Seewölfe Paket 6 - Fred McMason - E-Book

Seewölfe Paket 6 E-Book

Fred McMason

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Beschreibung

Ein Brandpfeil, abgefeuert von Big Old Shane, dem früheren Waffenmeister von Arwenack Castle, stach in zitternder Bahn auf die spanische Dreimast-Karavelle zu, senkte sich auf seiner Flugbahn und bohrte sich zischend ins Hauptdeck. Entsetzt starrten die Spanier auf dieses Teufelsding, in dessen Schaft ein Brandsatz verborgen war. Und dann explodierte der Brandpfeil. Was er anrichtete, war ungeheuerlich. Ein Funke mußte in eine der Pulverkammern geflogen sein, denn ein Feuerball stieg mit Getöse aus der Karavelle...

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Impressum© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-495-1Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 101

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 102

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 103

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 104

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 105

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 106

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 107

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 108

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 109

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 110

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 111

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 112

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 113

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 114

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 115

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 116

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 117

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 118

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 119

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 120

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Sabreras’ Hütte war nur noch ein schwärzliches Gerippe in den höher und höher leckenden Flammen. Wie heißes Blei schmolzen die letzten Reste des Baus dahin, krümmten sich und stürzten mit Knistern und Knacken in sich zusammen. Der Feuerschein war ein Fanal in der Nacht Er erhellte die steile Wand des Talkessels und zeichnete geisterhafte Muster darauf. Die Urwaldbäume hockten da wie stumme Riesen, die abwartend dem Prasseln der Flammen und dem Rufen der Männer lauschten.

Hasard stand in steifer Haltung vor dem Munitionsdepot der Spanier. Sein Triumphgefühl war empfindlich geschwächt worden. Ihm war zumute, als habe man ihm soeben einen Faustschlag ins Gesicht verpaßt.

Denn – bei allem Erfolg der Befreiungsaktion – Sebreras, der verbrecherische Kommandant und Ausbeuter der Smaragdmine, hatte während des Kampfes das Weite gesucht. Niemand hatte ihn stoppen können. Ja, er war entwischt, ohne daß die Seewölfe und ihre Freunde es auch nur bemerkt hatten.

„Verfluchter Mist“, sagte Hasard leise. „Das hätte uns nicht passieren dürfen.“ Er blickte zu Siri-Tong, die neben ihm stand. „Aber wir fassen den Hund noch, das schwöre ich dir. Und auch die wertvolle Smaragdkrone der Chibchas holen wir uns wieder.“

„Wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir ihn noch einholen wollen“, erwiderte die Rote Korsarin. Mut und unbeugsamer Stolz sprachen aus ihrem Blick. Auch Sabreras hatte sie nicht unterwerfen können. Obwohl er sie mit einem Messer bedroht hatte, konnte sie ihn überrumpeln.

Hasard blickte in den verfilzt und undurchdringlich wirkenden Wildwuchs des Busches. Grübelnd zog er die Unterlippe zwischen die Zähne, schüttelte dann den Kopf und sagte: „Zu Land kriegen wir ihn ohnehin nicht mehr. Das ist Tatsache.“

„Und? Meinst du damit etwa, daß er den natürlichen Hafen erreicht, in dem die Smaragdschiffe ankern?“

„Ja.“

„Himmel, Hasard, das hört sich aber entmutigend an“, sagte sie. „Gibst du etwa auf?“

Gewiß, er hatte sich nach dem Ausbruch aus der Höhle und dem Kampf plötzlich unglaublich müde und ausgelaugt gefühlt. Aber das war nur ein Moment gewesen. Aber das war vorbei. Er hob den Kopf, sah sie an und grinste. „Ich gebe mich nur keinen falschen Hoffnungen hin. Auf See haben wir bestimmt mehr Aussichten, Sabreras auch wirklich zu stellen. Das Wasser ist unser Element.“ Er beschrieb eine Gebärde zum Urwald hin. „Nicht der Dschungel, in dem der Spanier garantiert rascher vorankommt als wir.“

„Dann beeilen wir uns doch wenigstens“, forderte Siri-Tong, und ihre dunklen Augen blitzten den Seewolf an.

Hasard ging zu seinen Männern. Sie hatten sich auf dem Platz zwischen den Hütten versammelt und blickten auf die toten und verwundeten spanischen Soldaten zu ihren Füßen. Die Chibcha-Indianer wollten die Männer, die sie so furchtbar geknechtet und gequält hatten; bespucken und mit den Füßen treten. Aber Carberry stellte sich mitten zwischen sie und breitete die Arme aus.

„Laßt das!“ rief er in seinem holprigen Spanisch. „Haltet euch zurück. Hölle und Teufel, es hat doch keinen Sinn, daß ihr eure Wut jetzt noch an ihnen auslaßt!“

Es war ein kurzer und heftiger Kampf gewesen, der an Dramatik wohl kaum zu übertreffen war. Praktisch ohne Waffen hatten sich die Seewölfe von ihren Ketten befreit und auf die Spanier gestürzt – und wenn Ferris Tuckers großartige „Höllenflasche“ nicht unter den heranstürmenden Wachtposten explodiert wäre, hätte die ganze Sache ziemlich übel ausgehen können.

Hasard und seine Männer hatten auch die Siri-Tong-Piraten befreien können. Unterdessen hatten sich auch die Chibchas, diese armen Teufel, von ihren Elendslagern im Freien aufgerafft und den weißen Mitgefangenen angeschlossen.

Das war ein Fehler der Spanier gewesen. Sie hatten die Indianer unterschätzt und sie nicht einmal mehr in Ketten gelegt, weil sie geglaubt hatten, sie seien durch die Fronarbeit zu Tode erschöpft.

Die Chibchas waren zu wandelnden Skeletten abgemagert, aber der Haß in ihnen war ein glimmender Funke, der unversehens zur Flamme aufschießen konnte. So hatten die Spanier sich plötzlich einer Übermacht gegenüber gesehen. Als die Sklaven dann auch noch Schußwaffen an sich gerissen hatten, war die Partie so gut wie entschieden gewesen.

Siri-Tong hatte sich zur selben Zeit aus dem zudringlichen Griff von Sabreras befreit, dessen Hütte fluchtartig verlassen und war zwischen die Fronten geraten. Die Öllampe, die sie in der Hütte umgerissen, und das Talglicht, das sie auf Sabreras geschleudert hatte, hatten das Feuer entfacht.

Der Seewolf hatte eigentlich das Munitionsdepot in die Luft sprengen wollen, inzwischen aber eingesehen, daß er die von den Spaniern gehorteten Waffen, das Pulver und das Blei noch gut gebrauchen konnte.

Dies war der kurze Abriß des Kampfes, der nur Minuten gedauert hatte. Inzwischen schwiegen die Beutewaffen. Ruhe war eingetreten. Carberry schaffte es tatsächlich, die Chibchas dazu zu bringen, daß sie die Feinde nicht weiter mißhandelten.

Er sah sich die am Boden liegenden Soldaten an und dann brüllte er plötzlich: „Schockschwerenot, dieser Sargento ist uns durch die Lappen gegangen! Dieser elende Galgenstrick und Lumpenhund!“

Hasard steuerte auf ihn zu. Die Männer wichen zurück und gaben eine Gasse frei, durch die er hindurch konnte.

„Der Sargento also auch“, sagte Hasard. „Da haben sich die beiden Richtigen gefunden.“

Carberry sah ihn entgeistert an. „Was denn, wie denn? Mann, Hasard, ich meine, Sir – ist etwa noch jemand ausgerissen?“

„Du merkst aber auch alles“, fuhr Ferris Tucker ziemlich bissig dazwischen. Ihm wie den anderen waren die Strapazen der letzten Stunden noch deutlich anzusehen. Und auch der Kampf hatte seine Spuren hinterlassen. Ferris hatte eine Beule auf der Stirn und eine blutige Schramme, die quer über die rechte Wange lief.

Shane, der bereits etwas ahnte, fügte noch hinzu: „Dreimal darfst du raten, wer, Ed.“

Matt Davies wollte auch etwas dazu sagen, aber der Profos schoß einen derart wilden Blick auf ihn ab, daß er es lieber sein ließ.

Carberry wandte sich wieder dem Seewolf zu. „Sabreras, nicht wahr? Dieses Rübenschwein. Kaufen wir uns den Hund. Auf was warten wir noch?“ Er fuhr zu den Kameraden herum. „Ihr Stinkstiefel und Kakerlaken, sucht den Dschungel ab!“

„In welcher Richtung denn?“ fragte Smoky.

„Zum Hohlweg!“ brüllte Carberry. „Das ist doch der einzige Ausgang aus diesem Dreckskessel!“

Hidduk, der Häuptling der Santa-Barbara-Indianer, nickte sofort dazu. Carberry sprach nämlich immer noch spanisch, und das verstand der rothäutige Mann.

Blacky holte tief Luft, dann entgegnete er: „Hör zu, Ed, es ist doch klar wie Suppe, daß wir Sabreras und den Sargento dort nicht mehr abfangen können, zumal wir jetzt erst bemerkt haben, daß sie abgehauen sind. Irre ich mich, Hasard?“

„Nein. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“

„Tja.“ Carberry kratzte sich verdrossen an seinem mächtigen Rammkinn. „Trotzdem. Ich melde mich freiwillig, schon mal vorzulaufen und den Hohlweg abzuriegeln. Möglicherweise versuchen die beiden Schweinehunde ja auch, uns dort wieder eine Falle zu stellen.“

„Gut, einverstanden“, erwiderte Hasard. „Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Al Conroy, ihr begleitet den Profos. Nehmt so viele Waffen und Munition mit, wie ihr tragen könnt, verstanden?“

„Aye, Sir!“ rief Carberry.

