Seewölfe Paket 24 - Fred McMason - E-Book

Seewölfe Paket 24 E-Book

Fred McMason

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Beschreibung

Die Bucht an der Ostseite der Bahama-Insel Great Abaco war lieblich, was man von der Stimmung an Bord der "Empress of Sea" weniger behaupten konnte. Dort war ein handfester Ehekrach im Gange, dessen Verlauf Mary O'Flynn, geborene Snugglemouse, damit beendete, daß sie ihren alten Zausel von Ehemann die Bratpfanne auf den Schädel donnerte. Es klang, als sei ein Gong geschlagen worden. In Old Donegals Kopf fand eine bestialisch laute Detonation statt, dann flogen Millionen bunter Sternchen an ihm vorbei, eins feuriger und farbiger als das andere. Old Donegal wankte und wackelte und setzte sich dann benommen auf die Planken...

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Impressum© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-992-5Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 461

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 462

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 463

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 464

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 465

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 466

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 467

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 468

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 469

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 470

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 471

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 472

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 473

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 474

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 475

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 476

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 477

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 478

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 479

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 480

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

19. April 1595 – Great Abaco.

Nur noch Spuren im Sand deuteten darauf hin, daß sich an der Eight Miles Bay an der Ostküste von Great Abaco Schnapphähne übelster Sorte aufgehalten hatten.

Von den algerischen Piraten unter ihrem Oberschnapphahn Mubarak fand sich jedoch keine Spur mehr. Seit sie in der letzten Nacht versucht hatten, die Schiffe vom Bund der Korsaren zu entern, gab es die „Alis“ nicht mehr. Ihre Flöße waren vernichtet und sie selbst zu den Fischen geschickt worden.

Jetzt lag die Insel wieder wie unberührt im Sonnenlicht da. Leise glucksend liefen kleine Wellen an den Strand – ein Bild des Friedens und der Beschaulichkeit.

In der Bay ankerten die „Empress“, die „Golden Hen“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ unter dem Deutschen Renke Eggens.

Erwartet wurden noch die restlichen drei Schiffe des Korsarenbundes, die „Isabella“, der Schwarze Segler und Siri-Tongs düsterer Zweidecker „Caribian Queen“.

Die drei hatten zwischen den Caicos-Inseln einen Verband aus drei spanischen Kriegsgaleonen abgefangen und vernichtet. Inzwischen befanden sie sich auf dem Weg nach Great Abaco, wie es zuvor vereinbart worden war.

Ein Problem hatten die Männer allerdings noch, und das war der Ruderschaden an der „Golden Hen“. Ein auf den ersten Blick lächerlich erscheinender Schaden, denn sie war „nur“ von einem Hai gerammt worden.

Diesen Blauhai hatten Tümmler gejagt, attackiert und gerammt, bis der Blauhai, blind vor Schmerz, in das Ruderblatt der „Golden Hen“ gekracht war. Das Ruderblatt war geborsten und nicht mehr zu gebrauchen. Das war die augenblickliche Lage an diesem Morgen in der Eight Miles Bay von Great Abaco.

Der grauhaarige Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate wollte sich noch einmal persönlich den Ruderschaden ansehen. Mulligan hatte das neue Ruderblatt einschließlich der Beschläge bereits in Arbeit.

Als er von der „Wappen“ auf die „Golden Hen“ überstieg, erwarteten ihn die Männer bereits.

Jean Ribault schien etwas nervös zu sein, wie Hesekiel nach einem schnellen Blick feststellte. Aber auch die anderen Le Vengeurs fühlten sich ohne Ruder gar nicht wohl. Kein Wunder, dachte Hesekiel, ein Schiff ohne Ruder ist nicht mal mehr ein halbes Schiff.

„Bin gespannt“, sagte Jean Ribault nach der Begrüßung, „ob du auch der Ansicht bist, daß wir irgendwo aufslippen müssen. Mulligan meinte, das könne nicht unter Wasser repariert werden. Himmel, ich werde schon ganz kribbelig bei dem Gedanken, wir müßten jetzt mit dem Notruder ins Gefecht ziehen. Dann sind wir völlig wehrlos.“

„Sind ja auch noch ein paar andere Schiffe da“, sagte Hesekiel trocken. „Die nehmen dich dann schützend in die Mitte.“

„Wie die Herde ihr Junges, was?“

„So ähnlich“, sagte Hesekiel lächelnd. „Das kriegen wir schon wieder hin. Wie sieht es denn aus?“

Er betrachtete sich das Ruderblatt, mit dem Mulligan emsig beschäftigt war und das jetzt an Deck der „Golden Hen“ lag.

„Eine recht üble Sache“, meinte Mulligan. „Aber das betrachten wir uns besser von der Jolle aus.“

Sie enterten in die Jolle ab und verholten sie nach achtern zum Heck. Auch Jean Ribault war dabei. Sein Gesicht war immer noch kummervoll verzogen.

„Hier ist der Bursche wie ein Irrer hineingerast“, erklärte Mulligan. „Das Blatt ist total zerschmettert worden. Ich habe mir den Schaden auch weiter unterhalb angesehen, als ich tauchte. Die Ruderbeschläge und Ruderösen, einschließlich der Fingerlinge, sind teilweise aus dem Holz gebrochen oder total verbogen.“

Hesekiel lehnte sich weiter vor und tastete die Stelle ab. Durch das klare Wasser erkannte er etwas verzerrt, aber eindeutig den Schaden.

„Ja, die Fingerlinge, die die Beschläge und Ösen miteinander verbinden, sind tatsächlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Das läßt sich unter Wasser nicht reparieren, beim besten Willen nicht.“

Ramsgate strich über seinen grauweißen Bart und sah noch einmal nachdenklich auf die Ösen und Fingerlinge. Dann schüttelte er nachdrücklich den Kopf.

„Er hat recht“, sagte er zu Ribault. „Ich bin auch der Ansicht, daß die ‚Golden Hen‘ gekielholt werden muß, wenn wir ihr ein neues Ruder einsetzen.“

„Hast du nicht einen anderen Trick auf Lager?“ fragte Jean.

„Nein, leider nicht. Das ist unumgänglich, Jean. Glaube mir, ich habe einen Blick dafür. Du kannst aber auch noch warten, bis Ferris Tucker hier ist, und dir dann seine Ansicht anhören. Sie wird mit Sicherheit nicht anders ausfallen.“

„Nein, ich glaube euch selbstverständlich. Ich dachte nur an die bevorstehende Heidenarbeit, wenn wir aufslippen.“

„Die ist leider damit verbunden.“

Ribault fand sich damit ab, aber es paßte ihm nicht. Die Karavelle mußte geleichtert werden, denn sie hatte noch die Schätze der Caspicara-Flores-Halunken an Bord, außerdem Pulver- und Weinfässer sowie zwölf Culverinen. Bis das alles von Bord ist, dachte er schaudernd, vergeht eine Ewigkeit.

„Die anderen packen ja mit an“, sagte Ramsgate, als hätte er Ribaults Gedanken erraten. „Es sind genügend Leute da, und es treffen auch noch etliche ein.“

„Na schön. Jetzt stellt sich nur die Frage, wo wir das Schiffchen flachlegen.“

„Auch dafür werden wir einen Platz finden. Kehren wir erst einmal an Bord zurück.“

Nach einem letzten Blick auf den Ruderschaft zogen sie sich mit der Jolle wieder an die Backbordseite zurück und enterten auf.

Hesekiel Ramsgate betrachtete lange Zeit nachdenklich den weißen, makellosen Strand der Bucht. Er warf dem in Gedanken versunkenen Franzosen einen schnellen Blick zu.

„Ich glaube, hier bietet sich einiges an“, sagte er bedächtig.

Jean Ribault nickte, griff zum Kieker und musterte ebenfalls den Strand der Eight Miles Bay, die im Nordosten vom Cherokee Sound begrenzt wurde.

Der Strand war von hinreißender Schönheit, mit Palmengruppen durchsetzt und teilweise dichtem Baumbestand der Abakoskiefern. Landeinwärts stieg das Land sanft an.

Interessiert ließ er seinen Blick weiterwandern, bis er den Kieker in die nordöstliche Richtung hielt.

Hesekiel musterte ihn von der Seite.

„Die Bay bildet dort oben offenbar eine hakenförmige Halbinsel“, murmelte Jean Ribault, „und der Haken wiederum scheint nach Südwesten umgekrümmt zu sein.“

„Scheint sich um ein geschütztes und fast lauschiges Plätzchen zu handeln“, sagte Ramsgate. „Vielleicht sollten wir uns das einmal aus der Nähe ansehen, um uns ein Urteil bilden zu können.“

„Ja, das sehen wir uns an – jetzt gleich.“

Jean Ribault setzte den Kieker ab und blickte in die Bucht. Neben ihm war Don Juan de Alcazar aufgetaucht. Auch der Spanier, der seit kurzer Zeit dem Bund der Korsaren angehörte, sah lange dorthin.

„Kann ich euch begleiten?“ fragte er. „Ich würde mir das auch gern einmal ansehen.“

„Selbstverständlich.“

Auch Roger Lutz wollte mit.

