Timing: Der richtige Zeitpunkt - Mary Calmes - E-Book

Timing: Der richtige Zeitpunkt E-Book

Mary Calmes

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Beschreibung

Buch 1 in der Serie - Timing Stefan Joss hat einfach kein Glück. Nicht nur, dass er mitten im Sommer nach Texas muss, um bei der Hochzeit seiner besten Freundin Charlotte die Ehrenjungfer zu geben. Nein, er soll auch noch gleichzeitig ein millionenschweres Geschäft für seine Firma abschließen! Das Allerschlimmste aber ist, dass er, kaum angekommen, mit dem Mann konfrontiert wird, von dem Charlotte versprochen hatte, dass er nicht zur Hochzeit kommen würde: Ihrem Bruder, Rand Holloway. Stefan und Rand sind sich, seit dem Tag, an dem sie sich das erste Mal trafen, spinnefeind. Und so ist Stefan mehr als geschockt, als ein vorübergehend vereinbarter Waffenstillstand die üblichen Feindseligkeiten sofort in knisternde Spannung verwandelt. Wenn auch misstrauisch gegenüber den unerwarteten Gefühlen, wird Stefan durch ein ehrliches Geständnis Rands aus der Bahn geworfen und beschließt, ihm eine Chance zu geben. Doch ihre aufkeimende Romanze wird bedroht, als Stefans Geschäftsabschluss schiefläuft: Die Besitzerin der letzten Ranch, die er für seine Firma aufkaufen soll, wird ermordet. Stefan steht die Überraschung seines Lebens bevor, als er sich plötzlich selbst in tödlicher Gefahr befindet. 

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Seitenzahl: 338

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Timing: Der richtige Zeitpunkt

Von Mary Calmes

Buch 1 in der Serie – Timing

Stefan Joss hat einfach kein Glück. Nicht nur, dass er mitten im Sommer nach Texas muss, um bei der Hochzeit seiner besten Freundin Charlotte die Ehrenjungfer zu geben. Nein, er soll auch noch gleichzeitig ein millionenschweres Geschäft für seine Firma abschließen! Das Allerschlimmste aber ist, dass er, kaum angekommen, mit dem Mann konfrontiert wird, von dem Charlotte versprochen hatte, dass er nicht zur Hochzeit kommen würde: Ihrem Bruder, Rand Holloway.

Stefan und Rand sind sich, seit dem Tag, an dem sie sich das erste Mal trafen, spinnefeind. Und so ist Stefan mehr als geschockt, als ein vorübergehend vereinbarter Waffenstillstand die üblichen Feindseligkeiten sofort in knisternde Spannung verwandelt. Wenn auch misstrauisch gegenüber den unerwarteten Gefühlen, wird Stefan durch ein ehrliches Geständnis Rands aus der Bahn geworfen und beschließt, ihm eine Chance zu geben.

Doch ihre aufkeimende Romanze wird bedroht, als Stefans Geschäftsabschluss schiefläuft: Die Besitzerin der letzten Ranch, die er für seine Firma aufkaufen soll, wird ermordet. Stefan steht die Überraschung seines Lebens bevor, als er sich plötzlich selbst in tödlicher Gefahr befindet.

Inhalt

Zusammenfassung

Widmung

1

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3

4

5

6

7

8

9

10

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12

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Biographie

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Copyright

Für meine Mom, die an Gnade glaubte,

und für Elizabeth und Lynn für die ihre.

1

ES WAR nicht fair von meinem Chef, mir den Auftrag aufs Auge zu drücken.

„Ich verstehe nicht, warum du so eine große Sache daraus machst. Wir reden hier nur über den einen Morgen. Keiner spricht davon, dass du deinen ganzen – würdest du mich bitte ansehen?“

Aber ich hatte keine Zeit. In Vorbereitung auf meine Abwesenheit sortierte ich den Papierkram auf meinem Schreibtisch. Verschiedene Leute würden verschiedene Dinge übernehmen, daher ordnete ich alles entsprechend auf Stapel. „Meine beste Freundin heiratet, Knox. Ich will dabei nicht darüber nachdenken müssen, ob –“

„Es ist wichtig, dass du dich mit dieser Frau triffst, Stef. Du bist der einzige, der den Deal abschließen kann, also bist du derjenige, der hingeht.“

„Dann gehe ich, wenn ich wieder zurück bin“, antwortete ich abwesend und öffnete den Posteingang meines internen E-Mail-Postfachs in der Hoffnung, dass er den Wink verstand und sich verkrümelte.

„Sieh mich an.“

Aber ich war zu beschäftigt. Es gab Dinge zu erledigen, bevor ich fahren konnte, ohne mir Sorgen zu machen. Meine Assistentin war zwar fantastisch, aber ich konnte ihr nicht alles überlassen. Sie würde mich umbringen.

„Stefan.“

Ich sah vom Monitor auf und ihn an.

„Macht das für dich ansatzweise Sinn? Du fliegst nach Amarillo –“

„Was?“

„Stefan.“ Seine Stimme wurde tiefer, gereizt, als ihm klar wurde, dass ich ihm nicht länger zuhörte.

„Sprechen wir immer noch darüber?“

„Du fliegst nach Amarillo für die –“

„Lubbock“, korrigierte ich ihn. „Ich fliege nach Lubbock.“

„Wie auch immer. Du erzählst mir, dass du nach Lubbock fliegen und von dort aus in den kleinen Ort fahren wirst, in dem deine Freundin heiratet – welcher zufällig nur einen Ort von dem entfernt ist, in dem Mrs Freeman lebt. Dann kommst du zurück nach Chicago, nur um auf dem Absatz kehrt zu machen und den gleichen Weg wieder zurückzufliegen? Klingt das für dich logisch?“

Das tat es nicht, nein. Und auch, wenn ich nicht die Absicht hatte, es ihm zu sagen, hatte meine beste Freundin Charlotte Holloway, bald Charlotte Cantwell, mir genau das Gleiche gesagt, als ich ihr erklärt hatte, was mein Chef plante.

