Zeit der Träume - Nora Roberts - E-Book
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Zeit der Träume E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Sexy, romantisch, geheimnisvoll: Eine junge Galeristin steht vor der Wahl - eine sorgenfreie Zukunft oder Flynn, die Liebe ihres Lebens ...

Malory Price hatte schon immer ein Auge für schöne Dinge. Kein Wunder, dass sie die ortsansässige Galerie in der kleinen Stadt Pleasant Valley managt. Aber die Zeiten sind hart und ihre Zukunft alles andere als rosig. Da bekommt sie ein vielversprechendes Angebot: Sie soll die Geheimnisse eines aufsehenerregenden Porträts dreier Schwestern lösen. Für ein mehr als großzügiges Honorar! Als ihr auch noch der Journalist Flynn begegnet und sie sich in ihn verliebt, scheinen alle ihre Träume in Erfüllung zu gehen. Doch irgendjemand will verhindern, dass Malory ihre Aufgabe erfolgreich meistert, und plötzlich muss sie sich entscheiden: Nimmt sie ein Scheitern in Kauf, oder riskiert sie, Flynn für immer zu verlieren?

Die »Zeit«-Trilogie von Bestsellerautorin Nora Roberts in schneller Reihenfolge: Freuen Sie sich schon jetzt auch »Zeit der Hoffnung« und »Zeit des Glücks«!

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Seitenzahl: 488

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Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Widmung
 
Kapitel 1
Kapitel 2
 
Copyright
Buch
Der jungen Galeristin Malory Price unterbreitet man bei einer mysteriösen Einladung zum Dinner ein ungewöhnliches Angebot: Wenn es ihr gelingt, das Rätsel um drei keltische Prinzessinnen mithilfe eines Gedichts und eines alten Bildes zu lösen, soll sie eine Million Dollar erhalten. Die einzige Bedingung: Auch ihre Freundinnen Dana und Zoe müssen ein Rätsel lösen. Natürlich glaubt Malory kein bisschen an keltische Prinzessinnen, aber so viel Geld kann sie einfach nicht ausschlagen. Zusammen mit dem Journalisten Flynn macht sie sich an die Aufgabe und steckt bald bis über beide Ohren in Problemen: Denn plötzlich muss Malory sich entscheiden - zwischen der Erfüllung all ihrer Träume und Flynn...
Autorin
Nora Roberts schrieb vor rund zwanzig Jahren ihren ersten Roman und hoffte inständig, veröffentlicht zu werden. Inzwischen ist sie längst eine der meist gelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb schreibt sie mit ebenso großem Erfolg auch Kriminalromane. Zeit der Träume ist der Beginn einer großen neuen
Trilogie.
 
Von Nora Roberts ist bereits erschienen:
 
Die Irland-Trilogie: Töchter des Feuers (35405) · Töchter des Windes (35013) · Töchter der See (35053) · Die Templeton-Trilogie: So hoch wie der Himmel (35091) · So hell wie der Mond (35207) · So fern wie ein Traum (35280) · Die Sturm-Trilogie: Insel des Sturms (35321) · Nächte des Sturms (35332) · Kinder des Sturms (35323) · Die Insel-Trilogie: Im Licht der Sterne (35560) · Im Licht der Sonne (35561) · Im Licht des Mondes (35562)
Mitten in der Nacht (36007) Das Leuchten des Himmels (Limes, geb. Ausgabe 2492)
Nora Roberts ist J. D. Robb: Ein gefährliches Geschenk (Limes, geb. Ausgabe 2481)
Von J. D. Robb ist bereits erschienen:
Rendezvous mit einem Mörder (1; 35450) · Tödliche Küsse (2; 35451) · Eine mörderische Hochzeit (3; 35452) · Bis in den Tod (4; 35632) · Der Kuss des Killers (5; 35633) · Mord ist ihre Leidenschaft (6; 35634) · Liebesnacht mit einem Mörder (7; 36026)
Für Kathy Onorato, die mich immer auffängt.
 
 
 
 
Tis to create, and in creating live A being more intense, that we endow With what form our fancy, gaining as we give The life we image.
BYRON
1
Der Sturm brauste über die Hügel. Regen prasselte mit dem scharfen Klirren von Metall auf die Steine, Blitze zuckten über den Himmel, und der Donner grollte wie Artilleriefeuer.
Es lag etwas Böses, Erregendes in der Luft, Wut und Hass, vermischt mit Macht.
Eine Mischung, die genau Malory Prices Stimmung entsprach.
Hatte sie sich nicht schon selbst gefragt, was noch alles schief gehen konnte? Und jetzt zeigte ihr die Natur, wie schlimm es werden konnte.
Irgendwo unter der Motorhaube ihres süßen kleinen Mazda klapperte es - und dabei musste sie ihn noch mit neunzehn monatlichen Raten abbezahlen. Um die Summe aufbringen zu können, war sie gezwungen weiterzuarbeiten.
Und sie hasste ihren Job.
Das war nicht Bestandteil von Malory Prices Lebensplan, den sie schon im Alter von acht Jahren entworfen hatte. Zwanzig Jahre später war aus dem Entwurf eine detaillierte, gut organisierte Checkliste mit Überschriften, Untertiteln und Querverweisen geworden. An jedem Neujahrstag überarbeitete sie ihn sorgfältig.
Sie musste ihren Job lieben. Das stand klar und deutlich unter der Überschrift KARRIERE.
Sie arbeitete schon seit sieben Jahren in der Galerie, davon die letzten drei als Geschäftsführerin, was dem Plan genau entsprach. Sie hatte ihre Arbeit auch geliebt - sie war von Kunst umgeben und hatte beinahe freie Hand, was die Ausstellungen, den Kauf und die Werbemaßnahmen anging.
Eigentlich sah sie die Galerie mittlerweile als ihre an. Sie wusste, dass die übrigen Angestellten, die Kunden, die Künstler und Kunsthandwerker das ebenso sahen.
James P. Horace mochte ja der gesetzliche Eigentümer der hübschen kleinen Galerie sein, aber er hatte Malorys Entscheidungen nie in Frage gestellt. Bei seinen immer seltener werdenden Besuchen hatte er sie stattdessen zu ihren Zukäufen, dem Ambiente und den Verkäufen beglückwünscht.
Alles war perfekt gewesen, also so, wie Malory sich ihr Leben vorgestellt hatte. Denn wenn es nicht perfekt war, wozu war man dann überhaupt auf der Welt?
Aber alles hatte sich geändert, als James auf einmal mit dreiundfünfzig Jahren sein bequemes Junggesellenleben aufgegeben und sich eine junge, sexy Frau genommen hatte. Eine Frau, die beschlossen hatte, die Galerie zu ihrem persönlichen Spielzeug zu machen. Malory kniff angewidert die stahlblauen Augen zusammen, als sie daran dachte.
Es spielte keine Rolle, dass die frisch gebackene Mrs. Horace so gut wie gar nichts von Kunst, vom Geschäft oder von Werbung und Management verstand. James betete seine Pamela an. Und Malorys Traumjob war zu einem ununterbrochenen Alptraum geworden.
Aber sie hatte versucht, sich darauf einzustellen, dachte Malory, während sie finster durch ihre Windschutzscheibe blickte, auf die der Regen prasselte. Sie hatte ihre Strategie entworfen und war entschlossen gewesen, Pamela auszusitzen. Sie musste nur ruhig und beherrscht bleiben und abwarten, bis der Weg wieder frei war.
Diese hervorragende Strategie allerdings hatte jetzt versagt. Ihr war der Geduldsfaden gerissen, als Pamela einen ihrer Aufträge rückgängig gemacht hatte, und Malory tatenlos zusehen musste, wie ihre perfekt organisierte Galerie sich in eine Ansammlung von Schrott und hässlichen Dingen verwandelte.
Manches konnte sie ja noch tolerieren, dachte Malory, aber diesen grässlichen Geschmack, den Pamela an den Tag legte, ertrug sie nicht.
Allerdings festigte sie ihren Job nicht, indem sie die Frau des Eigentümers angriff, vor allem nicht, wenn dabei Wörter wie kurzsichtiges, plebejisches Flittchen fielen.
Blitze zuckten über dem Hügel vor ihr auf, und Malory erinnerte sich unbehaglich an ihren Wutausbruch. Das war ein völlig falscher Schachzug gewesen, der ihr wieder einmal vor Augen führte, was geschah, wenn man die Beherrschung verlor.
Zu allem Überfluss hatte sie auch noch Cappuccino auf Pamelas Escada-Kostüm verschüttet. Das allerdings war wirklich ein Unfall gewesen.
Beinahe jedenfalls.
Ganz gleich, wie sehr James sie schätzte, es war Malory durchaus klar, dass ihre berufliche Karriere an einem sehr dünnen Faden hing, und wenn dieser Faden riss - was Gott verhüten möge -, war sie verloren. In so einem hübschen, pittoresken Ort wie Pleasant Valley waren Kunstgalerien äußerst rar gesät, und sie musste entweder die Branche wechseln oder umziehen.
Keine der beiden Optionen gefiel ihr.
Sie liebte Pleasant Valley und die Lage inmitten der Berge von West-Pennsylvania. Sie liebte die Kleinstadt, die Mischung aus Tradition und Moderne, die die Touristen und die Leute aus dem nahe gelegenen Pittsburgh anzog.
Sie war in einem Vorort von Pittsburgh aufgewachsen und hatte sich von klein auf vorgestellt, einmal in einem Ort wie Pleasant Valley zu leben. Die Hügel mit ihren verschiedenen Schattierungen von Grün, die sauberen Straßen der kleinen Stadt, der behäbige Lebensrhythmus und die Freundlichkeit der Leute gefielen ihr sehr. Und so hatte sie mit vierzehn, als sie mit ihren Eltern ein langes Wochenende in Pleasant Valley verbrachte, beschlossen, eines Tages dort zu wohnen.
Zu diesen Wünschen gehörte von vornherein eine Galerie. Natürlich hatte sie sich als Jugendliche vorgestellt, ihre eigenen Bilder würden eines Tages dort hängen. Diesen Punkt auf ihrem Lebensplan hatte sie dann jedoch später streichen müssen, als sie erkannte, dass sie nicht begabt genug war.
Eine Künstlerin würde sie nie werden. Aber es war lebensnotwendig für sie, sich mit Kunst zu umgeben und damit zu tun zu haben.
In die Stadt wollte sie nie wieder ziehen. Sie wollte ihre tolle, geräumige Wohnung zwei Blocks entfernt von der Galerie, mit Blick auf die Appalachen, mit ihren knarrenden Holzdielenböden und den Wänden voll sorgfältig ausgesuchter Gemälde behalten.
Aber viel Hoffnung hatte sie nicht mehr.
Sie war nicht klug mit ihrem Geld umgegangen, gestand sich Malory seufzend ein. Sie sah halt nicht ein, warum sie es auf die Bank legen sollte, wenn man damit doch so viele hübsche Dinge kaufen konnte. Wenn man es nicht benutzte, war Geld lediglich Papier, und Malory neigte dazu, viel Papier zu verbrauchen.
Ihr Konto war überzogen, wieder einmal. Und ihre Kreditkarten hatte sie ebenfalls ausgereizt. Dafür jedoch war ihr Kleiderschrank gut gefüllt, und sie besaß den Grundstock für eine beeindruckende Sammlung von Kunstwerken.
Vielleicht konnte sie ja heute Abend etwas wieder gutmachen. Eigentlich hatte sie nicht auf den Cocktailempfang in Warrior’s Peak gehen wollen. Ein unheimlicher Name für so ein altehrwürdiges Haus, dachte sie. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre sie begeistert von der Aussicht gewesen, das Innere der prächtigen alten Villa, die hoch am Hügel stand, kennen zu lernen, und Leuten zu begegnen, die vielleicht Kunstmäzene werden könnten.
Aber die Einladung war irgendwie seltsam gewesen. Handgeschrieben in einer eleganten Schrift auf dickem, marmoriertem Papier, mit einem geprägten Goldschlüssel statt eines Briefkopfes. Obwohl sie jetzt neben ihrer Puderdose, ihrem Lippenstift, ihrem Handy, einem Bleistift, Visitenkarten und zehn Dollar in ihrem Abendtäschchen verstaut war, konnte sich Malory Wort für Wort an den Text erinnern.
 