Hasard wandte sich an Hidduk, seinen auf den Galápagos-Inseln neu gewonnenen Verbündeten und Führer. „Wenn Sabreras und der Sargento den natürlichen Hafen der Smaragdschiffe erreichen – wohin wenden sie sich dann deiner Meinung nach?“

„Nach Panama.“

„Ganz bestimmt? Nicht nach Süden?“

Der Häuptling schüttelte bedächtig den Kopf. Mit der Hand wies er in nördliche Richtung. „Hidduk ist sicher. Sabreras sagte einmal, wenn Gefahr drohe, wenn ihn hier jemand angreife, dann Durchbruch nach Panama. Dort gibt es Hilfe, Verstärkung. Sabreras wird mit vielen Schiffen erscheinen und Krieg gegen uns führen.“

Hasard warf einen Blick auf seine Männer. „Allein aus diesem Grund dürfen wir den Kerl nie und nimmer ungeschoren abziehen lassen. Außerdem hat er bestimmt eine Ladung Smaragde an Bord – und die große Krone der Chibchas. Los, Männer, löschen wir das Feuer, damit es nicht doch noch auf das Depot übergreift. Dann nehmen wir Waffen, Munition und so viele Smaragde mit, wie wir tragen können, und kehren zur ‚Isabella‘ und dem schwarzen Segler zurück.“

Die Männer liefen auseinander und führten die Befehle des Seewolfs aus. Carberry, Dan, Jeff und Al waren längst im Urwald untergetaucht. Hasard schritt langsam auf die Minenstollen zu und betrachtete die Leiber der Widersacher, die wie hingesät auf dem Untergrund verstreut lagen. Er zählte mehr als ein Dutzend Tote, drei Schwerverletzte und sechs, sieben Leichtverwundete. Er vergewisserte sich selbst, daß sie ihnen nicht mehr gefährlich werden konnten, dann drehte er sich zu Siri-Tong um.

„Wir können die Verwundeten nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen“, sagte er. „Ich habe den Kutscher leider nicht dabei, aber ich lasse sie so gut wie irgend möglich verarzten.“

„Deine unverbesserliche Menschlichkeit“, murmelte sie.

„Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Nein. Natürlich hast du recht“, erwiderte sie. „Wir dürfen nicht die Scharfrichter spielen. Daß Soldaten letztlich nur den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchen, ist mir auch klar. Aber bedenke eins. Was wir nicht tun, führen die Chibcha-Indianer aus, sobald wir fort sind.“

„Wir werden darüber noch mit ihnen sprechen. Wie sieht es bei deiner Crew aus?“

„Keine ernsten Verletzungen. Nur Kratzer.“

„Bei meinen Männern zum Glück auch.“ Hasard streckte den Arm aus und hielt Ferris Tucker fest, der gerade an ihm vorbeilaufen wollte. „Kümmert euch um die verletzten Spanier“, ordnete er an. „Ich spreche inzwischen mit den Indianern.“

Er winkte Hidduk, Atasc und den anderen beiden Serranos zu, und sie begaben sich gemeinsam zu den Chibchas. Die hatten sich inzwischen vor einer der Hütten zusammengeschart und berieten offenbar miteinander.

Sie waren ein Grüppchen jammervoller Gestalten, Männer, Frauen, Kinder, die einem auf den ersten Blick nur Mitleid abverlangen konnten. Und doch wußte der Seewolf, daß er sie auf andere Art nehmen mußte. Sie wollten eher Achtung als Erbarmen und beriefen sich auf ihre Würde.

Zwei von ihnen, Halbwüchsige, hatte Hasard vor der Knute der Aufseher geschützt. Das hatten ihm die Chibchas nicht vergessen. Seine Tat war das auslösende Motiv für ihr Eingreifen während des Kampfes gewesen. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der Hoffnung und neuen Lebenswillen verriet.

Als Hasard verharrte, trat einer von ihnen dicht vor ihn hin. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine ledrige Gesichtshaut war voller Falten und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Schlohweißes Haar hing in Strähnen bis auf seine Schultern.

Er sagte etwas in seiner Sprache.

„Verstehst du das?“ wandte sich der Seewolf an Hidduk.

„Nur einige Worte. Er spricht von Dankbarkeit der Chibchas.“

Hasard hob beide Hände, als der alte, weißhaarige Indianer geendet hatte. „Laßt uns spanisch miteinander reden. Ich weiß, daß ihr die Sprache eurer Feinde wie die Pest haßt, aber es ist die einzige Möglichkeit, uns zu verständigen. Ich habe mich übrigens bei euch zu bedanken, denn ohne euch hätten wir leicht scheitern können. So aber haben wir uns gemeinsam die Freiheit erkämpft.“

Der Weißhaarige sah ihm in die Augen. Ihre Blicke schienen sich ineinander zu verfangen.

„Lobo del Mar“, sagte der Alte mit hartem Akzent. „Payán, der Häuptling des Chibcha-Volkes, will sich dir anschließen. Er ist dein gehorsamer Diener.“

„Schlag dir das aus dem Kopf“, erwiderte Hasard. „Ihr seid frei und nur euch selbst verantwortlich.“

„Die Götter haben dich geschickt, Lobo del Mar.“

„Nein, das glaubst du nur.“

„Du hast uns gegen die Viracochas, die weißen Männer mit den schwarzen Bärten, geschützt“, sagte Payán. „Das vergessen wir dir nie.“

„Ihr habt euch bereits revanchiert“, erklärte Hasard. „Reden wir nicht mehr davon. Ihr müßt euch jetzt von hier absetzen und euch so tief wie möglich in den Urwald zurückziehen. Die Spanier dürfen keine Spur mehr von euch finden.“

Payán wollte vor ihm niederknien, aber Hasard hinderte ihn daran, indem er ihn an den Armen festhielt.

Hidduk war neben ihnen und sagte: „Widersprich dem Seewolf nicht, Payán. Sein Wort ist Befehl.“

Der Chibcha nickte. Plötzlich weiteten sich seine Augen, und er schaute Hasard noch einmal so durchdringend wie vorher an. „Sabreras! Gestern hat er die Esmeraldas, die Tränen der Götter, mit Maultieren auf seine Schiffe bringen lassen – viele grüne Steine …“

„So viele, wie Fische im Meer sind“, sagte Hidduk.

„Gut, daß du mir das gesagt hast“, erwiderte Hasard. „Ich will verhindern, daß Sabreras sie in ein Privatversteck schafft – oder aber nach Panama. Die Steine gehören ihm nicht. Auch der spanischen Krone nicht. Sie sind Eigentum der Chibchas.“

Payán wedelte mit der Hand. Er war immer noch sehr erregt. „Nein! Die Chibchas wollen die Tränen der Götter nicht mehr. Sie haben ihnen in der letzten Zeit nur noch Unglück gebracht. Auch die Krone, die den Fluch der Götter von ihnen abwenden sollte – sie gehört Lobo del Mar. Ihm bringt sie Glück!“

„Das kann ich nicht annehmen“, antwortete Hasard.

„Das mußt du annehmen“, erklärte Hidduk lächelnd.

Und Siri-Tong meinte: „Ich glaube, wir können es ruhigen Gewissens tun. Auch wenn wir uns hier die Taschen mit Smaragden vollstopfen, bleiben immer noch genügend für die Indianer zurück. Mehr, als sie tragen können.“

Sie wies auf die funkelnde Pracht, die sich mitten auf dem Lagerplatz häufte. Die schimmernden Zweikaräter waren die Ausbeute eines einzigen Tages – im Tagebau und in den Stollen der Mine gewonnen. Das rotgelbe Licht der ersterbenden Flammen brach sich in dem transparenten Gestein und rief bezaubernde Reflexe hervor. Allein dieses Anblicks wegen hätten sich Menschen zu Gewalttaten hinreißen lassen. Denn der Glanz der Smaragde siegte über die Vernunft und löste ein Fieber aus, dem nur die Stärksten zu trotzen vermochten.

Wenig später erreichten Hasard und seine Männer den Hohlweg, der aus dem Kessel führte. Sie hatten sich schwer mit Waffen, Munition und Diamanten beladen und stiegen heftig atmend und fluchend den mit Geröll übersäten Pfad hinauf.

Carberry trat ihnen entgegen. Er war ein wuchtiger Schatten in der Nacht. Bei seinem Anblick griff Matt Davies unwillkürlich zur Pistole.

„Narr“, zischte der Profos. „Bist du blind, oder was ist los?“

„Die Nerven spielen mir einen Streich“, sagte Matt ärgerlich.

„Paß auf, daß ich dir keinen Streich spiele.“

„Ed“, sagte der Seewolf. „Hör auf. Wir sind alle müde und zerschunden, es hat keinen Sinn, daß wir uns auch noch anblaffen. Was ist, habt ihr etwas entdeckt?“

„Nichts. Aber ich habe Conroy als Posten im Hohlweg aufgestellt und O’Flynn und Bowie als Späher losgeschickt. Sie sollen sofort schießen, wenn sie die beiden Halunken entdecken.“

Carberrys Stimme klang tief und kehlig, ein Fremder hätte es ihm gegenüber mit der Angst zu tun kriegen können.

