Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Soldaten verschiedener Nationen verwüsten ganze Landstriche. Auch Holstein bleibt von den marodierenden Heerscharen nicht verschont. Als Georg von Leonthal auf der Flucht auf dem Gut seines Großvaters Schutz sucht, schlagen ihm hier Hass und Missgunst entgegen. Die einfallenden schwedischen Truppen zwingen Georg zu einer folgenschweren Entscheidung. Auch der ehemalige Sergeant Karl Kohlhaas muss sich den feindlichen Soldaten erwehren. Letztlich bleibt ihnen nur eine Alternative. Gemeinsam mit den Freyen Holsteinischen Knechten versetzen sie der plündernden schwedischen Armee erfolgreich schmerzhafte Nadelstiche. Die -Schnapphähne- (Wegelagerer und Raubritter), wie die Freyen Holsteinsichen Knechte von den Schweden abfällig genannt wurden, haben wahrhaftig gelebt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 348
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jürgen Vogler wurde 1946 in der Holsteinischen Schweiz geboren und wohnt heute an der Ostseeküste. Nach seinem Dienst als Pressesprecher bei der Bundespolizei arbeitet er seit 1988 als Freier Journalist und Autor. „Ostholstein gestern“ zeigt sehr anschaulich sein Interesse an geschichtlichen Ereignissen. 2012 wurde sein erster historischer Roman „Der Mohr von Plön“ veröffentlicht, dem die tatsächliche Geschichte um den schwarzen Feldtrompeter Christian Gottlieb zu Grunde liegt. Es folgten die historischen Romane „Der Narr von Eutin“ und „Der Marquis von Lübeck“ und „Die rechte Hand des Herzogs“. 2021 setzte er mit „Schleswig-Holstein gestern“ und 2023 mit „Schleswig-Holstein vor langer Zeit“ seine Ausflüge in die Geschichte des Landes zwischen den Meeren fort. „Musketenfeuer“ ist sein neuester Roman über die Geschichte Schleswig-Holsteins. Wenn er nicht mit der Recherche für seine historischen Geschichten beschäftigt ist, schreibt der Autor auch Kurzkrimis und Kriminalromane.
www.juergenvogler.de
Bei einem Spaziergang durch Schleswig-Holsteins bewegte Geschichte werden wir immer wieder auch über kriegerische Auseinandersetzungen stolpern. Es gibt kein Jahrhundert, in dem nicht marodierende Heerscharen unterschiedlicher Nationen durch das Land zogen. Streitbare Fürsten und Könige hetzten ihre Soldaten gegeneinander, um Territorien zu erobern sowie Macht und Ansehen zu erlangen. Am meisten hatte die Bevölkerung unter den Einquartierungen, Plünderungen, Bränden und Vergewaltigungen zu leiden. So auch während des Dreißigjährigen Krieges. Selbst als die kaiserlichen katholischen Truppen und protestantischen Heere ihre Konfessionskriege im Norden mit einem Friedensvertrag beendeten, kam das Land nicht zur Ruhe.
Im Kampf um die Vormachtstellung im Ostseeraum fallen 1643 erneut die beiden Erzfeinde Schweden und Dänemark übereinander her. Kampfplätze waren einmal mehr weite Teile von Schleswig und Holstein. Besonders in der Region zwischen Hamburg und Segeberg, das zu der Zeit zum dänischen Herrschaftsgebiet gehörte, wüteten die schwedischen Truppen auf bestialische Weise. Es regte sich Widerstand unter der Bevölkerung. Die „Freyen holsteinischen Knechte“ formierten sich. Es waren Bauern, Kätner, Tagelöhner und ehemalige Soldaten, die der Willkür der schwedischen Armee entgegentreten wollten. Schlecht ausgerüstet, aber voller zornigem Ehrgeiz bildeten sie einzelne Rotten und fügten den Schweden bei ihren Überfällen auf deren Versorgungswegen erhebliche Schäden zu. „Schnapphähne” wurden sie sehr bald genannt. Ein Begriff, der in erster Linie Räuber, Rebellen und Freiheitskämpfer beschrieb. Die Schweden bezeichneten sie als „heimtückisches, räuberisches Lumpenpack, als Krawallmacher und Bauerntölpel“ und erklärten sie für vogelfrei.
Mein historischer Roman „Musketenfeuer“ erzählt von dem heroischen, aber letztlich doch vergeblichen Kampf der Schnapphähne. Im Geschehen der Weltgeschichte ist es ein kaum glühendes und unbeachtetes Flämmchen. Für mich ein Grund mehr, mit diesem Buch auf meine Weise an ihre tapferen Taten zu erinnern.
Jürgen Vogler
Der Autor
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Dichtung und Wahrheit
Anmerkung
Historisches von Jürgen Vogler
Kriminelles von Jürgen Vogler
Dichte Nebelschwaden hüllten das Gut ein. Die Gebäude waren nur schemenhaft zu erkennen. Auch die Geräusche aus den Ställen erklangen wie durch Watte gedämpft. Das klagende Bellen eines Hundes unterbrach für kurze Zeit die Stille. Mühsam versuchten die ersten Sonnenstrahlen des Tages, den Dunst zu durchdringen. Selbst die Vögel schienen ihr morgendliches Konzert vergessen zu haben.
Seit einer Stunde wälzte sich Georg von einer Seite auf die andere. Er konnte nicht wieder einschlafen. Was beunruhigte ihn? War es der Befehl des Barons, am Morgen um acht Uhr bei ihm im Herrenhaus zu erscheinen? Eine Anordnung, die ihn auch in der Vergangenheit nicht sehr bekümmert hatte. Gottlob kam sie relativ selten vor. Georg vermied es nach Möglichkeit, das Herrenhaus zu betreten, wenn es nicht unbedingt nötig war. Aus gutem Grund. Leopold Baron von Leonthal gefiel sich als ein selbstgefälliger Herrscher über sein Anwesen. Zu allem Übel war er mit einer Ehefrau verbunden, einer verwitweten Gräfin von Castelbüren, deren Charakter mit den Worten „arrogante Hexe“ noch milde beschrieben war. Georg mochte sie nicht. Allein schon aus dem Grunde, da sie den Anlass dafür lieferte, ihn und seine Mutter in das Torhaus des Gutes zu verbannen.
Georg setzte sich in seinem Bett auf. Mit beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht. Er hatte wirklich keine Lust, sich am frühen Morgen Gedanken über seine missliche Lebenslage zu machen. Es gab kaum einen Tag, an dem er nicht auf sehr deutliche Weise daran erinnert wurde, wie gnädig man ihn und seine Mutter auf dem Gut Leonthal duldete. Allen voran die Familie des Barons. Beherzt schwang Georg sich aus dem Bett und zog sich an. Ohne viel Lärm zu verursachen, verließ er das Torhaus und begab sich in den Marstall. Ein Lächeln ging über sein Gesicht, als er den langen Gang zu den Pferdeboxen betrat. Das war die Welt, die er liebte. Der Geruch und die Wärme, die die Leiber der Tiere ausstrahlten. Das Schnaufen und Scharren der Pferde waren Musik für seine Ohren. Ein junger Stallbursche trat aus dem Strohlager in den Gang, als er das Klappern der Stalltür hörte. Verlegen zupfte er sich den einen oder anderen Halm aus den Kleidern, als er den unerwarteten Eindringling erkannte.
