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Im sonst so beschaulichen Röthenbach ist die kleine, heile Welt aus den Fugen geraten. Urplötzlich ist ein Fieber gewaltigen Ausmaßes ausgebrochen und hat die gesamte Bevölkerung des Dorfes erfasst. Nein, Corona gilt inzwischen als besiegt und hat nichts mit den derzeit vorherrschenden fiebrigen Zuständen zu tun. Grund für die aktuelle Ausnahmesituation ist vielmehr die Ankündigung des Vorstands des Röthenbacher Burschenvereins, eine Theatergruppe gründen zu wollen. Sie ist daher allein verantwortlich für das bisher völlig unbekannte Theaterfieber, das in bisher nie gesehenem Ausmaß die Bürger und vor allem die Bürgerinnen der kleinen Gemeinde erfasst und einigen davon die Sinne vernebelt hat. So mancher hat den Ruf der Bretter, die die Welt bedeuten, gehört und hält sich zu Höherem berufen. Man hofft auf eine tragende Rolle in den Aufführungen, auf einen Platz im Rampenlicht und die unverhohlene Bewunderung der Zuschauer, viel-leicht sogar auf einen festen Platz in der imaginären Ruhmeshalle des Ortes. Nicht so Peter Kleinlein. Ihm ist immer noch sein erzwungenes Mitwirken in dem Theaterstück in unguter Erinnerung, welches der Schwager des damaligen Bürgermeisters anlässlich des 900-jährigen Bestehens Röthenbachs verfasste und bei dem Peter sich überreden hatte lassen, eine tragende Rolle zu spielen. Er selbst sprach im Nachgang stets nur von einem "schrecklichen Machwerk", was deutlich zeigte, wie wenig er von der vermeintlichen dichterischen Leistung hielt. Es reichte ihm haushoch, diese Erfahrung einmal gemacht zu haben. Doch als der Hauptdarsteller der neu gegründeten Theatergruppe urplötzlich während der Probenzeit ermordet in seinem Schlafzimmer liegt, wird er unweigerlich in den all-gemeinen Trubel hineingezogen und kann sich der Mitwirkung in mehrfacher Hinsicht nicht mehr verweigern.
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2023
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MORDS-Theater
Der verflixte vierzehnte Fall
für Peter Kleinlein
Von Günther Dümler
Impressum
Texte: © 2023 Copyright by Günther Dümler
Umschlag:© 2023 Copyright by Günther Dümler
Verantwortlich
für den Inhalt:Günther Dümler, Nürnberg
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Im sonst so beschaulichen Röthenbach ist die kleine, heile Welt aus den Fugen geraten. Seit Generationen folgt alles seinem geregelten Gang, Neuerungen werden stets misstrauisch beäugt und werden, wenn überhaupt, nur nach und nach grollend akzeptiert. Man ist fest mit dem Boden verwachsen, geerdet, wie man heutzutage sagen würde. Für Aufregung gibt es da wenig Spielraum. Doch nun ist urplötzlich ein Fieber gewaltigen Ausmaßes ausgebrochen und hat die gesamte Bevölkerung des Dorfes erfasst.
Nein, Corona gilt inzwischen als besiegt und hat nichts mit den derzeit vorherrschenden fiebrigen Zuständen zu tun. Grund für die aktuelle Ausnahmesituation ist vielmehr die Ankündigung des Vorstands des Röthenbacher Burschenvereins, eine Theatergruppe gründen zu wollen. Sie ist daher allein verantwortlich für das bisher völlig unbekannte Theaterfieber, das in bisher nie gesehenem Ausmaß die Bürger und vor allem die Bürgerinnen der kleinen Gemeinde erfasst und einigen davon die Sinne vernebelt hat. So mancher hat den Ruf der Bretter, die die Welt bedeuten, gehört und hält sich zu Höherem berufen. Man hofft auf eine tragende Rolle in den Aufführungen, auf einen Platz im Rampenlicht und die unverhohlene Bewunderung der Zuschauer, vielleicht sogar auf einen festen Platz in der imaginären Ruhmeshalle des Ortes.
Nicht so Peter Kleinlein. Ihm ist immer noch sein erzwungenes Mitwirken in dem Theaterstück in unguter Erinnerung, welches der Schwager des damaligen Bürgermeisters anlässlich des 900-jährigen Bestehens Röthenbachs verfasste und bei dem Peter sich überreden hatte lassen, eine tragende Rolle zu spielen. Er selbst sprach im Nachgang stets nur von einem „schrecklichen Machwerk“, was deutlich zeigte, wie wenig er von der vermeintlichen dichterischen Leistung hielt. Es reichte ihm haushoch, diese Erfahrung einmal gemacht zu haben.
Doch als der Hauptdarsteller der neugegründeten Theatergruppe urplötzlich während der Probenzeit ermordet in seinem Schlafzimmer liegt, wird er unweigerlich in den allgemeinen Trubel hineingezogen und kann sich der Mitwirkung in mehrfacher Hinsicht nicht mehr verweigern.
Mords-Theater
Inhaltsverzeichnis
Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:
Vorwort
Handelnde Personen
Burning Season
Was für ein Theater!