„Gut.“ Hasard drehte sich um und winkte den anderen zu. „Weiter, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Sie klommen den Hohlweg hoch, der ihnen am Nachmittag zum Verhängnis geworden war. Hier hatten sie der schneidige, karrierebewußte Sargento und die Soldaten gestellt – und Hasard hatte sich die bittersten Selbstvorwürfe gemacht, weil er in die Falle getappt war.

Al Conroy erwartete sie am oberen Drittel des Hohlweges. Er gab ihnen ein Zeichen und sagte: „Alles in Ordnung, die Luft ist rein.“

„Sicher“, brummte Juan, Siri-Tongs Bootsmann. „Sabreras und der Narr von einem Sargento werden doch nicht so blöd sein, uns zu zweit einen Hinterhalt zu legen. Das wäre glatter Selbstmord.“

„Unterschätze Sabreras nicht“, sagte Siri-Tong. „Er ist zu allem fähig. Auch dazu.“

Sie schritten weiter voran, und Al Conroy schloß sich ihnen an.

Kurz darauf trafen sie im Busch auf Dan O’Flynn und Jeff Bowie. Sie waren beide ziemlich außer Atem.

„Nichts“, stieß Dan aus. „Wir sind gelaufen, aber die beiden Schufte sind wie vom Erdboden verschluckt. In dieser Fieberhölle ist das keine Schwierigkeit – ich meine, ungesehen zu verschwinden. Aber ich bin überzeugt, sie sind gerannt, als hätten sie sämtliche Teufel und Dämonen der Finsternis im Nacken. Deshalb haben sie einen Vorsprung, den wir nicht mehr einholen können.“

Hasard fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie waren feucht und klebrig, er hatte wieder zu schwitzen begonnen. Auch die Nacht brachte keine nennenswerte Abkühlung. Ein feucht-stickiger Schleier lastete auf dem Höhenzug der Cordillera Occidental und schien die Menschen, die sich bis hierher verirrten, umklammern zu wollen.

„Weiter“, sagte der Seewolf. „Wenn wir zügig marschieren, erreichen wir unsere Schiffe kurz nach Mitternacht. Hidduk führt uns wieder.“ Er schaute zu Bill the Deadhead. „Paßt auf, daß ihr nicht schlappmacht, ausrutscht, einen Fehltritt tut. Ihr wißt, wie leicht man hier krepieren kann.“

„Und ob“, erwiderte Bill. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Oh, er würde nie vergessen, wie der Seewolf ihn unter Einsatz seines Lebens vor dem Sturz in den Abgrund gerettet hatte.

Hasard, Hidduk und Siri-Tong übernahmen die Spitze der Kolonne. Schweigend bahnte sich der Trupp einen Weg durch das dampfende Dickicht – dreißig Männer und eine betörend schöne, hartnäckige Frau.

2.

Sabreras stolperte den Hang hinunter, glitt aus, wälzte sich im Morast und blieb in einem Gesträuch hängen. Seine Hände waren um die wenigen Habseligkeiten verkrampft, die er bei der Flucht aus dem Lager der Mine hatte mitnehmen können: einen Jutesack mit der Smaragdkrone und anderem Schmuck darin, eine Ledermappe mit wichtigen Schriftstücken und eine reich verzierte Radschloßpistole.

Sein Gesicht war verzerrt. Er fluchte, und beinahe verlor er die Ledermappe, aber er mußte sie festhalten, koste es, was es wolle, denn in den sorgfältig beschrifteten Dokumenten war festgehalten, daß die Mine Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II. von Spanien, gehörte – und was sie bisher an Produktion abgeworfen hatte. Er mußte sie unbedingt dem Gouverneur von Panama überbringen. Niemals durften sie dem Feind in die Hände fallen.

Denn nur der König, kein Spion, hatte das Recht zu wissen, wie reich er war.

Und nur einer war im Bilde, wie das Verhältnis zwischen den offiziellen Zahlen und der wahren Produktion an Smaragden war: Sabreras. Er hatte es immer überzeugend darzulegen gewußt. Das war seine Lebensversicherung. Erfuhren seine Befehlshaber, daß er in die eigene Tasche gescheffelt hatte, dann war ihm das Todesurteil durch ein Kriegsgericht sicher.

Im Augenblick fühlte er sich dem Tod näher als dem Leben. Er war über und über beschmutzt und stank. Die Flucht durch den Dschungel hatte ihm alles abverlangt. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Oben in den Bergen war er zweimal fast abgestürzt. Einmal hatte ihn beinahe eine giftige Schlange gebissen.

Der Sargento hatte ihn vor diesem Ende bewahrt. Er hatte der Schlange mit einem Säbelhieb den Kopf vom Rumpf getrennt.

Sabreras hatte diesen Mann unterwegs eigentlich aus dem Weg räumen wollen. Er gehörte nämlich nicht zu den wenigen „Eingeweihten“, die von Sabreras’ Schatzversteck wußten und an der Ausbeute beteiligt waren.

Aber ohne den Sargento wäre er niemals bis hierher, ins Vorland der Cordilleras, gelangt. Er hätte sich bei ihm bedanken müssen.

Aber das lag ihm nicht. Er fluchte nur, spie Übelkeit und Widerwillen aus und richtete sich halbwegs an dem Gedanken auf, wie er dem Seewolf und seinen Gefährten noch zusetzen würde.

Er kroch aus dem Busch und hastete weiter.

„Comandante“, keuchte der Sargento hinter ihm. „Ich – ich glaube, die Richtung stimmt nicht. Wir müßten uns weiter nördlich halten.“

„Narr. Wie willst du das wissen?“

„Die Sterne …“

„Glaubst du Landratte, dich besser daran orientieren zu können als ein erfahrener Seemann?“ zischte Sabreras. „Schweig jetzt. Ich kann dein Gewäsch nicht mehr hören. Deinetwegen bin ich hingefallen.“

Der Sargento wollte aufbegehren, beschränkte sich aber lieber doch auf ein gemurmeltes „Si, Senor Comandante.“

Auf der Kuppe eines der letzten Hügel zwischen Bergland und Küste verhielt Sabreras unversehens seinen Schritt. Sein Begleiter prallte beinahe gegen ihn. Verstört blieb er dicht hinter ihm stehen. Sabreras würdigte ihn keines Blickes, er blickte nur starr voraus, nach Westen.

„Da ist eine Bucht“, raunte er. „Und es liegen Schiffe darin.“

„Heilige Mutter Gottes, wir haben es geschafft“, sagte der Sargento.

„Nein. Das ist nicht unsere Bucht.“

„Nicht – unsere …“

„Du elender Nichtsnutz“, fuhr der Kommandant ihn an. „Wenn du mich nicht irritiert hättest, wären wir nicht in die verkehrte Richtung gelaufen. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind. Das da ist die Bucht, die zehn Meilen südlich unseres natürlichen Hafens liegt. Und die Schiffe gehören dem Seewolf. Hidduk hat ihn dorthin geführt, er wußte von der Bucht, dieser rote Bastard.“

„Senor“, sagte der Sargento. „Wir haben Waffen. Wir können die Kerle auf den Schiffen überfallen. Viele können es nicht sein. Der Großteil der Besatzungen befindet sich ja noch in der Mine, bei El Lobo del Mar.“

Sabreras musterte ihn von der Seite, als wäre er vom Aussatz befallen. „Por Dios. Wer hat dich bloß befördert? Es wäre unser Ende, wenn wir uns auch nur in die Nähe der Bucht begeben würden. Sie sind auf der Hut, diese Hunde, und sie würden uns aufgrund der Beschreibungen von Hidduk auch sicherlich identifizieren – zumindest mich.“

„Was tun wir dann?“

„Wir wenden uns nach Norden, gehen an Bord der ‚Esperanza‘ und laufen aus, um die Bastarde zu erledigen. Verdammt, die Boten, die ich von der Mine aus zum Verband geschickt habe, müssen längst dort eingetroffen sein. Warum suchen meine Männer die Schiffe des Seewolfs nicht?“

„Sicher tun sie es“, erwiderte der Sargento. „Aber die Bucht liegt versteckt. Wer nichts von ihrer Existenz weiß, segelt unweigerlich daran vorbei.“

Sabreras fluchte wieder leise vor sich hin, aber insgeheim gab er dem Sargento recht. Er, Sabreras, hatte seine Untergebenen nicht über die versteckte Bucht unterrichtet. Absichtlich nicht. Er hatte sich gesagt, eines Tages könne sie ihm irgendwie von Nutzen sein.

Daß aber genau das Gegenteil der Fall war, brachte ihn noch mehr zur Raserei.

„Gehen wir“, sagte er. „Ich will zu meinen Schiffen – und wenn ich das letzte Stück auf allen vieren kriechend zurücklegen muß.“

Aber er verfügte doch noch über größere Kraftreserven, als er selbst angenommen hatte. Aufrecht gehend, wenn auch leicht wankend, erreichte er nach Mitternacht den Hafen der Smaragdschiffe. Schon aus einiger Entfernung sah er ihr skeletthaftes Mastwerk in der Dunkelheit aufragen. In der geräumigen Bucht ankerten auch die Kriegssegler, die die Küste sicherten und den Frachtgaleonen auf dem Weg nach Panama und zurück Geleitschutz gaben.

