Töchter des Feuers - Nora Roberts - E-Book

Töchter des Feuers E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Drei Schwestern, untrennbar verbunden durch das Schicksal …

Maggie Concannon liebt ihre Arbeit als Glasdesignerin über alles. Begabt und eigenwillig, lebt sie völlig zurückgezogen inmitten der windumtosten Hügel Westirlands. Eines Tages besucht sie der von ihren Kunstwerken völlig faszinierte Galeriebesitzer Robert Sweeny in ihrem einsamen Studio. Und er merkt schnell: Er möchte nicht nur die Künstlerin, sondern auch die wunderbar lebendige und attraktive Frau für sich gewinnen. Doch Maggie hat ihre eigenen Vorstellungen vom Leben – und der Liebe …

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Für Amy Berkower,dafür, daß sie sich während der letzten zehn Jahre um meine Angelegenheiten gekümmert hat.

Inhaltsverzeichnis

WidmungGruß der Autorin1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. KapitelCopyright

Liebe Leserin,

mein Leben lang hatte ich schon immer einmal nach Irland gewollt. Meine Vorfahren kamen aus Irland und Schottland, und es reizte mich, die grünen Hügel mit eigenen Augen zu sehen und in einem verräucherten Pub zu sitzen und zu hören, wie dort die traditionelle Musik ertönt. Als ich schließlich in der Lage war, mir zusammen mit meiner Familie diesen Traum zu erfüllen, wußte ich in dem Augenblick, in dem ich auf dem Flughafen Shannon landete, daß ich zu Hause war.

Eine Geschichte zu schreiben, die in Irland spielt, war demnach eine natürliche Entscheidung für mich. Sowohl das Land als auch die Menschen haben so vieles zu erzählen, daß man durch sie geradezu ein Übermaß an Anregung erfährt. Meine Idee war, sowohl Irland als auch die Geschichte einer Familie in meine Erzählung einzubeziehen, da beides in meinem Herzen miteinander verwoben ist. In jedem Buch dieser neuen Trilogie ist die Hauptperson eine von drei Schwestern, die zwar durch Blutsbande miteinander verbunden, von ihren Charakteren her hingegen völlig verschieden sind. Jedes dieser Leben nimmt einen ganz eigenen Verlauf, doch wird der Werdegang der Frauen, ebenso wie bei mir, von ihrem Irisch-Sein geprägt.

In diesem ersten Band, Töchter des Feuers, geht es um Margaret Mary Concannon, die älteste Schwester, eine Glaskünstlerin, deren Streben nach Unabhängigkeit ebenso ausgeprägt ist wie ihr lebhaftes Temperament. Sie ist eine Frau, der die Familie einerseits Geborgenheit vermittelt, andererseits hingegen auch viel Schmerz bereitet, und die durch ihren Ehrgeiz sich selbst und ihre Talente entdeckt. Die Glasbläserei ist eine schwierige und mühevolle Kunst; und auch wenn sie die Herstellung zarter, zerbrechlicher Dinge als ihre Aufgabe sieht, ist Maggie doch eine starke und eigenwillige Frau, eine typische Bewohnerin von Clare, und sie verkörpert all das Ungestüm dieser faszinierenden westlichen Region. Ihre Beziehung zu dem kultivierten Dubliner Galeriebesitzer Rogan Sweeney wird alles andere als friedvoll sein, aber ich hoffe, daß sie Sie unterhalten wird.

Außerdem hoffe ich, daß Ihnen in diesem ersten Band meiner Irland-Trilogie die Reise in den County Clare, ein Land voller grüner Hügel, wilder Klippen und dauerhafter Schönheit, Vergnügen bereiten wird.

Herzlichst,Ihre Nora Roberts

I never will marry, I’ll be no man’s wife.I intend to stay single for the rest of my life.

 (Irische Ballade aus dem 19. Jahrhundert)

1. Kapitel

Natürlich würde sie ihn im Pub finden. An welchem anderen warmen Ort sollte ein geselliger Mann an einem eisigen, windigen Nachmittag wohl sein? Auf keinen Fall zu Hause, an seinem eigenen Kamin.

Nein, Tom Concannon war ein geselliger Mann, dachte Maggie, und so wäre er sicher nicht daheim.

Ihr Vater wäre bei seinen Freunden im Pub, wo es immer etwas zu lachen gab. Er lachte gern und weinte gern und hing gerne unerfüllbaren Träumen nach. Mancher hätte ihn gewiß einen Verrückten genannt. Aber Maggie nicht, Maggie hätte das nie getan.

Sie lenkte ihren lärmenden Kleinlastwagen um die letzte Kurve in Richtung des Dorfes Kilmihil, und nirgends war auch nur eine Menschenseele auf der Straße zu sehen. Kein Wunder, denn schließlich war die Essenszeit lange vorüber, und wegen des Winterwindes, der wie aus einer eisigen Hölle vom Atlantik herüberdrang, war es nicht unbedingt ein geeigneter Tag zum Spazierengehen. Die Westküste Irlands erzitterte vor Kälte und sehnte den Frühling herbei.

Sie sah den klapprigen Fiat ihres Vaters neben anderen ihr bekannten Autos stehen. Bei Tim O’Malley herrschte heute Hochbetrieb. Sie parkte so nahe wie möglich am Eingang des Pubs, der inmitten einer Reihe kleiner Geschäfte zu kauern schien.

