Verborgene Wahrheiten (2) - Jae - E-Book

Verborgene Wahrheiten (2) E-Book

Jae

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Beschreibung

Zwischen Pflicht, Leidenschaft und Wahrheit: Wird die Liebe siegen? Oregon, 1868: Als Rancherstochter Amy sich in Rika, die Verlobte des Vorarbeiters, verliebt, versucht sie, ihre Gefühle zu verheimlichen. Doch als unerwarteter Besuch von zwei alten Freundinnen auf der Ranch eintrifft, wird das immer schwieriger, denn nun müssen sich Amy und Rika das Bett teilen. Es dauert nicht lange, bis all die verborgenen Wahrheiten der Hamiltons ans Licht kommen. Plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Wird die Familie zerbrechen oder wird schlussendlich doch die Liebe siegen?

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Seitenzahl: 391

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Von Jae außerdem lieferbar

VORWORT DER AUTORIN

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 21. Mai 1868

Keeney Pass, Oregon 24. Mai 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 31. Mai 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 5. Juni 1868

The Dalles, Oregon 9. Juni 1868

Willamette Valley, Oregon 21. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 21. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 22. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 22. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 22. Juni 1868

Molalla River, Oregon 22. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 22. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 24. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 25. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. Juni 1868

Willamette Valley, Oregon 27. Juni 1868

Baker Prairie, Oregon 27. Juni 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 27. Juni 1868

Baker Prairie, Oregon 4. Juli 1868

Baker Prairie, Oregon 5. Juli 1868

Baker Prairie, Oregon 25. Juli 1868

Sharpe Pferderanch Baker Prairie, Oregon 8. August 1868

Baker Prairie, Oregon 5. September 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 13. September 1868

Baker Prairie, Oregon 19. September 1868

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 26. September 1868

EPILOG Baker Prairie, Oregon 27. April 1871

Über Jae

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

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Von Jae außerdem lieferbar

Tintenträume

Ein Happy End kommt selten allein

Alles nur gespielt

Aus dem Gleichgewicht

Hängematte für zwei

Herzklopfen und Granatäpfel

Vorsicht, Sternschnuppe

Cabernet & Liebe

Die Gestaltwandler-Serie:

Vollmond über Manhattan

Die Hollywood-Serie:

Liebe à la Hollywood

Im Scheinwerferlicht

Affäre bis Drehschluss

Die Portland-Serie:

Auf schmalem Grat

Rosen für die Staatsanwältin

Die Serie mit Biss:

Zum Anbeißen

Coitus Interruptus Dentalis

Fair-Oaks-Serie:

Perfect Rhythm – Herzen im Einklang

Beziehung ausgeschlossen

Oregon-Serie:

Westwärts ins Glück (Bd. 1 & 2)

Angekommen im Glück

Verborgene Wahrheiten (Bd. 1 & 2)

VORWORT DER AUTORIN

In Band 1 von Verborgene Wahrheiten ist die ehemalige Fabrikarbeiterin Rika nach Oregon gereist, um dort den Vorarbeiter der Hamiltons zu heiraten. Aber will sie das überhaupt noch, nachdem sie Amy, die älteste Tochter der Familie, kennengelernt hat?

Diese Frage wird in Band 2 beantwortet.

Viele spannende Lesestunden auf der Hamilton-Ranch wünscht

Jae

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 21. Mai 1868

Nora stieß die Tür der Schlafbaracke auf. »Wo ist er?«

Spielkarten fielen zu Boden, als Kit und Emmett versuchten, sie zu verstecken.

Nora beachtete sie nicht. Sie wusste, dass Luke Glücksspiel nicht guthieß, aber im Moment war es nicht so wichtig.

»Wer?« Hank erhob sich von seinem schmalen Etagenbett.

Nora trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen die Tür. »Adam, natürlich.«

Ein Grinsen huschte über Hanks verwittertes Gesicht. »Im Schweinestall.«

»Du hast ihn im Schweinestall gelassen? Allein?«

»Nein. Miss Callaghan steht Wache. Ich wollte sie nicht mit Adam allein lassen, aber sie hat darauf bestanden. Sie hat Papiere, die besagen, dass sie ein Eisenbahnmarshal ist.« Hank zuckte mit den Schultern, als wüsste er nicht, was er von Frankie halten sollte.

Die Tür der Schlafbaracke fiel hinter Nora zu. Sie raffte ihre Röcke mit einer Hand, nahm die Laterne mit der anderen und marschierte zum Schweinestall.

Der Lichtkegel fiel auf Frankie, die auf dem obersten Balken des Korralzauns saß und an einem Stück Holz herumschnitzte.

Luke schnitzte ebenfalls, um sich die Zeit zu vertreiben oder sich zu beruhigen.

Als Nora Frankie musterte, fielen ihr weitere Ähnlichkeiten auf: die Kraft in den braun gebrannten Händen, die ruhigen, selbstbewussten Bewegungen und der Respekt in ihren Augen, als sie Nora ansah. Hatte Tess sich in Frankie verliebt, weil sie Luke ähnelte? Manchmal hatte Nora das Gefühl, dass mehr als nur Freundschaft zwischen Tess und Luke gewesen war und die beiden nicht nur das Bett geteilt hatten. Sie könnte es Tess nicht verübeln. Auch sie hatte nicht anders gekonnt, als sich in Luke zu verlieben.

Doch dann rief Frankie ihr einen Gruß zu und kletterte vom Zaun. Während Luke sicher breitbeinig gelandet wäre, sprang Frankie mit leichtfüßiger Eleganz zu Boden. Sie trug nun wieder eine Hose, bewegte sich aber dennoch, als hätte sie ein Kleid an.

»Du hättest Adam unseren Männern überlassen können«, sagte Nora. »Nach der langen Reise bist du sicher erschöpft. Du musst nicht vor einem Schweinestall Wache stehen.«

»Das macht mir nichts aus. Ich bin es gewohnt.« Frankie grinste schelmisch. »Nun ja, vielleicht nicht daran, dass der Schweinestall als Zelle benutzt wird, aber ich habe schon oft Gefangene bewacht.«

Nora hatte immer angenommen, dass nur Lukes Verkleidung ihnen ermöglichte, ihr Leben so zu führen, wie sie es wollten. Doch auch Frankie tat, was sie wollte, ohne vorzugeben, ein Mann zu sein. »Und die Männer haben dich das einfach machen lassen?«

Frankie kam näher. »Ich warte gar nicht erst auf ihre Erlaubnis. Nachdem ich es bereits getan habe, können sie gern protestieren.«

Das bedeutete sicher, dass Frankie sich oft allein gefährlichen Situationen aussetzte. »Begleitet Tess dich nicht, wenn du an einem Fall arbeitest?«

»Anfangs nicht. Als wir uns kennengelernt haben, haben wir uns nur ein paarmal im Jahr gesehen, wann immer ich in Independence war. Aber dann …« Mit einem Blick auf den Schweinestall senkte Frankie ihre Stimme. »Als wir einander näherkamen, hat ein gelegentlicher Besuch nicht mehr ausgereicht.«

Nora verstand das nur zu gut. Zwei Monate lang von Luke getrennt zu sein, hinterließ eine Leere in ihr, die weder die Arbeit auf der Ranch oder in der Schule noch ihre Töchter füllen konnten. »Und jetzt folgt dir Tess, wohin deine Arbeit dich auch führt?«