„Sargento“, sagte Sabreras.

„Hier bin ich, Comandante.

„Lauf voraus und sorge dafür, daß die Posten an Land ein Boot für mich bereithalten.“

„Si, Senor.“

Der Sargento stolperte voran, seine Gestalt wurde von der Dunkelheit verschluckt. Insgeheim malte Sabreras sich schon aus, wie er von einem der Wachtposten erschossen wurde. Durch die Boten, die Sabreras geschickt hatte, waren sie ja von der Anwesenheit des Seewolfs unterrichtet worden. Und sie waren nervös genug, um einen auf sie zuhetzenden. Mann durch eine Kugel zu stoppen, bevor sie ihn zu identifizieren versuchten.

Es kam dann aber doch anders. Sabreras hörte den Sargento rufen. Irgend jemand antwortete ihm, und der Kommandant schloß aus den Wortfetzen, daß der Sargento erkannt worden war.

Fahr zur Hölle, dachte er.

Selbst konnte er den pflichtbewußten Mann nun nicht mehr töten. Es war zu spät dazu. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder stellte der Sargento in der nahen Zukunft keine kompromittierenden Fragen, dann war alles in Ordnung. Oder er erinnerte sich der Bemerkungen, die der Seewolf, die Rote Korsarin und einige ihrer Männer in der Mine hatten fallenlassen. Bohrte er weiter, um die Wahrheit zu erfahren, würde Sabreras ihn zu bestechen versuchen.

Er schritt auf das Ufer der Bucht zu. Der Sargento hatte alles Notwendige veranlaßt. Ein Boot lag im Flachwasser bereit, Soldaten und Seeleute bildeten zwei Reihen und salutierten zur Begrüßung.

Sabreras verharrte und schaute zu den Schiffen.

Da lag die „Esperanza“, seine Galeone, ein ausgesprochen schönes, aufwendig gebautes und reich verziertes Schiff. In den Frachträumen lagerten die Truhen, die er am Vortag hatte hinschaffen lassen. Sie waren bis zum Rand mit Smaragden und Smaragdschmuck gefüllt.

Weiter ankerten da eine unbeladene Transportgaleone, zwei Kriegskaravellen – und was war das?

Ja, ganz am nördlichen Ufer der Bucht schwojte ein Etwas an der Ankerkette, das man als Schiff kaum noch bezeichnen konnte. Die drei Masten waren zu Stummeln reduziert, das Schanzkleid und die Aufbauten arg ramponiert – ein Bild des Jammers.

„Was ist das? Was hat das zu bedeuten?“ stieß Sabreras hervor.

„Senor“, erwiderte einer der Seeleute. „Ich bin einer der Überlebenden des Gefechts, das wir östlich der Isla de Malpelo mit zwei Schiffen gehabt haben. Ich gehöre zur Besatzung der Galeone ‚Santa Margarita‘, die Sie dort liegen sehen.“

„Das ist die ‚Santa Margarita‘?“ sagte Sabreras entsetzt.

„Das war sie“, erwiderte der Seemann erbittert. „Es geschah in der vergangenen Nacht. Wir patrouillierten vor der Küste und trafen mit diesen verdammten beiden fremden Schiffen zusammen. Dann …“

„Genug“, schnitt der Kommandant ihm das Wort ab. „Den Rest höre ich mir auf meinem Schiff an. Signalisiert sofort allen Schiffsführern. Ich halte eine Lagebesprechung auf der ‚Esperanza‘ ab.“

Das Boot brachte ihn zu der Galeone hinüber. Während die Männer auf den Duchten schweigend pullten, hockte Sabreras tief in seine Gedanken verstrickt da. Einiges konnte er sich bereits zusammenreimen.

Ein Seegefecht. Zwei fremde Schiffe, die einen gut armierten spanischen Verband aufgerieben hatten. Das konnten nur der Seewolf und Siri-Tong gewesen sein.

Das werdet ihr mir büßen, dachte Sabreras.

Er ging an Bord seines Flaggschiffes. Wenig später setzte auch der Sargento mit einem anderen Boot über, aber zu diesem Zeitpunkt befand sich Sabreras bereits in seiner Kammer im Achterkastell und hieb mit der Faust aufs Pult. Er hatte sich gesäubert, die Kleidung gewechselt und fühlte sich bereits wieder bedeutend wohler in seiner Haut, wenn der Haß ihn auch aufzuzehren drohte.

„De Vargas und Mangusto“, sagte er mit bebender Stimme. „Ich verlange augenblicklich eine Erklärung für das, was hier vorgeht.“

Aurelio de Vargas war der Kommandant der „Santa Margarita“, diese wiederum fungierte als Flaggschiff des Geleitschutzes. Er sprach ruhig, war ein hochgewachsener, besonnener Mann um die Mitte der Vierzig, aber die Spuren des Erlebten zeichneten als Kerben und Schatten sein Gesicht.

Er schilderte die Schlacht bei der Isla de Malpelo. Er konnte sogar die Personenbeschreibungen der feindlichen Schiffskommandanten geben.

„Also doch! Der Seewolf und die Rote Korsarin“, sagte Sabreras, als der Mann geendet hatte. „Das habe ich mir gedacht. Wo sind die Überlebenden der Karavelle, die von diesem schwarzen Viermaster versenkt worden ist, de Vargas?“

„Sie haben sich mit Beibooten absetzen können und sind gestern abend zu uns gestoßen.“

„Und die Galeone, das dritte Schiff des geschlagenen Verbandes?“

„Ist nicht wieder zurückgekehrt.“

„Ich entnehme Ihrem Bericht, daß der Kapitän sich feige aus dem Kampf zurückgezogen hat“, sagte Sabreras. Seine Augen waren schmal und blickten unsagbar kalt. „Das ist Fahnenflucht. Ich verurteile diesen Mann und seine Besatzung mit sofortiger Wirkung zum Tode und werde meinen Schuldspruch vom Gouverneur in Panama bestätigen lassen. Wer immer diese elenden Lumpen entdeckt, kann sie als Vogelfreie töten.“ Er wandte sich seinem Ersten Offizier zu, der bisher schweigend dagesessen hatte. „Mangusto – ich vermisse drei weitere Schiffe unseres Gesamtverbandes hier in der Bucht.“

Lopez Mangusto erhob sich. Er war mittelgroß, stämmig gebaut, muskulös und fast von athletischer Statur. Ein dichter schwarzer Vollbart rahmte sein Gesicht. „Senor Comandante, es handelt sich um die Galeone und die beiden Karavellen, die ich ausgesandt habe, als die Boten aus der Mine eingetroffen sind und mir Meldung erstattet haben. Sie suchen die Schiffe des Seewolfs. Kurz nach ihrem Auslaufen kehrte die Galeone zurück, die ich auf Patrouillenfahrt nach Süden geschickt hatte. Sie brachte die ‚Santa Margarita‘ im Schlepp mit. Die Schiffe des Seewolfs haben wir bisher noch nicht entdeckt. Comandante – wollen Sie uns nicht endlich sagen, was in der Mine vorgefallen ist?“

Sabreras setzte es ihnen auseinander. Ihre Augen weiteten sich, und besonders de Vargas und Mangusto kriegten immer längere Gesichter. Sie gehörten zu den Eingeweihten, die an dem großen Schatz auf San Cristóbal beteiligt waren. Als sie vernahmen, daß der Seewolf mit den Serranos paktiert hatte, wußten sie natürlich Bescheid.

„Der Seewolf wird so viele Smaragde wie möglich auf seine Schiffe schaffen“, sagte Sabreras zum Schluß. „Aber wir werden sie ihm wieder abjagen und ihn und seine Bande von Galgenstricken töten. Wir haben genügend Schiffe, um es schaffen zu können – und ich weiß, wo die Galeone ‚Isabella‘ und dieser verfluchte schwarze Viermaster ankern.“

Sie starrten ihn entgeistert an. Sabreras kostete ihre Verblüffung voll aus, er war wieder völlig Herr der Lage und sonnte sich in seiner Führerposition.

Eigentlich hatte er im ersten Schreck wirklich nach Panama flüchten wollen. Aber er hatte eingesehen, daß es töricht war. Es war besser, dem Seewolf eine Falle zu stellen und sich die gesamte Beute zurückzuholen. Dabei würde es ihm schon gelingen, den Anteil von den Galapagos wieder heimlich beiseite zu räumen und zu verstecken.

Und wenn er den Seewolf, Siri-Tong und deren Crews zu den Fischenschickte, gab es niemanden mehr, der ihn eventuell beim Gouverneur von Panama anschwärzen konnte – außer dem Sargento vielleicht.

3.

Hasard durfte aufatmen. Sie hatten den Weg durch den Dschungel glimpflich hinter sich gebracht – trotz der Dunkelheit und aller anderen Widrigkeiten. Erschöpft trotteten sie aus dem Gebüsch auf den Sandstrand der Bucht. Es gab ein beinahe ergreifendes Wiedersehen mit den zur Wache eingeteilten Männern – und dann, wenige Minuten darauf, an Bord der Schiffe.

Hasard blickte sich erstaunt auf dem Oberdeck der „Isabella VIII.“ um.

