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Menschen, Tiere, Sensationen und mittendrin Peter Kleinlein. Der muss sich während der Ferien um seinen 12-jährigen Enkel kümmern, da weder dessen Mutter, nach einem schmerzhaften und folgenschweren Sturz von der Leiter, noch dessen Vater, wegen einer unaufschiebbaren Geschäftsreise nach Indien, sich angemessen um ihren Sprössling kümmern können. Ein willkommener Fall für Oma und Opa. Als die beiden Großeltern mit ihrem Basti die Premierenvorstellung des Zirkus Bellini besuchen und einer der Artisten aufgrund eines misslungenen Tricks zu Tode kommt, denkt noch niemand an Absicht. Doch wer Peter kennt, der weiß, dass er es ganz genau wissen muss. Und so entwickelt sich eine aufregende Suche nach den Hintergründen für den unerwarteten Unfall. Da gleichzeitig Marias langgehegter Herzenswunsch unmittelbar vor der Erfüllung steht und infolgedessen die Vorbereitungen für die Hochzeit mit ihrem Lothar in vollem Gange sind, geht es bei Kleinleins kurzfristig drunter und drüber. Als ein zweiter "Unfall" geschieht, beginnen sich die Ereignisse im Zirkus Bellini zu überschlagen
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Seitenzahl: 293
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Mords-Zirkus
Menschen, Tiere, Sensationen und mittendrin Peter Kleinlein. Der muss sich während der Ferien um seinen 12-jährigen Enkel kümmern, da weder dessen Mutter, nach einem schmerzhaften und folgenschweren Sturz von der Leiter, noch dessen Vater, wegen einer unaufschiebbaren Geschäftsreise nach Indien, sich angemessen um ihren Sprössling kümmern können. Ein willkommener Fall für Oma und Opa. Als die beiden Großeltern mit ihrem Basti die Premierenvorstellung des Zirkus Bellini besuchen und einer der Artisten aufgrund eines misslungenen Tricks zu Tode kommt, denkt noch niemand an Absicht. Doch wer Peter kennt, der weiß, dass er es ganz genau wissen muss. Und so entwickelt sich eine aufregende Suche nach den Hintergründen für den unerwarteten Unfall. Da gleichzeitig Marias langgehegter Herzenswunsch unmittelbar vor der Erfüllung steht und infolgedessen die Vorbereitungen für die Hochzeit mit ihrem Lothar in vollem Gange sind, geht es bei Kleinleins kurzfristig drunter und drüber. Als ein zweiter „Unfall“ geschieht, beginnen sich die Ereignisse im Zirkus Bellini zu überschlagen.
Inhaltsverzeichnis
Mords-Zirkus
Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:
Vorwort
Handelnde Personen:
Der Jennerwein ist kein Mörder
Eine gute und eine schlechte Nachricht
Dess iss doch ka Beinbruch
In Röthenbach
Lustig ist das Zigeunerleben
Ein halber Preuße
Das ist doch irre
Stumme Bedrohung
Schatten der Nacht
Bedrohliche Lage
Die Ouvertüre
Die Premiere
Auf der Spur des Bösen
Alte Bekannte
Unter Verdacht
Ein alter und ein neuer Freund
Angst vor Mäusen aller Art
Überlegungen
Zweierlei Auflauf
Ein Hintertürchen
Die Leberkäsfrage
Versteckspiel
Bedauerliche Fehlgriffe
Die Entscheidungsschlacht
Doppelhochzeit
Speis und Trank und andere Gelüste
Erkenntnis ist der erste Schritt
Abrechnung
Das hat ein Nachspiel
Das Leben geht weiter
Glossar:
Mords-Kerwa (Juli 2012)
Mords-Wut(Dezember 2012)
Mords-Urlaub (Mai 2013)
Mords-Schuss(August 2013)
Mords-Kerle (November 2013)
Mords-Krach (März 2014)
Mords-Brand(August 2014)
Mords-Fasching(Februar 2015)
Mords-Therapie(Januar 2016)
Erstfassung Februar 2017
Alle Rechte vorbehalten
Die folgende Geschichte ist durchaus nicht frei erfunden, jedenfalls nicht vollständig. Das kann sie auch nicht. Es gibt immer Erfahrungen, die ein Autor in seinem Leben gemacht hat, die auf die eine oder andere Weise in einen Roman einfließen. In die Sprech- und Handlungsweisen seiner handelnden Personen etwa. Einige der zahlreichen, unfreiwillig komischen Begebenheiten im Umfeld der fiktiven Mordgeschichte haben daher einen durchaus handfesten Hintergrund. Es handelt sich um Szenen, wie sie tagtäglich im fränkischen Alltag vorkommen. Wer kennt ihn nicht, den rundlichen, gemütlichen Typ, der oft nur so lange ausgeglichen erscheint, wie er in seiner eigenen kleinen Gedankenwelt leben darf, der aber auch heftig poltern kann, wenn er gestört wird oder den siebengescheiten Besserwisser, der alle, die zurückhaltend agieren für dumm und einfältig hält. Einige dieser realen Erfahrungen mit diesen kantigen Typen dienten dem Autor als Inspiration für die zugegebenermaßen hoffnungslos übertrieben komödiantische Ausmalung der einen oder anderen Sequenz, die sich Leser zu Recht im wahren Leben so nicht erwarten würde.
Die kriminellen Aspekte des Geschehens sind jedoch 100% reine Fiktion und haben niemals stattgefunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten jeglicher Art mit wahren Begebenheiten und real lebenden Personen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
Als Quelle für die Namensgebung dienten alle einigermaßen fränkisch klingenden Namen, die dem Schreiberling während der Entstehung der Geschichte begegneten. Tatsächlich sind sie vornehmlich von Grabsteininschriften, Namensschildern von Busfahrern, Kaufhausmitarbeitern oder von Todesanzeigen in der örtlichen Tageszeitung entnommen, kurzum sie stammen allesamt direkt aus dem fränkischen Alltag.