»Einmal habe ich versucht, sie zurückzulassen, während ich einen Brandstifter fangen wollte. Tess wollte nichts davon wissen. Sie sagte, wenn es zu gefährlich für sie ist, dann ist es auch zu gefährlich für mich.« Frankie warf ihr Stück Holz weg. »Und sie hat recht. Sie kann ziemlich gut mit ihrer Taschenpistole und einem Gewehr umgehen und sie gerät nicht schnell in Panik. Es steht mir nicht zu, ihr zu sagen, sie soll zu Hause bleiben, während ich mein Leben riskiere.«

»Interessant«, murmelte Nora. »Mir kam nie der Gedanke, Luke nach Fort Boise zu begleiten. Vielleicht sind wir zu schnell in unsere Rollen als Mann und Frau geschlüpft, denn dafür halten uns die Leute.«

Frankie sah sie ruhig an. »Ihr habt eine Lösung gefunden, die für euch funktioniert, aber da Tess und ich beide als Frauen leben, müssen wir ständig unsere Rollen neu aushandeln und können nichts als gegeben hinnehmen.«

Nora wusste, dass sie heute Nacht wach liegen und über ihre Rolle im Leben nachdenken würde. Doch im Moment war sie wegen etwas anderem hier. Die Laterne in ihrer Faust schwang hin und her, als sie auf den Schweinestall zeigte. »Adam ist da drin?«

»Der Stall hat einen stabilen Riegel und Hank hat gesagt, die Schweine beißen gern.«

Nora hob eine Augenbraue.

Frankie grinste. »Im Ernst, wir haben die Schweine in ihr Gehege getrieben, bevor wir Adam da drin eingesperrt haben.«

»Gut.« Nora nickte entschieden. »Ich würde die armen Tiere nicht so einer Gesellschaft aussetzen wollen. Dieser Mann hat mich hinterrücks niedergeschlagen und sich nicht darum geschert, ob ich überlebe, und er hat einen Stall voller Pferde angezündet. Ist er noch gefesselt?«

»Seine Hände sind gefesselt. Warum?«

»Weil ich mit ihm reden will.« Sie würde nicht schlafen können, bevor sie sich Adam gestellt hatte. Vielleicht würde es ihr helfen zu verstehen, warum er sie fast getötet hätte. »Halte dein Gewehr bereit, für den Fall, dass er Dummheiten macht.«

Das Leben mit Tess hatte Frankie wohl gelehrt, einer entschlossenen Frau nicht im Weg zu stehen. Sie nickte und hob ihr Gewehr.

Nora zog den Riegel zurück und öffnete die Tür.

Adam sprang auf sie zu und riss seine gefesselten Hände nach oben.

»Nora!« Frankie spannte den Hammer ihres Gewehrs. »Komm zurück!«

Doch anstatt zurückzuweichen, damit Frankie sich um ihn kümmern konnte, blieb Nora stehen. Als Adam sie fast erreicht hatte, trat sie zu. Ihr Stiefel traf ihn zwischen die Beine.

Mit einem Stöhnen fiel er ins Stroh.

Nora starrte kalt auf ihn hinab. »Du hast immer noch nicht gelernt, dich nicht mit den Hamilton-Frauen anzulegen. Du solltest inzwischen wissen, dass wir uns verteidigen können.«

»Ach, ja?« Adam schnappte keuchend nach Luft. Er rollte sich zur Seite und umklammerte seine Genitalien. »Mich mit Amy anzulegen, war reichlich einfach. Ich habe sie ganz schön verprügelt. Fast hätte ich es geschafft, ihr eine Kugel in den Kopf zu jagen.«

»Wie bitte?« Nora wirbelte zu Frankie herum. »Wovon redet er? Was ist mit Amy passiert?«

»Nichts«, sagte Frankie mit ruhiger Stimme. »Zum Glück sind wir dazugekommen, bevor er sie ernsthaft verletzen konnte. Und sie hat sich wacker geschlagen und ihm dieselbe Sorte Tritt wie du eben verpasst.«

»Aber wenn ihr nicht zufällig da gewesen wärt …« Nora sprach den Satz nicht zu Ende. Sie wollte sich nicht vorstellen, was dann mit Amy passiert wäre. Galle stieg ihren Hals hinauf und sie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Sperr ihn wieder ein, bevor ich dir das Gewehr aus den Händen nehme und ihn erschieße. Wenn du ihn morgen nach Oregon City bringst, erzähl dem Richter in allen Einzelheiten, was er getan hat.«

Ihr war schwindelig vor Angst und Wut, als sie es irgendwie zurück ins Haupthaus schaffte. Die Stille in der Stube umgab sie und ließ zu viel Raum für ihre eigenen Gedanken und für die Bilder, die ihr zeigten, was Adam Amy womöglich angetan hätte. Ihr Herz hämmerte in ihren Ohren, als sie die Treppe hinaufging. Nach einem kurzen Anklopfen betrat sie Amys Zimmer.

Erst als das Licht der Laterne auf zwei Gestalten im Bett fiel, erinnerte sich Nora wieder daran, dass Hendrika bei Amy übernachtete.

Amy schlug die Augen auf und blinzelte gegen das plötzliche Licht an. Sofort sprang sie aus dem Bett, als hätte Nora sie bei einer Untat erwischt. Fühlte sie sich schuldig, weil sie Nora nichts von Adams Angriff auf sie erzählt hatte?

Als Amy ihre Seite umklammerte, verrauchte Noras Wut und ließ nur Sorge zurück. »Amy! Bist du verletzt?« Mit zitternden Händen drückte sie Amy auf die Bettkante hinab. »Wo? Wie schlimm ist es? Warum hast du nichts gesagt?«

Hatte Amy sich an ihrem Vater ein Beispiel genommen? Wenn Luke krank oder verletzt war, verheimlichte sie es immer oder tat, als wäre es nicht der Rede wert. Sie konnte nicht zum Arzt gehen oder jemandem außer Nora ihre Verletzungen zeigen, sonst könnte das für sie gefährlicher als jede Krankheit werden.

»Es geht mir gut, Mama.«

»Zeig es mir«, sagte Nora.

Hendrika setzte sich im Bett auf. »Es geht ihr gut. Ich habe sie vorhin untersucht. Zwei ihrer Rippen sind geprellt, aber das ist alles.«

Nun ja, immerhin hatte Amy sich Hendrika anvertraut und sie nach ihren Rippen sehen lassen. Ein Teil von Noras Anspannung ließ nach. Dennoch fühlte es sich seltsam an, nicht mehr diejenige zu sein, die sich um die Blessuren ihrer Tochter kümmerte. Sie ist jetzt eine erwachsene Frau. Sie will nicht mehr jedes Mal zu ihrer Mama rennen, wenn sie sich wehtut.

Ihr entging weder der dankbare Blick, den Amy Hendrika zuwarf, noch das sanfte Lächeln, mit dem diese antwortete. Die beiden waren Freundinnen geworden. Nora hatte darauf gehofft. Deshalb hatte sie die beiden ermutigt, sich ein Zimmer zu teilen, denn Amy hatte sonst kaum Freundinnen.

