Silvia-Gold 177 - Karen Sanders - E-Book

Silvia-Gold 177 E-Book

Karen Sanders

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Beschreibung

Annika ist in großer Sorge: Schon seit Tagen ist ihre Schwester Marleen, die gerade in Italien Urlaub macht, nicht mehr erreichbar. Ist ihr womöglich etwas zugestoßen?
Als sie es zu Hause nicht mehr aushält, macht sich die junge Krankenpflegerin auf den Weg in das italienische Levico Terme, um nach der Verschollenen zu suchen. Vor Ort findet sie heraus, dass Marleen im Grande Palazzo abgestiegen ist und dort mit dem älteren Hotelmanager angebandelt hat. Doch die beiden sind spurlos verschwunden!
Im Foyer des Hotels trifft Annika auf den äußerst attraktiven und sehr aufgebrachten Hotelbesitzer Stefano Cantanegro, der ebenfalls auf der Suche nach dem Manager ist.
Als er hört, welche Sorgen sich die bildhübsche Deutsche um ihre Schwester macht, bietet er an, ihr zu helfen. Gemeinsam werden sie vielleicht herausfinden, wohin das Pärchen verschwunden ist.
Doch die kommenden Tage verlaufen ganz anders als geplant, und schon bald muss sich Annika erschrocken fragen, ob sie ihr Herz etwa ebenso leichtfertig an einen fremden Mann verschenkt wie ihre Schwester ...


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Inhalt

Cover

Abgetaucht!

Vorschau

Impressum

Abgetaucht!

Man kann das Leben planen, aber nicht die Liebe

Von Karen Sanders

Annika ist in großer Sorge: Schon seit Tagen ist ihre Schwester Marleen, die gerade in Italien Urlaub macht, nicht mehr erreichbar. Ist ihr womöglich etwas zugestoßen?

Als sie es zu Hause nicht mehr aushält, macht sich die junge Krankenpflegerin auf den Weg in das italienische Levico Terme, um nach der Verschollenen zu suchen. Vor Ort findet sie heraus, dass Marleen im Grande Palazzo abgestiegen ist und dort mit dem älteren Hotelmanager angebandelt hat. Doch die beiden sind spurlos verschwunden!

Im Foyer des Hotels trifft Annika auf den äußerst attraktiven und sehr aufgebrachten Hotelbesitzer Stefano Cantanegro, der ebenfalls auf der Suche nach dem Manager ist.

Als er hört, welche Sorgen sich die bildhübsche Deutsche um ihre Schwester macht, bietet er an, ihr zu helfen. Gemeinsam werden sie vielleicht herausfinden, wohin das Pärchen verschwunden ist.

Doch die kommenden Tage verlaufen ganz anders als geplant, und schon bald muss sich Annika erschrocken fragen, ob sie ihr Herz etwa ebenso leichtfertig an einen fremden Mann verschenkt wie ihre Schwester ...

Sie war so urlaubsreif!

Die Arbeit im Krankenhaus fraß sie auf. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Heute war wieder eine ältere Dame gestorben, die sie tagelang betreut hatte. Die über Achtzigjährige war schwer herzkrank gewesen.

Alles hatte seine Zeit, das Leben und das Sterben. Und doch war es immer schwer, wenn es an das endgültige Abschiednehmen ging. Für die Angehörigen, aber auch für das Pflegepersonal. Manch einer der Krankenschwestern und Pfleger mochte sich da ein dickes Fell zugelegt haben, weil man sonst irgendwann daran zugrunde ging, all das Elend mit ansehen zu müssen. Annika war das nie gelungen.

Sie haderte stets mit dem Schicksal, fragte sich, ob sie mehr hätte tun können, achtsamer hätte sein können ...

Krankenschwester zu werden, war für sie stets mehr gewesen als nur ein Beruf. Menschen zu helfen, das war eine Berufung!

Doch heute, als sie so erschöpft nach Hause kam, fragte sie sich zum ersten Mal, wie lange sie diese Tätigkeit noch würde ausüben können. Ob es sie irgendwann, eines Tages, kaputtmachen würde. Diese Anstrengung, dieses herzzerreißende Elend.

Wären da nicht die kleinen Lichtblicke gewesen, wann immer ein Patient geheilt, mit guten Zukunftsprognosen und mit verbesserter Lebensqualität entlassen wurde, so hätte sie ihren Beruf vielleicht schon längst hinterfragt. Ihr Herz war immer dabei, wenn sie die Patienten auf ihrer Station betreute.

