Pennerbrenner - Thomas Reich - E-Book

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Thomas Reich

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Beschreibung

Der boniverwöhnte Banker Justus Wohlleben wurde als Kind von Obdachlosen gequält. Grausam erlegt er Pimmel-Willy und seine getreue Rattenschar. Was nicht verbrennt, dem tritt er den Schädel mit dem Stiefel aus. Wie weit würdest du gehen, um deine Bedürfnisse zu stillen? Wie weit für Liebe? Wie weit für Hass? Wie weit für einen Schluck Branntwein? Justus Seele ist zerbrochen seit dem Tag seiner gewaltsamen Entjungferung. Mit dem Flammenwerfer jagt er die Penner aus ihren Nachtquartieren. Der einsame Gipfel des Raubtierkapitalismus kennt nur eine Währung: Angebot und Nachfrage. DÄMMERSCHOPPEN Ein normaler Mensch mit einem Funken Empfinden hätte Mitleid gespürt im Angesicht des nahenden Todes einer Kreatur, oder sich wenigstens geekelt anhand der kaum wiederzugebenden Geräusche. Wichtel erstickte jämmerlich. Was einmal einmal ein Mann gewesen war, brannte aus dem Rachen wie ein defektes Feuerzeug vor der Explosion. Detonationen in seinem Brustkorb kündigten das Ende der Lungen an. Seine Ballons platzten wie festgefressene Kolben unter der Motorhaube. Wichtels Parka riss an der Nahtstelle auf. Braunes Lungengewebe hing in Streifen seinen Bauch hinab. Und noch immer atmete er auf dem verbliebenen Restklumpen. Flammen loderten aus seinem Brustkorb. Blut wurde gebraten, und flockte in schwarzen Brocken aus. Dann erreichte das Glas seinen Siedepunkt von eintausendfünfhundert Grad, und brannte ihm das Rückgrat unter dem Kinn durch. Sofort hörte der Hampelmann auf zu zappeln, als hätte man ihm die Drähte gekappt. Und das kam der Realität erschreckend nah. Die Querschnittslähmung trat ein durch das Ausbrennen der Wirbel zwischen C3 und C4. Der verbindende Gallertkörper begann zu kochen, und platzte. Dadurch verlor die Halslordose ihre Stabilität, und krachte in sich zusammen wie ein Gebirge ohne Permafrost. Die letzten Reste grüner Vegetation gingen mit einer Schuttlawine zu Tal, und begruben ein Rudel Gemsen in einer Gemengelage aus abgebrochenem Fels und zermalmten Knochen. Ein Schokosoufflé konnte kaum schneller zusammenbrechen, wenn man die Ofentür verfrüht öffnete. Justus Wohlleben stand vor einem brennenden Leichnam. Im Klassenkampf gewinnt die Oberschicht. Der einfache Mann von der Straße kann dieses Spiel nur verlieren. Wie weit würdest du gehen für eine Flasche Branntwein? Bis in den Tod. Flüssiges Glas sickerte ins Erdreich, und verband sich mit den Kieselsteinen. Der Kopf verlor die letzte neurale Schnittstelle mit seinem Körper, und kullerte zur Seite. Wichtel streckte ihm die Zunge heraus. Sie war gebraten wie ein Steak.

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Thomas Reich

Pennerbrenner

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Pennerbrenner

Pennerbrenner

 

 

 

 

Thomas Reich

 

Text 2017 © von Thomas Reich

 

Coverphoto ©

 

https://www.deviantart.com/chiaralily9/art/Burning-Man-729634242

 

basierend auf:

https://twilitesmuse.deviantart.com/art/Dead-Body-331961203

https://burtn.deviantart.com/art/The-Frozen-Swamp-42460592

https://plaidred.deviantart.com/art/Fire-7-191964924

https://www.deviantart.com/annamae22/art/Smoke-Bomb-Smoke-Stock-0114-Smoking-Can-on-Fire-2-704994908

https://www.deviantart.com/s1088/art/Free-PS-Grass-Brushes-299572116

 

mit Änderungen

 

Impressum: Thomas Reich

Bachenstr. 14

78054 Villingen-Schwenningen

Über das Buch:

 

