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Fortsetzung zu Bund des Vertrauens Buch 3 in der Serie – Wandel des Herzens Jin Rayne ist immer noch damit beschäftigt, in seine neue Kraft als Nekhene-Katze und seine Position als Reah von Logan Churchs Stamm hineinzuwachsen, als er erfährt, dass ein Sepat ausgerufen wurde. Logan, der nie etwas anderes wollte, als seinen eigenen kleinen Stamm zu führen, muss um die ganze Welt in die Mongolei reisen, um sich einem Kampf zu stellen, in dem der mächtigste Anführer der Werpantherwelt ermittelt werden soll. Logan wird diese Reise nicht allein antreten. Als sein Gefährte muss Jin an seiner Seite kämpfen, um seine Treue zu Logan und seinem Stamm unter Beweis zu stellen. Doch die Prüfung ist lang, zwingt sie zu einer langen Trennung und gefährdet Logans Menschlichkeit. Um diesen Albtraum zu überstehen, müssen Jin und Logan ihr Schicksal akzeptieren, einander vertrauen und das Bündnis ehren, das zwischen ihnen herrscht – egal, zu welchem Preis.
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Seitenzahl: 506
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Inhalt
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Fortsetzung zu Bund des Vertrauens
Buch 3 in der Serie – Wandel des Herzens
Jin Rayne ist immer noch damit beschäftigt, in seine neue Kraft als Nekhene-Katze und seine Position als Reah von Logan Churchs Stamm hineinzuwachsen, als er erfährt, dass ein Sepat ausgerufen wurde. Logan, der nie etwas anderes wollte, als seinen eigenen kleinen Stamm zu führen, muss um die ganze Welt in die Mongolei reisen, um sich einem Kampf zu stellen, in dem der mächtigste Anführer der Werpantherwelt ermittelt werden soll.
Logan wird diese Reise nicht allein antreten. Als sein Gefährte muss Jin an seiner Seite kämpfen, um seine Treue zu Logan und seinem Stamm unter Beweis zu stellen. Doch die Prüfung ist lang, zwingt sie zu einer langen Trennung und gefährdet Logans Menschlichkeit. Um diesen Albtraum zu überstehen, müssen Jin und Logan ihr Schicksal akzeptieren, einander vertrauen und das Bündnis ehren, das zwischen ihnen herrscht – egal, zu welchem Preis.
Danke an alle, die sich mit mir auf Jins und Logans Reise begeben haben.
Es war mir eine Ehre.
Aker: Eine Führungsposition innerhalb eines großen Stammes, die erkämpft werden muss. Der Aker ist dem Maahes Rechenschaft schuldig. Es werden immer zwei Aker ernannt, ein Manu und ein Bakhu.
Amenta: Ein Panther, der ohne Erlaubnis auf dem Territorium eines fremden Stammes lebt.
Apophi: Ein Panther, der für seinen Stamm eine Last und eine Schande ist.
Aset: Die gewählte Gefährtin des Semel im Falle des Todes der Reah. Eine Aset kann nur von einer Reah ernannt werden.
Beset: Der Beschützer einer Reah.
Duat: Ein Panther, der bei seinem Leben geschworen hat, nur als Mensch zu leben und sich nie zu verwandeln.
Epeboi: Ein Neuling.
Heru-ur: Eine Orgie, die während des Fests des Tales stattfindet.
Kathyu: Die Krieger eines Semel.
Khet: Bedeutet wörtlich „durch Feuer getrennt“ und meint zwei Panther, für die der jeweils andere nicht mehr existiert.
Khonsu: An zweiter Stelle.
Maahes: Prinz eines Stammes, Abgesandter des Semel.
Maat: Gleichgewicht, Harmonie der Dinge, ausgleichende Handlung.
Mastaba: Frau innerhalb des Haushalts des Semel, in der Regel die Witwe des vorherigen Semel.
Menat: Tribut.
Menthuel: Eine Probe der Ehrhaftigkeit.
Phocal: Anführer der Shu-Katzen, einer Elitetruppe von Werpanthern, die dem Priester von Chae Rophon dient.
Reah: Seelengefährte eines Semel.
Semel: Anführer eines Stammes.
Semel-aten: Stammesoberhaupt der Werpanther in deren Hauptstadt Sobek. Er wird als der mächtigste Semel angesehen und erlässt die Gesetze der Werpanther.
Semel-netjer: Ein Semel, der seinen wahren Gefährten gefunden hat, der wiederum eine Nekhene-Katze ist.
Semel-re: Stammesführer, der seinen wahren Gefährten, seine Reah, gefunden hat.
Sepat: Eine Probe der Ehrhaftigkeit.
Sheseran: Gefährtin des Sheseru.
Sheseru: Vollstrecker des Clans, Beschützer der Gefährtin des Semel.
Sylvan: Lehrer des Stammes, Berater des Semel.
Taurth: Eine Yareah, die beiseitegeschoben wurde, nachdem der Semel seine wahre Seelengefährtin gefunden hat.
Wosret: Eine ungebundene Reah ohne Gefährten, die vom Semel-aten als Gespielin beansprucht wird.
Yareah: Gefährtin eines Semel, die dieser selbst auswählt. Nicht seine Seelengefährtin.
WÄHREND ICH hinter dem Gerichtsmediziner den langen, grauen Flur hinunterging, bemerkte ich, dass mein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Ich wusste nicht, wann das Organ, das normalerweise Blut durch meinen Körper pumpte, den Dienst quittiert hatte, aber ich vermutete, dass es tags zuvor gewesen war, als man mir am Telefon mitgeteilt hatte, dass mein bester Freund, Crane Adams, tot war. Alles in mir hatte den Dienst quittiert. Genau in diesem Moment hatte ich aufgehört zu atmen … es war mir nur nicht aufgefallen.
Ich war nicht in der Lage gewesen, meine Lungen mit Luft zu füllen oder Worte über meine Lippen zu bringen. Für einen schrecklichen Moment war es mir sogar unmöglich gewesen, etwas zu sehen. Nicht, dass ich in der Lage gewesen wäre, anderen meine Panik begreiflich zu machen – schließlich war ich stumm. Schon komisch, wie schnell sich alles in die richtige Perspektive rückte, wenn etwas Reales passierte, etwas, das alles veränderte.
„Jin?“
Niemand konnte von mir erwarten, nach diesem Moment je wieder derselbe zu sein.
„Schatz?“
Ich drehte den Kopf, um in die honigfarbenen Augen meines Gefährten, des Semel, zu schauen: Logan Church, der Anführer unseres Werpantherstammes Mafdet.
„Ich kann auch allein reingehen.“
Es war das, was er wollte, aber das war einfach nicht möglich. Ich musste es wissen; musste es mit eigenen Augen sehen. Ich schüttelte den Kopf. Das stand außer Frage.
„Mr Rayne?“
Ich schaute den Mann an, dem wir von der Anmeldung hierher gefolgt waren. Wir waren vor einer Tür stehen geblieben. Sie war aus Stahl und hatte auf Augenhöhe ein kleines Fenster. Zumindest für jemanden von meiner Größe von 1,80m war das Fenster auf Augenhöhe.
Der Mann räusperte sich. „Nur Sie, Mr Rayne und Mr Church“, sagte der Gerichtsmediziner und sah dann Domin und Yuri an. „Sie werden hier draußen warten müssen.“
„Natürlich“, stimmte Yuri sofort zu und sein Blick fiel auf mich.
Er machte sich Sorgen. Das tat er schon seit gestern, als ich aufgehört hatte, zu sprechen.
„Wir warten genau hier“, versicherte mir Domin.
Und als ich ihm in die Augen sah, erkannte ich, dass sein fester Blick, die Tonlage seiner Stimme und sein männlicher, süßer Geruch genug waren, um meinen Zusammenbruch etwas hinauszuzögern. Seine Gegenwart beruhigte und umarmte mich.
Diese Vorstellung war beunruhigend, da wir keine Freunde waren und ich wusste, dass er nur aus Pflichtgefühl hier war. Doch als wir ihn abgeholt hatten, hatte sich seine Ruhe bereits auf mich übertragen, als er sich auf die Rückbank der Limousine setzte und eine seiner Hände über mein Knie streichelte. Dabei waren wir keine Freunde, standen uns nicht einmal nahe. Der Maahes, der Prinz meines Stammes und ich waren bis zu dem Zeitpunkt seines Auszugs eher Zimmergenossen gewesen.
Wenn er jetzt Logan wegen irgendwelcher Stammesangelegenheiten besuchte, wechselten wir kaum zwei Worte, daher war es seltsam, dass seine Anwesenheit überhaupt einen Unterschied machte. Bei Yuri war das schon logischer, immerhin war er mein Sheseru. Er war wie immer hier, um mich zu beschützen, und seine schiere Präsenz gab mir Zuversicht. Doch dass Domin solch einen Effekt hatte, vor allem, da seine Loyalität Logan und nicht mir galt, verwirrte mich. Warum es mich vor dem Ertrinken in einem schwarzblauen Meer bewahrte, wenn ich in seine dunkelbraunen Augen schaute, wusste ich beim besten Willen nicht.