„Guten Morgen, Herr Rittmeister! Es war alles ruhig heute Nacht“, stieß er aufgeregt atmend hervor.
„Ist schon gut, Paul. Was ist mit den beiden Schimmeln, die gestern so herrenlos vor dem Stall standen?“
„Wir haben sie in die Kammer neben dem Hengststall gebracht, wie Ihr befohlen habt, Herr Rittmeister. Aber ich glaub’, die sind nicht ganz gesund.“
Georg runzelte die Stirn. Vor einem Jahr hatte ihm der Baron das Amt des Stallmeisters übertragen. Genau genommen war es sein Großvater, der alte Götz Baron von Leonthal, gewesen, der darauf bestanden hatte, Georgs profundes Wissen über Pferde zu nutzen. Aufgewachsen war er auf dem Gestüt Fredersdorf im Mecklenburgischen bei seinen Großeltern mütterlicherseits. Von Kind auf an waren seine Spielkameraden die Pferde gewesen. Kaum herangewachsen, ging er zum Militär und versah seinen Dienst als Offizier bei der mecklenburgischen Kavallerie. Sehr bald stieg er bis zum Rittmeister auf. Später kümmerte er sich um das Gestüt seiner Großeltern. „Du hast die Leidenschaft für die Pferde von deinem Vater geerbt“, hatte seine Mutter stets betont.
Seinen Vater, Siegfried Baron von Leonthal, der jüngere Bruder des heutigen Gutsherrn, hatte bis zu seinem Tod das Gestüt Fredersborg im Auftrag seiner Schwiegereltern geführt. Doch Georg hatte ihn nie kennengelernt, da er als berittener Oberst in dänischen Diensten im Krieg gegen die kaiserlichen Heere von Tilly und Wallenstein kurz vor Georgs Geburt gefallen war. Der Krieg zerstörte Jahre später auch auf grausame Weise das Gestüt seiner Großeltern. Die schwedische Armee besetzte Mecklenburg und konfiszierte alle Pferde. Als der Großvater sich widersetzt hatte, wurde er kurzerhand von marodierenden schwedischen Soldaten erschlagen. Die Großmutter starb aus Gram, wenige Wochen darauf. Nur Georg und seine Mutter konnten entkommen.
In ihrer Not trieb es sie nach Hamburg. Ein entfernter Cousin seiner Mutter, Sohn einer bedeutenden hanseatischen Kaufmannsfamilie, betrieb einen regen Handel mit Portugal. Samuel Kellermann verfügte über mehrere Lagerhäuser und sogar über eigene Segelschiffe. Er war ein angesehener, vermögender Kaufmann und sogar Mitglied der Bürgerschaft in Hamburg. Georg war anfangs fasziniert von der quirligen Großstadt. Doch sehr bald merkte er, dass die schmalen Gassen, die Häuser, die dicht an dicht standen, und die vielen Menschen, die auf engem Raum zusammenleben mussten, nicht seine Welt war. Er liebte die Natur, Felder und Wälder, die er auf dem Rücken eines Pferdes erkunden konnte. So wie er es auf dem Gut seiner Großeltern in Mecklenburg kennengelernt hatte und wo er aufgewachsen war. Samuel Lehmann bot ihnen ein angenehmes Leben. Er zeigte sich äußerst großzügig, indem er ihnen ein eigenes Haus mit Personal zur Verfügung stellte, und auch Georg an die Hand genommen hatte, um ihm das Kaufmannsleben nahezubringen. Doch Georgs Mutter merkte sehr schnell, wie verloren sich ihr Sohn in der Großstadt vorkam. Nur mit großer Überwindung hatte sie sich an ihren Schwiegervater, den alten Götz Baron von Leonthal, gewandt. Zu sehr war ihr die Erinnerung gegenwärtig, wie sehr ihr Mann, Georgs Vater, mit seinem Bruder Leopold, dem jetzigen Gutsherrn, zerstritten war. Nicht ahnend, dass sie in der Zukunft noch mit ganz anderen Vorbehalten zu kämpfen hatten.
Auf dem Gut Leonthal wurden sie wie Bittsteller empfangen. Die neue Hausherrin verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass Georg gar nicht der leibliche Sohn ihres Schwagers Siegfried wäre, sondern ein Bastard. Gezeugt von einem Unbekannten, der die Gunst von Georgs Mutter erschlichen haben sollte. Felicitas von Leonthal, die von allen aufgrund ihrer Herkunft mit „Frau Gräfin“ angeredet werden wollte, weigerte sich vehement, Georg und seine Mutter auf dem Gut zu beherbergen. An ihrer Seite auch ihr erwachsener Sohn Tobias von Castelbüren aus erster Ehe, der in seiner ablehnenden Haltung und Gehässigkeit seiner Mutter in keiner Weise nachstand. Lediglich die Tochter Caroline verhielt sich den beiden Flüchtlingen gegenüber zurückhaltend freundlich. Erst ein Machtwort des alten Barons führte zu einer einvernehmlichen Lösung. Das Torhaus wurde Georgs Zuhause und er bekam die Aufgabe als erster Stallmeister zugewiesen.
„Paul, hast du Meister Fretwurst heute Morgen schon gesehen?“ Der Junge verneinte.
Meister Fretwurst war der stellvertretende Stallmeister. Ein altgedienter Mann, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nur noch mühsam die voll verantwortliche Aufgabe als Stallmeister erfüllen konnte. Als Georg erster Stallmeister wurde, wollte er nicht auf die langjährige Erfahrung des alten Fretwurst verzichten und hat ihn kurzerhand zu seinem Stellvertreter erklärt. Zum Zorne seines Onkels, dem Gutsherrn, doch ein Machtwort des Großvaters hatte Georgs Entscheidung legalisiert. Der alte Stallmeister war beiden ewig dankbar.
„Komm, Paul, dann schauen wir uns die beiden Ausreißer einmal genauer an“, forderte Georg den Stalljungen auf. Zügig durchschritt er den langen Gang und verließ den Marstall am Ende. Wenige Schritte zur Linken öffnete er eine Pforte zu einem weiteren Stallgebäude, den Hengststall, dem eine separate Kammer angeordnet war.