Der boniverwöhnte Banker Justus Wohlleben wurde als Kind von Obdachlosen gequält. Grausam erlegt er Pimmel-Willy und seine getreue Rattenschar. Was nicht verbrennt, dem tritt er den Schädel mit dem Stiefel aus. Wie weit würdest du gehen, um deine Bedürfnisse zu stillen? Wie weit für Liebe? Wie weit für Hass? Wie weit für einen Schluck Branntwein? Justus Seele ist zerbrochen seit dem Tag seiner gewaltsamen Entjungferung. Mit dem Flammenwerfer jagt er die Penner aus ihren Nachtquartieren. Der einsame Gipfel des Raubtierkapitalismus kennt nur eine Währung: Angebot und Nachfrage.

Die Unterführung

Der Beton war rissig und alt. Lieber sanierte man den prestigeträchtigen Bahnhofsvorplatz, als seine Unterführung. Was hier unten geschah, blieb in den Katakomben. Ganz egal, ob jemand mit einer Glasscherbe abgestochen wurde, im bunten Sturzbach kotzte, oder brannte wie eine benzingetränkte Fackel. Das Sonnenlicht reichte nie bis ins Innere der Unterführung. Karge Büschel uringetränkter Vegetation stemmten sich gegen die unwirtliche Umgebung, und brachten etwas grüne Stimmung in die Bude. Trotzdem blieb es ein im Winter zugiger Durchgang, dessen einzige Qualitäten darin bestanden, die Obdachlosen vor peinlichen Blicken zu schützen. Unheilvolle Graffiti überzogen die Wände wie Höhlenmalerei. Jeden Tag gingen sie mit ihren Betteltassen auf die Jagd nach silbern klingenden Münzen, die sie im nahen Supermarkt in Alkohol und Zigaretten umsetzten. Mittags dann eine scharfe Bohnensuppe über dem Feuer, von der sie so richtig furzen mussten. Dazu gab es Toastbrot, welches sie ungeniert mit dicken Wurstfingern aus der Packung grabbelten. Zur schwarzbraunen Kruste unter ihren Fingernägeln gesellten sich aromatische Krümel hinzu. Was im struppigen Bart hängenblieb, diente als Nahrung für die Vogelbrut, oder als willkommener Nachtisch. Jede Kalorie war recht, den Kater und das Schädelweh zu bekämpfen. Vorräte legten sie keine an. Ihr Schlafsack schützte sie vor kalten Nächten, und zur Körperhygiene kam es fast jede Woche im Männerwohnheim. Gerne hätten sie dort auch geschlafen, in einem richtigen Bett. Aber die beknackten Christenmenschen bestanden auf nächtliche Nüchternheit. Kein Gegröle, keine Schlägereien, und Vergewaltigungen schon gar nicht. Einfach nichts gönnten sie einem.

*

Sie versammelten sich auf Pappkartons gegen den kalten Beton, und schmierten Grützwurst auf trocken Brot, oder was die Bäckerei sonst vom Vortag aussortierte. Im Laufe der Jahre hatte sich eine eingeschworene Gemeinschaft aus fünf Pariahs herausgebildet. Russen-Ronny hieß im bürgerlichen Leben Rodja Blum. Sommer wie winters trug er die graue Schapka über seinen schmalzigen Haaren. In den neunziger Jahren war er mit der Familie nach Deutschland gekommen. Seiner kasachischen Heimat entwurzelt, verfiel er früh den Drogen. Kaum eine Vene, die noch zum Blutabnehmen taugte. Sein Hausarzt verzweifelte daran, und später der tattrige Internist in Rente, der sich selbstlos und liebevoll um die Obdachlosen Königsteins kümmerte. Doktor Schwaning hätte eine Vene nicht einmal getroffen, wenn er gezielt danach gesucht hätte. Allein der gute Wille zählte, und die selbst gebackenen Kekse, die er mitbrachte. Es fiel Rodja schwer, sich den alten Mann am Herd vorzustellen, mit einer Schürze umgebunden. Er redete wenig über seine Frau, aber er goss jeden Mittwoch ihr Grab. Rodja hatte Spritzen getauscht wie andere Leute Briefmarken. Letztes Jahr war bei ihm eine HIV-Infektion festgestellt worden. Er verweigerte sich dem Schwerpunktarzt, und erwartete jeden Tag sein Schicksal. Oder darauf, schwarze Flecken auf seiner schmalen Brust zu finden, die auf ein Karposi-Sarkom hindeuteten. Nach dem Tod von Rodja Mutter hatte das Sozialamt ihr kleines Haus beschlagnahmt und versteigert. Die Möbel gingen an die Wohlfahrt, und Rodja stieg ein in den Zug nach Nirgendwo. Seitdem lebte er auf der Straße, und würde auf ihr sterben. Es gab niemanden mehr aus der alten Heimat, der um ihn eine Träne vergoss. Mit seinen Kräften ging es zu Ende. Russen-Ronny hatte nichts mehr zu verlieren, und genau so lebte er in den Tag hinein. Es hätte ihn nicht einmal gejuckt, jemand kaltzumachen. Ob erwachsen und im besten Saft und Kraft, oder ein Kind unschuldig und rein.