Als sie die Straße hinunterging, schlug ihr der Wind in den Rücken, und sie schmiegte sich in ihre mit Schaffell gefütterte Jacke und zog sich die schwarze Wollmütze tiefer ins Gesicht. Farbe wurde ihr in die Wangen gepeitscht, als ob sie errötete. Durch die Kälte hindurch stieg ihr ein Geruch von Feuchtigkeit in die Nase, der ihr wie eine gemeine Drohung erschien. Noch vor dem Anbruch der Dunkelheit, dachte die Farmerstochter, gäbe es Eis.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß je ein Januar eisiger oder fester entschlossen gewesen wäre, den County Clare mit einem beständigen frostigen Hauch zu überziehen. Der kleine Garten vor dem Laden, an dem sie gerade vorüberging, hatte bereits teuer bezahlt. Was von ihm übrig war, war von Wind und Frost geschwärzt und lag jämmerlich an den schlammigen Boden gedrückt.

Die Pflanzen taten ihr leid, aber die Neuigkeit, die sie herführte, war so dermaßen wunderbar, daß sie sich fragte, ob die Blumen nicht allein ihrer Glückseligkeit wegen vielleicht doch noch einmal die Köpfe heben würden, um in den Frühling hineinzublühen.

Sobald sie durch die Tür von O’Malley’s trat, wurde sie von wohliger Wärme begrüßt. Sie roch den im Kamin brennenden Torf, dessen rotglühendes Herz fröhlich vor sich hinzuglimmen schien, und den Eintopf, der von O’Malleys Frau, Deirdre, zum Mittagessen serviert worden war. Außerdem war die Luft vom Geruch von Tabak, Bier und vom Dunstschleier fritierter Kartoffeln erfüllt.

Zuerst entdeckte sie Murphy, der, die Füße ausgestreckt, an einem der winzigen Tische saß und einem irischen Akkordeon eine Melodie entlockte, die der Süße seiner Stimme entsprach. Die anderen Gäste hörten ihm zu und träumten über ihrem Bier vor sich hin. Es war eine traurige Melodie, wie sie Irland am besten entsprach, melancholisch und lieblich wie die Tränen, die ein unglücklich Liebender vergoß. Es war ein Lied, das ihren Namen trug und in dem es um das Älterwerden ging.

Als Murphy sie erblickte, lächelte er sanft. Sein schwarzes Haar fiel ihm unordentlich über die Brauen, so daß er den Kopf, um besser zu sehen, in den Nacken warf. Tim O’Malley stand hinter der Theke, ein Faß von einem Mann, um dessen Leibesfülle sich kaum noch eine Schürze binden ließ. Er hatte ein breites, runzliges Gesicht und Augen, die man, wenn er lachte, kaum noch zwischen den dicken Fleischpolstern sah.

Er war dabei, Gläser zu polieren, und obgleich er Maggie entdeckt hatte, unterbrach er sich nicht, da er wußte, sie wäre zu höflich, um sich mit einer Bestellung an ihn zu wenden, solange Murphys Lied nicht beendet war.

Sie sah David Ryan, der eine der amerikanischen Zigaretten paffte, die er allmonatlich von seinem Bruder aus Boston bekam, und die schmucke Mrs. Logan, die, während ihr Fuß den Rhythmus des Liedes klopfte, mit dem Stricken von etwas Pinkfarbenem beschäftigt war. Außerdem war da noch der alte Johnny Conroy mit seinem zahnlosen Grinsen, dessen knorrige Hand die ebenfalls vom Alter gezeichnete Hand seiner seit fünfzig Jahren Angetrauten hielt. Sie saßen wie zwei Frischverheiratete auf ihrer Bank, ganz verloren in Murphys Melodie.

Der Fernseher über der Theke lief ohne Ton, aber auf dem Bildschirm war eine in grellen, leuchtenden Farben inszenierte britische Seifenoper zu sehen. Menschen in prächtigen Kleidern und mit schimmerndem Haar saßen an einem massiven Tisch mit silbernen Kerzenständern und elegantem Kristall und stritten miteinander herum.

Der Glamour der Geschichte war viel, viel weiter als bloß ein Land von dem kleinen Pub mit der verkratzten Theke und den rauchgedunkelten Wänden entfernt.

Der Zorn, den Maggie angesichts der streitenden Gestalten in diesem von ungeheurem Reichtum zeugenden Raum empfand, traf sie so plötzlich, als hätte ihr jemand sein Knie in die Magengegend gerammt. Doch außer Zorn empfand sie, wenn sie ehrlich war, wohl auch eine Spur von Neid.

Wäre sie jemals so reich, dachte sie – obwohl es ihr eigentlich nicht allzu wichtig war – dann fände sie mit Sicherheit eine sinnvolle Verwendung für ihr Geld.

Dann sah sie ihn, wie er ganz allein in einer Ecke saß. Nicht isoliert, o nein. Er war ebensosehr Teil des Raumes wie der Stuhl, auf dem er saß. Er hatte einen Arm über die Rückenlehne des Stuhls gelegt, und in der anderen hielt er einen Becher, von dem sie wußte, daß er starken Tee mit einem guten Schuß irischen Whiskeys enthielt.

Vielleicht war er unberechenbar, voller Überraschungen und voller verrückter Ideen, aber sie kannte ihn. Von allen Männern, denen sie je begegnet war, liebte sie keinen so wie Tom Concannon.

Ohne ein Wort zu sagen, ging sie zu ihm hinüber, setzte sich und ließ ihren Kopf an seiner Schulter ruhen.

Ihre Liebe zu ihm glich einem Feuer, das, ohne je niederzubrennen, ihr tiefstes Inneres zu wärmen schien. Er nahm den Arm von der Stuhllehne, zog sie dichter an sich heran und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn.

