Mords-Zinken - Günther Dümler - E-Book

Mords-Zinken E-Book

Günther Dümler

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Beschreibung

Frische Eier braucht die Marga für ihr Tiramisu. Wirklich frische, keine, die schon tagelang im Kühlregal lagern. Und die gibt es nur auf dem Zeltnerhof, denn dort führen die Hühner noch ein Leben wie im Paradies. Peter bekommt den Auftrag für Nachschub zu sorgen und bringt nicht nur die Eier, sondern auch ein peinliches Geheimnis mit nach Hause. Als bald darauf ein toter Italiener im schmucken Bauerngarten der Zeltners liegt, ist das Geheimnis sehr schnell keines mehr und der Bauer sieht sich im Handumdrehen einer Mordklage gegenüber. Denn Hauptkommissar Schindler hegt keinerlei Zweifel an Zeltners Schuld. Schließlich stammt die Tatwaffe, eine Mistgabel mit drei messerscharfen Zinken, aus dessen Besitz. Zu allem Unglück erhält Schindler auch noch Kenntnis von dem ominösen Geheimnis, das bei den Dörflern längst keines mehr ist. Und so sieht er sein persönliches MGM - Motiv, Gelegenheit, Mittel - in Rekordzeit zu 100 Prozent erfüllt. Doch dann erschüttert ein zweiter Mord die kleine dörfliche Gemeinde. Wieder ist das Opfer ein Italiener. Das bringt den Kommissar automatisch auf eine neue Idee. Zweifellos hat die Mafia die Hand im Spiel. Schindlers bisheriger Verdächtiger sitzt zudem zur Tatzeit in Untersuchungshaft. Seine schöne Theorie kommt beträchtlich ins Wanken. Gleichzeitig dreht Peter Kleinlein jeden Stein noch einmal um und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Einsichten, die den Hobbydetektiv in ernsthafte Gefahr bringen.  

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Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2019

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MORDS-Zinken

Der elfte Fall für Peter Kleinlein

Von Günther Dümler

Impressum

Texte: © Copyright by Günther Dümler

Umschlag:© Copyright by Günther Dümler

Verlag:Günther Dümler

[email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Mords-Zinken

Frische Eier braucht die Marga für ihr Tiramisu. Wirklich frische, keine, die schon tagelang im Kühlregal lagern. Und die gibt es nur auf dem Zeltnerhof, denn dort führen die Hühner noch ein Leben wie im Paradies. Peter bekommt den Auftrag für Nachschub zu sorgen und bringt nicht nur die Eier, sondern auch ein peinliches Geheimnis mit nach Hause.

Als bald darauf ein toter Italiener im schmucken Bauerngarten der Zeltners liegt, ist das Geheimnis sehr schnell keines mehr und der Bauer sieht sich im Handumdrehen einer Mordklage gegenüber. Denn Hauptkommissar Schindler hegt keinerlei Zweifel an Zeltners Schuld. Schließlich stammt die Tatwaffe, eine Mistgabel mit drei messerscharfen Zinken, aus dessen Besitz. Zu allem Unglück erhält Schindler auch noch Kenntnis von dem ominösen Geheimnis, das bei den Dörflern längst keines mehr ist. Und so sieht er sein persönliches MGM - Motiv, Gelegenheit, Mittel - in Rekordzeit zu 100 Prozent erfüllt.

Doch dann erschüttert ein zweiter Mord die kleine dörfliche Gemeinde. Wieder ist das Opfer ein Italiener. Das bringt den Kommissar automatisch auf eine neue Idee. Zweifellos hat die Mafia die Hand im Spiel. Schindlers bisheriger Verdächtiger sitzt zudem zur Tatzeit in Untersuchungshaft. Seine schöne Theorie kommt beträchtlich ins Wanken.

Gleichzeitig dreht Peter Kleinlein jeden Stein noch einmal um und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Einsichten, die den Hobbydetektiv in ernsthafte Gefahr bringen.

Inhaltsverzeichnis

Mords-Zinken

Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:

Vorwort

Handelnde Personen

Da schau her

Karibische Träume

Eine Jahrhundertkatastrophe

Eier, wir brauchen Eier

Dirramisu und Andibasdi

Schon wieder eine Leiche

Das Auge des Gesetzes

Ansichtssache

Der Frauenversteher

Unter der Lupe

Ristorante da Enzo

Eine unheimliche Entdeckung

Rolle rückwärts

Eine unzuverlässige Person

Ortsgespräche

Angelo Maldini – Frutti e Verdure fresco

Schindler denkt nach

Zeltner in der Zelle

Angelo und die Detektive

Kaffee, Tee und Bamberger

Spesen alla calabria

Odel verpflichtet

Carmela Perotta

Der Schwarm aller Röthenbacherinnen

Ordnung machen

Tabula rasa

Eiszeit

Zwei Endspiele

Glossar

Kleine fränkische Nachhilfestunde

Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:

Mords-Kerwa (Juli 2012)

Mords-Wut(Dezember 2012)

Mords-Urlaub (Mai 2013)

Mords-Schuss(August 2013)

Mords-Kerle (November 2013)

Mords-Krach (März 2014)

Mords-Brand(August 2014)

Mords-Fasching(Februar 2015)

Mords-Therapie(Januar 2016)

Mords- Zirkus(Februar 2017)

Erstfassung Mai 2018

Alle Rechte vorbehalten

Vorwort

Dies ist nun schon die elfte Folge der Dorfkrimireihe um den unfreiwilligen Hobbydetektiv Peter Kleinlein. Dass es jemals dazu kommen würde haben weder der Autor, noch der Hauptprotagonist jemals zu träumen gewagt. Der Peter ist von Anfang an immer nur mehr oder weniger versehentlich in die vertrackten Fälle hineingerutscht. Eigentlich ist er ja nur ein Rentner mit viel zu viel Zeit und viel zu wenig Ideen, was er damit anfangen könnte. Und so ist er, wenn er ehrlich ist, schon ein bisschen dankbar für jede Denksportaufgabe, die ihm die Ereignisse und der etwas zu voreilige Hauptkommissar Schindler geradezu auf dem Silbertablett servieren.

