Wir schweigen bis ins Grab & Wenn Märchen sterben - Frank Esser - E-Book
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Frank Esser

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Beschreibung

WIR SCHWEIGEN BIS INS GRAB

Julius Wellenbrink, ein renommierter Anwalt, stirbt unter mysteriösen Umständen. Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst wird schnell klar, dass der Mann ermordet wurde. Kurze Zeit später wird der erfolgreiche Immobilienmakler Patrick Sanddorn getötet, ein alter Weggefährte Wellenbrinks. Zufall? Jana Brinkhorst gräbt immer tiefer und findet immer mehr Hinweise, dass die Morde mit einem seit Jahren ungeklärten Verbrechen zusammenhängen könnten. Stück für Stück setzt sie die einzelnen Puzzleteile zusammen und offenbart eine schockierende Wahrheit! Der Auftakt der Jana-Brinkhorst-Krimi-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Sühnepakt.


WENN MÄRCHEN STERBEN

Mordalarm im Amphitheater im Hamburger Stadtpark! Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst und ihr Team sind als Erste am Tatort und machen eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Leiche wurde als Rotkäppchen verkleidet und entsprechend des Märchens in Szene gesetzt. Im Korb des Opfers befindet sich eine Botschaft des Mörders, die die Ermittler vor ein Rätsel stellt.
Noch ehe die Ermittlungen richtig in Gang kommen, wird eine zweite Leiche entdeckt. Dieses Mal ist die Tote als Hexe aus dem Märchen Hänsel und Gretel verkleidet. Eine weitere Botschaft des Täters lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um eine Mordserie handelt.
Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten der beiden Opfer wird Jana Brinkhorst schnell fündig. Das Motiv des Täters jedoch bleibt weiterhin unklar. Während sie die Vergangenheit der beiden Frauen durchleuchtet, kommt es zu einer überraschenden Wendung, die die Ermittlungen in eine völlig neue Richtung lenken. Werden noch weitere Leichen folgen? Und was hat es mit den Märchenmorden auf sich?

Der zweite Teil der Jana-Brinkhorst-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Beide Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Wir schweigen bis ins Grab
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Epilog
Wenn Märchen sterben
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Epilog

Frank Esser

Wir schweigen bis ins Grab & Wenn Märchen sterben

 

 

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Wir Schweigen bis ins Grab & Wenn Märchen sterben

 

 

 

Krimi

 

Jana Brinkhorst ermittelt Sammelband

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Oktober © 2023 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber – https://www.textimo.de/

Korrektorat: Vanessa Streng – https://www.buchgestalt.com/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen Band 1: Adobe Stock ID 60442499, Adobe Stock ID 283958197 und freepik.com

Illustrationen Band 2: Adobe Stock ID 360845874, Adobe Stock ID 17535037, Adobe Stock ID 353961071 und freepik.com

 

 

Frank Esser

Wir schweigen bis ins Grab

 

 

Krimi

 

Jana Brinkhorst ermittelt: Fall 1

Über das Buch:

 

Julius Wellenbrink, ein renommierter Anwalt, stirbt unter mysteriösen Umständen. Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst wird schnell klar, dass der Mann ermordet wurde. Kurze Zeit später wird der erfolgreiche Immobilienmakler Patrick Sanddorn getötet, ein alter Weggefährte Wellenbrinks. Zufall? Jana Brinkhorst gräbt immer tiefer und findet immer mehr Hinweise, dass die Morde mit einem seit Jahren ungeklärten Verbrechen zusammenhängen könnten. Stück für Stück setzt sie die einzelnen Puzzleteile zusammen, um am Ende die gesamte schockierende Wahrheit ans Tageslicht zu bringen!

 

Der Auftakt der Jana-Brinkhorst-Krimi-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Sühnepakt.

Prolog

 

Dienstag, 3. September

 

Julius Wellenbrink starrte ungläubig auf den Telefonhörer in seiner Hand. Die Worte des Oberarztes aus der Mariahilf-Klinik hallten noch in seinen Ohren nach.