»Lass es mich bitte kurz ansehen.« Sie musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es Amy gut ging. Als ihre Tochter das Nachthemd hochzog, stockte Noras Atem. Wut brodelte in ihr, bis sie dachte, dass gleich Dampf aus ihren Ohren kommen würde. Am liebsten wäre sie zurück zum Schweinestall marschiert und hätte Adam erneut getreten.

Vorsichtig schlang sie die Arme um Amy, um keinen Druck auf deren Rippen auszuüben. Ihre Augen fielen zu, als sie Amys kräftigen Körper an ihrem ruhen fühlte. »Dein Vater und ich könnten es nicht ertragen, wenn dir oder Nattie etwas zustoßen würde.«

Amy zitterte merklich.

»Bist du noch woanders verletzt?«

»Nein. Er hat mich nur getreten, aber ich habe ihn auch ein paarmal geschlagen, genau wie Papa es uns beigebracht hat.« Amy hörte auf zu zittern. Sie richtete sich auf und sah Nora mit stolzem Blick an. Dann schluckte sie. »Erzähl es bitte nicht Papa. Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht oder denkt, ich kann nicht auf mich aufpassen.«

»Dein Vater und ich haben uns versprochen, nie Geheimnisse voreinander zu haben«, sagte Nora. »Du willst doch nicht, dass ich dieses Versprechen breche, oder?« Sie strich eine widerspenstige Haarsträhne aus Amys Gesicht.

Amy schüttelte den Kopf.

»Bitte versprich mir, dass du nie wieder versuchen wirst, so etwas vor mir zu verheimlichen«, sagte Nora. »Ich weiß, du wolltest mich nur beschützen, aber bitte nicht, indem du deine Gesundheit aufs Spiel setzt.«

Amys nackte Füße scharrten über die Dielen. »Ich verspreche es.«

»Danke. Ich lasse euch beide jetzt schlafen. Wir reden morgen weiter.« Sie küsste Amys Wange, lehnte sich dann über das Bett und küsste auch Hendrikas Wange. »Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.«

Hendrika blinzelte zu ihr auf. »Äh, gern geschehen.«

Nora lächelte. »Gute Nacht.«

Keeney Pass, Oregon 24. Mai 1868

Luke ließ ihren Blick über die Hügel und Berge zu beiden Seiten schweifen. Vor ihnen schlängelten sich zwei lange, parallele Linien durch das trockene Gras. Es waren die Spuren tausender Wagen, deren Räder sich tief in den Boden eingegraben hatten.

Ansonsten gab es kein Anzeichen menschlichen Lebens in der Gegend. Nur das Knarren ihrer Sättel und ein gelegentliches Schnauben von einem der Pferde unterbrach das Rascheln des Windes durchs lange Gras. Sie waren allein auf dem Bergpass.

Dennoch kribbelten die feinen Härchen auf Lukes Nacken. Sie hielt ihre rechte Hand in der Nähe ihres Gewehrs.

»Alles in Ordnung, Chef?« Phin lenkte seinen Wallach neben sie. Seite an Seite stapften die Pferde die stetige Steigung hinauf.

»Ja. Aber mir wird wohler sein, sobald wir noch ein paar Meilen zwischen uns und Fort Boise gebracht haben.«

Phin musterte sie. »Es ist zwei Tage her, seit wir das Fort verlassen haben. Bis sie die drei Halunken aus ihren Zellen lassen, sind wir schon lange weg.«

Das hatte Feldwebel Johnson ihnen zumindest versprochen. Die drei Soldaten hatten schon zuvor Probleme gemacht, deshalb würde es zu einer Anhörung kommen, bei der Johnson Lukes Aussage vorlesen würde. »Ich traue Kelling nicht. Ich habe das Gefühl, dass er eine Menge Dinge hinter dem Rücken seiner Vorgesetzten macht. Falls er auf Rache aus ist …«

Phin drehte das Futteral seines Gewehrs, sodass er die Waffe besser erreichen konnte. »Wir sollten besser die Augen offen halten.«

Warme Lippen küssten ihr Gesicht und knabberten dann sanft an ihrem Ohrläppchen.

Luke stöhnte und reckte den Hals, um Nora einen leichteren Zugang zu ermöglichen.

Küsse wanderten über ihren Hals, was eine Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper auslöste. Als sie auf ihr Hemd stießen, verharrten die zärtlichen Lippen. Benommen nahm Luke ihre Hände von Noras vertrauten Kurven und griff nach ihren Knöpfen, um sie zu öffnen.

»Lass mich das machen.« Noras Atem strich über ihr Schlüsselbein.

Als Luke zurücksank, öffnete Nora den oberen Knopf. Sie drückte ihre Lippen auf Lukes nackte Haut und öffnete dann den nächsten Knopf, bis das Hemd von Lukes Oberkörper herabglitt. Neckisch fuhr sie mit den Fingernägeln über die Verbände, die Lukes Brüste abbanden.

Luke bäumte sich ihr entgegen.

»Mach die Augen auf«, sagte Nora. »Mach die Augen auf, Luke.«

Luke öffnete die Augen.

Statt in Noras grüne Augen zu blicken, starrte sie in das graue Licht der Morgendämmerung. Blinzelnd hob sie die Hände und berührte ihr Hemd.

Es war bis zum Hals zugeknöpft.

Sie rieb sich die Brust, wo sie noch immer Noras Berührung spüren konnte. Heimweh überkam sie. Nora war nicht hier. Sie war noch immer dreihundertfünfzig Meilen entfernt.

An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. Sie konnte genauso gut aufstehen und nachsehen, ob Phin Kaffee gekocht hatte. Gerade als sie ihre Decke zurückschlagen und sich aufrichten wollte, hielt ihr Instinkt sie davon ab. Etwas fühlte sich nicht richtig an. Sie lag still, lauschte den Geräuschen um sich herum und spähte unter halb geschlossenen Lidern ins Halbdunkel.

Phin, der die letzte Wache übernommen hatte, saß am Feuer und stocherte mit einem Zweig in der Asche. Charlie schnarchte irgendwo zu ihrer Linken.

Ihr Blick wanderte zu den Pferden.

Dancer stand mit hoch erhobenem Kopf da und drehte die Ohren in alle Richtungen, als würde er versuchen, ein Geräusch zu lokalisieren.

Kalte Angst packte Luke.

Jemand war da draußen und beobachtete sie.

Sie schob ihre Hand unter die Decke. Der abgenutzte Holzgriff ihres Revolvers fühlte sich beruhigend unter ihren Fingern an. Leise zog sie die Waffe aus dem Holster.

Eines der Pferde schnaubte.

Phins Kopf schnellte herum.

Luke spannte die Muskeln an, um schnell aufspringen zu können. Ihr Blick huschte umher.

Am Rande des Lagers bewegte sich etwas.

Ein Schuss erschütterte die friedliche Stille.

Sofort rollte sich Luke nach links, weg vom Feuer.

Weitere Schüsse fielen. Eine Kugel streifte ihren Sattel, den sie eben noch als Kissen benutzt hatte, sodass winzige Lederstücke auf sie herabregneten.

Zwei Männer rannten den Hügel hinauf und kamen auf sie zu.

Wo war Phin?

Ihr blieb keine Zeit, sich umzuschauen. Sie sprang auf und gab rasch hintereinander mehrere Schüsse ab, was die Angreifer zwang, in Deckung zu gehen. Mit der freien Hand packte sie den benommenen Charlie und riss ihn mit sich. Gehetzt sah sie sich um, fand aber keine Deckung.