Bratwurst und Sauerkraut
Ein heimtückischer Mord
Der silberne Alois
Kommissar Schindler ist im Stress
Die Chemie stimmt
Eine neue Dimension
Der Selbstmörderbaum
Ermittlungsarbeit
Sonntags(un)frieden
Ein klarer Fall
Abschied
Ein eiliger Auftrag
Ein nur mäßig göttlicher Merkur
Ein halber Toter
Der Vogel-Theo
Ausflug nach Seckenhausen
Ein Krankenbesuch
Ein Blick in die Vergangenheit
Alles reine Berechnung
Was zu beweisen wäre
Keine Leiche, kein Mord
Eine Erinnerung an bessere Tage
Das ist doch nicht das Ende
Die Rückkehr der Idylle
Kleine fränkische Nachhilfestunde
Mords-Kerwa (Juli 2012)
Mords-Wut(Dezember 2012)
Mords-Urlaub (Mai 2013)
Mords-Schuss(August 2013)
Mords-Kerle (November 2013)
Mords-Krach (März 2014)
Mords-Brand(August 2014)
Mords-Fasching(Februar 2015)
Mords-Therapie(Januar 2016)
Mords- Zirkus(Februar 2017)
Mords-Zinken(Mai 2018)
Mords-Brocken(Juni 2020)
Mords-Schuld(Mai 2021)
Mords-Theater
Erstfassung Mai 2023
Alle Rechte vorbehalten
Dies ist die vierzehnte Folge der Dorfkrimireihe um den unfreiwilligen Hobbydetektiv Peter Kleinlein. Der wollte eigentlich schon vor Jahren, spätestens aber nach den Einschränkungen, die die Corona-Pandemie den Bürgern, ganz besonders aber den Hobbydetektiven unter ihnen, auferlegt hatte, endgültig Schluss machen mit dem kriminalisieren. Er hatte beschlossen, sich auf die Dinge zu beschränken, mit denen jeder andere Rentner, zu denen er schließlich seit nunmehr zehn Jahren gehörte, seine Tage mehr oder weniger sinnvoll gestaltet. Spazierengehen, Lesen, sich seiner angeschlagenen Gesundheit widmen. Einfach mehr auf sich achten und gesünder leben. Er hatte vor Jahren einen leichten Herzinfarkt erlitten und die damit verbundenen Einschränkungen zeigten ihm zusammen mit dem altersbedingten Verschleiß seiner Wirbel und Gelenke immer öfter auf schmerzhafte Weise die Grenzen auf.
„Middlerweil konni mi allaans vo meine Dableddn ernährn“, hatte er erst kürzlich seinem Freund, dem Metzgermeister Simon Bräunlein erklärt, als dieser ihn in seiner typischen Art darauf aufmerksam machte, dass ein Portionsschäuferle keinesfalls das Richtige für einen ausgewachsenen Mann wäre und er sich doch nicht so anstellen solle.
Ganz so schlimm wie Peter es selbst formuliert hatte, sah es in Bezug auf seine Gesundheit doch noch nicht aus. Seine Aussage entsprang lediglich seiner hervorstechenden Eigenschaft, die Dinge meist überspitzt zu formulieren, sie auf das Wesentliche zu reduzieren und dadurch zielgenau auf den Punkt zu bringen.
Die folgende Geschichte ist natürlich wie immer völlig frei erfunden. Die kriminellen Aspekte des Geschehens sind zu 100% reine Fiktion und haben niemals so oder auch nur so ähnlich stattgefunden. Übereinstimmungen oder auch nur Ähnlichkeiten jeglicher Art mit wahren Begebenheiten und real lebenden Personen sind daher rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
Die Rödnbacher Freunde
Peter Kleinlein Rödnbacher, Rentner
und Hobbydetektiv
Marga Kleinlein seine stets besorgte Ehefrau
Simon BräunleinMetzgermeister aus Rödnbach,Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst
Gisela Bräunlein seine (im Sinne des Geschäfts)bessere Hälfte, das Gehirn des Betriebes
Lothar Schwarm Friseurmeister aus Rödnbach,sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung
Maria Cäcilie Schwarm Kosmetikerin mit oberpfälzischem
Migrationshintergrund, mittlerweile Lothars Ehefrau
Die Ermittler
Erwin Schindler Kriminalhauptkommissar
Heinz HavranekKriminalobermeister
Roland Preißler Dezernatsleiter
Die Rödnbacher Hundsweiber
Margarethe Beck führendes Mitglied der genannt Beggn GredlHundsweiber und unerschöpfliche Gerüchtequelle
Felizitas Kraus Möchtegernschauspielerin genannt „die Grausi“
Eva Lämmermann ohne Schauspielambitionen „die Lämmermänni“
Gertraud Rosskopf Besitzerin eines gut erzogenen genannt Traudl (Draudl) Beagles
Die Schauspieler
Wolfgang DietrichLiebhaber gepflegter HeckenBauer Kreithofer
Marcus KallertJugendlicher aus der GemeindeLois, sein Sohn
Walter Steingrubereher klein von StaturHaslingerbauerMarga Kleinleinsehr talentiertHaslingers Frau Nanni
Judith Pfahlerhübsches Mädchen aus der Eva, Tochter der HaslingersGemeinde
Claudia PrechtlSchwester von RolfZenzi, die Magd
Rolf PrechtlBruder von ClaudiaMartl, der Knecht
Johannes GeißlerGymnasiallehrer in NürnbergRegisseur
Weitere Personen
Frau Zängerleinältere Dame
Karl BernreutherWirt des Goldenen Adlers
Dr. HöflerTierarzt in Erlenbach
Alois Betzein begnadeter Schauspielergenannt der silberne Alois
Sabine KellnerNachbarin von Alois Betz
Willy Schmidbauereigenbrötlerischer Einsiedler
Thomas Schmidbaueroffen für alles
Janina SchmidbauerEhefrau von Willygeborene Waldmüller
Yogi KaltenbachSpätheimkehrer
Dr. Felix NeumeierPolizeiarzt
Heiko EberhardLebensmittelchemiker
Nina Haselbergereine alte Bekannte von Peter
R.Barthel/A.Dallmannein Studentenpaar
Sascha Kugler dem es die Sprache verschlug
Martha Kuglerseine Frau
Theodor HäubleinVogelfreund
Eine schmutzige, fette Ratte spazierte ungeniert über den Boden der baufälligen Terrasse aus halbverfaulten Bambusstäben. Auf der Suche nach Essbarem ließ sie ihre gierigen Augen nach links und rechts schweifen, ohne jedoch etwas Verwertbares zu finden. Jo Kaltenbach fühlte sich derart elend, dass er sie nicht einmal beachtete. Er hing apathisch in seinem ebenso hinfälligen Rattansessel und dachte über seine ausweglose Situation nach.