„Seit wann gehören Klepper zu unserem Bestand, Rittmeister?“
Georg fuhr herum, als er so unvermutet und barsch von hinten angesprochen wurde. Doch dann musste er lächeln. Vor ihm stand kein anderer als der Schmied des Gutes, Hannes Klingbeil. Ein Riese aus echtem Schrot und Korn. Muskelbepackt wie er war, traute man ihm ohne weiteres zu, dass er sogar seinen Amboss mit einer Hand heben könnte. So grob und wuchtig, wie er auf alle wirkte, war auch seine Ausdrucksweise. Georg mochte diesen Mann, der sich von niemandem einschüchtern ließ und jedem seine Meinung kundtat, ob er sie hören wollte oder nicht. Selbst der Baron schien den Schmied und alle seine Eigenarten zu respektieren. Wohl wissend, dass ein Gestüt ohne einen fähigen Schmied nicht funktionieren konnte.
„Meister Klingbeil. So früh schon aktiv?“
„Der frühe Wurm ..., Rittmeister. Ihr wisst doch. Aber ganz im Vertrauen, habt Ihr eine Ahnung, woher die beiden Klepper da kommen?“ Dabei zeigte der Schmied mit seinem dicken Zeigefinger auf die Kammer, in dem die beiden Schimmel standen.
„Ihr hört Euch an, Meister Klingbeil, als ob Ihr Näheres wisst.“
„Nun, ich habe mir die Viecher gestern einmal etwas genauer besehen. Das sind kranke Tiere. Die haben beide zweifelsfrei die Mauke.“
„Seid Ihr sicher?“ Georg wandte sich dem Stalljungen zu. „Paul, hol die beiden Schimmel heraus. Wir werden sie uns bei Tageslicht einmal etwas näher ansehen.“
Der Junge verschwand hinter der Stalltür und kam kurze Zeit später mit den beiden Pferden am Halfter wieder heraus. Georg hielt den ersten von ihnen fest und betrachtete die Fesseln des Tieres.
„Ihr habt recht, Meister Klingbeil. Kein Zweifel.“ Georg warf einen kurzen Blick auf das zweite Pferd und nickte. „Die Symptome sind eindeutig. Sie haben die Mauke. Und nicht erst seit gestern. Woher kommen die Viecher?“
„Das ist nicht so leicht festzustellen“, antwortete der Schmied zögerlich. „Die Brandzeichen sind nicht klar zu erkennen. Was mich nicht wundert, denn ich meine vor ein paar Tagen kurz einen alten Bekannten hinter dem Marstall gesehen zu haben, der sich intensiv mit dem Stiefsohn des Barons unterhalten hat.“
Georg horchte auf und sah den Schmied fragend an. „Einen alten Bekannten?“
„Koloschko, heißt der Dreckskerl. Dem würde ich noch nicht einmal einen verrosteten Hufnagel anvertrauen. Der bescheißt die Leute, wo er nur kann. Hat sich in seinem armseligen Leben vom betrügerischen Pferdehändler inzwischen bis zum angesehenen Abdecker hochgearbeitet.“
„Und den habt Ihr im Gespräch mit Tobias gesehen?“ Georg wollte es nicht glauben.
„Ohne Frage. Man könnte es auch ein Streitgespräch nennen.“
Georg schüttelte ungläubig den Kopf. Was steckte dahinter? Er fand keine Erklärung dafür. Die Pferde waren, unabhängig von der Krankheit, grundsätzlich nicht in einem guten Zustand.
„Was habt Ihr vor, mit den alten Zossen, Rittmeister?“ unterbrach der Schmied Georgs Gedanken.
„Wem sie auch immer gehören, sie sind krank und sie leiden. Der Abdecker wird für sie eine Erlösung sein. Ich muss jetzt zum Baron.“ Georg wandte sich an den Stalljungen. „Paul, binde die Tiere hier draußen an. Gib ihnen zu fressen und zu saufen. Dann reinigst du die Kammer. Verbrenne das Stroh und seife die Wände ab. Wenn Meister Fretwurst auftaucht, dann informierst du ihn über meine Weisungen. Hast du das verstanden?“
„Jawohl, Herr Rittmeister“. Der Junge unterstrich seine Antwort beflissen mit mehreren angedeuteten Verbeugungen.
Auf dem Weg zum Herrenhaus traf Georg auf den Gutsverwalter. Alfred Reichenberg war der Mann, der die Aufsicht über alle Bediensteten des Gutes hatte, ihre Arbeiten überwachen und die Weisungen des Gutsherrn umsetzen sollte. Es war ein ständig mürrischer Mann. Vermutlich lag es auch daran, dass bestimmte Personen, wie beispielsweise der Schmied, sich von ihm wenig sagen ließen.
„Gut, dass ich Euch treffe, Meister Reichenbach. Habt Ihr möglicherweise beobachten können, wie diese beiden kranken Pferde auf das Gut gekommen sind?“
Der Verwalter sah Georg ahnungslos an. „Kranke Pferde? Davon hab’ ich noch nichts gehört.“
„Hätte ja sein können. Vielen Dank.“
Georg setzt seinen Weg zum Herrenhaus fort. Er betrat es aber nicht über die Freitreppe und den Haupteingang, sondern steuerte die Hinterseite des Hauses an. Durch die geöffnete Küchentür hörte er bereits geschäftiges Klappern. Schmunzelnd blieb er im Eingang stehen und betrachtete die Küchenmädchen, die eifrig damit beschäftigt waren, das Frühstück vorzubereiten. Aufmerksam überwacht von den strengen Blicken der Köchin Magda, die die Mädchen nur ehrfurchtsvoll Mamsell nannten. Sie war die Seele der Gutsküche. Ausgestattet mit einer stattlichen Figur und uneingeschränkter Befehlsgewalt über ihr Reich. Ihren flinken Augen entging nicht die geringste Unregelmäßigkeit. Die Küchenmädchen reagierten auf ihren kleinsten Fingerzeig. Gleichwohl hatte sie trotz ihres robusten Auftretens das Herz auf dem rechten Fleck.
„Elsbeth, pass auf, dass die Pfannkuchen nicht wieder zu braun werden. Du weißt, die Gräfin liebt sie honigfarben. Erna, wir haben nicht genug Milch. Wo bleibt denn nur der Bengel mit dem Holz für den Kamin?“ Die Köchin hielt plötzlich inne, als sie Georg in der Küchentür entdeckte. „Herr Rittmeister, welche Freude am frühen Morgen. Tretet ein. Ihr habt sicherlich noch nichts gegessen.“ Mit wedelnden Armen scheuchte sie die Küchenmädchen vom Tisch, um Platz für den unerwarteten Gast zu schaffen.