Logan legte mir sanft, aber bestimmt eine Hand in den Nacken, bevor er dem Mann zu verstehen gab, dass wir bereit waren. Als wir den antiseptisch riechenden Raum betraten, fiel mir auf, dass es nur Logans Berührung war, die mich aufrecht hielt. Hätte er nicht neben mir gestanden, wäre ich wohl auf dem Boden gelandet. Ich selbst hatte überhaupt keine Kraft mehr und musste von seiner zehren. Für Werpanther ist eine Berührung immer Trost spendend – schließlich sehnen sich alle Tiere nach Körperkontakt –, doch in diesem Moment gab es nichts anderes für mich.
Als wir den Raum betreten hatten, wurden wir Althea Nelson vorgestellt. Sie war die zweite Gerichtsmedizinerin des Bezirks Clark County. Sie setzte zu einer Erklärung an.
„Es gab ein Feuer. Da seine Stadtwohnung abgebrannt ist, möchte ich, dass Sie sich darauf gefasst machen, was Sie gleich zu sehen bekommen.“ Sie war eine kleine Frau. Dünn, zierlich und mit klaren, durchdringenden braunen Augen. Irgendwie schaffte sie es, gleichzeitig sachlich und mitfühlend auszusehen. „Sind Sie bereit?“
Die Leiche meines besten Freundes lag unter einer schwarzen Plastikplane auf einem Metalltisch in einem grell erleuchteten Raum. In meinem ganzen Leben war ich für nichts weniger bereit gewesen. Mein Herz brach.
Zwei Hände legten sich auf meine Schultern und ich spürte, wie sich mein Gefährte an meinen Rücken schmiegte. Er schickte noch mehr seiner Stärke in meine Richtung. Sie lag in seiner Berührung und seiner Hitze und brannte sich durch meine Kleidung hindurch in meine Haut. Sie reichte tief und war alles, was ich hatte
Die Plane wurde zurückgezogen.
Es dauerte eine Sekunde, weil mein Gehirn zweifelte, doch dann drehte sich mir der Magen um. Für einen kurzen Moment war ich überwältigt. Ich wurde unter einer Lawine von Gefühlen begraben und ein Schrei brach sich in meinem Kopf Bahn. Weil ich die Reah meines Stammes war, war es mir vergönnt, während der Verwandlung in der Regel immer noch auf meinen Verstand zugreifen zu können. Und nur weil ich eine Reah war, war ich in der Lage zu atmen und schließlich zu sprechen. Genau jetzt war die Katze in mir viel hilfreicher als der Mensch.
„Das ist nicht Crane Adams.“
Sekunden vergingen, bevor die Gerichtsmedizinerin entschieden hatte, wie sie auf meine Aussage reagieren wollte. Ich beobachtete sie und sah, wie ihre Bedenken sich in ihrem Gesicht widerspiegelten. Sicherlich hatte sie schon häufig mit zweifelnden Angehörigen zu tun gehabt. „Mr Rayne, Sie –“
„Dieser Mann sieht ihm ähnlich.“ Ich musste husten, weil mein Rachen so trocken war. „Aber das ist nicht sein Gesicht.“
Sie räusperte sich. „Mr Rayne, wie können Sie erkennen, dass –“
„Nein“, unterbrach ich sie. „Ich weiß, was Sie denken, aber ich bin mir sicher. Ich kenne ihn, seit wir sechs Jahre alt waren. Das ist er nicht.“
„Mr Ray –“
„Und wenn Sie nach einem Blinddarm suchen und ihn finden, dann werden auch Sie erkennen, dass Sie den falschen Mann vor sich haben.“
Die Stille im Raum war mit Händen zu greifen.
Ich hörte die Wanduhr ticken. Es war eine dieser funktionalen Uhren mit einem schlichten weißen Ziffernblatt und schwarzen Zahlen.
„Mr Adams hatte eine Blinddarmoperation?“ Sie sah überrascht aus. „In den Daten, die wir aus Chicago bekommen haben, steht darüber nichts.“
„Weil das in Arizona passiert ist, als er einundzwanzig war“, erklärte ich ihr. Und obwohl es schrecklich war, dass dieser arme Mann hier tot war, war ich unglaublich erleichtert. Ich machte ein leises Geräusch, als ich mich daran erinnerte, wie Crane darauf bestanden hatte, dass er nicht verkatert war. Diesmal war er wirklich krank, verdammt! Stundenlang hatte er herumgejammert, bis ich es nicht mehr ertragen hatte und mit ihm in die Notaufnahme gefahren war. Noch auf dem Weg in den OP war er sehr selbstzufrieden gewesen, weil ich endlich einmal unrecht gehabt hatte. Das Letzte, was ich aus seinem Mund hörte, bevor sich die Türen zum Operationssaal schlossen, war, dass ich ein selbstgefälliger Arsch war.
„Können Sie sich an das Krankenhaus erinnern, Mr Rayne?“
„Zum Guten Samariter“, sagte ich.
„Lassen Sie mich das überprüfen. Aber wenn Sie sicher sind …“ Sie brach ab und wartete auf eine Antwort.
„Sehr sicher“, seufzte ich. Es war ein langgezogenes Seufzen, denn ihr Gesichtsausdruck legte nahe, dass der Mann auf dem Tisch vor uns seinen Blinddarm noch hatte. „Ich war dabei.“
„Mr Rayne –“
„Hat dieser Mann noch seinen Blinddarm?“
Sie sah mir in die Augen. „Ja, das hat er.“
„Ja, das hat er“, wiederholte ich. Dann drehte ich mich um und stellte mich auf die Zehenspitzen, um meine Arme um Logans Hals legen und ihn in eine Umarmung ziehen zu können.
Mein Gefährte vergrub eine Hand in meinem Haar, während die andere auf meinem Rücken lag. Er hielt mich fest umschlungen.
„Es tut mir so leid, dass Sie –“
„Nein“, sagte Logan, als seine Arme mich fester umschlossen. „Sie haben nur Ihren Job gemacht.“
„Es tut mir so leid.“
Und mir erst. Mein Gehirn gewöhnte sich so langsam an die neue Sachlage. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah Logan ins Gesicht.
„Ich weiß, Schatz“, sagte er und nickte. „Wir werden ihn finden.“
Langsam, aber sicher begann ich zu hyperventilieren.
„Ich schwöre dir, Jin. Wir werden ihn finden. Atme!“
Das musste ich ihm wohl glauben, denn er hatte mich noch nie enttäuscht.
ICH KANNTE Logan Church seit anderthalb Jahren, doch in dieser Zeit hatte sich mein Leben drastisch verändert. Ich war von einem Einzelgänger, der mit seinem besten Freund Crane von Ort zu Ort zog, zu jemandem geworden, der seinen Gefährten und damit auch ein Zuhause gefunden hatte. Ich war die Reah meines Werpantherstammes, der Gefährte meines Semel und nur sein Wort stand über meinem. Früher hatte ich nichts gehabt, heute dagegen hatte ich alles.
Normalerweise waren Reahs Frauen. Da ich keine Frau war, hatte mein alter Stamm mich verprügelt, als es herauskam. Man verbannte mich und der Stamm und meine Familie waren plötzlich unerreichbar für mich. Der einzige, der loyal zu mir stand, der mich liebte und bei mir blieb, war Crane. Und nun war er erst tot und dann verschollen. Es fiel mir schwer, mich zusammenzureißen.
Als die Tür geöffnet wurde, stand ich von der Couch in der Luxussuite des Venetian Hotel in Las Vegas auf, auf der ich gesessen und durch die Fernsehsender gezappt hatte. Domin trat als erster ein und hielt für die nachfolgenden Personen die Tür offen. Ein ganzer Strom Menschen, von denen ich einige nicht kannte, ergoss sich ins Zimmer, bis endlich auch Logan eintrat. Ich wäre zu meinem Gefährten gegangen, doch Yuri Kosa, der Sheseru – also der Vollstrecker unseres Stammes und mein Beschützer –, legte mir eine Hand auf die Schulter und hielt mich so an Ort und Stelle fest.
„Hier kommen sie alle zu dir, sogar dein Semel.“
Das wusste ich. Dieses Hotelzimmer war so etwas wie ein Zuhause, wenn wir nicht zu Hause waren. Darum waren auch Yuri Kosa und sein Stellvertreter Artem Varda hier bei mir. Weil wir uns in dem Territorium eines Semel befanden, der mit Logan verbündet war, hatte Yuri nicht mehr Männer mitgebracht, um mich zu beschützen. Und trotzdem: Wenn Fremde das Zimmer betraten, blieb Yuri an meiner Seite und Besucher mussten auf mich zugehen. Es war mir nicht gestattet, mich jemandem unterzuordnen. Ich war es, der hier die Regeln machte. Eigentlich waren das nur dumme Werpanthertraditionen, doch es handelte sich um Regeln, die eingehalten werden mussten. Darum gehorchte ich meinem Sheseru ohne Einwand.
Als Logan nahe genug herangekommen war, streckte ich eine Hand nach ihm aus und er nahm sie in seine. Er sah nicht sehr zufrieden aus.
„Was ist passiert?“, fragte ich vorsichtig.