Ribault sah zu der „Empress“ hinüber, auf der Old O’Flynn und Martin Correa hockten. Während Martin etwas ausbesserte, hockte der alte O’Flynn völlig selbstvergessen da und starrte Löcher in die Luft. Er blickte so angestrengt in den Himmel, als würden die Englein dort einen lieblichen Reigen tanzen. Ganz verzückt sah der Alte aus, fast verträumt.

Er schaute auch nicht auf, als Mary O’Flynn an Deck erschien und ihn etwas fragte. Er nahm die drei Frauen, Gotlinde, Gunnhild und seine eigene, überhaupt nicht zur Kenntnis. Auch als Gotlinde und Mary in die Jolle stiegen, blickte er nicht auf.

„Wir segeln mal zur Nordostseite hinüber“, sagte Ribault zu Old O’Flynn. „In zwei Stunden sind wir wieder zurück. Wir suchen nach einem Platz zum Aufslippen.“

Old O’Flynn stierte weiterhin Löcher in den blauen Himmel. Offenbar tanzten die unsichtbaren Englein immer noch Reigen.

„He, Donegal!“ rief Jean Ribault.

Die resolute Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, rothaarig, langmähnig und mit einer prächtigen Reibeisenstimme ausgestattet, winkte lächelnd ab.

„Der hört heute nichts, Jean!“ rief sie hinüber. „Er sitzt offenbar auf seinen Ohren oder ist taub geworden. Ich verklare ihm schon seit einer Weile, daß wir ein paar Langusten fangen wollen, aber das hat er auch nicht kapiert.“

Ribaults bemerkte, daß Mary O’Flynn heute von einer selten gesehenen Fröhlichkeit und Aufgekratztheit war. Sie strahlte vor Lebenslust, und in ihren Augen stand ein eigenartiges Funkeln, wie Jean es noch nie an ihr gesehen hatte. Sie war ganz anders als sonst – vielleicht, weil Old Donegal heute auf seinen Ohren saß?

Na ja, ein bißchen merkwürdig ist der alte Kauz manchmal, dachte Ribault. Eigenartig und sonderbar, so daß man aus ihm nicht mehr schlau wurde. Vermutlich peilte er wieder ein bißchen hinter die Kimm und sah etwas, das anderen verborgen blieb.

Mary und Gotlinde, die Frau des Wikingers, enterten in die kleine Jolle ab und pullten näher zum Ufer, um Langusten zu fangen.

Auch das entging Old O’Flynn. Selbstvergessen und total in sich versunken hockte er auf der Gräting. Dann endlich bewegte er sich, aber nur, um einen Finger nachdenklich an die Nase zu legen und weiterzugrübeln.

„Er sitzt da wie ein nordischer Troll, der etwas ausheckt“, meinte Roger Lutz grinsend. „Jetzt hat er auch noch mehr Runzeln im Gesicht.“

„Das sind keine Runzeln“, widersprach Don Juan lächelnd, „das ist nur eine ganz besonders detailreiche Gesichtshaut, wie er sie immer beim Nachdenken hat.“

Als auch der zweite Anruf auf kein Echo traf, winkte Jean Ribault ab. Aber Martin Correa hatte verstanden und zeigte klar. Dabei grinste er über das ganze Gesicht.

Jean Ribault nahm noch das Lot mit, um an der Krümmung der Bucht die Wassertiefe zu loten.

Gleich darauf setzten sie Fock und Großsegel der Jolle und glitten über die Bucht.

Renke Eggens und Oliver O’Brien standen an Deck ihrer Schiffe und blickten ihnen nach.

Dicht unter Land segelten sie nordostwärts. Palmen säumten den langen Strand, die ihre kokosbehangenen Wipfel sanft im Wind wiegten. Hin und wieder war in großer Höhe ein Vogel zu sehen. Sonst sah alles wie unberührt aus, obwohl Mubaraks Schnapphähne hier lange Zeit gehaust hatten.

Von einem der zerstörten Flöße fanden sich noch ein paar Trümmer, die die Wellen an den Strand geworfen hatten. Backbord voraus stob ein Schwarm rosafarbener Flamingos hoch und entschwand in den Lüften.

„Herrlich“, sagte Ramsgate, der die Ruderpinne übernommen hatte und dicht unter Land ging. „Die Bucht da oben sieht sehr vertrauenerweckend aus.“

Roger Lutz lotete ein paarmal Tiefe, aber es gab genügend Wasser unter dem Kiel selbst für größere Schiffe.

Dann segelten sie in die Bucht hinein.

„Tatsächlich so, wie ich das durch den Kieker gesehen habe“, sagte Jean Ribault. „Die Eight Miles Bay bildet hier oben eine Bucht, die von einer von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Halbinsel gegen Sicht von See her abgeschirmt wird. Seht euch das nur an.“

Sie merkten kaum, daß die Fock schlaff in sich zusammenfiel und die Jolle träge auf dem Wasser zu schaukeln begann. Sie saßen auf den Duchten und blickten nach Backbord hinüber.

Der Strand war hier immer noch schneeweiß, breit und sauber. Dort, wo er aufhörte, wuchsen die Abakoskiefern. Ein kleiner Wald begann. Der Kiefernbestand ging allmählich wieder in Palmengruppen und Buschwerk über. Auf den Dünenkämmen wuchs haferähnliches Gras, das sich wellenförmig vor dem leise säuselnden Wind beugte und wie sanft fließendes Wasser wirkte.

„Wir haben Nordostwind“, sagte Don Juan in die Stille hinein, „aber in der Bucht ist davon nichts zu spüren. Hier bläst wohl nur ganz selten der Wind hinein.“

„Und wenn – dann bestenfalls aus Westen oder Südwesten“, sagte Ribault nachdenklich. „Von See aus kann man hier jedenfalls nicht gesehen werden, und wenn eine ganze Flotte vorbeisegelt. Wie steht es mit der Tiefe, Roger?“

„Zwölf Faden fast konstant. Der Ankergrund ist reiner Sand.“

„Dann pullen wir mal ein Stückchen näher heran. Auf der Ostseite scheint es ein ziemlich großes Korallenriff zu geben.“

Wenn sie nach Steuerbord blickten, sahen sie die Schaumwirbel und Untiefen des Riffs. Immer wieder schäumte es dort auf, und kleine Wellen erschienen wie aus dem Nichts.

Diese korallengespickte Bank der Insel zog sich bis zur südwestlichen Spitze der Halbinsel hin. Hier kam niemand durch, bestenfalls bei Flut eine Jolle. Das langgestreckte Korallenriff verhinderte auf natürliche Weise, daß Schiffe näher an das Land herangehen konnten. Es war eine unüberwindliche Barriere aus rasiermesserscharfen Dolchen und Sägezähnen.

Sie pullten ein paar Schläge nordwärts und sahen sich um. Roger Lutz lotete erneut Tiefe. Diesmal waren es elf Faden mit immer noch sandigem Untergrund.

An der Nordseite der Bucht war der Strand flach, während er auf der Südseite, gebildet durch die Halbinsel, etwas steiler war. Auch die Ostseite, die sich der See zukehrte, war steiler.

Hier wehte nur noch ein kaum spürbares Lüftchen, das nicht einmal das Focksegel zum Killen brachte. Immer noch hing es faltig und fast unbeweglich am Mast.

Die Männer sahen sich an und grinsten. Sekundenlang herrschte eine fast andächtige Stille. Jeder begutachtete das Plätzchen, das so verlockend schien.

Hesekiel Ramsgate rieb sich die Hände. Sinnend sah er über das Wasser zum Strand.

„Das wäre doch etwas für uns, meint ihr nicht auch?“ fragte er. „Die Bucht bietet Platz für alle Schiffe des Bundes, die Wassertiefe ist mehr als ausreichend, und als Ankergrund haben wir feinen Sand, den man sogar von der Jolle aus erkennen kann.“

Hesekiel Ramsgate sprach damit genau das an, was Hasard schon geplant hatte: nämlich hier oben nach einem Stützpunkt zu suchen, einem Ersatz für die untergegangene Schlangen-Insel.

„Ja, das wäre ein feiner und idealer Platz“, meinte Ribault nachdenklich, wobei er immer noch in die Runde blickte.

„Hier ließe sich auch gut aufslippen“, sagte Old Ramsgate mit einem feinen Lächeln. „An den mächtigen Kiefern könnte man zum Beispiel schwere Taljen anschlagen. Das Schiff dann auf den Nordstrand zu ziehen und abzupallen ist ebenfalls kein Problem.“

Don Juan und Roger Lutz waren von diesem „Plätzchen“ ebenfalls total begeistert. Roger Lutz stierte ins Wasser und zeigte immer wieder auf Langusten, die sich verzerrt durch das Wasser spiegelten.

„Hier sitzen die Viecher massenweise“, sagte er, „da brauchen die Frauen erst gar nicht lange zu suchen. Man kann sie einfach mit Keschern vom Grund holen.“

„Kehren wir um und erzählen es den anderen“, sagte Don Juan. „Ich denke, sie werden ebenso begeistert sein wie wir. Auch Hasard wird später angenehm überrascht von unserer Entdeckung sein.“

„Dann laßt uns mal zum Wind pullen, damit wir die Neuigkeit verbreiten können“, sagte Ribault, der es jetzt plötzlich sehr eilig hatte.