Wir erbitten Ihre Teilnahmezu Cocktails und Gesprächen4. September um 20.00 UhrWarrior’s PeakSie sind der Schlüssel.Das Schloss erwartet Sie.
 
Das war echt eine komische Ausdrucksweise, überlegte Malory, und biss die Zähne zusammen, als ihr Wagen von einer plötzlichen Windböe erfasst wurde. Wahrscheinlich war es ein Vorwand für irgendein albernes Rätselspiel.
Das Haus hatte jahrelang leer gestanden. Kürzlich war es verkauft worden, aber im Ort erfuhr man kaum Einzelheiten darüber. Soweit sie sich erinnerte, handelte es sich um ein Unternehmen namens Triade, vermutlich also eine Firma, die das Haus in ein Hotel umwandeln wollte.
Das erklärte allerdings nicht, warum sie den Manager der Galerie eingeladen hatten, und nicht den Eigentümer samt seiner umtriebigen Frau. Pamela jedenfalls war ganz schön sauer darüber gewesen - und das war immerhin schon etwas.
Trotzdem hätte Malory die Einladung am liebsten ausgeschlagen. Sie hatte keinen Freund. Ein weiterer Aspekt in ihrem Leben, der ihr in der letzten Zeit zu schaffen machte. Alleine in die Berge zu einem Haus zu fahren, das direkt aus einem Horrorfilm zu stammen schien, und das dazu auf Grund einer Einladung, die ihr merkwürdig vorkam, entsprach mitten in der Woche nicht gerade ihrer Vorstellung von Vergnügen.
Es war noch nicht einmal eine Telefonnummer oder Kontaktperson für eine mögliche Antwort auf der Einladung angegeben, was sie arrogant und unhöflich fand. Natürlich wäre es von ihr genauso arrogant und unhöflich gewesen, die Einladung einfach zu ignorieren. Aber dazu kam es sowieso nicht, weil James sie auf ihrem Schreibtisch erspäht hatte.
Er fand die Vorstellung, dass sie dorthin ging, wunderbar und hatte sie gedrängt, ihm alle Einzelheiten über die Inneneinrichtung des Hauses zu berichten. Wenn sie von Zeit zu Zeit diskret die Galerie ins Gespräch bringen könnte, wäre das außerdem gut fürs Geschäft.
Wenn sie noch weitere Kunden gewinnen könnte, dann würde sich Pamela ärgern - und sie konnte ihren Ausrutscher wieder wettmachen.
Mühsam ächzte der Wagen die schmale Straße hinauf, die sich durch dichten, dunklen Wald wand. Die Hügel und Wälder, die ihr hübsches Tal einrahmten, hatten auf sie immer schon einen märchenhaften Eindruck gemacht, jetzt jedoch in der stürmischen, regnerischen Dunkelheit fand sie die Umgebung ein wenig zu unheimlich, um sich wirklich wohl zu fühlen.
Wenn das Klappern unter ihrer Motorhaube etwas Ernstes bedeutete, dann blieb sie am Ende noch liegen und konnte im Auto den nächtlichen Geräuschen lauschen, während sie auf einen Abschleppwagen wartete, den sie sich nicht leisten konnte.
Also blieb sie besser nicht liegen.
Sie glaubte, ein Licht durch die Bäume aufblitzen zu sehen, war sich jedoch nicht ganz sicher, da ihre Scheibenwischer die Wasserfluten nicht bewältigen konnten, obwohl sie auf höchster Geschwindigkeitsstufe liefen.
Als wieder ein Blitz über den Himmel zuckte, packte sie ihr Lenkrad fester. Sie liebte ein ordentliches Unwetter, zog es jedoch vor, es drinnen mit einem guten Glas Wein zu genießen.
Sie war wohl schon ganz nahe, ewig konnte sich die Straße ja nicht den Berg hinaufwinden. Warrior’s Peak stand auf dem Gipfel des Hügels und blickte hinunter auf das Tal. Oder es beherrschte das Tal, je nachdem, wie man es sah. Schon seit einigen Meilen war ihr kein anderes Auto mehr begegnet. Das bewies, dass niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand war, bei diesem Wetter unterwegs war, dachte sie.
Die Straße gabelte sich. Zur Rechten führte der Weg durch zwei riesige Steinsäulen. Malory fuhr langsamer und betrachtete die lebensgroßen Krieger auf jeder Säule. Vielleicht lag es ja am Unwetter, an der Dunkelheit und ihrer Nervosität, aber sie sahen aus, als seien sie gar nicht aus Stein, mit den Haaren, die ihnen um die stolzen Gesichter flogen, und den Händen am Schwertknauf. Im Schein der Blitze konnte sie fast die Muskeln spielen sehen, die sich an Armen und Brustkorb spannten.
Sie widerstand der Versuchung, aus dem Wagen zu steigen, um sie sich näher anzuschauen. Als sie jedoch durch das offene Eisentor fuhr, lief ihr ein Schauer über den Rücken, und unwillkürlich blickte sie sich misstrauisch um.
Im nächsten Moment jedoch trat sie heftig auf die Bremse und riss das Steuer herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie den prächtigen Hirsch sah, der plötzlich nur einen Fuß von ihrer Motorhaube entfernt stand. Hinter ihm ragte der schattenhafte Umriss des Hauses auf.
Einen Moment lang hielt sie auch das Tier für eine Skulptur, obwohl es über ihren Verstand ging, warum jemand eine Skulptur mitten auf die Einfahrt stellen sollte. Aber jemandem, der in Warrior’s Peak wohnte, war wohl alles zuzutrauen.
Die Augen des Tieres glänzten jedoch leuchtend smaragdgrün im Licht ihrer Scheinwerfer, und es wandte leicht den Kopf mit dem prachtvollen Geweih. Königlich, dachte Malory. Regen strömte über sein Fell, und als ein weiterer Blitz aufzuckte, wirkte es strahlend weiß.
Der Hirsch äugte sie ohne jede Spur von Furcht oder Überraschung an. Wenn so etwas möglich war, dann lag sogar so etwas wie amüsierte Verachtung in seinem Blick. Schließlich schritt er durch den strömenden Regen und die Nebelschwaden und war verschwunden.
»Wow.« Malory stieß den Atem aus und erschauerte, obwohl es im Auto warm war. »Noch mal wow«, murmelte sie, als sie zum Haus spähte.
Sie hatte Bilder und Gemälde davon gesehen, und natürlich konnte sie es vom Valley aus hoch oben am Hügel erkennen. Aber in diesem wütenden Unwetter so nahe davor zu stehen, war etwas völlig anderes.
Es war eine Mischung zwischen einem Schloss, einer Festung und einem Horrorhaus.
Es war aus obsidianschwarzen Steinen, mit Zinnen, Türmchen und Erkern, die so willkürlich verteilt waren, dass sie wirkten, als habe ein ungezogenes Kind seinen Launen freien Lauf gelassen. Dutzende von langen, schmalen Fenstern waren hell erleuchtet.
Irgendjemand machte sich absolut keine Gedanken über seine Stromrechnung.
Nebel waberte um die Fassade. Beim nächsten Blitz erblickte Malory eine weiße Fahne mit dem goldenen Schlüssel, die von einer der höchsten Zinnen wehte.
Sie fuhr näher heran. Wasserspeier hockten an den Wänden, lugten über die Regenrinne. Aus ihren grinsenden Mäulern und über ihre Klauen rann das Regenwasser.
Malory hielt vor dem breiten Säulenportal und überlegte ernsthaft, ob sie nicht besser wenden und wieder davonfahren sollte.
Aber dann schalt sie sich selbst einen Feigling, einen kindischen Dummkopf. Wo war ihr Sinn für Abenteuer und Spaß geblieben?
Sie legte ihre Hand gerade auf den Türgriff, als ihr ein Klopfen an der Fensterscheibe einen Schrei entlockte, der in ein atemloses Keuchen überging, als ein bleiches, knochiges Gesicht, umhüllt von einer schwarzen Kapuze, zu ihr hineinspähte.