Der Abend war wie immer um diese Jahreszeit schwülheiß, obwohl die Sonne schon seit Stunden untergegangen war. Die Luft erschien heute extrem stickig, noch mehr als sonst im April und jeder Atemzug fühlte sich an, wie eine Inhalation mit einer giftigen Substanz, die ihn langsam, aber sicher zu ersticken drohte. Seine Lunge brannte höllisch und die müden Augen tränten auf eine Weise, die er nur aus einer längst vergangenen Periode seiner Jugendzeit in Deutschland kannte. Damals, 1977, als er in Gorleben zusammen mit tausenden Gleichgesinnten gegen das geplante atomare Endlager demonstrierte, hatte er Vergleichbares erlebt, die Wasserwerfer, das Tränengas, wenn es hart auf hart ging. Dazu das raue Leben in einem grob zusammengezimmerten wilden Lager unter freiem Himmel ohne jeglichen Luxus.
Zu dieser Zeit war er jung und stark und machte sich nichts aus Unannehmlichkeiten. Sie gehörten wie selbstverständlich dazu und jede Konfrontation mit der Obrigkeit schweißte die Gruppe nur noch fester zusammen. Doch damals war das ein Kampf aus Überzeugung, anders als heute, wo er nicht um Ideale, sondern ums blanke Überleben in einem fremden Land kämpfte, an dessen unbekannten Sitten er sich auch nach fast zwanzig Jahren immer noch nicht hatte gewöhnen können.
Die Burning Season war in vollem Gang. Das bedeutete, dass die Bauern die abgeernteten Felder sowie vereinzeltes Gebüsch kurzerhand abbrannten, um Platz für die nächste Aussaat zu schaffen. Das war in der Gegend von Chiang Mai, im Norden Thailands, seit Urzeiten so üblich. Der Smog in der Stadt erreichte Höchstwerte, da, anders als in antiken Zeiten, auch unzählige TukTuks, schrottreife Motorräder und Autos ohne jegliche Abgasfilter einen beträchtlichen Teil dazu beitrugen. Pro Jahr gab es mehr als 600 Tote allein wegen dieser schier unglaublichen Luftverschmutzung.
Dazu kam dieser nervtötende Lärm, verursacht von tausenden von quakenden Fröschen, Nacht für Nacht. Wie er diese Quälgeister hasste. In schwachen Momenten wollte er nur noch auf und davon, zurück nach Deutschland, in seine Heimat, die er vor zweiunddreißig Jahren verlassen hatte, um die Welt zu sehen, Abenteuer zu erleben, frei zu sein. Doch das wäre eine schmähliche Kapitulation vor seinem Versagen gewesen. Und das wollte er um jeden Preis vermeiden.
Seine großen Ziele hatte er schon bald aufgeben müssen, seine Mittel waren schnell aufgebraucht und der notorische Geldmangel zwang ihn zu Maßnahmen, die er sich zuvor niemals hätte vorstellen können. Er hatte sich sogar für einige Jahre in die Fremdenlegion geflüchtet, den Kopf hingehalten für ein Land, mit dem ihn nichts weiter verband als ein Vertrag und garantierte Bezahlung. Die Erinnerung an blutige Gefechte in wechselnden Krisenregionen und die dauernde Angst vor im Hinterhalt lauernden feindlichen Guerillas waren damals ständige Begleiter. In dieser Zeit hatte er, abgesehen von der gelegentlichen Haschtüte in Jugendjahren, seine ersten Erfahrungen mit härteren Drogen gemacht, in ständig wechselnder Abfolge zum Aufputschen und Beruhigen der angespannten Nerven in schlaflosen Nächten. Noch heute verfolgten ihn die schlimmen Erlebnisse in seinen Träumen.