Sie pullten bis zu jener Stelle, wo der Nordostwind wieder einsetzte.

Der Wind fuhr in die beiden Segel und blähte sie. Mit rascher Fahrt ging es zurück, bis sie wieder bei den anderen waren.

Ribault und Don Juan berichteten dem interessiert lauschenden Renke Eggens und dem ebenfalls neugierig zuhörenden Oliver O’Brien von der Abgeschiedenheit und Ruhe der Bucht. Da läge man auch nicht wie hier auf dem Präsentierteller, sondern sei vor allen neugierigen Blicken absolut geschützt.

„Dann sollten wir sofort in jene Bucht verholen“, schlug Renke Eggens vor.

O’Brien, der kein Freund vieler Worte war, nickte ebenfalls.

„Verholen wir“, sagte er, „es ist ja nicht weit.“

Noch am Vormittag war alles erledigt. Innerhalb kurzer Zeit hatten alle Schiffe in die schützende Cherokee-Bucht verholt und gingen vor Anker.

Die „Golden Hen“ ankerte dicht unter dem Nordufer, an jener Stelle, wo sie auf den flachen Strand gezogen werden sollte.

Der Platz war gut zum Aufslippen, daran gab es nichts zu bemängeln. Er war geradezu ideal. Aber Jean Ribault war von der ganzen Angelegenheit trotzdem nicht sehr begeistert. Das alles würde einige Tage dauern.

„Halb so schlimm“, sagte Hesekiel wieder, der Jean Ribaults unmutiges Gesicht sah. „Bis heute nachmittag sind wir mit den gröbsten Arbeiten fertig. Ich denke, daß wir morgen etwa um die gleiche Zeit das Schiff auf den Strand ziehen können.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, brummte Jean. „Schließlich müssen wir die Karavelle auch noch abpallen, und dazu brauchen wir Pallhölzer. Bis wir die gesägt haben …“

„Haben wir doch alles an Bord, Jean. Wir haben zwei Holzladungen nach Deutschland in Havanna gestaut. Die angeblich nach Deutschland gehen sollen“, sagte Hesekiel sanft. „Wir schlagen ein paar schwere Taljen am Bug der Karavelle an und ziehen sie zu den breitstämmigsten Kiefern Hinüber. Aber vorerst leichtern wir das Schiff und nehmen alles von Bord. Die anderen haben ihre Beiboote schon abgefiert und werden alle kräftig mit anpacken.“

Jean Ribault sah zu den Kiefern hinüber. Da gab es eine, die ganz besonders ins Auge fiel, eine sehr hohe Kiefer, die auf einem Hügel der Halbinsel stand. Sie hatte eine dichte und breit gefächerte Krone.

„Bevor wir anfangen“, sagte Jean, „sollten wir einen Ausguck einrichten. Ich denke dabei an die Kiefer dort drüben. Dort kann ein Mann bequem in der Krone sitzen und Ausschau halten, ohne daß er selbst gesehen wird. Das könntest du für die ersten paar Stunden übernehmen, Roger“, sagte er. „Grand Couteau kann dich später ablösen, aber der Ausguck ist wichtig, dafür müssen wir zuallererst sorgen.“

„Ich möchte wetten“, sagte Roger nachdenklich, „daß uns die anderen Kameraden nicht einmal sehen, wenn sie hier vorbeisegeln, so gut geschützt sind wir von der Halbinsel.“

Kurz darauf brachte ihn eine Jolle zum Strand. Er war mit einem Spektiv bewaffnet und stieg in die Kiefer, wo er es sich in der breiten Krone gemütlich einrichtete und seinen Posten bezog. Von hier aus konnte er alles überblicken und war selbst vor den Blicken anderer vorzüglich geschützt.

Mit den Arbeiten wurde auf der „Golden Hen“ auch sogleich begonnen, nachdem alle Schiffe ihre Jollen abgefiert hatten.

Als Roger Lutz seinen Ausguck bezogen hatte, begann man damit, die Schatzbeute der beiden Schnapphähne Caspicara und Flores auszuladen und an Land zu bringen. Die Männer von O’Brien und Renke Eggens kamen mit den Jollen längsseits und brachten Truhen, Kisten und Fässer an Land.

Mit einer anderen Jolle wurden ebenfalls Pallhölzer zum Strand gebracht und gestapelt.

Danach begann die Plackerei mit den schweren Geschützen, die mühsam abgefiert wurden. Den Männern lief bereits der Schweiß in Bächen über die Körper.

Von den Schiffen des Geleitzuges, der nach Porto Bello unterwegs gewesen war, hatten sie noch Fässer voller Schießpulver und Wein, die ebenfalls an Land gebracht werden mußten.

Eine Stunde nach der anderen verrann mit harter Arbeit. Und noch war kein Ende abzusehen.

2.

Der einzige, den die emsige Betriebsamkeit überhaupt nicht zu stören schien, war Old O’Flynn. Er hatte die „Empress“ in die Bucht verholt und aus den Augenwinkeln wahrgenommen, daß es hier „ganz herrlich“ war, aber damit hatte es sich auch schon.

Na fein, dann lagen sie eben in einer geschützten Bucht und nicht mehr auf dem Präsentierteller. Auf der „Golden Hen“ kamen sie auch ohne ihn aus, Leute waren ja genug da, und so hockte Old Donegal an diesem herrlichen Vormittag an Bord seines Schiffes und grübelte, wie er schon zuvor gegrübelt hatte.

Er sah und hörte nicht, was um ihn herum vorging, denn durch seinen Schädel geisterten pausenlos Ideen, eine immer besser als die andere. Allerdings plagten ihn mitunter auch ganz abstruse Ideen, aber das entsprach eben der O’Flynnschen Persönlichkeit. Schließlich mußte man alle Möglichkeiten durchgehen.

Was den alten Knurrhahn beschäftigte und woran er sich in Gedanken so ergötzte, war der Bau einer neuen Kneipe.

Kneipe? Gott bewahre, eine „Rutsche“ mußte es sein, ähnlich wie jene auf der untergegangenen Schlangen-Insel, der er immer noch lebhaft nachtrauerte.

Hm, allerdings war das hier ziemlich schlecht, überlegte er und räusperte sich ärgerlich. Am Nordufer war ja wohl nichts mit der Errichtung einer Rutsche, das hatten die anderen Kerle bereits mit der „Golden Hen“ vereinnahmt. Außerdem war es da ziemlich flach. Wie, zum Teufel, sollte man da eine Rutsche bauen?

Der Alte hockte neben der Pantry, stierte auf die Planken und merkte nicht, daß sein Bootsmann Martin Correa schon die ganze Zeit über am Grinsen war. Heute spinnt O’Flynn wieder mal einen unsichtbaren Faden, dachte Martin. Da war er nicht ansprechbar, nicht einmal seine liebe Mary konnte ihm da ein Wort entlocken, obschon sie offenbar etwas auf dem Herzen hatte.

Ein paar Male hatte sie schon zum Sprechen angesetzt, um Old O’Flynn mit leuchtenden Augen etwas zu verklaren. Doch der hockte da und stierte weiterhin Löcher in die Luft.

„Wirklich herrlich hier“, sagte Martin, wobei er versuchte, den Alten ein wenig aus der Reserve zu locken.

„Hm, ja“, war alles, was er zu hören kriegte.

O’Flynn nahm ein Stückchen Holzkohle und zeichnete ein paar Striche auf die sauberen Planken. Nachdem er das Gekraxel ausgiebig betrachtet hatte, wischte er es wieder weg. Und weil die Holzkohle ein bißchen schmierte, gab es einen entsprechend dunklen Fleck auf den Planken.

Wieder erschien die rothaarige Mary. Sie lächelte und blickte auf ihren alten Brummbär. Ihre Zähne blitzten, doch gerade als sie etwas sagen wollte, zog Old Donegal voller Andacht und Emsigkeit neue Striche.

Auf Marys Stirn erschien eine steile Falte des Unmuts.

„Was schmierst du da ständig auf den Planken herum?“ fragte sie. „Ist das eine neue Art, den Tag zu vertrödeln? He, ich habe dich etwas gefragt, Mister O’Flynn!“

„Ja, herrlich hier“, knurrte der Alte, der überhaupt nicht zugehört hatte, „und auch schön warm.“

Sie redeten aneinander vorbei, denn Old O’Flynn hörte wieder nicht zu. Er gab lediglich nichtssagende und banale Antworten, um seine Ruhe zu haben.

„Herrlich hier und auch schön warm!“ fauchte Mary. „Was sind denn das für dämliche Antworten?“

„Ja, genau“, brummte Old O’Flynn freundlich.