Wasserspeier werden nicht lebendig, beruhigte sie sich tief durchatmend und ließ das Seitenfenster einen Spalt herunter.
»Willkommen in Warrior’s Peak.« Die Stimme übertönte das Grollen des Donners, und das Willkommenslächeln enthüllte zahlreiche weiße Zähne. »Lassen Sie Ihre Schlüssel einfach im Wagen, Miss, ich kümmere mich schon darum.«
Bevor sie die Tür verriegeln konnte, hatte er sie bereits aufgerissen. Er hielt Wind und Regen mit seinem Körper und dem größten Schirm, den sie je gesehen hatte, von ihr fern.
»Ich bringe Sie sicher und trocken zur Tür.«
Was war das für ein Akzent? Englisch, irisch oder schottisch?
»Danke.« Sie wollte aussteigen, es gelang ihr jedoch nicht.
Ihre aufsteigende Panik verwandelte sich in Verlegenheit, als sie merkte, dass sie noch angeschnallt war.
Sie löste den Gurt, griff nach ihrer Handtasche und lief dann unter dem Schirm auf die Doppeltüren zu. Sie waren so breit, dass ein Lastwagen hindurchgepasst hätte, und bestückt mit riesigen silbernen Türklopfern in Form von Drachenköpfen.
Beeindruckend, dachte Malory, als sich die Türen öffneten und sie Licht und Wärme empfingen.
Die Frau hatte prachtvolle, glatte rote Haare, die ein perfekt geschnittenes blasses Gesicht einrahmten. Ihre Augen, grün wie die des Hirsches, funkelten unter dunklen, geschwungenen Augenbrauen. Sie war groß und schlank und trug ein schwarzes Kleid aus fließendem Stoff. Ein Silberamulett mit einem dicken, rauchgrünen Stein hing zwischen ihren Brüsten.
Ihre Lippen, so rot wie ihre Haare, verzogen sich zu einem Lächeln, als sie ihre Hand, an der zahlreiche Ringe blitzten, ausstreckte.
Sie sah aus, dachte Malory, als sei sie geradewegs einem äußerst sexy Märchen entsprungen.
»Willkommen, Miss Price. Was für ein faszinierendes Unwetter, allerdings sicher etwas Furcht erregend, wenn man unterwegs ist. Treten Sie ein.«
Die Hand war warm und fest, und mit sicherem Griff zog sie Malory ins Haus.
Die Halle war erleuchtet von einem Kronleuchter aus Kristall, das so fein wie gesponnener Zucker wirkte.
Auf dem Mosaikboden waren die Krieger vom Tor und zahlreiche andere mythologische Figuren dargestellt. Malory hätte sich am liebsten hingehockt und sie studiert, und als sie die Gemälde an den blassgelben Wänden sah, musste sie ein begeistertes Stöhnen unterdrücken.
»Ich freue mich sehr, dass Sie unserer Einladung Folge leisten konnten.« Die Frau musterte sie lächelnd und leicht amüsiert. Ihr Akzent klang irgendwie fremdländisch. »Ich bin Rowena. Kommen Sie, ich bringe Sie in den Salon, dort brennt ein gemütliches Feuer. Es ist zwar noch ein wenig früh im Jahr dafür, aber bei diesem Wetter schien es mir erforderlich zu sein. War die Fahrt hier herauf schwierig?«
»Anstrengend. Miss...?«
»Rowena. Einfach nur Rowena.«
»Rowena. Könnte ich mich vielleicht kurz frisch machen, bevor ich mich zu den anderen Gästen geselle?«
»Natürlich. Hier ist der Puderraum.« Sie wies auf eine Tür unter der geschwungenen Freitreppe. »Die erste Tür rechts führt in den Salon. Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Danke.« Malory schlüpfte durch die Tür. Puderraum war leicht untertrieben für die weitläufige, plüschige Räumlichkeit.
Die sechs Kerzen auf der Marmorplatte verströmten weiches Licht und einen undefinierbaren Duft. Burgunderrote Handtücher, die mit écrufarbener Spitze gesäumt waren, lagen zu beiden Seiten des großen Waschbeckens, dessen goldener Wasserhahn wie ein Schwan geformt war.
Hier stellte das Bodenmosaik eine Meerjungfrau dar, die auf einem Felsen saß, lächelnd auf das blaue Meer blickte und sich die leuchtend roten Haare kämmte.
Malory vergewisserte sich, dass sie die Tür abgeschlossen hatte und kniete sich hin, um die Arbeit zu studieren.
Großartig, dachte sie und fuhr mit den Fingerspitzen über die Steinchen. Sicherlich alt und dazu brillant ausgeführt.
Gab es etwas Mächtigeres als die Fähigkeit, Schönheit zu erschaffen?
Sie richtete sich wieder auf und wusch sich die Hände mit einer Seife, die schwach nach Rosmarin duftete. Dabei bewunderte sie die Ansammlung von Waterstones Nymphen und Sirenen, die an der Wand hingen. Schließlich holte sie ihre Puderdose aus der Tasche.
Für ihre Haare konnte sie nicht viel tun. Obwohl sie sie im Nacken mit einer Strassspange zusammengefasst hatte, hatten sich durch den Sturm zahlreiche dunkelblonde Locken gelöst. Aber es sah gleichzeitig kunstvoll und lässig aus, dachte sie, während sie sich die Nase puderte. Zwar nicht so elegant wie die Frisur der Rothaarigen, aber es stand ihr zumindest gut. Sie zog sich die Lippen nach und betrachtete zufrieden die blassrosa Farbe des Stiftes. Das war eine gute Investition gewesen. Zurückhaltende Farbtöne wirkten eben bei ihrem gesunden Aussehen am besten.
Für das Cocktailkostüm hatte sie viel zu viel Geld ausgegeben. Aber ein paar Schwächen konnte sich eine Frau schließlich zugestehen, verteidigte sie ihre Investition, während sie die schmalen Satinaufschläge zurechtzupfte. Außerdem passte das Ziegelblau gut zu ihrer Augenfarbe, und der figurbetonte Schnitt wirkte professionell und elegant. Sie schloss ihre Handtasche wieder, reckte das Kinn und sagte zu ihrem Spiegelbild: »Okay, Mal, dann tun wir mal was fürs Geschäft.«
Sie öffnete die Tür, wobei sie sich zwingen musste, nicht auf Zehenspitzen durch die Halle zu tippeln.
Ihre Absätze klackerten auf dem Fliesenboden. Das Geräusch hatte ihr schon immer gefallen. Es klang so energisch und weiblich.
Als sie durch den ersten Bogen in den Salon trat, keuchte sie fasziniert auf. So etwas hatte sie noch nie gesehen, weder in einem Museum noch irgendwo sonst. Liebevoll gepflegte Antiquitäten, deren Oberflächen wie Spiegel glänzten, Teppiche, Kissen und Vorhänge in warmen Farben bildeten den passenden Hintergrund für Gemälde und Skulpturen. Die gegenüberliegende Wand wurde von einem in Malachit eingefassten Kamin beherrscht, in den sie leicht mit ausgebreiteten Armen hineingepasst hätte. Mächtige Holzscheite prasselten darin und verbreiteten einen rotgoldenen Schein.
Die Frau hatte ausgesehen wie eine Märchengestalt, und das war die perfekte Umgebung für sie.
Am liebsten hätte sie sich stundenlang hier aufgehalten, versunken in die Betrachtung all dieser Wunder. Das unbehagliche Gefühl, das sie im Auto empfunden hatte, war längst vergessen.
»Ich habe fünf Minuten gebraucht, bis mir die Augen nicht mehr aus dem Kopf gekullert sind.«
Malory zuckte zusammen und drehte sich um. Sie hatte die Frau am Fenster noch gar nicht bemerkt.