Schnuffel hörte vor dem Vorfall mit dem Silvesterkracher auf den Spitznamen Rudi Rumpel, weil er donnernde Fürze in seine Hose knatterte. Mal kam etwas mit, mal nicht. Rudi war es scheißegal, die Kacke wärmte ihn bei Frost besser als jede Fangopackung vom Heilpraktiker. Wenn sie aushärtete, ziepte es ordentlich. Rumpels Ausscheidungen verbuken mit seinen Arschhaaren wie Schokoladenkuchen. Dann rieb er seinen Hintern an Bäumen wie ein Wolf, der seine Zecken loswerden will. Braun rieselte es aus Rudis Hosenbeinen, und gab den ansonsten eher blassen Socken eine lebendige Farbe.

Dann steckten Kinder einen Kracher in seine Nase, als er hackedicht im Stadtpark unter einer Linde nächtigte. Auf der Platte hatte er verlernt, einen Wecker zu benutzen. Wenn statt fester Arbeit die nächste Pulle wartet, lebt es sich leichter in den Tag hinein. Im einen Moment döste er noch friedlich, zwei Sekunden später hallten seine Trommelfelle. Halbtaub schleppte er sich durchs Gras, und klaubte blutige Klumpen zusammen, die einmal seine Nase gewesen waren. Blätter klebten zwischen seinen Fingern. Rumpel behielt eine Hasenscharte, und ging seinen Mitmenschen fortan lispelnd auf die Nerven. Seine Schneidezähne waren zersplittert, was ihm Ähnlichkeit mit einem Oktopus verlieh. Rumpel konnte eine ganze Karotte durch die Zahnlücke schieben, bis der Würgereflex einsetzte. Sein Schnarchen hatten sie freigesprengt wie ein zugeschissenes Abortrohr. Endlich konnte er frei atmen. Aufpassen musste er nur, das keine Käfer oder Insekten in den Krater fielen. Das Krabbeln, wenn ihre kleinen Beinchen auf dem vernarbten Gewebe Halt suchten, brachte ihn zum Niesen. Und wenn sie in den Schlund rutschten, verschluckte er sich, und wurde von Hustenkrämpfen geschüttelt. Die wahren Schuldigen fand man nie.

„Herr Wachtmeister, ich will Genugtuung!“

„Lass gut sein, Rumpel. Davon kommt deine Nase auch nicht zurück.“

„Wer sich selbst hilft, dem hilft Gott.“

„Selbstjustiz... würde uns viel Arbeit abnehmen. Wähle gut aus mein lieber Rumpel, wähle gut aus. Wir wollen doch nicht, dass dir ein Unschuldiger in die Fänge geht?“

„Keine Sorge, Herr Wachtmeister.“

„Na, worauf wartest du? Husch, husch. Diese Straftat trägt die ungelenke Schrift eines Kinds oder Heranwachsenden.“

Seit dem Verlust seines Riechkolbens suchte er die Nähe der Gruppe. Alleine fühlte Rumpel sich nicht mehr sicher. Er trug die Haare lang ins Gesicht, was seine Korona strahlen ließ wie die eines Jesusfreaks. Nachts schreckte er hoch, und erinnerte sich an die Schmerzen. Aber das taten sie alle. Man nahm ihn auf wie einen nasenlosen Bruder, und gaben ihm den neuen Ordensnamen „Schnuffel“.