Noch ein Wort zum fränkischen Dialekt. Er ist so vielfältig wie die Landschaft selbst. In jedem Ort wird er anders gesprochen, noch dazu wird die Aussprache oftmals von den äußeren Umständen nachhaltig beeinflusst. So drückt sich auch ein passionierter Dialektsprecher gelegentlich verständlicher aus, wenn er es mit vermeintlich gebildeten Menschen oder Personen zu tun hat, bei denen er nur geringe Kenntnisse seines eigenen Idioms voraussetzt. Bei Peter Kleinlein kann man das gut beobachten, wenn er mit „Norddeutschen“ oder mit Bürgern ausländischer Herkunft spricht. Bei Simon Bräunlein hängt die Tiefe seiner Dialektsprache oftmals vom Grad seiner Erregung ab, je ärgerlicher er ist, umso fränkischer wird er und umso weniger legt er Wert auf Verständlichkeit.
Wie man sehr schnell erkennen kann ist das Fränkische eine sehr weiche Sprache. Damit entspricht sie ganz der Seele der Einheimischen, die sich oft durch einen schier undurchdringlichen Mantel auszeichnet, der aber nur dazu dient, einen unendlich gutmütigen, samtweichen Kern zu schützen. Ein K kommt als G daher, man unterscheidet zwischen einem harten und einem weichen B, wobei das harte eigentlich ein P wäre. Ebenso hält er es mit den Buchstaben T und D. Den Namen Theodor schreibt man also mit einem harddn D.
Den „ou“-Laut im Wort Bou darf man sich übrigens sehr ähnlich dem englischen „ow“ in „I know“ vorstellen. Für viele Laute gibt es gar keine tauglichen Buchstaben. Als Beispiel mögen die berühmten „3 im Weckla“ dienen. Ein echter Franke würde es wohl am ehesten als „3 im Weggler oder Weggläh“ aussprechen. Daher gibt es auch in diesem Buch keine einheitliche Schreibweise für manche Begriffe. Vieles hängt eben auch von dem jeweiligen Sprecher ab.
Mehr zur Aussprache muss man eigentlich nicht wissen, denn die Rödnbacher gehören allesamt zu der überwiegenden Gruppe der Franken, die beim Balanceakt zwischen dem urwüchsigen Dialekt und dem Hochdeutschen einen Mittelweg bevorzugen. Sie sprechen also mehr oder weniger ein fernsehtaugliches Fränkisch, vergleichbar mit dem Ohnsorg-Platt, dem Millowitsch-Köllsch und dem Komödienstadl-Bayrisch. Es bleibt ihnen schon gar nichts anderes übrig, wenn sie von Außenstehenden verstanden werden wollen.
Die Rödnbacher
Peter Kleinlein
Rödnbacher, Hobbydetektiv
Marga Kleinlein
seine stets besorgte Ehefrau
Simon Bräunlein
Metzgermeister aus Rödnbach, Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst
Gisela Bräunlein
seine Ehefrau, das Gehirn des Familienbetriebes
Lothar Schwarm
Friseurmeister aus Rödnbach, sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung
Maria Cäcilie Leimer
Kosmetikerin aus der Oberpfalz, noch Lebensgefährtin von Lothar Schwarm, zukünftige Frau Schwarm
Die Ermittler
Erwin Schindler
Kriminalhauptkommissar
Heinz Havranek
Kriminalobermeister
Die Odalfinger
Heidi Kellermann
geb. Kleinlein, Tochter der Kleinlein
Markus Kellermann
deren Ehemann
Bastian Kellermann
der 12-jähriger Sohn der Beiden
Jennerwein
Wilderer und Beschützer
Frau Stadler
hilfreiche Nachbarin
Nora
eine leichtfertige Mietze
Zirkusvolk
Annunzio Bellini
ein toskanischer Zirkusdirektor, der kein Wort italienisch versteht
Renata Bellini
seine Ehefrau und Assistentin alias Signorina Renata
Ilonka Kalman
Wahrsagerin, Zigeunerprinzessin und Schlangenfrau, Mutter von Mario
Mario
ein begabtes Zirkuskind
Roman Stranitzkyalias Ray Jenkins
Tierbändiger und Dompteur, Freund und Beschützer von Ilonka
Grischa
Rumänischer Tanzbär im Ruhestand
Elena Popescu
fliegender Teil der Los Alamos
Samson
der Fänger der Los Alamos
Guido Trapani
ein Clown der selten lacht
Karl-Heinz Münch, genannt Carlos
ein junger Zirkusmitarbeiter mit äußerst schlagkräftigen Argumenten
Cynthia
eine fast völlig harmlose Pythonschlange
Weitere Beteiligte
Alois Betz
Pensionär und ehemaliger Informant des Dorfdetektivs
Christa Neumann
dessen treu sorgende Nachbarin
Nicolas Koch
Militanter Tierschützer mit auffallend blauen Augen und kartoffelförmiger Nase
Frau Sebald
Anwaltsgattin, „grüne Witwe“
Claus W. Sebald
Ihr Gatte, ein Starverteidiger
Die Sonne stach schon wieder, wie in den vergangen Wochen fast ständig, erbarmungslos von einem nahezu wolkenlosen Himmel. Alle, zumindest die, die es sich leisten konnten, hatten sich vor ihren glühenden Strahlen in die kühleren Gefilde der Häuser zurückgezogen. Oder sie waren, je nach Gusto, auf ein Radler, auf ein Weißbier oder auch zwei in einen der schattigen Biergärten gepilgert oder sie hatten sich mit tausenden anderen Hitzeflüchtigen in eines der überfüllten Freibäder begeben, wo sie in Reih und Glied wie die Heringe auf dem Holzkohlegrill dahinbrutzelten. Sommerzeit ist Grillsaison, in jeder Hinsicht.