Die folgende Geschichte ist durchaus nicht frei erfunden, jedenfalls nicht vollständig. Das kann sie auch nicht. Es gibt immer Erfahrungen, die ein Autor in seinem Leben gemacht hat, die auf die eine oder andere Weise in einen Roman einfließen. In die Sprech- und Handlungsweisen seiner handelnden Personen etwa. Einige der zahlreichen, unfreiwillig komischen Begebenheiten im Umfeld der fiktiven Mordgeschichte haben daher einen durchaus handfesten Hintergrund. Es handelt sich um Szenen, wie sie tagtäglich im fränkischen Alltag vorkommen. Wer kennt ihn nicht, den rundlichen, gemütlichen Typ, der oft nur so lange ausgeglichen erscheint, wie er in seiner eigenen kleinen Gedankenwelt leben darf, der aber auch heftig poltern kann, wenn er gestört wird oder den siebengescheiten Besserwisser, der alle, die zurückhaltend agieren für dumm und einfältig hält. Einige dieser realen Erfahrungen mit diesen kantigen Typen dienten dem Autor als Inspiration für die zugegebenermaßen hoffnungslos übertrieben komödiantische Ausmalung der einen oder anderen Sequenz, die der Leser zu Recht im wahren Leben so nicht erwarten würde.

Die kriminellen Aspekte des Geschehens sind 100% reine Fiktion und haben niemals stattgefunden. Ähnlichkeiten jeglicher Art mit wahren Begebenheiten und real lebenden Personen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Als Quelle für die Namensgebung dienten alle einigermaßen fränkisch klingenden Namen, die dem Schreiberling während der Entstehung der Geschichte begegneten. Tatsächlich sind sie vornehmlich von Grabsteininschriften, Namensschildern von Busfahrern, Kaufhausmitarbeitern oder von Todesanzeigen in der örtlichen Tageszeitung entnommen, kurzum sie stammen allesamt direkt aus dem fränkischen Alltag.

Noch ein Wort zum fränkischen Dialekt. Er ist so vielfältig wie die Landschaft selbst. In jedem Ort wird er anders gesprochen, noch dazu wird die Aussprache oftmals von den äußeren Umständen nachhaltig beeinflusst. So drückt sich auch ein passionierter Dialektsprecher gelegentlich verständlicher aus, wenn er es mit vermeintlich gebildeten Menschen oder Personen zu tun hat, bei denen er nur geringe Kenntnisse seines eigenen Idioms voraussetzt. Bei Peter Kleinlein kann man das gut beobachten, wenn er mit „Norddeutschen“ oder mit Bürgern ausländischer Herkunft spricht. Bei Simon Bräunlein hängt die Tiefe seiner Dialektsprache oftmals vom Grad seiner Erregung ab, je ärgerlicher er ist, umso fränkischer wird er und umso weniger legt er Wert auf Verständlichkeit.

Wie man sehr schnell erkennen kann ist das Fränkische eine sehr weiche Sprache. Damit entspricht sie ganz der Seele der Einheimischen, die sich oft durch einen schier undurchdringlichen Mantel auszeichnet, der aber nur dazu dient, einen unendlich gutmütigen, samtweichen Kern zu schützen. Ein K kommt als G daher, man unterscheidet zwischen einem harten und einem weichen B, wobei das harte eigentlich ein P wäre. Ebenso hält er es mit den Buchstaben T und D. Den Namen Theodor schreibt man also mit einem harddn D.

Den „ou“-Laut im Wort Bou darf man sich übrigens sehr ähnlich dem englischen „ow“ in „I know“ vorstellen. Für viele Laute gibt es gar keine tauglichen Buchstaben. Als Beispiel mögen die berühmten „3 im Weckla“ dienen. Ein echter Franke würde es wohl am ehesten als „3 im Weggler oder Weggläh“ aussprechen. Daher gibt es auch in diesem Buch keine einheitliche Schreibweise für manche Begriffe. Vieles hängt eben auch von dem jeweiligen Sprecher ab. Spezielle, im vorliegenden Band verwendete Begriffe sind im Kapitel „Kleine fränkische Nachhilfestunde“ erklärt.

Mehr zur Aussprache muss man eigentlich nicht wissen, denn die Rödnbacher gehören allesamt zu der überwiegenden Gruppe der Franken, die beim Balanceakt zwischen dem urwüchsigen Dialekt und dem Hochdeutschen einen Mittelweg bevorzugen. Sie sprechen also mehr oder weniger ein fernsehtaugliches Fränkisch, vergleichbar mit dem Ohnsorg-Platt, dem Millowitsch-Köllsch und dem Komödienstadl-Bayrisch. Es bleibt ihnen schon gar nichts anderes übrig, wenn sie von Außenstehenden verstanden werden wollen.