Martin Correa feixte noch mehr, als Mary kopfschüttelnd mit dem Finger an die Stirn tippte. Aber es sah ganz so aus, als bahne sich bald ein handfester Ehekrach an, denn die resolute Mary ließ sich auf die Dauer nicht mit faulen Antworten abspeisen. Martin kannte das, denn die Snugglemouse konnte ziemlich heftig explodieren, und mitunter ging ihr Temperament mit ihr durch.

Aber noch beherrschte sie sich, wenn auch kopfschüttelnd. Zähneknirschend enterte sie wieder in die Pantry ab, wo sie mit Pfannen und Töpfen hantierte.

Old O’Flynn brabbelte etwas, wischte erneut die Striche aus und vergrößerte den Fleck zu einem schwarzen Gebilde. Nicht einmal die Sauerei auf den Planken störte ihn.

Etwas später lehnte er sich ein wenig zurück, starrte zuerst geistesabwesend in den Himmel und kratzte sich dann ausgiebig das Kinn.

Dann schien er aus einem Traum zu erwachen und sah sich um. Das tat er ziemlich lange und wirkte dabei erstaunt, als sei er total überrascht, in dieser Bucht zu liegen.

„Sieht ja alles ganz anders aus“, murmelte er.

„Wie meinst du das?“ fragte Martin verwirrt.

„Na – diese komische Halbinsel.“

„Aber – wir haben doch vor einer halben Stunde verholt.“

„Ach ja, richtig“, brummte Old Donegal. „Hatte ich fast schon vergessen. Klar, wir haben zur Rutsche verholt.“

„Zur Rutsche?“ fragte Martin fassungslos. Jetzt geht es bei Old Donegal wohl endgültig los, dachte er, jetzt fängt es im Gebälk an zu bröseln und zu bröckeln.

„Äh, zur Bucht natürlich. Laß mich Joch mit deinem Scheiß in Ruhe, ich habe zu tun.“

„Ich habe ja auch nichts gesagt“, brummte Martin, der mit den Schrullen und Marotten des Alten bestens vertraut war. Aber heute schien er im Kopf nicht ganz richtig zu sein.

Old Donegal sah sich jetzt aufmerksam um. Klar, sie hatten verholt, er hatte gar nicht mehr daran gedacht. Er dachte nur noch an seine Rutsche und wo und wie man sie am besten bauen konnte. Denn es war klar, daß eine Pinte her mußte. Schließlich ging es um das Wohl aller, und da durfte eine Pinte nicht fehlen. Das hatte er ja auch schon mit Hasard besprochen.

Er stierte zu der Kiefer hinüber und schrak heftig zusammen, als sich in der Krone etwas bewegte. Da tauchte eine Hand aus dem Gast auf und verschwand gleich wieder. Dann bewegten sich die Zweige, gleich darauf war alles wieder still und bewegungslos. Sekundenlang vergaß er die Rutsche.

„Wir werden beobachtet“, sagte er heiser zu Martin. „Offenbar hockt dort ein Kerl in der Kiefer. Bring mir mal die Muskete! Den knall’ ich da runter wie einen faulen Fisch.“

Martin Correa seufzte. Heute war das schon ein ganz besonderes Kreuz mit dem Alten, der blickte überhaupt nicht mehr durch und sah wieder mal Gespenster.

„Erstens einmal“, sagte er, „pflegen Fische nur in Ausnahmefällen auf Bäumen zu hocken und faule Fische schon gar nicht. Und zweitens ist das unser Ausguck, der Franzose Roger Lutz, den Jean an Land geschickt hat.“

„Und wenn es einer von den Schnapphähnen ist, der vielleicht überlebt hat?“ fragte Old O’Flynn beharrlich weiter.

„Es hat aber niemand überlebt, und ich weiß genau, daß es Roger ist, der da hockt.“

„Na schön“, brummte Old O’Flynn, „und jetzt laß mich gefälligst in Ruhe und frage mir nicht dauernd Löcher in den Bauch. Ich hab’ schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.“

„Na, dann gut Treff, Admiral“, sagte Martin ergeben. Der Alte ging ihm heute langsam, aber sicher auf den Geist, und das wollte bei einem Mann wie Martin Correa schon viel heißen.

Old O’Flynn war wieder bei seiner Pinte, und diesen Gedanken spann er jetzt gründlich und sehr ausgiebig weiter. Erneut versank die Welt um ihn herum. Die Gesichter verblaßten zu Schemen, nur der Strand rückte klar und scharf heran.

Hm, der Südhang dieser Bucht, der kam schon eher in Frage. Sieht gar nicht so übel aus, überlegte er. Der Strand war steiler. Da bot sich eine Rutsche schon eher an.

Klar, da könnte man ein festes Pfahlhaus ins Wasser bauen, ein schönes Ding mit starken Pfählen, die man in den Grund rammen müßte.

Natürlich müßte es eine getarnte Luke im Boden haben, falls jemand wieder Stunk anfing, Carberry zum Beispiel oder der Wikinger, die schon durch die alte Rutsche auf der Schlangen-Insel gesaust waren.

Ha, da würden die Krakeeler – schwuppdiwupp – mit einem Affentempo ins Wasser sausen und konnten sich abkühlen!

Old O’Flynn lachte laut auf und rieb sich die Hände. Diese Vorstellung amüsierte ihn köstlich. Sollte der Profos nur anfangen, überlegte er, dem würde er schon zeigen, wo es langging. Wie ein Amboß würde der ins Wasser fliegen.

Er lachte so laut und meckernd, daß Martin verstört zusammenfuhr und ihm einen besorgten Blick zuwarf.

„Der wird sich noch wundern“, sagte Old Donegal laut.

Im Geiste sah er bereits einen nach dem anderen von den Banausen durch die Rutsche flitzen.

„Wer wird sich wundern?“ fragte Martin.

„Na, der Profos. Ganz große Klüsen wird der kriegen.“

Martin hatte nicht die geringste Ahnung, warum sich der Profos wundern und vor allem weshalb er „ganz große Klüsen“ kriegen würde, aber er hakte nicht mehr nach. Außerdem war der Profos auch gar nicht hier, sondern auf der „Isabella“, und die war noch unterwegs und nicht einmal in Sicht.

Er sah Old O’Flynn lange und sehr nachdenklich an.

Ist wohl besser, ihm heute aus dem Weg zu gehen, dachte er. Reden konnte man mit ihm nur Unsinn, und vielleicht kriegte er bei seinen krausen Gedankengängen etwas in den falschen Hals.

„Jaja, der Profos wird sich noch wundern“, sagte Martin beschwichtigend und verzog sich weiter nach vorn.

„Der Wikinger auch!“ brüllte Old O’Flynn und ließ wieder dieses schreckliche meckernde Lachen vom Stapel.

„Jaja, der auch“, murmelte Martin.

Old O’Flynn spann seine Überlegungen weiter. Er war gerade dabei, auszurechnen, wie tief die Pfähle seiner Pinte ins Wasser gerammt werden mußten, damit die Kneipe nicht umfiel. Natürlich durfte sie bei Hochwasser auch nicht unter Wasser stehen. Da war verdammt viel zu überlegen und zu berücksichtigen.

Wenn er dort vorn die Pfähle …

Ein Schatten fiel über die Planken und deckte gnädig den Schmierfleck zu, den Old Donegal auf den hellen Planken hinterlassen hatte.

„Donegal!“ flötete Mary leise. Diesmal klang ihre Stimme gar nicht so wie ein Reibeisen, sie klang eher samtig und weich. „Du hörst heute überhaupt nicht zu. Aber ich muß dir etwas ganz Wichtiges sagen, ja, ich muß dir etwas verkünden.“

Erwartungsvoll sah sie ihn an. Sie stand neben der Pantry und lächelte geheimnisvoll.

Wenn er dort vorn die Pfähle – mindestens sechs mußten es sein – ins Wasser rammte …

„Ich muß dir etwas ganz Wichtiges sagen“, wiederholte Mary. Ein ganz klein bißchen Reibeisen war jetzt wieder in der Stimme und auch ein wenig Ungeduld.

„Wie?“ fragte Donegal zerstreut. „Ist was?“

Mary hatte jetzt die Arme in die Hüften gestemmt. Ihre Augen blitzten, ihre Lippen wurden etwas schmaler.

Dieser Kerl hört nicht einmal zu, dachte sie erbost, der nimmt mich überhaupt nicht zur Kenntnis. Dabei hatte sie ihm wirklich etwas Wichtiges zu sagen. Da half kein Gurren, kein zartes Wort und auch kein Säuseln. Old O’Flynn mußte man auf den Amboß legen und ihm den Scheitel mit dem Vorschlaghammer nachziehen. Diese rauhe Tour verstand er vielleicht.

Er hockte immer noch desinteressiert und scheinbar dröselig herum und war am Rechnen. Ja, mindestens sechs Pfähle mußten dort ins Wasser …

„Du wirst Vater!“ brüllte Mary.

Vorn am Bug der „Empress“ zuckte Martin Correa verstört zusammen. Er zog das Genick ein und schluckte.