Endlich! Vor wenigen Tagen hatten auch in Bayern die großen Ferien begonnen und die erschöpften Schulkinder, aber auch die Mehrzahl ihrer nicht minder ausgelaugten Lehrer waren dankbar für den sechswöchigen Waffenstillstand. Froh darüber, sich eine Zeit lang nicht mehr ertragen zu müssen, die Energiespeicher wieder aufladen und den einen oder anderen Geduldsfaden so gut es ging neu knüpfen zu können. Das galt natürlich auch für den Basti, den Bastian, wie er richtig hieß. Seinen Vornamen verdankte er der Tatsache, dass sein Vater seit jeher ein glühender Anhänger des FC Bayern München im Allgemeinen und von Bastian Schweinsteiger im Besonderen war, auch wenn dieser mittlerweile im englischen Manchester seine zweifellos üppig belegten Brötchen verdiente. Der Schweini, nicht der Papa. Der arbeitete nach wie vor in der Münchener Entwicklungsabteilung eines weltweit bekannten deutschen Konzerns mit einem großen S am Anfang und einem kleinen s am Ende.
Der Basti teilte sich mit seinem besten Freund, dem Jennerwein, den schattigen Platz an der Nordseite des schmucken Einfamilienhauses in Odalfing, einem Ort in der südöstlichen Peripherie von München. Dort saß er gedankenverloren, mit dem Finger in der Nase nach unergründlichen Schätzen forschend, auf der hölzernen Bank und dachte angestrengt darüber nach, was er in den kommenden fast sechs Wochen grenzenloser Freiheit, also ohne die lästige Schulpflicht, anstellen konnte. Sein Freund Jennerwein lag derweil völlig entspannt neben ihm, lang dahingestreckt und absolut frei von solch anstrengenden Gedankenspielen auf einer alten zerschlissenen Decke. Der schloss lediglich von Zeit zu Zeit in einem aufreizend langsamen Tempo die schwer gewordenen Augenlider, gerade so als würde ihm selbst diese minimale Regung eine unzumutbare Mühe bereiten. Einem unbedarften Zuschauer, also einem Jeden der ihn und seine Eigenheiten nicht näher kannte, hätte sich unweigerlich der falsche Eindruck aufgedrängt, er sei extrem hinfällig und würde vermutlich nie wieder die Kraft aufbringen sie erneut zu öffnen. Doch entgegen allen berechtigten Befürchtungen zog der Phlegmatiker in einem Anflug von Pflichtbewusstsein die Jalousien schon nach wenigen Sekunden wieder bis ganz nach oben. Er wollte sich nichts von den Vorgängen entgehen lassen, die sich im Garten der Familie Kellermann abspielten. Schließlich repräsentierte er das vollständige Wachpersonal des Hauses und er konnte es sich aus diesem Grunde keinesfalls leisten, seine angestammten Aufgaben zu vernachlässigen. Seine in vielen Jahren erworbene Reputation stand auf dem Spiel. Auch ein Golden Retriever hat schließlich eine Berufsehre.
Zudem interessierte er sich schon aus purer Neugierde brennend dafür, was die wohl genährte, grau getigerte Nachbarskatze Nora mit ihren ausgefahrenen Krallen und eifrig kratzenden Pfoten unter dem üppig blühenden Rosenbusch zu suchen hatte, mitten in seinem Revier, in seinem ureigensten Herrschaftsbereich. Nach einigen Minuten erfolglosen Scharrens gab die penetrante Invasorin ihre dubiosen Bemühungen auf und stolzierte rotzfrech und hoch erhobenen Hauptes an den beiden müden Kriegern vorbei in Richtung Hauseingang. Eine Provokation, zweifellos. Eine die man nicht ungestraft hinnehmen kann.
Es kann nicht mehr zufriedenstellend aufgeklärt werden, was sie dort zu suchen hatte. Nachträglich betrachtet muss man wohl von einer gefährlichen Mischung aus jugendlichem Übermut, eigener Selbstüberschätzung und völliger Unterschätzung der angeborenen Reflexe Jennerweins, sowie dessen ausgeprägtem Pflichtgefühl ausgehen. Zu diesem Zeitpunkt wusste die unfreiwillige Selbstmörderin sicher noch nicht, dass gleich hinter der Haustür ein blank polierter Fressnapf stand, der den Namen seines Eigentümers trug. Ein Besitztum, welches er notfalls unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen gedachte und unter keinerlei Umständen mit ungeladenen Gästen zu teilen bereit war. Ob die leichtfertige Mietze tatsächlich im Sinn hatte sich an seinen Vorräten zu vergreifen oder ob sie nur zufällig in deren Nähe gelangte, das weiß man bis heute nicht. Wahrscheinlich auch sie selbst nicht mehr, nicht nach dem, was ihr anschließend widerfuhr. Jedenfalls hatte der kräftige, wenn auch unter normalen Umständen gemütliche Hund exakt diesen fatalen Schluss gezogen, war mit weiten Sätzen von der Bank heruntergeschnellt und hatte sich unvermittelt auf den Eindringling gestürzt um den dreisten Futterdiebstahl zu verhindern und der windigen Hereingeschmeckten, wie er als gebürtiger Münchner die Diebin treffend bezeichnen würde, sicherheitshalber eine Lektion fürs Leben zu erteilen. Die Katze fühlte sich in die Enge getrieben und sah keine Chance mehr sich im heimischen Nachbarsgarten in Sicherheit zu bringen und suchte deshalb ihr Heil in der Flucht nach vorne. In ihrer verständlichen Panik hechtete sie blindlings in den Hausflur der Kellermanns, wurde aber sofort von ihrem Verfolger unter lautem Bellen von dort verjagt. Blieb nur noch die Flucht in das Wohnzimmer. Dort war Heidi Kellermann, Bastis Mutter, eben dabei, auf einer schwankenden Haushaltsleiter balancierend, die frisch gewaschenen Vorhänge erneut ans ebenfalls frisch gewienerte Fenster zu drapieren, was auch ohne das darauf Folgende eine zirkusreife Nummer hergegeben hätte. Das Unglück war unvermeidlich, wie jeder aufmerksame Beobachter unschwer hätte voraussagen können. Der Stubentiger huschte in seiner Angst unter der Leiter hindurch, dicht gefolgt vom Jennerwein, der aufgrund seiner Masse, einer eindeutig überhöhten Geschwindigkeit und dem frisch eingelassenen Parkettboden nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, aus der Kurve getragen wurde und mit seinem beachtlichen Gewicht gegen eines der blechernen Beine der alles andere als standfesten Leiter prallte. Ein schmerzhaftes Aufjaulen folgte unmittelbar danach, begleitet von einem spitzen Schrei, der eindeutig keinem der beiden tierischen Kontrahenten zuzurechnen war, sowie einem blechernen Scheppern der umgekippten Leiter.