„Bitte, nehmt Platz, Herr Rittmeister. Wir werden Euch sofort ein vernünftiges Mahl servieren. Mit Verlaub, Ihr müsst viel häufiger essen. Ihr seid viel zu mager. Woher wollt ihr denn die Kraft nehmen, die Ihr für Euer wichtiges Amt im Marstall benötigt?“
Georg ließ sich mit Dankesworten am Küchentisch nieder. Er wusste genau, dass jedes Widerwort auf taube Ohren stoßen würde. Die Köchin Magda hatte ihn vom ersten Tag an ins Herz geschlossen. Anscheinend waren auch die Küchenmädchen von dem gut aussehenden Rittmeister angetan. Seine schlanke, aber muskulöse Erscheinung, sein mittelblondes, schulterlanges Haar, das er stets als Zopf gebunden trug, und seine ebenmäßigen und doch markanten Gesichtszüge unterstrichen die Attraktivität seiner Erscheinung. Es gab kaum jemanden, der seinen aufrechten Charakter, sein freundliches Wesen und die gelegentlich aufblitzenden schelmischen Augen an ihm nicht schätzte. Ausgenommen der Hausherr mit seiner angeheirateten missgünstigen Familie.
„Was verschlägt Euch denn in so früher Stunde ins Herrenhaus, Herr Rittmeister?“ Auch wenn Magda ihr Küchenreich selten verließ, war sie über die Geschehnisse auf dem Gut stets bestens informiert. Was nicht zuletzt auch ein Ergebnis ihrer ausgeprägten Neugierde war, die sie jedoch hervorragend hinter der Kulisse mütterlicher Fürsorge zu verbergen wusste.
„Der Baron möchte mich sehen“, antwortete Georg bereitwillig, während er schmunzelnd die Küchenmädchen beobachtete, die eifrig die Weisungen der Köchin befolgten und ihm Brot, Käse, Wurst und gekochte Eier servierten.
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“ Magda ließ nicht locker.
Georg zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Möglicherweise haben ein paar im Weg liegende Pferdeäpfel die Herrschaften gestört“. Die Küchenmädchen fingen an, zu kichern. Magdas strafender Blick ließ sie augenblicklich wieder verstummen. Vorsichtig näherte sie sich Georg und beugte sich zu ihm nieder. „Ihr solltet vorsichtig sein mit solchen Äußerungen, Herr Rittmeister“, flüsterte sie. „Es gibt im Haus einige Geister, die Euch nicht unbedingt wohlgesonnen sind.“
Georg lächelte die Köchin verständnisvoll an. „Ich danke Euch von ganzem Herzen, liebe Magda. Ich weiß Eure Obhut wohl zu schätzen. Aber zu Eurer Beruhigung, es gibt in diesem Haus niemanden, der mir das Leben schwer machen kann. Dafür braucht es ganz andere Kaliber. Aber trotzdem nochmals Dank für Euren gut gemeinten Rat.“
Nachdem Georg sein Frühstück in der Gutsküche genossen hatte, begab er sich über den Dienstbotenaufgang nach oben. In dem großzügig angelegten und repräsentativen Foyer verweilte er einen Augenblick. An den Wänden bis hoch zur Empore waren die Ahnen derer von Leonthal versammelt. Aus großen, mit dekorativen goldverzierten Rahmen versehenen Gemälden schienen sie jeden Betrachter kritisch zu mustern. Vor einem Bild blieb Georg stehen. Es zeigte einen gut aussehenden Mann in einem Reitanzug, der sich von den anderen Figuren auf ganz dezente Weise unterschied. Man musste schon genau hinsehen, um dieses Detail zu erkennen. Während alle Personen der Ahnenreihe, männlichen oder weiblichen Geschlechts, bedeutungsvoll und ernst dreinblickten, schienen die Lippen dieses Mannes ein spöttisches Lächeln zu umspielen. Georg meinte sogar, diesen Ausdruck in den Augen des Mannes ablesen zu können. „Siegfried von Leonthal 1580-1616“ stand unten auf dem Bilderrahmen. Es war Georgs Vater.
„Darf ich erfahren, auf welche dubiose Weise Ihr in das Herrenhaus eingedrungen seid?“, wurde Georg aus seinen Gedanken gerissen. Vor ihm stand Hektor. Ein spindeldürrer Mann mit Hakennase, dessen Überheblichkeit förmlich aus allen Knopflöchern sprang. Er war im Windschatten der Gräfin auf Leonthal gelandet, als diese den Baron geheiratet hatte. Und von ihr zum Haushofmeister des Gutes erklärt worden. Wie die Köchin Magda zu berichten wusste, betonte er bereits in den ersten Tagen seiner Ankunft, dass er bisher nur Herzögen und Fürsten gedient hätte und er folglich von allen Dienstboten des Hauses entsprechenden Respekt erwarten würde. Die Feindschaft von Magda war ihm damit sicher. Unter den anderen Dienstboten im Gut hatte er keine Freunde. Auch Georg mochte den aufgeblasenen Gutsdiener nicht.
„Kann es sein, dass Ihr in Eurem Amt überfordert seid oder diesem womöglich nicht gewissenhaft nachkommt, Hektor? Wenn Ihr noch nicht einmal wisst, wer im Herrenhaus ein und aus geht?“ Georg musterte den Gutsdiener mit betont kritischer Miene.
„Ihr erdreistet Euch, meine Kompetenz infrage zu stellen?“, entrüstete sich der Maßgeregelte. Mit einer solchen Antwort schien er nicht gerechnet zu haben.
„In keiner Weise, verehrter Hektor. Kompetenz ist ein hohes Gut. Infrage stellen kann man es somit nur bei einer Person, die eine solche auch besitzt.“ Bevor der Gutsdiener sich erneut empören konnte, waren Schritte zu hören. Georg drehte sich um. Götz von Leonthal, der alte Baron, trat auf sie zu. Er ging ein wenig schwerfällig und stützte sich auf einen Spazierstock mit Silberknauf.
„Georg, welch Glanz am frühen Morgen in unserer betrübten Hütte. Was führt dich her?“ Mit einer Kopfbewegung wandte er sich dem Gutsdiener zu. „Ihr habt sicherlich etwas anderes zu tun, als meinen Enkel zu belästigen. Oder irre ich mich da?“ Gleichzeitig wedelte der Baron mit der Linken, als wollte er lästige Fliegen verscheuchen. Wie es schien, hatte er Teile von dem Wortwechsel zwischen Georg und dem Diener mitbekommen.
„Eine penetrant lästige Kreatur“, bemerkte der alte Baron, nachdem der Gutsdiener ohne ein Wort mit beleidigter Miene davongezogen war. „Nun, mein Junge, was führt dich her?“
„Der Onkel hat Sehnsucht nach mir“.
Baron von Leonthal runzelte die Stirn. „Gibt es dafür einen plausiblen Grund?“
„Sicherlich, nur er ist mir bisher nicht bekannt, Großvater.“
„Na, dann wollen wir einmal sehen, was deinen Onkel denn schon am frühen Morgen so beunruhigt, dass er seinen Stallmeister einbestellt. Ich bin gespannt.“
Gemeinsam betraten sie den Raum, den sich Leopold von Leonthal zu seinem Arbeitszimmer auserkoren hatte, nachdem er die Leitung des Gutes übernommen hatte. Es war eigentlich die Bibliothek des Herrenhauses. Georg verstand es nicht, wie man einen solchen gemütlichen Raum mit seinen bis an die Decke reichenden Bücherregalen, einem Kamin und großen Fenstern, die einen weiten Blick auf den angrenzenden Park erlaubten, mit einem protzigen Schreibtisch verunzieren konnte.
