein Leid geschieht. Schade eigentlich, dass dem Menschen mit zunehmendem Alter und damit einhergehender schmerzlicher Erfahrung immer weniger von diesem grenzenlosen, kindlichen Gottvertrauen bleibt.
Als oberster irdischer Vertreter dieses göttlichen Wesens fungiert in Röthenbach der hochwürdige Herr Pfarrer Willibald Stiegler, ein gewissenhafter, älterer Geistlicher, der entgegen dem heute üblichen Trend von den Dörflern immer noch allgemein als Respektsperson betrachtet wird, was er sich allein schon durch seine unaufgeregte, einfühlsame und gerechte Art verdient hat. Er lebt vor, was er glaubt und verdient sich damit die Anerkennung auch derer, die der Kirche schön längst die Gefolgschaft aufgekündigt haben. Allerdings ist auch er nicht mehr die unfehlbare moralische Instanz des Dorfes, wie das seine Vorgänger als Rödnbacher Ortspfarrer kraft ihres Amtes noch vor etwa fünfzig Jahren ohne Wenn und Aber für alle Bürger waren. Damals ließ sich kaum einer in aller Öffentlichkeit zu einer Ungehörigkeit, gleich welcher Art hinreißen, schon nicht aus Furcht vor dem berechtigten Tadel des damaligen Hochwürdigen Herrn Geistlichen Rates. Die erschrockene Frage, „Woss wärd nern dou der Pfarrer derzou soong?“, wäre unweigerlich gestellt worden.
Spätestens seit dem letzten Sommer ist in Rödnbach vieles anders geworden. Damals war der Geist des Bösen wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen und in dem verträumten Dorf hatte sich ein Alptraum aus Lügen und Geldgier breit gemacht, der am Ende sogar in zwei sinnlosen Morden seinen Höhepunkt fand. Ein prominentes und beliebtes Mitglied der Gemeinde war von der eigenen Ehefrau aus eigensüchtigen Gründen heimtückisch ermordet worden. Sie hatte ihm heimlich Gift ins Bier geschüttet, ein doppeltes Sakrileg. Da geben sich seit Jahrhunderten ganze Generationen von Bierbrauern die größte Mühe, sich peinlichst genau an das bayerische Reinheitsgebot zu halten, die letzte Bastion, auf die man bisher immer blind vertrauen konnte und dann kommt eine solche unsäglich schändliche Person daher und macht alles Können zuschanden. Pfui Teufel!
Die ländliche Idylle war für lange Zeit, wenn nicht für immer, aufs empfindlichste gestört, nahezu zerstört. Nicht einmal vor der allseits beliebten und frommen Pfarrhaushälterin Fräulein Lohmaier, dem Fleisch gewordenen und auf Erden wandelnden Sinnbild der Unschuld, machte das Verbrechen Halt. Sie war seinerzeit aus niedrigen materiellen Gründen und auf brutalste Art und Weise beseitigt worden.
Ja, die Moral! Sie ist nicht mehr so gefestigt, wie in der guten alten Zeit. Allerdings muss man wohl oder übel zugestehen, dass die Lohmaierin, zumindest im ursprünglichen Wortsinn, auch nicht mehr als hundertprozentig unschuldig durchgehen konnte. Schließlich waren der Grund für ihre Ermordung ein heimliches Verhältnis mit dem Malermeister Georg Schiffermüller, sowie die körperlichen Folgen, die aus dieser Verbindung entstanden waren und die, wäre das Kind erst einmal geboren, eine ernste Bedrohung für das Erbe von Georgs Tochter Bettina dargestellt hätten.
Inzwischen war weitgehend Gras über die Sache gewachsen und es bestand große Hoffnung, dass die Wunden verheilt wären und das Dorf erneut zu einem Hort des Friedens und der Sicherheit werden würde.