Sie war brünett, mit dichten braunen Haaren, die zu einem schwungvollen Bob frisiert waren. Bestimmt zehn Zentimeter größer als Malory mit ihren einsfünfundsechzig, hatte sie die üppigen Formen, die zu ihrer Körpergröße passten. Sie trug eine enge schwarze Hose, ein knielanges Jackett und ein enges weißes Top.
Sie hielt eine Champagnerflöte in der Hand und streckte Malory die andere entgegen, während sie auf sie zutrat. Ihre großen Augen waren dunkelbraun und äußerst direkt. Sie hatte eine schmale, gerade Nase und ihr großzügig geschnittener Mund war ungeschminkt. Als sie lächelte, fielen Malory ihre Grübchen auf.
»Ich bin Dana. Dana Steele.«
»Malory Price. Nett, Sie kennen zu lernen. Ihr Jackett ist toll.«
»Danke. Ich war ganz schön erleichtert, als ich Sie kommen sah. Es ist ein irres Haus, aber ich fand es doch ein bisschen gespenstisch so allein. Immerhin ist es schon Viertel nach.« Sie tippte auf das Glas ihrer Armbanduhr. »Man sollte doch meinen, dass mittlerweile wenigstens ein paar von den anderen Gästen eingetroffen sind.«
»Wo ist denn die Frau, die mir die Tür aufgemacht hat? Rowena?«
Dana schürzte die Lippen und schaute zum Eingangsbogen. »Sie kommt und geht und sieht dabei toll und geheimnisvoll aus. Man hat mir gesagt, dass unser Gastgeber gleich zu uns stoßen wird.«
»Und wer ist unser Gastgeber?«
»Ich weiß genauso wenig wie Sie. Habe ich Sie nicht schon einmal gesehen?«, fügte Dana hinzu. »Im Valley?«
»Möglich. Ich manage die Galerie.« Zurzeit jedenfalls noch, dachte sie.
»Ja, genau. Ich war dort ein paar Mal auf Vernissagen. Und manchmal komme ich einfach so vorbei und schaue mich gierig um. Ich arbeite in der Bibliothek, in der Recherche.«
Sie drehten sich beide um, als Rowena eintrat.
»Wie ich sehe, haben Sie sich schon miteinander bekannt gemacht. Reizend. Was möchten Sie trinken, Miss Price?«
»Ich nehme das Gleiche wie Sie.«
»Perfekt.« Noch während sie sprach, trat ein Dienstmädchen ein mit einem Silbertablett, auf dem zwei Champagnerflöten standen. »Ich hoffe, Sie mögen die Canapés und fühlen sich ganz wie zu Hause.«
»Hoffentlich hält das Wetter nicht die anderen Gäste davon ab, es hierher zu schaffen«, warf Dana ein.
Rowena lächelte. »Ich bin sicher, dass in Kürze alle Gäste, die wir erwarten, beisammen sein werden. Wenn Sie mich bitte kurz entschuldigen wollen.«
»Das ist seltsam.« Dana griff nach einem Canapé und stellte fest, dass es mit Hummer belegt war. »Köstlich, aber seltsam.«
»Faszinierend.« Malory trank einen Schluck Champagner und fuhr mit den Fingern über die Bronzeskulptur einer Fee.
»Mir ist nach wie vor schleierhaft, warum ich eigentlich eine Einladung bekommen habe.« Da sie nun schon einmal dastanden, nahm sich Dana noch ein Canapé. »Niemand sonst in der Bibliothek hat eine gekriegt, jedenfalls soweit ich weiß. Beinahe wünsche ich mir, ich hätte meinen Bruder dazu überredet, mich zu begleiten. Er hat ein ganz gutes Gespür für Verarschung.«
Malory musste unwillkürlich grinsen. »Sie klingen gar nicht wie eine Bibliothekarin. Im Übrigen sehen Sie auch nicht wie eine aus.«
»Ich habe vor zehn Jahren all meine Laura-Ashley-Klamotten verbrannt«, erklärte Dana achselzuckend. Fast ein wenig gereizt trommelte sie mit den Fingerspitzen auf ihrem Glas herum. »Ich warte jetzt noch zehn Minuten, dann haue ich ab.«
»Wenn Sie gehen, gehe ich ebenfalls. Mir wäre es bei diesem Unwetter lieber, wenn ich auf dem Rückweg ins Tal hinter jemandem herfahren könnte.«
»Ja, mir auch.« Dana blickte stirnrunzelnd zum Fenster, wo der Regen an die Scheiben schlug. »Beschissener Abend. Und vorher ein extrem beschissener Tag. Dazu noch die weite Strecke hierher zu fahren und wieder zurück, nur um zwei Gläser Champagner und ein paar Canapés zu sich zu nehmen! Das ist die Krönung.«
»Finde ich genauso.« Malory trat auf das wundervolle Gemälde eines Maskenballes zu. Sie musste dabei unwillkürlich an Paris denken, obwohl sie dort bisher nur in ihren Träumen gewesen war. »Ich bin heute Abend nur hier, weil ich gehofft habe, ich könnte ein paar Kontakte für die Galerie knüpfen. Als Jobversicherung sozusagen«, fügte sie hinzu und hob spöttisch prostend ihr Glas. »Mein Job ist nämlich im Moment ziemlich gefährdet.«
»Meiner auch. Er ist wegen Etateinsparungen und Vetternwirtschaft auf fünfundzwanzig Stunden in der Woche zurückgeschraubt worden. Wie zum Teufel soll ich davon leben? Und mein Vermieter hat mir gerade angekündigt, dass er zum nächsten Ersten die Miete erhöhen will.«
»In meinem Auto klappert irgendwas - und ich habe das Geld für die Inspektion für diese Schuhe hier ausgegeben.«
Dana betrachtete sie und schürzte die Lippen. »Tolle Schuhe. Mein Computer hat heute früh den Geist aufgegeben.«
Amüsiert zog Malory die Augenbrauen hoch. »Ich habe die Frau meines Chefs Flittchen genannt - und danach habe ich noch Cappuccino über ihr Designerkostüm verschüttet.«
»Okay, Sie haben gewonnen.« Kameradschaftlich stieß Dana mit Malory an. »Was halten Sie davon, wenn wir die walisische Göttin aufspüren, um herauszukriegen, was hier eigentlich los ist?«
»Ist das der Akzent? Walisisch?«
»Klingt toll, nicht wahr? Aber wie auch immer, ich finde...«
Sie brach ab, als das Klappern hoher Absätze auf den Fliesen ertönte.
Das Erste, was Malory auffiel, waren die Haare. Sie waren schwarz und kurz, mit dicken Ponyfransen, die so grade abgeschnitten waren, als hätte man ein Lineal angelegt. Die großen goldbraunen Augen ließen sie erneut an Waterhouse und seine Nymphen denken. Sie hatte ein dreieckiges Gesicht, das vor Aufregung, Nervosität oder vielleicht auch nur exzellentem Make-up förmlich glühte.
Allerdings tippte Malory auf Nervosität, als sie sah, wie die Finger der Frau ihre kleine schwarze Abendtasche kneteten.
Sie trug ein knallrotes kurzes Kleid, das sich eng um ihre Aufsehen erregenden Kurven schmiegte und viel von ihren tollen Beinen zeigte. Die Absätze ihrer Schuhe waren sehr hoch und dünn.
»Hi.« Ihre Stimme klang atemlos. »Hmm. Sie hat gesagt, ich solle einfach eintreten.«
»Herzlich willkommen. Die Party besteht bisher nur aus mir, Dana Steele, und aus Malory Price.«
»Ich bin Zoe McCourt.« Sie trat vorsichtig einen Schritt vorwärts, als fürchtete sie, jemand könne ihr sagen, es sei alles ein Irrtum gewesen, und sie wieder ausladen. »Heilige Kuh! Das ist ja wie in einem Film hier. Wunderschön und alles, aber ich warte trotzdem darauf, dass jeden Moment dieser schaurige Typ im Smoking auftaucht.«
»Vincent Price? Nicht verwandt und nicht verschwägert«, sagte Malory grinsend. »Sie wissen vermutlich auch nicht mehr als wir.«
»Nein. Ich glaube, ich bin irrtümlich eingeladen worden, aber...« Sie brach ab und kicherte ein wenig, als ein Dienstmädchen mit einer weiteren Champagnerflöte auf einem Tablett eintrat. »Ah... danke.« Vorsichtig ergriff sie das Kristallglas. »Champagner. Es muss einfach ein Irrtum sein. Aber die Chance, das hier kennen zu lernen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. Wo sind die anderen?«