Als das Lied vorüber war, nahm sie seine Hand und küßte sie. »Ich wußte, daß du hier sein würdest«, sagte sie.

»Aber woher wußtest du, daß ich gerade an dich dachte, Maggie-Schatz?«

»Ich habe eben in genau demselben Augenblick an dich gedacht.« Sie lehnte sich zurück und lächelte ihn an. Er war ein kleiner Mann, aber kräftig gebaut. Wie ein Zwergochse, sagte er oft mit seinem stöhnenden Lachen über sich. Seine Augen waren von kleinen Fältchen umgeben, die sich vertieften und ausweiteten, wenn er das Gesicht zu einem Grinsen verzog. Was ihn in Maggies Augen noch attraktiver werden ließ. Sein einst leuchtendrotes, volles Haar war mit der Zeit ein wenig schütter geworden, doch die grauen Strähnen wirkten in dem Feuerrot wie sanfter Rauch. Maggie fand, ihr Vater war der schneidigste Mann der Welt.

»Dad«, sagte sie. »Ich habe Neuigkeiten für dich.«

»Aber sicher doch, das habe ich dir sofort angesehen.«

Er zwinkerte und zog ihr die Mütze vom Kopf, so daß ihr Haar in wilden roten Locken über ihre Schultern fiel. Er hatte ihre blitzende, knisternde Mähne schon immer gern gesehen, und er erinnerte sich noch genau daran, als er sie zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte, das Gesichtchen zu einer zornigen Grimasse verzerrt, die winzigen Fäuste geballt, mit Haaren, die gleich einer frisch geprägten Münze schimmerten.

Statt daß er enttäuscht gewesen wäre, daß sie kein Sohn geworden war, hatte ihn das Geschenk einer Tochter mit demütiger Dankbarkeit erfüllt.

»Bring meinem Mädchen was zu trinken, Tim.«

»Ich nehme einen Tee«, rief sie. »Draußen ist es eisig kalt.« Nun, da sie hier war, wollte sie das Vergnügen, ihm die Neuigkeit zu unterbreiten, genußvoll in die Länge ziehen. »Ist das nicht auch der Grund, weshalb du hier sitzt und singst und trinkts, Murphy? Aber wer wärmt deine Kühe, solange du nicht bei ihnen bist?«

»Sie wärmen einander«, rief er zurück. »Und wenn das Wetter so bleibt, habe ich im Frühjahr bestimmt mehr Kälber, als ich bewältigen kann, denn die Rindviecher tun das, was auch jeder andere an einem langen Winterabend tut.«

»Oh, setzen sie sich mit einem guten Buch an den Kamin?« fragte Maggie, und die übrige Gästeschar brach in fröhliches Gelächter aus. Es war kein Geheimnis und schien Murphy auch nicht sonderlich peinlich zu sein, daß er eine regelrechte Leseratte war.

»Ich habe versucht, sie für Literatur zu interessieren, aber diese blöden Viecher sehen lieber fern.« Er tippte gegen sein leeres Glas. »Und was den Grund für mein Hiersein betrifft, so bin ich wegen der Ruhe gekommen, da mir dein verfluchter Ofen Tag und Nacht in den Ohren dröhnt. Warum bist du eigentlich nicht zu Hause und spielst mit deinem Glas herum?«

»Dad.« Als Murphy an die Theke ging, nahm Maggie ihren Vater erneut bei der Hand. »Ich wollte es dir als erstem erzählen. Weißt du, daß ich heute morgen mit ein paar von meinen Stücken in McGuinness’ Laden in Ennis war?«

»Ach ja?« Er zog seine Pfeife hervor und klopfte damit auf den Tisch. »Das hättest du mir vorher sagen sollen. Dann hätte ich dir Gesellschaft leisten können auf der Fahrt.«

»Ich wollte das alleine machen.«

»Meine kleine Einsiedlerin«, sagte er und stupste sanft ihre Nase an.

»Dad, er hat sie tatsächlich gekauft.« Ihre Augen, so grün wie die ihres Vaters, schienen Funken zu sprühen. »Vier Stücke, mehr hatte ich nicht mit. Und er hat sie an Ort und Stelle bezahlt.«

»Was du nicht sagst, Maggie, was du nicht sagst!« Er sprang auf, zog sie mit sich hoch und wirbelte sie übermütig im Kreis herum. »Ladies und Gentlemen, hören Sie sich das an. Meine Tochter, meine Margaret Mary, mein eigen Fleisch und Blut, hat ihr Glas in Ennis verkauft.«

Es ertönte spontaner Applaus, und dann prasselte eine Reihe von Fragen auf sie herab.

»Bei McGuinness«, antwortete sie allen zugleich. »Vier Stück, und er will sich die anderen Sachen auch ansehen. Zwei Vasen, eine Schale und einen ... ich nehme an, daß man es einen Briefbeschwerer nennen kann.« Sie lachte, als Tim ihr und ihrem Vater einen Whiskey über den Tresen schob.

»Also gut dann.« Sie hob ihr Glas zu einem Toast. »Auf Tom Concannon, denn er hat an mich geglaubt.«

»O nein, Maggie.« Ihr Vater schüttelte den Kopf und sah sie mit tränenfeuchten Augen an. »Auf dich. Ganz allein auf dich.« Er stieß mit ihr an und leerte das Glas in einem Zug. »Setz die Quetschkommode in Gang, Murphy, damit ich mit meiner Tochter tanzen kann.«

Murphy erfüllte ihm den Wunsch, und unter den Rufen und dem rhythmischen Klatschen der anderen führte Tom seine Tochter auf die Tanzfläche. Deirdre kam aus der Küche, wischte sich die Hände an der Schürze ab und zog mit von den Küchendämpfen gerötetem Gesicht ihren Mann hinter der Theke hervor. Auf eine Gigue folgte ein Reel, nach dem Reel kam ein Hornpipe, und Maggie wirbelte mit verschiedenen Partnern herum, bis ihr schließlich die Beine weh taten.