„Geh einfach zu dem Treffen.“ Sie hatte am Telefon über mich gelacht. „Ich meine, Himmel noch mal, Stef, es ist nur dieser eine Mittwochmorgen und die ganze Hochzeitssache beginnt eh nicht vor dem Abend. Mir ist das so egal, ich schwör's bei Gott.“

„Du wirst mir vorwerfen, dass ich deine Hochzeit zu einer Geschäftsreise gemacht habe.“

„Ich werde es dir nur dann vorwerfen, wenn du nicht da bist, wenn ich dich brauche. Abgesehen davon … ist für mich alles okay.“

„Aber –“

„Stef, ich bin in Winston. Die Ranch, wo sie dich hinschicken, ist in Hillman. Ernsthaft, das ist nur etwa 'ne Stunde Fahrzeit. Höchstens.“

„Ich möchte, dass du weißt, dass es mir nur um dich geht.“

„Ja, Süßer, das weiß ich.“

„Stefan!“ Die Art und Weise in der Knox mich anfuhr brachte mich zurück in die Gegenwart.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

Ich hatte in Erinnerungen geschwelgt, von daher lautete die Antwort nein, ich hatte meinem Chef, Knox Bishop, Abteilungsleiter für Strategische Transaktionen und Marketing, nicht zugehört.

„Geh einfach und triff dich mit Mrs Freeman, okay? Ich habe dir schon gesagt, dass ich das Ticket bezahle, was willst du noch?“

„Ich habe nichts mit dem eigentlichen Ankauf zu tun“, antwortete ich zum gefühlt millionsten Mal. „Du weißt das. Ich bin in der Akquisition, nicht im An- und Verkauf.“

„Das ist nur ein Titel, Stef. Du bist im Ankauf, glaub mir.“

„Nein.“ Ich kniff meine Augen zu Schlitzen zusammen. „Ich beurteile, welche Grundstücke wir erwerben sollen oder auch nicht, und wie viel Geld für besagte Grundstücke angeboten werden soll oder auch nicht. Nachdem diese Hürde überwunden und der Deal abgeschlossen ist –“

„Das hier ist wichtig.“

„Dann schick einen von den Jungs aus dem –“

„Ich brauche dich dafür.“

„Warum?“

„Weil ein großer Haufen Geld daran hängt, dass wir diesen Deal abschließen“, erklärte er und setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs.

Knox Bishop war einer dieser erfolgreichen Unternehmertypen die immer so aussahen, als wären sie dem Titelblatt einer Modezeitschrift entstiegen. Er war perfekt wie ein Model. Er trug nur Designer-Klamotten, seinen stahlblauen Augen entging nichts, und durch sein dichtes, graues Haar zogen sich einzelne, silberne Strähnen – kurz, er war makellos. Das einzige, das an ihm noch außergewöhnlicher war als die Passform seiner Anzüge oder die Breite seiner Schultern oder das Glitzern in seinen Augen, wenn er glücklich war, war sein stets auf Hochleistung laufender Verstand. Der Mann war ein erstklassiger Planer und er übersah nicht das kleinste Detail. Sein Plan, mich statt eines anderen nach Texas zu schicken, war bereits sorgfältig durchdacht. Ich musste nur noch herausfinden, was er vorhatte. Nach vier Jahren Arbeit für den Mann hätte es leichter sein sollen, zu verstehen, auf was er eigentlich hinaus wollte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ich versteh's einfach nur nicht. Mach es mir begreiflich.“

„Ich kann nur dich schicken.“

„Warum?“

„Tu es als einen Gefallen für mich.“

Als einen Gefallen für ihn? „Irgendwas muss hier wirklich schief laufen.“

„Mach dir darum keine Gedanken. Bring einfach Mrs Freeman in Winston, Texas, dazu, an uns zu verkaufen.“

„Warum ist das so wichtig?“

„Wir brauchen das Land.“

„Es gibt noch mehr Land.“

„Nicht mehr.“

„Weißt du, ich hab die Akte gelesen.“

„Aber dann musst du es ja verstehen.“

Ich schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Was ich verstehe ist, dass deine Verkäuferin, Grace Freeman, die einzige ist, die sich in dieser Angelegenheit weigert, unser Angebot anzunehmen. Alle anderen rund um sie herum haben ihre Ranchs verkauft. Sie macht Ausflüchte, und du hast keine Ahnung, warum. Du weißt nicht, ob sie mehr Geld will oder ob die Vorstellung, ihre Ranch zu verkaufen, sie verunsichert“

„Deshalb brauche ich ja dich, um –“

„Weißt du, der Bruder meiner Freundin Charlotte hat eine Ranch, und er würde nie im Leben verkaufen. Wie um alles in der Welt stellst du dir vor, dass ich diese Frau dazu bringen kann, ja zu sagen?“

„Stef –“

„Du solltest einen Makler hinschicken, um sie zu überreden, nicht mich.“

„Aber begreifst du, dass –“

„Ich begreife, dass irgendjemand aufgrund der Tatsache, dass die anderen Rancher so schnell verkauft haben, Armor South das Land vor sechs Monaten versprochen hat. Also haben wir einen Vorschuss bekommen, den wir vermutlich schon verschiedenen anderen Projekten zugeordnet haben. Und jetzt will Armor South sein Land, damit sie einen weiteren dieser Megastores bauen können. Ich verstehe es. Ich verstehe, dass wir unter Druck stehen, denn wenn wir den Deal für das Land nicht sichern, müssen wir Armor South in, ich vermute, Millionenhöhe entschädigen.“

„So was in der Richtung.“ Er lächelte mich an.

„Dann schlage ich vor, dass du unseren besten Mann aus dem Ankauf da raus schickst –“

„Das haben wir schon getan.“ Knox seufzte tief. „Mrs Freeman hat ihn von ihrem Grundstück geworfen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Ja, ich weiß.“

„Mir scheint das ziemlich eindeutig.“ Ich schmunzelte. „Der Deal ist gestorben. Gib Armor South ihr Geld zurück und fang an, nach einem neuen –“

„Es gibt keinen anderen Ort.“

„Dann –“

„Stef –“

„Die Sache ist doch die, Knox. Es kann gut sein, dass, wenn ich hinfahre, sie mich ebenfalls von ihrem Land wirft.“

„Und wenn sie das tut, dann werden wir an Armor South zurückzahlen, aber ich wette, dass sie an dich verkauft.“

„Das ist ein Job für die Finanz-Jungs. Biete ihr Bares auf die Hand und sieh, was passiert.“

„Das haben wir. Es hat nicht funktioniert.“

„Knox.“ Ich seufzte resigniert. Er würde nicht aufgeben. „Was glaubst du, kann ich dieser Frau sagen, um sie zum Verkaufen zu bringen, das sie nicht schon gehört hat?“

„Ich denke, du solltest die Vorteile eines Green Light Megastores für die Allgemeinheit erklären.“

Ich stöhnte. „Wir haben keinen in Chicago, ich bin noch nie in einem gewesen. Abgesehen davon arbeite ich weder für Armor South noch für Green Light. Ich arbeite für Chaney and Putnam Acquisitions, genau wie du.“

„Ich weiß, Stef, aber du musst gehen.“

Ich stieß einen weiteren, höchst genervten Seufzer aus.