Er schüttelte nur kurz den Kopf, bevor er sich an Domin wandte. Ich sah, wie der Maahes unseres Stammes sich in Position brachte und die Männer ansah, die nach ihm den Raum betreten hatten.
„Ich präsentiere euch meine Reah“, sagte Domin mit einem Kopfnicken in meine Richtung.
Ich sah zu, wie alle vor ihm auf die Knie fielen. Ich erkannte Calvin Reynolds, den Semel des Stammes Opet, der Las Vegas sein Zuhause nannte; seinen Sheseru Roger Tsang und seinen Sylvan, Amanda Dove. Ich vermutete, dass es sich bei dem Dutzend Männer, das er mitgebracht hatte, um seine Khatyu, seine Krieger, handelte. Als ich meinen Blick über die knienden Besucher wandern ließ, blieb er an Amanda hängen. Sie hatte ein hübsches Gesicht und schenkte mir ein schüchternes Lächeln, als sie bemerkte, dass ich sie ansah.
Es hatte mich überrascht, festzustellen, dass in den beiden Stämmen, mit denen ich regelmäßig Kontakt hatte – mein eigener und Christophe Danvers’ Stamm der Pakhet, der in Reno ansässig war –, nicht mehr Frauen als Beraterinnen des Anführers fungierten. Als ich mit Crane durchs Land gereist war, war ich auf viele Stämme gestoßen, in denen Frauen entweder Sheseru, also Vollstrecker, oder Sylvan, Lehrmeister, waren. Sowohl in Logans als auch Christophes Stamm hatten Männer diese Positionen inne. Das hatte mich schon immer verwundert.
Sicherlich hätte sich Logan für die Person entschieden, die sich am meisten für die Position eignete, doch ich konnte nicht einschätzen, welche Maßstäbe Christophe wohl anlegen würde. Ich wusste nicht, wie antiquiert sein Frauenbild vielleicht war. In jedem Fall hatte er eine Furcht einflößende, eifersüchtige Partnerin, die bestimmt alles daran setzte, nicht mit einer anderen Frau unter einem Dach leben zu müssen. Immerhin lebten der Sheseru und der Sylvan in der Regel im Haushalt des Semel, bis sie selbst einen Partner fanden.
„Jin.“
Ich sah zu meinem Gefährten auf. Meistens konnte ich mich selbst in seinen bernsteinfarbenen Augen wiederfinden und sein liebevoller Blick bot mir Rettung an. „Erzähl mir, was passiert ist.“
„Calvin wird es dir erzählen“, sagte er und machte eine Handbewegung in Richtung des Semel vom Stamme Opet. Dieser war mittlerweile wieder aufgestanden, nachdem er mir die Ehre erwiesen hatte und vor mir niedergekniet war. Alle anderen knieten immer noch, da Domin noch keine Erlaubnis erteilt hatte, dass sie wieder aufstehen durften. Calvin war der einzige, der nicht auf diese Erlaubnis warten musste.
Ich sah ihn an.
„Meine Reah“, sagte er und räusperte sich. „Es tut mir so leid, dass ich zugelassen habe, dass du die Pathologie in der Annahme betreten musstest, dass dein Freund tot wäre. Doch die Männer des Stammes Anuket hatten bis vor einer Stunde meine Tochter in ihrer Gewalt, um sich zu vergewissern, dass ich bei dieser Scharade mitmache.“
Wenn Logans Hände mich nicht umfangen und er mich nicht an seine Seite gezogen hätte, wäre ich wohl einfach zu Boden geglitten.
„Anuket, das ist dein alter Stamm, oder?“, fragte Calvin.
„Du weißt, dass er das ist“, sagte Logan zu ihm. „Sprich weiter, sodass wir von hier verschwinden können.“
Er atmete hörbar aus und machte einen Schritt auf mich zu. „Jin, sie haben mein Kind entführt. Sie haben sie gegen ihren Willen festgehalten und damit gedroht, sie zu vergewaltigen und zu töten, wenn ich der Sache nicht ihren Lauf lasse. Es tut mir so unglaublich leid. Aber es ging um mein Kind.“
Ich nickte. Ich hasste ihn und fühlte gleichzeitig mit ihm. Ich dachte an seine Tochter Jaqueline: Jackie, Jack, J … Sie war süß und liebenswert. In der Schule schrieb sie gute Noten und war Anführerin des Schwimmteams. Da ich damals in der Highschool auch Captain des Schwimmteams gewesen war, hatten wir immer viel Gesprächsstoff. Ich mochte ihr niedliches Gesicht, ihre riesigen, schokoladenbraunen Augen und ihren übersprudelnden Charakter. Da Crane im Territorium ihres Vaters lebte und arbeitete, sah ich sie fast so oft wie ihn. Sie hatte mir sogar anvertraut, dass sie in einen Mitschüler verknallt war.
„Er ist weiß. Kannst du dir das vorstellen? Ich und ein weißer Junge?“
Ich sagte ihr, dass ich das konnte. Weiß, schwarz, jede Farbe und alles, was sie wollte. „Deinen Dad wird es nicht stören.“
Das hatte ich ihr gesagt und war sicher gewesen, damit recht zu haben. In Calvins Stamm fanden sich alle Farben des Regenbogens, genauso wie bei Logan. Genauso wie bei den meisten anderen Stämmen. Was man äußerlich war, spielte für ihn, für Logan, keine Rolle, so lange man –
„Aber er ist kein Panther.“
im Inneren ein Panther war. „Oh, scheiße“, war alles, was ich dazu hatte sagen können.
„Oh Gott“, hatte sie gestöhnt, während sie sich aufs Bett fallen ließ. Wenn man sechzehn Jahre alt war, war das das Ende der Welt.
„Jin?“
Ich schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. „Ich verstehe das, Cal“, versicherte ich ihm. „Das tue ich wirklich. Erzähl mir einfach, was sie gesagt haben.“
Er räusperte sich. „Du – beziehungsweise Logan – sollst Archer Pike anrufen, sobald du feststellst, dass es sich bei der Leiche nicht um Crane Adams handelt.“
„Wer –“ Ich musste husten. „Wer war das in der Leichenhalle?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
„Keine deiner Katzen?“
„Nein, man hat mir gesagt, dass es kein Panther ist.“
„Es war ein Panther“, sagte Logan. „Ich vermute mal, dir fehlt jemand.“
Calvin machte ein Gesicht, als hätte Logan ihn geschlagen, und das verstand ich nicht. Es war mir egal, ob der Mann nun ein Panther war oder nicht. Ob Mensch oder Panther, jedes Leben war in meinen Augen wertvoll. Für mich – und ich wusste, dass es auch für Logan so war – gab es da keinen Unterschied.
„Jin.“ Logan rief mich bei meinem Namen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. „Wir müssen Archer Pike anrufen.“
Ich nickte.
Logan musste ins Internet und aus der gesicherten Datenbank die Telefonnummer heraussuchen, die er brauchte. Das mit seinem Handy zu erledigen, dauerte nur ein paar Sekunden.
„Bist du bereit?“, fragte er sanft.
Mit einem Nicken ließ ich ihn wissen, dass dem so war.
Ein paar Minuten später saßen wir alle um das Telefon im Wohnzimmer herum und hörten zu, wie es klingelte. Logan hatte den Lautsprecher eingeschaltet.
„Hallo?“
„Ich möchte mit Archer Pike sprechen.“
„Ist am Apparat.“
„Hier ist Logan Church“, grollte mein Gefährte mit tiefer, gefährlicher Stimme. „Du hast den Beset meiner Reah in deiner Gewalt und ich möchte, dass er sofort zurückgegeben wird.“
Ein tiefes Seufzen. „Ich entschuldige mich bei dir für die List, Semel-netjer, und auch bei dem Semel des Stammes Opet entschuldige ich mich dafür, dass ich seine Tochter ausgeborgt habe, doch ich musste irgendwie deine Aufmerksamkeit erregen.“
Es fühlte sich an, als würde Eiswasser durch meine Adern fließen.
„Die hast du.“
„Ich habe in Sobek versucht, mit dir zu sprechen, doch du wolltest mir nicht zuhören. Dann hast du verkündet, dass wir khet sind, also für den jeweils anderen nicht mehr existieren, daher brauchte ich einen anderen Plan. Der Stamm Mnevis versucht, mein Territorium zu erobern und ich brauche dich, deinen Sheseru und deine Khatyu, um mir zu helfen, sie zu vertreiben.“
„Warum sollte ich das tun?“
„Deine Reah ist der Sohn meines Sylvan. Das hier war sein erster Stamm, darum sind wir verbunden.“
„Du musst verrückt sein“, sagte Logan nur. „Nichts verbindet uns und dein Sylvan existiert für mich nicht, genauso wenig wie du und dein ganzer Stamm.“
„Wenn das dein letztes Wort ist, habe ich keine andere Wahl, als den Beset deiner Reah zu töten, der sich in meiner Gewalt befindet.“
Ich gab keinen Ton von mir und als Logan meinen Blick auffing, sah ich den Stolz in seinen Augen. Dass ich ihm vertraute und still blieb, berührte ihn zutiefst.