»Gute Frage.« Dana legte den Kopf schräg und beobachtete amüsiert, wie Zoe die Augen schloss und einen kleinen Schluck Champagner nippte. »Sind Sie aus dem Valley?«
»Ja. Na ja, ich wohne seit zwei Jahren da.«
»Drei Frauen«, murmelte Malory. »Kennen Sie sonst noch jemanden, der für heute Abend eine Einladung erhalten hat?«
»Nein. Ich habe sogar herumgefragt. Deshalb bin ich heute vermutlich auch gefeuert worden. Kann man sich einfach was zu essen nehmen?«
»Sie sind gefeuert worden?« Malory wechselte einen Blick mit Dana.
»Von Carly. Ihr gehört der Salon, in dem ich arbeite. Gearbeitet habe«, korrigierte sich Zoe und trat auf das Tablett mit den Canapés zu. »Sie hat gehört, wie ich mit einer meiner Kundinnen darüber geredet habe und ist sauer geworden. Mann, die schmecken ja toll.«
Ihre Stimme klang nicht mehr so atemlos, und jetzt, nachdem sie sich anscheinend entspannt hatte, entdeckte Malory ein leichtes Näseln.
»Na ja, Carly hatte mich schon seit Monaten auf dem Kieker, und dass sie keine Einladung gekriegt hat, hat ihr wahrscheinlich den Rest gegeben.« Sie runzelte die Stirn, und ihre goldbraunen Augen begannen zu glitzern, als sie sich noch ein Canapé nahm. »Sie hat gemeinerweise behauptet, in der Kasse fehlten zwanzig Dollar. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gestohlen. Die blöde Schlampe!«
Sie trank wieder einen Schluck Champagner. »Und dann hat sie mich einfach rausgeschmissen. Na ja, egal. Mir macht es nichts aus, ich kriege schon wieder einen Job. Ich habe es sowieso gehasst, da zu arbeiten. Himmel.«
Aber es machte ihr doch etwas aus, dachte Malory. In ihren Augen stand ebenso viel Furcht wie Wut, und es war ihr offensichtlich keineswegs so egal, wie sie behauptete. »Sie sind Friseurin.«
»Ja. Haar- und Hautberaterin, wenn Sie es genau wissen wollen. Eigentlich bin ich nicht der Typ, um auf so schicke Partys in so schicken Häusern eingeladen zu werden, also ist es wahrscheinlich wirklich ein Irrtum.«
Nachdenklich schüttelte Malory den Kopf. »Ich glaube nicht, dass jemand wie Rowena sich jemals irrt.«
»Na, ich weiß nicht. Ich wollte ja eigentlich nicht kommen. Aber dann habe ich mir gedacht, es heitert mich vielleicht auf. Nur mein Auto ist mal wieder nicht angesprungen, und ich musste mir den Wagen des Babysitters leihen.«
»Sie haben ein Baby?«, fragte Dana.
»Er ist kein Baby mehr. Simon ist neun. Er ist toll. Ich würde mir ja keine Gedanken um den Job machen, aber ich habe ein Kind zu ernähren. Und ich habe die verdammten zwanzig Dollar nicht gestohlen - noch nicht einmal zwanzig Cents. Ich bin keine Diebin.«
Sie rang um Fassung und wurde scharlachrot. »Entschuldigung. Es tut mir Leid. Vermutlich löst mir der Champagner die Zunge.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.« Dana streichelte kurz Zoes Arm. »Wollen Sie etwas Seltsames hören? Mein Job und mein Gehalt gehen auch gerade den Bach runter, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Und Malory glaubt auch, dass sie demnächst gefeuert wird.«
»Wirklich?« Zoe staunte die beiden anderen Frauen mit großen Augen an. »Das ist ja blöd.«
»Und niemand, den wir kennen, ist heute Abend hier eingeladen.« Malory warf einen misstrauischen Blick zur Tür und senkte die Stimme. »So wie es aussieht, sind wir die gesamte Gästeschar.«
»Ich bin Bibliothekarin, Sie sind Friseurin und Malory leitet eine Kunstgalerie. Was haben wir gemeinsam?«
»Wir haben keine Arbeit.« Malory runzelte die Stirn. »Oder stehen jedenfalls kurz davor. Das alleine ist schon komisch, wenn man bedenkt, dass im Valley ungefähr fünftausend Menschen wohnen. Wie kommt man da gerade auf drei Frauen, die in beruflicher Hinsicht alle am selben Tag in derselben Stadt beruflich vor die Wand laufen? Wir sind alle drei aus Valley, alle drei weiblich und ungefähr im gleichen Alter, oder? Ich bin achtundzwanzig.«
»Siebenundzwanzig«, sagte Dana.
»Sechsundzwanzig, siebenundzwanzig im Dezember.« Zoe erschauerte. »Das ist wirklich seltsam.« Erschreckt riss sie die Augen auf und blickte auf ihr halb leeres Champagnerglas. Hastig stellte sie es ab. »Ihr glaubt doch nicht, dass sie uns etwas da hineingetan haben?«
»Ich nehme nicht an, dass wir unter Drogen gesetzt und als weiße Sklavinnen verkauft werden«, erwiderte Dana trocken, stellte aber ihr Glas ebenfalls ab. »Es gibt doch Leute, die wissen, dass wir hier sind, oder? Mein Bruder weiß es, und ein paar Leute im Büro auch.«
»Mein Chef und seine Frau. Deine Ex-Chefin«, sagte Malory zu Zoe. »Dein Babysitter. Außerdem sind wir hier in Pennsylvania, du meine Güte, und nicht in, ach, ich weiß nicht, Zimbabwe oder so.«
»Ich würde sagen, wir suchen die geheimnisvolle Rowena und lassen uns ein paar Antworten geben. Wir bleiben zusammen, okay?« Dana nickte Malory und Zoe zu.
Zoe schluckte. »Süße, ich bin deine neue beste Freundin.« Zur Bekräftigung ergriff sie Danas und auch Malorys Hand.
»Wie reizend, Sie kennen zu lernen.«
Die Frauen hielten sich immer noch an den Händen, als sie sich zu dem Mann, der im Türbogen stand, umdrehten.
Lächelnd trat er näher. »Willkommen in Warrior’s Peak.«
2
Einen Moment lang dachte Malory, einer der Krieger vom Tor sei lebendig geworden. Sein Gesicht war genauso männlich und edel geschnitten, und er hatte denselben kräftigen Körperbau. Seine Haare, schwarz wie der Sturm, fielen wellig um das kantige Gesicht.
Seine Augen waren mitternachtsblau. Es ging eine Kraft von ihnen aus, die ihre Haut prickeln ließ.
Sie war nicht ängstlich, im Gegenteil, aber das Unwetter, das Haus und dieser durchdringende Blick gaben ihr das Gefühl, er könne bis auf den Grund ihrer Seele sehen.
Dann jedoch wandte er den Blick ab, und der Moment war vorüber.
»Mein Name ist Pitte. Ich danke Ihnen, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren.«
Er ergriff Malorys Hand und zog sie an seine Lippen. Sie waren kühl, und die Geste wirkte höfisch und würdevoll zugleich. »Miss Price.« Malory spürte, wie Zoes Finger in ihrer anderen Hand schlaff wurden. Der Mann trat zu ihr und ergriff auch ihre Hand. »Miss McCourt.« Und Danas. »Miss Steele.«
Ein krachender Donner ließ Malory zusammenzucken, und sie tastete wieder nach Zoes Hand. Er war doch nur ein Mann, sprach sie sich Mut zu. Es war nur ein Haus. Und irgendjemand musste jetzt die Situation wieder normal werden lassen.
»Sie haben ein interessantes Haus, Mr. Pitte«, brachte sie mühsam hervor.
»Ja. Wollen Sie sich nicht setzen? Ah, Rowena. Sie haben meine Gefährtin bereits kennen gelernt.« Er nahm Rowena, die an seine Seite trat, am Arm.