Handelnde Personen

Die Rödnbacher

Peter Kleinlein

Rödnbacher, Hobbydetektiv

Marga Kleinlein

seine stets besorgte Ehefrau

Simon Bräunlein

Metzgermeister aus Rödnbach, Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst

Gisela Bräunlein

seine (im Sinne des Geschäfts) bessere Hälfte, das Gehirn des Betriebes

Lothar Schwarm

Friseurmeister aus Rödnbach, sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung

Maria Cäcilie Schwarm, geb. Leimer

Kosmetikerin aus der Oberpfalz, seit einem Jahr Lothars Ehefrau

Die Ermittler

Erwin Schindler

Kriminalhauptkommissar

Heinz Havranek

Kriminalobermeister

Roland Preißler

Dezernatsleiter

Weitere Beteiligte

Johann Zeltner, genannt Hans

Zeltnerbauer

Christine Zeltner, genannt Christl

Seine Ehefrau

Gertrud Lämmermann, genannt Zeldners Gerdi

Die Schwiegermutter des Zeltner

Harras

der Hofhund der Zeltners, ein begabter Schnüffler und erfolgreicher Hilfsdetektiv

Vincenzo (Enzo) Perotta

Ein ehemals charmanter Italiener und Inhaber des Ristorante da Enzo

Carmela Perotta

Enzos Ehefrau und Erbin

Gianluca Barone

Carmelas Bruder, Enzos Schwager

Hildegard Vitztum

Was dieser Beobachterin entgeht, hat auch nie stattgefunden

Margarethe Beckgenannt Beggn Gredl

Führendes Mitglied der Hundsweiber und unerschöpfliche Gerüchtequelle

Chinzia Maldini

Eine Ehefrau mit einem Blick für Männer

Angelo Maldini

Gemüsegroßhändler, Ehemann von Chinzia

Nina Höraufgenannt Giulia

Ehemalige Bedienung im Ristorante da Enzo

Gottlieb Angerer

ein ruheloser Geist

H. H. Pfarrer Ludwig Stiegler

Gemeindepfarrer von St. Leonhard in Röthenbach

Nico Kollwitz

Hilfsarbeiter auf dem Großmarkt

Da schau her

Mitte März, 3 Wochen vor Ostern, zur Mittagszeit

Peter Kleinlein und seine Ehefrau, die Marga, unternahmen nach dem Mittagsessen einen kleinen Spaziergang durch die Gemeinde. Das Essen war wieder sehr gehaltvoll, aber schließlich war Sonntag und da durfte sich man sich doch mal etwas Gutes gönnen, ungeachtet der kirchlich verordneten Fastenzeit. Ein paar Schritte an der frischen Luft konnten danach allerdings nicht schaden. Peter hatte seit der Zeit der ungehemmten kulinarischen Weihnachtsorgien mit reichlich Plätzchen, Stollen, Lebkuchen, aber auch köstlichen Festmahlzeiten kaum spürbar abgenommen, wie auch? Es gab immer viel zu viel und viel zu kalorienreiches Essen. Doch im neuen Jahr wollte er unbedingt spürbar abnehmen. Aus diesem Grund hatte er für die laufende Fastenzeit einen besonderen Vorsatz gefasst. Anstelle des traditionellen Fastens, das im Hause Kleinlein ohnehin noch nie wirklich funktioniert hatte, wollte er es dieses Jahr mit einem für ihn viel schwieriger einzuhaltenden Verzicht versuchen, noch dazu einem, bei dem er nicht auf Margas Mithilfe angewiesen war. Die wurde zwar nicht müde, ihm immer wieder zu erklären, dass seine mittlerweile deutlich sichtbare Wampe alles andere als gesund wäre, stellte ihm aber trotz ihrer täglichen Ermahnungen eine Riesenportion nach der anderen hin. Er musste also einen Weg finden, wie er trotzdem einige Kilos abnehmen konnte, eine Methode, die er ganz alleine im Griff haben würde. Seit dem Aschermittwoch trank er daher schon keinen Tropfen Bier mehr, überhaupt keinen Alkohol. Freilich wurde diese heroische Entscheidung maßgeblich durch einen permanent zu engen Hosenbund und durch ständige Ermahnungen seitens seiner fürsorglichen Ehefrau beeinflusst. Im ersten Fall stumm, im zweiten sehr wortgewandt.

Das Weglassen seines gewohnten Feierabendbiers machte ihm dabei erstaunlicherweise doch mächtig zu schaffen. Eigentlich war der Begriff Feierabendbier seit seinem Eintritt in den Ruhestand vor nunmehr sieben Jahren nicht mehr wirklich zutreffend. Feierabend, das war jetzt die Zeit nach den Abendnachrichten, wenn das bequeme Sofa eindringlich und unüberhörbar nach ihm rief. Mit dem Verzicht auf Schnaps hatte er dagegen kein Problem. Den hatte er sowieso noch nie so recht gemocht und höchstens einmal anstandshalber ein Glas in Gesellschaft mitgetrunken. Zudem vertrug er ihn, was leider auch auf Wein zutraf, mit seinem säureempfindlichen Magen ohnehin sehr schlecht. So fiel der Verzicht leicht. Wenn halt nur das fränkische Landbier nicht so gut wäre.