Hochwürden Willibald Stiegler saß tief in Gedanken versunken auf der kleinen hölzernen Bank, welche sich eng an die Südseite des Röthenbacher Pfarrhauses schmiegte. Er hatte Mühe, sich auf seine immer noch unvollendete Predigt für den bevorstehenden Pfingstsonntag zu konzentrieren. Immer wieder wurden seine Ideen von lautem Rufen und eiligen Schritten unterbrochen, sowie von einem Geräusch, wie es beim Schleppen schwerer Gegenstände entsteht. Hier, wo er sonst stets eine nahezu himmlische Ruhe vorfand und ihm, wie es ihm vorkam, der Heilige Geist gewissermaßen persönlich die passenden Worte eingab, herrschte im Moment eine hektische Betriebsamkeit und ein geradezu unerträglicher Lärm. „Herr, erbarme Dich!“
Der Herr erbarmte sich nicht. Es wäre auch schwer für ihn geworden, ohne ungerechterweise Partei zu ergreifen, denn genau den gleichen Stoßseufzer hatte vor gar nicht langer Zeit Barbara Reinwald zum Himmel geschickt, jedoch mit einer eher entgegengesetzten Intention. Sie wollte natürlich, dass ihr eigenes Vorhaben so schnell wie möglich vorankam. Am Pfingstmontag, gleich nach der Frühmesse, wollte sie mit ihrer Mädchengruppe in die fränkische Schweiz zum Zeltlager aufbrechen. Daher hatten sie und ihre Mädels nun alle Hände voll zu tun, die erforderlichen Gegenstände vom Dachboden des Gemeindesaals herunter zu schaffen und in den vor dem Pfarrhaus parkenden Kleinlaster zu verladen. Die Aufschrift „Metzgerei Bräunlein, feine Fleisch- und Wurstwaren aus eigener Herstellung“ täuschte ein wenig über den wahren Inhalt des Fahrzeugs hinweg. Das hatte ihnen großzügiger weise der Röthenbacher Metzgermeister, Simon Bräunlein, zur Verfügung gestellt. Statt der Schweinehälften und feinen Wurstwaren, die Simon normalerweise damit transportierte enthielt die Ladefläche nun allerlei Zubehör, das die Mädels für ihren Aufenthalt in der freien Natur benötigten. Doch noch lange nicht alles. Die Mädchen waren voller Vorfreude und schnatterten aufgeregt wie kleine Gänschen wild durcheinander. Und wo die ordnende Hand fehlt, da herrscht bald das absolute Chaos und ständige Zurufe treten an die Stelle sinnvoller Planung und durchdachten Handelns. Bärbel, wie die neue Gemeindereferentin Barbara Reinwald von ihren Mädels gerufen wurde, versuchte immer wieder mit energischer Kommandostimme Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Dem Pfarrer wurde es bald zu bunt. Er gab klein bei, seufzte noch einmal vernehmlich und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, um sein Glück bei geschlossenen Fenstern erneut zu versuchen.
„Entschuldigung, wir sind gleich fertig!“, rief ihm Barbara noch hinterher.
Das war allerdings eine allzu optimistische Prognose, wie sich im weiteren Verlauf heraus stellen sollte. Die Heringe, den großen Hordentopf und den Grill hatten sie schnell gefunden und auch schon im Wagen verstaut, das riesige Zwölfmann-, Entschuldigung, Zwölfmädchenzelt war aber einfach zu sperrig und brutal schwer, so dass sich das Heruntertragen vom Dachboden, über die enge, steile Treppe bald als nicht durchführbar herausstellte. Nicht für die zarten Mädels, jedenfalls nicht ohne Kratzer an den erst kürzlich frisch gestrichenen Wänden und schon gar nicht ohne irreparable Schäden an den kunstvoll gestylten Fingernägeln der jungen Damen. Und um junge Damen handelte es sich zweifelsfrei. Sie waren im Schnitt zwischen sechzehn und siebzehn Jahre alt und daher eigentlich keine wirkliche Mädchengruppe mehr, sondern schon eher eine Interessengruppe heranwachsender junger Frauen. Das Attribut „heranwachsend“ darf man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen, es galt ganz bestimmt nicht bezüglich des körperlichen Reifezustands. In dieser Hinsicht waren sie alle schon komplett. Der Wachstumsprozess war, wie man auf den ersten Blick erkennen konnte, diesbezüglich mit hervorragendem Erfolg abgeschlossen, was natürlich dem männlichen Teil der Röthenbacher Jugend durchaus nicht entgangen war.