„Wenn du den Beset meiner Reah, Crane Adams, nicht in die Freiheit entlässt“, begann Logan und sah dabei das Telefon an, „werde ich kommen und ihn holen. Zusammen mit deinem Kopf. Wie du weißt, lebt ein Mitglied der Shu unter meinem Dach und sobald er mit dem Priester gesprochen hat, wird mir dein Leben zuerkannt, Semel des Stammes von Anuket.“
Es folgte eine lange Stille.
„Du dachtest, ich würde einfach zusagen, weil du weißt, dass Jin Crane liebt. Dein Sylvan, Jins Vater, und dein Sheseru, Cranes Vater, haben diesem Plan vermutlich zugestimmt. Doch ich werde dir nicht im Austausch für ein Leben Hilfe zusagen, schon gar nicht, weil mich ein tatsächlicher Bund mit Derek Jackson verbindet, dem Mann, der dein Territorium übernehmen will.“
„Er ist Abschaum! Er ist–“
„Er ist ein Heißsporn“, unterbrach ihn Logan. „Und er ist jünger und stärker als du. Er will einen Stamm, der alle Hautfarben widerspiegelt. Er möchte Vielfalt, weil er den stärksten und besten Stamm will. Daher nimmt er neue Stammesmitglieder nur auf, wenn sie bereit sind, an seiner Seite zu stehen. Für mich macht das Sinn.“
„Du kannst doch nicht –“
„Das kann und habe ich. Das lässt sich nicht mehr ungeschehen machen. Dieser Pakt wurde mit seinem und meinem Blut besiegelt. Du wirst also Crane Adams freilassen und alles ist gut. Tust du das nicht, komme ich mit meinem Sheseru, meinen Khatyu und so vielen Shu-Kriegern, wie der Priester mit zugesteht, und dann werde ich dich, deinen Sheseru und deinen Sylvan töten. Ich werde den Stamm Anuket und seine Ahnenreihe zerstören und Derek Jackson überlassen. Entscheide dich.“
Man konnte Archer durch die Leitung atmen hören.
„Sofort!“
Aller Augen waren auf Logan gerichtet. Er rührte keinen Muskel, war vollkommen von seiner Entscheidung überzeugt. Und ich hatte den Atem angehalten, weil ich nichts lieber wollte, als Crane zurückzubekommen. Doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass, wenn sie sich dazu entschlossen, ihn nicht an Logan herauszugeben, ich ihn nie wiedersehen würde.
„Du musst hierherkommen und meinem Stamm deine Entscheidung mitteilen. Du musst ihnen sagen, dass du dich weigerst, uns zu helfen“, verlangte Archer.
„Ich werde ihnen helfen, Semel“, versicherte ihm Logan. „Sie können jederzeit hierherkommen und auf meinem Land und bei meinem Stamm Zuflucht suchen, wenn sie nicht Teil des Stammes Mnevis werden wollen. Ich würde sie alle willkommen heißen.“
„Du hast gesagt, mein Stamm ist für dich tot –“
„Dein Stamm, Semel“, stellte Logan klar. „Wenn Panther zu mir kommen, um hier unterzuschlüpfen, dann werde ich sie aufnehmen. Sie gehören dann zu meinem Stamm. Das verstehst du sicher.“
Archer hatte keine Ahnung, was für eine Art Mensch Logan war, und das war sein größter Fehler. Logan würde sich nie von Müttern, Vätern und Kindern abwenden. Er würde Geld in die Hand nehmen, um ihren Umzug zu finanzieren, würde mit Derek Jackson sprechen und würde alles tun, um den Übergang für sie so angenehm wie möglich zu gestalten.
„Deine Antwort, Semel“, verlangte Logan.
Durch die Leitung konnte man hören, wie Archer tief ausatmete. „Dann komme und hole dir den Beset deiner Reah.“
„Ich werde mich noch heute auf den Weg machen“, versicherte Logan. „Ich werde mich bei dir melden, nachdem ich mich mit dem Semel des Stammes Mnevis getroffen habe. Du wirst uns, unseren Sylvans und unserem Anhang freies Geleit garantieren.“
„Du wirst nicht deinen Sheseru mitbringen?“
„Das werde ich nicht.“
„Aber wer wird dann –“
„Wie ich bereits erwähnte, befindet sich ein Mitglied der Shu auf meinem Land, Taj Chalthoum. Er wird als mein Sheseru auftreten und Yuri Kosa vertreten.“
„Ich verstehe nicht, wie du deinen Sheseru zurücklassen kannst, wenn deine Reah –“
„Du solltest dich nie, wirklich nie mit Fragen befassen, die meine Reah betreffen“, sagte Logan und seine Stimme, die kalt geklungen hatte, hatte jetzt auch noch einen warnenden Unterton angenommen.
„Wir bitten um die Anwesenheit deiner Reah.“
„Abgelehnt.“
Ich hätte gern etwas gesagt, da ich unbedingt mitkommen wollte, doch wenn Logan schon abgelehnt hatte, konnte ich keine Einwände mehr erheben. Zumindest nicht öffentlich. Doch wenn wir erst einmal allein waren, würde er sich für diese Entscheidung einiges anhören dürfen.
„Mein Sylvan und seine Gefährtin, die Mutter deiner Reah, möchten ihren Sohn sehen.“
Meine Mutter wollte mich genauso wenig sehen wie mein Vater. Das war einfach Blödsinn.
„Meine Reah wird keinen Fuß auf dein Territorium setzen und das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit. Und jetzt möchte ich mit Crane Adams sprechen oder wir treffen uns bei einem Kampf in der Arena wieder.“
Ich hörte, wie Archer scharf Luft holte. Alle hatten Logan letzten Sommer in der Arena kämpfen sehen. Alle Anführer reisten einmal im Jahr nach Sobek, einer Stadt in Ägypten zwischen Gizeh und KairOh um dort das Fest des Tales zu feiern. Letztes Jahr hatte Logan den Semel vom Stamm Dendera getötet, weil der mich entführt und gefoltert hatte. In der Arena hatte jeder sehen können, wie groß und gefährlich er war. Archer konnte nicht wollen, dass sie einander im Kampf gegenüberstanden.
„Ich kann deinem Wunsch nicht nachkommen, Logan Church, da Crane Adams im Moment nicht bei Bewusstsein ist. Noch bevor ich bei seiner Befragung zugegen war, wurde er von meinem Sheseru gegeißelt.“
Ich musste mich an der Stuhllehne festhalten, weil sich der ganze Raum plötzlich zur Seite zu neigen schien. Mir wurde übel.
Crane.
Sie hatten meinen besten Freund gefoltert und ich war nicht da gewesen, um sie aufzuhalten.
„Er wurde gegeißelt“, sagte Logan, als würde ihn die Vorstellung verwirren.
„Ja.“
Im Raum schien es keine Luft zum Atmen mehr zu geben. Mein Brustkorb fühlte sich an, als stecke er in einem Korsett und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, um keinen Laut von mir zu geben. Er war gefoltert und dann entstellt worden. Gegeißelt zu werden bedeutete, mit Messern traktiert zu werden, bis Blut floss. Und dann wurde man verstümmelt. Es war nicht dasselbe wie als Apophi, als Schande, markiert zu werden. Wenn ein Semel eine seiner Katzen so markierte, nahm er ihr ein Auge oder fügte ihr eine Narbe zu. Doch das geschah schnell. Es war nicht als Todesstoß gemeint, sondern als eine Aussage, die in Blut getätigt wurde. Das geschah während eines Stammestreffens oder während eines Kampfes in der Arena, wo viele Zeugen der Zeremonie beiwohnten.
Eine Katze wurde von einem Stamm gegeißelt, wenn sie sich ohne Erlaubnis auf dessen Land aufhielt. Normalerweise geschah dies am Ende einer Jagd und unter der Anleitung des Sheseru. In der Nacht, als ich Delphine, die Schwester meines Gefährten, kennengelernt hatte, war sie allein auf dem Land eines anderen Panthers unterwegs gewesen. Das hätte für sie böse Folgen haben können, wenn Crane und ich nicht eingegriffen und wenn Markel, zu diesem Zeitpunkt Domins Sheseru, mehr im Sinn gehabt hätte, als sie nur zu erschrecken. Eine so bestrafte Katze überlebte oder auch nicht, je nachdem, wie schwer die Strafe ausfiel, die der Vollstrecker des Stammes vorgesehen hatte. Der Katze wurden Schmerzen zugefügt, und je nach Stamm wurde sie verstümmelt oder sogar geschändet. Ohne nachzufragen, gab es keine Möglichkeit abzuschätzen, was meinem besten Freund angetan worden war. Die Tatsache, dass es sein eigener Vater war, der ihn verstümmelt hatte, der anderen erlaubt hatte, ihn festzuhalten, zu foltern, ihm wehzutun und ihn bluten zu lassen, ging über mein Vorstellungsvermögen. Ich konnte nicht nicht mitkommen. Auf keinen Fall.
Ich drehte mich um und ging zum Fenster hinüber, um auf die Skyline von Las Vegas hinunterzuschauen.