Sie passten zusammen wie zwei Hälften einer Münze, dachte Malory.
»Am besten setzen wir uns ans Feuer.« Rowena machte eine einladende Geste. »Es ist eine so ungemütliche Nacht, da sollten wir uns zumindest hier wohl fühlen.«
»Ich glaube, wir würden uns wohler fühlen, wenn wir wüssten, was hier vor sich geht.« Dana stellte sich entschlossen in Positur. »Warum wir hierher gebeten wurden.«
»Gewiss. Aber am Kamin ist ein Gespräch am angenehmsten. Es geht nichts über guten Champagner, nette Unterhaltung und ein prasselndes Feuer an einem stürmischen Abend. Sagen Sie mir, Miss Price, was halten Sie denn bisher von unserer Kunstsammlung?«
»Sie ist beeindruckend. Äußerst eklektisch.« Malory ließ sich von Rowena zu einem Sessel am Kamin führen. »Sie haben sicher viel Zeit darauf verwendet.«
Rowena lachte perlend. »O ja, sehr viel. Pitte und ich lieben Schönheit in all ihren Ausdrucksformen. Man könnte sogar sagen, wir beten sie an. Aber Sie ja offensichtlich auch, wenn man Ihren Beruf bedenkt.«
»Kunst ist für mich das Höchste.«
»Ja. Sie ist das Licht in jedem Schatten. Pitte, wir müssen Miss Steele unbedingt die Bibliothek zeigen, bevor der Abend vorbei ist. Ich denke, sie gefällt Ihnen.« Nebenbei gab sie dem Diener, der mit einem Kristallkübel für die Champagnerflasche eintrat, einen Wink. »Was wäre die Welt ohne Bücher?«
»Bücher sind die Welt.« Neugierig, aber auch vorsichtig, setzte sich Dana.
»Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor.« Zoe blieb unschlüssig stehen. »Ich verstehe nichts von Kunst, jedenfalls nichts von echter Kunst. Und Bücher... na ja, ich lese zwar, aber...«
»Bitte, setzen Sie sich doch.« Pitte nötigte sie, in einem Sessel Platz zu nehmen. »Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Ich hoffe, Ihrem Sohn geht es gut?«
Zoe erstarrte, und ihre goldbraunen Augen wurden hell wie die eines Tigers. »Ja, Simon geht es gut.«
»Mutterschaft ist auch eine Art von Kunst, finden Sie nicht, Miss McCourt? Eine Mutter erschafft eins der grundlegendsten, bedeutendsten Kunstwerke, und dazu ist besonders viel Herz und Wert erforderlich.«
»Haben Sie Kinder?«
»Nein. Dieses Geschenk ist mir leider verwehrt geblieben.« Er streifte Rowenas Hand, dann erhob er sein Glas. »Auf das Leben und alle seine Geheimnisse.« Seine Augen blitzten über den Rand des Glases. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Niemand hier wünscht Ihnen etwas anderes als Gesundheit, Glück und Erfolg.«
»Warum?«, wollte Dana wissen. »Sie kennen uns doch gar nicht, auch wenn Sie viel mehr über uns zu wissen scheinen als wir über Sie.«
»Sie sind eine Suchende, Miss Steele. Eine intelligente, direkte Frau, die nach Antworten sucht.«
»Die ich allerdings meistens nicht bekomme.«
Er lächelte. »Es ist meine größte Hoffnung, dass Sie alle Antworten finden werden. Für den Anfang möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Mir scheint, es ist eine Nacht für Geschichten.«
Er lehnte sich zurück. Seine Stimme war, ebenso wie Rowenas, melodiös und kräftig und wirkte leicht exotisch. Die perfekte Stimme, um in stürmischen Nächten Geschichten zu erzählen, dachte Malory.
Sie entspannte sich ein wenig, schließlich hatte sie doch sowieso nichts Wichtigeres zu tun, als in einem fantastischen Haus an einem knisternden Kaminfeuer zu sitzen, Champagner zu trinken und einem seltsamen, gut aussehenden Mann zu lauschen.
Das war tausendmal besser, als sich eine Pizza nach Hause zu bestellen, vor allem, wenn sie an ihr Konto dachte.
Und wenn sie das Haus besichtigen und sie Pitte in die Galerie locken könnte, damit er seine Kunstsammlung erweiterte, dann könnte sie vielleicht sogar ihren Job retten.
Malory lehnte sich ebenfalls in ihrem Sessel zurück und beschloss, den Abend zu genießen.
»Vor langer Zeit lebte in einem Land mit hohen Bergen und weiten Wäldern ein junger Gott. Er war das einzige Kind seiner Eltern, die ihn sehr liebten. Er besaß ein hübsches Gesicht und war stark an Herz und Körper. Eines Tages sollte er der Herrscher sein, wie sein Vater vor ihm, und so wurde er dazu erzogen, Gott-König zu werden, kühl in seinem Urteil und rasch in den Handlungen.
Es herrschte Frieden in dieser Welt, da die Götter dorthin gekommen waren. Es gab Schönheit, Musik und Kunst, Geschichten und Tanz. Soweit die Erinnerung reichte, und das Gedächtnis eines Gottes ist unendlich, gab es an diesem Ort nur Gleichgewicht und Harmonie.«
Er schwieg, um einen Schluck Champagner zu trinken, und musterte sie der Reihe nach. »Hinter dem Vorhang der Macht, durch den Schleier des Vorhangs der Träume, schauten sie auf die Welt der Sterblichen. Geringere Götter durften sich mit den Sterblichen vermischen, und so entstanden Feen und Kobolde, Elfen und andere Zauberwesen. Manche fanden die Welt der Sterblichen mehr nach ihrem Geschmack und bevölkerten sie. Einige erlagen natürlich auch den Mächten in dieser Welt und wandten sich dunkleren Wegen zu. So ist es eben, selbst in der Natur von Göttern.«
Pitte beugte sich vor, um sich einen dünnen Cracker mit Kaviar zu nehmen.
»Sie alle kennen Geschichten über Magie und Hexerei, Märchen und Fantasien. Haben Sie schon einmal überlegt, Miss Steele, da Sie ja eine der Hüterinnen von Geschichten und Büchern sind, wie solche Erzählungen Teil einer Kultur werden und aus welchen Quellen der Wahrheit sie entspringen? Es geht stets darum, jemandem oder etwas eine Macht zu verleihen, die größer ist als unsere eigene. Unser Bedürfnis nach Helden, Bösewichten und Romantik wird dadurch gespeist.« Dana zuckte mit den Schultern, obwohl sie das Thema eigentlich faszinierte. »Wenn zum Beispiel König Artus als kriegerischer König wirklich existierte, wie viele Wissenschaftler glauben, dann ist doch sein Bild viel mitreißender und potenter, wenn wir ihn in Camelot mit Merlin sehen. Wenn er mit Hilfe von Zauberei gezeugt wurde und als Junge zum König gekrönt wurde, weil er ein magisches Schwert aus einem Felsen gezogen hat.«
»Ich liebe diese Geschichte«, warf Zoe ein. »Na ja, abgesehen vom Ende vielleicht. Das kam mir so unfair vor. Aber ich glaube...«
»Bitte.« Pitte machte eine auffordernde Geste. »Fahren Sie fort.«
»Nun, ich glaube irgendwie, dass es Zauberei vielleicht früher gegeben hat, bevor wir uns durch unsere Bildung daraus gelöst haben. Ich meine nicht, dass Bildung schlecht ist«, fügte sie rasch hinzu, wobei sie sich verlegen wand, weil alle sie ansahen. »Ich meine nur, dass wir die Magie, äh, weggeschlossen haben, weil wir logische und wissenschaftliche Antworten auf alles haben wollten.«
»Gut gesprochen.« Rowena lächelte. »Ein Kind steckt häufig seine Spielsachen ganz weit hinten in den Schrank und vergisst ihren Zauber, wenn es erwachsen wird. Glauben Sie an Wunder, Miss McCourt?«