Leopold Baron von Leonthal schrak auf, als die Tür zur Bibliothek so unvermutet geöffnet wurde. Mit offenem Mund starrte er die beiden Eindringlinge an.
„Was soll das?“, fing er an zu stottern, als er seinen Vater und Georg erblickte.
„Du hattest Georg zitiert. Hier ist er. Und da es mich auch interessiert, weshalb du deinen Stallmeister so früh am Morgen sehen möchtest, bin ich gleich mitgekommen.“ Ohne eine Antwort seines Sohnes abzuwarten, ging der alte Baron auf einen Lehnstuhl zu und setzte sich.
„Vater, ich glaube nicht, dass Eure Anwesenheit vonnöten ist, wenn ich Gutsinterna mit Georg besprechen muss.“ Leopold von Leonthal schien sich von der ersten Überraschung erholt zu haben.
Der alte Baron hob seinen Spazierstock. „Du scheinst etwas Elementares vergessen zu haben, mein Sohn. Dieses Gut gehört mir. Du hast nur das von mir gnädig gewährte Privileg, dich um das Gut kümmern zu dürfen. Und was wolltest du nun von Georg?“
Der Gutsherr wandte sich seinem Stallmeister zu, der immer noch vor dem Schreibtisch stand. „Mir wurde berichtet, dass eine große Gefahr in Form einer Pferdekrankheit für den gesamten Bestand unseres Gestüts besteht, da du unbedacht infizierte Pferde im Marstall duldest.“
Georg holte tief Luft. „Richtig ist, verehrter Onkel, dass auf unerklärliche Weise gestern zwei kranke Klepper vor dem Marstall angebunden waren. Sie wurden sofort isoliert. Eine Infektion der anderen Pferde ist kaum möglich.“
„Ich muss also feststellen, dass du nicht weißt, was in meinem Marstall vor sich geht. Und außerdem verbiete ich dir die vertraute Anrede Onkel, solange deine wahre Identität bislang nicht geklärt ist..."
„Leopold, jetzt reicht es aber“, unterbrach der alte Baron seinen Sohn. Er klopfte dabei mit dem Spazierstock energisch auf den Boden. „Es genügt, wenn dein verschrobenes Eheweib solche Gerüchte in die Welt setzt. Niemand hat das Recht, meinen Enkel zu beleidigen, auch du nicht.“
Leopold von Leonthal funkelte seinen Vater wütend an, ging aber auf dessen Vorwurf nicht ein.
„Gibt es irgendeinen Hinweis, woher die kranken Tiere kommen?“, wandte sich der alte Baron Georg zu.
„Nichts Konkretes, Großvater.“ Georg wählte ganz bewusst die Anrede, wohl wissend, wie sehr sein Onkel dieses missbilligte. „Allerdings soll sich vor ein paar Tagen ein dubioser Pferdehändler auf dem Gut herumgetrieben haben.“
„Und du meinst, der ist dafür verantwortlich, dass diese beiden Klepper plötzlich hier aufgetaucht sind? Wie glaubhaft ist das denn?“ Leopold von Leonthal schüttelte den Kopf.
„Die Frage ist doch wohl, was sollte diese ganze Aktion bezwecken?“, meldete sich Götz von Leonthal, der alte Baron, wieder zu Wort „Wie es aussieht, wollte jemand, dem Gut Schaden zufügen. Welches Interesse sollte dieser eigenartige Pferdehändler haben, uns zwei kranke Tiere unterzuschieben? Es sei denn, er hat einen Auftraggeber, der damit ein ganz besonderes Ziel verfolgt.“
„Vater, was sind das denn für fantastische Abenteuergeschichten. Entscheidend ist doch, dass Georg den Marstall nicht im Griff hat ...“
„Unterbrich mich nicht, Leopold“, fuhr der alte Baron seinen Sohn an. „Möglicherweise galt dieses Attentat gar nicht dem Gut, sondern sollte nur eine Person in Misskredit bringen, nämlich Georg.“
„Das ist doch lächerlich, Vater. Wer sollte das denn sein?“
„Nun, kurioserweise fällt mir da nicht nur ein Name ein“, entgegnete der alte Baron schmunzelnd „Aber vielleicht kann dein Stiefsohn Tobias diese ganze Scharade aufklären. Fragen wir ihn doch einmal.“
„Vater, jetzt übertreibt Ihr aber ...“
„Mich würde schon interessieren, mein Sohn, von wem du deine Informationen über die kranken Pferde erhalten hast. Und wieso du, ohne Georg gehört zu haben, bereits in ihm den Schuldigen siehst?“
„Nun gut, Ihr lasst ja ohnehin keine Ruhe“, resignierte der Gutsherr und läutete mit einer kleinen Glocke. Kurz darauf klopfte es und der Gutsdiener Hektor trat ein.
„Hektor, ist mein Stiefsohn Tobias im Haus?“
„Sehr wohl, Herr Baron. Er nimmt gerade das Frühstück mit Eurer werten Frau Gemahlin ein.“
„Ich muss ihn unverzüglich sprechen.“
„Sehr wohl, Herr Baron“.
„Es wird noch eine Weile dauern, bis sich der junge Herr von seinem Frühstück lösen kann, nehme ich an“, bemerkte der alte Baron lächelnd. Dabei klopfte er auf einen Stuhl neben sich und signalisierte Georg damit, dass er sich setzen sollte. Leopold von Leonthal widmete sich wieder seinen Unterlagen auf dem Schreibtisch.
„Mache dir keine Sorgen, Georg. Es wird sich alles aufklären“, flüsterte der alte Baron Georg zu.
„Ich bin mir keiner Schuld bewusst, Großvater. Nur zu Eurer Information, der windige Pferdehändler heißt Koloschko. Unser Schmied Klingbeil kennt ihn und er hat ihn zufällig im vertrauten Gespräch mit Tobias beobachtet. Und noch eins. Die Pferde haben nichts anderes als die Mauke.“, antwortete Georg ebenso leise.
Der alte Baron nickte nur, weil in diesem Augenblick die Tür zur Bibliothek mit Vehemenz aufgerissen wurde und Felicitas von Leonthal, die alle nur die Gräfin nannten, hereinrauschte. In ihrem Schlepptau ihr Sohn Tobias.
„Kannst du mir einmal verraten, was diese Hysterie am frühen Morgen soll, Leopold?“ Verwundert sah die Gräfin die anderen Anwesenden an, mit denen sie offensichtlich nicht gerechnet hatte.