Danach hatte er eine längere Zeit in Indien gelebt, war auf der Suche nach dem Sinn des Lebens einem der ungezählten Gurus gefolgt. Er hatte aber nie den rechten Zugang gefunden, die totale Hingabe der Anderen war ihm immer fremd und unwirklich erschienen. Er war viel zu rastlos, brachte trotz guten Willens nicht die Geduld auf, die stoische Ruhe zu ertragen, die ein Leben in diesem Umfeld vorauszusetzen schien. Vielleicht war er auch einfach nicht der religiöse Typ. So war er erneut weitergezogen, hatte bald den halben Subkontinent bereist, ohne jedoch seine innere Ruhe gefunden zu haben, von der angestrebten Erleuchtung ganz zu schweigen. Von Station zu Station wurde er immer mehr zu einem Getriebenen, innerlich Zerrissenen, den nichts länger an einem Ort hielt, der bald selbst nicht mehr wusste, was er eigentlich wollte. Nur eines war stets sicher und unauslöschlich in sein Gehirn eingebrannt. Er wollte niemals zurück nach Deutschland, denn das wäre das endgültige Eingeständnis seines Scheiterns gewesen. So kämpfte er sich weiter durch, allen Unbilden zum Trotz und sein Drogenkonsum begleitete ihn von Ort zu Ort und wurde jedes Mal extensiver.
Dies alles ging Jo Kaltenbach, Yogi, wie sie ihn seit Indien nannten, durch den Kopf, während er auf der verfallenen Veranda saß und das ständige Plärren der Frösche unablässig an seinen Nerven zerrte. Diese schrecklichen Viecher in diesem Land. Er hatte sich in all den Jahren nicht an diese allgegenwärtigen stechenden und beißenden Insekten, Kakerlaken, Moskitos und zum Teil riesigen Spinnen gewöhnen können, noch viel weniger an die Unzahl von Giftschlangen, die es gab und die einen mit einem einzigen Biss ins Jenseits befördern konnten. Mit einem Skorpion hatte er gleich zu Beginn seiner Zeit in Thailand unangenehme Bekanntschaft gemacht. Das Biest hatte ihn in die Schulter gestochen. Der Schmerz war so groß, dass er glaubte mit dem ganzen Rücken auf einem glühenden Grillrost zu liegen. Die Luft war ihm schlagartig weggeblieben und er hatte im Geist schon mit seinem Leben abgeschlossen.
Und dann in der Regenzeit diese Unmengen gefräßiger Termiten, die eines Abends sein Wohnzimmer zentimeterhoch, gleich einem schmutzigen Langflorteppich bedeckt hatten, nur weil er vergessen hatte, das Licht zu löschen, als er das Haus verließ. Die Türen und Fenster waren alles andere als dicht und so fand diese Heimsuchung ungebremsten Einzug in seinen Rückzugsort. Er hatte das alles so satt. Er war schließlich keine Zwanzig mehr.
Dann war sein Freund Tom, ein weiterer Deutscher, den er während seiner Zeit in Phuket kennengelernt hatte, wieder zurück nach Deutschland gegangen. Tom war anfangs nur wegen der billigen Nutten jedes Jahr aus Bangkok, wo er lebte, nach Phuket gekommen, hatte eine paar Wochen in Saus und Braus gelebt und war wieder verschwunden, wenn das Geld alle war. Eines Tages, Jo hatte gerade sein Geschäft und damit sein ganzes Geld verloren, war Tom zusammen mit ihm für längere Zeit nach Chiang Mai im Norden des Landes gezogen, erstens weil hier alles billiger und auch das Klima normalerweise erträglicher war. Außer natürlich in den drei Monaten der Burning Season.
Und jetzt war er wieder ganz allein in diesem fremden Land. Vor Monaten hatte er dann den ersten Warnschuss erhalten. Tagelang war ihm auf eine seltsame Art schwindlig. Der Herzschlag war manchmal kaum mehr zu spüren, dann raste der Puls plötzlich wieder los, als ob er die ausgelassenen Schläge sofort wieder nachholen wollte, was ihm noch mehr Angst machte. Ein anderes Mal kamen die Schläge wieder in viel zu großen Abständen, dafür umso heftiger, was ihn noch mehr in Unruhe und Panik verfallen ließ. Jedes Mal lauschte er bangend in sich hinein, hoffend, dass es noch einen neuen Pulsschlag geben und nicht mit einem Mal alles aus sein würde. Das brachte ihn schier an den Rand der Verzweiflung. Eine private Krankenversicherung hatte er nicht, nicht mehr. Also blieb nur die Möglichkeit der Barzahlung bei einem der wenigen Ärzte, zu denen ein Europäer, ein Farang, wie die Einheimischen sagten, gehen konnte. Doch dann würde er hungern müssen, auch seine Drogen, an die er sich im Laufe seiner Jahre im Orient so sehr gewöhnt hatte, könnte er dann nicht mehr bezahlen. Eines würde er aber auf keinen Fall tun, seine unantastbare Rücklage anzugreifen, das schmale Bündel Geld, das er für eine Rückkehr in die westliche Zivilisation gespart hatte. Sein Notausgang in ein sicheres Leben, die eiserne Kassette unter dem Fußboden seines Schlafzimmers war tabu.
Er hatte es angelegt, noch bevor damals in Phuket seine Thaifrau auf und davon gegangen war, sich quasi über Nacht mit einem anderen, einheimischen Mann zusammengetan hatte. Wer weiß, ob das nicht von Beginn an ihr Plan war. Die paar hundert Euro waren das Einzige, was sie ihm gelassen hatten, wohl auch nur, weil er es von Anfang an vor ihr versteckt hatte. Das Geschäft, ein kleines Lokal in Strandnähe von Phuket, hatte ihm nie gehört. Er hatte es zwar zu hundert Prozent finanziert, doch es lief auf den Namen seiner Frau. Eine Praxis, die die meisten Ausländer pflegten, da es vieles erleichterte. Die Steuern waren wesentlich niedriger als für einen Farang, einen aus dem europäischen Westen und auch die Schikanen der Vertreter der Militärjunta hielten sich Einheimischen gegenüber in Grenzen. Doch wenn die Frau starb oder ihn verließ, wie in seinem Fall, dann war alles verloren. Für immer. Das hätte er besser bedenken sollen. Doch noch nie im Leben hatte Vorsicht eine große Rolle für ihn gespielt und nun war es zu spät. Er war völlig abgebrannt und ernsthaft krank.