„Du kannst nicht immer alle deine Aufträge mögen. Es gehört praktisch dazu, dass man einige hasst.“

„Wie ich diesen.“

„Stef.“

„Ich fahre zu einer Hochzeit, und du willst, dass ich, während ich da bin, zu einer geschäftlichen Besprechung verschwinde. Klingt das für dich nicht ein bisschen geschmacklos?“

„Es ist wirklich eine fantastische Gelegenheit für dich, dich zu beweisen.“

Wem gegenüber musste ich mich beweisen? „Ich beweise mich nicht. Ich arbeite mit –“

„Ich weiß, Stef. Himmel, ich weiß. Jeder weiß es.“ Knox verdrehte die Augen. Er hatte offensichtlich die Nase voll. „Sie wollen dich da haben, Stef, also gehst du. Ende der Geschichte.“

„Du willst, dass ich gehe. Schieb es nicht auf jemand anderen.“

„Bitte, was auch immer. Ich will, dass du gehst.“

„Was du brauchst bin nicht ich, was du brauchst ist eines deiner Einkäufergenies.“

„Was ich brauche bist du, und du siehst den Grund nur nicht, weil du es nicht tun willst und weil du so hart gegen mich angehst. Wenn du auch nur eine Minute darüber nachdenken würdest, würdest du die Logik sehen.“

„Nein, würde ich nicht.“

„Stef, niemand bekommt Sachen so hin wie du. Kaufzusagen von allen Parteien zu bekommen, ist deine Stärke. Du schließt Geschäfte ab wie ich es noch nie gesehen habe.“

„Ich schließe keine Geschäfte ab, das ist nicht abschließen. Was ich tue, ist Unterschriften bekommen.“

Ich hätte wirklich blöd sein müssen, um nicht merken, dass ich ein Händchen für Menschen hatte, aber ich hatte trotzdem keine Ahnung, was das mit dem zu tun hatte, was wir hier gerade besprachen. Ich hatte keine weiteren Informationen eingeholt und daher auch keine Möglichkeit, zu wissen, was für die Beteiligten am besten war, und ich wollte auch nicht lügen und so tun, als wüsste ich es. Ich handelte immer nach der Prämisse, dass das, was ich tat, auch tatsächlich im besten Interesse von Käufer und Verkäufer war, aber in diesem Fall konnte ich das nicht ehrlicherweise behaupten.

„Stef.“

„Ich glaube wirklich nicht, dass das eine gute Idee ist.“

Knox' Lächeln war breit als er tief seufzte. „Ich schwöre, dass es möglicherweise die beste Idee ist, die ich je hatte.“

Ich starrte ihn an.

Er wackelte mit den Augenbrauen.

„Ich hasse dich wirklich.“

„Nein“, sagte er, als er sich im Stuhl zurücklehnte und mich ansah. „Letzten Endes würdest du dich, wenn nötig, für mich opfern. Du bist der loyalste Mensch, den ich je in meinem Leben getroffen habe.“

Ächzend ließ ich meinen Kopf zurückfallen und fuhr mir grob mit den Fingern durchs Haar. „Du glaubst nicht, dass es Selbstmord ist, einen schwulen Mann nach Texas zu schicken?“

„Du fliegst sowieso, deshalb habe ich ja an dich gedacht. Es war wie eine Antwort auf meine Gebete.“

„Ich gehe zu einer Hochzeit, nicht, um mich mit Ranchern zu unterhalten.“

„Du hast gesagt der Bruder deiner Freundin sei Rancher.“

„Ja, und wir reden nicht miteinander. Um genau zu sein, er hasst mich und ich ihn.“

„Nun, ent-hasse ihn, du könntest seine Hilfe vielleicht brauchen“, schlug Knox vor.

Ich stöhnte laut. „Das ist nicht mal ansatzweise möglich.“

Knox grinste mich an. „Klingt mir ganz so, als würdest du ihn vielleicht mögen.“

„Okay, das war's, ich gehe nicht. Du kannst mich feuern, wenn du willst, aber ich gehe nicht.“

„Du und deinesgleichen seid so dramatisch.“

„Ich und meinesgleichen?“ wiederholte ich entgeistert.

Er seufzte laut.

Ich warf ihm einen säuerlichen Blick zu, und er schnaubte belustigt.

„Schwul in Texas ist ein Widerspruch in sich.“

„Veranstalte nur keine Pride Parade oder so.“

„Oh Gott.“

„Und lass bloß deine Regenbogen-Fahne zu Hause.“

„Ich hab keine Regenbogen-Fahne“, knurrte ich ihn an.

Knox begann zu lachen.

„Scheiße, haben die da nicht den Klu-Klux-Klan oder so?“

Sein Gelächter wurde heftiger und lauter.

„Ich hab nicht die richtigen Klamotten für aufs Land.“

Knox' Kopf fiel gegen die Stuhllehne und er lachte so sehr, dass er kaum Luft bekam. Zumindest einer von uns fand die Sache lustig. Ich war überhaupt gar nicht begeistert.

2

ICH HATTE an der Zusammenkunft an dem Nachmittag, bevor das viertägige Hochzeits-Wochenend-Spektakel meiner besten Freundin losging, für ganze zehn Minuten meine Freude. Dann sah ich ihren Bruder an der Bar lehnen. Er wirkte vollkommen fehl am Platz, wie er da stand und mit unbehaglicher Miene mit dem zukünftigen Bräutigam sprach.

„Oh mein Gott, Char“, sagte Tina Jacobs, die neben mir stand. „Wie hast du es geschafft, deinen Bruder an einem Dienstag von seiner Ranch zu locken?“

Langsam drehte ich mich um und sah meine Freundin, Charlotte Holloway, an.

„Oh, sieh mal.“ Sie setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Rand ist da. Ist das nicht fantastisch, Stef?“

Ich sah sie lediglich an.

Ihr Lächeln wurde breiter.

Mein Gesicht verfinsterte sich.

„Okay, bitte“, sagte sie scharf. Sie fühlte sich schuldig und wir wussten es beide. „Ich hab gelogen. Mein Bruder wird in der Tat bei der Hochzeit dabei sein.“ Sie hielt mich am Oberarm fest um sicherzustellen, dass ich nicht verschwinden konnte. „Aber an diesem Wochenende geht es nicht um dich, es geht um mich und Ben. Du bist nicht zum Spaß hier. Du bist hier, um uns beide bei Verstand zu halten.“

Ich warf ihr einen säuerlichen Blick zu.