Daher konnte es auch nicht verwundern, dass zwei dieser Burschen in einigem Abstand hinter dem Zaun des Pfarrgartens herum lungerten, anscheinend um angestrengt die aktuelle Entwicklung der Kräuter und Sträucher im Pfarrgarten zu studieren. Heimlich warfen sie von Zeit zu Zeit sehnsüchtige Blicke hinüber zum Ort des Geschehens, immer hoffend, dass man ihrer Mithilfe bedurfte. Endlich war es soweit. Als Barbara sah, dass ihnen mittlerweile die Zeit davonlief, machte sie den Jungs ein einladendes Zeichen während sie ihnen zurief: „Wenn ihr schon einmal da seid, dann könnt ihr euch auch nützlich machen!“
Feixend sahen sich die Beiden an. „Na also, geht doch!“, dachten sie und trabten erfreut los.
Einige der Mädels fingen heimlich an zu grinsen. Zwei von ihnen, Nadine und Lena, warfen sich bedeutsame Blicke zu. Es war nicht zuletzt Lena, weswegen Marc und in seinem Schlepptau Julian überhaupt gekommen waren. Marc und Lena waren seit Monaten schwer in einander verliebt und galten in Lenas Klasse als festes Paar. Ihre beste Freundin Nadine dagegen hatte seit langem ein besitzergreifendes Auge auf Julian geworfen, doch der schien bisher leider noch nichts davon zu bemerken. Die kunstvoll gepinselten pechschwarzen Wimpern waren im Begriff ihr Opfer geradezu aufzuspießen. Ein Entkommen war praktisch nicht mehr möglich! Und wenn er erst einmal realisiert hätte, was für ein Schmuckstück sich da seiner erbarmt hatte, würde er ohne Zweifel nie mehr etwas anderes wollen, als sich in ihrer betörenden Nähe aufzuhalten.
Die Einladung war für die beiden Jungs das Beste, was ihnen passieren konnte. Endlich konnten sie der versammelten weiblichen Dorfjugend im passenden Alter zeigen, was für tolle Kerle sie waren. In kürzester Zeit waren die beiden Gemeinschaftszelte auf die Ladefläche gehievt und die Heckklappe geschlossen.
Bärbel Reinwald war zufrieden. Alles hatte bisher prima geklappt. Nur noch zwei Tage, dann würden sie mit den Fahrrädern die wenigen Kilometer in die „Fränkische“ hinausradeln, um nahezu eine ganze Woche in Gottes freier Natur zu verbringen. Ihrer Jugendgruppe würde es gut tun, einmal fernab von Mutters Verwöhnprogramm und ganz auf sich alleine gestellt, unter einfachen Verhältnissen, selbst für mindestens eine tägliche Mahlzeit zu sorgen. Verantwortung übernehmen war das Ziel. Zudem würde das geplante Handyverbot, mit Ausnahme von Notfällen und zwei Stunden am Nachmittag, vermutlich der Gruppendynamik gut tun. Erholung von den Anforderungen in Schule und Lehrzeit und Besinnung auf das Wesentliche standen ganz oben auf dem Programm. Vielleicht gelang es auch, einige nicht so ohne weiteres definierbare, aber nahezu mit bloßen Händen zu greifende diffuse Verstimmungen in der Gruppe aufzuklären und einem guten Ende zuzuführen.