Pfand-Walter Steinmeier stammte ursprünglich aus den schwäbischen Gefilden unserer Bundesrepublik. Er kannte tausend Rezepte für Linsen mit Spätzle und Seitenwürstchen, Maultaschen waren seine Religion. Stundenlang konnte er über das korrekte Verhältnis zwischen Brät und Petersilie streiten. Angekommen im Hessischen, galt er aufgrund seiner kulinarischen Vorlieben als Außenseiter. Der überzeugte Sozialdemokrat bewahrte seine schwäbischen Tugenden. Er war mürrisch wie der Feldberg schroff, und geizig wie fünfzig Schotten auf einem Fleck. Betteln lehnte er kategorisch ab. Stattdessen durchwühlte er die Mülleimer in der Fußgängerzone nach weggeworfenen Pfandflaschen. Damit war mehr Kohle zu machen als mit Blechtasse, Schild, und mitleidigem Blick. Jedenfalls nach Steinmeiers ausgeklügeltem System. Er beehrte die Platte seit jenen Tagen, wo Glasflaschen zum Alltag der Bundesrepublik Deutschland gehörten. Insofern war sein Joch leichter geworden. Die modernen PET-Flaschen machten ihm nicht den Buckel schwer, zudem zahlte der Automat bessere Tarife. Da hatte sein grüner Amtskollege das Dosenpfand eingeführt, und nun war noch mehr Kunststoff unterwegs als vorher! Die Automaten stampften es wortkarg ein. Manchmal ächzten sie und stöhnten, wenn der angeschlossene Sack voll wurde. Am Ende stand der begehrte Bon mit schwarzem Strichcode, für den die Kassierer ein müdes Lächeln übrig hatten und wenige Centstücke.

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist die Mark nicht wert.“

„Pfand-Walter, wir haben den Euro.“

„Ihr versteht, wie es gemeint ist.“

„Wir versuchen krampfhaft, zum aktuellen Wechselkurs umzurechnen.“

„Pah! Der Preis aller Dinge ist derselbe, nur dass jetzt dieses durchgestrichene E daneben steht.“

Er allein initiierte die Kehrwoche in der Unterführung. Samstags packten sie den Besen, und beförderten allen törichten Kehricht unter die Fußmatte des weniger sauberkeitsverliebten Nachbarn. Pfand-Walter fütterte sie mit geistig anspruchsvollen Aufgaben. Wie Trockenshampoo die Haare einigermaßen sauber, und vielleicht auch läusefrei hielt. Wie man einen Knopf annähte, oder eine Warze durch finstere Flüchen besiegte. Er war ihre gute Mutter, und schwäbische Hausfrau noch dazu, mit all ihren Tugenden. Es fehlte nicht viel, und aus ihnen allen wären Tüftler und Erfinder geworden. Im Grunde genommen war er der Einzige unter ihnen, der seine leicht zugängliche Dusche vermisste. Die Samstage verbrachte er im Hallenbad, wo er Kreuzworträtsel löste, und seine dicken Hornhautschichten aufweichte. Gelb waren sie vorher wie Bernstein, weiß und schaumig hinterher. Mit einer Bürste befreite er sich von den letzten Resten, wie eine Schlange von ihrer zu eng gewordenen Hülle. Die restlichen Badegäste rümpften die Nase, und suchten das Weite. Das war alles, was von Pfand-Walter geblieben war. Über seine Vergangenheit sprach er kaum. Und wenn, dann hatte er gehörig einen sitzen.

„Ich war schon Sozialdemokrat, da habt ihr alle in eure Windeln geschissen.“

„Hey Pfand-Walter, deine lieben Genossen haben dir Hartz4 eingebracht.“

„Und die Tafel.“

„...ist ein gemeinnütziger Verein besorgter Bürger, und kein Ersatz für faire Mindestlöhne.“

„Aber die Errungenschaften der Gewerkschaften?“

„Gehören einzig und allein den Gewerkschaften. Lass dich nicht behumsen, Pfand-Walter. Deine feinen Genossen münzen die Erfolge des kleinen Mannes zu eigenen um.“

Eagle war die robuste Dampflokomotive in ihrem Team. Der passionierte Kettenraucher mit rauer Stimme teilte seine Vorliebe für Bolo-Ties und Kragenecken aus Sterlingsilber mit seinem großen Vorbild Ricky Nelson. Wie der Countrysänger trug er rissige Cowboystiefel aus Schlangenleder, die ihre besten Tage hinter sich hatten. Die klirrenden Stiefelketten auf dem Asphalt machten noch lange keinen Cowboy aus einem Mann, bestenfalls einen Hühnerficker im Stall. Man musste schon ein Kind quälen, um sich für die Ranch zu qualifizieren.