„Stefan Michael Joss“, fuhr sie mich an. Sie verwendete meinen kompletten Namen – das hatte sie noch nie getan. „Du wirst augenblicklich aufhören, beleidigt zu sein! Das ist meine Hochzeit, Himmel noch mal!“

Aber sie hatte hoch und heilig geschworen, dass sich meine Wege und die ihres Bruders nicht kreuzen würden. Hätte sie es nicht versprochen, dann hätte ich mich darauf vorbereiten können, ihn sehen zu müssen. So hatte ich gedacht, er würde zu Hause bleiben und irgendwas sein Brandzeichen aufdrücken oder irgendwas zusammentreiben oder irgendwas erschießen.

„Als ob ich ohne Rand heiraten würde. Völlig undenkbar. Er ist das Oberhaupt meiner Familie, Stef.“

Seit wann interessierte sie sich dafür?

„Gebrauch deinen Kopf, Stef. Wir wissen beide, dass du nicht wirklich gedacht haben kannst, herkommen zu können, ohne Rand sehen zu müssen.“

Doch, das hatte ich, denn sie hatte es versprochen.

„Er wohnt nur eine Stunde von hier weg, Stef. Hast du ernsthaft gedacht, er würde nicht kommen?“

„Du hast mir versprochen, dass er zu viel zu tun hat, um die Ranch zu verlassen.“ Nach Ausflüchten suchend wiederholte ich das, was sie mir Monate zuvor gesagt hatte.

„Offensichtlich hab ich gelogen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Tut mir leid, dass ich gelogen hab, aber du kannst jetzt nicht gehen. Dein Name steht auf dem verdammten Hochzeitsprogramm.“

Gutes Argument. Sie hatten zweihundert Stück drucken lassen, keine billige Angelegenheit. Ich wusste das, weil sie es mir bestimmt tausend Mal erzählt hatte: jede Menge aus Bananenblättern handgefertigtes Papier mit Schleifen.

„Und abgesehen davon, du hast morgen früh das Ding für deine Arbeit.“

Ich knurrte sie an.

„Hör auf damit. Ich weiß, dass ihr zwei euch für die nächsten vier Tage wie zivilisierte Menschen benehmen könnt. Es wird euch schon nicht umbringen.“

Ich war mir da nicht so sicher.

Vor zehn Jahren war Charlotte Holloway in mein Zimmer an der Arizona State University gerauscht und hatte verkündet, dass sie meine Mitbewohnerin sei. Angesichts der Tatsache, dass ich ein Junge bin und sie ein Mädchen, hatte ich das ernsthaft bezweifelt. Gemischte Studentenwohnheime waren eine Sache, gemischte Zimmer eine ganz andere. Aber als wir unsere Unterlagen miteinander verglichen, stellten wir fest, dass die Zimmerzuteilung korrekt war. Der Fehler war ein bürokratischer – sie war als Charles statt als Charlotte gelistet. Aber nach gerade mal einer Stunde der Bekanntschaft waren wir uns einig: das war Schicksal. Wir waren dazu bestimmt, Freunde zu sein. Beste Freunde. Wir passten nahtlos zusammen und es fühlte sich an, als hätten wir uns schon immer gekannt. Als ich ihr sagte, dass ich schwul bin, sagte sie, dass ich nicht perfekter sein könnte. Bis die Verwaltung den Fehler bemerkt hatte, hatten wir bereits unser Geld zusammengelegt und waren in eine Wohnung außerhalb des Campus gezogen. Alles lief fantastisch, bis Charlottes älterer Bruder zu Besuch kam.

Rand Holloway hatte die Reise von einem kleinen Ort in der Nähe von Lubbock, Texas, nach Tempe, Arizona, gemacht, um einen Monat nach ihrem Auszug nach seiner kleinen Schwester zu sehen. Charlottes Vater hatte genug damit zu tun, die Ranch zu leiten, und somit fiel die Aufgabe, seinen Segen zu geben oder sie nach Hause zurück zu schleifen, Rand zu, dem zukünftigen Oberhaupt der Familie. Mir wurde eingeimpft, nur mein allerbestes Benehmen an den Tag zu legen und ich war ganz darauf vorbereitet, mich wie ein Heiliger aufzuführen.

Auf Rand Holloway war ich allerdings nicht vorbereitet.

Ohne auch nur anzuklopfen war er in unsere Wohnung stolziert. Ich hatte aufgesehen und ein tiefes Luftholen nicht verhindern können. Ich war ja noch jung, gerade mal achtzehn, und direkt vor mir stand der mit Sicherheit schönste Mann, den ich in meinem ganzen bisherigen Leben gesehen hatte.

Er war groß, bestimmt über einen Meter neunzig, und hatte den Körperbau eines Schwimmers, mit breiten Schultern, weitem Brustkorb und schmaler Taille. Und so wie seine Klamotten förmlich an ihm klebten, bestand er von Kopf bis Fuß aus dicken, sehnigen Muskeln. Sein Haar war so schwarz, dass es blau schimmerte, und seine Augen waren von einem durchdringenden, beinahe türkisfarbenem Blau, wie der Himmel an einem wolkenlosen Tag. Von seinen kantigen Gesichtszügen über den hervortretenden Bizeps bis zu hin zu seinen Jeans, die seine langen, muskulösen Beine und den straffen Hintern umschmeichelten, war er absolut atemberaubend, und ich verlor schlagartig und komplett jegliche Fähigkeit zu sprechen.

Unglücklicherweise verlor er die nicht.

„So, ich nehme mal an, du bist die Schwuchtel, ja?“

Die ersten Worte aus dem Mund dieses Mannes, und sie bestimmten den Ton für jede weitere Begegnung seit diesem Tag.

Da sie nicht gewollt hatte, dass sich ihre Familie Sorgen über ihren männlichen Mitbewohner machte, hatte Charlotte ihnen gesagt, dass ich schwul bin. Rand war hergekommen, um sich ein Bild zu machen von Charlottes Uni, ihren Lebensbedingungen und vor allem, von mir.

Ich hatte zu meiner neuen Mitbewohnerin hinüber gesehen und gewusst, dass sie am liebsten in ein Loch gekrochen und sich dort versteckt hätte. Aber ich war nicht auf sie sauer. Sie hatte nur Informationen weitergegeben, ganz so, als ob ich schwarz oder rot oder grün oder blau gewesen wäre, aber ihr Bruder … ihr homophober, hinterwäldlerischer, kleinkarierter, kleinstädtischer, vorurteilsbehafteter Cowboy-Scheißkerl von einem Bruder dachte, ich sei der Antichrist. Es stand ihm übers gesamte Gesicht geschrieben, von seinem finsteren Blick zu seinen verschränkten Armen und der Verachtung, die aus jeder Pore seines Körpers strahlte. Er hasste mich schlicht und einfach dafür, wer in meinem Bett schlief. Das war unglaublich dumm, und er war das auch. Ich suchte meinen Krempel zusammen und verschwand, bis er wieder weg war.