„Jaja, bin ich schon“, sagte Old O’Flynn lakonisch. „Sechs Pfähle“, fügte er geistesabwesend hinzu, „ich meine, achtmal bin ich schon Vater. Sieben Söhne, eine Tochter, aber die …“

Der ansonsten liebevollen Snugglemouse ging fast der Gaul durch. Dieser sture Bock! Sie hätte sich die Haare raufen können über sein verdammtes Desinteresse. Jetzt wurde ihre Stimme schrill und lauter, denn sie hatte sich vorgestellt, daß Donegal sie ob dieser erfreulichen Nachricht liebevoll in die Arme nehmen würde. Statt dessen hockte er da und faselte Unsinn.

„Jetzt wirst du zum neunten Male Vater!“ schrie sie, außer sich vor Ärger.

„Du meinst, neun Pfähle?“ fragte Donegal. „Es muß aber immer eine gerade Zahl sein, sonst kann der Bau nicht stehen.“

„Himmel noch mal!“ schrie Mary fuchtig. „Ich rede davon, daß du Vater wirst, Mister O’Flynn. Geht das nicht in deinen verdammten Holzkopf hinein?“

„Was werd’ ich?“

„Vater!“ brüllte Mary. „Du wirst Vater, Mister O’Flynn, und zwar zum neunten Male!“

Old O’Flynn merkte, daß in seinem Schädel etwas klickerte.

„Vater, was?“ brabbelte er. Erst jetzt sah er Mary an, und nun ging ihm offenbar auch ein Licht auf. Aber statt ihr um den Hals zu fallen, begann dieser sture Bock doch wahrhaftig zu rechnen, wobei er die Finger zu Hilfe nahm.

„Was soll das?“ fauchte sie gereizt.

„Ich rechne gerade nach.“

Martin Correa hockte ganz vorn am Bug und grinste still vor sich hin. Er kapierte nicht so genau, um was es ging, aber die beiden hatten sich offenbar ganz schön in der Wolle. Schien sich zu einem handfesten Krach zu entwickeln, wenn Old O’Flynn nicht bald einlenkte. Aber der war noch weit davon entfernt.

„Was, bei allen O’Flynnschen Geistern, rechnest du denn?“ rief sie empört. „Da gibt’s überhaupt nichts zu rechnen, Mister O’Flynn. Schließlich weiß ich, daß ich guter Hoffnung bin.“

„Bin ich auch“, sagte Donegal, „ich hoffe, daß alles klappt mit der neuen Rutsche.“

„Himmel, ist das ein Kreuz mit dir. Du bist ja total verrückt mit deiner Rechnerei.“

Old O’Flynn fiel ein, daß er auf diese Art und Weise mit seiner Rechnerei nicht weiterkam. Schließlich hatte ihm Mary ja etwas Wichtiges verschwiegen.

„Äh, wann, ich meine, wann soll denn das passiert sein mit uns und so?“ stotterte er. „Ich meine – wann …“

„Genau vor zwei Monaten“, sagte Mary. „Seit zwei Monaten habe ich nichts mehr gehabt.“

„Was hast du nicht gehabt?“

Die rothaarige Snugglemouse war fast den Tränen nahe.

„Kein Dingsbums!“ schrie sie. „Stell dich nicht so dämlich an, du alter Bock, du weißt genau, was ich meine!“

„Was für ’n Dingsbums denn?“ stammelte der Alte verwirrt. „Was ist denn das schon wieder?“

„Bist du so dämlich, oder tust du nur so, Mister O’Flynn? Ich habe das seit zwei Monaten nicht gehabt, was eine Frau sonst immer einmal im Monat hat. Kapierst du das endlich?“

„Äh, langsam“, brummelte der Alte, „das ist alles so verwirrend. Du hast zweimal das nicht gehabt, was einmal im Monat – oder umgekehrt? Äh, verdammt, das soll einer kapieren. Da ist ja die Rechnung mit dem Pfahlhaus einfacher. Du mußt nämlich wissen, daß ich mindestens sechs Pfähle …“

Diesmal funkelten die Augen der Snugglemouse so intensiv und gefährlich, daß Old O’Flynn vorsichtshalber das Genick einzog. Seine bessere Hälfte war mächtig empört und so in Braß, wie er sie seit langem nicht mehr erlebt hatte. Ihre Stimme wurde zu einem schrillen Diskant, vor dessen Intensität Donegal zurückwich.

„Deine Pfähle interessieren mich einen Dreck, du Holzklotz! Seit zwei Monaten war nichts mehr, und du faselst dummes Zeug durch die Gegend. Finde dich, verflucht noch mal, endlich damit ab, Vaterfreuden entgegenzusehen.“

„Kann nicht sein“, behauptete Donegal stur. „Außerdem ist das ganz natürlich, wenn das mal ausbleibt. Das lag nämlich an den vielen Aufregungen der letzten Tage und Wochen.“

Und dann begann er aufzuzählen, wobei er erneut die Finger zu Hilfe nahm.

„Da war Arauas Tod, dann der Untergang der Schlangen-Insel, dann der Untergang von Coral Island, dann die Schnapphähne, und dann war da noch …“

„Gar nichts war!“ brüllte Mary wild. „Du faselst Quatsch, Mister O’Flynn!“ Immer wenn sie in Braß war, redete sie Donegal mit Mister O’Flynn an.

„Und du faselst auch Quatsch“, fuhr Old O’Flynn auf. „Ich kann das einfach nicht glauben, Miß Snugglemouse.“

Jetzt ging es los, wie Martin verstört feststellte.

„Was heißt hier Miß Snugglemouse?“ schrie sie empört. „Ich bin eine O’Flynn und ganz legal mit einem dämlichen Ochsen wie dir verheiratet, mit einem sturen Bock, der an nichts weiter denkt als an seine verdammte Pinte. Bau sie doch aus dem Holz, das du in deinem Schädel hast, Mister O’Flynn! Das reicht aus, um noch ein ganzes Dorf zu bauen – und noch ein paar Schiffe dazu.“

Sie zitterte vor Empörung und Ärger, aber Old O’Flynn war mit seinen Nerven auch schon fast auf den Planken, und jetzt wurde er gallig und giftig. Zum einen sah er sich bei seinem „Rutschenbau“ ernsthaft gestört, und zum zweiten sollte er einfach so übergangslos Vater werden. Väterchen Old O’Flynn, was? Das mußte er erst einmal durch den Hals kriegen.

„Ich bin viel zu alt dazu, um Vater zu werden!“ brüllte er fuchtig. „Jawoll, verdammt noch mal, ich bin nicht mehr der Jüngste.“

Er wollte es partout nicht wahrhaben, daß er noch einmal Vater wurde, wie Mary verzweifelt feststellte. Der eigensinnige Kerl stritt einfach alles ab. Es war zum Verzweifeln mit ihm. Da fiel kein liebes Wort, da war kein stolzes Lächeln. Stur und eigensinnig beharrte er darauf, daß er nicht Vater wurde.

Mary schniefte ein wenig. Sie ging nach unten in die Pantry, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und ließ ihn allein neben der Pantry stehen.

Voller Wut nahm sie einen Kochtopf vom Haken und knallte ihn auf die Planken der kleinen Anrichte. Es schepperte und dröhnte.

Old O’Flynn blieb auf beiden Ohren taub. Er war schon wieder am Rechnen, wie viele Pfähle er brauchte.

3.

Als Mary nach einer Weile wieder an Deck erschien, hatte sie die große Bratpfanne in der Hand, hievte eine Pütz Wasser hoch und begann die Pfanne zu schrubben. Old O’Flynn kriegte nur einen äußerst giftigen Blick ab.

Während sie emsig an der Pfanne herumschrubbte, blickte Old Donegal mißmutig über das Wasser. Seine Laune war dahin, er brummelte etwas in seine Bartstoppeln.

„Na, hast du jetzt alles überdacht?“ fragte Mary leise. „Kann man wieder mit dir reden?“

„Mit mir kann man überhaupt nicht reden“, knirschte Donegal sauer. „Schon gar nicht über Vaterfreuden und so ’n Scheiß, weil ich nämlich zu alt dazu bin.“

Mary nahm einen neuen Anlauf, aber der alte Zausel hatte jetzt ausgesprochen schlechte Laune.

Mit sanft klingender Stimme sagte sie: „Es ist aber so, Donegal. Das kommt für dich vielleicht unerwartet, und du mußt damit erst fertig werden.“

„Ich bin schon fertig!“ brüllte Old O’Flynn. „Nämlich mit Gott, der Welt und allem anderen.“

„Kann ich verstehen, überhaupt wenn ich dein Gesicht betrachte. Das sieht aus wie der erste Wagen einer Geisterbahn!“

Vorn am Bug bedauerte der Bootsmann Martin lebhaft, daß er nicht mehr weiterkonnte. Am liebsten hätte er sich verdrückt, denn jetzt ging der Zirkus offenbar wieder von vorn los. So nahm er den Schwabber und benäßte hingebungsvoll und grinsend die Galionsfigur am Bug.

Das mit der Geisterbahn ging dem Alten doch merklich auf die Nerven. Er war stocksauer, denn damit hatte ihm die Snugglemouse ein hartes Ding verpaßt.