„He, Ben“, sagte er. „Was wird denn hier gespielt? Ihr seid ja alle auf den Beinen – und die alte Lady ist gefechtsklar.“

Ben lächelte grimmig. „Der schwarze Segler auch. Wir halten Augen und Ohren offen und sind auf der Hut. Bill, unser Schiffsjunge, hat kurz nach Einbruch der Dunkelheit Schiffe gesichtet. Zuerst die ‚Santa Margarita‘, die wie eine lahme Ente bei einer anderen Galeone im Schlepp hing, dann zwei Karavellen und eine Galeone der Spanier, die zuerst direkt auf die Bucht zuzulaufen schienen.“

„Sabreras’ Männer“, entgegnete Hasard. „Sie suchen uns. Hört zu.“

In knappen Zügen setzte er ihnen auseinander, was sich in der Mine zugetragen hatte. Ben Brighton blickte dabei zu dem Papagei Sir John, der sich auf Carberrys breiter Schulter niedergelassen hatte und seinen Herrn zärtlich ins Ohr zwackte.

„Ich hab’s ja geahnt“, murmelte. Ben. „Thorfin Njal, dieser behelmte Nordpolbär, wollte es nicht wahrhaben, aber fast wäre das Ganze in die Hose gegangen, und zwar gründlich. Wir haben hier keine Schüsse und auch keine Explosion vernommen, als ihr euch befreit habt. Sonst hätte ich doch noch einen Trupp Männer losgeschickt.“

„Der Wind hat die Laute davongetragen“, erwiderte der Seewolf. „Außerdem liegt die Mine zu weit landeinwärts. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich habe meinen Plan bereits mit Siri-Tong abgesprochen. Wir ziehen die Landwachen ab. Alle Mann an Bord, und dann nichts wie ankerauf und auf die offene See hinaus! Wir folgen Sabreras!“

Die Männer lösten sich aus ihrer Bewegungslosigkeit. Während der Seewolf sich direkt aufs Achterdeck begab, stürzte die Crew zum Spill von Bug- und Heckanker, schob die Handspaken hinein und begann zu drehen. Die Trossen knarrten, die mächtigen Stockanker hoben sich vom Grund der Bucht und schwebten nach oben.

Drüben auf dem schwarzen Schiff gingen die Vorbereitungen zum Auslaufen mit der gleichen Schnelligkeit und Behendigkeit vonstatten. Zwischen Siri-Tong und dem Seewolf bedurfte es keiner weiteren Absprache mehr. Der Aufbruch erfolgte mit großer Routine und in fast gespenstischer Stille. Sogar Carberry verzichtete auf sein übliches Gebrüll, denn der Verband, der nach ihnen fahndete, konnte sich in der Nähe befinden.

Hasard ließ die Zurrings der Piragua auf dem Achterdeck lösen. Er gab seinen Männern einen Wink, und kurz darauf hob sich das einmastige Gefährt der Indianer ein Stück, schwebte über das Backbordschanzkleid weg und pendelte in seinen Galgen über der schwarzen Wasserfläche.

„Was tust du?“ fragte Hidduk überrascht.

„Ich lasse deine Piragua abfieren“, erklärte Hasard ihm ruhig. „Unsere Wege trennen sich hier. Du hast dich großartig verhalten und dein Wort nicht gebrochen, Hidduk. Wir sind Freunde geworden. Trotzdem will ich alles Weitere selbst erledigen.“

Hidduk zog überrascht die Augenbrauen hoch. Seine Stirn war gefurcht, seine Lippen aufgeworfen, seine Miene spiegelte einen ärgerlichen Ausdruck.

„Du brauchst mich also nicht mehr. Du willst mich und meine drei Krieger – ausbooten.“

Hasard lächelte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Aber nein, so darfst du das nicht auffassen. Ihr müßt jetzt zu eurem Stamm auf San Cristóbal zurückkehren, denn dort werdet ihr dringender benötigt als hier. Was uns betrifft, so hast du bereits mehr als nur deine Schuldigkeit getan, Hidduk.“

„Ich will Sabreras.“

„Überlaß ihn mir.“

„Das ist nicht gerecht, Lobo del Mar.“

Hasard widersprach: „Ich denke dabei an deine Leute. Wenn Sabreras wider Erwarten doch der Durchbruch nach Panama gelingt, könnte er aus Rache einen Verband Kriegsschiffe nach San Cristóbal schicken. Ihr müßt auf jeden Fall von dort fort – und wer anders als du soll wohl den Aufbruch veranlassen?“

Hidduk überlegte. „Gut“, sagte er schließlich. „Lobo del Mar ist wie immer ehrlich. Ich lese es in seinen Augen. Aber er soll nicht denken, daß Hidduk sich aus Feigheit zurückzieht.“

„Niemals würde ich das tun“, erwiderte Hasard ernst.

Ben Brighton hatte mitgehört und trat näher auf sie zu.

„Hasard, mir ist gerade eingefallen, daß ja auch die Chibcha-Indianer gefährdet sind“, sagte er. „Sabreras könnte leicht eine Strafexpedition unternehmen – noch von der Ankerbucht seiner Schiffe aus. Was können wir tun, um die Chibchas vor seiner Vergeltung zu schützen?“

„Ich habe sie bereits in den Urwald geschickt“, sagte Hasard. „Sie sind dort zu Hause, werden sich durchschlagen und irgendwo ein Dorf gründen – tief im Dschungel, wo die Dons sie nicht mehr finden. Auf diese Weise habe ich übrigens auch verhindert, daß sie die verwundeten spanischen Soldaten töteten, die in der Mine zurückgeblieben sind.“

„Na, dann brauchen wir uns darum ja nicht mehr zu kümmern“, sagte Ben erleichtert.

„Ben, laß Hidduks Anteil an den Smaragden, die wir aus der Mine mitgebracht haben, in die Piragua verfrachten.“

„Aye, Sir.“

Ben suchte das Quarterdeck auf, um den Befehl weiterzuleiten, aber Hidduk stellte sich mit erhobenen Händen vor den Seewolf hin. „Nein! Niemals! Hidduk lehnt ab! Das können die Serranos nicht annehmen!“

„Du hast dir die Tränen der Götter verdient“, sagte Hasard. „Beleidige mich nicht, indem du ablehnst. Eines Tages wird dein Stamm die Steine gut gebrauchen können. Ich denke, ihr werdet einige Jahre in Ruhe leben können – ohne fremde Schiffe entern zu müssen.“

Hidduk wollte wieder protestieren, aber dann stieß er ein rauhes Lachen aus. „Lobo del Mar hat wieder gesiegt. Hidduk wird dein ewiger Freund bleiben. Er schwört es.“

„Danke. Der Seewolf auch“, erwiderte Hasard.

„Wir werden in unsere Heimat zurücksegeln.“

„Nach Neu-Albion?“

„Ja. In das Land, das die Spanier Neu-Spanien oder California nennen.“ „Eines Tages besuchen wir euch dort.“

„Vor der Siedlung Santa Barbara liegen drei große Inseln im Meer“, sagte Hidduk, und es klang feierlich. „Dort warten wir auf euch. Der Seewolf muß sein Wort halten.“

„Das tut er auch“, versicherte Hasard ihm. „Nur den genauen Zeitpunkt kann ich dir nicht nennen. Vorher wollen wir nach China, in das Land der Drachenschiffe und Mandarine, der Zopfmänner und der tausend Rätsel. Aber wir sehen uns wieder – irgendwann.“

Etwas später waren die vier Indianer in die Piragua abgeentert. Sie setzten noch zum schwarzen Schiff über, Hidduk wollte sich auch von Siri-Tong und ihrer Mannschaft verabschieden. Für kurze Zeit begab er sich über die Jakobsleiter auf die Kuhl hinauf.

Dort sagte er zu der Roten Korsarin: „Siri-Tong war mißtrauisch, aber jetzt hat sie keine Zweifel mehr.“

„Das hast du gemerkt?“ erwiderte sie erstaunt.

„Der rote Mann liest in den Gesichtern der Menschen.“

Sie sah ihn offen an. „Gut, du hast recht. Ich dachte, du wärst weiter nichts als ein durchtriebener indianischer Pirat, der uns bei der erstbesten Gelegenheit die Gurgeln durchschneiden würde.“

Hidduk lachte wieder auf. „Siri-Tong ist eine ehrliche Frau.“

„Gut, daß wir uns jetzt verstehen …“

„Wenn Lobo del Mar, der Roten Korsarin oder ihren Männern etwas zustößt, kehrt Hidduk in dieses Land zurück und rächt sie“, sagte der Häuptling noch. Damit wandte er sich ab, kletterte über das Schanzkleid und kehrte in seine Piragua zurück.

Atasc und die beiden anderen Krieger verneigten sich vor Siri-Tong und ihrer Crew, dann folgten sie ihm.

Die Piragua löste sich von „Eiliger Drache über den Wassern“ und glitt in die Nacht hinaus. Der Wind hatte gedreht und blies jetzt aus Süden. Er griff in das einzige Segel des kleinen Schiffes, blähte es und verlieh der Piragua mehr Fahrt.