„Hast du noch Blättchen?“

Wortlos reichte Ronny ihm das Heft. Eagle drehte seine stinkenden Glimmstängel einhändig, egal ob es ihm in den Kragen regnete, oder die Kälte seine Gelenke steif machte. Er zog am schwelenden Tabak wie ein Verdurstender an der Wasserflasche. Seit Jahren hatte er einen zähen Husten, der immer schlimmer wurde. Er brauchte keine zweite Meinung, sein Großvater, ein passionierter Pfeifenraucher, war an Lungenkrebs gestorben. Wenn das Fleisch vom Knochen schmolz wie Eis in der Sonne, dann trat er seine letzte Reise an. Die Vorstellung machte ihn wütend, und er wollte den zukünftigen Schmerz an andere Menschen weitergeben. Seinen Freunden auf der Platte konnte er dies nicht antun.

„Danke.“

Eagle nahm einen Schluck Bier aus der Büchse. Den ganzen Tag standen die Dosen im Schatten der Unterführung, nun waren sie angenehm kalt. Morgenstund hatte Grafenwalder Gold im Mund. Und zum Abendrot passte Pils aus der Flasche. Es brauchte nicht das erstbeste Spülwasser zu sein, immerhin eine trinkbare Marke aus dem Discounter.

„Ist noch ein Schluck für mich übrig?“

„Wie könnte ich dich vergessen? Hier, fang.“

Das Bier schäumte beim Öffnen. Pimmel-Willy schob sich den schlanken Flaschenhals in den Rachen, und fing das herbe Aroma ein. Die Obdachlosen fürchteten ihn wie einen mittelprächtigen Gott, der einst unter die Aussätzigen trat. Er allein konnte echte Knasterfahrung aufweisen. Der ehemalige Motorradrocker mit tätowierter Glatze tauschte nach seiner Scheidung Feuerstuhl gegen Feuerwasser. Seinen Spitznamen bekam er wegen eines mit blauer Tinte gestochenen Penis auf dem Unterarm. Unangenehm sprang das männliche Geschlechtsorgan dem Betrachter mit seiner dicken Eichel ins Auge. Sechs Jahre hatte Willy gesessen für Kindesmissbrauch. Viel zu kurz, wenn es nach der Opferfamilie gegangen wäre. Die Mutter hatte zwischen Prozessauftakt und Urteilsverkündung einen Putzkübel voll Tränen vergossen, und eine Stange Papiertaschentücher aufgeheult. Das Kind selbst war ihm schüchtern in Erinnerung geblieben. Mit zitternder Stimme wiederholte es die schrecklichen Szenen, die es schon den Polizeibeamten erzählt hatte. Von auseinandergezogenen Keulen, und eingerissenen Schleimhäuten. Blut tauchte Willys Pimmel wie Periode einen Tampon. Er hatte es aufgesogen, und wieder ausgespien mit seinem heißen Samen. Jadens Vater wollte ihn an der nächsten Laterne baumeln sehen. Diesem Ansinnen hatte der Richter nicht stattgegeben. Nachdem er wegen guter Führung vor Verbüßung seiner Haftstrafe die süße Luft der Freiheit schnupperte, wechselte er den Wohnort. Nun ja, wohnen konnte man unter der Brücke kaum nennen. Er floh vor seinem alten Leben, und war bereit das nächste Kind zu ficken. Er wollte es weinen sehen, und ihm das Salz vom Gesicht lecken.