Am Schlimmsten war allerdings, dass der Mann absolut heiß war. Wenn er hässlich gewesen wäre, wenn ich ihn nicht umwerfend gefunden hätte, bevor er sich als Arschloch herausstellte, wäre die Sache für mich einfacher gewesen. So wie die Dinge standen, kam zu allem Übel noch die Schuld, im ersten Moment gedacht zu haben, dass der Feind ganz herrliche, appetitliche Perfektion war.

Ein Jahr später, als Charlottes Vater unerwartet an einem Herzinfarkt starb, fuhr ich mit ihr nach Texas, um ihr die Hand zu halten, sie aufzumuntern und sie ganz allgemein bei Verstand zu halten. Rand wollte, dass sie nach Hause kommt, aber sowohl sie als auch ihre Mom waren der Meinung, dass sie an der Uni besser aufgehoben war. Letztendlich war ich derjenige, der ihm die Meinung geigte; derjenige, der ihm sagte, dass seine Wünsche niemanden auch nur die Bohne interessierten. Sein Vater, Charlottes Vater, James Holloway, hatte seine Tochter zur Universität geschickt, weil er das Beste für sie wollte. Nur weil es für Rand einfacher wäre, wenn seine Schwester nach Hause käme, hieß das noch lange nicht, dass sie das tun würde.

Als er mich anbrüllte, dass er die Studiengebühren nicht länger würde zahlen können, sagte ich ihm, dass er sich darüber keine Sorgen machen müsse. Ich würde meiner Freundin helfen, auf der Uni zu bleiben. Ich würde so viele Jobs annehmen wie nötig, um sicherzustellen, dass sie nicht dazu gezwungen sein würde, auch nur in der Nähe von ihm und seiner engstirnigen Weltsicht leben zu müssen. Während Charlotte und ihre Mom mich noch umarmten und küssten, stakste Rand wie ein verwundetes Tier aus dem Raum. Es war offensichtlich, dass ihr Bruder nicht nur ein Problem mit schwulen Männern hatte, sondern auch mit Frauen, die mehr sein wollten als Hausfrau und Mom. Dabei wollte Charlotte durchaus einen Ehemann und einen Haufen süßer Kinder haben, allerdings wollte sie auch einen Job, der einen Universitätsabschluss voraussetzte.

Sobald wir zurück zu Hause in Tempe waren, suchte meine beste Freundin sich zwei Jobs und ich mir einen zweiten, zusätzlich zu dem, bei dem ich bereits fünf Abende die Woche arbeitete. Es war hart: Schlaf wurde zu einer Belohnung statt einer Selbstverständlichkeit, aber wir schafften es, ihre Studiengebühren und unsere Rechnungen zu bezahlen. Nachdem wir beide befördert worden waren, konnten wir sogar wieder hin und wieder ausgehen, was Trinken oder Tanzen oder ins Kino gehen.

Ein Jahr später bot Rand ihr an, ihre Studiengebühren wieder zu übernehmen. Die Ranch hatte sich erholt und warf sogar wieder Gewinn ab. Ich war sehr stolz auf sie, als sie dankend ablehnte. Rand rief mich daraufhin auf meinem Handy an, um mir zu sagen, ich solle aufhören, so ein selbstgerechter Idiot zu sein und seine kleine Schwester zu Entscheidungen zwingen, die sie gar nicht treffen musste. Charlotte war dabei und hörte zu, wie ich ihm sagte, er solle zur Hölle gehen. Dass sie ihren eigenen Kopf habe und dass, wenn sie mir mehr vertraute als ihm, das vielleicht mehr mit ihm und weniger mit mir zu tun hätte. Es war einer jener unbezahlbaren Momente, als ich einfach auflegte, und dann seine folgenden zwölf Anrufe ignorierte. Charlotte lachte Tränen ob meines Freudentanzes durch unsere Wohnung.

In den folgenden zwei Jahren eskalierte die Feindseligkeit weiter.

Als wir unsere Abschluss machten, war ich traurig, da ich sie vermissen würde, aber einen Lichtblick gab es: Nie wieder würde ich Rand Holloway ausgesetzt sein oder zu einem Pflichtbesuch nach Texas mitmüssen. Ich achtete darauf, mich dem texanischen Staat niemals auch nur zu nähern. Und da Rand die Ranch ohnehin nie verließ, waren meine Urlaube mit meiner Freundin frei vom Bösen.

Ich war nicht überrascht, als Charlotte anrief und mir erzählte, dass Rands Frau ihn nach nur einem Jahr Ehe verlassen hatte. Die Nachricht, dass er überhaupt jemanden gefunden hatte, der gewillt gewesen war, ihn zu heiraten, hatte mich wesentlich mehr überrascht. Sie hatte mich einen echten Idioten genannt, aber ihr neuer fester Freund, Benjamin Cantwell, hatte mir zugestimmt. Er mochte Rand auch nicht sonderlich.

Vor sechs Monaten hatte mich Charlotte gebeten, zum sechzigsten Geburtstag ihrer Mom zu kommen. Am Tag danach wollten wir drei – Char, Ben und ich – nach Cancún rausfliegen, um Freunde zu treffen. Als sie mir eröffnete, dass wir zur Ranch fahren würden, hatte ich mir Sorgen gemacht. Aber ich dachte mir, es ist ja nur ein Tag. Was kann da schlimmes passieren?

Ich stand bei Charlottes Onkel Tyler während er grillte. Wir unterhielten uns gut und ich stellte ihm gerade eine Frage, als Rand vorbeikam. Er sagte dem ältesten Bruder seines Vaters, er solle keine Zeit damit verschwenden, mit mir zu sprechen, da ich ohnehin nicht wirklich zuhören würde.

„Das tue ich sehr wohl“, hatte ich seinen, mir inzwischen zugewandten, Rücken angefahren.

„Quatsch“, bellte er und wirbelte zu uns herum. „Stefan Joss hört nie auf irgendwas, das irgendwer sagt.“

„Nein“, sagte ich kühl und blickte direkt in seine Augen. „Ich höre nur dir nie zu.“

Die Muskeln in seinem Unterkiefer zuckten, die Venen in seinem Hals traten hervor, und seine Augen verengten sich. „Na, das ist sicherlich gut zu wissen.“

Ich zuckte mit den Schultern, und er ging ohne ein weiteres Wort davon.