»Ich habe einen neunjährigen Sohn«, erwiderte Zoe. »Und ich muss ihn nur anschauen, um an Wunder zu glauben. Nennen Sie mich doch bitte Zoe.«
Rowenas Gesicht erhellte sich. »Danke. Pitte?«
»Ach ja, ich wollte weitererzählen. Wie es die Tradition vorschrieb, wurde der junge Mann, als er volljährig war, für eine Woche hinter den Vorhang geschickt. Er sollte sich unter den Sterblichen bewegen, ihre Schwächen und Stärken, ihre Tugenden und Fehler studieren. Da geschah es, dass er einer jungen Frau begegnete, einem Mädchen von großer Schönheit und Tugend. Und als er sie sah, begehrte er sie, und das Begehren verwandelte sich in Liebe. Obwohl sie ihm nach den Regeln seiner Welt versagt war, sehnte er sich nach ihr. Er wurde lustlos, ruhelos und unglücklich. Er wollte weder essen noch trinken, und an keiner der jungen Göttinnen, die ihm angeboten wurden, fand er Gefallen. Als seine Eltern merkten, wie niedergeschlagen ihr Sohn war, gaben sie nach. Sie konnten ihr Kind nicht in die Welt der Sterblichen gehen lassen, aber sie brachten das Mädchen in ihre Welt.«
»Sie haben sie entführt?«, unterbrach Malory ihn.
»Das hätten sie tun können.« Rowena füllte erneut die Gläser. »Aber Liebe kann man nicht stehlen. Sie wird gewährt. Und der junge Gott wünschte sich Liebe.«
»Hat er sie bekommen?«, fragte Zoe.
»Das sterbliche Mädchen wählte die Liebe und gab ihre Welt für seine auf.« Pitte legte die Hände auf seine Knie. »Zorn herrschte in der Welt der Götter, in der Welt der Sterblichen und in der mystischen Halbwelt der Feen. Kein Sterblicher hatte je den Vorhang durchdringen dürfen. Diese grundlegende Regel war jedoch jetzt gebrochen worden, eine sterbliche Frau war in die Welt der Götter eingedrungen und sollte ihren zukünftigen König heiraten und bei ihm liegen, und das aus keinem wichtigeren Grund als der Liebe.«
»Was ist denn wichtiger als die Liebe?«, fragte Malory. Pitte warf ihr einen langen, ruhigen Blick zu.
»Manche würden meinen, nichts, andere würden meinen, Ehre, Wahrheit, Treue. Das wurde auch gesagt, und zum ersten Mal seit Göttergedenken gab es Uneinigkeit und Rebellion. Das Gleichgewicht war erschüttert. Der junge Gott-König, der jetzt gekrönt war, war jedoch stark und ertrug es. Und das sterbliche Mädchen war wunderschön und aufrichtig. Einige änderten ihre Meinung und akzeptierten sie, andere jedoch verschworen sich im Geheimen gegen sie.«
Seine Stimme klang jetzt zornig, und der kämpferische Ausdruck in seinem Gesicht ließ Malory erneut an die steinernen Krieger denken.
»Schlachten, die offen geführt wurden, konnten niedergeschlagen werden, wirklich gefährlich jedoch waren die Kämpfe hinter verschlossenen Türen, und sie nagten am Fundament der Welt.
Ein günstiger Umstand war, dass die Gemahlin des Gott-Königs drei Kinder zur Welt brachte, drei Töchter, Halbgöttinnen mit sterblichen Seelen. Bei ihrer Geburt gab ihr Vater jeder von ihnen ein Edelsteinamulett zum Schutz. Sie lernten, sowohl in der Welt ihres Vaters als auch in der ihrer Mutter zu leben. Ihre Schönheit und ihre Unschuld besänftigten zahlreiche Herzen und änderten die Einstellung vieler. Einige Jahre lang herrschte Frieden. Die Töchter wuchsen zu jungen Frauen heran, die einander herzlich zugetan waren. Sie ergänzten einander vortrefflich.«
Er schwieg wieder, als müsse er sich sammeln. »Sie taten niemandem etwas zu Leide, brachten nur Licht und Schönheit in beide Welten. Doch es blieben Schatten, weil manche begehrten, was nur sie hatten. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wurden sie durch Hexerei in die Halbwelt gebracht. Der Zauber hielt sie in ewigem Schlaf, einem lebenden Tod, gefangen. Schlafend wurden sie wieder durch den Vorhang gebracht, ihre sterblichen Seelen in einem Kasten mit drei Schlössern verschlossen. Nicht einmal die Macht ihres Vaters konnte die Schlösser aufbrechen. Und bis sich die Schlüssel einer nach dem anderen drehen, sind die Töchter in einem Zauberschlaf gefangen, und ihre Seelen weinen in einem Gefängnis aus Glas.«
»Wo sind die Schlüssel?«, fragte Malory. »Und warum kann der Kasten nicht durch einen Zauberspruch geöffnet werden, schließlich wurde er ja auch durch einen verschlossen?«
»Wo sie sind, ist ein Rätsel. Es ist mit vielen Zaubersprüchen versucht worden, den Kasten zu öffnen, aber sie alle haben versagt. Die Seelen sind sterblich, und nur sterbliche Hände können die Schlüssel drehen.«
»Auf meiner Einladung stand, ich sei der Schlüssel.« Malory blickte Dana und Zoe an, und die beiden Frauen nickten bestätigend. »Was haben wir mit einer mythologischen Legende zu tun?«
»Ich muss Ihnen etwas zeigen.« Pitte stand auf und wies auf den Türbogen. »Ich denke, es interessiert Sie.«
»Das Unwetter wird schlimmer.« Zoe warf einen misstrauischen Blick auf das Fenster. »Ich muss langsam nach Hause fahren.«
»Bitte, machen Sie mir die Freude.«
»Wir fahren alle zusammen.« Malory drückte Zoes Arm beruhigend. »Lass uns nur zuerst einmal sehen, was er uns zeigen will. Ich hoffe, Sie laden mich noch einmal ein«, fuhr sie fort, während sie zu Pitte und Rowena trat, die bereits an der Tür standen. »Ich würde sehr gerne mehr von Ihrer Kunstsammlung sehen und mich gerne revanchieren, indem ich Ihnen die Galerie zeige.«
»Sie sind uns jederzeit willkommen.« Pitte ergriff ihren Arm und führte sie durch die große Halle. »Es wäre ein Vergnügen für Rowena und mich, mit jemandem über unsere Sammlung zu sprechen, der sie versteht und schätzt.«
Er ging auf einen weiteren Türbogen zu. »Ich hoffe, dass Sie auch dieses Stück unserer Sammlung verstehen und schätzen.«
Über einem Kamin, in dem ein Feuer prasselte, hing ein Gemälde, das beinahe bis an die Decke reichte.
Die Farben waren so lebhaft, der Stil so kühn und stark, dass Malorys kunstliebendes Herz einen Satz machte. Es war ein Porträt von drei wunderschönen jungen Frauen in fließenden Gewändern, eins saphirblau, eins rubinrot und eins smaragdgrün. Die Frau in Blau, der goldene Locken bis zur Taille fielen, saß auf einer halbrunden Bank an einem Teich. Sie hielt eine kleine, goldene Harfe in der Hand.
Auf den silbernen Fliesen zu ihren Füßen saß das Mädchen in Rot, mit Docke und Spindel im Schoß. Eine Hand hatte sie auf das Knie ihrer Schwester - und Schwestern waren es bestimmt - gelegt. Neben ihnen stand das Mädchen in dem grünen Gewand, einen dicken schwarzen Welpen in der Armbeuge und ein kurzes Silberschwert an der Hüfte. Um sie herum wucherten üppig Blumen.
Glänzende Früchte hingen an den Ästen der Bäume, und am strahlend blauen Himmel tummelten sich Vögel und Feen.
Fasziniert trat Malory auf das Bild zu. Ihr Herz machte noch einen Satz. Das Mädchen in Blau hatte ihr Gesicht.