Bisher hatte er es geschafft, sein Vorhaben konsequent durchzuziehen, auch wenn Besuch kam. Und das war nicht so ganz einfach, denn sein Freund Simon hatte für derartige Kasteiungen keinerlei Sinn und tat sich auch in Peters Gegenwart keinen Zwang an. Im Gegenteil, er zog ihn höchstens noch auf wegen seines Verzichts. Als Metzgermeister mit Leib und Seele konnte er sich ein Leben ohne Wurst und Braten auch bei größtem Bemühen nicht vorstellen und dazu passte eben nur Bier. Jedenfalls in der Welt von Simon Bräunlein. So fiel der Verzicht gleich noch schwerer. Bis jetzt hatte Peter aber immerhin schon 31 Tage durchgehalten, nicht weil er so übermäßig religiös gewesen wäre. Nein, sondern weil er sich selbst beweisen wollte, dass er dazu in der Lage wäre und weil er den dringenden Wunsch hegte seine überflüssigen Pfunde loszuwerden. Und nicht nur er, noch mehr hegten diesen Wunsch seine Marga und der Herr Doktor Eichberger, sein Hausarzt. So an die zehn Kilo weniger würden auch seinen Knien gut tun. Er würde den Unterschied schon merken, wenn es am Karfreitag wieder heißen würde: „beuget die Knie, erhebet euch!“, so hatte der, selbst auch nicht der Schlankeste, scherzhaft bemerkt.

*

Es war Mitte März und schon einigermaßen warm. Einzelne Bäume und Sträucher begannen bereits vorsichtig, fast zaghaft ihre frischen Knospen zu öffnen. Die beiden Röthenbacher oder besser Rödnbacher, wie sie den Namen ihres Wohnorts als Alteingesessene aussprechen würden, freuten sich an der sich täglich mehr erwärmenden Frühlingsluft. Der Winter hatte sich diesmal sehr kalt und äußerst unwirtlich gebärdet und alle warteten schon sehnsüchtig auf die ersten schönen Tage.

Sie waren mittlerweile gemächlichen Schrittes am Dorfweiher vorbei in Richtung der brach liegenden Äcker und freien Felder gekommen, als sie völlig unerwartet, etwa auf Höhe des so genannten Espan, eine Holzkonstruktion erblickten, die wie ein unerwünschter Fremdkörper inmitten einer freien Fläche stand. Zwei massive Balken waren dort, gleichsam über Nacht, in den Boden gerammt worden, mit einer bemalten Holztafel darauf, ein Baustellenschild offenbar. Die beiden stellten sich davor und lasen interessiert die Aufschrift. „Hier entsteht für sie ein moderner Supermarkt mit fünfzig Parkplätzen“, war da neben einem Bild des Bauvorhabens, sowie den jeweiligen Namen der Baufirma und des Bauherrn zu lesen. Die Baufirma stammte nicht aus der Gegend, zumindest hatten die beiden Spaziergänger noch nie von ihr gehört. Der Bauherr dagegen war die deutschlandweit bekannte Supermarktkette BIGMA, eine Abkürzung für Billig-und-Gut-Markt.

„Hosd du dou scho amal woss dervo ghörd?“, fragte Peter seine Frau, die im Allgemeinen über alles Wissenswerte aus dem Gemeindeleben frühzeitig informiert war. Er sprach seinen unverfälschten Dialekt. Sie waren ja unter sich und die Marga verstand auch durchaus was er meinte.

„Naa, überhaubds nedd“, gab sie kopfschüttend zurück, „dou hodd nu kanns woss gsachd. Naja, schoodn däds ja nix, wemmer nedd weecher jedn Drumm immer glei bis nach Erlnbach nüberfahrn müsserd. Mir solls Rechd sei“, lautete ihr abschließendes Urteil.

„Schau! Baubeginn Frühjahr 2018 steht dou, dess iss ja etzerdla. Dess konn ja jedn Dooch scho losgäih. Na dou binni abber amal neigierich“, meinte Peter und er fügte hinzu: „Dess iss doch a Agger vom Zeldner, odder? Dass der dou nix gsachd hodd, wäi i des letzde Mal bei ihm war weecher die Kardoffln. Scho irgndwie aweng eignardich. Villeichd hodder ja Bedenkn, dass nern dee Gegner von dem Subbermarkd auf die Belle rüggn, wenns erfahrn, dass er dou derfür sein Agger verkaffd hodd. Woss wass mer, woss für komische Leit dass gibd. Abber mir hädders doch wergli soong könner. Mich kennd er ja.“

Damit ließen die Beiden es vorläufig bewenden. Aber man würde natürlich den Fortgang ab sofort mit großem Interesse verfolgen.

*

Zuhause war es wieder einmal höchste Zeit für einen umfassenden Dekorationswechsel. Ostern stand schließlich in weniger als drei Wochen bevor und die Marga war der Meinung, dass man deshalb schon langsam die Frühjahrsdeko Zug um Zug mit einem eher österlichen Anstrich versehen musste. Häschen unterschiedlichster Machart standen bald einzeln und in Gruppen im Vorgarten, bunt bemalte Eier baumelten von erfrischend gelb blühenden Forsythien und von Palmkätzchenzweigen, welche in mit Sand gefüllten Vasen standen. Auch die Stiefmütterchen in den Blumenkästen am Küchenfenster waren bereits durch Narzissen ersetzt, deren Knospen nur darauf warteten jeden Moment aufzuspringen. Jetzt fehlte nur noch das Bild mit dem Osterlamm, das die Marga jedes Jahr wieder in der Küche aufhängte, aufhängen ließ und das eine rote, mit einem Kreuz versehene Fahne zwischen seinen Vorderbeinen hielt. Ob es an der mangelnden Fähigkeit des Künstlers lag oder ob das Tier bereits etwas von seinem in naher Zukunft bevorstehendem Schicksal als Festbraten ahnte? Nach Peters Ansicht schaute es jedenfalls einfach zu belämmert drein. Über derartige Stilfragen war jedoch mit der Marga kein Handel möglich. Aber auch alle anderen Bilder mussten ausgetauscht werden. Den Altnürnberger Kaufmannszug im Flur wollte Marga wie jedes Jahr durch die betenden Hände von Albrecht Dürer ersetzen und das eher abstrakte New York-Poster im Wohnzimmer musste ebenfalls weichen. Was sie stattdessen aufhängen wollte, das wusste sie selbst noch nicht so Recht. Einesteils war sie natürlich sehr traditionell eingestellt, andererseits sollte es auch nicht jedes Jahr das Gleiche sein. Das wiederum hätte sie als langweilig empfunden. Vielleicht den Gang nach Emmaus, das alte Ölbild mit dem wuchtigen, verschnörkelten Goldrahmen, das Jesus und seine Jünger unterwegs durch einen eher fränkisch anmutenden Wald zeigte und das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Es war nicht wertvoll, aber eines der wenigen Andenken, das sie noch hatte. Und darum hing sie auch so sehr daran. Es hatte immer im elterlichen Schlafzimmer gehangen und gehörte zu Margas Kindheitserinnerungen. Solche Motive waren damals sehr modern. Gott, wie doch die Zeit vergeht!