„Vielleicht wird das auch ein Geist, von dem du dauernd quatschst!“ schrie er mit knallrotem Schädel. „Ein heiliger Geist, was? Aber was immer das auch wird, ich bin jedenfalls nicht der Vater. Weiß der Satan, wer das war!“

Mary glaubte, sich verhört zu haben. Ihr Gesicht wurde hart und wild. Jetzt verstieg sich Donegal sogar noch dazu, seine Vaterschaft zu leugnen oder anzuzweifeln. Das war zuviel des Guten. Das hätte er nie und nimmer sagen dürfen. Ihr Temperament ging mit ihr durch. Auch sie war jetzt knallrot angelaufen.

„Sag das noch einmal!“ fauchte sie wild.

„Das sag’ ich noch hundertmal!“ keifte Old O’Flynn. „Tausendmal sag’ ich das sogar – und noch mehr, wenn’s sein muß!“

„Und das ist dein voller Ernst, Mister O’Flynn?“

„Mein voller Ernst ist das.“

Da explodierte die rothaarige Frau mit der Reibeisenstimme. In wilder jäher Wut hob sie die Eisenpfanne und knallte sie Old O’Flynn kraftvoll über den Schädel.

Es donnerte so laut, als sei ein Gong geschlagen worden. Martin Correa zuckte so heftig zusammen, als hätte das Ding ihn getroffen.

„So, das ist dein Geist!“ schrie Mary.

Aber das hörte Old O’Flynn kaum noch. In seinem Schädel fand eine bestialisch laute Detonation statt, und dann flogen Millionen bunter Sternchen an ihm vorbei, eins feuriger und farbiger als das andere.

Er wankte und wackelte und setzte sich dann total benommen auf die Planken. Die Welt bestand nur noch aus einem vielfältigen Reigen buntschillernder Dinger, die ihn pausenlos umkreisten.

Mary schmiß wütend die Bratpfanne hin, schluchzte laut auf und verschwand schniefend in der Pantry. Hinter sich donnerte sie das Schott zu, daß es durch die ganze Karavelle dröhnte. Dann schloß sie auch noch ab, wobei sie wieder laut schluchzte.

Old O’Flynn hockte inzwischen wie benebelt auf den Planken und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er hörte immer noch das laute Dröhnen der Bratpfanne, und ihm war, als schlage seine bessere Ehehälfte erneut damit zu. Die ganze Welt wackelte und wankte, als er versuchte aufzustehen. Aber das war nicht ganz einfach, er griff ständig haltsuchend um sich.

Martin wollte ihm zuerst zu Hilfe eilen, aber dann ließ er es lieber bleiben. Er hatte da so seine Erfahrungen mit den O’Flynns.

Die faßten das vielleicht als Einmischung in ihr Eheleben auf, und dann donnerte ihm die resolute Mary vielleicht auch noch eine Bratpfanne auf den Schädel.

Am besten war, er tat so, als hätte er von dem ganzen Drama nichts mitgekriegt. Dann war ihm auch die Peinlichkeit erspart, als Zeuge dabeigewesen zu sein. Aber das Grinsen konnte er sich trotzdem nicht verkneifen.

War ja mal wieder ein feiner Ehekrach, dachte er, und die rothaarige Mary hatte es dem alten Rauhbein höllisch gegeben. Er hatte nur nicht genau gehört, um was es eigentlich gegangen war. Nur von „Vater“ hatte er etwas verstanden und daß alle beide außerordentlich giftig waren.

Old O’Flynn war jetzt endlich auf den Beinen. Er schwankte wie ein Rohr im Wind und griff an seinen Schädel.

Ah, da wuchs etwas unter seiner Hand, das so groß wurde wie der in seiner Phantasie wachsende Pfahlbau der Pinte. Himmel, tat das weh! Sein ganzes Gesicht war zerknittert – und dann diese Sterne! Gerade raste wieder ein Komet vorbei, der zischend ins Meer schlug.

Der Alte wackelte ächzend und wie betrunken über Deck und schwankte von einer Seite zur anderen. Er sah wirklich aus, als hätte er randvoll geladen.

Nur weg, dachte er mühsam, sonst flog ihm noch so ein Ding an den Schädel. Mary war darin recht großzügig. Auf Tortuga hatte sie ihm in Diegos Kneipe auch einen Bierhumpen auf den Schädel gedonnert, als er mit ihr anbändeln wollte.

Verflixt, die hatte vielleicht einen Schlag drauf!

Mit glasigen Augen wackelte er weiter. Er wußte kaum noch, was er tat, er wollte nur fort, zum Auslüften, damit er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.

Schnaufend astete er sich voran, wo längsseits die Jolle vertäut lag. Sie verschwamm ständig vor seinen dösigen Blicken und tanzte auf und nieder.

„Halt doch mal an“, brummte er.

Er warf keinen Blick mehr zurück, aber er war immer noch stocksauer. Und wenn er mit schmerzverzerrtem Gesicht nach seinem Schädel tastete, dann wurde ihm angst und bange. Da wuchs ein Horn in die Höhe, das bis in den Himmel zu streben schien. Meilenweit mußte man das Horn sehen können.

„Verdammt, verdammt“, brummte er torkelnd. „Das hat aber gesessen. Väterchen, was?“ brabbelte er weiter. „Daß mich dieser und jener hole, zum Teufel.“

Leise ächzend und vor sich hin schimpfend, enterte er total dösig in die Jolle, ergriff die Riemen und paddelte los wie einer, der zum ersten Male eine Jolle durchs Wasser karrt.

Etwas später erreichte er das Land. Ohne rechts oder links zu blicken, verschwand Old O’Flynn im Ufergestrüpp auf der Südseite der Insel.

Seitdem blieb er für längere Zeit verschollen.

In der Pantry aber stand Mary. Sie schluchzte leise und vergoß ein paar Tränen, aber es waren Tränen der Wut und des Ärgers.

„Dieser Scheißkerl!“ schluchzte sie vor sich hin. „Der begreift überhaupt nichts. Der freut sich nicht einmal und spuckt gleich Gift und Galle, weil er Vater wird.“

Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen ab.

„Na warte, Mister O’Flynn“, flüsterte sie, „dich werde ich schon hoch auf Trab bringen, bis du jubelst, daß deine Sippe um ein weiteres O’Flynnchen vermehrt wird. Das bringe ich dir noch bei, Mister!“

Mary O’Flynn war hart im Nehmen, und sie hatte Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt. Sie hörte auf zu weinen und sah sinnend an das Schott der Pantry.

Männer, dachte sie, zeigten ja mitunter die merkwürdigsten Reaktionen, wenn sie erfuhren, daß sie Vater wurden. Manche reagierten darauf gelassen und friedfertig, andere regten sich furchtbar auf. O’Flynn war eben einer von der Sorte, die sich aufregte und das einfach nicht kapieren konnte oder wollte. Ein altes Ekel war dieser Mister O’Flynn. Aber auch in seinem Herzen würde sich noch eine Wandlung vollziehen, da war sie sich ihrer Sache ganz sicher.

Als sie das alles überdacht hatte, war sie wieder ganz die alte Mary mit dem goldenen Herzen.

Sie entriegelte das Schott und ging an Deck, wo Martin Correa verlegen grinsend herumstand. Man sah ihr auch nicht mehr an, daß sie eben noch geweint hatte.

„Wo ist denn dieser Mister O’Flynn geblieben, Martin?“ fragte sie mit etwas rauher Stimme. Sie sah sich nach allen Seiten um, aber von „Mister O’Flynn“ war weit und breit nichts zu sehen.

Martin räusperte sich verlegen und trat dabei unruhig von einem Bein auf das andere.

„Er – er hat die Jolle genommen und ist an Land gepullt. Er ist da drüben ins Gebüsch gerannt.“

„Gerannt?“ fragte Mary.

„Ja, er hatte es ziemlich eilig. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

„Soll er“, sagte Mary grimmig. „Da kann der Kapitän auslüften und darüber nachdenken, was er falsch gemacht hat.“ Und was für ein altes Ekel er ist, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Soll ich nach ihm rufen?“ fragte Martin.

„Der findet von allein zurück, Martin. Und wenn er wieder an Bord ist, hat er hoffentlich auch Vernunft angenommen. Sonst soll ihn der Teufel holen.“

„Aye, aye“, sagte Martin. „Soll ich nicht doch lieber …?“

„Nein, er soll nachdenken. Schließlich ist er alt genug, um zu wissen, was er tut.“

Martin bezweifelte das zwar manchmal, aber das behielt er doch lieber für sich. Der Kapitän würde erst mal seinen dösigen Schädel auslüften und dann brav zu Kreuze kriechen. War ja nicht das erste Mal, daß es einen handfesten Krach gab. Danach war Old O’Flynn immer ruhig und bescheiden zurückgekehrt.

In der Cherokee-Bucht gingen die Arbeiten unermüdlich weiter.

Die Schatzbeute war längst an Land gebracht worden, auch die Kanonen standen jetzt an Deck der „Wappen“ und der „Pommern“. Ein paar weitere waren mit den Jollen zum Land gebracht worden.

Die Wein- und Pulverfässer waren ebenfalls ausgeladen und am nahen Strand gestapelt worden.