Als der Basti endlich hinter dem hechelnden Jennerwein her rennend das Wohnzimmer erreichte, da lag seine Mutter bereits mit schmerzverzerrter Miene auf dem harten demolierten Parkett. Die Kratzer, die die Bremsversuche der beiden Kampfhähne sowie die kantige Leiter hinterlassen hatten, waren im Augenblick jedoch eindeutig das geringste Übel. Diesen Schaden könnte man womöglich mithilfe eines Spezialmittels und etwas Sorgfalt wieder herauspolieren. Bei Heidi Kellermann wäre eine derartige Maßnahme allerdings kaum hilfreich, schon gar nicht sofort. Ihre Schulter sah schlimm aus. Abgesehen von den Schmerzen, die sie ihr verursachte, konnte auch ein Laie auf den ersten Blick erkennen, dass sich hier etwas deutlich verschoben hatte. Oh je! Der verzweifelte Basti kauerte mittlerweile neben der verunglückten Mutter, mit flehentlichem Blick hoffend, dass es nicht gar zu schlimm sein würde.
„Mama, soiti vielleicht an Papa oh ruafa, dassa glei hoam kimmt?“
„Na Basti. Hol mer aber as Telefon her. Mir brauchn die Sanitäter. Der Papa konn doch sowieso ned komma, der landet doch scho glei in Indien. Der konn uns die nächstn drei Wocha ganz bestimmt ned helfa.“
Sie sprach in einem eigenartigen Gemisch aus hochdeutsch, bayerisch und einem in Odlfing, wie ihr Wohnort von den Einheimischen ausgesprochen wurde, eher exotisch anmutenden Akzent. Ein sprachlicher Einschlag, den ein intimer Kenner der bayerischen Dialekte zweifelsfrei als middlfränggisch einstufen würde. Das war auch kein Wunder, denn gerade einmal vor eineinhalb Jahrzehnten war sie mit ihrem damaligen Verlobten und jetzigen Ehemann, dem gebürtigen Münsterländer Markus Kellermann aus dem heimatlichen Röthenbach nach München umgezogen. Aus Gründen der besseren beruflichen Perspektive. Zunächst in eine kleine Zweizimmerwohnung, die zwar preislich mit jeder Penthauswohnung in einer kleineren Stadt mithalten konnte, jedoch keinesfalls mit dem damit verbundenen Raumangebot. Als sich dann der Basti überraschend angemeldet hatte kauften sie sich schließlich ein Eigenheim in Odalfing, südöstlich der Großstadt, nicht weit von Markus‘ Arbeitsplatz. Zweifellos ein finanzielles Abenteuer angesichts der horrenden Hauptstadtpreise, die auch vor der näheren Umgebung nicht halt machten, eines an dem sie noch lange abzahlen würden, also in mehrfacher Hinsicht eine Anschaffung fürs Leben.
Als die eilig angeforderten Sanitäter bald darauf eintrafen stand schnell fest, dass zumindest das Schlüsselbein gebrochen und eine Einlieferung in ein Unfallkrankenhaus unvermeidlich war. Eine längere Schaffenspause inklusive. Dort würde man dann sehen, was sonst noch alles in Mitleidenschaft gezogen war.
Schöne Ferien! Was sollte nun mit dem Basti geschehen und wer sollte den Hund versorgen, wenn die Mutter für mehrere Wochen ausfallen würde und der Vater fernab in Indien weilte. Allein zuhause lassen konnte man die beiden auf gar keinen Fall und bei Freunden konnte er kaum unterkommen, denn die waren allesamt bereits in die Ferien aufgebrochen, in den Süden ans Meer oder wie Bastis bester Freund Florian zu den Großeltern an die Ostsee, wo die ein Ferienhaus besaßen. Ja, natürlich, die Großeltern! Das war die einzig mögliche Lösung. Der Krankentransport musste noch einen Augenblick warten. Zuerst wählte Heidi aufgeregt die Nummer ihrer Eltern.