Sie hatte so ziemlich alle Schachteln, die nicht explizit mit dem Schriftzug „Weihnachten“ gekennzeichnet waren, aus dem Keller nach oben geholt. Im Wohnzimmer sah es derzeit aus wie auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Nach der Schlacht versteht sich. Peter hielt von den ausufernden Dekoorgien, die sich bei Kleinleins das ganze Jahr über hinzogen, im Allgemeinen nicht viel. Er sperrte sich aber auch nicht, wenn er um Mithilfe gebeten wurde. Ab und zu wurde seine Länge von einsneunzig gerne nutzbringend eingesetzt, etwa um einen Reißnagel in die Holzdecke zu drücken. Dann brauchte die Marga nicht auf einen Stuhl steigen und einen häuslichen Unfall zu riskieren. Einen eigenen Antrieb in diesem Zusammenhang verspürte er allerdings nicht.

*

Kein Wunder, dass es Peter bei all dem Durcheinander nach draußen zog. Er konnte hier ohnehin nichts richtig machen und die Ankündigung der bevorstehenden Errichtung eines Supermarkts interessierte ihn doch mehr, als er bei seinem Spaziergang mit Marga hatte erkennen lassen. Die würde bestimmt den ganzen Nachmittag über mit ihrer häuslichen Umgestaltung beschäftigt sein, so dass er auch nicht wirklich vermisst wurde. Er machte also noch einmal den Weg zu dem zukünftigen Baugelände. Anlässlich des Verdauungsspaziergangs hatte er es nicht realisiert, aber je länger er darüber nachdachte, umso weniger war er sich sicher, ob er richtig gelesen hatte. Er glaubte mittlerweile, unter den aufgeführten Vorteilen dieses neuen BIGMA-Marktes, etwas von einer Fleisch- und Wurstabteilung gelesen zu haben und wollte sich nun noch einmal vergewissern.

Tatsächlich, hier stand es klar und deutlich, absolut unmissverständlich, wenn auch in etwas kleinerer Schrift als der Rest der Ankündigung. Es sollte auch eine große Metzgerei mit einziehen. Wenn das mal erst der Simon, sein Freund und seines Zeichens einziger und gleichzeitig bester Metzger des Ortes, erfahren würde. Und erst die Gisela, dessen bessere Hälfte, der heimliche Chef und das Gehirn der Metzgerei Bräunlein.

Karibische Träume

an einem ganz normalen Tag im Mai 2018

Die Metzgerei Bräunlein war schon von jeher ein Ort des regen Gedankenaustauschs. Dafür sorgte alleine schon das hochentwickelte Kommunikationstalent der rotbackigen Frau hinter der Wursttheke. Gisela Bräunlein, früher eine versierte Fleisch- und Wurstverkäuferin war, seit Michel Müller, der Dreggsack aus der Rhön, beim Frankenfasching in Veitshöchheim das gleichnamige Lied vorgetragen hatte, zur Fleischereifachverkäuferin mutiert. Und dazu gehört nicht nur die Scheibe Gelbwurst, die alle Kinder bekommen, sofern sie ihre Mutti beim Einkauf begleiten, sondern eben auch ein gepflegtes Verkaufsgespräch. Plus der Austausch jeglicher darüber hinausgehenden Informationen von öffentlichem Interesse.

Heute ging es hauptsächlich um die Errichtung des neuen Supermarktes, der die Bezeichnung Super zumindest in Bezug auf die geplante Größe bereits lange vor seinem Bau mehr als verdient hatte. Ansonsten waren aber viele von Giselas Kunden im Bezug auf das, was in ihren Augen im Zuge des Neubaus unvermeidlich auf ihr Rödnbach zukommen würde, äußerst sparsam mit dem Begriff „Super“.

„Mit unsern gemütlichn Dorflebn wärds etz dann ball verbei sei, wenn jedn Dooch in der Fräih um vierer scho die Lasder anrolln. Ich fürchd, mit der Nachtrouh wärds dann endgüldich aus sei.“

Die Kundin erklärte anschließend im Detail und mit vollem Körpereinsatz, was ihr so sehr Sorge bereitete. Sie wohne immerhin unmittelbar an der Zufahrtsstraße zu dem geplanten Supermarkt und konnte sich schon lebhaft ausmalen, was ihr in Zukunft blühen würde.Jetzt schon ratterten den ganzen Tag schwer beladene Baustellenfahrzeuge an ihrem Haus vorbei. Eine Sauerei, wo sie es doch erst vor zwei Jahren gekauft hatten und aufs Land gezogen waren um dem Großstadtlärm zu entfliehen.