Am Bug der „Golden Hen“ waren inzwischen unter Hesekiel Ramsgates sachkundiger Anleitung schwere Taljen angeschlagen worden.

Jetzt waren die Männer dabei, Leinen zum Land zu bringen und ebenfalls Taljen an den stämmigsten Kiefern anzuschlagen. Es war kurz nach Mittag.

„Du hast recht gehabt, Hesekiel“, sagte Jean Ribault. „Bis zum späten Nachmittag dürften wir mit dem Anschlagen fertig sein. Ich habe nicht geglaubt, daß wir es so schnell schaffen. Immerhin ist es eine Heidenarbeit.“

Der alte Schiffbaumeister nickte lächelnd.

„Vor Einbruch der Dämmerung sind wir fertig. Ich schlage vor, daß wir dann morgen früh damit beginnen, die Karavelle mit allen Mann auf den Strand zu ziehen und abzupallen. Es ist besser, wenn wir das bei Tageslicht tun. Morgen sind die Männer auch wieder frisch und ausgeruht.“

„Vorschlag angenommen“, sagte der Franzose.

Inzwischen ging Mary O’Flynn nach achtern, wo sich Gotlinde und Gunnhild mit den Kindern aufhielten.

„Hier in der Bucht wimmelt es von Langusten“, sagte sie. „Ein paar haben wir ja heute morgen schon an der Bay gefangen. Aber hier gibt es viel mehr. Die Männer werden hungrig sein, wenn sie mit der Arbeit fertig sind. Wenn wir ihnen dann Langusten, Brot und Wein zum Essen anbieten, wird das für alle ein Festmahl. Wollt ihr mit, weitere Langusten fangen?“

Die Frau des Wikingers nickte begeistert. Auch Gunnhild war sofort eifrig bei der Sache.

„Und wer paßt inzwischen auf die Kinderchen auf?“ fragte sie.

„Martin ist ja an Bord“, sagte Mary, „der kann mal hin und wieder nach den Kleinen sehen. Außerdem sind wir ganz in der Nähe. Da kann nichts passieren.“

Sie nahmen große geflochtene Körbe für die Langusten mit und gingen von Bord.

Martin sah ihnen grinsend nach, wie sie im flachen Strandwasser auf Langustenfang zogen.

Es wimmelte hier wirklich von den Tieren. Alle drei Frauen sammelten mit Feuereifer Langusten ein, die in Strandnähe herumkrebsten.

Mary war so eifrig bei der Sache, daß sie darüber ihren alten Brummbär ganz vergaß.

Innerhalb einer knappen Stunde hatten sie drei Körbe voll.

„Ob das reicht?“ fragte Gotlinde. „Ich kenne doch den Bärenhunger der Kerle.“ Sie sah zweifelnd auf die Masse krabbelnder Leiber, die ihre Fühler nach allen Seiten streckten.

„Wir sammeln noch mehr“, entschied Mary, „es gibt ja genügend. Außerdem haben wir noch reichlich Zeit bis zum Abend. Dann entzünden wir am Südufer der Bucht ein Feuer und bereiten sie zu.“

Erneut herrschte Betriebsamkeit in der Bucht. Während die Männer hart arbeiteten, fingen die drei Frauen weiterhin Langusten, bis kein Zweifel mehr daran bestand, daß sie reichen würden, selbst wenn der Hunger noch so groß war.

4.

Old O’Flynn hatte allen Grimm der Welt in sich. Grollend und vor sich hin brabbelnd, wackelte er aus der Jolle und gab ihr noch einen wütenden Fußtritt.

Dann befühlte er voller Zorn seinen Schädel und erschrak. Himmel, er rannte ja wie ein Einhorn durch die Gegend. Die Beule mußte mindestens zehnmal größer als sein Schädel sein. Er schielte ein bißchen nach oben in der Erwartung, ein recht großes Gebilde zu sehen, aber da war nichts, was ihn mächtig erstaunte.

„Scheißtag“, knurrte er, „die Welt kann mich mal. Die werden mich noch kennenlernen, und zwar gründlich.“

Old O’Flynn stapfte weiter, einfach aufs Geratewohl zog er los und nahm Kurs Nordost quer über die Halbinsel.

So bemerkte ihn auch der Ausguck in der Kiefer nicht, denn Old O’Flynn entzog sich allen Blicken auf seinem eigenwilligen Kurs.

Ein warmer Wind wehte ihm um die Ohren. Über ihm spannte sich ein seidiger Himmel, und aus Osten war leise das Rauschen des Meeres zu hören. Auch das leise Tosen der Wogen, die sich über dem Korallenriff brachen, drang an seine Ohren.

Er hörte es nicht in seinem Zorn. Er sah auch nicht die liebliche Landschaft mit den Palmen, die Dünen, die sanften Täler und das dichte Strandgestrüpp. Er wollte auch gar nichts sehen, er wollte einfach nur mal ein Stück laufen, um diese verdammte Bratpfanne und alles, was dazugehörte, zu vergessen.

Je weiter er rannte, desto mehr kroch der Zorn in ihm hoch. Er kniff die Lippen zusammen und schimpfte leise vor sich hin. Manchmal lachte er auch gallebitter und höhnisch auf.

„Ha, Vater, was?“ schrie er in den blauen Himmel. „Wenn das jedesmal mit der Bratpfanne eingeläutet wird, kann ich darauf verzichten. Außerdem hab’ ich genug Krakeeler in die Welt gesetzt. Bin ich vielleicht der Kalif von Bagdad?“

Fuchtig, gallig und giftig ging er weiter, humpelte durch ein Dünental und griff wieder nach seinem Schädel. Der brummte immer noch wie ein aufgescheuchter Bienenstock. Und von der Beule hatte er das Gefühl, sie würde bis an die Kimm reichen, wenn er sich nur bückte.

Nach einer Weile riß er beide Arme hoch. Da ihn ohnehin keiner hörte, führte er lauthals Selbstgespräche und beklagte sich maulend.

Die Vorstellung, Vater zu werden, lud seinen Zorn immer mehr auf, bis er zum Bersten angefüllt war.

„So ein Quatsch!“ rief er laut. „Da sind ja meine Enkel Hasard und Philip wesentlich älter als mein Sohn, wenn der in sieben Monaten das Licht der Welt erblickt!“

Daß es ein Sohn werden würde, stand für Old O’Flynn natürlich völlig außer Zweifel. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Sieben Söhne hatte er schließlich in die Welt gesetzt. Die eine Tochter Gwendolyn war da nur eine Ausnahme gewesen, sozusagen ein Ausrutscher, ein Irrtum.

Er kicherte boshaft und stieß mit seinem Holzbein so heftig in den Sand, daß eine große Wolke vor ihm aufstob.

„Ha, die sind dann schon fast fünfzehn Jahre alt, meine Enkelchen! Und ich bin dann mein eigener Urgroßvater. Das ist verwandtschaftlich gar nicht zu lösen.“

Dann fiel ihm siedendheiß etwas anderes ein, und das entflammte seinen Zorn noch mehr und stachelte ihn wieder mächtig an.

„Verdammt!“ murmelte er betroffen. „Was werden nur die anderen denken? Das spricht sich doch schnell herum, die erstaunliche Tatsache, daß ich wieder Vater werde. Der Profos“, rief er wild, „der wird sich doch halb totlachen, was, wie? Und die anderen erst!“

Er glaubte schon jetzt, das homerische Gelächter Edwin Carberrys in seinen Ohren gellen zu hören. Diese Vorstellung trieb ihn fast zur Weißglut.

„Lach du nur!“ schrie er. „Dir werd’ ich’s schon geigen, und zwar mit dem Holzbein, du Hurensohn! Du bist der erste, der durch die Rutsche geht, wenn sie fertig ist.“

So schrie, rief oder fluchte er vor sich hin. Dann mußte er sich erst einmal in den Sand setzen, um zu verschnaufen. Das alles regte ihn doch mächtig auf – hauptsächlich das selten dämliche Lachen des Profos’.

Er fand, daß seine Beule noch mehr angeschwollen war. Wie der Himmelsdom wölbte sie sich auf seinem Schädel.

Vater – hm – hm. Er dachte an den Wikinger Thorfin Njal. Der war ja auch nicht mehr der Jüngste, der graurotbärtige Riese. Dieser behelmte Nordpolaffe hatte aber immerhin gleich ein Pärchen auf Stapel gelegt. Alle Achtung – Donnerwetter!

Vielleicht wurde es bei Mary auch ein Pärchen – oder vielleicht sogar Drillinge!

Bei dieser Vorstellung brach Old Donegal der Schweiß aus. Um Himmels willen, möglich war schließlich alles.

Zwillinge oder Drillinge, dachte er wie betäubt. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und überlegte krampfhaft, was sein Sohn Dan wohl dazu sagen würde. Nicht zu den Zwillingen oder Drillingen – überhaupt und so! Das war auch noch ein Kapitel für sich. Der „Bengel“ würde ganz sicher auch noch ein paar dämliche Sprüche ablassen, und dann würden sie gemeinsam wie kranke Hengste wiehern, diese Rabauken.