„Kleinlein.“ Peter meldete sich wie immer kurz und prägnant. Immer, das heißt wie immer dann, wenn er überhaupt den Hörer abnahm. Wenn die Marga daheim war, dann wartete er mindestens den fünften Klingelton ab bevor er es wagte ran zu gehen. An diese ungeschriebene Regel hielt er sich schon allein deshalb, weil neunundneunzig Prozent aller Anrufe ohnehin für die Dame des Hauses bestimmt waren und er auf sein Melden hin stets ein „Iss die Marga wohl gornedd nedd derhamm?“ zu hören bekam. Im Moment galt diese Regel jedoch nicht. Heute war die Hausfrau den ganzen Tag nicht zuhause. Sie war schon seit dem frühen Morgen mit Gisela, der heimlichen Chefin der Metzgerei Bräunlein, in geheimer Mission im nahen Nürnberg unterwegs. Für Marga als Vollzeithausfrau stellte so ein Ausflug keinerlei Problem dar, sie konnte sich ihre Zeit nach Belieben einteilen. Für Gisela aber bedeutete das, dass zuhause in der Metzgerei die wichtigste Kraft ausfallen würde, jedenfalls soweit es den Verkauf und die Organisation des Betriebes betrifft. Der Simon ist mit Sicherheit der beste Metzgermeister im ganzen Landkreis, vielleicht sogar weit darüber hinaus, doch ihn auf die geschätzten Kunden loszulassen, das ist schon ein heikles Unterfangen, das die Gisela deshalb auch tunlichst vermied, wann immer es möglich war. Handwerklich verdiente Simon zweifellos die Note Eins mit Stern, mundwerklich dagegen rangierte er eher bei mangelhaft bis ungenügend. Es ist nicht etwa so, dass er bewusst unfreundlich gewesen wäre. Oh nein, das ist nicht das Problem. Freundlich ist er schon, halt auf seine eigene Art und Weise, eher tief im Inneren und nach außen hin nicht gleich sichtbar. Für Giselas geniale Art von Verkaufsgesprächen, bei denen sie gerne einmal die eine oder andere Neuigkeit einfließen ließ, so brühwarm wie die Wienerle und die etwas würzigeren Regensburger aus der Bräunleinschen Wursttheke, dafür hatte der Simon so gar kein rechtes Talent. Wenn er nur nicht wieder eine der sensiblen, aber kaufkräftigen Kundinnen vergraulen würde, so hoffte die Gisela inständig. Er erklärte halt gar zu gern den gemäß seiner Empfindung krachdürren, schwindsüchtigen Kundinnen und dazu zählten in seinen Augen alle, die ohne ein ausreichendes Maß an gesundem Übergewicht durch das Leben vegetierten, was eine ordentliche Portion ist. Man konnte nur hoffen, dass er sich wenigstens heute mit seinen zwar gut gemeinten, aber völlig unangebrachten Ratschlägen zurückhalten würde. Gisela hatte leider keine andere Wahl. Der Einkaufsbummel in die Großstadt war dringend nötig und alternativlos, wie die Bundeskanzlerin es so gerne formuliert, wenn sie keinen Widerspruch zulassen will. Im Falle der Bräunleinschen Regierungschefin traf diese drastische Einstufung allerdings tatsächlich zu.
Wie lange hatte die gute Maria jetzt eigentlich schon darauf hingearbeitet? Manche glauben, der Plan stand schon von der Minute an fest, da sie sich, damals in Kairo, in den Bus zu Lothar gesetzt hatte. Andere, naivere Beobachter, glaubten an eine Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit. Wie auch immer! Nun endlich würde in weniger als zwei Wochen die von den Freunden schon lange als überfällig betrachtete Hochzeit von Maria Cäcilia Leimer, Inhaberin des örtlichen Kosmetikstudios, mit ihrem Lothar stattfinden, seines Zeichens Besitzer des alteingesessenen Friseursalons Schwarm. Genau genommen handelte es sich dabei längst um ein und denselben Verschönerungstempel, denn nachdem sich die beiden auf der erwähnten abenteuerlichen Ägyptenreise kennen und lieben gelernt hatten, war die ungebundene Maria kurzerhand aus Schöikiach in der Oberpfalz zu ihrem Lothar nach Röthenbach gezogen und beide hatten in der Folge ihre geschäftlichen Aktivitäten, die sich allein schon fachlich so gut ergänzten, aus praktischen Gründen zusammengelegt.
Der heutige Einkaufsbummel der beiden Damen galt natürlich der Vorbereitung auf dieses mit Spannung erwartete Großereignisses. Ein passendes Geschenk musste ausgesucht werden. Eine Aufgabe, für deren Bewältigung man weder die jeweiligen Ehemänner noch deren unqualifizierte Ratschläge benötigte. Und dann musste man sich auch nach der richtigen, dem Anlass angemessen modischen und vor allem repräsentativen Garderobe umsehen. Vor allem hinsichtlich der finanziellen Aspekte, die es hierbei zu beachten galt, wären die vorwiegend knausrigen Herren der Schöpfung allerdings sogar eindeutig im Wege gewesen, denn Gisela ist schließlich nicht umsonst eine gelernte Fleischereifachverkäuferin durch und durch, so dass in allen Lebenslagen ihr ungeschriebenes, aber ebenso unumstößliches Credo lautet: „Derfs a bissler mehr sei?“ Nein, nein, die Männer sollten nur zuhause bleiben. Deren Auftritt würde schon noch bald genug kommen. Ein anderes Mal. Die würden doch nicht tatsächlich glauben, dass sie mit ihren in die Jahre gekommenen kombinierten Hochzeits- und Beerdigungsanzügen durchkommen würden. Nicht bei dem wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis der letzten zehn Jahre in Röthenbach. Ganz sicher nicht!
Doch zurück in die Gegenwart zu dem Anruf, der Peters Ruhe so jäh unterbrochen hatte. Nachdem er sich gemeldet hatte, hörte er am anderen Ende der Leitung zunächst nichts weiter als ein aufgeregtes und unverständliches Stimmengewirr.
„Wer iss nern dord bidde? Hallo! Hallo!“
Auf sein spürbar ungeduldiges Nachhaken hin meldete sich endlich eine aufgeregte Stimme, die er natürlich sofort erkannte, allein durch ihren Klang, auch ohne dass sich die Anruferin explizit mit ihrem Namen gemeldet hätte und trotz der am anderen Leitungsende herrschenden Verwirrung. Trotzdem fragte er reflexartig:
„Heidi, bissd ers du? Woss iss denn bei euch los? Und woss iss nern dess für a Gwerch im Hindergrund?“
In diesem Moment gab es einen dumpfen Knall. Anscheinend war der Hörer zu Boden gefallen. Nach einem aufgeregten, aber wegen fehlender Nähe zur Sprechmuschel nahezu unverständlich klingenden Ruf „Dess hod etz grod no gfehlt“ oder so ähnlich, da meldete sich eine weitere, diesmal deutlich jüngere Stimme.