Seine Besuche bei einem lokalen Arzt endeten mit einem Schock. Der Mann hatte offenbar keine Ahnung, was ihm fehlte. Er hatte auf Thai, das er nach all den Jahren immer noch nur bruchstückhaft beherrschte, auf ihn eingeredet, dann auf seinem Handy nach den Symptomen gegoogelt und ihm schließlich eröffnet, dass sein Ende nicht mehr weit sei. Doch der Gang in ein Krankenhaus, wo es möglicherweise gute Ärzte gab, würde ihm seinen letzten Spargroschen und damit den Fluchtweg zurück in die Zivilisation kosten.
Schließlich kapitulierte Yogi Kaltenbach doch und schrieb an seine jüngere Schwester, die in Seckenhausen in Franken lebte, nicht weit von der Grenze zur Oberpfalz. Er schilderte ihr in seinem Brief ungeschminkt seine Situation und bat sie um Hilfe. Vielleicht konnte er einstweilen bei ihr unterkommen, wenigstens bis er wieder ein wenig zu Kräften gekommen wäre. Er konnte sich nichts mehr vormachen. Er war endgültig gescheitert und würde, sofern sie ihn denn nach all den Jahren aufnehmen würde, gebrochen und als körperliches und seelisches Wrack zurückkehren.
„Die zunehmende Trockenheit bereitet den Landwirten in vielen Bereichen des Landes große Sorge. Die Niederschlagsmengen erreichten im vergangenen Jahr nur in wenigen Regionen des Freistaats das erforderliche Soll“, tönte es aus dem Lautsprecher des altmodischen Röhrenfernsehers.
„Vill zu droggn, dess schdimmd“, stimmte Alois Betz dem besorgt wirkenden Nachrichtensprecher zu und schenkte sich ein weiteres Glas Weihnachtsbier ein, das noch von den Feiertagen übrig war. Er hatte es beim Aufräumen der Christbaumbeleuchtung im Keller völlig überraschend wiederentdeckt. Im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest hatte er den Sechserpack aus dem BIGMA-Supermarkt heimgetragen, einen ganzen Kasten schaffte er in seinem fortgeschritten Alter sowieso nicht mehr, abgesehen davon, dass er auch gar nicht mehr so schwer tragen konnte. Aber er hätte das Bier doch niemals im hintersten Eck des blechernen Regals eingeräumt.
„Komisch“, dachte er, „Sachn gibbds.“
In diesen Teil des Kellers kam er ja das ganze Jahr nicht hin. Der beherbergte lediglich die Wasseruhr und den Zähler für die Gasheizung und war erstens schlecht beleuchtet und zweitens viel zu niedrig, um aufrecht zu gehen. Daher kam normalerweise auch nur der Mann vom Energieversorger einmal im Jahr hier hin, um den Verbrauch abzulesen und Alois Betz, wenn er ebenfalls nur einmal im Jahr die Weihnachtsdeko hervorholte.
Er schüttelte noch einmal kurz das greise Haupt, dann aber verbannte er diese müßigen Überlegungen kurzerhand aus seinem Kopf. Er wandte sich wieder seinem vollen Seidla zu und widmete sich erneut dem Geschehen auf dem Fernsehschirm. „Wahrscheinlich hodds die Butzfrau ausn Kühlschrank raus und heimlich widder in Keller nunder, damid is nedd find“ , beendete er vorläufig sein Grübeln.
„Hauptsach, es iss widder dou. Äs Haus verliert nix.“
Mit der Butzfrau war die Nachbarin gemeint, eine Frau um die Vierzig, die ihm seit einigen Jahren zur Hand ging und die schwereren Tätigkeiten erledigte, die er aufgrund seines hohen Alters nicht mehr schaffen konnte. Die gute Frau machte sich immer viel zu viel Sorgen um ihn und hatte wohl deshalb das wohlschmeckende goldfarbene Gebräu vor ihm versteckt.
„Sie müssn besser auf sich aufbassn, Herr Betz“, hatte sie ihm immer wieder gebetsmühlenartig erklärt. „In ihrn Alder verdrächd mer nimmer alles so guud wie als Junger, dess gild fei aa fürn Algohol.“
Jedermann wisse schließlich, dass Alkohol und Tabletten alles andere als eine gute Kombination darstellen. Alois Betz war da keine Ausnahme. Natürlich wusste er das. Doch der Geist ist willig, aber der Durst eben auch. Immerhin war er jetzt schon jenseits der Achtzig und die körperliche Leistungsfähigkeit ließ nahezu täglich immer mehr nach. Er selbst machte allerdings eher dieses verdammte Virus für seinen Verfall verantwortlich, welches die letzten nahezu drei Jahre die ganze Welt in Atem gehalten hatte oder besser gesagt, einen großen Teil davon eher außer Atem, bis hin zu einer gefährlichen Atemnot. Ihn selbst hatte es glücklicherweise nur einmal erwischt, noch dazu leicht, gleich um den Jahresanfang herum. Es hatte überraschenderweise gar nicht so lange angedauert, nur einen einzigen Tag hatte er so etwas wie einen Anflug von Fieber verspürt. Die Nachbarin bestand damals auf einer sofortigen Messung. Sie hatte das antiquierte Fieberthermometer aus seinem Badezimmerschrank geholt, es ihm mit strenger Miene in die Hand gedrückt und nicht lockergelassen, bis er es widerwillig in seine Achselhöhle geklemmt hatte. Es hatte dann aber lediglich eine erhöhte Temperatur, so um die 38 Grad, angezeigt. Und am dritten Tag war der Spuk auch schon wieder vorbei. Dachte er wenigstens.