„Weißt du …“ Das leise Lachen des älteren Mannes lenkte meine Aufmerksamkeit zu ihm zurück. „Ich hab es noch nie erlebt, dass jemand Rand so provozieren kann.“

„'Tschuldigung“, antwortete ich und wandte mich ab, um zu gehen.

Er stoppte mich, indem er mir leicht eine Hand auf den Arm legte. „Nein, nein.“ Sein Lächeln war breit. „Das war lustig.“

„Jepp, fand ich auch.“ Ich griente, woraufhin er an seinem Lachen fast erstickte. Ich war offenbar nicht der einzige, der fand, dass Charlottes großer Bruder ein echter Vollidiot war.

Später an dem Abend hielt Rand auf seinem Weg ins Haus inne, um seiner Familie gute Nacht zu sagen, und fand mich zwischen seinen beiden Onkeln auf der Veranda sitzend, alle drei die Füße auf dem Geländer und ein Bier in der Hand. Mehrere der Cousins saßen um uns herum, alle lachten. Ich war der einzige, der keinen Cowboyhut trug.

„Fühlst du dich wohl?“, fragte er mich abfällig, nachdem er allen anderen erzählt hatte, dass er auf dem Weg ins Bett sei, weil es schließlich Leute gäbe, die früh raus müssten, um eine Ranch am Laufen zu halten. „Glaubst du, das wäre noch so, wenn sie es alle wüssten?“

„Was wüssten? Dass ich schwul bin?“, fragte ich ihn und grinste wie ein Irrer. „Weiß nicht, vielleicht?“

Zu sehen, wie ihm alles aus dem Gesicht fiel, war unbezahlbar.

„Stef hat es uns gesagt“, erklärte ihm sein Onkel Lincoln. „Ich sage, was ein Mann in seinem eigenen Bett tut, das ist seine eigene Angelegenheit. Ist doch so, oder?“

„Das ist doch genauso als wenn ein Mann kräftige Frauen mag.“ Sein Onkel Tyler zuckte die Achseln. „Wenn das dein Geschmack ist, sage ich: warum nicht.“

„Er mag kräftige Mädels“, versicherte Lincoln für den Fall, dass jemand das nicht mitbekommen hatte.

Rands himmelblaue Augen waren unbeirrbar auf mich gerichtet, als er flüsterte: „Du hast Glück, dass meine Familie voller aufgeschlossener, gutherziger –“

„Außer dir“, schnitt ich ihm das Wort ab, holte rasch Luft und grinste dann breit, als sich sein Unterkiefer anspannte. „Dich hat noch nie jemand beschuldigt, ein guter Kerl zu sein, was?“

Er zeigte mit dem Finger auf mich. „Du bist ein eingebildetes Stück –“

„Oooh, bist du müde? Fangen wir deshalb mit den Beschimpfungen an?“

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.

„Gehen Sie besser ins Bett, Mr Holloway. Wir wollen schließlich nicht, dass Sie morgen früh müde und ein Mistkerl sind, oder so.“

„Weißt du, eines schönes Tages wirst du dir ein solches Schlamassel einhandeln, dass –“

„Oh.“ Ich wackelte mit den Augenbrauen. „Schlamassel macht Spaß!“

Alle lachten, und er stampfte vor Wut kochend und mit geballten Fäusten über die Veranda davon.

„Stefan Joss, du kannst mich hier nicht alleine lassen!“ Die geflüsterte Drohung brachte mich zurück in die Gegenwart und zu Charlotte.

„Bitte.“

Wem machte sie hier was vor? Ich würde sie nie im Leben allein lassen.

Ich verdrehte die Augen, und sie warf sich prompt in meine Arme und drückte mich so fest sie konnte an sich.

„Oh-oh, pass auf. Dein Mann kommt“, sagte ich und setzte sie ab.

Wir drehten uns um und sahen Benjamin Cantwell in unsere Richtung den Raum durchqueren. Um sicherzugehen, dass er niemandem in die Fänge geraten würde, bevor er mich erreichte, wich er allen, die versuchten, ihn anzusprechen, aus. Die letzten Meter joggte er. Seine Augen leuchteten bei meinem Anblick auf, und er lächelte erfreut. Es war offensichtlich, dass der Mann mich mochte. Ich öffnete meine Arme, und er stürzte sich förmlich auf mich. Seine Umarmung war hart und tat ein bisschen weh. Sie war ehrlich gemeint.

„Du bist spät dran“, sagte er, als er mich losließ und von sich schob. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht, dass du nicht vor Donnerstag kommen würdest, und bis dahin wäre mein Mädchen reif für die Klapse gewesen.“

„Ach halt die Klappe“, fuhr sie ihn an und knuffte ihn in den Arm. Dann kam sie zu mir und schmiegte sich an mich. „Mir geht’s absolut prima.“

Ich küsste ihren Scheitel und drückte sie an mich. „Oooh, Char, du weißt, dass ich hier aufkreuzen musste. Ich mein, wer sonst soll in den Strip-Clubs auf deinen Mann aufpassen?“

Sie lachte ein tiefes, kehliges Lachen. Es war eines der vielen Dinge, die ich an ihr liebte. Ich umarmte sie ein letztes Mal, bevor ich sie gehen ließ, woraufhin sie sich prompt in Bens Arme schmiegte. Sie schlang ihre Arme um seine Taille, und er zog sie fest an sich.

„Es hat mir so leidgetan, als ich gehört hab, dass dein Freund es nicht schafft, Stef“, sagte Ben weich und mitfühlend.

Ich blinzelte ihn an. „Welcher Freund wäre das?“

„Oh.“ Er klang überrascht. „Ähm, Cody, oder? Hieß er nicht so?“

„Oh, Ben, Cody ist doch schon Schnee von vor sechs Monaten“, schaltete Charlotte sich ein.

„Weniger“, korrigierte ich sie, „aber ja, das ist vorbei.“

„Ich brauch langsam 'ne Anzeigetafel um bei den ganzen Kerlen mithalten zu können, Stef.“

Ich zuckte die Achseln.

„Er ist nur wählerisch“, verteidigte mich Charlotte.

„So, jetzt ernsthaft.“ Ich linste zu ihr rüber. „Du hast am Telefon Witze gemacht, oder?“

Sie sank in sich zusammen. Ben drückte ihr mitfühlend die Schulter.

„Es ist so grauenhaft“, antwortete sie, ihr Blick starr auf mich gerichtet. „Das Kleid, die Kleider der Brautjungfern … die Smokings … Stef, es ist einfach nur … nur …“ Sie drehte sich um und sah hilfesuchend zu Ben auf.