Ihre einzige Chance bestand darin, auf der anderen Seite den Hügel hinabzulaufen, um außerhalb der Reichweite der Waffen ihrer Angreifer zu sein, und sie dann zu erschießen, sobald die beiden Männer oben auf dem Hügel auftauchten.

»Phin! Charlie! Folgt mir!« Geduckt rannte sie auf den Gipfel des Hügels zu.

Ein weiterer Schuss zerriss die Stille.

Neben ihr schrie Charlie auf und fiel zu Boden.

Luke wirbelte mit erhobener Waffe herum. Sie kniete sich neben Charlie und versuchte, ihn aufzurichten.

»Lauf weiter!« Charlie winkte ab. »Verschwinde hier, bevor sie dich auch erschießen!«

»Halt die Klappe und …«

Mündungsfeuer erhellte das Halbdunkel.

Luke warf sich bäuchlings zu Boden und feuerte auf die schemenhafte Gestalt hinter dem Mündungsfeuer.

Mit einem gurgelnden Aufschrei ging der Mann zu Boden.

Wo ist sein Freund? Luke kniff die Augen zusammen. Da!

Hinter seinem gefallenen Freund schwang der zweite Mann seinen Revolver hoch und zielte auf sie.

Sie drückte erneut den Abzug.

Klick! Der Hammer fiel auf eine leere Kammer.

Luke sah in das grinsende Gesicht von Bill Walters. »Ich wette, jetzt wünschst du dir, du hättest unseren Spaß mit dem Indianerweib nicht unterbrochen.« Er kam näher. Die Mündung seiner Waffe deutete zwischen Lukes Augen.

»Einer Frau Gewalt anzutun, ist kein Spaß.« Luke funkelte ihn an. »Du bist Soldat. Wo bleibt dein Ehrgefühl?«

»Deinetwegen bin ich kein Soldat mehr.« Hass brannte in seinen Augen. Er zog den Hammer seines Revolvers zurück.

Schweiß lief Lukes Rücken hinab. Sie spannte die Muskeln an, wusste aber, dass sie einer Kugel nicht entkommen konnte. Sie würde tot sein, noch bevor sie aufspringen konnte.

Walters’ Augen verrieten den Moment, in dem er den Abzug drückte.

Luke rollte sich nach links, doch der dröhnende Schuss erklang früher als erwartet.

Zu ihrer Verwunderung spürte sie keinen Schmerz.

Sie sah auf.

Walters lag mit dem Gesicht nach unten im Gras, den Revolver noch umklammert. Phin stand über ihm. Blut tropfte von seinem Arm.

Luke sah sich nach dem dritten Mann um, der versucht hatte, die Shoshonenfrau zu vergewaltigen, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Sie kam auf die Beine und eilte zu Phin. »Alles in Ordnung?«

Mit unfokussierten Augen starrte er in ihre Richtung, dann auf den Toten. »Ich habe ihn erschossen. Ich glaube, er ist tot.« Ein Zittern durchlief seinen Körper.

Luke hatte das schon einmal gesehen. Zwar war Phin ein harter Bursche, dessen Körper und Reflexe durch die Arbeit mit den Pferden gestählt waren, doch an Schießereien war er nicht gewöhnt. Vermutlich hatte er eben zum ersten Mal einen Menschen getötet. Sie kniete sich hin und rollte den bewegungslosen Walters auf den Rücken. Blicklos starrten seine Augen zu ihr auf und Blut durchtränkte die Vorderseite seines Hemdes.

Phin wandte sich ab und verschwand würgend hinter einem Salbeistrauch.

Ein Teil von Luke – der Teil, den Nora immer als Glucke bezeichnete – wollte zu ihm eilen, doch sie hatte lange genug unter Männern gelebt, um zu wissen, dass sie Phin nur in Verlegenheit bringen würde. Sie war sein Mentor und eine Vaterfigur. Er würde nicht wollen, dass sie ihn so schwach sah.

Säure brannte in ihrer Kehle, als sie dem Toten die Waffe aus der Hand nahm. Dann kniete sie sich neben Charlie, der sich aufsetzte und sein Bein umklammerte.

»Lass mich mal sehen.« Sie zog ihm den Stiefel aus und krempelte sein Hosenbein hoch. Blut strömte über seine Wade. Luke untersuchte sanft die Wunde.

Charlie zuckte zusammen. Sein Gesicht war blass, als er auf sein Bein starrte.

»Die Kugel steckt in der Wade. Zum Glück hat sie den Knochen nicht getroffen.«

»Ich fühle mich nicht, als hätte ich Glück gehabt«, murmelte Charlie. »Wie geht es Phin?«

»Wird schon wieder.« Luke benutzte ihr Halstuch, um einen Verband anzulegen. Es würde die Blutung stoppen, bis sie nach den Pferden sehen und sich vergewissern konnte, dass der dritte Soldat wegen seines verwundeten Oberschenkels in Fort Boise zurückgeblieben war.

Sie half Charlie, sich auf seine Bettrolle zu legen, und ging dann zu Phin, der mit den Händen hektisch in der Erde buddelte.

»Phin«, sagte sie. »Was machst du da?«

Blut durchtränkte den linken Ärmel seines Hemdes, aber Phin schien es nicht zu bemerken. Er schaufelte weiterhin mit bloßen Händen Erde.

»Phin!«

Er blickte auf. Kalter Schweiß glänzte auf seinem blassen Gesicht. »Ich muss ein Grab ausheben.«

»Sieh mich an, Phin.« Luke legte all ihre Autorität in ihre Stimme.

Sein Blick huschte zu ihr herauf.

»Ich weiß, es ist schrecklich, einen Mann zu töten, auch wenn er kein guter Mann war. Ein Leben zu nehmen, ist etwas, über das man nie hinwegkommt, und das ist eine Sache, die dich von Männern wie Bill Walters unterscheidet. Aber wenn du ihn nicht erschossen hättest, hätte er erst mich und dann Charlie getötet. Du hast getan, was du tun musstest, und du hast uns das Leben gerettet.« Sie sah ihm in die Augen, bis sein Blick sich auf sie fokussierte. »Wie geht es deinem Arm?«

Phin sah seinen Arm an, als hätte er nicht einmal bemerkt, dass er angeschossen worden war. »Ist sicher nur ein Kratzer.«

»Kannst du dich zu Charlie setzen, während ich mich vergewissere, dass die beiden allein waren?« Sie wollte Phin nicht mit einer Waffe losschicken.

Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er schluckte und dann nickte.

»Wenn er kann, soll er sich deinen Arm ansehen.« Luke lud ihre eigene Waffe und die von Walters nach. Tau durchnässte ihre Hosenbeine, als sie mit beiden Revolvern im Anschlag durch das Gras ging.

Die Pferde waren vor den Schüssen und Schreien geflohen, so schnell es ihre gehobbelten Beine zugelassen hatten. Sie fand sie neben zwei Wallachen, die an einen Strauch gebunden worden waren.

Beide Pferde hatten ein Militärbrandzeichen.

Hatten Walters und sein Kumpan die Tiere gestohlen oder hatte Hauptmann Kelling ihnen geholfen, um sich an Luke zu rächen? Sobald sie nach Hause kam, würde sie einen Brief an Oberst Lundgren schicken.