„Semel“, sagte Logan mit kalter Stimme. „Ich habe meine Meinung geändert.“
„Dahingehend, ob du deine Reah mitbringst?“
„Dahingehend, ob ich meinen Sheseru mitbringe“, erwiderte er. „Ich werde Yuri Kosa mitbringen und wenn wir ankommen, werden sich dein Sheseru und meiner in der Arena treffen und es wird einen Kampf auf Leben und Tod geben.“
„Das kannst du nicht verlangen –“
„Und ob ich das verlange!“, brach es aus Logan heraus. „Und ich werde noch heute den Priester kontaktieren, sodass ich Shu Krieger als Zeugen bei mir haben kann.“
„Ich –“
„Er wird sterben! Entweder von der Hand meines Sheseru oder durch den Priester, aber er wird sterben!“
„Ja“, sagte Archer atemlos.
„Wie konntest du nur auf die Idee kommen, dich am Beset meiner Reah zu vergreifen? Meiner Reah! Ich bin nicht dein Freund, Semel. Zwischen uns gibt es kein Bündnis.“
„Ich –“
„Ich bin Semel-netjer!“
Sie standen sich nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber, doch selbst durch die Telefonleitung hindurch jagte Logan Archer eine Todesangst ein. Man konnte ihn durch das Telefon wimmern hören.
„Du wirst mir die Namen aller Männer geben, die deinem Sheseru dabei geholfen haben, den Beset meiner Reah zu foltern.“
Foltern.
Das Wort rief viel zu viele schreckliche Bilder vor meinem inneren Auge hervor.
„Hast du mich gehört?“
„Ja.“
„Sollte sich Crane nicht in einem Bett befinden, wenn ich ankomme. Sollte er nicht von einem Arzt versorgt worden sein …“ Er atmete tief ein. „Dann werde ich deine Blutlinie zerstören, Archer Pike. Hast … du … mich … verstanden?“
„Das habe ich.“
„Wir werden morgen zusammen mit Derek Jackson und seinen Männern eintreffen. Du solltest nicht den Fehler machen und mich nach Crane suchen lassen. Verstanden?“
„Ja.“
„Ja?“, zischte er und sein Hass und seine Verachtung waren deutlich in diesem einen Wort zu hören.
„Ja, Semel-netjer.“
Ich hörte, wie Logan auflegte und dann hörte ich, wie etwas scheppernd zerbrach. Ich drehte mich nicht um. Meine Vermutung war, dass er das Telefon aus der Wand gerissen und quer durch den Raum geschleudert hatte. Nur Sekunden später sah ich sein Spiegelbild im Fensterglas neben mir. Ich sah ihn nach Atem ringen, sah den Schmerz in seinen Augen und spürte, wie sein Körper eine Hitzewelle nach der anderen abstrahlte.
„Jin …“
Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich auch nur ein Wort sagte, würde ich zusammenbrechen. Dafür war ich noch nicht bereit.
„Geht“, hörte ich Domin zu den Männern sagen, die immer noch auf dem Boden knieten.
„Semel-netjer“, sagt Calvin Reynolds. „Es tut mir so –“
„Lasst uns allein“, unterbrach ihn Yuri. „Wir danken euch für die Unterbringung. Wir werden sie nicht viel länger benötigen.“
Es gab nichts weiter zu sagen. Ich hörte, wie sie das Zimmer verließen und als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, legte sich eine Stille über den Raum, der uns die Luft zum Atmen zu nehmen schien.
„Ich werde vom Auto aus Taj anrufen“, sagte Domin und seine Stimme klang tief und Furcht einflößend. „Wir sollten nach Hause gehen und packen.“
Ich drehte mich um, ging um Logan herum und hielt auf die Tür zu. Yuri war hinter mir.
„Ich werde sie alle töten, Jin.“
Und auch wenn mein erster Gedanke als Reah Vergebung sein sollte, legten sich diese Worte wie Balsam um mein Herz und gaben mir Trost.
„Das verspreche ich.“
Mehr konnte ich nicht verlangen.
ICH SAß in meinem Schlafzimmer auf dem Sofa. Logan hatte eine Wand einreißen und durch Glastüren ersetzen lassen, die auf den überdachten Innenhof hinausführten. Sowohl drinnen als auch draußen gab es eine Feuerstelle und der ehemals geflieste Fußboden bestand nun aus schwarzem Marmor. Es war wunderschön. Die Bauarbeiten hatten sich über die Sommermonate hingezogen, sodass die Arbeiten zum Winter hin beendet gewesen waren.
„Du wirst frieren“, sagte Logan, der um mich herumging, mich in eine mollige Decke einwickelte und mir die Arme rubbelte, um mich aufzuwärmen. Er beugte sich zu mir herunter, um meinen Geruch einzuatmen. Er schnupperte an meiner Halsbeuge und ich kam ihm entgegen, um ihn zu küssen.
Ich ließ seinem Mund all meine Liebe angedeihen. Ich leckte, saugte, biss und tanzte mit seiner Zunge. Ich liebte den Geschmack meines Gefährten, doch natürlich verfolgte ich in diesem Moment einen bestimmten Zweck.
Er lehnte sich zurück und rang nach Atem. Seine Worte kamen schwer, als er schließlich sprach. „Ich verbiete es.“
Ich schubste ihn von mir.
„Und dazu gibt es keine weitere Diskussion.“
Ich konnte nicht atmen. Verstand er es nicht? Wie konnte er es nicht verstehen?
„Ich werde nicht zulassen, dass du je wieder einen Fuß in diese Stadt setzt. Niemals wieder wirst du dich in das Territorium begeben, in dem sie dir so wehgetan haben. Früher dachte ich, dass sich schon alles fügen würde. Ich dachte, dein Vater würde sich irgendwann ändern und dein Stamm würde seinen Fehler einsehen. Doch dein Vater und Cranes Vater sprachen mit dem Priester von Chae Rophon und nannten dich eine Anomalie. Sie sagten, dass du hättest sterben sollen. Nach all dem, was ich heute weiß, musst du doch verstehen, warum ich dich dort nicht hingehen lasse.“
Ich sah auf den Schnee hinaus.
„Du musst mir vertrauen, dass ich Crane zurückbringe. Du musst mir gestatten, dass ich sie bestrafe.“
Tränen brannten in meinen Augen.
„Cranes Vater wird an Yuri fallen und dein Vater an mich. Genau so sollte es sein. Es kann keine Gnade geben, dazu ist die Wunde zu tief. Früher dachte ich, dass es zwischen unseren Stämmen nichts gibt, doch ich hatte unrecht. Es wird Blut zwischen uns geben, Jin. Es kann gar nicht anders sein. Ich sehe keinen anderen Ausweg.“
Ich fing an zu zittern, während mir Tränen über die Wangen liefen.
„Ich werde dich anrufen, wenn ich angekommen bin, und dir erzählen, was passiert ist“, sagte er und kam wieder auf mich zu. Seine Finger spielten mit meinen langen Haaren und er ließ die Strähnen wie Wasser durch seine Hände gleiten. „Du wirst hier auf mich warten und nirgendwohin gehen. Hörst du mich?“
Ich nickte.
„Ich weiß, dass du wütend bist. Ich kann spüren, wie deine Gefühle wie Wellen über mich hereinbrechen. Doch ich kann nicht tun, was ich tun muss, und der sein, der ich sein muss, wenn du bei mir bist und ich dich beschützen muss.“
Wut umfasste mein Herz mit eisernem Griff.
Er schwieg. Seine Fingerspitzen zeichneten die Linie meines Kinns nach und trockneten die Tränen.
Ich fing an zu zittern, als ich versuchte, meinen Körper wieder in meine Gewalt zu bekommen.
„Hör zu“, sagte er. „Ich weiß, dass du gefährlich und stark bist. Doch wenn Crane verletzt ist, wirst du nicht du selbst sein, und ich kann nicht der Katalysator für deine Verwandlung sein, wenn ich selbst in meiner Panthergestalt bin. Noch kennen wir die Möglichkeiten der Nekhene-Katze nicht vollständig. Wir wissen nicht, wozu du in der Lage bist. Doch das hier, diese Situation mit Crane, ist nicht der richtige Moment, um es herauszufinden.“
Durch meine Tränen hindurch konnte ich nichts mehr erkennen.
„Bitte vertraue mir.“
An Vertrauen mangelte es mir nicht, ich musste einfach nur meinen besten Freund sehen. Ich musste das erste Gesicht sein, das er sah.
„Du denkst, er wird nicht verstehen, wenn ich es bin und nicht du. Aber er wird es verstehen, Jin. Und es muss sein Semel sein, der ihn holen kommt, nicht seine Reah. Er muss seinen eigenen Wert erkennen, genauso wie andere seinen Wert erkennen müssen. Der Gefährte ist nicht derjenige, der eine Katze aus einem fremden Territorium heimholt. Das tut nur der Semel. So ist es maat. Das hier ist keine Verhandlung, sondern ein Krieg. Ist dir klar, was deswegen alles geschehen könnte? Wozu ich gezwungen sein könnte? Jin? Ist dir das klar?“
Ich musste zu Crane, das war alles, was ich wusste.
„Du darfst das Grundstück unter keinen Umständen verlassen.“
Aber ich musste zur Arbeit. Er wusste doch, dass ich zur Arbeit musste.