Bevor der so heftig Angesprochene reagieren konnte, hob der alte Baron die Hand. „Auch wir wünschen Euch, verehrte Schwiegertochter, einen guten Morgen. Doch zu Eurer Beruhigung, es geht einmal nicht um Euer wertes Wohl. Wir wollen nur mit Eurem Sprössling ein paar Worte wechseln.“
„Was soll das bedeuten? Ist das hier ein Tribunal?“ Die Gräfin ließ sich nicht beruhigen.
„Wie immer Ihr es auch sehen wollt. Setzt Euch bitte und lasst uns unsere Arbeit machen“, wies der alte Baron seine Schwiegertochter unmissverständlich an.
„Leopold, sag doch auch einmal etwas dazu“, wandte sie sich ihrem Gatten zu.
„Wie schon Vater sagt, wir möchten nur mit Tobias sprechen. Ich wäre dir dankbar, wenn du es uns jetzt ermöglichst“, bat der Gutsherr mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck.
Die Gräfin warf ihren Kopf in den Nacken, drehte sich um und setzte sich kerzengerade auf die vordere Kante eines Stuhls. Georg hatte den Eindruck, dass sie dort wie ein auf seine Beute lauernden Raubvogel saß. Er konnte ohnehin nicht nachvollziehen, weshalb sein Onkel diese unattraktive Person mit ihren beiden erwachsenen Kindern geheiratet hatte. Er musste bei Gelegenheit doch einmal die Köchin Magda aushorchen. Felicitas von Leonthal, verwitwete Gräfin von Castelbüren, geborene von Seckenstatt, war eine Frau, der jeglicher Liebreiz abging. Sie verfügte über keinerlei weibliche Rundungen. Ihre hagere Erscheinung wurde noch durch ein längliches, schmales Gesicht unterstrichen. Sie ging stets sehr aufrecht und reckte dabei das wenig ausgeprägte Kinn nach vorn. Eine Position, die vermutlich den Ausdruck herrschaftlicher Überlegenheit suggerieren sollte, Georg aber eher an einen stolzierenden Reiher erinnerte.
„Tobias, ich möchte dich beglückwünschen, da du jetzt auch dein Interesse an der Pferdezucht bekundest hast“, wandte sich der alte Baron an den Sohn der Gräfin. Leopold von Leonthal sah seinen Vater irritiert an, schwieg aber. Auch Georg wunderte sich im ersten Augenblick über die Wortwahl seines Großvaters.
Tobias starrte den alten Baron erschrocken an. „Ich weiß nicht, was Ihr meint?“
„Hast du es denn schon vergessen? Ich soll dir schöne Grüße vom Pferdehändler Koloschko bestellen“, fuhr der Baron fort.
Tobias trat von einem Bein auf das andere. „Ich kenne keinen Pferdehändler Kolosskopf oder wie der auch heißen mag.“
„Nun, das wundert mich aber. Denn immerhin hast du erst kürzlich zwei Pferde von ihm gekauft. Doch wie es scheint, war er mit dem Kaufpreis nicht ganz einverstanden. Denn er bat mich, dir auszurichten, dass du ihm noch 20 Taler schuldest.“
Dem Sohn der Gräfin wich jede Farbe aus dem Gesicht. „Ich muss mir diesen Mist nicht anhören. Hat der da mich denunziert? Das würde gut zu ihm passen.“ Damit zeigte er mit dem Finger auf Georg.
„Tobias, mäßige dich“, schaltete sich jetzt der Gutsherr ein. „Mein Vater hat dir eindeutige Fragen gestellt. Wir erwarten von dir entsprechende Antworten.“
„Ich muss auf gar nichts antworten. Ich habe es nicht nötig, mich zu den Anschuldigungen eines dahergelaufenen Bastards zu rechtfertigen.“
„Schluss jetzt!“, fuhr der alte Baron dazwischen. „Was bildest du dir eigentlich ein? Wer bist du, dass du hier so ein selbstgefälliges Wort führen kannst? Sei einmal im Leben ein Mann und steh zu dem, was du angerichtet hast.“
„Was soll diese ganze Farce?“, begehrte die Gräfin jetzt auf, als sie sah, in welcher unangenehmen Situation ihr Sohn sich befand.
„Da wir davon ausgehen müssen, dass Euer ehrenwerter Herr Sohn uns nicht die Wahrheit sagen wird, werde ich Euch aufklären. Im Marstall wurden gestern zwei kranke Pferde abgestellt. Offensichtlich mit dem Ziel, die anderen Tiere zu infizieren und somit den Stallmeister zu kompromittieren. Nun setzt ein solch hinterhältiges Vorhaben allerdings auch eine gewisse Kenntnis über Pferde und ihre Krankheiten voraus. Von einem schlitzohrigen Pferdehändler kann man das erwarten, von einem blauäugigen dummen Jungen allerdings nicht. Nur zu deiner Information, Tobias, Mauke ist zwar eine Pferdekrankheit, ansteckend für andere Tiere ist sie allerdings nicht. Kurzum, du hast dich von Koloschko über den Tisch ziehen lassen. Einfach nur erbärmlich.“
Der alte Baron stand auf und ging auf Tobias zu. Der schritt erschrocken zurück, als dieser seinen Spazierstock hob. „Du hast Schande über die Familie gebracht und einmal mehr deinen wahren Charakter gezeigt. Eine solche Geisteshaltung kennt das Haus derer von Leonthal nicht. Geh mir aus den Augen, du Wurm!“
Felicitas von Leonthal sprang auf. „Ihr werdet Euch entschuldigen, Baron. Beleidigungen dulde ich nicht ..."
Der alte Baron unterbrach die Bemerkung der Gräfin mit einer einfachen Handbewegung. „Hättet Ihr Euch zeitgerecht um die angemessene Erziehung Eurer Brut gekümmert, müssten wir uns heute nicht mit solchen Widerwärtigkeiten beschäftigen. Hier ist alles gesagt. Georg, würdest du mich bitte begleiten?“
Dann drehte er sich um und verließ mit erhobenem Haupt die Bibliothek, ohne die anderen Personen eines Blickes zu würdigen. Georg folgte ihm eilig.
Auf dem Weg über den Gutshof verloren beide kein Wort. Erst als sie den Marstall erreicht hatten, wandte sich der alte Baron Georg zu. „Lass uns einen Augenblick die wärmenden Sonnenstrahlen genießen.“ Damit setzte sich der Baron auf einen Strohballen und lehnte sich entspannt an die Stallwand.
„Wie wäre es mit einem erfrischenden Trunk, Großvater?“
„Eine hervorragende Idee, mein Junge.“
Georg setzte sich ebenfalls und pfiff anschließend auf zwei Fingern.
Es dauerte keine Minute, als ein Stalljunge um die Ecke gerannt kam. Kaum hatte er Georg und den Baron entdeckt, blieb er stehen und riss seine Kappe vom Kopf.
„Jacob, bring dem Baron und mir zwei Becher Brunnenwasser. Aber verschütte nicht wieder die Hälfte.“
„Jawohl, Herr Rittmeister. Kommt sofort.“ Er deutete noch eine Verbeugung an und eilte wieder davon.