Nur zwei Pferde. Also war der dritte Mann im Fort geblieben. Lukes Anspannung ließ nach.

Sie hatten noch einmal Glück gehabt. Aber wenn sie nicht im richtigen Moment aufgewacht wäre …

Dann fiel ihr wieder ein, was sie aufgeweckt hatte. Nora hatte ihr im Traum befohlen, die Augen zu öffnen. »Danke, Schatz«, flüsterte sie.

Luke starrte in die Dunkelheit und lauschte nach Geräuschen, die fehl am Platz waren. Der Wind fuhr raschelnd durch die Blätter einiger schlanker Weiden. In der Nähe plätscherte der Malheur River auf seinem Weg nach Norden. Trotz der beiden Verwundeten hatte sie darauf bestanden, erst den Fluss zu überqueren, bevor sie sich ausruhten, nur für den Fall, dass jemand die Schüsse gehört hatte.

Die Pferde dösten vor sich hin und schienen keinerlei Gefahr zu wittern.

Dennoch hielt Luke ihr Gewehr griffbereit, als sie zu Charlie hinüberging und eine zweite Decke über ihn legte.

Der junge Mann stöhnte im Schlaf und schnarchte dann weiter.

Sie hatte ihm den letzten Whiskey gegeben, bevor sie die Kugel aus seiner Wade entfernt hatte. Der Alkohol hatte etwas geholfen, aber Phin war trotzdem bleich geworden, als Charlie vor Schmerz geschrien hatte, und auch Lukes Magen fühlte sich flau an.

Leise, um Phin nicht zu erschrecken, ging sie zum Feuer zurück. Die Wunde an Phins Arm war kaum mehr als ein Kratzer, aber sie sorgte sich trotzdem um ihn. Er starrte ins Feuer und beobachtete, wie die Flammen das trockene Holz verschlangen und es in Asche verwandelten.

»Hey.« Sie setzte sich neben ihn.

Nur eine leichte Neigung seines Kopfes verriet, dass er ihre Anwesenheit bemerkt hatte.

»Habe ich dir jemals vom ersten Mal erzählt, als ich einen Mann töten musste?«

Das riss ihn aus seiner Erstarrung. Er sah auf. Das sonst strahlende Blau seiner Augen wirkte stumpf. Er brauchte nicht zu antworten; sie wussten beide, dass sie ihm nicht davon erzählt hatte. Sie sprach selten darüber, wie ihr Leben gewesen war, bevor sie Nora kennengelernt hatte. Dennoch wartete sie auf eine Antwort. Sie wollte, dass er sich auf sie konzentrierte und sich nicht in sich selbst zurückzog.

»Nein«, sagte er nach einer Weile mit rauer Stimme. »Hast du nicht.«

»Es war während des Krieges gegen die Mexikaner. Ich war gerade mal zwanzig Jahre alt und dachte, mich könnte nichts so schnell umhauen.« Sie lächelte über ihre damalige Naivität. »Ich hatte mich jahrelang allein durchgeschlagen, auf einem halben Dutzend Ranches gearbeitet und Wildpferde gezähmt, die sonst niemand reiten konnte.«

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Phin. Er war ähnlich gewesen, als er angefangen hatte, für sie zu arbeiten.

»Ja.« Luke grinste. »Anstatt mich irgendwo niederzulassen, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, dass die Kavallerie der richtige Ort für mich war. Vielleicht war es eine Weile lang auch so, aber der Krieg …« Sie schloss die Augen, als die alten Bilder in ihr hochkamen. »Es ist nichts Ruhmreiches daran, jemanden zu töten. Während meines ersten Gefechts mit mexikanischen Truppen galoppierte einer ihrer Soldaten direkt auf mich zu und schrie laut, vielleicht um mein Pferd zu erschrecken oder sich selbst zu ermutigen. Ich hob mein Gewehr und feuerte, aber nichts geschah. Damals hatten die meisten von uns noch die alten Vorderladermusketen und das Schießpulver muss nass geworden sein.«

Sie hielt inne und sah zu Phin, der sie beobachtete. Das flackernde Licht des Feuers warf Schatten über sein Gesicht. Er bedeutete ihr mit einem Nicken, fortzufahren.

»Der Soldat schrie triumphierend auf. Er hatte mich jetzt fast erreicht und hob seinen alten Revolver.« Sie schluckte. »Ich habe ihm mein Bajonett in den Bauch gerammt, bevor er abdrücken konnte.«

»Ist er gestorben?«, fragte Phin.

»Ich habe ihn später gefunden, als wir das Schlachtfeld nach gefallenen Kameraden abgesucht haben.« Der Anblick, wie er seinen Bauch umklammert hielt und Blut sein einst weißes Hemd durchtränkte, hatte sie jahrelang verfolgt. »Er war nur ein Junge, der wie ein Bauer gekleidet war und mit dem alten Revolver seines Vaters kämpfte. Man hat mir für diese Schlacht einen Orden verliehen. Ich wollte keinen Orden. Ich war nicht stolz darauf, den Jungen und einige andere Soldaten getötet zu haben.«

Phin schob einen Ast ins Feuer und nickte.

Funken stieben durch die Luft und Luke beobachtete, wie sie zur Erde zurückkehrten.

»Ich weiß, dass du dich nicht gut damit fühlst, Bill Walters getötet zu haben, und das solltest du auch nicht, obwohl er ein erbärmlicher Mistkerl war. Aber du hast mir und Charlie das Leben gerettet. Vielleicht ist dir das ein Trost.« Sie klopfte ihm auf die Schulter, denn das war der einzig körperliche Trost, der zwischen zwei Männern üblich war. Als er vom Feuer aufblickte, fügte sie hinzu: »Danke.«

Sie dankte ihm nicht nur ihretwegen. Wäre sie getötet worden, hätte man ihr Geheimnis entdeckt und das hätte womöglich das Leben ihrer Familie zerstört.

Die Schatten in Phins Augen lichteten sich und er straffte die Schultern. »Ich würde es wieder tun, wenn ich müsste.«

»Ich weiß.«

Schweigend saßen sie nebeneinander am Feuer, bis sich die lodernden Flammen in Glut verwandelten.

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 31. Mai 1868

»Willst du eine Stute oder einen Wallach?«, fragte Amy, während sie mit Frankie über den Hof ging. Stuten wurden im Allgemeinen für gute Reittiere für Frauen gehalten, während die meisten Männer einen Wallach bevorzugten und behaupteten, Stuten wären zu launisch und zu leicht ablenkbar.

Wofür würde Frankie sich entscheiden? Amy konnte sie noch immer nicht einschätzen. Als sie mit den Männern ausgeritten war, um sich das Land anzusehen, hatte sie Hosen getragen und ihre Haare waren kurz gewesen. Die meisten Nachbarn, die ihnen begegnet waren, hatten sie für einen Mann gehalten und Frankie hatte sie nicht über ihren Irrtum aufgeklärt. Aber am Sonntag in der Stadt hatte sie ein Kleid, ein Haarteil unter ihrem eleganten Hut und Schuhe getragen, deren Anblick genügte, um Amys Füße schmerzen zu lassen. Sie hatte mit den Damen in der Stadt über die neueste Mode im Osten geplaudert und schien sich dabei genauso wohlzufühlen wie beim Transport eines Gefangenen.