„Ich habe Ray angerufen und ihm erzählt, dass wir eine Familienkrise haben und dass du für eine Woche nicht kommst. Versuche es gar nicht erst, bleib einfach hier.“
Irgendwie würde ich schon von hier wegkommen.
„Wenn du in Chicago auftauchst, wird das allen zeigen, dass du meine Anweisungen missachtest. Es wird ihnen zeigen, dass ich schwach bin. Willst du das?“
Ich rieb mir über die Augen.
„Du und ich, wir sind eins. Du kannst nicht gegen meine Wünsche handeln. Ich muss mir sicher sein können, dass du hier und in Sicherheit bist, damit ich mich auf meine Aufgabe konzentrieren kann. Verstehst du das?“
Die Frage war nicht, ob ich ihn verstand. Es ging allein um mein Verlangen – mein Verlangen nach Crane.
„Ich bin so schnell wie möglich zurück“, versprach er. Er legte mir zwei Finger unters Kinn, damit ich ihm in die Augen sehen musste. „Du kannst dir sicher sein, dass ich jeden Schmerz, den ich jetzt in dir sehe, später Archer Pike zufügen werde. Er ist für diese Tränen verantwortlich. Das kann kein gutes Ende nehmen.“
Er atmete tief ein, beugte sich zu mir herab und küsste mich.
Als er gegangen war, starrte ich wieder auf das Grau des Winters hinaus. Incline Village, Nevada, nicht weit von Mount Rose am Lake Tahoe, lag verschneit vor mir. Es war eiskalt draußen und der Boden war unter einer dicken Schicht Schnee versteckt. Und es schneite ununterbrochen weiter. Ich hatte mich so auf den Frühling gefreut.
Es dauerte nicht lange, bis Logan zurückkam. Er nahm meine Hand, half mir vom Sofa auf und begleitete mich nach unten. Dort führte er mich ins Wohnzimmer neben den riesigen Kamin. Ich starrte in die Flammen, bewegte aber keinen Muskel. Ich fühlte mich, als wäre ich im Auge des Sturms – ruhig, während im Haus um mich herum alle auf den Beinen waren.
Delphine, Logans Schwester, packte für ihren Bruder. Domin hing am Telefon, um alles zu organisieren. Taj Chalthoum, die Shu-Katze, die vor sechs Monaten aus Ägypten mit zu uns gekommen war, sprach mit Jamal Hassan, seinem Phocal. Er bat um die Erlaubnis, mit Hamid Shamon, dem Priester von Chae Rophon, sprechen zu dürfen, der die Gesetze für jeden Werpanther auf der Welt machte. Er wurde gebeten, einen Botschafter auf Logans Geheiß zu Archer Pike zu schicken, um ihm mitzuteilen, dass der Semel-netjer des Stammes Mafdet sich der Unterstützung des Priesters sicher sein konnte. Nachdem Taj aufgelegt hatte, teilte er Logan mit, dass Hamid einige Shu nach Chicago entsandte. Die lange Reise von Kairo hierher würde einen Tag in Anspruch nehmen, aber sie würden hier sein, um als Zeugen für Logan aufzutreten.
Beim Fest des Tales vor sechs Monaten war nicht nur herausgekommen, dass ich eine Reah war – was ohnehin schon eine Seltenheit war. Außerdem war ich eine Nekhene-Katze. Dadurch war Logan nicht mehr nur Semel-re – ein Semel, der seine Reah gefunden hatte –, sondern Semel-netjer, ein Semel, der eine Nekhene zum Gefährten hatte. Da Logan als einziger Werpanther auf der Welt diese Ehre hatte, war es sehr wahrscheinlich, dass Hamid ihm Hilfe schickte, wenn einer der Shu für Logan darum bat.
„Jin“, hörte ich Taj rufen. „Der Priester schickt Shahid und vier weitere meiner Brüder nach Chicago.“
Ich nickte.
„Jamal meinte, dass er selbst kommen würde, wenn du ihn darum bittest.“
Der Anführer der Shu, der Phocal, bot an, selbst hierherzukommen, um mir zu helfen, Crane zurückzubekommen. Das was ein sehr zuvorkommendes Angebot.
„Wünschst du das?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nun gut.“ Er streckte eine Hand nach mir aus, überlegte es sich dann jedoch anders. „Ich rufe ihn an und bestelle ihm deinen Dank.“
Ich nickte noch einmal und kurz darauf war er verschwunden.
„Jin“, hörte ich Delphine neben mir sagen. „Crane hat von seinen Besuchen noch ein paar Sachen hier. Ich werde die für ihn packen, okay?“
Ich nickte erneut.
„Okay“, sagte sie leise und ging dann wieder.
Mein Brustkorb tat weh, weil mein Herz so schmerzte. Das Atmen fiel mir schwer, weil ich ständig versuchte, mein Schluchzen zurückzuhalten.
Von Logan abgesehen war Yuri der einzige, der mutig genug war, in meine Nähe zu kommen und dort zu bleiben, und auch wenn er nicht besonders aufmerksam war, so war er doch ein Sheseru und ich war eine Reah. Unsere Verbindung lag uns im Blut und manchmal hatte ich den Eindruck, wir konnten die Gedanken des anderen lesen.
„Du musst das Haus nicht verlassen. Koren, als Logans Erbe, wird alle Funktionen an deiner Statt übernehmen und an Domins Seite dem Stamm vorstehen.“
Ich wusste selbst, wer wofür verantwortlich war, das musste man mir nicht erklären.
„Wobei das natürlich etwas unangenehm sein wird, da Domin und Koren nicht miteinander sprechen.“
Ich schwieg, obwohl ich wie jeder hier wusste, wer für diese Entwicklung verantwortlich war.
Wir hatten uns alle auf eine Zeremonie gefreut. Nachdem wir vom Fest des Tales in Sobek im Juni zurückgekommen waren, waren wir davon ausgegangen, dass sich Domin und Koren im Juli, spätestens im August die Treue schwören würden. Doch irgendetwas hatte sich geändert, als wir zurückgekommen waren und auch Peter, Logans Vater, der eine Woche vor uns da gewesen war, konnte die Situation nicht erhellen. Alles, was ich sehen konnte, und alles, was die beiden zu dem Thema sagten, war, dass sie mehr Zeit brauchten, um die wahre Natur ihrer Beziehung zu ergründen, da Koren der Erbe des Stammes Mafdet war.
„Was?“ Delphine war genauso verwirrt gewesen wie ich.
Und als Koren die erste einer langen Reihe von Frauen nach Hause brachte, um sie seinen Eltern und seinem Bruder, dem Semel-netjer, vorzustellen, fing ich an zu verstehen.
Im Oktober, kurz vor Halloween, hatte sich Delphine mit Markel Kovac verbunden, der früher der Sheseru des jetzt nicht mehr existierenden Stammes Menhit gewesen war. Damals war er für Domin das gewesen, was Yuri für Logan war. Die Feier war wunderschön gewesen, die Festlichkeiten dauerten drei Tage und als Geschenk ließ Logan im hinteren Teil des Hauses zwei Wände einreißen, woraufhin für die Frischvermählten ein riesiges Studio-Apartment entstand. Sie liebten es, in ihrem eigenen Reich allein zu sein, ohne die Nähe zur Familie aufgeben zu müssen. Katzen lebten nicht gern allein.
Dass Crane und ich jahrelang von Ort zu Ort gezogen waren, hatte nur an mir gelegen. Eine Reah war ein sehr begehrtes Objekt, aber sobald der Semel eines Stammes feststellte, dass er nicht mein wahrer Gefährte war, wurde es in der Regel hässlich. Sie wollten mich behalten. Ich wollte gehen. Mehr als einmal war ich in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt gewesen, weil jemand in der Hitze des Moments dachte, er wäre unsterblich in mich verliebt. So ein Leben war einfach zu anstrengend, darum hatten Crane und ich beschlossen, uns von allen Werpanthern fernzuhalten. In der Regel waren wir sofort verschwunden, wenn wir deren Anwesenheit bemerkten. Das alles hatte sich in der Nacht geändert, als ich Logan Church begegnet war. Sein Begehren war nicht einseitig gewesen. In dem Moment, in dem ich ihn sah, begehrte ich ihn.
Vor ungefähr einem Monat, kurz nach Silvester, hatte ich Koren schließlich zur Rede gestellt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er glücklich war. Domin sah auch nicht besser aus. Warum dann also die Trennung?
Ich war sprachlos, als ich schließlich Korens Beichte hörte. Er liebte Domin; er war sich nur nicht sicher, ob er bereit war, den Gedanken an eine Gefährtin und an Kinder ohne Leihmutter aufzugeben. Und auch wenn es erstrebenswert schien, einen Gefährten zu finden, so war es doch genauso erstrebenswert, frei zu bleiben. Besonders, da sein Immobiliengeschäft gut lief und er ständig in verschiedenen Städten unterwegs war.