Er kniff die Augen zusammen. „Es ist übel. Warte, bis du den Smoking siehst, den du tragen wirst.“

Als sie mich hyperventilierend angerufen hatte, um mir zu sagen, dass ihre gesamten Hochzeitsvorbereitungen von ihrer Mom, ihren Tanten und ihren Cousinen über den Haufen geworfen worden waren, hatte ich in den Hörer gelacht. Wie schlimm konnte es schon sein?

Als ich jedoch neben ihr in ihrem Zimmer stand und auf die Monstrosität starrte, die über der verspiegelten Seite ihres Kleiderschranks hing, war ich sprachlos. Ich hatte nicht gewusst, dass ein Kleid so übersät sein konnte von Spitzen und Stickereien und …

„Ähm, sind das … Strasssteine?“

„Ja, glaube schon.“

„Hm.“

„Glaubst du's jetzt?“ Sie gestikulierte in Richtung Kleid.

„Hm“, machte ich wieder.

„Oh Gott“, stöhnte sie und ließ sich dramatisch aufs Bett fallen.

„Vielleicht … wenn wir ein paar Sachen abmachen?“, schlug ich vor und betastete Spitze und Brokat.

„Was bin ich froh, dass du da bist“, brummte sie in die Tagesdecke. „Ich schaffe das ohne dich nicht. Keiner versteht mich so wie du.“

„Ich weiß“, antwortete ich, erstens, weil es der Wahrheit entsprach, und zweitens, weil es die einfachste Antwort war und ich abgelenkt war. „Ich wette, wenn die Sonne im richtigen Winkel darauf fällt, kannst du die Leute einfach blenden.“

Sie stöhnte laut auf.

„Wessen Hochzeitskleid war das doch gleich?“

„Das von Bens Mom.“

„Hm.“

„Es gibt auch einen Schleier dazu.“

„Nicht wirklich, oder?“

Sie hob ihren Kopf vom Bett, um mich anzusehen. „Tut mir leid, dass du dich mit dieser ganzen Ehrenjungfer Sache herumschlagen musst, aber wenn ich dich mit den anderen Männern auf die Bräutigam-Seite gestellt hätte, wäre das einfach nicht richtig gewesen. Du und Ben, ihr seid Freunde, ja, aber Stef – du gehörst zu mir.“

„Ja, das tue ich, du armes, dummes Huhn.“

Ihr strahlendes Lächeln zeigte Grübchen.

ALS WIR zurück in den Wohnraum im Erdgeschoss des riesigen Bed and Breakfast, in dem wir untergebracht waren, kamen, krallte Charlotte sich fast verzweifelt an meinen Arm. Ich spürte, wie sich ihre Finger in meinen Arm bohrten, als sich eine Frau und ein Mann, dicht gefolgt von einem jüngeren Paar, vor uns aufbauten.

„Charlotte, ist das dein bester Freund, von dem wir schon so viel gehört haben?“

„Ja, Linda“, sagte sie leise und lehnte sich an mich. „Das ist Stefan.“

Mit einem breiten Lächeln sah ich Bens Mom an.

Sie schnappte nach Luft.

„Wow“, sagte ich und hielt ihr meine Hand hin. „Himmel, Char, du hast mir nicht gesagt, wie heiß sie ist.“

Charlotte quiekte überrascht, als ich ihre künftige SchwiegerMom abrupt an mich zog, ihr einen schnellen Kuss gab, und sie dann fest umarmte.

Sie drückte sich an mich, und ihre Finger bohrten sich in meinen Rücken.

„Hey.“ Bens Vater lachte. „Geben Sie mir meine Frau zurück.“

Ich ließ sie los, legte aber meinen Arm um ihre Schultern und sah hinunter in ihr Gesicht. „Was meinen Sie – können wir das Kleid nochmal überdenken, Mom?“, fragte ich leise und unter Aufbietung meines kompletten Waffenarsenals, meiner Stimme und meines Gesichts. Da ich es seit jungen Jahren immer wieder gehört hatte, wusste ich, dass ich absolut umwerfend war. Die Kombination aus blonden Haaren, dunkelgrünen Augen und einer Haut, die immer aussah wie von der Sonne gebräunt, ließ Leute auf der Straße innehalten und mir nachsehen. Ich rechnete es mir nicht als Verdienst an – immerhin war hier nur Genetik am Werk – aber ich nutzte es zu meinem Vorteil, wenn ich es musste, und dieses Kleid musste geändert werden.

Bens Mom kicherte und schlang ihren Arm um meine Taille. „Aber ja, Herzchen, was immer Sie möchten.“

„Oh mein Gott.“ Auf meiner anderen Seite atmete Charlotte tief aus.

„Hallöchen“, grüßte mich Mr Cantwell lächelnd und streckte mir seine Hand entgegen. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Stefan. Mein Mädchen lächelt jedes Mal, wenn sie Ihren Namen erwähnt.“

„Ja, Sir, ich weiß“, sagte ich und drückte seine Hand fest. Nett, dass er seine künftige Schwiegertochter „sein Mädchen“ nannte.

„Ich weiß, dass es für Sie ein langer Weg war, herzukommen, aber Charlotte sagte, dass Sie alles für sie und Ben tun würden.“ Seine Augen waren warm, als er mich ansah.

„Ja, Sir, absolut.“

Er mochte mich. Es war eindeutig abzulesen am Zwinkern in seinen Augen und seinem festen Händedruck. Er mochte es, dass ich die Schönheit seiner Frau zu schätzen wusste und dass mir sein Sohn wichtig war. „Erzählen Sie mir etwas über sich. Was machen Sie beruflich, Stefan?“

Bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, hatte Charlotte schon für mich geantwortet.

„Stef ist Akquisitionsmanager bei Chaney and Putnam. Das ist eine Firma für Grundbesitz-Übernahmen.“

„Oh.“ Mr Cantwell lachte leise. „Nun, dann … kann ich vielleicht mit Ihnen über ein paar Grundstücke reden, über deren Erwerb ich nachdenke. Ihre Meinung einholen.“

„Absolut“, versicherte ich ihm.

Er nickte und atmete tief aus, bevor er sich zu seiner Rechten wandte. „Lassen Sie mich Ihnen den Rest meiner Familie vorstellen.“

Ich wurde Bens Schwester Renee und ihrem Mann Stuart vorgestellt und dann hinaus auf die riesige Veranda geführt, wo man mich ihren Großeltern und der gesamten Verwandtschaft vorstellte. Tanten, Onkel, Cousins – ich traf jeden, während Bens Mom Linda sich weigerte, meine Hand loszulassen und Charlotte ebenfalls nicht von meiner Seite wich. Ihr Körper klebte förmlich an meinem. Als die Musik begann, zog ich die künftige Braut auf die Tanzfläche und in meine Arme. Als sie zu weinen anfing, hob ich sie schwungvoll hoch und wirbelte sie im Kreis herum, bis sie wieder lachte.