»Eine Stute, bitte«, sagte Frankie. »Ich bevorzuge Stuten und Sally wird langsam zu alt, um einen Hügel hinabzugaloppieren, um eine in Not geratene Dame zu retten.« Frankie zwinkerte ihr zu.

Amy errötete und wollte dagegen protestieren, als in Not geratene Dame bezeichnet zu werden, aber Frankies Lächeln war entwaffnend.

Sie betraten den Korral und gingen in einvernehmlichem Schweigen von Pferd zu Pferd. Seltsamerweise fühlte es sich ähnlich an, wie mit Papa nach den Pferden zu sehen. Wie seltsam, dass eine Frau sie an ihren Vater erinnerte. Frankie hatte alle ihre Annahmen darüber, wie das Leben einer Frau sein konnte, auf den Kopf gestellt. Sie fragte sich, was es für sie selbst bedeutete. War sie wie Frankie? Wäre es ihr möglich, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne jemals zu heiraten?

Neben ihr kicherte Frankie. »Ich verwirre dich ziemlich, oder?«

Hitze stieg Amy in die Wangen. »Nein, nein, es ist nur …«

»Ist schon in Ordnung.« Frankie lächelte sie an. »Ich habe mich selbst viele Jahre lang verwirrt.«

Es war schwer, sich die selbstbewusste Frankie als eine verwirrte junge Frau vorzustellen. »Ziehst du dich gern so an?«

Frankie fuhr mit einer Hand über ein Hosenbein. »Ja. Es ist bequem.«

Das hatten sie gemeinsam. »Aber du hasst es nicht, Kleider tragen zu müssen, oder?«

»Nein. Ich mag beides, nur eben für verschiedene Anlässe«, sagte Frankie. »Eine Frau muss keine Hosen tragen, um stark zu sein, Amy.«

»Ich weiß.« Mama war bei Weitem die stärkste Frau, die sie kannte, und Amy hatte sie noch nie in Hosen gesehen.

»Ich bin ähnlich wie du aufgewachsen.« Frankie deutete auf die Schlafbaracke und den Korral. »In einer Männerwelt. Ich habe mit meinem Vater und fünf Brüdern in einem Bergarbeitercamp gelebt. Hast du schon einmal eines gesehen?«

Amy schüttelte den Kopf. »Papa hat einmal eine Pferdeherde nach Silver City getrieben, aber er sagte, ich sei zu jung, um mitzukommen.«

»Er hatte recht. In solchen Camps herrscht ein rauer Ton. Bis auf ein paar chinesische Frauen war ich das einzig weibliche Wesen im Umkreis von mehreren hundert Meilen. Mein Vater hat mich in Jungenkleidung gesteckt, um mich vor unerwünschten Annäherungsversuchen zu schützen.«

Der Gedanke, von einer Horde ungewaschener Bergleute umworben zu werden, ließ Amy übel werden.

»Ich habe die Freiheit sehr genossen, die diese Kleidung mir gab.« Frankie lehnte ihre Arme auf den obersten Zaunbalken und starrte in die Ferne. »Ich konnte mit meinen Brüdern die Gegend erkunden, statt im Zelt bleiben zu müssen. Ich habe Jahre gebraucht, um zu bemerken, dass weiblichere Kleidung auch Spaß machen kann und es wundervoll ist, eine Frau zu sein.«

Ist es wirklich so wundervoll? Amy fragte sich, ob sie das jemals genauso sehen würde. Als Mann könnte sie die Ranch führen, ohne ständig hinterfragt zu werden. Und dann wären meine Gefühle für Frauen auch nicht unnatürlich. Sie unterdrückte ein Seufzen. »Wie kam es, dass du Pinkerton-Detektiv geworden bist?«

Das Lächeln auf Frankies Gesicht verschwand. Sie wandte sich Amy zu und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Zaun. »Mein Vater wurde für eine Handvoll Gold getötet.«

»Das tut mir leid.« Amy wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Der Gedanke, ihren eigenen Vater zu verlieren, erfüllte sie mit Angst.

Frankie nickte mit grimmiger Miene. »Fast wären seine Mörder davongekommen. Aber dann hat ein Pinkerton-Detektiv sie zur Strecke gebracht. Das habe ich nie vergessen. Als ich auf eine Stellenanzeige gestoßen bin, habe ich mich bei der Agentur beworben.«

»Sie haben eine Stelle für weibliche Detektive ausgeschrieben?« Amy schüttelte staunend den Kopf.

»Nein.« Das Grinsen erschien wieder auf Frankies Gesicht. »Sie suchten nach einer Sekretärin. Aber ich kann sehr überzeugend sein. Und mein Erfolg hat für mich gesprochen. Ich habe viele Fälle gelöst, indem ich mich mit den Frauen, Schwestern oder Geliebten der Verdächtigen angefreundet habe. Das hätte ein männlicher Detektiv nicht vermocht.«

»Und deine Cousine? War sie auch eine Pinkerton-Detektivin?«

»Nein. Sie hilft mir bei meinen Fällen, aber Tess war nie offiziell ein Pinkerton. Sie zieht es vor, ihre eigene Chefin zu sein.«

Sie wanderten Seite an Seite durch den Korral und sahen sich die Pferde an.

»Wie wäre es mit ihr?« Amy zeigte auf eine Falbstute, die ihren Kopf unter dem Zaun durchstreckte, um an ein Büschel Klee zu gelangen. Eine weiße Decke ohne Tupfen zog sich über ihre Kruppe. »Ihr Name ist Zebra. Sie ist nicht sonderlich groß, aber dafür schnell.«

Frankie kicherte. »Zebra?«

Amy deutete auf die blassen Streifen auf den Beinen der Stute. »Nattie hat mir einmal eine Geschichte über Zebras vorgelesen. Scheinbar sehen sie aus wie Pferde und haben auch diese Streifen.«

»Was ist mit der Stute?« Frankie zeigte auf ein weiteres Pferd.

»Maus?« Amy zeigte ihr eine Herde voller wunderschöner, gut ausgebildeter Appaloosas und Frankie interessierte sich für eine schlichte, graue Stute?

Frankie hob eine Braue. »Maus?«

»Nun ja, sie ist …«

»Grau.« Frankie lachte. »Und deshalb mag ich sie. Für meine Arbeit brauche ich ein unauffälliges Pferd, an das sich niemand erinnern wird. Wie viel möchtest du für sie haben?«

»Darüber musst du mit Mama reden.« Selbst wenn Papa zu Hause war, hatte Mama immer ein Mitspracherecht bei finanziellen Entscheidungen. Dann kam ihr etwas in den Sinn. Das war ihre Chance, Rikas zehn Dollar zurückzuzahlen. »Nein, sprich mit Rika. Ich habe Maus mit ihrem Geld gekauft, also gehört sie ihr. Frag sie, ob sie bereit ist, dir Maus zu verkaufen.«

»In Ordnung«, sagte Frankie.

»Willst du sie probereiten, bevor du dich entscheidest?« Es war nicht nur ein Test für die Stute, sondern auch für Frankies Fähigkeiten als Reiterin. Obwohl Frankie die Cousine von Mamas bester Freundin war, würde Amy ihr Maus nicht verkaufen, falls sie zu grob war oder nicht die nötige Erfahrung hatte, um mit der scheuen Stute klarzukommen.