Auch für sich selbst erhoffte sich die Leiterin ein bisschen Ruhe und die Gelegenheit, mit der eigenen Situation ins Reine zu kommen. Bis vor drei Monaten, vor ihrer urplötzlichen Vertreibung nach Röthenbach, war sie noch in einer Nürnberger Pfarrei in gleicher Position tätig gewesen. Die Arbeit mit den Jugendlichen hatte ihr großen Spaß gemacht, den Religionsunterricht hatte sie tadellos absolviert, die Schüler hatten sie voll akzeptiert. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sie selbst eine junge Frau mit modernen Ansichten ist, deren Unterricht sich von den langweiligen, moralisierenden und vor allem knochentrockenen Vorträgen ihrer Vorgänger wohltuend abhebt.
Jedoch, es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ein paar ewig gestrige Mitglieder des Pfarrgemeinderates rieben sich an den moralischen Ansichten von Barbara Reinwald. Sie hatten gewaltig etwas auszusetzen. Vor allem daran, dass sie in der Diskussion mit ihren Schülern bezüglich der Frage der Empfängnisverhütung gewissermaßen dem Papst regelmäßig in höchst pflichtvergessener Weise in den Rücken fiel, indem sie die Antibabypille für obligatorisch erklärte, sobald die Mädchen sexuell aktiv wurden. Das war für sich alleine bereits untragbar. Erstens haben anständige unverheiratete Frauen keine sexuellen Aktivitäten, egal welcher Art, und zweitens darf die Zeugung eines Kindes keinesfalls verhindert werden, denn der liebe Gott freut sich über jedes neue Menschenkind, wie man schon bei Beckenbauers Offenbarungen, Kap1, Vers2 nachlesen kann.
Als sie aber zudem zwei Wochen später den Einsatz von Kondomen zur Verhütung von ansteckenden Krankheiten dringend empfahl, war das Fass mehr als voll. Nein, nein, es war nicht nur voll, es war bereits übergelaufen. Zunächst wurde der „Fall Reinwald“ unter den zwölf Aposteln, wie nicht wenige, teils offen, teils hinter vorgehaltener Hand, die Pfarrgemeinderäte nannten, intern diskutiert. Durchaus kontrovers. Auf diese Weise kamen also die Gemeindepharisäer nicht entscheidend weiter. Anscheinend war selbst der Kreis der Vorzeigekatholiken bereits zu sehr mit modernen Ansichten verseucht. Es folgte die sofortige, direkte Intervention durch eine Abordnung der aufrechten, gesetzestreuen Gläubigen beim Gemeindepfarrer. Allen voran Hubertus Heigl, ein bigotter alter Mann, der aufgrund seines tadellosen Charakters, den er in der öffentlichen Wahrnehmung hatte, in den Rosenkranzandachten regelmäßig als Vorbeter zum Einsatz kam.
„Aber hören Sie doch, Herr Pfarrer, was ist denn das für ein Beispiel, das diese, immerhin von unseren Kirchensteuern finanzierte, impertinente junge Dame da unseren Kindern gibt. Diese Person“, wobei das Wort Person in eindeutig abwertender Intention ausgesprochen, ja ausgespuckt wurde, „verführt unsere Jugend auf eine geradezu diabolische Art und Weise. Jawohl, ich scheue mich nicht es beim Namen zu nennen, sie tut das Werk des Teufels. Sie müssen dem sofort Einhalt gebieten. Sie müssen! Es ist ihre heilige Pflicht!“
Das war nur der Anfang einer längeren, ausführlichen Hasstirade, gespickt mit unzähligen Beispielen übelster Pflichtverletzung seitens des sauberen Fräulein Reinwalds. Doch der Pfarrer, selbst eher ein ziemlich liberaler Mann, versuchte abzuwiegeln und war nicht bereit, dem Häuflein der Bigotten und Selbstgerechten kampflos nachzugeben. Fräulein Reinwald blieb.