Jedoch so richtig fit war er danach auch nicht mehr geworden. Die immer wiederkehrende Schlappheit machte ihm sogar heute noch gelegentlich zu schaffen, so als wäre er ein Spielball der Seuche, den diese ganz nach Belieben von Zeit zu Zeit hervorholte, um ihn zu quälen und danach wieder auf unbestimmte Zeit links liegen zu lassen. Ein grausames Spiel wie es übellaunige Katzen zuweilen mit Mäusen treiben. Sie fangen sie mit ihren flinken Pfoten, geben sie vermeintlich wieder frei, um sie im nächsten Moment schon wieder ihre scharfen Krallen spüren zu lassen. So kam sich Alois Betz derzeit auch vor. So wie die Maus natürlich.
Auch das war ein Grund, warum er sorgfältig überlegte, ob er dem Angebot des Vorsitzenden des örtlichen Burschenvereins nachgeben und die Hauptrolle in dem ersten Stück der neu gegründeten Theatergruppe übernehmen sollte. Sie suchten ganz gezielt nach einem älteren, möglichst rüstigen Mann, der einen rund zweistündigen Auftritt sicher durchstehen konnte. Am Durchhaltevermögen würde es nicht scheitern. Er hatte andere Bedenken.
Das Premierenstück sollte „der verkaufte Großvater“ von Anton Hamik sein, ein meisterlicher Schwank, ein Klassiker unter den populären Stücken. In dieser Rolle hatten einst so großartige Volksschauspieler wie Henry Vahl, Michl Lang, Ludwig Schmid-Wildy, ja sogar der unvergessliche Hans Moser geglänzt, was die Aufgabe zwar reizvoll, aber auch sehr anspruchsvoll machte. Und so überlegte Alois, ob er es denn schaffen würde, den Großvater so pfiffig und schlagfertig anzulegen wie der frühere Star des Ohnsorgtheaters oder so verschmitzt wie Michl Lang oder ob er etwas Vergleichbares zu den legendären Halunkinationen des schlitzohrigen Ludwig Schmid-Wildy hinbekommen würde. Die nörgelnde Art eines Hans Moser mit seiner nuschelnden Stimme war ohnehin etwas, das man nicht so ohne weiteres kopieren konnte. Wahrscheinlich wäre es am Besten, wenn er seine ganz eigene Art finden würde. Er würde der Opa sein, der er im wirklichen Leben gern gewesen wäre, wenn ihm denn das Glück von möglichst vielen Enkeln beschieden gewesen wäre. Davon hatte er an einsamen Tagen oft geträumt. In Wahrheit aber war er im Alter ganz allein, denn er gehörte zu den Unglücklichen, denen Nachwuchs nie vergönnt war.
Geistig war Alois allerdings noch absolut fit und dass sie ihn überhaupt gefragt hatten, war für sich alleine schon eine Ehre. Dass er vor Jahrzehnten, als es in Röthenbach noch einen umtriebigen Theater- und Gesellschaftsverein gegeben hatte, einer der beliebtesten Laienschauspieler war, das hatten sie wohl von den älteren Einwohnern erfahren, die sich noch ganz gut an die ausverkauften Vorstellungen im Pfarrsaal der Gemeinde Sankt Leonhard erinnern konnten, mit Alois Betz in einer Hauptrolle.
So richtiges Theater war das natürlich nicht. Dafür fehlten ihnen die Mittel, sowohl was das Schauspielerische anbetraf, als auch bezüglich der Ausstattung. Sie hatten zwei Mal im Jahr einen derben Schwank auf die Bühne gebracht, mit selbst gezimmerten Kulissen und diversen, von Dachböden und Kellern zusammen getragenen Gegenständen als Möblierung. Wochenlang hatten sie gemalt und gehämmert, bis sie mit ihrem Werk zufrieden waren. Dazu kamen viele Stunden, die mit dem Einüben des Stückes verbracht wurden. Es war einfach eine tolle Zeit damals, schon allein deshalb, weil er seinerzeit noch den jugendlichen Liebhaber gab.
Bauerntheater nannte man das, obwohl keiner der Röthenbacher Bauern, von denen es selbst heute noch so einige gab, jemals mitgemacht hatte. Wenn es hochkam, dann allerhöchstens mal als Zuschauer oder eben als Kunstfiguren auf der Bühne, die von den Schauspielern teils als derbe, hinterwäldlerische Sturköpfe, teils aber auch als umtriebige und bauernschlaue Dorfdiplomaten interpretiert wurden und so das Publikum zu lachen brachten.
Viel andere Unterhaltung gabs damals ja auch gar nicht. Das Fernsehangebot bestand seinerzeit gerade mal aus drei Programmen, die nicht einmal alle ganztägig ausgestrahlt wurden. Also brachte eine solche Laienaufführung schon etwas Abwechslung in den eintönigen Alltag und der Zuspruch der Bevölkerung war entsprechend hoch.