Er war nicht bereit, sich niederzulassen. Oder anders ausgedrückt: Er hatte Angst, eine Entscheidung zu treffen, die sich irgendwann vielleicht als falsch herausstellte. Er war nicht bereit dazu, sich vor Zeugen zu einer Person zu bekennen. Logan war von dem Moment unseres Kennenlernens an bereit gewesen. Delphine hatte beschlossen, dass Markel der eine war. Nicht so Koren. Es könnte ja da draußen noch jemand Besseres geben und dieses Versprechen, der Gedanke, was sich hinter der nächsten Ecke verstecken könnte, zog ihn an. Und wie ich vermutet hatte, war die Wende Peters Rückkehr aus Sobek gewesen. Er hatte zugegeben, dass er am Boden zerstört gewesen war, als er erfahren hatte, dass sein Zweitgeborener schwul war. Es war schwer für ihn gewesen, als sein Erstgeborener sich für einen männlichen Gefährten entschieden hatte. Doch als er erfahren hatte, dass auch Koren darüber nachdachte, hatte ihm das einen Schlag versetzt. Er wollte Enkelkinder, um seine Blutlinie sicherzustellen, und obwohl er behauptet hatte, für alles offen zu sein, hatte ihn das doch schwer getroffen.
In Sobek war er zum Priester gegangen, um sich versichern zu lassen, dass Logan gezwungen sein würde, sich eine Yareah zu suchen und mit ihr Kinder zu bekommen. Doch bevor mich Logan vom Ultimatum seines Vaters informieren und mir versichern konnte, dass er niemals mit einer anderen Frau als einer Leihmutter Kinder haben würde, hatte ich ihn schon davon in Kenntnis gesetzt, dass ich seine Schwester gebeten hatte, uns ein Kind zu schenken. Zusammen würden Delphine und ich den nächsten Semel des Stammes Mafdet hervorbringen. Als Patriarch des Church-Clans war Peter bis zu seinem Tod der Wächter der Blutlinie und es war sein gutes Recht gewesen, mit dem Priester zu sprechen. Die Neuigkeit, dass ich Delphine gebeten hatte, meine Yareah zu sein, hatte ihn begeistert. Sofort nach seiner Ankunft zu Hause, hatte er die wunderbare Neuigkeit mit seinem Zweitgeborenen geteilt.
Was Koren von diesem Gespräch mitnahm, war: Du kannst jetzt tun und lassen, was du willst … es ist mir egal. Logan und seine Reah werden die Church-Blutlinie fortführen. Mir ist egal, was du tust und mit wem. In diesem Moment begriff Koren, dass ihm der Segen und das Verständnis seines Vaters wichtig waren. Er wollte, dass sein Leben so wurde, wie er es sich als Kind vorgestellt hatte. Er wollte genau das, was seine Eltern hatten und in diesem Bild kam eben kein anderer Mann vor. Schon gar nicht Domin Thorne.
Vielleicht.
Oder vielleicht doch.
Koren stand, zum tausendsten Mal, zwischen den Stühlen.
Er konnte nicht sagen, dass er Domin wollte, aber er wollte auch nicht, dass jemand anderer ihn hatte. Er liebte ihn und wollte unbedingt mit ihm schlafen, aber der ganze Rest … der war wirklich verzwickt.
Ich hatte ihn nicht einmal ansehen können. Nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, brachte ich in der Regel Abstand oder Yuri zwischen uns. Niemand sprach mit mir, ohne dass Yuri das abnickte. Und da ich Koren nicht sehen wollte, sah ich ihn eben nicht.
„Er ist ein Idiot“, hatte Logan zu mir gesagt, als wir beide vom Balkon aus beobachteten, wie Domin auszog. Obwohl Koren kaum da war, war das hier doch sein Zuhause, deshalb hatte sich unser Maahes entschlossen, ein Loft in King’s Beach zu kaufen, unten am Fuße des Bergs. Die Fahrt dorthin dauerte nur zweiundzwanzig Minuten, doch Logan fand, das waren zweiundzwanzig Minuten zu viel.
„Wer ist ein Idiot? Domin, weil er geht, oder Koren, weil er ihn nicht bittet, hierzubleiben?“
„Domin, weil er geht“, hatte Logan gegrummelt. „Wenn man etwas will, dann kämpft man darum.“
„Wohl wahr, aber Domin hat schon mal darauf gewartet, dass Koren eine Entscheidung trifft, und trotzdem sind sie heute keinen Schritt weiter. Wie oft darf dein Bruder Domins Herz als Fußabtreter benutzen?“
„Koren wird sich festlegen, was er wirklich will.“
„Bis er sich entschieden hat, ist es zu spät“, hatte ich gesagt, während ich weiter beobachtete, was unter uns vor sich ging. Domin war damit beschäftigt, die Umzugsfirma anzuweisen.
„Das ist eine sehr pessimistische Einstellung“, hatte er mich geneckt und sich zur mir gebeugt, um mich auf die Schläfe zu küssen.
„Jemand anderes wird Domin Thorne entdecken“, hatte ich meinem Gefährten mit sehr ernster Stimme erklärt. „Er kann unglaublich anstrengend sein, aber er ist ein echter Hingucker und sehr leidenschaftlich. Und da er dein Maahes ist, ist er auch sehr loyal und gerecht. Weil du an ihn geglaubt hast, hast du ihn verändert. Durch deine Güte und Akzeptanz hast du ihn zu einem anderen Menschen gemacht.“
„Er ist schon immer so gewesen“, hatte Logan gesagt. „Er hat es nur für eine Weile vergessen.“
Domin war einer von den Guten gewesen? „Sprechen wir über denselben Mann?“
„Ja.“
Ich wollte nicht mit ihm streiten. Mir war bewusst, dass Logan diese Veränderung in seinem Maahes hervorgerufen hatte, selbst wenn er das nicht sehen konnte. „Koren ist ein Idiot.“
„Warum sagst du ihm das nicht?“
Ich hatte geseufzt, bevor ich mich zu meinem Gefährten umgedreht und ihn angesehen hatte. „Weil niemand auf mich hört. Das sollten sie eigentlich und trotzdem tun sie es nicht. Crane ist auch gegangen und Russ … Alle verlassen unser Zuhause und ich hasse es.“
„Ich werde dich niemals verlassen.“
Das beruhigte mich mehr, als er ahnen konnte.
„Deine Zähne klappern“, sagte Yuri und brachte mich damit wieder zurück in die Gegenwart.
Das lag daran, dass mir innerlich und äußerlich kalt war.
„Ich kenne dich. Ich weiß, dass du Angst um Crane hast und befürchtest, dass mir etwas zustößt, während ich die Rache ausübe, die du gern selbst ausüben würdest. Aber Jin“, seine Stimme brach, „ich bin der Sheseru meines Stammes. Das ist ganz allein meine Aufgabe.“
Ich beugte mich nach vorn, die Ellbogen auf den Knien und das Gesicht in den Händen.
„Stimmt’s?“
Ich nickte und wir blieben so nebeneinander sitzen.
Als sie bereit zum Aufbruch waren, war es bereits dunkel und ich saß immer noch regungslos da und dachte an Crane. Hatte er Angst? War er bei Bewusstsein? Hatte er nach mir gerufen, als sie ihm Gewalt angetan hatten? Wünschte er sich in genau diesem Augenblick, dass ich bei ihm wäre? Hatte er sich verlassen und machtlos gefühlt? War er vergewaltigt worden? All diese Gedanken schwirrten durch meinen Kopf.
Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren und das war nicht nur für mich nicht gut. Es schien, als beschränkte sich meine Macht nicht länger auf meinen Körper oder meine Verwandlung. In Sobek, kurz bevor ich mit Logan wiedervereint worden war, hatte ich gelernt, dass ein Teil davon die Kraft einer Reah war, die in der Lage war, ihre eigenen Gefühle zu übertragen. Bevor ich das gewusst hatte, lief ich durchaus Gefahr, einen Raum mit meinen Pheromonen und Gefühlen zu fluten. Dass meine Macht so plötzlich angewachsen war, war eine Überraschung gewesen und der Priester von Chae Rophon hatte einen Namen dafür gefunden: Nekhene.
Ich war eine Nekhene-Katze, eine Falken-Katze. Ich war die einzige meiner Art und mächtiger, als wir uns vorstellen konnten, denn soweit Hamid wusste, hatte die letzte Nekhene vor tausend Jahren gelebt. Es war die eine Sache, dass eine Nekhene sich aus reiner Willenskraft heraus verwandeln konnte und das innerhalb eines Augenaufschlags. Der Rest erschloss sich uns nur nach und nach.
Das Problem war, dass ich nicht wusste, was ich zu erwarten hatte, weil das niemand vorhersagen konnte. Das einzige, was Logan und ich und alle anderen bisher in Erfahrung hatten bringen können, war die Tatsache, dass die Reah die Nekhene übertrumpfte. Die Liebe, die ich für meinen Gefährten empfand, verankerte mich in der Realität. Sie gab Logan Macht über mich. Doch wie lange das so bleiben würde – und ob das so bleiben würde – wusste niemand. Leider war es auch so, dass ich als Reah und Nekhene meine Schmerzen so deutlich ausstrahlte, dass anwesende Panther sie fühlen konnten, als wären sie ihre eigenen. Die ganz normale Kontrolle, die meine Familie und Freunde und andere Panther über ihre eigenen Emotionen hatten, wurde ihnen entrissen und stattdessen gab es nur noch einen anhaltenden Angriff, ein ständiges Gefühlschaos, bis der einzige Ausweg die Verwandlung ins Tier war.