*

Wer zur Taunusschule wollte oder den wohlverdienten Heimweg antrat, musste durch diese Unterführung. An die sportlich trainierte Oberprima trauten sich die Penner nicht. Fäuste und Messern hätten sie attackiert, und löchrig gemacht wie Schweizer Käse. Sie stanken wie ein lange vergorenes Milchprodukt, aber auf den Anstich konnten sie getrost verzichten. Also vergriffen sie sich an der wehrlosen Unterstufe. Man sprang zu fünft auf einen wehrlosen Schüler, und seine Freunde zerstoben in alle Winde. Ängstlich, wie Kinder eben waren.

„Seht ihr den Bengel dort? Dem werden wir eine Lektion erteilen.“

Allein kam er ihnen entgegen, den Rucksack schief an einem Gurt geschultert, ein fröhliches Lied auf den Lippen, pfeifend wie ein Spatz. Seine Haare waren sandfarben wie das künstlich aufgeschüttete Beach-Volleyball-Feld an der Leunabrücke, Frankfurt Mainhattan. Die üblichen der Pubertät geschuldeten Pickel verunstalteten seine feine Nase. Bestimmt sprossen erste Schamhaare in seiner Markenjeans, sanft wie Entenfedern. Was noch ein weiches Kinn war, sollte später markant aus dem Profil herausstechen. Justus Wohlleben glich einem Zirkusdompteur, der mit einer einzigen Peitsche sämtliche Raubtiere im Zaum hält, und dabei herablassend grinste. Bonzensöhne hassten sie in der Unterführung besonders.

„He, Knabenfotze! Komm mal zu Onkel Willy.“

„Bin doch nicht lebensmüde.“

Aufrechten Hauptes marschierte Justus durch die enge Passage. Es gab keinen Ausweg, noch einen Erwachsenen, den er um Hilfe bitten konnte. Rohe und vulgäre Ausdrücke war er von dieser Bande gewöhnt. Ganz anders als sein Elternhaus, wo abends Klavier gespielt wurde, und Porzellanfiguren namhafter Manufakturen auf dem Kaminsims standen.

„Seht ihn nur an, wie er mit seinem kleinen Hintern wackelt. Da würde ich gerne mal einen wegstecken.“

Brennend heiß schoss Wohlleben das Blut in die Wangen. Sämtliche Muskeln in seinem Körper kribbelten. So musste sich die scheue Antilope fühlen, wenn sie auf ein Löwenrudel stieß. Justus joviales Gehabe verschwand mit jedem weiteren Schritt. Der ganze Apparat geriet ins Stocken, fast stolperte er über seine eigenen Füße. Ungelenk wie ein Zwölfjähriger, der mit seinen langen Stelzen nichts anzufangen wusste in der Welt. Das ging über simple Demütigung weit hinaus, sie taxierten ihn wie eine billige Hure! Justus Wohlleben wusste genau, was man mit so einem Fickfleisch anstellte. Er hatte Videos im Internet gesehen, sein vermögender Vater war der erste Haushalt mit DSL im Ort.

„Guckt mich mit dem Arsch nicht an, unsere kleine Prinzessin. Hält sich wohl für etwas Besseres...“

Mit der Hand schlüpfte er in den zweiten Schultergurt, und zog den Rucksack enger an den Körper. Er hörte ein Pfeifen, dem er anfangs keine Beachtung schenkte. Dabei war es eine volle Bierflasche, die auf seinen Schädel abgefeuert wurde. Justus wurde am Hinterkopf getroffen. Flaschenhals oder -boden hätten ihn zu Fall gebracht, und seine halb-kindliche Fontanelle zerschmettert. So aber streifte ihn das Geschoss, und zerschellte zwei Meter weiter auf dem Trottoir. Er trug eine hässliche Beule davon, und Kopfschmerzen für eine ganze Woche, überlebte aber den feigen Anschlag. Bei ihrem schadenfrohen Gelächter konnte er nur hilflos zucken.