Sehr verdrießlich starrte er grübelnd vor sich hin. Aber das half auch nichts, und so setzte er seinen Marsch ins Blaue wutgeladen fort.

Jetzt war er richtig in Braß, denn hinter jeder Düne, hinter jedem Strauch und Gestrüpp sah er im Geiste Carberry hocken, der sich über ihn halb totlachte.

„Na, du alter Zausel“, würde er höhnen, „hast noch mal was auf Kiel gelegt, was, wie? Wer hätte das von dir gedacht, wo du doch schon älter als Methusalem bist.“

„Verflucht noch mal!“ knurrte der Alte erbittert. „Du gehst sowieso durch die Rutsche, aber vorher wickel’ ich dir noch mein Holzbein achtmal um den Hals.“

Es ging jetzt etwas bergan, eine bewachsene Düne hoch. Eine dichte Gruppe aus Gestrüpp versperrte ihm den Weg.

Aber das focht Old Donegal nicht an. Er war ohnehin in Braßfahrt und rammte blindwütig alles, was ihm im Weg war.

Auch hier durchstieß er voller Zorn wie ein wutschnaubender Bulle das Gestrüpp, doch diesmal erlebte er eine höllische Überraschung.

Übergangslos und ganz überraschend gab der Boden unter ihm nach. Old O’Flynn schnappte hörbar nach Luft. Dann griff er mit einem wilden Schrei um sich.

Aber da war nichts mehr. Höchstens ein großes Loch, in das er hineinfiel und das mitten bis ins Erdinnere zu führen schien.

Er strampelte und schrie, aber der Boden unter seinen Beinen gab ständig nach.

Dieses lausige Gefühl des Fallens kannte er allerdings nur zu gut. Er hatte wieder mal seine „Rutsche“ beschworen, und jetzt war er selbst das Opfer geworden. So war das auch damals auf der Schlangen-Insel gewesen, als er sich im Geist mit dem Bau einer Kneipe beschäftigt hatte und auf die Suche nach einem idealen Plätzchen gegangen war. Damals hatte auch der Boden auf so ähnliche Art nachgegeben, und er hatte eine Höllenreise begonnen, von der er heute noch träumte.

Sein gellender Schreckensschrei riß ab, denn jetzt begann für den geplagten Old O’Flynn ein neuerliches Martyrium, das er sich nicht hätte träumen lassen.

Um ihn herum wurde es dunkel, gleich darauf stockfinster. Seine Gedanken überschlugen sich, denn es ging in höllischer Fahrt abwärts, und das war eine Art Schlittenfahrt, die er auf dem Hintern absolvierte.

Er hatte ja schon einmal davon gehört, daß es geheimnisvolle Löcher in der Erde gab. Fiel man in die hinein, dann blieb man mitten in der Erde stecken. Es hatte aber auch schon Fälle gegeben, bei denen man auf der anderen Seite der Erde wieder herausfiel.

Das nahm Old O’Flynn jetzt allen Ernstes an. Und ausgerechnet ihm mußte das passieren. Er hatte Angst davor, mitten in der Erde steckenzubleiben, aber noch mehr Angst hatte er davor, auf der anderen Seite wieder hinauszufliegen. Denn dann hatte er mit Sicherheit so ein Tempo drauf, daß er ohne weiteres bis zum Mond fliegen würde. Und dann konnte er da mutterseelenallein hocken, und kein Mensch wüßte, was mit ihm passiert war. Und überhaupt – wie sollten sie ihn auf dem Mond jemals finden? Nicht mal der Profos würde ihn da vermuten.

„Ich will nicht zum Mond!“ brüllte er heiser vor Angst.

Aber ob er wollte oder nicht – die Reise ging weiter, vielleicht doch dem geheimnisvollen Mittelpunkt der Erde entgegen, von dem er schon ein paarmal gehört hatte.

Sicher würde er dort ersticken, oder die Erdmännchen würden ihn dabehalten und den Rest seines Lebens nach Herzenslust piesacken.

Er bedauerte sich selbst, wieder völlig unschuldig in eine so mißliche Lage geraten zu sein. Hätte Mary ihm die Bratpfanne nicht auf den Schädel gedroschen, wäre er auch nicht von Bord gegangen.

Jetzt war sie schon fast Witwe, und das bedauernswerte Söhnchen hatte keinen Vater, der es liebevoll aufzog. Logischerweise würde es dann genauso ein Rabauke werden wie der Profos, der ja nichts anderes zu tun haben würde, als ihm faule Sprüche beizubringen.

In seinen Ohren sauste und brauste es. Er zog das Genick ein, streckte abwehrend die Hände vor – und schrie wieder.

Die Fahrt in die Erde wurde noch schneller, noch verrückter. Kühle Luft pfiff jaulend an seinem Schädel vorbei. Er zog das Genick tiefer ein.

Aber da war auch noch etwas anderes, was ihn mächtig plagte – nämlich ein wilder, heißer Schmerz. Der rührte daher, daß er auf dem, Hosenboden rutschte. Weil er höllisch schnell rutschte, erzeugte das auch eine höllische Reibung, und die setzte sich in Wärme um. Das wiederum merkte er an seinem Achtersteven, der offenbar in hellen Flammen zu stehen schien.

Ah verflixt, war das eine Höllenfahrt!

Er sauste wie eine Kanonenkugel durch rabenschwarze Finsternis. Kalte Luft flatterte ihm oben um die Ohren, und weiter südlich war es so heiß, daß er wieder laut losbrüllte. Das war ein Gefühl, als hocke er auf einem Faß glühenden Schießpulvers.

Diese bestialische Sturzfahrt in eine unbekannte Tiefe nahm kein Ende. Old O’Flynn kam es so vor, als würde er schon jahrelang durch diese Vorkammer zur Hölle rasen.

Hölle? Vorkammer zur Hölle?

Ein neuer Gedanke plagte ihn. Mit Schaudern und Schrecken malte er sich aus, daß er auch in der Hölle landen konnte. Warum auch nicht! Sie befand sich ja bekanntlich unter der Erde, wo die geschwänzten Teufelchen ihre Feuersuppe kochten und die armen Seelen zwackten und plagten. Man mußte ja nicht unbedingt gestorben sein, um in die Hölle zu gelangen.

In seiner krausen Vorstellung und seiner abstrusen Gedankenwelt sah Old Donegal alle Schrecknisse dieser Welt auf sich zukommen.

Jetzt sah er schon Sterne, streifte einmal etwas und schrie wieder gellend laut.

„Hilfe!“ brüllte er.

Da war irgendwo ein Poltern und ein Krachen. Vielleicht war das schon der Satan, der mit einer Eisenstange das Feuer schürte. Ein weiteres Krachen ertönte, erneut streifte ihn etwas, diesmal hart am Arm.

Seine Nerven flatterten, er bereute schnell noch alle seine Sünden und bat mit kreischender Stimme um Vergebung. Und man möge ihn doch, bitte sehr, lieber in Ruhe lassen, damit er sein armes Söhnchen versorgen könne.

Es wurde immer heißer. Brüllend heiß war es, kaum noch zum Aushalten. Das Fleisch mußte ihm schon in Fetzen vom Körper hängen und total verbrannt sein.

Old O’Flynn war so genervt wie noch nie in seinem Leben. Aber es sollte alles noch schlimmer werden.

Da war irgendwo ein fahles, unheimliches Licht, das geisterhaft seine Umgebung erhellte. Er spürte auch, daß sich seine rasende Rutschfahrt ein wenig verlangsamt hatte.

In dem diffusen Dämmerlicht erkannte er voller Entsetzen einen leuchtendgrünen, schenkelstarken Arm. Allerdings hatte der Arm keine Hand und keine Finger, aber er war auch so schaurig und unheimlich, besonders weil er in einem giftigen Grün leuchtete. Der Arm hing von irgendwo herab und wurde vor Old Donegals Gesicht immer größer.

Außerdem war das monströse Gebilde mit kleinen, ebenfalls leuchtenden Warzen bedeckt, die in allen Farben schillerten.

Old O’Flynn war so schaurig erschrocken, daß er fast vergaß, den Schädel einzuziehen, als der Arm direkt auf sein Gesicht zufuhr. Etliche Yards war das Monstrum lang, und da zog er doch ängstlich den Schädel ein und schrumpfte in sich zusammen.

Er spürte eine eisige Berührung, wie ein Hauch aus einer eisigkalten Gruft. Feucht war es auch noch, und es roch so eigentümlich.

Total verängstigt rutschte er weiter, immer noch umgeben von diffusem Halbdämmer, einem so fahlen Licht, daß er sich überhaupt nicht orientieren konnte.

Da waren sehr seltsame Gebilde um ihn herum. Rotleuchtende Fackeln, grüne und blaue Schlangen, silberne und golden schimmernde Kerzen mit riesigen Dochten.

Mehr oder minder führte er diese wundersamen Gebilde auf seine überreizte Phantasie zurück, denn so etwas gab es ja schließlich nicht. Oder doch?

Sah es vielleicht in der Hölle so ähnlich aus?