„Erstaunlich, das so was seetüchtig ist“, sagte Ferris Tucker. „Ich hab immer noch nicht begriffen, wie die Indianer damit einen Sturm abreiten wollen. Es will mir einfach nicht in den Kopf.“

„Sie sind Meister der Seefahrt und des Schiffbaus“, meinte Hasard. Er stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck und blickte den Serranos nach. „Hidduk hat mir erzählt, daß ihre Frauen als erstes ein kaltes Bad nehmen, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht haben – mit dem Neugeborenen. Dies ist ihr erster Kontakt mit der See oder den Flüssen, und sie scheinen nicht nur mit dem Element verwachsen, sondern ihm sogar entsprungen zu sein. Wir werden lernen, diese Menschen immer mehr zu respektieren.“

Die Piragua hatte die Ausfahrt der versteckten Bucht passiert. Ihre Konturen verschmolzen mit den Sträuchern, die über die Ufer hinauswucherten und sich auf dem Wasser zu treffen schienen. Die Piragua steuerte in die Nacht hinaus, nach Westen. Hasard sah als letztes die hoch aufgerichtete Gestalt Hidduks am Heck des seltsamen Gefährts stehen.

Dann ging auch die „Isabella“ an den Wind und steuerte auf die Passage zu.

Hasard enterte zu Dan O’Flynn in den Großmars auf. Dan hatte gleich nach dem Eintreffen an Bord wieder seinen gewohnten Posten als Ausguck eingenommen. Er war schmutzig und abgekämpft, aber das beeinträchtigte seine Sehfähigkeit nicht.

„Keine Spur von Feindschiffen“, sagte er. „Vielleicht haben sie es aufgegeben, nach uns zu suchen.“

„Glaubst du das im Ernst, Dan?“

„Nein, ich sag’s nur so daher …“

„Ich rechne ziemlich fest damit, auf diesen Dreierverband zu treffen, der nach Bens Aussage beinahe in die Bucht geraten wäre.“

„Und weiter?“

„Wir wagen den Durchbruch.“

„Und schießen diese Dons zusammen, wolltest du sagen.“

Hasard maß ihn mit einem tadelnden Blick. „Du nimmst den Mund mal wieder zu voll, Dan.“

„Wir sind alle ziemlich fertig, aber wir haben auch immer noch eine Stinkwut auf Sabreras und seine Leute im Bauch, vergiß das nicht“, sagte Dan. Diesmal war er stockernst.

„Auf jeden Fall segeln wir stur nach Norden und pirschen uns nach Möglichkeit bis an den natürlichen Hafen der Smaragd-Flotte“, sagte der Seewolf. „Dort sehen wir dann weiter.“

Die „Isabella“ hatte sich während ihrer Unterredung platt vor den Südwind gelegt. Das schwarze Schiff folgte ihr im Abstand von etwa einer Kabellänge in schräg versetzter Kiellinie.

Hasard überschlug in Gedanken noch einmal, wie wohl Sabreras’ Überlegungen sein mochten. Nein, nach Süden wandte er sich bestimmt nicht. Auch wenn er ahnte, wo die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ zu finden waren, entgegenwerfen würde er sich ihnen nicht.

Nach Galápagos segelte er auch nicht, denn dort gab es für ihn nichts mehr zu holen. Die Smaragde, die er einst auf San Cristóbal versteckt hatte, befanden sich jetzt zum Großteil in den Frachträumen der „Isabella“ und des schwarzen Schiffes. Den Rest hatte Hidduk eingesteckt.

Ja – und hier stellte sich wirklich die Frage, ob Sabreras nach Panama floh. Lag es nicht viel näher, daß er die Reste seiner kleinen Flotte zusammenraffte und seinen Feinden einen Hinterhalt stellte?

Es lag doch auf der Hand.

Hasard mußte ihm eins zugestehen: er war kein Feigling. Er würde mit allen Mitteln versuchen, den verlorenen Schatz wieder an sich zu reißen.

Dan O’Flynn richtete sich plötzlich kerzengerade auf.

„Hasard“, raunte er. „Da ist was. Backbord voraus. Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn das nicht ein Schiff ist.“

Hasard blickte voraus und entdeckte ein paar verschwommene Konturen. In schätzungsweise einer Meile Entfernung schien ein Schemen durch die Nacht zu schlüpfen. Hasard sah in die Tiefe und verfolgte die Bewegung der Männer auf Deck.

Auch die Crew war aus dieser Höhe kaum zu erkennen. Es war zwar eine recht klare Nacht, aber Hasard hatte untersagt, die große Hecklaterne der „Isabella“ oder irgendein anderes Licht anzuzünden. Ebenso verhielt sich Siri-Tong. Die Männer erledigten alle Handgriffe so leise, daß das Knarren der Blöcke und Rahen und das Rauschen des Wassers an den Bordwänden überlaut klang.

Hasard blickte wieder voraus. Die Konturen im Dunkel schälten sich jetzt etwas stärker heraus und formten die Umrisse eines großen dreimastigen Seglers. Wer immer er war – zu erkennen geben wollte er sich ebenfalls nicht. Auch er fuhr ohne Licht und nutzte die Tarnung der Nacht.

„Ich freß einen Besen, wenn das kein Don ist“, sagte Dan.

„Mann“, erwiderte Hasard. „Dazu gehört aber nicht viel Scharfsinn. Wir wissen doch, daß außer uns nur Spanier auf dieser Seite der Neuen Welt herumnavigieren.“

„Und Freibeuter aller Nationen …“

„Wollen wir wetten, daß wir eine von Sabreras’ Galeonen vor der Nase haben?“

Der junge O’Flynn sann eine Weile nach, dann grinste er dünn und sagte: „Mit dir wette ich nicht. Ich ziehe ja doch bloß den kürzeren dabei.“

Hasard schwang sich wortlos über die Segeltuchverkleidung des Großmarses. Seine Beine baumelten, seine Füße suchten in der Luft und senkten sich auf die Webeleinen der Steuerbordwanten. Er rutschte tiefer und hangelte im nächsten Moment katzengewandt auf die Kuhl hinunter.

Unten angelangt, unterrichtete er Carberry und fügte hinzu: „Ed, die Dons scheinen ebenfalls nach Norden zu steuern, aber wenn sie auch nur die kleinste Kurskorrektur vornehmen und auf uns zuhalten, eröffnen wir das Feuer. Ich will kein Risiko eingehen. Wir setzen ihnen eine Warnsalve neben die Bordwand, und wenn ihnen das nicht genügt, ziehen wir volles Register.“

„Aye, aye“, sagte der Profos. „Das wäre genau das, wonach mir im Augenblick zumute ist.“

„Es wäre dir nicht lieber, wenn wir uns klammheimlich verhalten und zwei Drittel der Crew endlich ihre wohlverdiente Nachtruhe erhielten?“ fragte Hasard zweifelnd.

„Nein, Sir.“

„Paß auf, Ed – es könnte sein, daß ich dich gleich beim Wort nehme.“

Der Seewolf hastete weiter, klomm zum Ruderhaus hinauf, blickte hinein und sagte seinem Rudergänger: „Pete, den Kurs halten.“

„Aye, Sir. Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ich auch nur einen Strich davon abweiche.“

Etwas verwundert eilte Hasard zum Achterdeck. Diese Beteuerungen seiner Männer – die wilde Entschlossenheit, die schon Dan gezeigt hatte, schien ja allenthalben um sich gegriffen zu haben. War das ansteckend?

Rachsucht war nicht der richtige Ausdruck für das, was sie empfanden. Vielmehr wollten sie Sabreras einen nachhaltigen Denkzettel verpassen, ein für allemal. Er sollte begreifen, daß man Seewölfe nicht in Ketten legte und zu Sklaven herabwürdigte, daß man sie nicht zu Tode zu quälen versuchte, ohne teuer dafür zu bezahlen.

Zwangsarbeit – nichts haßten sie mehr als das! Auf der Teufelsinsel hatten sie bereits unter dieser grausamen Geißel gelitten und sich geschworen, das niemals wieder über sich ergehen zu lassen. Und dann hatte Sabreras sie zu dem gleichen Los verdammen wollen!

„Hasard“, sagte Ben Brighton. Er stand ziemlich weit achtern am Backbordschanzkleid und spähte mit bloßem Auge in die Nacht. Mit dem Spektiv war bei dieser Dunkelheit ohnehin nichts auszurichten. „Es wird ernst, schätze ich. Sieh doch.“

„Bereitet dir die eine Galeone Kopfzerbrechen?“ Hasard trat neben ihn.

„Da ist mehr“, sagte Ben.

Hasard folgte seinem Blick und gewahrte nun ebenfalls, daß sich zu der Dreimastgaleone ein zweiter Schemen gesellt hatte. Eine Karavelle. Er spitzte die Lippen und stieß einen verhaltenen Pfiff aus. „Sieh mal einer an. Ben, heraus mit der Sprache. Kommen dir die Schiffe etwa bekannt vor?“

„Ja, sie haben verteufelte Ähnlichkeit mit denen, die uns vor Stunden beinahe direkt in die Bucht gesegelt wären“, sagte Ben.

4.

Die spanische Karavelle staffelte immer weiter auf die Galeone zu, und beide bildeten schließlich eine wehrhafte Einheit, die Hasard auf keinen Fall unterschätzen durfte. Er kniff die Augen zusammen und zählte ihre Stückpforten.

Zehn auf der Karavelle, das bedeutete, sie hatte zwanzig Geschütze an Bord. Die Steuerbordseite der Galeone wies zwölf Stückpforten auf, folglich verfügte sie über zwei Dutzend Kanonen. Vierundvierzig Geschütze!

Hasard beobachtete, wie die beiden Spanier strikten Nordkurs hielten, als hätten sie den Gegner achteraus noch gar nicht bemerkt.