„Und etz simmer widder dou, wo mer vorher scho amal warn. Dou derfür hobbi nedd mei wunderbare hundertsechs Quadradmeder Dreizimmerwohnung in der Nämbercher Altstadt aufgebn, dassi am Arsch der Weld hock und trotzdem den Lärm und die Abgase hobb.“

Hatte sie bisher reichlich Zuspruch bekommen, so machte diese Bemerkung den guten Eindruck, den sie sich in den letzten beiden Jahren sorgsam aufgebaut hatte und der dafür gesorgt hatte, dass sie fast schon als Einheimische betrachtet wurde, nahezu völlig zunichte. Arsch der Welt! Unser Rödnbach! Das war eindeutig zu viel. Die anderen Kundinnen rückten unwillkürlich etwas von ihr ab und beäugten sie auf eine Weise, auf die man allenfalls einen mit üblem Geruch behafteten undichten Kehrrichteimer betrachtet.

In diesem kritischen Moment brachte Giselas eine ihrer wertvollsten Eigenschaften zum Einsatz, eine, die eine gute von einer begnadeten Fleischereifachverkäuferin unterscheidet. Sie wusste natürlich wer Umsatz bringt und dass man solchen Kunden in der Not auch einmal beispringen muss, wenn dies so bleiben soll.

„Ach, ich versteh scho, Frau Holzer, aa wenni etz nedd grad AdW zu unserm Rödnbach sagn däd. Mer baut sich wos auf und dann kummer irgndwelche Wildfremde derher, dee mit uns nix am Hout homm und machen die ganze Idylle kabudd.“

Das Wort „Wildfremde“ hatte sie keinesfalls leichtfertig eingestreut, denn der Sprachsünderin sollte schon unmissverständlich unter die Nase gerieben werden, dass sie, entgegen sonstiger Gepflogenheiten schließlich auch erst seit kurzer Zeit gnädigerweise in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden war. Doch die Frau Holzer hatte inzwischen, nachdem sie Giselas Seitenhieb und die sie umgebenden Gesichter richtig gedeutet hatte, ihren Fauxpas bereits erkannt und stimmte daher bereitwillig in den Refrain ein.

„Idylle, genau dess war dess Word, wos mir vorhin nedd glei eigfalln iss. Arsch der Welt! Wie ich ner bloß auf so woss Absurdes kommer hobb könner. Endschuldichung! Also sowoss! Iss mer ja etz direggd beinlich.“

Die wartenden Hausfrauen rangen sich zu einem versöhnlichen Lächeln durch und das Gespräch konnte ohne weitere Eskalation fortgesetzt werden.

„Ich konn mich nu ganz genau erinnern, wäi dess vorigs Jahr in Erlnbach wor, wäi dee neie Bizzeria aufgmachd hodd. Mit an Schlag hosd nedd amal in an su an glann Ord mer an Barkblatz grichd. Es wärd nedd immer alles besser mit solche Neuerunger. Dee Idaliener wohner ja alle sugor bei uns in Rödnbach. Wer wass, woss dess für anne sinn. Affd Letzd ghörn dee alle zu derer Maffia. Wass mers?“

„Gschmarri, nedd a jeder Idaliener iss a Mafioso. Genauso goud könnd mer soong, a jeder Frangge iss maulfaul. Dess stimmd ja aa nedd. Ich mach mer mehrer Sorng, dass dess ganze Kaufhaus einfach zu grouß iss für Rödnbach. Wer soll nern dou alles kaufn? Wahrscheinli kommer dann die Kundn vo überall her. Und wer wass, woss für a Gsindl dass dann zu uns her dreibd.“

Die Meinungsäußerungen waren allesamt nicht gerade positiv. Man fürchtete sogar, dass es zu einem Einkauftourismus aus der Stadt kommen könnte, Menschen, die dann anschließend noch im Adler essen gehen und mit ihren Bemerkungen über die viel zu großen Portionen und niedrigen Preise das bisher hervorragende Preis-/Leistungsverhältnis komplett ins Wanken bringen könnten. Die heile Welt von Röthenbach war in ernster Gefahr.

„Und wer übernimmdn etz die Fleischabdeilung dord. Wissen sie scho woss, Frau Bräunlein?“

„Nedd wergli. Ich hobb aa bloß ghörd, dass a Großmetzgerei dordn eisteign soll. Aber wer und wie, keine Ahnung.“

„Allmächd!“, rief die Holzerin entsetzt auf. „Na dou wird ihr Moh ja begeisderd sei, wenn er etz a so a mächdiche Kongurrenz vor die Nasn gsetzd grichd.“

„Konkurrenz? Dassi fei nedd lach! Dess Glumb woss dee verkaufn, dess iss doch ka Konkurrenz nedd für uns. Mei Simon machd die besde Worschd im ganzn Landgreis und den möchdi seeng, der sie mit unserer Woar messn kann. Ja, in hunderd Jahr nedd!“

So selbstbewusst wie ihre Worte waren, so sehr war ihr doch angesichts dieser lächerlichen Unterstellung der Kamm geschwollen. Offenbar war ihr der zukünftige Mitbewerber doch ein Dorn im Auge. Es wurde erst wieder etwas besser als die Damen abrupt das Thema wechselten.