Doch die Verteidiger von Moral und Anstand waren mit ihrem Latein noch nicht am Ende. Ganz besonders Hubertus Heigl nicht. Er hatte eine heilige Mission. Genau! Mission! Das war gut. Genauso wie es Pflicht der Missionare ist, den armen irregeleiteten Negerkindlein in Afrika den wahren Glauben zu bringen, so war er berufen, für die einzig richtige, reine Gesinnung in seiner Heimatpfarrei zu sorgen. Und so folgte ein Beschwerdebrief dem Anderen, fein säuberlich adressiert an das bischöfliche Ordinariat, stets gewürzt mit einem Seitenhieb auf den nachlässigen Gemeindepfarrer, der sich der gerechten Sache verweigerte und stets gespickt mit Unterstellungen bezüglich des Benehmens des unwürdigen Fräulein Reinwald. Eben hatte Hubertus der Fromme erneut ein Kuvert zugeklebt. Auf dem Weg in die Kirche würde er es in den Briefkasten werfen, um dann den aufrechten Gläubigen als Vorbeter bei der abendlichen Rosenkranzandacht zu dienen.
Vom bischöflichen Ordinariat gab es jeweils Rückfragen beim Pfarrer, einmal wurde er sogar einbestellt, aber es gab immer noch keine Konsequenzen für Barbara. Also mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Warum dauerte das nur so lange? Die Eltern der Schüler wurden jetzt massiv mit der moralischen Keule bearbeitet. Weitere, schärfere Beschwerdebriefe mit immer eindringlicheren Worten folgten. Ohne Erfolg. Es wurde bereits in Erwägung gezogen, seine Exzellenz, den Hochwürdigen Herrn Bischof anlässlich der anstehenden Firmung anzusprechen, um ihn persönlich zu informieren. Die gemeindeeigenen Taliban waren verzweifelt. Da ließ der Herr ein Wunder geschehen.
„Herr Heigl! Hallo, Herr Heigl!“, zischte eine der Getreuen des obersten Pharisäers diesem zu. Sie hatte einen geradezu professionell frömmelnden Gesichtsausdruck aufgesetzt und doch wirkte ihr Antlitz eher so, als ob ein atheistischer Holzschnitzer sich an einer Madonnenfigur versucht hätte. Es fehlte eindeutig das demütige und gütige in ihrem Ausdruck.
„Ich hab gude Neuichkeidn für sie. Endlich hommer des abdrünniche Weibsbild am Wiggl. Ich hobb aus zuverlässicher Quelle erfahrn, dass die mit an gschiedner Moh a schlamberds Verhäldnis hodd. Mei Nachbarin hodd dee Matz scho a boar Mal gseeng, wies mit dem Kerl in sei Haus nei is und aa wies erschd in der Früh widder rauskummer iss. Alles woss rechd iss! Für sowoss kommer sich ja bloß schämer.“
Dabei lief sie im Gesicht dunkelrot an, ob nun wegen dieser Ungeheuerlichkeit oder wegen eines restlichen Funken Anstands, der ihr noch geblieben war. Die Geschichte war schnell in der Gemeinde herum, tatkräftig unterstützt von den einschlägig bekannten Gutmenschen. Barbaras Freund erwies sich als einzige Enttäuschung. Aus Angst um seinen guten Ruf ließ er Barbara wissen, dass er keine Zukunft für sie beide sähe. Wenigstens hatte er den Anstand, ihr dies in einem persönlichen Gespräch mit zu teilen.
Die zutiefst enttäuschte junge Frau zog ihre Lehren aus dieser Hetzjagd und bat um ihre Versetzung. Zu ihrem großen Glück, bisher jedenfalls, hatte sie es hier in Röthenbach entschieden besser getroffen.
Sie hatte teilweise die Nachfolge des im vorigen Jahr brutal zu Tode gekommenen Fräulein Lohmaier angetreten, allerdings nur so weit es die Pfarreiarbeit anging. Als Haushälterin konnte Barbara nicht einspringen, das hätten weder ihre haushaltstechnischen Kenntnisse, noch ihr straffer Zeitplan hergegeben. Dafür engagierte sie sich sehr in der Jugendarbeit und in der Organisation der Erwachsenengruppen der Gemeinde. Die Röthenbacher waren mit dieser neuen Konstellation ausnehmend zufrieden.