„Opa, bissd as du? De Mamma is von der Loata obi gfoin und hod si sauber wos broocha.“
Es folgte anscheinend ein kurzes aber heftiges Handgemenge um die Vorherrschaft über das Telefon, das sich durch ein gelegentliches Stöhnen und dem erfolglosen Bemühen ein heftiges Schimpfen zu unterdrücken manifestierte. Letztlich meldete sich wieder Heidi, die Tochter der Kleinleins. Wie es schien hatte sie kurzfristig die Oberhoheit über die Kommunikationseinrichtungen im Hause Kellermann zurück erobert.
„Ja, Babba, dess stimmt schoo.“
Wieder dieses seltsame Gemisch aus Bayerisch und vereinzelten fränkischen Resten.
„Der Hund hat die Leiter umgschmissn und ich bin auf den Bodn gfalln und jetzt muass i ins Kranknhaus. Ich konn ned lang redn. Die woin losfahrn. Horch Babba, könnt ihr euch so lang um den Basti kümmern, der Markus is in Indien auf Gschäftsreise und ich hob sonst koan.“
„Na horch amal Kind, dess iss doch ka Fraach nedd, mier kummer sofford. Dou brauchsd der kanne Sorng machen. Glei setz mer uns ins Audo und fohrn los. In zwaa Schdund simmer dou.“
„Und reech di nedd auf, Madler“, rief er noch hinterher, aber sie hatte bereits aufgelegt.
Das mit dem “wir kommen“ war natürlich eine völlig falsche Formulierung, eine leere Versprechung, nur der Routine geschuldet, auch wenn es ihm im diesem Moment gar nicht bewusst war, denn niemand konnte vorausahnen wann die Marga von ihrem Einkaufsbummel wieder zurück sein würde. Gottseidank hatten die Damen das Auto nicht mitgenommen. Heute hatten sie, auch weil sie aufgrund der zu erwartenden Menge an Päckchen und Tüten natürlich nicht mit der S-Bahn fahren konnten, den geräumigen Mercedes der Bräunleins vorgezogen. Peter kritzelte noch rasch einen entsprechenden Hinweis auf einen Zettel und deponierte diesen auf dem Küchentisch, wo ihn die Marga sicher nicht übersehen konnte. Dann schnappte er sich im Flur den Autoschlüssel und trabte eilig zur Garage, nicht ohne zuvor noch schnell sein Handy einzustecken.
Er neigte zwar dazu es immer wieder zuhause zu vergessen, obwohl er seiner Marga, die überzeugt war, dass das meist sogar absichtlich geschah, schon zum x-ten Mal geschworen hatte, es stets mitzunehmen, wenn er das Haus verließ. Erst Recht nach seinem überraschenden Infarkt im vergangenen Jahr. Dieses Mal konnte er sich einen solchen Fauxpas einfach nicht erlauben. Angesichts der auf dem Esstisch hinterlassenen alarmierenden Nachricht würde sie sich sowieso fürchterlich aufregen und ohne die Möglichkeit ihn zu erreichen würde die Lage schnell eskalieren. Das durfte er ihr natürlich nicht zumuten. Wenige Zeit später bog er bereits auf die Münchner Autobahn ein. Nicht nur sein nervös auf dem Gaspedal wippender Fuß gab deutliche Hinweise auf eine extreme Unruhe. In gut zwei Stunden würde er hoffentlich mehr wissen.
Je näher er seinem Ziel kam, umso mehr Sorgen machte er sich. Die Heidi hatte zwar gesagt, dass sie ins Krankenhaus muss. Aber in welches? Das hatte er in der Aufregung glatt vergessen zu fragen. Und was war mit dem Buben? War der mit dabei oder hatte sie ihn allein zuhause gelassen? Wenn er mitgefahren sein sollte, wie sollte er anschließend wieder heim kommen, wenn wie zu befürchten war, seine Mutter doch einige Zeit in der Klinik bleiben musste? Der Junge war immerhin erst zwölf Jahre alt. Fast hätte Peter einen Motorradfahrer über den Haufen gefahren, so sehr lenkten ihn seine Überlegungen vom Straßenverkehr ab. Der Mann hatte gerade noch eine Vollbremsung hingelegt und winkte noch immer drohend mit dem Zeigefinger. Dann zeigte er Peter sogar den Vogel. O jeh! Er musste sich zusammenreißen. Es durfte nicht noch ein Unglück geschehen. Das Kind war jetzt schließlich ganz auf die Hilfe seiner Großeltern angewiesen.
Er beschloss, erst einmal zu Heidis und Markus‘ Haus zu fahren. Sollte der Bastian zuhause sein, dann wäre diese Vorgehensweise sowieso das Beste, wenn nicht, dann wussten vielleicht die Nachbarn Näheres. Sicherlich waren die Sanitäter mit Blaulicht und Sirene vorgefahren. Da wäre es doch nur zu verständlich, wenn die Nachbarschaft interessiert Anteil genommen hätte.
Noch drei Minuten Fahrzeit zeigte das Navi an. Eine Errungenschaft, die sich die Kleinleins, nach einigen Irrfahrten in der jüngeren Vergangenheit, nun doch endlich zugelegt hatten. Gleich würde er um die Ecke biegen, von der aus man das Einfamilienhaus der Kellermanns schon sehen konnte.
Er drückte ungeduldig auf die Klingel am Gartentor, dann, nachdem er die kleine Ewigkeit von zehn Sekunden gewartet hatte, noch dreimal, aber niemand kam um ihn einzulassen. Also gut, dann Plan B. Er wandte sich gerade nach links, um bei den nächsten Nachbarn Erkundigungen einzuziehen, als ihn eine weibliche Stimme vom Haus gegenüber anrief.
„San sie der Herr Kleinlein aus Nüanberg?“
Eine Dame um die Fünfzig kam über den gepflasterten Gartenweg in Richtung Straße auf ihn zu.