Nach der Zehn-Stunden-Schicht klebte ihr die Kleidung auf der Haut. Schwüle hing in der Abenddämmerung, wurde durch kein Lüftchen belebt. In der vollklimatisierten Klinik hatte sie von dem Hochsommertag mit seinen fast dreißig Grad wenig gespürt. Doch die kurze Strecke zum Mitarbeiterparkplatz und die Fahrt in ihrem kleinen, von der brennenden Sonne aufgeheizten Auto, hatte ihr die letzte Energie geraubt.

Nun fühlte sie sich nur noch ausgelaugt und müde. Unendlich müde!

Zu ihrer Eigentumswohnung im Erdgeschoss gehörte ein kleiner Vorgarten, dessen Pflege ihr sehr viel Freude bereitete. Doch heute hatte sie keinen Blick dafür, als sie die Eingangstür aufschloss. Hier, am Rande der Vorstadt, war ein moderner Wohnkomplex entstanden, zu dem auch ihr kleines Reich gehörte, welches sie zusammen mit ihrer Schwester teilte.

Ihr Weg führte direkt in das Badezimmer. Bereits unterwegs ließ sie ihre Tasche fallen und schälte sich aus der Kleidung. In der Duschkabine stellte sie das Wasser auf lauwarm und ließ, die Augen geschlossen, den Schauer einfach über ihren Kopf regnen. Einige Minuten verharrte sie so unbeweglich.

Das Duschbad erfrischte sie und weckte einen Hauch ihrer Lebensgeister. Gerade genug, um nach der Duschlotion greifen zu können, welche ihren Körper in einen leichten Duft einhüllte.

Als sie wenig später, eingewickelt in das flauschige Badetuch, vor den Spiegel trat, fühlte sie sich schon ein wenig besser. Mit beiden Händen strich sie sich das schulterlange, blonde Haar zurück. Blaue Augen blickten ihr aus dem Spiegel entgegen. Wassertropfen hingen noch in den Wimpern.

Die Wangen hatten sich vom Duschbad ein wenig gerötet, doch ihre Haut war blass und hatte erst wenig Sonnenbräune abbekommen, obwohl der Sommer sie dieses Jahr reichlich mit Sonnentagen verwöhnte.

Sie sehnte sich nur noch nach ihrem bequemen Sofa. Ein schnell zubereitetes Abendessen, vielleicht ein Salat, und ihre Lieblingsserie im Fernsehen.

»Du verhältst dich wie eine Oma«, würde Marleen mit ihr schimpfen. »Wie alt bist du eigentlich? Fünfundzwanzig?«

Aber Marleen, ihre quirlige Schwester, war nicht da.

Als hätten Annikas Gedanken sie herbeigerufen, erschallten melodische Klingeltöne aus ihrem Smartphone. Sie tapste auf bloßen Füßen über den Fliesenboden und kramte das Gerät aus ihrer Tasche.

»Annika Becker!«, meldete sie sich.

»Hi, Anni!«, schallte es vergnügt und überschwänglich heraus. »Du glaubst nicht, wie schön es hier ist! Strand, Sonne und jede Nacht Party. Ich habe schon eine Menge Leute kennengelernt. Bloß das Zimmer in der Pension könnte ein bisschen vornehmer sein. Alles etwas alt und muffig hier drin. Aber die meiste Zeit bin ich eh unterwegs. Ach! Ich wünschte, du könntest dabei sein. Zu blöd aber auch mit deiner Arbeit!«

Marleens Redefluss überflutete sie. In ihrer gewohnt quecksilbrigen Art redete sie drauflos, ohne Punkt und Komma.

»Ich muss auch gleich wieder los, will mich nur noch ein bisschen hübsch machen, bevor ich mich mit meinen neuen Freunden treffe. Unten am Strand steigt heute ein Event. Eine italienische Boy-Band tritt auf. Das wird bestimmt lustig.«

Annika konnte sich die Schwester vor ihrem geistigen Auge gut vorstellen. Wie sie zwischen einem Berg wild herumliegender Klamotten das geeignete Party-Outfit auswählte und sich das Haar, welches ebenso blond war wie ihr eigenes, mit dem Lockenstab in schwungvolle Wellen legte.

»Mit was für Leuten triffst du dich da?«, gelang ihr eine Gegenfrage.