Angezogen von der Musik oder von der Aussicht auf Gesellschaft kamen weitere Gäste in den Pub, und die Nachricht von Maggies erstem Verkaufserfolg breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Bis zum Abend, das wußte sie, wüßte im Umkreis von zwanzig Kilometern jeder darüber Bescheid. Dies war der von ihr erhoffte Ruhm, auch wenn sie heimlich davon träumte, daß er sich vielleicht eines Tages noch steigern ließ.

»Oh, es reicht.« Sie sank auf ihren Stuhl und trank ihren inzwischen kalt gewordenen Tee. »Mein Herz zerspringt.«

»Genau wie meins. Vor Stolz.« Toms Mund zeigte ein strahlendes Lächeln, doch seine Augen waren ein wenig trüb. »Wir sollten es deiner Mutter erzählen, Maggie. Und deiner Schwester ebenfalls.«

»Ich erzähle es Brianna heute abend.« Ihre Mutter erwähnte sie nicht.

»Also gut dann.« Er beugte sich zu ihr hinab und strich ihr sanft über das Gesicht. »Dies ist dein Tag, Maggie Mae, und ich hoffe, daß du ihn dir durch nichts verderben läßt.«

»Nein, es ist unser Tag. Denn ich hätte niemals auch nur ein Stück Glas geblasen ohne dich.«

»Dann teilen wir uns das Vergnügen, wenn auch nur für einen Augenblick.« Einen Moment lang bekam er keine Luft, fühlte sich schwindlig und erhitzt. Er meinte, ein leichtes Klicken hinter den Augen zu spüren, doch schon war es vorbei. Luft, dachte er. Er brauchte nur ein wenig Luft. »Mir wäre nach einer kleinen Spazierfahrt. Ich würde gern ein bißchen Seeluft atmen. Kommst du mit?«

»Natürlich.« Sofort erhob sie sich. »Aber draußen ist es eisig kalt, und es weht ein teuflischer Wind. Bist du sicher, daß du ausgerechnet heute auf die Klippen willst?«

»Es ist mir wirklich ein Bedürfnis.« Er griff nach seiner Jacke, warf sich einen dicken Schal um den Hals und wandte sich den anderen Gästen zu. Er hatte das Gefühl, als würden sich die dunklen, rauchigen Farben des Pubs vor seinen Augen drehen. Reumütig dachte er, daß er offenbar ein wenig angetrunken war. Aber warum auch nicht. Schließlich hatte er heute allen Grund dazu. »Morgen abend feiern wir dem Erfolg meiner Tochter zu Ehren ein Fest. Mit gutem Essen, feinen Getränken und schöner Musik. Ich hoffe, daß jeder meiner Freunde erscheinen wird.«

Maggie wartete, bis sie mit ihm draußen in der Kälte stand. »Ein Fest? Dad, du weißt genau, daß sie das nicht zulassen wird.«

»Noch bin ich ja wohl der Herr in meinem eigenen Haus.« Genau wie seine Tochter, wenn sie trotzig war, reckte er das Kinn. »Und ich sage, daß es bei uns ein Fest geben wird, Maggie. Das mache ich deiner Mutter schon klar. Würdest du jetzt bitte fahren?«

»Also gut.« Hatte Tom Concannon erst einmal einen Entschluß gefaßt, war es zwecklos, daß man noch länger über die Sache sprach. Er besaß einen Starrsinn, für den sie geradezu dankbar war, denn ohne ihn wäre sie niemals nach Venedig gereist und hätte niemals die Ausbildung zur Glasbläserin absolviert. Sie hätte das Gelernte und Erträumte niemals in die Tat umgesetzt und niemals ihre eigene Werkstatt gebaut. Sie wußte, ihre Mutter hatte Tom wegen der Kosten für die Ausbildung das Leben zur Hölle gemacht, aber dennoch hatte er nicht eine Sekunde lang geschwankt.

»Erzähl mir, woran du gerade arbeitest.«

»Tja, an einer Art Flasche. Sehr groß und sehr schlank. Weißt du, sie soll nach oben spitz zulaufen, und dann soll sie sich wieder öffnen. Ein bißchen wie eine Lilie vielleicht. Und ich versuche, ihr eine ganz zarte Farbe, wie das Innere eines Pfirsichs, zu verleihen.«

Sie sah das Kunstwerk bereits vor sich, so deutlich wie die Hand, mit der sie die Konturen beschrieb.

»Du siehst wunderbare Dinge in deinem Kopf.«

»Es ist leicht, sie dort zu sehen.« Sie lächelte. »Die Schwierigkeit besteht darin, dafür zu sorgen, daß es sie wirklich einmal gibt.«

»Du wirst es schaffen.« Er verstummte und tätschelte ihr liebevoll die Hand.

Maggie fuhr die schmale, gewundene Straße in Richtung der See. Vom Westen her segelten vom Wind gepeitschte und vom Sturm verdüsterte Wolken herein. Hellere Flecken Himmel wurden von ihnen verschluckt, doch tapfer kämpften sie sich wieder hervor und lugten wie schimmernde Diamanten durch den bleiernen Vorhang hindurch.