„D‘ Frau Kellermann hod ma scho gsagd, dass ihra Vadder boi kimmt, wegan Buam. Oba, sie hobn ja goa koa Nüanberga Nummer neda, drum hoobis a ned glei kennt, dass sie der Opa san.“
Peter lächelte freundlich.
„Ja, mir wohner aa nedd direggd in Nürnberch. Mer sachd ner hald bloß immer Nürnberch, wall Rödnbach, dou wo mir dadsächlich herkumma, die Leit erschd amal nedd vill sachd. Und bevor mers hundertmal erglärd. Wissns, Rödnbachs gibbds bei uns in Franggn wäi Sand am Meer. Abber nach Nürnberch hommers daadsächlich nedd weid.“
Nachdem der Höflichkeit Genüge getan war, kam Peter endlich auf den Kern seines Anliegens zu sprechen.
„Wissen sie vielleichd Näheres drüber, woss mid meiner Dochder bassierd iss und vor allem, woss midn Basdi iss. Ob er mid ins Granggnhaus gfahrn iss odder wo er sonsd sei könnd?“
„Jo feili woas is des. Aber kemmern doch erschd amoi einer. Da Bua is so lang bei uns. Mir homma denkd es war besser, wanner ned mitfahrt. Helfa konna der Muatter etz sowieso neda, oiso is besser, wanner dahoam bleibt, des hoasd natürlich bei uns. An Hund hätt er jo eh ned ins Krankahaus mitnehma derfa.“
Also der Basti war einstweilen bei den Nachbarn untergekommen. Schön, dass die Leute so bereitwillig zusammenhelfen, wenn Not am Mann ist. Peter bedankte sich auch entsprechend wort- und gestenreich bei der hilfreichen Dame und fragte schließlich, wo der Junge denn jetzt sei. Im Garten, hinter dem Haus würde er mit dem Jennerwein spielen, war die Antwort der netten Nachbarin, der Frau Stadler, wie sich im Verlauf des Gesprächs herausstellte.
„Midn Jennerwein, aha.“
Man sah ihm deutlich an, dass er keine Ahnung hatte, wovon die Frau Stadler sprach. Der berühmte Wildschütz Jennerwein würde es ja kaum sein. Der lag ja schon seit mehr als hundert Jahren in Schliersee, seinem Heimatort im kühlen Grabe und wartete, wie das Volkslied zu berichten weiß, auf den jüngsten Tag, an dem er uns den feigen Jäger zeigen wollte, der ihn von hint‘ so feig derschossen hat.
„Na der Jennerwein hoid, der Hund vom Basti“.
„Ja ner freili, der Hund. An den hobbi etz fei gar nedd glei denkd. Mer iss ja scho ganz durchanander vor lauder Aufregung. Also mier hodds an gscheidn Schreggn verseddsd, wäi die Heidi angrufn hodd“ und falls es noch einer weiteren Erklärung bedurft hatte, dass er wirklich etwas neben der Spur ging, fügte Peter völlig unnötig noch hinzu: „Die Heidi, dess is mei Dochder, die Frau Kellermann.“
Der Basti wurde geholt und stand nun, abgekämpft und zerzaust vom wilden Spiel mit dem Hund und sichtlich noch aufgeregt von dem zuvor hautnah miterlebten Unfall seiner Mama mit hochrotem Kopf vor seinem Großvater. Das letzte Mal, als die Kleinleins ihre Kinder besucht hatten war der Bastian gerade zu einer Skifreizeit mit der Schule unterwegs und so hatten sich die beiden über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Die folgende Bemerkung Peters war deshalb zwar unvermeidlich, deshalb aber nicht weniger peinlich. Er hätte es aber schon wissen müssen, denn noch nie war diese Standardfloskel bei einem der Adressaten jemals begeistert aufgenommen worden.
„Allmächd Basdi, du bisd abber grouß worn seid ich dich äs letzde Mal geseeng hobb. Du bisd doch mindesdns an halbn Meder gewachsn.“
Auch der Basti machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Am Zucken seiner Mundwinkel war deutlich abzulesen, dass ihn die Anspielung auf seine tatsächlich mittlerweile eher lange, aber extrem schlanke Gestalt nicht gerade froh stimmte. Spargeltarzan hatten sie ihn in der Schule letzthin genannt. Wenigstens machte der Opa nicht auch noch eine unpassende Bemerkung über seine dadurch noch viel auffälliger abstehenden Segelfliegerohren derentwegen er von den Kameraden oft genug gehänselt wurde. Auch der Peter hatte gemerkt, dass seine Begrüßung nicht gerade optimal ausgefallen war und beendete die kurzfristig entstandene unbeholfene Situation mit einer herzlichen Umarmung und der unleugbaren Erkenntnis:
„Bisd hald doch a echder Gleinlein. Wenni mi rechd erinner, dann war ich in dein Alder ganz genau aso. Also, ich frei mi fei gscheid, dassd etz amal wenigsdns für a boar Wochn zu uns kummsd, aa wenn der Anlass nedd grod a angenehmer iss. Die Oma wass nu garnix, dee iss heid in der Schdadd beim Eikaufn. Dee werd villeichd Augn machen, wenn mier zwaa daher kommer.“
„Drei“, war die trockene Antwort Bastis auf den Überfall. „Der Jennerwein is aa no do, ohne den gäh i need weg.“
„Ach der Hund, ja ner freilich, der kummd nadürlich aa mid. Denn kämmer doch nedd ganz alaans lassn. Wassd woss Basdi, etz fahr mer erschd amal zur Mamma ins Granggnhaus und dann entscheid mer, wäis weider gehd. Woss mer alles eibaggn müssn und so weider. Villeichd derf der Jennerwein derweil noch bei der Frau Stadler bleim bis mer widderkommer und deine Sachn abholn. Ich denk ins Granggnhaus derf er kaum mid nei.“
Die Frau Stadler lächelte freundlich und stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu worauf Peter sich höflich bedankte. Auch Bastian, der mit ihr sehr vertraut schien, stattete ihr artig seinen Dank ab, dafür, dass er einstweilen bei ihr hatte bleiben dürfen und für das Eis, das er von ihr bekommen hatte. Ein sehr lieber Junge, freute sich sein Opa. Und Manieren hat der Bou, wäi a ausgwachsner Dibblomaad. Hald doch a richdicher Gleinlein.