»Ganz normale Urlauber, so wie ich! Alle sind fröhlich und in Feierlaune. Hier am Gardasee ist es einfach fantastisch. Keiner, der irgendwie miese Stimmung verbreitet. Die Leute sind gut drauf und genießen das italienische Dolce Vita.«

Das Leben feiern! Die Jugend, den Sommer und die Freiheit ... Annika seufzte innerlich. Diese Leichtigkeit wünschte sie sich auch für sich selbst. Aber sie war immer die ruhigere, vernünftigere von ihnen beiden gewesen. Die drei Jahre ältere Schwester war die unbeständige, lebenslustige Frohnatur, von der sie sich so gerne eine Scheibe abgeschnitten hätte.

Marleen tanzte mit einer Unbeschwertheit durch das Leben, als sei es ein einziges Fest. Erst vor wenigen Wochen hatte sie ihren Job in dem Nagelstudio gekündigt und unbekümmert den Urlaub im Trentino geplant, der ihr mageres Budget fast sprengte. Annika hätte eigentlich daran teilnehmen sollen, und sie hatte sich auf den wohlverdienten Urlaub wahrlich gefreut. Alles war schon organisiert gewesen – doch dann hatten ihr Pflichtgefühl und ihre Hilfsbereitschaft es wieder zunichtegemacht.

Es war schwer gewesen, ihren Vorgesetzten den Sommerurlaub abzuringen, sie, die Alleinstehende, Unabhängige, die ohne Kinder an keine Ferienzeit gebunden war. Doch dann waren gleich zwei Kolleginnen ausgefallen, und Annika hatte für sie einspringen müssen. Die Personalchefin hatte sie eindringlich darum gebeten, und Annika hatte nicht Nein sagen können.

Es war ihr berühmtes Helfersyndrom, über das sich die verärgerte Marleen zu Recht beklagt hatte.

»Für Dankbarkeit kannst du dir nichts kaufen«, hatte sie gezetert. – Und war dann allein mit der Bahn in den Urlaub gefahren, den sie eigentlich zusammen hatten verbringen wollen.

Der Tod ihrer viel zu früh, durch einen tragischen Unfall verstorbenen Eltern, hatte die beiden Schwestern zusammengeschweißt. Das Unglück hatte selbst der lebenslustigen Marleen einen Stich versetzt. Sie hatten beschlossen, zusammenzuziehen, und von ihrem Erbe gemeinsam diese hübsche Eigentumswohnung am Stadtrand erworben.

So ungleich sie auch waren, harmonierte ihr Zusammenleben doch recht reibungslos. Beide waren sie umgängliche Menschen, die über die kleinen Fehler und Schwächen des anderen problemlos hinwegsehen konnten, selbst wenn sie von ihrem Naturell her so unterschiedlich waren.

»Ich muss jetzt auch gleich los«, erklang die Stimme ihrer Schwester ungeduldig aus dem Mobiltelefon.

»Pass auf dich auf!«, ermahnte Annika sie noch schnell.

»Mach ich, keine Sorge!«

»Und viel Spaß!«

»Den werde ich haben!« Marleen kicherte. »Und du arbeite nicht so viel!«

Annika seufzte schwer, als sie ihr Smartphone aus der Hand legte. Plötzlich hatte der geplante Fernsehabend auf dem Sofa viel weniger Reiz als noch vor ein paar Minuten. Während sie ihr nasses Haar auskämmte und in ihren gemütlichen Schlaf-Shorty schlüpfte, machte sie sich bewusst, dass morgen in der Frühe wieder der Wecker klingeln würde und ein arbeitsreicher Tag bevorstand, für den sie all ihre Energie benötigte. Für sie würde es heute Abend keine Party mit Freunden geben.

Den rasch zubereiteten Salat nahm sie mit in die Sitzecke, kuschelte sich bequem in die Kissen und zappte durch das Fernsehprogramm, bis sie ihre Lieblingsserie gefunden hatte. Für eine kurze Zeit verdrängten die schönen, lebensfrohen Menschen, die über den Bildschirm huschten, ihre Alltagssorgen. Eine Tafel Schokolade, ihre geheime Leidenschaft, versüßte ihr den Feierabend. Das war eine gute Medizin gegen ihr Stimmungstief.

Annika gähnte herzhaft. Wenig später streckte sie sich unter der leichten Zudecke ihres Bettes aus und senkte die Lider.

In einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen malte sie sich süße Träume aus. Träume von lauen Sommernächten. Von sanft ans Ufer rollenden Wellen, der leichten Brise, welche über die See strich, und von Strandspaziergängen.