„Verflixt“, murmelte er. „Die haben doch keine Scheuklappen auf. Was soll denn das Theater? Wir haben mehr Fahrt drauf als sie, bald laufen wir auf gleicher Höhe. Wollen die uns dann immer noch ignorieren?“

„Ich weiß nicht, Sir“, antwortete Ben. Was sollte er auch sonst sagen?

Hasard spähte angestrengt in die Nacht. Ferris, Shane, der alte O’Flynn und Smoky hatten sich dicht hinter sie gestellt.

O’Flynn war es dann, der plötzlich einen zischenden Laut ausstieß und nach oben wies.

Sein Sohn hatte sich weit über die Umrandung des Großmarses gelehnt und gab ein Zeichen. Hasard sah es ganz deutlich, als er den Kopf wandte.

Drei Finger streckte Dan aus – drei Schiffe also.

Hasard sah wieder nach Backbord. Wenig später hatte auch er das dritte Schiff entdeckt.

„Noch eine Karavelle“, sagte er. „Da hätten wir also das Trio beisammen. Und die dritte Karavelle führt auch zwanzig Geschütze. Vierundsechzig Kanonen also. Dagegen stehen unsere sechzehn Culverinen und die zweimal zwölf Fünfundzwanzig-Pfünder des schwarzen Schiffes.“

„Nicht zu vergessen unsere vier Drehbassen“, sagte Ferris Tucker.

„Und die Brandsätze der Roten Korsarin“, fügte Shane hinzu.

„Hm“, brummte der Seewolf. „Es kommt auch darauf an, wie weit die Burschen feuern können. Ich schätze, sie hören jetzt mit der sturen Dahinsegelei auf. Der Verbandsführer hat anscheinend nur auf seine dritte Karavelle gewartet. Jetzt macht er Nägel mit Köpfen.“

Es bewahrheitete sich.

Die Spanier nahmen Segelfläche weg, verlangsamten ihre Fahrt noch mehr und lagen plötzlich auf gleicher Höhe mit der „Isabella“ und dem schwarzen Schiff.

Hasard hob die Hand und winkte Carberry zu. Der Profos stand breitbeinig mitten auf der Kuhl, er hielt die Beine abgewinkelt und balancierte gekonnt die Schiffsbewegungen aus.

„Al“, knurrte er. „Los geht’s. Setz diesen Oberstinkstiefeln einen Schuß vor den Bug.“

Al stand mit entfachter Lunte hinter dem Bodenstück der vordersten Backbord-Culverine bereit. Er senkte das glimmende Ende auf den Zündkanal, sprang dann zur Seite und wartete in geduckter Haltung ab. Sein Gesicht war verkniffen, sein Mund geöffnet, die zusammengebissenen Zähne schimmerten im Dunkeln.

Die Culverine brüllte auf und spuckte ihren Gluthauch auf die See aus. Er raste zur Galeone hinüber, drückte das Siebzehnpfünder-Geschoß vor sich her, und gleichzeitig ruckte auf der „Isabella“ das schwere Geschütz auf seinen Hartholzrädern zurück. Das Brooktau fing den Rückstoß auf. Al blickte zu Matt Davies. Sie stürmten vor und brachten die Kanone wieder in Ladestellung.

In derselben Sekunde rauschte dicht vor dem Bug der spanischen Galeone eine Wasserfontäne hoch. Im Klartext hieß das: Verschwindet, oder es gibt Ärger!

Carberry stieß einen glucksenden Laut aus, denn der Seewolf hatte schon wieder die Hand gehoben.

„Blacky, Gary, Sam“, sagte der Profos.

Und die drei, die ihre Culverinen auch längst in Zielrichtung justiert hatten, zündeten ebenfalls. Einen Augenblick später hatte sich die Glut durch das trockene Zündkraut gefressen, Feuer und Rauch stoben aus den Läufen und sandten die unheilvolle Ladung zum Gegner.

Zwischen dem Heck der Galeone. und der Karavelle, die ganz dicht hinter ihr hersegelte, standen plötzlich drei Wassersäulen. Sie waren von schäumenden Kränzen gekrönt, fielen aber sofort wieder in sich zusammen. Wer ganz genau hinhörte, konnte den vielstimmigen Wutschrei vernehmen, der sich drüben aus den Kehlen der Spanier löste.

„Das soll uns erst mal einer nachmachen“, sagte Carberry voll Stolz.

Die Dreifach-Salve war eine ebenso klare Botschaft wie Al Conroys Schuß. Letzte Warnung vor dem Sturm, bedeutete sie.

„Heiß Flagge“, befahl der Seewolf.

Bill, der Schiffsjunge, stand auf dem Achterdeck bereit und hißte den White Ensign im Besantopp. Die große weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz knatterte im Wind, und jetzt zeigte auch Siri-Tong im Großtopp des schwarzen Schiffes die Drachenflagge. Die Spanier konnten diese Zeichen auch in der Dunkelheit mit aller Deutlichkeit erkennen. Drastischer ging es nicht, sie wußten genau, woran sie waren.

„Ich bin für klare Verhältnisse“, sagte Hasard. „Sie brauchen jetzt nicht mehr zu signalisieren, wir sollen uns zu erkennen geben.“

Das taten die Spanier auch nicht. Weiße Qualmwolken pufften von ihren jetzt offenen Stückpforten hoch, der Kanonenböller wälzte sich grollend auf die „Isabella“ zu. Die Galeone und die erste Karavelle feuerten auf die Seewölfe, die zweite Karavelle auf Siri-Tong und ihre Piraten.

Hasard ging hinter dem Schanzkleid in Deckung, blickte zu Ben Brighton und rief: „Diese Idioten vergeuden gleich zu Anfang volle Breitseiten!“

Ein wahres Höllenkonzert orgelte auf sie zu. Carberry hatte sich hinter die Kuhlgräting sinken lassen und fluchte in rauhestem, breitestem Cornwall-Englisch. Dabei brachte er auch noch das Kunststück fertig, sich den zeternden Sir John in die Tasche zu stopfen.

„Du willst dir wohl ein Ding in den Achtersteven einfangen, du Kanaille, was, wie?“ brüllte er.

Sie lagen alle platt auf dem Bauch oder hinter Deckungen verkrümmt und schützten die Köpfe mit den Händen, als die Breitseiten heran waren.

Eine Wasserwand richtete sich neben der Backbordseite auf, es knallte, splitterte und krachte, und ein Ruck lief durch das Schiff. Etwas heulte im Tiefflug über die Kuhl, passierte die Gräting, verfehlte den Profos um knapp zwei Handspannen und verlor sich in Feuerlee.

Carberry tobte. „Gesengte Säue“ und „Hurensöhne“ waren noch zwei von den mildesten Ausdrücken, die er den Spaniern entgegenbrüllte. Er sprang auf, sah die Crew in Schwaden von Pulverrauch ebenfalls wieder auf die Beine kommen und schrie: „Feuer!“

„Feuer!“ tönte es auch von Bord des schwarzen Schiffes herüber.

Thorfin Njal, der hünenhafte Wikinger, dirigierte den Einsatz der Männer auf der Kuhl. Es dröhnte, als hätten unsichtbare Riesen mit den Fäusten auf die Planken des Schiffes gehämmert. Der Rumpf erzitterte bis in die Verbände, Feuer und Rauch deckten die Backbordseite zu – die Fünfundzwanzigpfünder hatten gesprochen.

Zur selben Zeit röhrten auch die restlichen vier Culverinen an Backbord der „Isabella“ auf. Al, Matt, Blacky, Gary, Sam und ein paar Helfer luden derweil in aller Eile die vier vorderen Geschütze nach. Der Kutscher schoß wie ein Derwisch hin und her. Er streute Sand aus, damit die Männer einen festen Stand auf den Planken hatten und Feuer rasch gelöscht werden konnte. Außerdem erneuerte er das Wasser in den Holzkübeln, die zum Befeuchten der Wischer bereitstanden.

Hasard beobachtete vom Achterdeck aus. Die „Isabella“ hatte ein paar Einschläge im Schanzkleid zu verzeichnen, aber niemand war durch wirbelnde Trümmer oder Splitter ernsthaft verletzt worden.

Ferris Tucker war in den Schiffsbauch hinuntergestiegen, um nach Lecks unter der Wasserlinie zu forschen.

„Shane!“ rief Hasard dem graubärtigen Riesen zu. „Hinauf mit dir in den Großmars. Und sag auch Batuti Bescheid. Die Dons staffeln näher heran, um mehr Treffer landen zu können. Wir wollen ihnen einen gebührenden Empfang bereiten.“

„Aye, Sir!“ rief Big Old Shane. Er turnte den Steuerbordniedergang hinunter, lief über die Kuhl und brüllte dem Gambia-Neger zu: „Batuti, heb deinen Hintern in die Wanten, wir wollen ein Zielschießen veranstalten!“

Hasard trat selbst an die eine Drehbasse des Achterdecks und drehte sie so weit herum, daß er die Galeone vor der Mündung hatte. Hinter ihm stand Old O’Flynn an dem zweiten Hinterlader.

„Donegal!“ rief Hasard ihm zu. „Schieß mich nicht über den Haufen! Warte gefälligst ab, ja?“

„Darauf kannst du Gift nehmen“, knurrte der Alte. „Wer bin ich denn? Ein blutiger Anfänger etwa? Euch jungen Sprintern lauf ich doch noch mit meinem Holzbein davon.“

Ferris kehrte von unten zurück und meldete: „Keine Lecks in den unteren Schiffsräumen. In der einen Achterdeckskammer haben wir ein Loch, aber da pfeift nur ein bißchen der Wind durch.“

„Dann bete, daß es dabei bleibt“, sagte Hasard.