Hatten sich Menschen erst einmal in Panther verwandelt, gab es nur noch dieses Bewusstsein. Sie konnten sich hin und her verwandeln, weil es sich um eine angeborene Fähigkeit handelte. Ein Semel konnte seinen Kathyu befehlen, sich zu verwandeln und sie würden das tun, einfach, weil man es ihnen gesagt hatte. Nur Reahs bewahrten sich die Erkenntnis, dass sie Menschen waren, selbst wenn sie sich in ihrer Panthergestalt befanden. Semel bewahrten sich nur das Wissen um ihren Gefährten. Die Vorstellung, dass ich allein durch meinen Schmerz einen ganzen Raum voller Menschen in Panther verwandeln konnte, war beängstigend.
Doch Schmerz war nicht der einzige Grund, warum Menschen sich verwandelten. Leidenschaft funktionierte genauso – Lust und Verlangen. Wenn die Macht der Nekhene mich überwältigte, war mein Geruch berauschend, und niemand konnte sagen, was als nächstes passieren würde. Das beunruhigte Logan zutiefst. Hamid, der weiterhin versuchte, soviel wie möglich über die Macht der Nekhene herauszufinden, gab uns den Rat, dass es jetzt am wichtigsten wäre, der Nekhene den Bund zwischen mir und meinem Semel begreiflich zu machen.
Der einzige Grund, warum ich im Leichenschauhaus in der Lage gewesen war, mich zu beherrschen, war Logan. Wenn er bei mir war, wenn seine Haut meine Haut berührte, dann ließ sich die Nekhene beruhigen. In erster Linie war ich Reah und Logans Gefährte und die Nekhene reagierte auf dieses Band. Doch wenn er nicht in der Nähe war, um mich zu berühren und zu zähmen, wurde diese wilde Kreatur in mir rastlos, wenn sie verletzt oder verängstigt oder bedroht war.
Bevor ich Sobek verlassen hatte, hatte mir der Priester erklärt, dass in einigen alten Texten die Nekhene gar nicht als eine Art Katze, sondern eher als eine ererbte Kraft beschrieben wurde. Doch ich kannte die Wahrheit: Es war einfach eine Mutation in Größe und Schnelligkeit. Und doch hatte sich in allen Verwandlungen, die ich in meinem Leben gesehen hatte, der grundsätzliche Aufbau nicht verändert, nur die Muskulatur verwandelte sich. Ich jedoch verwandelte mich in etwas grundlegend anderes. Es machte also Sinn, dass die Nekhene Macht war und nicht einfach nur Biologie. Und doch: Wie konnte das sein? Eine Verwandlung war keine Magie, also musste die Macht einer Nekhene ähnlich sein – etwas, das man logisch erklären konnte.
Jeden Tag versuchte ich, mich von Logik und Vernunft und Wissenschaft zu überzeugen. Jeden Tag machte das weniger Sinn. Manchmal sorgte nur meine Haut dafür, dass ich nicht in eine Million Partikel zerstob.
„Jin.“
Und wenn ich mich nicht wie ich selbst fühlte, verlor ich mich selbst ein kleines bisschen.
„Jin, bitte“, hörte ich Yuri neben mir flüstern. „Bitte versuch zu atmen. Bitte beruhige dich.“
Ich konnte mich kaum auf etwas anderes konzentrieren als auf das, was die Macht der Nekhene heraufbeschworen hatte.
„Jin!“
Zu hören, wie mein Name gerufen wurde, brachte mich zurück und ich erkannte, dass ich meinen Herzschlag hämmern hören konnte und dass ich völlig außer Atem war.
„Mir wird ganz übel“, knurrte Mikhail am anderen Ende des Zimmers. „Bitte, Jin. Bitte atme.“
Ich stand auf und ging hinüber zu dem bodentiefen Fenster und legte meine Stirn an die kalte Scheibe.
„Was ist –“, begann Delphine, doch dann keuchte sie auf. „Ich glaube, ich muss mich verwandeln.“
Im Zimmer entstand Unruhe. Ich hörte, wie die Eingangstür mit Schwung aufgeschlagen wurde und wie Yuri nach seinem Semel rief.
Auch andere waren in der Nähe, ich konnte sie spüren. Ich schloss meine Augen, als der Schmerz in mir anschwoll und wuchs und mich unter sich begrub.
„Was-Jin.“ Ich hörte, wie Logan meinen Namen sagte und dann näher kam.
„Logan“, sagte Taj von irgendwo in meiner Nähe. „Tu etwas. Es fühlt sich an, als müsse ich gleich aus meiner eigenen Haut fahren.“
„Ich –“ Mikhail würgte. „Ich werde mich gleich verwandeln, ich kann es spüren.“
„Logan“, keuchte Yuri und ich hörte, wie er mit der Faust langsam gegen die Wand schlug. „Bitte, ich kann nicht … ich werde mich auch verwandeln.“
„Jin!“
Als ich Logans Hand in meinen Haaren spürte, versuchte ich, mich zu entziehen, doch er war stärker als ich und hielt mich fest, sodass ich nicht entkommen konnte.
„Hör auf“, befahl er mir. „Du denkst, dass alles in dir auseinanderbricht, wenn ich dich berühre. Aber das wird nicht passieren.“
Ich drehte mich nicht um, um ihn anzusehen. Er zog fest an meinen Haaren, bog meinen Kopf zurück und legte seine andere Hand an meine Kehle. Seine Lippen waren an meinem Ohr. „Du wirst dich mir unterwerfen, weil ich stärker bin als du.“
Ich nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug und spürte, wie etwas in mir eine Entscheidung traf. Vor meinem inneren Auge sah ich den Schwanz einer Katze, wie er unentschlossen hin und her schlug. Wie ein Pendel …
„Du gehörst mir und all dein Schmerz gehört auch mir. Vertraue ihn mir an, meine Reah.“
Aber wie konnte ich so etwas tun? Er war dabei, mich allein zu lassen, und ich musste zu Crane.
„Hör auf,“ befahl er.
Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.
Ein Knurren kam aus seiner Kehle und dann beugte er meinen Kopf nach vorn, strich mein Haar zu Seite, legte meine Schulter frei und schlug seine Fänge in meine Kehle.
Ich zuckte zusammen und ein Schluchzen entrang sich meiner Brust.
Er war stärker, ich war schwächer, und ich beruhigte mich, weil er mir aufs Neue bestätigt hatte, dass mein Platz an seiner Seite war, bei meinem Stamm. Erst da kam meine Welt wieder ins Lot und ich konnte wieder atmen.
Für ein paar unendliche Minuten standen wir einfach so da, bis er irgendwann seine Fänge aus meinem Fleisch zog. Er leckte über das Blut, das aus der Wunde tropfte, und küsste meine Haut.
„Mein“, versicherte er mir. Er rieb mit dem Kinn über meine Wange, mein Gesicht und markierte mich mit seinem Geruch. „Du bist mein.“
Ich drehte mich um und vergrub mein Gesicht in seiner Brust. Er umarmte mich und legte sein Kinn auf meinen Scheitel. Ich zitterte und hielt mich an ihm fest, als hinge mein Leben davon ab.
„Schatz, du hast seit Tagen nicht geschlafen. Komm, ich bringe dich ins Bett, damit du dich ausruhen kannst. Du musst mal die Augen zumachen. Ich bin ja bei dir, ich bin immer bei dir. Du wirst immer zu mir gehören.“
„Oh mein Gott, danke“, keuchte Delphine und ich hörte, wie sie zu Boden glitt.
„Himmel“, stöhnte Mikhail. Ich öffnete die Augen und sah, wie er sich an der Wand zu Boden sinken ließ. Schließlich saß er mit angewinkelten Knien da und machte einen völlig erschöpften Eindruck.
„Danke, Logan“, murmelte Markel.
Yuri atmete tief ein und aus.
„Ruh dich aus“, hörte ich Mikhail flüstern. Schmerz lag in seiner Stimme. „Bitte.“
„Ja“, stimmte Taj ihm zu. „Bitte.“
Ich atmete Logans Geruch ein und konzentrierte mich auf das Geräusch seines Herzschlags. Ich wünschte, dass ich mich mit ihm hinlegen, meinen Körper um seinen winden könnte.
„Wenn ich mit deinem Beset zurückgekehrt bin, meine Reah, gehöre ich ganz dir.“
Ich hatte nur dieses Versprechen als Trost.
DELPHINE WECKTE mich am nächsten Morgen und brachte mir das Telefon.
„Wer ist es?“, fragte ich, da Logan und jeder sonst, der mir nahestand, mein Handy angerufen hätte. Es musste also jemand anderes sein.
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte sie. Sie blinzelte mich an und legte eine Hand auf mein Gesicht. „Aber ich glaube, dass es vielleicht jemand ist, den Russ kennt.“
Jemand, der Logans jüngsten Bruder kannte? „Russ?“, sagte ich und nahm dann das Telefon. „Hallo?“
„Hi, äh. Ist da Jin?“
„Ja, wer ist da?“
„Wirklich?“
„Ja“, sagte ich genervt.