„Du hast deine Jungs gut im Griff“, bemerkte der Baron anerkennend.
Georg lachte. „Es ist wie mit jungen Fohlen, Großvater. Sie brauchen anfangs eine führende und strenge Hand, wenn aus ihnen später zuverlässige Kreaturen werden sollen.“
„Wohl wahr, mein Junge. Es tut mir leid, dass dieser Morgen für dich so unerfreulich begonnen hat“, wechselte der Baron das Thema. „Ich wollte ohnehin mit dir sprechen.“
Georg sah seinen Großvater erwartungsvoll von der Seite an.
„Du sollst wissen, dass deine Mutter und du auf Leonthal herzlich willkommen sind. Auch wenn das für euch in den letzten Monaten nicht immer deutlich geworden ist. Der Grund, weshalb ich euch im Torhaus einquartiert habe, diente in erster Linie dem allgemeinen Gutsfrieden. Hätten wir alle unter einem Dach im Herrenhaus gelebt, dann hätten wir Auseinandersetzungen wie die heute Morgen täglich erleben müssen.“
Der Baron unterbrach sich, als Jacob mit zwei Zinnkrügen in der Hand um die Ecke kam.
Georg nahm dem Jungen die beiden Krüge ab und überreichte einen davon seinem Großvater. Beide tranken und lobten das erfrischende Nass.
Derweil stand Jacob vor ihnen und beobachtet die beiden Männer neugierig.
„Was ist, Jacob, hast du nichts zu tun?“, fuhr Georg den Jungen an.
„Entschuldigung, Herr Rittmeister. Aber Meister Fretwurst hat gesagt, ich soll Euch sagen, dass der Abdecker heute Mittag kommt, wegen die kranken Pferde.“
Georg musste schmunzeln. „Ist gut, Jacob. Aber es heißt richtig wegen der kranken Pferde. Und nun hau ab.“
Georg wandte sich wieder seinem Großvater zu. „Mutter und ich sind Euch sehr verbunden für Eure rücksichtsvolle Fürsorge, Großvater. Wir haben uns im Torhaus gut eingerichtet. Allerdings ist Mutter sehr betrübt, dass Onkel Leopold und allen voran sein garstiges Eheweib ihr das Leben so schwer machen. Auch wenn ihr Stolz es nicht zulässt, es nach außen zu zeigen, aber sie ist zutiefst verletzt, dass die Gräfin sie auf das Niveau einer Dirne reduziert und mich zum Bastard erklärt.“
Der alte Baron legte versöhnlich die Hand auf Georgs Arm. „Das verstehen ich sehr gut. Aber du kannst ganz sicher sein, dass ich hinsichtlich deiner Abstammung keinen Zweifel hege. Du hast deinen Vater bedauerlicherweise nie kennengelernt, aber glaube mir, deine Ähnlichkeit mit ihm ist unverwechselbar. Ich erkenne immer mehr Wesenszüge an dir, die ich auch bei deinem Vater sehr geschätzt habe. Und eines versichere ich dir, solange ich lebe, werde ich meine schützende Hand über dich und deine Mutter halten. Es ist nur eine Sache der Zeit, dann wird sich schon alles regeln.“
„Hast du eine Erklärung dafür, weshalb die Gräfin einen solchen Hass auf Mutter und mich hat?“
Der Baron sah seinen Enkel von der Seite an. „Nun, das ist ganz offensichtlich, mein Junge. Sie hat Leopold geheiratet, um das Feld für ihre Nachkommen zu bestellen. Ihr Ziel, Tobias erbt das Gut und Caroline wird mit reichlicher Aussteuer verheiratet. Und jetzt tauchst du als erbberechtigtes Familienmitglied auf und zerstörst ihre Pläne.“
Das Grün der weitläufigen Wiesen vor der Stadt, auf denen noch vor einigen Tagen die Kühe weideten, hatte seine Farbe gewandelt. Vergessen waren die ländliche Idylle und der beschauliche Blick über die Hügel. Ein unendliches Meer von grauen Leinwänden erstreckte sich über die weite Fläche und endete im Nirgendwo. Kein Vogelgezwitscher war mehr zu hören, abgelöst durch Hundegebell, zeitweise lautes Lachen und einem ständigen Summen und Brummen. Der eigentümliche Choral eines mächtigen Heerlagers.
„Ich habe die Schnauze voll. Wir müssen diese Sauerei doch nicht einfach so hinnehmen.“ Um das Lagerfeuer zwischen den Zelten saßen rund zehn schwedische Soldaten zusammen. Erhitzte Gemüter. Vom Schnaps gerötete Gesichter.
Ein Kerl mit einer auffälligen Narbe auf der rechten Wange, der bisher mit einem Stock teilnahmslos im Feuer herumgestochert hatte, hob den Kopf. „Was willst du denn machen, Karlsson, du Klugscheißer? Zu den Offizieren gehen und denen eins vors Maul hauen? Damit haben wir immer noch keinen Sold. Da müssen ganz andere Geschütze aufgefahren werden.“
„Der Sergeant hat recht. Sieh sie dir doch an, die hohen Herrn mit den Federn am Hut. Die lassen sich es doch weiter gut gehen. Leben in Saus und Braus. Bekommen jeden Tag gebratene Hühner, Rehrücken und Schweinshaxen serviert, während sie für uns nur dünne Kohlsuppe haben. Wir können uns das nicht länger gefallen lassen“, meldete sich ein Dritter zu Wort, den die anderen Hartung riefen.
„Hast du denn eine Idee, Sergeant?“, fragte der Soldat, den er zuvor Karlsson genannt hatte.
Der stocherte weiter im Feuer herum. „Zunächst müssen wir sicher sein, dass weitaus mehr, als nur wir davon überzeugt sind, dass es an der Zeit ist, den hohen Herren einmal kräftig den Marsch zu blasen. Die Offiziere müssen wissen, dass es ohne uns nicht weitergeht. Was wollen sie machen, wenn wir uns weigern, zu kämpfen?“
„Wir wissen doch ohnehin nicht, gegen wen wir kämpfen sollen. Seit Wochen liegen wir hier im Mecklenburgischen im Brei. Die Offiziere hüllen sich in Schweigen oder wissen selbst nicht, wie es weitergehen soll“, murrte ein Soldat, den sie nur Trommel nannten, da er zu den Feldtrommlern gehörte.
„Es soll gegen die Dänen gehen“, brummte der Sergeant vor sich hin.
„Woher willst du das denn wissen? Das sind doch alles nur Latrinenparolen“, warf der Soldat Karlsson ein.
„Marietta hat es bei den Offizieren aufgeschnappt“, antwortetet der Sergeant.
„Marietta, ich lache mich tot. Der alten Hure glaubst du ein Wort? Die lügt doch, wenn sie nur das Maul aufmacht“, amüsierte sich Karlsson.