„Wass jemand eigndlich, warum der Zeldner den Agger verkaufd hodd? Geld brauchd der doch nedd, mit dem mordsdrumm Hof und dene villn Ägger und Felder.“

Wieder war es die Holzerin, die etwas bisher Unbekanntes dazu beitragen konnte.

„Wer wass. Villeichd brauchd er a Bargeld für die Abfindung wo er seiner Frau zohln muss.“

„Wäi etz? Lässd sie dee scheidn odder wie?“

„Naja, soong mer amal so. Sicher konn ichs nadürli nedd sagn, abber wie ich neilich dord war, wall ich in dene ihrn Hofladn a frisch gschlachts Giegerler abholn wolld, dou war ner blouß die alde Zeldneri, die Gerda dou. Und bis dee mein Gieger ghold ghabd hodd, dou hobb ich aweng zum Fenster nausgschaud. Und woss glaubd ihr, woss ich dou gseeng hobb? Die Bäueri iss mit zammds dem anner Idaliener, der wo dee Bizzeria hodd, ausn Stodl rauskummer. Und grinsd homms alle zwaa miternander. Direggd heimlich homms dou. Und dann hobb er mer nadürlich mein Deil denkd.“

Davon hatte selbst die Gisela noch nichts gehört.

„Na dou binni abber etz baff“, war ihr einziger Kommentar.

*

Wesentlich ruhiger ging es derzeit im Kommissariat 1 im Polizeipräsidium zu. KHK Erwin Schindler war außer Haus und sein Assistent Heinz Havranek beschäftigte sich mit langweiligen Routineaufgaben. Im Moment hatten sie keine Leiche und die freie Zeit nutzte er, um ein wenig Ordnung in die Unterlagen zu bekommen, die normalerweise die Schreibtische der beiden Kriminalbeamten in ein unübersichtliches Chaos verwandelten. Schindlers Abwesenheit sei Dank, lief auch leise das Radio, genauer gesagt der Sender Radio Frankenland 99-3 und das aus gutem Grund. Havranek legte den schmalen Hefter, den er gerade in der Hand hielt, zur Seite und lauschte gespannt den Worten der Moderatorin. Seit zwei Wochen lief auf diesem Kanal eine Aktion, bei der man eine Reise nach Jamaika gewinnen konnte, wenn man erstens das Glück hatte angerufen zu werden und zweitens auf Verlangen auch noch das richtige Codewort parat hatte. Das aktuell laufende Musikstück vermittelte Havranek schon mal vorab ein unterschwelliges Karibikfeeling, Sunshine Raggae von Bob Marley. Gleich würde die Dame am Mikrofon eine Andeutung machen, wen sie als nächstes anrufen würde. Eine zweite Chance sozusagen, denn der zuvor ausgeloste Einsender hatte den Hörer nicht abgehoben. Wie dumm kann man denn sein, sich eine solche Traumreise entgehen zu lassen.

„Unser nächster Kandidat ist ein Mann, ein Beamter, der tagtäglich im Dienste der Allgemeinheit und für die Sicherheit von uns allen im Einsatz ist. Na, wissen sie schon, bei wem das Telefon gleich klingeln wird? Dann gehen sie, sobald sie es hören, ganz schnell ans Telefon und sagen sie mir den Lösungssatz und schon sind sie der glückliche Gewinner einer phantastischen Traumreise in die herrliche Karibik, blauer Himmel, weißer Sand, einen Cocktail in der Hand, im Arm eine rassige Schönheit … Eins, zwei, drei…“

In diesem Moment klingelte das Diensttelefon von Heinz Havranek, der sofort den Hörer abnahm, ihn fest ans Ohr presste und aufgeregt verkündete:

„Ich höre bei der Arbeit Radio Frankenland neunundneunzigdrei, blauer Himmel, weißer Sand. Ich wäre gern dabei."

Die Dame vom Radiosender meldete sich nicht gleich, wahrscheinlich war sie verblüfft, wie schnell und fehlerfrei er die Lösung heruntergerasselt hatte. Als Havranek es vor Spannung kaum mehr aushielt, da dröhnte urplötzlich auf ihre unnachahmliche Art die hoch erregte Stimme von Hauptkommissar Erwin Schindler aus dem Äther:

„Das kann schon sein, Havranek, aber ganz bestimmt zum letzten Mal. Ab sofort hören sie ausschließlich was ich ihnen zu sagen habe, verstanden. Hier spricht Erwin Schindler, falls sie es noch nicht gemerkt haben sollten. Blauer Himmel, weißer Sand! Ich sage ihnen, dass sie von Glück reden können, wenn sie nächste Woche nicht mit ein paar wunderschönen weißen Handschuhen und einer blauen Uniform auf einer Kreuzung stehen und den Verkehr regeln. Haben wir uns verstanden?“

Und mehr zu sich selbst fügte er hinzu:

„Es wird höchste Zeit, dass wieder einmal etwas passiert. Dieser Müßiggang ist pures Gift für die Disziplin.“

Er konnte ja nicht ahnen, dass sein Wunsch schon sehr bald in Erfüllung gehen und auch nicht, wie sehr er diesen Spruch noch bereuen würde.