Der Besuch im Krankenhaus gestaltete sich etwas schwieriger als man zunächst annehmen sollte. Wohin war die Heidi denn eigentlich gebracht worden? München ist bekanntermaßen eine Millionenstadt und die Auswahl an infrage kommenden Kliniken dementsprechend groß. Die Nachbarin wusste in dieser Hinsicht auch nicht Bescheid. Dass es ein Krankenwagen der Malteser war, der sie abgeholt hatte, half hier auch nicht wirklich weiter. Bis der Basti, ein echtes Kind seiner Generation, eine Idee hatte.
„Do ruaf mer hoid einfach amoi bei deene Sani an. Dee weans dann scho wissn, wo‘s hie gfahrn san.“
Ja, natürlich. Er hatte absolut Recht. Als Peter schon über die Straße und auf die Gartentür der Kellermanns zueilte, da zupfte ihn sein Enkel kopfschüttelnd am Arm.
„Opa, du hosd wohl gor koa Handy ned?“
Wieder hatte er Recht. Warum nicht das Handy benutzen. Aber woher sollte Peter die Nummer der Malteser wissen. Er stand daher einige Zeit unschlüssig herum, bis erneut der Junge mitleidig mit dem Kopf schüttelte.
„Du Opa, mit dem Internet, do hosd as du need aso, oder?“ Schon hatte er sein glänzendes Smartphone aus der Hosentasche gezogen und eine entsprechende Recherche angestoßen. Man muss ja nicht alles auswendig wissen. Es reicht doch wenn Google es weiß. Und so hatte Peter innerhalb kürzester Zeit eine Verbindung mit der Notrufzentrale der Malteser hergestellt. Ja, eine Frau Kellermann habe man befördert, vorläufig habe man sie in die nächstgelegene Unfallchirurgie nach Ottobrunn gebracht. Ob sie noch dort sei, wisse man natürlich nicht. Das käme ganz auf die genaue Diagnose an.
Das reichte den Beiden, um sich unverzüglich auf den Weg machen zu können. Ottobrunn, das ist nicht weit, nur ein paar Kilometer. Der Basti wusste auch den Weg dorthin und so ging es recht flott voran. In weniger als einer halben Stunde standen sie schon in der Notaufnahme des Krankenhauses. Die sichtlich gestresste Dame am Empfang erkundigte sich nach dem Namen, nicht ohne zu fragen „Und wer san sie. San sie verwandt mit der Frau Kellermann?“ Peter kam gar nicht dazu die Verhältnisse zu klären, da war der Basti auch schon vorgeprescht und hatte der Dame entrüstet erklärt: „Dees is mei Mamma und dees do is der Opa, oiso ned vo der Mamma, aber vo mir.“
Das entlockte der sonst so korrekten Schwester dann doch ein freundliches Lächeln und sie sah auf ihrem Monitor sofort nach, wohin man Heidi Kellermann denn gebracht hatte.
„Das ist jetzt gar nicht so einfach“, ließ sich daraufhin vernehmen, „die Frau Kellermann ist im Moment noch im Röntgenbereich, denn es ist nicht sicher, dass es mit dem Schlüsselbeinbruch getan ist. Es besteht schon noch ein Verdacht, dass die Schulter einen weiteren Schaden davon getragen hat. Sie werden sich deshalb noch ein Weilchen gedulden müssen, vielleicht weiß man nach der Untersuchung ja schon mehr.“
Aus dem Weilchen wurde eine ganze Weile. Und auch diese wuchs von Minute zu Minute weiter an bis sie auch diese Bezeichnung nicht mehr verdiente. Es verging eine Stunde und noch eine halbe bis die Dame am Empfang endlich ein Zeichen machte. Die beiden Herren Kleinlein und Kellermann schnauften unisono tief aus. Endlich. Die Patientin wäre jetzt auf ein Krankenzimmer gebracht worden und man könne kurz mit ihr sprechen. Kurz, denn noch sei mit der eigentlichen Behandlung nicht begonnen worden, doch die Ärzte könnten jeden Augenblick wieder kommen. Die nette Dame konnte ihnen gerade noch die Zimmernummer geben und den Weg dorthin schildern, da waren die zwei auch schon unterwegs. Man konnte unmöglich sagen, wer von den Beiden mehr aufgeregt war.
Bastis Mama hatte offensichtlich mit unangenehmen Schmerzen zu kämpfen. Als ihre beiden Männer eintraten huschte jedoch trotz allem ein erfreutes Lächeln über ihr Gesicht. Sie war sichtlich gerührt darüber, dass ihr Vater angesichts der Krise so schnell herbei geeilt war und noch mehr wegen der Sorge, die sich auf den zerknirschten Gesichtszügen Bastis deutlich abzeichnete. Schließlich war es sein Hund gewesen, der, wenn auch unabsichtlich, den Unfall verursacht hatte. Dennoch oder gerade deshalb fühlte der sich verpflichtet seinen vierbeinigen Freund zu verteidigen.
„Mama, dees woit der Jennerwein ganz bestimmt ned, dass du von der Loata foist. Es war ja no bloß wega dera bleeden Katz. Wos hod nacha dee in unsern Wohnzimma zum suacha?“
„Nix, gar nix“, pflichtete ihm sein Großvater bei, „aber etz iss erschd amal wichdich, wie‘s mid der Mama weidergehd. Woss sachdn der Doggder Heidi?“