In ihrem Kopf formte sie bereits eine Schale, breit und tief, deren Tönung dem Strudel dieser miteinander ringenden Farben entsprach.

Die Straße machte eine erneute Biegung, doch dann verlief sie gerade, und Maggie fädelte den ratternden Kleinlaster zwischen winterlich gelben, mehr als mannshohen Hecken hindurch. Ein wenig außerhalb des Dorfes stand am Straßenrand ein Marienschrein. Das Gesicht der Jungfrau war ernst, ihre Arme waren ausgebreitet wie zum herzlichen Empfang derer, zu deren Trost sie hier draußen in der Kälte stand, und zu ihren Füßen hatte irgend jemand kitschig leuchtende Plastikblumen niedergelegt.

Tom Concannon stieß einen leisen Seufzer aus, und Maggie sah ihn an. Er erschien ihr ein wenig blaß und angespannt. »Du wirkst müde, Dad. Bist du sicher, daß ich dich nicht lieber nach Hause fahren soll?«

»Nein, nein.« Er zog seine Pfeife heraus und klopfte sich geistesabwesend mit ihr auf die Hand. »Ich möchte das Meer sehen. Es braut sich ein Sturm zusammen, Maggie Mae. Bestimmt bekommen wir vom Loop Head aus ein prächtiges Schauspiel zu sehen.«

»Bestimmt.«

Hinter dem Dorf wurde die Straße erschreckend schmal, so daß Maggie das Fahrzeug lenkte, als schöbe sie einen Faden durch ein Nadelöhr. Ein aufgrund der Kälte dick vermummter Mann kam ihnen entgegen, und sein Hund trottete in stoischer Ergebenheit hinter ihm her. Beide drückten sich in die Hecke, als Maggie den Laster wenige Zentimeter an den Stiefeln des Spaziergängers vorbeisteuerte. Als sie ihn passierten, nickte er Maggie und Tom grüßend zu.

»Weißt du, was ich überlegt habe, Dad?«

»Was?«

»Wenn ich noch ein paar Teile verkaufen könnte – nur ein paar –, dann könnte ich mir einen zweiten Ofen leisten. Weißt du, ich will mit mehr Farben arbeiten als bisher. Wenn ich noch einen Ofen bauen könnte, könnte ich mehr schmelzen. Der Schamottestein kostet gar nicht so viel, aber zweihundert bräuchte ich bestimmt.«

»Ich habe etwas beiseite gelegt.«

»Nein, nicht schon wieder.« In diesem Punkt war sie hart. »Ich danke dir für das liebe Angebot, aber das muß ich alleine schaffen.«

Seine Miene umwölkte sich, und er sah mit gerunzelter Stirn seine Pfeife an. »Ich frage dich, wozu ist ein Vater da, wenn nicht, um seinen Kindern zu geben, wenn es ihnen an etwas fehlt? Du interessierst dich weder für modische Kleider noch für hübschen Schmuck, wenn du also Schamottesteine haben willst, dann kriegst du sie auch.«

»Allerdings«, erwiderte sie. »Aber ich kaufe sie von meinem eigenen Geld. Das sage ich ganz im Ernst. Es ist nicht dein Geld, was ich will, sondern dein Vertrauen in mich.«

»Du hast mir das, was ich dir in deinem Leben gegeben habe, bereits zehnfach zurückgezahlt.« Er lehnte sich zurück und öffnete das Fenster einen Spalt, so daß der Wind hereinzuziehen begann, als er seine Pfeife anzündete. »Ich bin ein reicher Mann, Maggie. Ich habe zwei wunderbare Töchter, jede von ihnen ein Juwel. Und obgleich ein Mann nicht mehr verlangen kann, habe ich auch noch ein schönes, solides Haus und Freunde, auf die ich mich verlassen kann.«

Maggie bemerkte, daß er ihre Mutter offenbar nicht als einen seiner Reichtümer betrachtete. »Und außerdem wartet immer noch der Schatz am Ende des Regenbogens auf dich.«

»Genau.« Wieder verstummte er. Sie kamen an alten, dachlosen und verlassenen Steinhütten und sich bis zum Horizont erstreckenden graugrünen Feldern vorbei, deren Anblick im dämmrigen Licht des vergehenden Tages von unglaublicher Schönheit war. Außerdem war hinter ein paar knorrigen, blattlosen Bäumen eine dem nun ungehindert pfeifenden Wind ausgesetzte Kirche zu sehen.

Statt traurig und einsam wirkte sie wunderschön auf Tom. Er teilte nicht Maggies Liebe zur Einsamkeit, aber bei einem Anblick wie diesem, wenn der tief hängende Himmel auf die leere Erde traf, ohne daß ein Zeichen menschlichen Lebens dazwischen lag, verstand er sie.

Durch den Spalt im Fenster drang der Geruch des Meeres herein. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er davon geträumt, es zu überqueren, um nach Amerika zu gehen.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er von vielen Dingen geträumt.

Er hatte ständig nach dem Schatz am Ende des Regenbogens gesucht, und daß er ihn nicht gefunden hatte, war einzig und allein seine Schuld. Er hatte als Sohn eines Farmers das Licht der Welt erblickt, hatte allerdings nie eine besondere Neigung zur Bestellung der Felder gehabt. Und nun hatte er bis auf ein kleines Stückchen Land alles verloren, ein Stückchen, das gerade für die von seiner Tochter Brianna so erfolgreich betriebene Blumen- und Gemüsezucht ausreichend war. Ausreichend, um ihn daran zu erinnern, daß er auch auf diesem Gebiet ein Versager war.