Sie ist jünger, dachte sie und verharrte fasziniert. Und viel schöner als ich. Die Haut strahlte, die Augen waren tiefer blau und die Haare üppiger und lockiger. Aber sie sah ihr auffallend ähnlich, genau wie die beiden anderen Mädchen auf dem Gemälde den anderen Frauen ähnlich sahen.
»Eine großartige Arbeit. Ein Meisterwerk«, sagte Malory und wunderte sich darüber, wie ruhig ihre Stimme klang. In ihren Ohren rauschte es.
»Sie sehen aus wie wir.« Staunend trat Zoe neben Malory. »Wie kann das sein?«
»Gute Frage.« Dana klang misstrauisch. »Wieso haben wir drei als Modell gedient, für ein Gemälde, das doch offensichtlich die drei Schwestern aus der Geschichte darstellt?«
»Es wurde gemalt, bevor Sie auf der Welt waren. Bevor Ihre Eltern, Ihre Großeltern und die, die sie gezeugt haben, geboren waren.« Rowena nickte. »Das Alter des Gemäldes kann man durch Tests prüfen. Das ist doch richtig, Malory, oder?«
»Ja. Man kann das ungefähre Alter nachweisen, aber Sie haben Danas Frage nicht beantwortet.«
Rowena lächelte zustimmend und amüsiert zugleich. »Nein, ich habe sie nicht beantwortet. Was sehen Sie sonst noch auf dem Bild?«
Malory griff in ihre Tasche und holte eine schwarz gerahmte Brille mit viereckigen Gläsern hervor. Sie setzte sie auf und studierte das Gemälde gründlich.
»Ein Schlüssel, in der rechten Ecke des Himmels. Er sieht aus wie ein Vogel, bis man ihn genauer betrachtet. Dort, auf dem Ast des Baumes, fast von Früchten und Blättern verborgen, ist ein zweiter. Und der dritte, kaum sichtbar unter der Oberfläche des Teiches. In den Bäumen ist ein Schatten, in der Form eines Mannes oder vielleicht auch einer Frau. Ein Hinweis auf etwas Dunkles, das sie beobachtet. Ein weiterer Schatten, der gerade unter die Silberfliesen gleitet. Eine Schlange. Ah, und hier im Hintergrund.«
Sie verlor sich in der Betrachtung des Bildes. »Da ist ein Paar - ein Mann und eine Frau, die sich umarmen. Die Frau trägt die purpurfarbene Robe, die einen gewissen Rang symbolisiert. Der Mann ist wie ein Soldat, ein Krieger, gekleidet. Im Baum über ihnen sitzt ein Rabe, der Vorbote drohenden Unheils. Der Himmel ist hier auch dunkler, mit Blitzen. Eine Bedrohung, von der die Schwestern nichts ahnen. Sie blicken nach vorne. Ihre Kronen glitzern in dem Sonnenlicht, das den ganzen vorderen Bereich erhellt. Es ist eine freundliche, liebevolle Atmosphäre um sie, und die weiße Taube hier, am Ufer des Teiches, ist ihre Reinheit. Jede trägt ein Amulett, in gleicher Form und Größe, und der Edelstein in der Mitte strahlt in der Farbe des jeweiligen Kleides. Sie sind eine Einheit und doch Individuen. Es ist ein großartiges Werk. Man kann sie beinahe atmen sehen.«
»Sie beobachten genau.« Pitte berührte Rowenas Arm, während er Malory zunickte. »Es ist das beste Bild unserer Sammlung.«
»Und trotzdem haben Sie unsere Frage noch nicht beantwortet«, warf Dana ein.
»Magie konnte den Zauber nicht brechen, der die Seelen der Töchter des Königs in einem Glaskasten einschloss. Zauberer wurden gerufen, Hexenmeister und Hexen aus aller Welt. Aber der Fluch konnte nicht gelöst werden. Also wurde ein weiterer Zaubervers ausgesprochen. Auf dieser Welt werden in jeder Generation drei Frauen geboren. Sie kommen an einem Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammen. Es sind keine Schwestern, es sind keine Göttinnen, sondern sterbliche Frauen. Und nur sie können die unschuldigen Seelen befreien.«
»Und wir sollen Ihnen glauben, dass wir diese Frauen sind?« Dana zog die Augenbrauen hoch. In ihrer Kehle prickelte es, aber wie Lachen fühlte es sich nicht an. »Dass wir nur zufällig so aussehen wie die Frauen auf diesem Bild?«
»Nichts geschieht zufällig. Und ob Sie es glauben oder nicht, ändert nur wenig.« Pitte hob die Arme und streckte die Hände aus. »Sie sind erwählt, und ich habe die Aufgabe, es Ihnen zu sagen.«
»Nun, Sie haben es uns gesagt, also...«
»Und Ihnen dieses Angebot zu machen«, fuhr er fort, bevor Dana ihren Satz zu Ende bringen konnte. »Jede von Ihnen wird nacheinander eine Mondphase zur Verfügung haben, um einen der drei Schlüssel zu finden. Wenn es der Ersten innerhalb der achtundzwanzig Tage nicht gelingt, ist die Angelegenheit erledigt. Hat die Erste Erfolg, beginnt die Zeit der Zweiten. Wenn jedoch die Zweite innerhalb dieser Zeitspanne versagt, ist die Sache beendet. Erst wenn alle drei Schlüssel hierher gebracht wurden, bevor die dritte Mondphase vorüber ist, bekommen Sie eine Belohnung.«
»Was für eine Belohnung?«, fragte Zoe.
»Jede von Ihnen erhält eine Million Dollar.«
»Ich fasse es nicht«, schnaubte Dana. Dann musterte sie ihre beiden Gefährtinnen. »Also wirklich, meine Lieben. Das ist doch Betrug. Es ist leicht für ihn, verbal mit Geld um sich zu werfen, während wir drei Schlüsseln hinterherjagen, die es überhaupt nicht gibt.«
»Und wenn es sie doch gibt?« Zoes Augen glitzerten. »Möchtest du dann nicht auch eine Chance haben, sie zu finden? Für so viel Geld?«
»Was für eine Chance? Die Welt ist groß. Wie willst du da einen kleinen goldenen Schlüssel finden?«
»Jede von Ihnen erhält zu ihrer Zeit einen Hinweis.« Rowena wies auf eine kleine Truhe. »Das können wir jedoch nur tun, wenn alle einwilligen. Sie wollen vielleicht zusammenarbeiten, ja, wir hoffen sogar, dass Sie es möchten. Sie müssen jedoch alle einverstanden sein. Wenn nur eine ablehnt, dann klappt es nicht. Wenn alle die Herausforderung und die Bedingungen annehmen, erstatten wir jeder von Ihnen zehntausend Dollar. Die bleiben Ihnen, gleichgültig, ob Sie Erfolg haben oder nicht.«
»Warten Sie.« Malory hob die Hand und setzte ihre Brille ab. »Warten Sie«, wiederholte sie. »Wollen Sie damit sagen, dass jede von uns zehn Riesen verdient, wenn wir uns lediglich auf die Suche nach den Schlüsseln begeben? Einfach so?«
»Die Summe wird Ihnen auf ein Konto Ihrer Wahl überwiesen. Auf der Stelle«, erklärte Pitte.
»O mein Gott.« Zoe schloss die Augen. »O mein Gott«,
Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel»Key of Knowledge« bei Jove Books, The Berkeley Publishing Group, a division of Penguin Group (USA) Inc.
 
 
Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House.
 
1. Auflage Taschenbuchausgabe September 2004
Copyright © der Originalausgabe 2003 by Nora Roberts Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004
by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Published by arrangement with Eleanor Wilder Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, Garbsen. Umschlagfoto: T. Ebert Titelnummer: 35858 Lektorat: Maria Dürig Redaktion: Petra Zimmermann Herstellung: Heidrun Nawrot
eISBN : 978-3-641-02135-1
www.blanvalet-verlag.de
 
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