Was ihm am meisten Sorge bereitete und weshalb er nicht sofort zugesagt hatte, war die Befürchtung, dass ihn sein Gedächtnis auf offener Bühne im Stich lassen könnte und er sich möglicherweise vor den Augen hunderter Besucher unsterblich blamieren würde. Der Gedanke kam nicht von ungefähr. Sie hatten früher einmal einen älteren Herrn, dem damals ein legendärer Ruf als Schauspielgröße vergangener Tage nachhing, überreden können, noch einmal mitzuspielen. Leider mit der Folge, dass die Souffleurin so laut sprechen musste, dass bequem auch die letzte Zuschauerreihe den Text hätte mitsprechen können und sie selbst nach Ende der Vorführung ihre lädierten Stimmbänder nur mir einer großen Menge Kamillentee wieder einigermaßen in Form bringen konnte. Die Erinnerung an diesen Reinfall ließ ihn zweifeln, ob er nicht auch schon in diesem Stadium der Vergesslichkeit angekommen wäre. Andererseits juckte es ihn natürlich schon, noch einmal sein zweifellos vorhandenes komödiantisches Talent zu beweisen.
Eine ganze Weile schwelgte er noch in diesen nostalgischen Reminiszensen, ohne sich final entscheiden zu können. Nach schier endlosem Hin und Her entschied sich Alois Betz schlussendlich den Burschenschaftlern zuzusagen. Er baute darauf, dass es irgendwie schon wie in seinen jungen Jahren werden würde, wo sich durch das häufige Proben der Text wie von selbst felsenfest eingeprägt hatte und an ein Versagen gar nicht gedacht werden konnte.
Im Hause Kleinlein fanden durchaus ähnliche Überlegungen statt. Die Marga hatte sich, sobald sie von den Plänen zur Gründung der Theatergruppe hörte, immer wieder mit dem Gedanken an ein Mitwirken beschäftigt oder vielmehr hatten ihre in diese Richtung gehenden Gedanken sich völlig unerwartet und ohne ihr bewusstes Zutun mit der Marga beschäftigt. Sie suggerierten ihr einmal, dass sie auf diese Weise aus der eindimensionalen Rolle der alternden Hausfrau heraus- und auf dem Weg zu einem gewissen Maß an Selbstverwirklichung einen großen Schritt vorankommen könnte. Ein Auftritt vor der versammelten Gemeinde, wie aufregend! Da konnte sie endlich einmal zeigen, dass nicht nur ihr Ehemann, der ortsbekannte Hobbydetektiv, mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet ist. Dann wiederum fürchtete sie sich geradezu vor diesem unterschwelligen, aber permanent nagenden Wunsch, aus dem Alltag ausbrechen zu wollen. Sie fragte sich bang, ob sie denn tatsächlich in der Lage wäre, den Ansprüchen, die an eine Teilnahme bei so einer Aufführung geknüpft waren, auch wirklich gerecht werden zu können. In ihrer Küche war sie durchaus in der Lage den Zauberstab zu schwingen, sie galt bei den Freunden als perfekte Hausfrau, die alles im Griff hatte. Das hatte sie im Laufe der vielen Ehejahre zur Perfektion gebracht und sie musste sich diesbezüglich ganz sicher vor Niemandem verstecken. Das stimmte schon, aber die Schauspielerei wäre schon ein ganz anderes Terrain. Auf dem hatte sie allenfalls Erfahrungen bei Schulaufführungen vorzuweisen und die lagen schließlich schon Jahrzehnte zurück. Und dann würden diesmal auch nicht nur ein paar wohlwollende Eltern zusehen, sondern die ganze Gemeinde, mögliche Kritiker eingeschlossen, was im Fall des Versagens eine ziemliche Fallhöhe bedeuten würde.
Zudem müsste man nicht nur eine nicht unerhebliche Menge an Text auswendig lernen, sondern ihn auch im richtigen Moment ohne jeden Zweifel parat haben. Man musste mit der Nervosität zurechtkommen, die sich sicher einstellen würde, je näher das große Ereignis heranrücken würde. Sie spürte dieses mulmige Gefühl ja sogar schon jetzt ganz automatisch und ein wenig unheimlich in sich aufsteigen, wo sie sich doch noch gar nicht endgültig entschieden hatte. Noch war aber nichts fix, noch hatte sie die Möglichkeit, den Zug mit wehmütigem Blick vorbeifahren zu lassen, ohne den Versuch einzusteigen, um die Reise in das große Abenteuer zu wagen.
Der Gisela, der Metzgersgattin und besten Freundin, hatte sie natürlich von ihren Gedanken erzählt. Die hatte gar nicht lange gezögert und ihr ohne Umschweife direkt erklärt, dass es da nichts zu überlegen gäbe.
„Hoch amol“, hatte die ihr geantwortet, „dess iss doch ka Fraach nedd, dess machsd ganz einfach. Du bisd ohne jedn Zweifl ganz beschdimmd besser als wäi die andern zwaa wo sich beworbn homm.“
„Welche andern zwaa?“ Die Marga war einigermaßen überrascht, dass sie auch noch gegen Konkurrenz anzutreten hatte.