Er hatte einfach immer zu viele Pläne gehabt, dachte er, und ein weiterer Seufzer drang aus seiner Brust. Seine Frau Maeve hatte recht gehabt. Er hatte immer zahllose Pläne geschmiedet, aber nie den Verstand oder das Glück gehabt, daß auch nur eins seiner Vorhaben gelang. Sie tuckerten an einer weiteren kleinen Ansammlung von Häusern vorbei und an einem Gebäude, dessen Eigentümer sich damit brüstete, es wäre der letzte Pub vor New York. Schlagartig besserte sich Toms Laune, wie immer, wenn er diese Kneipe sah.

»Wie sieht’s aus, Maggie? Segeln wir rüber nach New York und trinken dort ein kleines Bier?« fragte er wie jedesmal.

»Nur, wenn du mich die erste Runde bezahlen läßt.«

Er grinste vergnügt, doch als sie ans Ende der Straße fuhr, von wo aus man über Gras und Steine an den Rand der Klippe ging und über die windgepeitschte See in Richtung Amerika sah, überkam ihn das Gefühl, vor ihm liege noch eine wichtige Aufgabe.

Sie traten in das Geheul des Windes und des Wassers hinaus, das wütend gegen die Zähne und Fäuste schwarzer Felsen schlug, hakten einander unter und schwankten wie zwei Betrunkene lachend los.

»Es ist Wahnsinn, an einem Tag wie diesem hierherzukommen.«

»Ja, aber ein schöner Wahnsinn. Spür doch den Wind, Maggie! Spür ihn. Es ist, als wolle er uns von hier bis nach Dublin wehen. Erinnerst du dich noch an unsere Fahrt dorthin?«

»Wir haben einem Jongleur zugesehen, der bunte Bälle durch die Luft wirbeln ließ. Ich war so begeistert, daß du dir hinterher selbst das Jonglieren beigebracht hast.«

Sein Lachen dröhnte fast so laut wie das Meer, das gegen die Felsen schlug. »Himmel, die Unmengen von Äpfeln, die dabei Druckstellen bekommen haben.«

»Wir haben wochenlang nichts anderes mehr als Apfelkuchen und Pasteten zu essen gekriegt.«

»Und ich dachte, ich könnte mit meiner neuen Kunst ein oder zwei Pfund verdienen, und bin extra zum Markt nach Galway gefahren, weil es dort so viele Zuschauer gab.«

»Und dann hast du von dem ganzen Geld, das du verdient hast, Geschenke für mich und Brianna gekauft.«

Endlich hatte er wieder Farbe im Gesicht, und in seine Augen war das alte Leuchten zurückgekehrt. Willig ging sie mit ihm über die unebene Grasfläche, wobei ihr der Wind mit knirschenden Zähnen in die Wangen zu beißen schien. Dann standen sie am Rand des mächtigen Atlantiks, der seine kriegerischen Wogen gegen die gnadenlosen Felsen schleuderte. Das Wasser krachte gegen die natürliche Wand, wurde zurückgepeitscht und ließ Dutzende sich aus den Spalten ergießende Wasserfälle zurück. Über ihren Köpfen trieben schreiende Möwen im Wind, und ihre Rufe hallten wieder und wieder über das Donnern der Wellen hinweg.

Die Gischt stob an der hohen Felsenwand hinauf, unten schneeweiß, oben jedoch, wo sie sich perlengleich in der eisigen Luft ergoß, klar wie der reinste Kristall. Kein Boot war draußen auf den Wellen zu sehen. Allein die mit weißen Schaumkronen verzierten Wogen ritten auf dem Meer.

Sie fragte sich, ob ihr Vater so oft an diese Stelle kam, weil die Verschmelzung von See und Stein in seinen Augen ebensosehr das Symbol der Ehe wie das des Krieges war. Und seine Ehe hatte er seit Anbeginn als Kampf erlebt, in dessen Verlauf sein Herz durch die beständige Bitterkeit und den unablässigen Zorn seiner Frau ermattet war.

»Warum bleibst du bei ihr, Dad?«

»Was?« Er löste seinen Blick von Meer und Himmel und sah seine Tochter an.

»Warum bleibst du bei ihr?« wiederholte sie. »Brie und ich sind inzwischen erwachsen. Warum bleibst du bei ihr, wenn du bei ihr nicht glücklich bist?«

»Sie ist meine Frau«, war seine schlichte Erwiderung.

»Warum sollte das eine Antwort sein?« fragte sie. »Warum sollte das das Ende aller Dinge sein? Es gibt keine Liebe zwischen euch, ja, ihr mögt euch noch nicht einmal. Seit ich denken kann, hat sie dir das Leben zur Hölle gemacht.«

»Du bist ihr gegenüber zu hart.« Auch das ist meine Schuld, dachte er. Er hatte das Kind so sehr geliebt, daß er unfähig gewesen war, die bedingungslose Liebe abzuwehren, die sie für ihn empfand. Eine Liebe, so wußte er, die keinen Raum für Verständnis gegenüber der Frau, die ihre Mutter war, übrigließ. »Was zwischen deiner Mutter und mir vorgefallen ist, liegt ebensosehr an mir wie an ihr. Eine Ehe ist eine schwierige Angelegenheit, Maggie, in der es um den beständigen Ausgleich zweier Herzen und zweier Hoffnungen geht. Manchmal gewinnt eine Seite einfach zuviel Gewicht, und die andere Seite kommt nicht dagegen an. Das wirst du verstehen, wenn du erst einmal selbst verheiratet bist.«