Der Sergeant warf seinen Stock, mit dem er im Feuer gestochert hatte, in die Flammen, sprang auf und stand nach drei schnellen Schritten vor Karlsson. Mit einem kurzen Griff packte er ihn am Kragen und riss ihn auf die Beine. „Ich weiß nicht, welches Problem du mit Marietta hast, Karlsson? Aber solange du deine Geilheit regelmäßig bei den Huren des Trosses abreagierst, spricht in meiner Gegenwart nie wieder jemand schlecht über die Frauen. Die machen genauso wie jeder aufrechte Soldat ihre Arbeit. Ist das klar, du Hornochse?“
Karlsson hob entwaffnend die Hände. „Ist ja gut, Sergeant. Ich wusste ja nicht, dass Marietta unter deinem speziellen Schutz steht.“
Der Sergeant holte mit der Rechten aus und verpasste dem Soldaten einen heftigen Faustschlag mitten ins Gesicht. Der taumelte rückwärts und wäre um ein Haar ins Feuer gefallen, wenn nicht andere Soldaten ihn aufgefangen und auf den Boden gelegt hätten.
Der Sergeant setzte sich wieder, als wäre nichts gewesen.
„Karlsson ist auf die Huren nicht ganz so gut zu sprechen, weil er sich letztens wieder die Pfeife verbogen hat“, bemerkte Hartung grinsend.
„Das ist nicht mein Problem, wenn er so blöd ist, sich immer nur die billigen Weiber aussucht und sich regelmäßig einen Tripper holt“, grunzte der Sergeant abfällig. Karlsson bekam von dem Gespräch nichts mit. Er war nach dem Schlag des Sergeanten immer noch bewusstlos. Seine Nase hingegen hatte ihre bisherige Geradlinigkeit verlassen und zeigte einen deutlichen Knick nach rechts an.
Sergeant Karl Kohlhaas war, wie die meisten seiner Kameraden, ein Söldner. Er hatte noch vor drei Jahren an der Grenze zum Lauenburgischen als Förster gearbeitet. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Zu allem Übel war sein Vorgesetzter, der Forstmeister, ein Säufer. Er bezahlte seine Leute schlecht und war korrupt. In seinem Rausch prügelte er Mensch wie Tier. Seine Frau, eine Matrone, kümmerte sich lieber um ihr leibliches Wohl, als die Arbeiter gut zu versorgen. Als Kohlhaas von dem Forstmeister bei dem Grafen denunziert und ihm Unterschlagungen unterstellt wurden, um von eigenen Verbrechen abzulenken, verließ Kohlhaas die Försterei über Nacht. Die Werber der schwedischen Armee, die er wenig später in einem Nachbardorf traf, waren ihm da sehr willkommen. Ihr Angebot klang zwar nicht verlockend. Sechs Taler im Monat würden sie ihm bezahlen. Die Ausrüstung wurde ihm gestellt. Eine Muskete und einen Säbel. Außerdem garantierte man ihm regelmäßige Kost. Inzwischen hatte Kohlhaas an mehreren Schlachten teilgenommen und sich als erbarmungsloser Kämpfer ausgezeichnet. Was ihm letztlich auch die Beförderung zum Sergeanten eingebracht hatte. Seine Männer, die er befahl, gehorchten und folgten ihm, da er auch keine Mühe hatte, in militärischen Kategorien zu denken und die Befehle seiner Vorgesetzten zielgerichtet umzusetzen. Und sollte tatsächlich einer einmal aufbegehren, wie der aufsässige Karlsson eben, dann wusste er ganz genau, welche Sprache solche Kreaturen verstanden. Auch wenn Karlsson grundsätzlich recht hatte. In der Truppe gärte es. Und es war nicht nur der ausbleibende Sold, der die Soldaten meutern ließ. Die Verpflegung war immer schlechter geworden und wurde nur unregelmäßig ausgegeben. Auch der Nachschub an Munition und Ausrüstung stockte immer mehr. Doch auch Kohlhaas wusste nicht, wie er das Dilemma ändern sollte. Seinem Hauptmann gegenüber hatte er in der Vergangenheit nicht nur einmal entsprechende Bemerkungen gemacht. Doch der hatte ihn stets barsch abgewiesen und gesagt, er sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Kohlhaas konnte auch nicht verhindern, dass seine Männer regelmäßig übers Land zogen und Bauernhöfe überfielen. Auf irgendeine Weise mussten sie sich ja verpflegen. Auch wenn in der Armee das Plündern offiziell unter Strafe stand, kümmerte sich darum niemand. Jeder war sich selbst der Nächste.
Ein kräftiger Schulterstoß ließ den Sergeanten aus seinen Gedanken aufschrecken.
„Sergeant, der Hauptmann will dich sehen.“
Kohlhaas rappelte sich auf. „Was will der denn schon wieder?“
„Vielleicht braucht er jemand, der seinen Arsch putzt“, kam es aus den Reihen der Soldaten.
Der Sergeant fuhr herum. „Seid vorsichtig, Männer, wenn es euch nicht wie Karlsson ergehen soll.“
Der Weg zum Zelt seines Hauptmanns war nicht weit.
„Wo bleibst du denn, Kohlhaas? Brauchst du noch eine schriftliche Einladung?“ Der Sergeant hatte keine andere Begrüßung erwartet. Hauptmann Bengtsson war ein alter Gnatterkopf, der stets mit mürrischer Miene herumlief und dem noch nie ein freundliches Wort über die Lippen gekommen war.
Doch Kohlhaas ließ sich von ihm nicht einschüchtern. „Wo brennt es denn, Hauptmann? Was kann ich für Euch tun?“
Der Hauptmann trat ein paar Schritte auf den Sergeanten zu, sodass er keinen Meter mehr vor ihm stand. „Glaubst du, Kohlhaas, dass du nur für ein paar Minuten einmal dein vorlautes Maul zügeln kannst?“
Kohlhaas grinste seinen Vorgesetzten an „Wenn Ihr Euch dann besser fühlt, Hauptmann, werde ich mich bemühen. Aber das ist doch wohl nicht der Grund, weshalb ihr mich her befohlen habt, oder?“
Hauptmann Bengtsson schüttelte resignierend den Kopf. „Jetzt hör genau zu, Kohlhaas. Der General hat die Absicht, uns zu sehen. Ich war so leichtsinnig und habe ihm von deinen Ortskenntnissen und deinen Fähigkeiten berichtet. Wie es scheint, hat er einen speziellen Auftrag für dich. Blamiere mich nicht.“
Der Sergeant hob skeptisch die linke Augenbraue. „Ihr wollt mich aber jetzt nicht auf den Arm nehmen, Hauptmann? Humor war doch bisher nicht Eure Stärke. Ihr meint allen Ernstes, dass der General den Sergeanten Karl Kohlhaas sehen will?“
„Kohlhaas, du bringst mich noch um. Schluss jetzt mit der Diskussion. Der General wartet nicht gerne. Abmarsch.“