„Du gräigsd abber scho gornix mid, odder?“, hatte die Freundin gefragt. „Dess iss doch Ordsgeschbräch, dass die Beggn Gredl und die Grausi unbedingt midmachn wolln. Wassd scho, dee mid dem Musklbageed von an Boxer, dee wo aa immer mit die Hundsweiber rumrennt. Ganz nersch sinns alle zwaa, hobbi ghärd, walls berühmd wern wolln. Dassi nedd lach! Ich derf ja nix geecher dee sagn, wall mid dem Broggn von an Hund brauchd dee ja aa an Haufn Fleisch und dess kaffds dadsächlich sogar bei uns. Also ich hobb nix gsachd, abber überleech der dess. Woss dee könner, dess konnsd doch du scho lang, odder?“
Wer die Gisela kannte, der wusste auch, dass sie mit einem äußerst überzeugenden Wesen ausgestattet war, das an Widerspruch gar nicht erst denken ließ. Und so hatte sich die Marga final entschlossen mitzumachen und ihre verborgenen Talente der hoffentlich wohlwollenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Zumal sie in ihrem tiefsten Inneren tatsächlich überzeugt war, dass die Beggn Gredl, also die Margarethe Beck, wie sie eigentlich hieß und die Felizitas Kraus alias „die Grausi“ ihr nicht das Wasser reichen konnten. Jetzt musste sie es nur noch ihrem Ehemann, dem Peter beibringen. Hoffentlich lachte er sie nicht aus.
Doch die Sorge hätte sie sich sparen können. Er beglückwünschte sie sogar zu ihrer Entscheidung und freute sich, dass die den Mut gefunden hatte, etwas aus sich zu machen. Ihn selbst hatten die Verantwortlichen zwar ebenfalls angesprochen und nachgefragt, ob er seinem glanzvollen Auftritt als Richter, den er in dem Theaterstück anlässlich des 900-jährigen Bestehens der Gemeinde Röthenbach vor einigen Jahren hatte, ein weiteres Kapitel seiner Schauspielkunst hinzufügen möchte. Er hatte aber rundweg abgelehnt. Er hatte auch seinerzeit nur sehr unwillig zugestimmt, nachdem ihm der damalige Bürgermeister gewissenmaßen die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Noch heute dachte er mit Schrecken an das furchtbare, in mehr oder weniger holprige Reime gepackte Machwerk des über einige Ecken mit dem damaligen Bürgermeister Holzapfel verwandten Mannes aus der Großstadt und an die eher peinliche Aufführung auf dem Bürgerfest.
Peinlich war ihm trotz allseitigen Lobes seitens seiner Freunde, seinen persönlichen Auftritt betreffend, immer noch das Nachspiel, das selbst noch heute in seinem Hinterkopf nagte. Das war nur deshalb zustande gekommen, weil die Sommer Hildegard unbedingt von seinen Leistungen als Romeo in einer Schulaufführung vor mehr als fünfzig Jahren berichten musste. Vor allem die freiwillig und ungebührlich ausgedehnten Kussszenen, die im Original von Shakespeare gar nicht vorgesehen waren, glaubte die alte Petze, dem halben Bierzelt ausführlich schildern zu müssen. Auch wenn danach die Marga, seine Ehefrau, in unerwartet schlagfertiger Weise gekontert und seine Ehre gerettet hatte, wollte er dergleichen nie mehr erleben.
Und so blockte er diesmal alle Versuche, ihn zu einer Teilnahme zu überreden, gleich von vorn herein energisch ab. Peter Kleinlein, den Bühnentrottel, den Gegenstand der Häme und sei es nur der Spott eines missgünstigen Schandmauls wie der Sommer Hildegard, den würde es nie wieder geben. Da war er sich absolut sicher und Peter irrte bekanntlich so gut wie nie. Zumindest nicht, wenn er in seiner Glanzrolle als Röthenbacher Hobbydetektiv unterwegs war.
Doch im aktuellen Fall handelte es sich eben nicht um eine Mordermittlung und somit war das letzte Wort doch noch nicht gesprochen. Die Wende sollte viel schneller und noch dazu auf eine unschöne Weise kommen, wie er sie sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.
Margarethe Beck und ihre besten Freundinnen waren auf ihrem obligatorischen Rundgang durch die Gemeinde. An jedem zweiten Baum blieben sie stehen, um geduldig abzuwarten, bis der eine oder andere ihrer Lieblinge das Bein gehoben und seine geschäftlichen Angelegenheiten erledigt hatte und sie wieder bereit waren, den Ausflug fortzusetzen. Dadurch zog sich die Runde in der Regel etwas hin, denn fast jeder der vierbeinigen Lieblinge nannte einen anderen Stammbaum sein Eigen. Es waren immer die gleichen Frauen, die tagtäglich mit ihren getreuen Freunden ihre Runden durch das Dorf drehten. Mal eine mehr, mal eine weniger, doch der Stamm war stets der gleiche. Man kannte sie in Röthenbach gemeinhin als die Hundsweiber, ein Begriff, von dem niemand mehr genau wusste, wer ihn einst geprägt und ihn der illustren Truppe verpasst hatte.
„Schatzi!“, rief die Beggn Gredl, wie Margarethe Beck allgemein genannt wurde, „Herrschafdszeidn, wo iss er denn scho widder hie, der Lauser“, fragte sie niemand Bestimmten, denn ihr Mischlingshund war nirgends mehr zu sehen. „Kaum underhäld mer sich amal a Minuddn und bassd nedd hunderdbrozendich auf, isser scho widder verschwunden.