Fast konnte sie spüren, wie sich der Sand unter ihren nackten Füßen anfühlte. Die untergehende Sonne verschwand am Horizont. In ihrer Fantasie war sie nicht allein. Doch der Mann an ihrer Seite blieb nur ein Schatten ...

♥♥♥

Während sich ihre Kolleginnen nach und nach in den Sommerurlaub verabschiedeten, blieb die Arbeit nicht aus. Annika wusste schon gar nicht mehr, wie viele Überstunden sie während der letzten Tage geleistet hatte. Und dann teilte die Pflegedienstleitung sie auch noch zu einer Doppelschicht ein.

Dass Marleen sich die ganze Woche über nicht mehr bei ihr gemeldet hatte, wurde ihr erst so recht bewusst, als das Summen des Telefons sie an diesem Abend aus dem Schlummer riss. Vor Erschöpfung war sie auf ihrem geliebten Sofa eingenickt. Sie rieb sich den verspannten Nacken, während sie sich am Apparat meldete.

Euphorisch berichtete ihre Schwester von ihrer Herrenbekanntschaft, Stefano Cantanegro, der Geld wie Heu habe und sie mit allem Luxus verwöhne.

»Stefano – wer?«, hakte Annika nach. Ihr Gehirn, so plötzlich aus dem Schlaf gerissen, arbeitete nicht so schnell, wie der Redefluss ihrer Schwester auf sie einprasselte.

»Cantanegro!«, wiederholte Marleen und fuhr überschwänglich mit ihrem Bericht fort. »Stefano ist einfach fantastisch. Er erinnert mich immer ein bisschen an Commissario Brunetti, aus dieser Fernsehsendung, die in Venedig spielt und die du so gerne siehst.«

»Moment mal, was erzählst du denn da? Brunetti aus der Krimiserie ist ein verheirateter Mann mit erwachsenen Kindern!«, warf Annika ein.

»Stefano ist auch ein gestandener Mann. Aber es macht mir nichts aus, dass er schon etwas älter ist. Er ist so aufmerksam und zuvorkommend! Und er behandelt mich wie eine richtige Dame. Nicht so wie die Typen, die ich sonst immer kennenlerne. Die immer knapp bei Kasse sind und auf getrennte Rechnung bestehen, wenn man sich zum Abendessen trifft.«

Mit dem Wortschwall ihrer Schwester kam Annika kaum mit. Sie hatte ihre Stirn gerunzelt, was Marleen natürlich nicht sehen konnte.

»Und du bist dir sicher, dass dieser Brunetti – ähh – Stefano ... dir nicht nur etwas vormacht? Ein älterer Herr, sagst du? Vielleicht ist er mehr Schauspieler, als du ahnst, und du bist nur eine leichte Beute für ihn.«

Marleen lachte schallend auf.

»Du wieder mit deinen altmodischen Vorstellungen! Nein, er ist kein Schauspieler! Er ist Hotelbesitzer aus Levico. Und wir haben uns am Gardasee nur kennengelernt, weil er dort geschäftlich zu tun hatte. Aber jetzt hat er mich eingeladen, ihm zu seinem Hotel am Lago di Levico zu folgen. Und da mein Urlaub ohnehin in drei Tagen beendet wäre und ich überhaupt keine Lust dazu habe, jetzt schon nach Hause zurückzukehren, wo es hier in Italien so schön ist, habe ich zugesagt.«

Annika setzte sich ruckartig auf und war plötzlich hellwach.

»Marleen, du kannst doch nicht so einfach mit einem wildfremden Mann ...«

»Wildfremd? Hast du mir nicht zugehört?«, unterbrach die Schwester sie ungeduldig. »Stefano ist ein Traum von Mann, und wir beide haben uns Hals über Kopf ineinander verliebt.«

»Verliebt?«

»Ja! Amore! Mit Herzrasen, Feuer, Leidenschaft und Sex bis zur Besinnungslosigkeit«, platzte Marleen heraus. »Alles Dinge, von denen du nichts verstehst. Wie auch, wo für dich nur die Arbeit zählt.«

Annika biss sich auf die Lippe. Die Worte ihrer Schwester taten weh, aber sie schob diese Empfindung für den Moment beiseite.