„Feuer!“ schrie Carberry. Die vier achteren Culverinen wummerten los.

Und dann schoß auch das schwarze Schiff wieder auf die Karavellen, die nach wie vor hinter der Galeone hersegelten. Kurz darauf feuerten die, Seewölfe mit den vorderen vier Siebzehnpfündern der Backbordseite – und Siri-Tong setzte zum ersten Mal einen der Brandsätze ein. Fauchend verließ das Geschoß die Luke im Vorkastell, stach durch die Nacht und raste in die Bordwand der letzten spanischen Karavelle.

Hasard gab Shane und Batuti ein Zeichen, noch zu warten. Er wollte sehen, was die Spanier nun unternahmen.

Er fühlte sich nicht von vornherein überlegen. Er unterschätzte niemals einen Gegner, denn das konnte ein Fehler mit verheerenden Folgen sein. Aber diesmal lag der Feind mit seiner Taktik deutlich daneben. Er hatte die kompletten Breitseiten leergeschossen und mußte erst wieder nachladen, um erneut einsatzbereit zu sein. So ging wertvolle Zeit verloren, zumal das Gefecht dadurch an Dynamik verlor, daß die Kontrahenten auf Parallelkurs segelten und platt vor dem Wind lagen.

„Der Don luvt an“, sagte Hasard plötzlich. „Das habe ich mir gedacht.“

„Er kommt mit dem Laden nicht nach“, erwiderte Ben Brighton. „Darum will er über Stag gehen und uns die Backbordbreitseite entbieten.“

„Wahnsinn“, sagte Hasard.

„Der Philipp hat nicht alle Tassen im Schapp!“ rief der alte O’Flynn.

Hasard sagte gar nichts mehr. Er korrigierte die Zielrichtung der Drehbasse, stellte sie erneut in ihrer Gabellafette fest und schickte einen prüfenden Blick über den Lauf.

Wenn die „Isabella“ eine Aufwärtsbewegung auf der Dünung vollführte, lag die feindliche Galeone genau in der Ziellinie. Hasard stieß die Lunte in das Kupferbecken mit der glühenden Holzkohle, zog sie wieder hoch und wartete ab. Als die „Isabella“ sich nach unten neigte, zündete er.

In den Sekunden, die die Glut für ihren Weg durch den Zündkanal benötigte, hob sich das Schiff wieder. Als es zu verharren schien, hatte der Seewolf den Bug der spanischen Galeone genau im Visier – und die Drehbasse blaffte auf. Sie ruckte in der Lafette. Durch Feuer und Rauch glaubte Hasard die Kugel fliegen zu sehen, aber das war natürlich reine Einbildung.

Aber dann sah er, wie es dem Spanier glatt den Bugspriet samt der Blinde weghieb – und das war keine optische Täuschung!

Bugspriet und Blinde gingen in der See baden. Im Vorsteven der Galeone prangte ein häßliches Loch. Wieder wehte das empörte Gebrüll der Spanier zur „Isabella“ herüber. Sie konnten sich momentan nicht zur Wehr setzen, aber ihr Kapitän schwenkte weiter mit dem Schiff herum und wollte von seinem Plan nicht ablassen.

Für eine Weile trat eine Gefechtspause ein.

Auch auf dem schwarzen Schiff und den beiden Karavellen schwiegen jetzt die Geschütze. Die Karavellen folgten dem Beispiel der Führungsgaleone und luvten an. Ihre Kapitäne handelten getreu dem Grundsatz: Folge deinem Leithammel, und wenn er in den Bach springt, dann spring auch du!

Carberrys heiserer Ruf zerriß die Stille. „Feuer!“

Wieder stoben vier Culverinen-Schüsse auf die gegnerische Galeone zu.

Das typische Knacken und Splittern berstenden Holzes verkündete, daß die Seewölfe eine Serie von Treffern gelandet hatten. Sie johlten und stießen sich mit den Ellbogen an. Gary Andrews warf sogar seine Mütze in die Luft.

Er fing sie wieder auf und sagte: „Und das alles mit nur einer Breitseite. Die Steuerbordgeschütze haben wir noch gar nicht zum Einsatz gebracht.“

„Gut so!“ brüllte Carberry. „Wir werden sie noch brauchen, wenn wir Sabreras aufgestöbert haben!“

„Hey“, stieß Matt Davies aus. „Der Don muß verrückt sein. Er luvt weiter an und geht über Stag.“

Die Distanz zwischen beiden Galeonen war erheblich geschrumpft. Hasard schätzte sie mit einem einzigen Blick ab, während er seine Drehbasse nachlud. Er preßte die Kugel mit einem Satz Kabelgarn fest, rammte das Bodenstück zu und drehte sich zum Häuptdeck um. Er hob den Kopf, stieß einen Pfiff aus und winkte Shane und Batuti zu.

Big Old Shane grinste. Er bückte sich und hielt Dan, der mit ihm zusammen im Hauptmars hockte, die wergumwickelte Spitze eines Pfeiles hin.

„So, nun zünd mal an“, sagte er.

Dan schlug Feuerstahl und Pyrit gegeneinander. Ein kleiner Funkenregen ging auf das ölgetränkte Werg nieder und setzte es in Brand. Shane hob den Pfeil, legte ihn an den Bogenschaft und spannte die Sehne, daß es so aussah, als wolle er sie zerreißen.

Er öffnete die Finger der rechten Hand, und der Pfeil huschte von der Sehne. Er strebte in zunächst aufsteigener Bahn durch die Nacht, dann krümmte sich sein Weg, und er senkte sich als zuckender Lichtfleck auf die spanische Galeone.

Gleichzeitig sandte auch Batuti seinen ersten Brandpfeil los.

Shane wartete nicht ab, bis sein Pfeil das Ziel erreicht hatte, er legte schon den nächsten an und schoß. Batuti verfuhr nach dem gleichen Prinzip, und so hagelte es jetzt Brandpfeile. Einige trafen das Rigg des Gegners, einige sein Oberdeck, und im Nu flackerten Brände auf.

Siri-Tong setzte wieder Brandsätze ein. Sie hatten eine noch verheerendere Wirkung als die Pfeile von Shane und Batuti. Auch auf den Karavellen brach Feuer aus. Die Kampfmoral der Spanier sank rapide, sie schrien und schienen kurz vor der Panik zu stehen.

„Zwei Strich Steuerbord!“ rief der Seewolf.

Die „Isabella“ luvte nur ein wenig nach Steuerbord an und schob sich näher der Küste zu. Old O’Flynn konnte nun endlich seine Drehbasse auf die Galeone abfeuern, er geriet in den richtigen Schußwinkel. Hasard zündete auch seine Basse, dann, in breiten Schwaden von Pulverrauch stehend, drehte er sich wieder um und rief seinen Männern zu: „Abfallen! Backbordseite!“

Carberry wiederholte die Befehle. Sein Gebrüll purrte die Männer an die Schoten und Brassen. Pete Ballie kurbelte am Ruderrad. Die „Isabella“ reagierte willig auf die neue Ruder- und Segelstellung. Ihr Vorsteven richtete sich nach Nord-Nord-West. Die Mündungen der 17-Pfünder ruckten herum und zielten auf die spanische Galeone, die sich nun auch endlich wieder in Schußposition schob.

Die Spanier wollten eine volle Breitseite abgeben, aber der Seewolf kam ihnen zuvor.

„Feuer!“

Acht Rohre stießen Feuerblitze aus, achtfacher Tod raste auf die Feindgaleone zu. Sechs oder sieben Treffer waren diesmal drüben zu verzeichnen, die Seewölfe zählten nicht genau. Die „Isabella“ glitt vor dem Gegner davon.

Diese massive Breitseite hatte entscheidende Wirkung im Gefecht. Die drei Spanier blieben zurück. Sie kamen nicht mehr zum Schuß. Sie hatten genug damit zu tun, daß lodernde Feuer auf den Decks und in den Riggs zu löschen.

Hasard blickte zum schwarzen Schiff. Er atmete auf. Anscheinend völlig unversehrt zogen sich die Rote Korsarin und ihre Männer aus der Kampfzone zurück, schlossen ein bißchen auf und segelten im Kielwasser der „Isabella“.

„Ben, haben wir Verletzte?“ fragte Hasard.

„Bis auf ein paar unbedeutende Kratzer – nein, Sir.“

„Die Männer sollen nachladen und neue Munition heranschaffen. Mit dem Aufklaren warten wir, dazu ist jetzt keine Zeit. Das Gefecht ist noch nicht vorbei.“

Ben sah ihn aus schwarz geränderten Augen an. „Sabreras, nicht wahr?“

„Ja, er muß durch den Kampflärm alarmiert worden sein. Der Dreierverband war auf dem Rückweg zum natürlichen Hafen, und jetzt wird unser Freund nachsehen wollen, was los ist.“ Hasards Züge waren hart, wie gemeißelt. „Wo bleibt er überhaupt?“

„Ich sage, er ist abgehauen“, erklärte der alte O’Flynn mit krächzender Stimme.

„Das würde mich wundern“, erwiderte Hasard. „Ich müßte mich in Sabreras gründlich getäuscht haben, wenn er jetzt zu kneifen versucht.“