Glühwürmchen

Die Familie Wohlleben besaß ein Eigenheim nahe der beschaulichen Innenstadt mit ihren Fachwerkhäusern und Giebelchen. In einer ruhigen Seitenstraße mit den letzten gebührenfreien Parkplätzen Königsteins (jedenfalls laut letztem Stand der Gemeindeverordnung) residierten sie im ersten Stock wie Könige. Aus dem Fenster fiel der Blick auf die Hausseite gegenüber, wo der promiskuitive Jogajüngling ohne Vorhänge kostenlosen Aufklärungsunterricht ablieferte. Man schloss die Gardinen gegen den Anblick ständig wechselnder Damenbesuche. Und wenn sie schrien wie die Brüllaffen, konnte man selbst bei größter Hitze die Fenster nicht kippen. Es galt als ausgemachte Schande. Eine Versammlung der Hauseigentümer an der Trinkhalle hatte Linderung versprochen, doch bis heute nahm der Rammler keinerlei Rücksicht. In den Monaten seit seinem Einzug hatten sie gelernt, dass eine Kerze sowohl Gymnastikübung sein konnte, als auch ein vaginal oder anal eingeführter Gegenstand. Unterm Dach vermieteten Wohllebens an Studenten, die im nahen Frankfurt Business studierten. Aus Gründen, die Justus nie verstand, duldeten seine Eltern keine Mitglieder der philosophischen Fakultät oder Soziologen. Es ging ihnen um Zuverlässigkeit. Je vergeistigter ein Lehrstuhl, umso begabtere Dampfplauderer brachte er hervor. Die ihren Mietzins nicht mit Geld beglichen, sondern Referaten über das harte Los der Arbeiterklasse (obwohl sie selbst nicht einen Finger krümmten) und salbungsvollen Worten.

Im Erdgeschoss lag Vater Ferdinands Goldschmiede. Russische Oligarchen reisten aus dem nahen Frankfurt an, aufgetakelte Frauen mit der Berufsbezeichnung Gespielin und Hausdekoration aus den Vorortsvillen ließen ihre Hochzeitsringe fertigen, mit Stein und Gravur. Meist waren sie jünger als ihre Ehemänner, und von Proportionen, die Justus eine bolzenharte Erektion aufdrängten. Anfassen durfte er sie nicht, aber Träume waren harmlos wie Hände, die sich selbst Abhilfe verschafften. Justus onanierte in der Besenkammer, die außer ihm nur von der Putzfrau benutzt wurde. Er machte Flecken, Svetlana aus Weißrussland machte sie weg. Oder Nardy aus Bolivien. Ständig wechselte das Hauspersonal. Selbst seinen Eltern fiel es schwer, sich all die exotisch klingenden Namen zu merken. Gerne hätten sie Bio-Deutsche beschäftigt, ohne ständig für jede Unterweisung das Wörterbuch zu bemühen. Wann immer eine Limousine vor der Hütte stand, klingelte Vaters Kasse. Mutter Maria ging dem Vater im Laden tatkräftig zur Hand. Dieser fleißigen Seele war geschuldet, dass die Buchhaltung auf den Cent genau stimmte, und das Schaufenster jahreszeitlich dekoriert wurde. Künstliche Schneeflocken aus Polycarbonat machten frostige Wintertemperaturen erträglich. Das Frühjahr kam mit Krokus und Narzissen auf einem Kunstrasenbett vom Baumarkt. Die Blumen mussten zwei Mal die Woche gegossen werden, ohne dass der Silberschmuck oxidierte, oder ein wertvolles Präzisionslaufwerk von Tissot etwas abbekam. Im Sommer füllte sie die Auslage mit Vogelsand, und fügte Muscheln sowie getrocknete Seesterne für das genuine Urlaubsfeeling hinzu. Echte Blätter brachten warme Rottöne im Herbst, die Bilder von Kürbiscremesuppe und Erntedank heraufbeschworen. Maria füllte Rechnungen aus, bestellte Ersatzteile namhafter Uhrenhersteller, und entstaubte die Vitrinen mit einem bunten Feudel.

„Wie war es in der Schule?“

„Ganz okay. Was gibt es denn zum Mittagessen?“

„Erbseintopf mit Würstchen.“

„Hm.“

Justus schulterte seinen Rucksack ab, wie das Hochlandmuli seine Satteltaschen. Die heikle Exkursion zu den Mayapyramiden machte Rast am nächsten Wasserloch.