Ein selbstbewusstes Grinsen hob Frankies Mundwinkel und ließ Amy wissen, dass sie den wahren Grund für das Angebot kannte. »Gern.«

Rika fegte das schmutzige Stroh aus dem Hühnerstall und musste niesen, als Staub und winzige Federn ihre Nase kitzelten.

Der Hund schoss unter der Veranda hervor und rannte bellend über den Hof.

Rika sah auf und umklammerte den Besen, um falls nötig die Hühner und den Rest der Ranch zu verteidigen.

Doch statt eines Kojoten erblickte sie Tess, die aus dem Toilettenhäuschen kam.

»Hunter«, rief Rika dem Hund zu. »Hör auf, so einen Lärm zu machen. Du weißt doch, dass Tess kein Eindringling ist.«

Hunter trottete zu ihr zurück. Sein wedelnder Schwanz schlug gegen ihren Rock, als sie ihn hinter den Ohren kraulte.

Tess kam auf sie zu und behielt dabei den Hund im Auge. »Ich bin beeindruckt. Er hört auf dich.«

»Amy hat mir ein paarmal erlaubt, ihm sein Futter zu geben, deshalb will er es sich nicht mit mir verderben. In meiner ersten Woche auf der Ranch hat er jedes Mal gebellt, wenn ich auch nur in die Nähe des Hühnerstalls gekommen bin.«

»Er verteidigt sein Zuhause.« Tess hielt Hunter ihre Hand hin, um ihn daran schnüffeln zu lassen.

»Apropos Zuhause, ist es dir wirklich recht, bei Amy zu bleiben? Als du uns die Blockhütte überlassen hast, hast du sicher angenommen, wir würden nur ein oder zwei Nächte bleiben. Aber jetzt sind es schon zehn Tage. Wenn es ein Problem ist, können wir uns eine andere Bleibe suchen.«

»Nein, nicht nötig. So kann ich Amy besser im Auge behalten.« Amy brauchte wirklich jemanden, der sich um sie kümmerte.

Tess hob ihre Augenbrauen und etwas in ihrem Gesichtsausdruck trieb Rika das Blut in die Wangen.

»Es ist wirklich in Ordnung«, sagte sie noch einmal. »Nach allem, was man mir von Phineas erzählt hat, würde er es nicht anders wollen.«

Tess sah sie forschend an. »Freust du dich darauf, ihn kennenzulernen?«

Ein Teil von ihr war neugierig auf ihn, aber ein anderer, größerer Teil von ihr fürchtete seine Rückkehr. Wie auf einen unausgesprochenen Pakt hin sprachen Amy und sie nie über ihre Verlobung, sodass sie manchmal tagelang nicht daran dachte, warum sie überhaupt nach Oregon gekommen war. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie ganz sie selbst sein, nicht die pflichtbewusste Tochter oder Ehefrau, die unermüdliche Krankenschwester oder die fleißige Fabrikarbeiterin. Phineas’ Rückkehr würde sie zwingen, eine weitere Rolle anzunehmen: die von Jo Bruggeman.

»Ich weiß nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihn nicht, deshalb weiß ich nicht, was mich erwartet. Ich weiß, einige Leute denken, es wäre ungewöhnlich oder sogar unmoralisch, jemanden zu heiraten, den man nur aus Briefen kennt, aber …«

Eine sanfte Berührung am Arm unterbrach sie. »Ich verurteile dich nicht«, sagte Tess. »Gott weiß, ich habe kein Recht, irgendjemanden zu verurteilen. Du kommst mir nur ein wenig unsicher vor.«

Rika starrte sie an. War sie so durchschaubar? Dutzende von Antworten gingen ihr durch den Kopf. Jede einzelne davon war eine Lüge, die plausibel klang und Tess dazu bringen würde, ihre Fragen einzustellen. Aber etwas in diesen blauen Augen brachte sie dazu, die Wahrheit zu sagen. »In Boston habe ich kaum genug verdient, um davon zu leben, und hatte jeden Tag Angst, meine Stelle in der Fabrik zu verlieren. Ich dachte, einen Fremden zu heiraten, könnte nicht schlimmer sein.«

»Aber?«

Jetzt, nach nur wenigen Wochen auf der Ranch, fühlte sie sich, als hätte sie einen Ort gefunden, an dem sie bleiben, und Menschen, zu denen sie gehören wollte. Der Gedanke, wegzugehen, machte ihr das Herz schwer.

Bevor sie gezwungen war, diese Gedanken auszusprechen, erklang Hufschlag.

Amy und Frankie preschten in den Hof und zügelten inmitten einer Staubwolke ihre Pferde.

Der Anblick ließ Rikas Herz schneller schlagen. Gott, sie ist so stur. Sie hatte Amy gesagt, sie solle sich eine Weile vom Pferderücken fernhalten, und doch ritt sie mit Frankie um die Wette.

Bevor Amy absteigen konnte, war Rika an ihrer Seite.

Als Ruby die Ohren in ihre Richtung drehte, verlangsamte sie ihren Schritt. Die Stute zerrte an den Zügeln. Ein wenig grünlich-weißer Schaum landete auf Rikas Ärmel. Das war kein gemütlicher Ausritt. Rika reckte den Hals und sah zu Amy empor. »Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst eine Weile nicht reiten?«

Amy schob ihren Hut zurück und ließ ihn an einer Schnur auf ihrem Rücken baumeln. Ihr manchmal hitziges Temperament glomm in ihren Augen. »Du bist nicht meine Mutter.«

Rika presste die Hände auf ihren Bauch, als hätte sie ein unerwarteter Schlag getroffen. »Ich dachte, ich wäre deine Freundin.«

Amys Gesichtsausdruck wurde sanfter. »Das bist du. Es tut mir leid. Aber Frankie möchte Maus kaufen und ich wollte ihr Gelegenheit geben, selbst zu sehen, wie viel ich ihr schon beigebracht habe. Es ist zehn Tage her, meine Rippen sollten also in Ordnung sein.«

Beim Anblick ihrer leuchtenden Augen und vom Wind geröteten Wangen konnte Rika nicht länger wütend auf sie sein.

Tess kam zu ihnen und streichelte sanft den Hals der grauen Stute. Frankie lehnte sich hinab und küsste sie auf die Wange. Schon seit ihrer Ankunft war Rika aufgefallen, wie liebevoll die beiden Cousinen miteinander umgingen.

»Sie haben hier so viele schöne Appaloosas und du entscheidest dich für diese unscheinbare Stute namens Maus?« Tess kicherte.

Genauso schlicht und uninteressant hatte sich Rika oft im Vergleich zu ihren Halbschwestern, den Mädchen in der Pension und sogar den Hamilton-Frauen gefühlt.

»Sie ist nicht unscheinbar«, sagte Amy.

Das leidenschaftliche Feuer, das in ihren Augen loderte, berührte Rika zutiefst. Denkt sie auch so über mich?

»Sieh dir nur an, wie weich ihr Gang ist.« Amy deutete auf die Stute. »Mit ein wenig mehr Training wird sie das beste Pferd sein, das du je hattest – wenn du sie haben möchtest.«

Frankie legte ihre Hand auf Tess’ Schulter. »Oh, natürlich will ich sie.« Sie wandte sich an Rika. »Wie viel möchtest du für sie haben? Bist du mit vierzig Dollar einverstanden?«

»Wie bitte? Wieso fragst du mich?«

»Ich habe sie mit dem Geld gekauft, das Phin mir für dich gegeben hat, also gehört Maus dir«, sagte Amy.