»Du gehst mit ihm ins Bett? Mit einem Mann, den du erst vor wenigen Tagen kennengelernt hast?«

»Ist ja nicht jeder so prüde wie du!«

Annika schnaubte. Ein wenig leichtsinnig war Marleen schon immer gewesen und keinem Abenteuer abgeneigt. Demensprechend häufig hatte sie sich schon in die Nesseln gesetzt. Aber irgendwie war es ihr immer gelungen, sich unbeschadet aus der Affäre zu ziehen.

»Stefano betet mich an. Und deine biederen Moralvorstellungen kannst du für dich behalten«, erklärte Marleen am anderen Ende der Leitung beleidigt. »Wenn du dich nicht für mich freuen kannst, dann ist es wohl besser, wenn in Zukunft jeder sein eigenes Ding macht. Ich bleibe jedenfalls bei Stefano. Du kannst ja zu Hause versauern. Am besten quartierst du dich gleich ganz in deiner Klinik ein und atmest nur noch die verpestete Luft nach Desinfektionsmitteln, Krankheit und Tod.«

»Marleen!«, rief Annika erschrocken. Aber da hatte die Schwester bereits das Gespräch beendet. Verstört ließ sie das Mobiltelefon sinken.

Aufgebracht von Annikas mangelndem Verständnis, hatte Marleen mit bösen Anschuldigungen reagiert. Der Hitzkopf hatte schon früher zu Wutausbrüchen geneigt, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Gewöhnlich beruhigte sie sich jedoch schnell wieder und kam reuevoll und um Verzeihung heischend zurückgekrochen.

Kopfschüttelnd sank Annika tiefer in das Sofakissen. Die zornigen Worte ihrer Schwester klangen noch in ihren Ohren nach. Und sie schmerzten umso mehr, da Marleen nicht ganz unrecht hatte, auch wenn sie das ungern zugab.

Über all der Arbeit hatte sie das Leben vergessen. Sicher, ihre Tätigkeit war sinnvoll. Menschen zu helfen war immer eine erfüllende Aufgabe. Aber vor lauter Stress hatte sie ihre eigenen Bedürfnisse unterdrückt und völlig in den Hintergrund gestellt. Annika fühlte sich plötzlich weit älter, als es ihrer Jugend entsprach.

In ihrer etwas schwerfälligen Art konnte sie die Handlungen und Beweggründe ihrer lebenslustigen Schwester oftmals nicht nachvollziehen. Marleen glich so sehr ihrer quirligen, immer zu Späßen aufgelegten und unternehmungsfreudigen Mutter, während Annika selbst mehr nach dem ernsten, in sich gekehrten Vater kam, der stets den Überblick behielt über all dem Chaos, welches seine Frau und seine älteste Tochter so manches Mal fabrizierten.

Annika war immer die Genügsame gewesen, die es vorzog, einen guten Schulabschluss zu erreichen und einen sinnvollen Beruf zu erlernen. Deshalb war sie jedoch nicht gänzlich abgestumpft, was das Leben betraf. Zwar besaß sie nicht die Gabe, immer und überall leichthin Freunde zu finden, zwar ermahnte ihr Verstand sie zur Vorsicht, wo sich andere kopfüber ins Vergnügen stürzten – aber auch sie hatte Hoffnungen und Träume, was ihre Zukunft betraf.

Marleens Behauptungen, denen ein bitteres Körnchen Wahrheit anhaftete, hatten ganz tief in ihr einen wunden Punkt getroffen.

Sie konnte nichts dafür, dass sie zurückhaltender war, dass sie weniger spontan war und über alles gründlich nachdachte, bevor sie sich zu etwas hinreißen ließ. Da war es oft schwer für sie, die Mentalität und das Handeln ihrer Schwester nachzuvollziehen.

Und in Bezug auf Männer war Marleen nie ein Kostverächter gewesen. Sie wollte ihren Spaß haben. Warum sollte es nur dem starken Geschlecht vorbehalten sein, Vergnügen in unverbindlichen Affären zu finden?

Diesmal war es wohl etwas anderes, denn Marleen hatte das L-Wort benutzt. Ein älterer Mann war es, dem sie ihre Liebe entgegenbrachte. Vielleicht war er ja imstande dazu, der sprunghaften jungen Frau den Halt zu geben, den sie seit dem Tod der Eltern vergeblich gesucht hatte.

Annika hoffte nur, dass sie sich nicht in einer hoffnungslosen Romanze verlor, aus der sie letztendlich geknickt und enttäuscht hervorgehen würde. Und sie hoffte, dass ihre Schwester in Sicherheit war und auf sich aufpasste.