„Oh Gott“, stöhnte sie ein paar Minuten später plötzlich.

„Was?“

„Da drüben, der Todesengel.“

Ich folgte ihrem Blick und sah Ben bei Nick und Clarissa Towne stehen.

„Weißt du, ich hab ernsthaft überlegt, ob ich diesen Mann wegen seines besten Freundes doch nicht heiraten soll.“

„Warum?“

„Machst du Witze?“, sie warf mir einen ungläubigen Blick zu. „Du weißt, warum. Der Typ ist ein Idiot.“

„Naja, Ben ist vermutlich auch nicht gerade begeistert, dass dein bester Freund schwul ist.“

„Das ist ihm völlig egal. Weißt du auch, warum?“

„Ich habe Angst zu fragen.“

„Du bist nicht so ein komplettes Schwein wie Nick Towne.“

„So schlimm ist er nun auch wieder nicht.“

Sie warf mir einen säuerlichen Blick zu.

„Ich frag gar nicht erst.“

„Er hat Ben gefragt, ob er mich heiraten müsste. Heiraten müsste. Stef, müsste.“

Ich lächelte sie lediglich an.

„Als ob die einzige Möglichkeit für mich, Ben Cantwell zu bekommen wäre, dass ich mich von ihm habe schwängern lasse.“

„Naja, seine Familie ist ziemlich reich.“

Sie schlug mich. Fest.

„Au“, stöhnte ich, als ich meinen Arm rieb.

„Er ist ein richtiger Arsch.“

„Hör auf“, frotzelte ich.

„Und seine Frau“, stöhnte sie. „Mein Gott, in meinem Kühlschrank steckt mehr Leben.“

„Gott, was bist du doch für eine Zicke“, sagte ich, ergriff ihre Hand und zog sie von der Tanzfläche.

Ich hob die andere Hand, und Clarissa sah mich. Augenblicklich legte sie ihren Kopf schief und ihr Lächeln ließ ihre Augen glänzen.

„Heilige Scheiße“, stieß Charlotte hervor.

„Siehst du“, sagte ich über meine Schulter hinweg. „Sie strahlt.“

„Nur wenn sie dich sieht, Stef. Genauso wie alle anderen.“

Ich ließ Charlottes Hand los, als ich bei Clarissa ankam und sie auf mich zu hüpfte. Wir umarmten uns fest, und sie vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter.

„Es ist so schön, dich zu sehen“, sagte sie und atmete tief ein.

„Dich auch, Süße.“ Ich lächelte in ihr Haar.

Ich blieb stehen, bis sie bereit war, mich wieder loszulassen. Dann streckte ich ihrem Mann und Bens Trauzeugen, Nick Towne, die Hand entgegen, und er zog mich in eine halbe Umarmung und schlug mir fest auf den Rücken. Sein Gesichtsausdruck zeigte, wie wohl er sich in meiner Anwesenheit fühlte.

„Hey.“

Ich wandte mich Ben zu. „Was?“

Er sah mich lediglich an.

„Was?“

„Nichts.“ Nach einem Moment lächelte er mich an. „Schau, da“, sagte er und hob das Kinn.

Ich hörte meinen Namen bevor ich noch Zeit hatte, mich umzudrehen. May Holloway, Charlottes Mom, durchquerte den Raum. Ihr unbehaglicher Gesichtsausdruck schwand, als ich ihr winkte. Sie hielt inne und ich ging zu ihr hinüber. Offene Arme erwarteten mich.

Eine halbe Stunde später legte ich eine Tanzpause ein und ließ mich auf einen Platz neben Ben fallen, der am Ende eines langen Tisches saß. Eine Hand fuhr mir durchs Haar, und als ich den Kopf hob, sah ich Charlotte, die mich seltsam anschaute.

„Was?“

„Weißt du eigentlich, dass du unglaublich bist?“

Ich zog eine Augenbraue hoch, und sie schnaubte belustigt.

„Elegant“, neckte Ben sie.

„Ich meine nur … du hast Bens Mom dazu gebracht, dass sie damit einverstanden ist, das Kleid zu ändern. Du hast mich eine ganz andere Seite von Nick sehen lassen. Und unsere Eltern … ich meine, sieh mal rüber“, sagte sie und wies quer durch den Raum. „Man könnte meinen, sie wären alte Freunde, obwohl sie sich heute das erste Mal getroffen haben. Alles läuft gut.“

Ich war froh darüber.

„Und wie ist das ins Rollen gekommen?“

„Ich hab keine Ahnung“, sagte ich mit einem Gähnen, verschränkte meine Arme auf dem Tisch und legte meinen Kopf darauf. Die sechs Stunden im Flugzeug nach einer durchgearbeiteten Nacht machten sich bemerkbar. Ganz zu schweigen von den reichlichen Mengen Alkohol, die in mir verschwunden waren.

„Du Idiot.“ Sie knuffte mich in die Seite. „Du hast Bens Eltern mit zu meiner Mom genommen. Und da hier jeder verrückt nach dir ist, sind sie die Sache offen angegangen. Es war fantastisch.“

„Okay“, beruhigte ich sie.

Sie kniff mich in die Seite. Ich zuckte nicht einmal zusammen.

„Himmel, Stef“, sagte sie, als sie ihre Hand an meinem Oberkörper hinabgleiten ließ. „Fühlt mal einer diesen Bauch, hart wie Stein.“

„Nicht fair“, beschwerte sich Kristin Barnes, eine ihrer Brautjungfern, von der anderen Seite des Tisches. „Wenn du Stefan angrabbeln darfst, sollten wir alle mal an die Reihe kommen.“

„Bitte, dann komm halt rüber.“

„Kris, lass ihn in Ruhe“, befahl Ben, machte aber Platz an meiner Seite für zwei weitere Mädels.

„Du bist mir eine große Hilfe“, sagte ich ihm.

Ich hatte Hände in meinem Haar, auf dem Rücken unter meinem Hemd, auf meiner Brust, meinem Oberarm, und Kristins Hand glitt über eine meiner Augenbrauen. Ich ertrank in Frauen.

„Heilige Scheiße, Char“, sagte eine lachende Stimme, „dein bester Freund ist absolut umwerfend.“