„Himmel, was hast du denn da am Hinterkopf?“

„Nichts, Mama.“

„Lass mal sehen.“

Widerwillig neigte er sein Haupt vor der elterlichen Fürsorge. Maria kannte alle Heilmittel von Breitwegerich bis Kampfer. Was einer Wunde eben guttat. Justus Beule war eine Herausforderung. Sofort legte sie ihr Nähkästchen beiseite mit den Knieflicken und Hemdknöpfen. Alles Weiche hatte er von ihr geerbt. Die Menschlichkeit in einer Schale Bösartigkeit. Ihre blasse Haut und den sehnigen Rücken.

„Sieht wirklich übel aus. Was hast du nur wieder getrieben?“

„Bin beim Sport gestürzt.“

„Und dein Lehrer sagt nichts?“

„War gegen Ende der Stunde.“

„So können wir dich jedenfalls nicht rumlaufen lassen.“

Aus der leichten Schwellung war eine hühnereigroße Beule geworden. Verkrustetes Blut klebte in den Haaren wie eine Rote-Beete-Kur gegen Stress und Spliss. Fehlte noch, dass Mutter ins Taschentuch rotzte, und ihm den Speichel in die Wunde rieb. Justus war ein kerniger Mann, und keine billige kleine Knabenfotze!

„Das muss ausgewaschen werden, und Franzbranntwein drauf.“

Mit geübter Hand griff sie zur Hausapotheke, in der neben Aspirin, Warzentinktur und abgelaufenen Verbandspäckchen, auch eine Flasche Franzbranntwein auf ihren Einsatz wartete. Maria Wohlleben tränkte einen Wattebausch, und kümmerte sich um ihren Sohn.

„Au, das brennt!“

„Halt still.“

Von Dreck und Blut befreit, war die Wunde klein genug, ohne die Stiche einer Ambulanz auszukommen. Jungs blieben Jungs. Sie kletterten auf Bäume, und prügelten sich um irgendein Spielzeug. Dann kehrten sie mit Schrammen und Beulen nach Hause zurück, und Maria musste es wieder richten. Sie weinten bis sie getröstet wurden, und steckten ihren Kopf unter Mutters schützenden Flügel. Manchmal bedauerte sie, kein Mädchen bekommen zu haben. Das konnte man anziehen und frisieren wie eine Puppe. Es trug die morgens rausgelegten Kleidchen ohne Murren, und bereitete einem keinen Ärger.

„So kannst dich zu uns an den Tisch setzen.“

Vom Vorfall mit den Pennern erwähnte Justus kein Wort. Er füllte einen Teller mit Brot, Aufschnitt und Gürkchen. Unter seinem Bett musste noch eine Flasche Cola liegen.

„Mahlzeit.“

„Du willst echt nicht mit uns essen?“

„Um die Zeit kommen meine Cartoons auf Nickelodeon.“

Vater zog eine Brosche aus der Brusttasche seines gepunkteten Hemds. Der Schnauzer saß wie mit dem Lineal gezogen, dicht und hellbraun. Die Krawatte hing über der Stuhllehne, so wie Wohlleben Junior seine Schultasche ablegte nach einem harten Tag. Wenn man sich an die Regeln hielt, konnte man alles erreichen. Wenn man alles erreicht hatte, musste man sich nicht mehr an Regeln halten.

„Wie gefällt dir die Brosche?“

„Ist ganz hübsch.“

„Mein eigenes Design. Ein tropfenförmig facettierter Rubin mit faszinierenden Einschlüssen in einer Fassung aus 585er Weißgold. Sieh mal, wie einzigartig er schimmert.“

„Alles schon gesehen. Du wirst einen potenten Abnehmer finden.“

„Halt ihn doch einmal gegen das Licht.“

Widerwillig nahm Justus an. Er war nicht ganz bei der Sache. Gewalttätige Obdachlose trachteten ihm nach dem Leben. Sie würden morgen vor der zur Schule auf ihn warten. Man konnte ihnen nicht entkommen.

„Nicht schlecht, Vater. Erinnert an Perlmutt.“

Eine Kreation dieser Preiskategorie musste man auf Händen tragen wie ein filigranes Zuckerstück. Ständig von der Angst beseelt, es möge zerbrechen, und in tausend Splittern vergehen. Justus Hand fühlte sich erschreckend schlaff an. Der sonst so aufgeweckte Junge wurde von Sorgen gequält.

„Als würde man durch ein Kaleidoskop schauen.“