Eine Jahrhundertkatastrophe

Mittwoch, 27. Juni 2018, spätnachmittags

Inzwischen war fast ein Monat vergangen. Auf dem Zeltnerhof schien der Hund verreckt zu sein, wie man in Franken gerne sagt, wenn sich nichts, aber schon rein gar nichts regt. Auf den ersten Blick sah es tatsächlich so aus, als ob diese Redewendung wortwörtlich zu nehmen wäre. Der Harras, von Berufs wegen Hofhund bei den Zeltners, lag faul und teilnahmslos, die mächtige Schnauze flach auf den Boden gepresst, auf dem grob gepflasterten Vorhof des Anwesens. Nur hin und wieder gab er ein schwaches Lebenszeichen von sich. Dann blinzelte er für einen winzigen Augenblick in die Spätnachmittagssonne des angenehm warmen Junitages, so als wollte er wenigstens so tun, als hätte er seine Pflichten als Wächter des Hauses noch nicht ganz vergessen. Eine geradezu unheimliche, fast übernatürliche Stille lag über der Szenerie. Nicht einmal der prachtvolle, ansonsten so stimmgewaltige Hahn auf dem ebenso beachtlich großen Misthaufen gab auch nur einen einzigen Ton von sich. Irgendwie war die ganze Stimmung durch und durch deprimierend.

Dazu passte auch der offensichtlich zutiefst niedergeschlagene Mann, der sich in einer abgewetzten, ehemals schwarzen Hose und einem weißen T-Shirt kraftlos und schlurfenden Schrittes über das Pflaster in Richtung Heuschober bewegte. Sein schleppender Gang erweckte den Eindruck ein schwerer Schicksalsschlag habe ihn an den Rand seiner körperlichen Leistungsfähigkeit gebracht. Was zum Teil auch stimmte. Ein aufmerksamer Betrachter hätte natürlich die schmalen anthrazitgrauen Streifen und das auffällige Emblem auf der Vorderseite des Hemds sofort richtig gedeutet. Wem dies noch nicht gereicht hätte, der hätte spätestens aufgrund der aufgedruckten Zahl 13 und dem Schriftzug Müller auf seinem Rücken Klarheit gehabt. Es handelte sich um ein Originaltrikot der deutschen Fußballnationalmannschaft. Der war ja bekanntlich und das sehr zum Leidwesen des gebeutelten Mannes, seit einigen Jahren das Nationale im Namen und das Fußballerische, vorsichtig ausgedrückt, in ihren Beinen ein wenig abhanden gekommen. Deshalb bezeichneten sie sich selbst auch nur noch als ‚Die Mannschaft‘. Eine Neuerung, die dem vom Kommerz bestimmten Zeitgeist geschuldet war und die dem Zeltnerbauern und um niemand anders handelte es sich bei dem dahin schwankenden Wrack, ganz und gar nicht gefiel. „Keinen Stolz, diese Söldner“, hätte er geschimpft, wenn ihn denn nur einer nach seiner Meinung dazu gefragt hätte. Hatte aber keiner.

Es war wieder einmal Weltmeisterschaft, genauer gesagt Fußball-Weltmeisterschaft, normalerweise eine Spanne von vier Wochen, in der in Deutschland die Ordnung weitgehend auf den Kopf gestellt wird. Mitarbeiter forderten zusätzliche Pausen, um die Spiele am Fernsehen verfolgen zu können, selbst Kabinettssitzungen wurden verschoben, weil der WM-Zeitplan der absoluten Konzentration auf die Regierungsgeschäfte geschadet hätte und an fast allen Häusern hingen schwarz-rot-goldene Fahnen aus den Fenstern. Autos fuhren hupend durch die Großstädte, der Verkehr brach regelmäßig zusammen, doch niemand regte das auf, es war halt wieder mal WM.

So war das alle vier Jahre der Fall, bisher jedenfalls. Diesmal jedoch fand das Großereignis in Russland statt, was die Sache ein klein wenig veränderte. Es war weiterhin allgemeine Bürgerpflicht, die Spiele, wenigstens die der Deutschen, am Fernsehgerät zu verfolgen, wenngleich dies auch nicht mit der gleichen Euphorie geschah wie noch vor vier Jahren. Dafür sorgten schon die zahllosen Berichterstatter, die bereits im Vorfeld nicht müde wurden von den PutinSpielen zu reden und die kein gutes Haar an der ansonsten liebsten Veranstaltung der Deutschen ließen. Manche hatten sich sogar zu dem Ratschlag verstiegen, man hätte gar nicht erst anreisen und die Propagandaspiele dieses lupenreinen Feindes aller aufrechten Demokraten ganz boykottieren sollen. Die russische Bevölkerung, die fast 150 Millionen Russen, die sich darauf freuten, die Welt bei sich zu Besuch zu haben, spielten in deren Überlegungen offensichtlich keinerlei Rolle. Der Fußball war bei dieser Weltmeisterschaft für die Deutschen zur Nebensache geworden, wie sehr, das konnten auch die größten Pessimisten in diesem Moment noch nicht ahnen.

Im Moment sah es ganz so aus, als würden die Deutschen, zumindest die auf dem Spielfeld, genau diesen Vorschlag befolgen. Boykott und das mit voller Konsequenz. Eine absolut trostlose Vorstellung, die sich der Zeltner da angetan hatte, ganz alleine im Wohnzimmer. Die Zeltnerin interessierte sich überhaupt nicht dafür, hatte sie jedenfalls gesagt, bevor sie die Wohnstube verlassen hatte, um angeblich ihren vielfältigen Pflichten auf dem stattlichen Hof nachzukommen. Dieses Verhalten hatte den Bauern doch ziemlich verwundert, wo sie doch noch beim Gewinn der Weltmeisterschaft vor vier Jahren eine der eifrigsten Anhängerin der Jogi-Buben zu sein schien. Überall hatte sie damals schwarz-rot-goldene Devotionalien aufgestellt, was sogar ihrem fußballverrückten Mann ziemlich albern erschien. Aber versteh‘ einer die Frauen.