»Ich werde niemals heiraten«, sagte sie mit einer solchen Vehemenz, als schwöre sie zu Gott. »Ich werde niemals einem Menschen das Recht geben, mich so unglücklich zu machen.«

»Sag das nicht. O nein.« Er drückte ihr ängstlich die Hand. »Etwas Kostbareres als die Ehe und die Familie gibt es nicht. Nirgends auf der Welt.«

»Wenn das so ist, wie kann die Ehe dann gleichzeitig ein solches Gefängnis sein?«

»Das sollte sie nicht sein.« Wieder kam die vorherige Schwäche über ihn, und mit einem Mal spürte er, wie ihm die eisige Kälte in die Knochen fuhr. »Deine Mutter und ich, wir waren kein gutes Beispiel für euch, und das tut mir leid. Mehr als ich dir sagen kann. Aber eins weiß ich, Maggie, mein Kind. Wenn du von ganzem Herzen liebst, dann gehst du nicht nur das Wagnis ein, unglücklich zu werden. Ebensogut kann die Liebe der Himmel auf Erden sein.«

Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Jacke, sog Trost aus seinem Duft. Sie konnte ihm nicht sagen, daß sie schon seit Jahren wußte, wie wenig die Ehe für ihn der Himmel auf Erden war. Und daß er niemals im Gefängnis dieser Ehe geblieben wäre, wenn nicht ihretwegen.

»Hast du sie jemals geliebt?«

»O ja. Und unsere Liebe war so heiß wie einer deiner Öfen. Aus dieser Glut bist du entstanden, Maggie Mae. Du bist aus Feuer geboren, wie eine deiner schönsten und verwegensten Statuen. Auch wenn das Feuer inzwischen abgekühlt sein mag, es gab eine Zeit, in der es heller als alles andere gelodert hat. Hätte es weniger hell, weniger heftig gebrannt, dann hätten wir es vielleicht geschafft.«

Etwas in seiner Stimme ließ sie aufblicken und in sein Gesicht sehen. »Es gab einmal jemand anderen, nicht wahr?«

Wie eine in Honig getauchte Klinge war die Erinnerung schmerzlich und süß zugleich. Tom blickte erneut aufs Meer hinaus, als könne er über den Atlantik sehen und fände die Frau, die einst von ihm gegangen war. »Ja, es gab einmal jemand anderen. Aber es sollte nicht sein. Es wäre nicht rechtens gewesen. Ich sage dir eins. Wenn die Liebe kommt, wenn der Pfeil dein Herz durchbohrt, dann kommst du einfach nicht dagegen an. Und selbst das Blut, das du deshalb vergießt, schmerzt dich nicht. Also sag niemals nie zu mir, Maggie. Ich möchte, daß du das bekommst, was mir nicht vergönnt gewesen ist.«

Sie wollte es nicht sagen, doch es rutschte ihr einfach so heraus. »Ich bin dreiundzwanzig, Dad, und Brie ist kaum ein Jahr jünger als ich. Ich weiß, was die Kirche sagt, aber ich will verdammt sein, wenn ich glaube, daß es einen Gott im Himmel gibt, der Gefallen daran findet, einen Mann für den Rest seines Lebens dafür zu bestrafen, daß er einmal einen Fehler begangen hat.«

»Einen Fehler.« Mit gerunzelter Stirn schob sich Tom die Pfeife in den Mund. »Meine Ehe war kein Fehler, Margaret Mary, und ich möchte, daß du das nie wieder sagst. Wegen dieser Ehe seid ihr, du und Brie, auf der Welt. Ein Fehler – nein, mir kommt es eher wie ein Wunder vor. Ich war bereits über vierzig, als du geboren wurdest, und an die Gründung einer eigenen Familie hatte ich bis dahin nie gedacht. Wenn ich daran denke, wie mein Leben ohne euch beide verlaufen wäre, frage ich mich unweigerlich, wo stünde ich dann jetzt? Ein Mann von fast siebzig und allein. Ganz allein.« Er umfaßte ihr Gesicht und sah sie eindringlich an. »Ich danke Gott jeden Tag meines Lebens dafür, daß mir deine Mutter begegnet ist und daß wir etwas geschaffen haben, das bleibt, wenn ich gehe. Von allen Dingen, die ich je getan oder gelassen habe, waren du und Brianna mein erster und einziger Erfolg. Und jetzt will ich nichts mehr von Fehlern oder Unglück hören, ist das klar?«

»Ich liebe dich, Dad.«

Seine Miene wurde weich. »Ich weiß. Ich fürchte, du liebst mich sogar zu sehr, was ich allerdings nicht bedauern kann.« Wieder verspürte er ein Drängen, als flüsterte ihm der Wind ins Ohr, er hätte nur noch wenig Zeit. »Es gibt da etwas, um das ich dich bitten möchte, Maggie.«

»Was?«

Er musterte ihr Gesicht und fuhr mit seinen Fingern ihre Züge nach, als verspüre er mit einem Mal das Bedürfnis, sie sich so genau einzuprägen, daß er sie niemals mehr vergaß  – das kantige, trotzige Kinn, die sanft gerundeten Wangen und die Augen, die so grün und rastlos waren wie die See, die unter ihnen gegen die Felsen krachte.