Im Goldenen Adler herrschte wieder einmal prächtige Stimmung, wie meistens am Freitagabend. Die Menschen hatten erneut eine schwere Arbeitswoche erfolgreich hinter sich gebracht und waren in froher Erwartung des langen Pfingstwochenendes. Die meisten Tische waren heute besetzt, Familien kamen geschlossen zum Abendessen, andere dagegen nur auf ein oder zwei Halbe Bier zum Feierabend. An mehreren Tischen wurde bereits eifrig Karten gespielt. Solange noch Essensgäste da waren, mussten die Schafkopfer sich jedoch möglichst zurückhalten. Erst nachher, wenn sie unter sich waren, durften sie schon einmal den gewinnbringenden Trumpf mit Schwung auf den massiven Wirtshaustisch niederdonnern lassen.
Am Stammtisch hatte sich wie üblich die Schafkopftruppe um Peter Kleinlein versammelt, um dem geliebten Hobby zu frönen. Seit einiger Zeit waren sie wieder zu viert, Peter, der Metzgermeister Simon Bräunlein, der Dorffigaro Lothar Schwarm und ein Neuer, der den im vergangenen Jahr von der eignen Ehefrau vergifteten Georg Schiffermüller ersetzte. Lange hatten die drei Freunde auf die Aufnahme eines neuen vierten Spielers in ihre Runde und damit notgedrungen auch auf ihr freitägliches Feierabendvergnügen verzichtet. Schließlich war der im vorigen Jahr ermordete Georg Schiffermüller ein Jugendfreund von ihnen allen gewesen, den man nicht so mir nichts, dir nichts durch einen beliebigen Ersatzmann vergessen machen kann. Und den gelegentlichen Brunzkartler, den Leipold Fredi, seines Zeichens Vorsitzender des FCN-Fanclubs „Ewige Treue Röthenbach“ wollten sie auch nicht dauerhaft den Rang eines Stammspielers zuerkennen. Dazu ist ihnen seine nörgelnde Art denn doch zu anstrengend und zudem sein einziges Thema „Club“ oder „Glubb“, wie man es als Einheimischer aussprach, einfach zu langweilig und nervtötend.
„Horch, der reechd mi dodaal auf mit sein dauerndn Gschmarri. Dou konn er mi ja garnedd konzendriern“, meinte Simon, als Peter eines Tages, als es gar zu sehr in den Fingern juckte, einen Vorstoß in diese Richtung gemacht hatte. Zustimmendes Nicken war vom dritten Mann im Bunde gekommen, Lothar Schwarm, der zwar selbst nicht unbedingt ein Mann von Initiative ist, der trotz allem aber schon über eine eigene Meinung verfügt. Von Berufs wegen ist er es einfach gewöhnt, fast schon reflexartig zuzustimmen. In seinem Salon muss er zwangsläufig den Ausführungen seiner zahlreichen Kundinnen zu diesem oder jenem Thema öffentlichen Interesses lauschen und hin und wieder ein verständnisvolles Nicken beisteuern. Widerspruch wäre extrem schlecht fürs Geschäft und nach vielen, langen Jahren immerwährender Zustimmung fehlte ihm dafür auch die Übung.
Die Misere fand erst ein Ende, als eines Abends ein Mann die Wirtsstube betrat, den die drei Freunde seit ihrer Jugend nicht mehr gesehen und ohne die präzisen geheimdienstlichen Vorabinformationen ihrer jeweiligen Ehefrauen auch sicher nicht sofort wiedererkannt hätten. Es handelte sich um den Russen, den Iwan halt, der nach fast einem ganzen Menschenleben, das ihn in bis die entlegensten Gegenden der Welt geführt hatte, auf seine alten Tage in seinen Heimatort Röthenbach zurückgekehrt war, um hier sein Leben ausklingen zu lassen. Womit er sich aber schon noch möglichst lange Zeit lassen wollte. So alt war er nämlich auch wieder nicht, aber das Ersparte reichte, um es endlich gut sein zu lassen. Das war vor etwa zwei Monaten.