»Aber du warst diejenige, die die ganze Arbeit gemacht und sie ausgebildet hat.« Rika wollte Amy nach all den Stunden, die sie mit Maus im Korral verbracht hatte, auf keinen Fall die Stute wegnehmen.

»Ich habe versprochen, dir das Geld zurückzuzahlen, und nur so kann ich es mir leisten.« Amy senkte den Kopf. »Bitte, nimm es.«

Nach kurzem Zögern nickte Rika. Zumindest konnte sich Maus so als nützlich erweisen, denn in das Zuchtprogramm der Ranch passte sie nicht.

»Dann ist es abgemacht.« Frankie schwang sich aus dem Sattel und hakte sich bei Tess unter.

Ein Wagen rollte in den Hof und Nora zügelte Old Jack. »Amy! Was machst du auf dem Pferd? Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du dich noch ein paar Tage schonst?«

Rika konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sie ist aber deine Mutter. Dieser Schelte kannst du nicht entgehen.«

»Herzlichen Dank«, murmelte Amy und kletterte hastig aus dem Sattel.

Hamilton Pferderanch Baker Prairie, Oregon 5. Juni 1868

Rika erwachte im Morgengrauen. Das orangefarben-graue Licht drang durch ihre geschlossenen Lider und sie wusste, dass sie bald aufstehen musste, aber noch hielt sie die Augen geschlossen. Ein Gefühl des Friedens erfüllte sie und ein zufriedenes Brummen entwich ihren Lippen.

Auf das leise Geräusch hin bewegte sich etwas an ihrem Rücken und sie wurde sich des warmen Körpers bewusst, der gegen ihren eigenen gepresst war. Im Gegensatz zu Willems Anwesenheit in ihrem Bett war diese Nähe nicht unangenehm. Es fühlte sich warm und behaglich an.

Im Schlaf rutschte Amy noch näher an sie heran. Ihre weichen Haarsträhnen kitzelten Rikas Hals und ihr Atem strich über Rikas Schulter und wärmte ihren gesamten Körper. Amy murmelte etwas und schmatzte mit den Lippen.

Rika lächelte. Nachdem sie nun seit zwei Wochen Zimmer und Bett teilten, hatte Amy endlich aufgehört, jeden Abend vorzuschlagen, sie könne im Stall schlafen. Noch immer legte sie sich eng an die Kante, wenn sie ins Bett gingen, aber nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten, entspannte sie sich genug, um einschlafen zu können.

Die allabendlichen Unterhaltungen gefielen Rika. Noch nie hatte sie jemandem so viel über sich anvertraut. Sie mochte, wie nah sie sich Amy fühlte, wenn sie gemeinsam unter der Decke lagen. Jeden Tag wurde es schwerer, vor ihr zu verstecken, wer sie wirklich war.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als eine warme Hand auf ihrer Hüfte landete und dann ihren Bauch hinauf zu ihrem Busen wanderte.

Himmel Herrgott! Unerwartete Hitze durchfuhr ihren Körper. Jede Spur von Schläfrigkeit fiel von ihr ab. Rasch packte sie Amys Handgelenk, reckte den Hals und warf einen Blick über ihre Schulter.

Amy schlief tief und fest. Ihre rotbraunen Wimpern ruhten auf der goldenen Haut ihrer Wangen und ließen sie unschuldig und verletzlich aussehen.

Beruhige dich. Sie schläft und hat sich nichts dabei gedacht. Es war nicht Amys Schuld, dass Rikas Körper derart unangemessen auf diese zufällige Berührung reagiert hatte. Sie legte Amys Hand an einen sicheren Ort außerhalb der Decke und versuchte, noch ein paar Minuten im Bett zu genießen, doch ihr Körper war jetzt hellwach. Jeder Zentimeter ihrer Haut kribbelte. Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und stand leise auf, um ihre Bettnachbarin nicht zu wecken.

Amy rollte sich auf Rikas Seite des Bettes. Ihre Hände tasteten über das Laken, als suchte sie nach etwas oder jemandem.

Rika zog die Decke über Amys Schultern und beschloss, sie noch ein paar Minuten schlafen zu lassen. Da heute die Heuernte anstand, würde Amys Tag lang und anstrengend werden.

Nora beugte sich hinab und strich mit der Hand durch das Gras. Neben ihr schob sich Hank einen Halm in den Mund. Nora brauchte das Gras nicht zu probieren, um zu wissen, dass es Zeit für den ersten Schnitt war.

Da kaum eine Wolke am Himmel stand, war es das perfekte Wetter für die Heuernte. »Lasst uns anfangen.« Sie ignorierte die Beschwerden der Rancharbeiter. Sie verabscheuten jede Arbeit, die sie nicht vom Sattel aus verrichten konnten.

Ketten klirrten und Leder knarrte, als sie Old Jack und Little Jack vor den zweirädrigen Mäher spannten. Amy kletterte auf den Sitz und nahm die Zügel.

Am liebsten wäre Nora über das Feld gelaufen, um sie vom Mäher herunterzuziehen, bevor sie ihre kaum verheilten Rippen verletzen konnte.

Das Mähen war kein reibungsloser Prozess. Löcher, Steine und Baumstümpfe lauerten unter dem Gras, sodass der Fahrer des Mähers ordentlich durchgeschüttelt werden würde. Aber sie hielt sich zurück. Amy war eine erwachsene Frau, die versuchte, sich den Respekt der Rancharbeiter zu verdienen.

Hendrika hingegen nahm nicht so viel Rücksicht auf Amys Autorität. Sie griff nach Amys Ärmel und versuchte, sie vom Mäher herunterzuziehen. »Lass Hank das machen.«

»Ich lenke schon seit Jahren das Mähgespann.« Amy hob störrisch das Kinn.

Hendrika ließ ihren Ärmel nicht los. »Aber nicht mit geprellten Rippen.«

Die beiden standen sich in einem Zweikampf ihrer Willensstärke gegenüber, bis Nora zu ihnen hinüberging und die Hand ausstreckte. »Gib mir die Zügel.«

Amy starrte sie an. »Du willst den Mäher fahren?«

Unter dem skeptischen Blick ihrer Tochter richtete sich Nora zu ihrer vollen Größe auf. »Ich habe das Ding schon gefahren, bevor du groß genug warst, die Zügel zu halten.« In den ersten Jahren in Oregon hatten sie es sich nicht leisten können, Arbeiter einzustellen, sodass Nora bei jeder Arbeit auf der Ranch geholfen hatte. Als Luke sich eines Sommers den Fuß gebrochen hatte, war Nora gezwungen gewesen, auch das Mähen zu lernen. Zwar hatte sie den Mäher seit Jahren nicht mehr gelenkt, aber sie konnte diese Aufgabe nicht Hank überlassen, denn das würde die Botschaft aussenden, dass Frauen so etwas nicht konnten.

Schließlich gab Amy ihr die Zügel und kletterte vom Mäher.

Die Rancharbeiter hielten in ihrer Arbeit inne, um sie zu beobachten. Die meisten hatten Nora noch nie den Mäher fahren sehen.