»Du bist stark, Maggie. Hart und stark, aber mit einem weichen Herzen unter all dem Stahl. Gott weiß, daß du clever bist. Ich verstehe nichts von all den Dingen, die du weißt, und ebensowenig verstehe ich, wie sie dir in den Kopf gekommen sind. Maggie, du bist mein leuchtender Stern, so wie Brie meine kühle Rose ist. Ich möchte, daß jede von euch dorthin geht, wohin ihr Traum sie führt. Das wünsche ich mir mehr, als ich es sagen kann. Und wenn ihr eure Träume verfolgt, verfolgt ihr sie ebensosehr für mich wie für euch selbst.«

Das Dröhnen der Wogen in seinen Ohren wurde leiser, und das Zwielicht des Sturms in seinen Augen wurde matt. Maggies Gesicht verschwamm, und dann verblaßte es.

»Was ist los?« Alarmiert umklammerte sie seinen Arm. Er war so grau wie der Himmel, und mit einem Mal wirkte er entsetzlich alt. »Bist du krank, Dad? Komm, ich bringe dich zum Wagen zurück.«

»Nein.« Aus Gründen, die er nicht wußte, war es unbedingt erforderlich, daß er hier, an der äußersten Spitze seines Heimatlandes, stehenblieb und das, was er begonnen hatte, beendete. »Es ist alles in Ordnung. Ein leichtes Stechen, mehr nicht.«

»Du frierst.« In der Tat fühlte sich sein drahtiger Körper unter ihren Händen wie ein Sack eisiger Knochen an.

»Hör mir zu.« Sein Ton wurde vehement. »Laß dich durch nichts davon abhalten, deinen Weg zu gehen und das, was du tun mußt, zu tun. Drück der Welt deinen Stempel auf, und zwar so fest, daß er nicht mehr auszuradieren ist. Aber ...«

»Dad!« Panik wallte in ihr auf, als er schwankte und in die Knie ging. »O Gott, Dad, was ist los? Dein Herz?«

Nein, nicht sein Herz, dachte er durch einen Nebel verschwommener Schmerzen hindurch, da er sein hartes, schnelles Pochen laut und deutlich vernahm. Aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, daß in seinem Inneren etwas zerbarst und ihm entglitt. »Verhärte nicht, Maggie. Versprich es mir. Verliere niemals, was in dir steckt. Du wirst dich um deine Schwester kümmern. Und um deine Mutter. Versprich es mir.«

»Du mußt aufstehen.« Sie zerrte an ihm herum, da es ihr schien, als könne sie nur auf diese Weise ihre Angst bekämpfen. Das Peitschen des Meeres klang wie ein Sturm, wie ein alptraummäßiger Sturm, der sie beide über den Rand der Klippe auf die spitzen Felsen schleudern würde, brächte sie ihn nicht zum Wagen zurück. »Hörst du mich, Dad? Du mußt aufstehen.«

»Versprich es mir.«

»Ja, ich verspreche es. Ich schwöre bei Gott, daß ich mich um die beiden kümmern werde, allezeit.« Ihre Zähne klapperten, und brennende Tränen rannen über ihr Gesicht.

»Ich brauche einen Priester«, keuchte er.

»Nein, nein, du mußt nur aus dieser Kälte raus.« Aber noch während sie sprach, wußte sie, daß es eine Lüge war. Egal, wie fest sie ihn umklammert hielt, glitt sein Innerstes davon. »Laß mich nicht einfach so zurück. Nicht einfach so.« Verzweifelt blickte sie über die Felder und die ausgetretenen Pfade, über die Jahr um Jahr eine Unmenge von Menschen wanderte, um auf das Meer hinauszusehen. Aber es war niemand da, so daß sie auch nicht um Hilfe schrie. »Versuch es, Dad, los, versuch aufzustehen. Ich bringe dich zu einem Arzt.«

Er lehnte seinen Kopf an ihre Schulter und stieß einen erstickten Seufzer aus. Er spürte keine Schmerzen mehr, sondern fühlte sich vollkommen taub. »Maggie«, sagte er, dann sprach er noch einen Namen – den Namen einer Fremden –, und dann verstummte er.

»Nein.« Wie, um ihn vor dem Wind zu schützen, dessen Kälte er nicht länger empfand, schlang sie die Arme um ihn und wiegte ihn schluchzend hin und her.

Und der Wind posaunte aufs Meer hinaus und brachte die ersten Nadelstiche eisigen Regens mit zurück.

2. Kapitel

Über Thomas Concannons Totenwacht würde man sicher noch auf Jahre hinaus sprechen. Es gab gutes Essen und schöne Musik, wie es von ihm für das Fest zu Ehren seiner Tochter geplant gewesen war. Das Haus, in dem er seine letzten Jahre verlebt hatte, war über und über mit Besuchern angefüllt.

Tom hatte keine Reichtümer besessen, sagten manche von ihnen, aber er war immer reich an Freunden gewesen.

Sie kamen aus seinem und aus dem Nachbardorf. Von den Farmen, aus den Läden, aus den Cottages. Sie brachten etwas zu essen mit, wie es bei derartigen Anlässen Brauch war, und nach kurzer Zeit stand die Küche voller Brot und Fleisch und Kuchen. Sie tranken auf sein Leben und besangen seinen Tod.

Die lodernden Feuer in den Kaminen hielten den Sturm, der an den Fenstern rüttelte, und die Kälte der Trauer in Schach.

Aber Maggie war überzeugt davon, daß ihr nie wieder warm würde. Sie saß neben dem Feuer in dem winzigen Wohnzimmer, als hätte sie mit den zahlreichen Besuchern nicht das geringste zu tun. In den Flammen sah sie die Klippe, die brodelnde See – und sich selbst, ganz allein, wie sie ihren sterbenden Vater in den Armen hielt.

»Maggie.«

Überrascht fuhr sie herum und sah den vor ihr kauernden Murphy an. Er drückte ihr einen dampfenden Becher in die Hand.

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