Panik ergriff ihn. Er stürmte an seiner Sekretärin vorbei, der er entgegenschmetterte, dass sie alle weiteren Termine für heute absagen sollte, und sprang hektisch in den Aufzug, wo er ungeduldig auf den Knopf für die Tiefgarage drückte. Kurz nachdem sich die Fahrstuhltüren geöffnet hatten, saß er auch schon in seinem brandneuen Porsche 911, suchte die Adresse der Klinik in seinem Handy und gab sie hektisch ins Navigationsgerät ein. Dann brauste er los.

Mit quietschenden Reifen verließ der Wagen die Tiefgarage des Bürogebäudes, in dem sich die renommierte Anwaltskanzlei Wellenbrink & Partner befand. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 14:27 Uhr an. Der Juniorchef bog in die Hamburger Straße ab und folgte den Vorgaben des Navis. »Herrgott, dreißig Minuten!«, fluchte er und schlug aufs Lenkrad. Was, wenn er es nicht rechtzeitig schaffte? Er war eigentlich nicht sonderlich gläubig, dennoch sandte er ein Stoßgebet gen Himmel, in der Hoffnung, Gott möge Valeries und Larissas Leben verschonen. Nur mühsam gelang es ihm, sich zu konzentrieren. Hoffentlich waren die beiden in guten Händen und wurden nicht von irgendwelchen Stümpern behandelt, dachte er, als er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde. Ein Stau, direkt vor der Baustelle! Das fehlte ihm gerade noch!

Warum hatte ihn das blöde Navi nicht gewarnt? Genervt entschied er sich für einen Umweg, wartete kurz, bis ihm kein Auto mehr entgegenkam, riss dann das Lenkrad herum, wendete und raste auf dem Moorburger Elbdeich in Richtung Brakenburg.

In der Waltershofer Straße gab er Gas und beschleunigte auf über hundert Stundenkilometer – zum Glück kein allzu großes Problem, da außer ihm weit und breit keine anderen Fahrzeuge zu sehen waren, abgesehen von dem Audi, der ihm seit einigen Minuten fast an der Stoßstange klebte.

Seine Gedanken überschlugen sich. Weshalb hatte man Valerie und Larissa überhaupt in diese Klinik eingeliefert? Eigentlich hätte seine Tochter doch im Gymnasium Blankenese sitzen müssen, wunderte er sich. Das war am anderen Ende der Stadt! Was zum Teufel war hier los?

Kurz hinter dem Umspannwerk holte ihn ein lauter Knall auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Lenkrad vibrierte, der Porsche ließ sich kaum noch steuern, und Wellenbrink drohte die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Verzweifelt trat er auf die Bremse, doch statt den Wagen wieder in den Griff zu bekommen, erreichte er genau das Gegenteil. Der Porsche schoss unkontrolliert auf die Gegenfahrbahn und brach ins Feld aus. Noch ehe er wusste, wie ihm geschah, überschlug sich der Wagen, der Anwalt wurde in den Sicherheitsgurt gepresst und spürte, wie mehrere Rippen brachen. Gleichzeitig löste der Airbag aus. Ein Knacken, eine Schmerzwelle, bevor Wellenbrinks Nasenbein brach. Der Wagen überschlug sich mehrmals, bis das Heck mit lautem Knall gegen eine Buche krachte und er auf dem Dach liegenblieb.

Wellenbrink erlebte all das bei vollem Bewusstsein. Er musste so schnell wie möglich hier raus, dachte er und geriet in Panik. Irgendwie musste doch dieser dämliche Sicherheitsgurt aufgehen … Mist, es funktionierte nicht. Hektisch drückte er immer wieder auf den Verschluss, aber der klemmte weiterhin. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, um sich zu befreien. Und noch ein anderer Gedanke beschäftigte ihn in diesem Moment, so unpassend er auch war: Warum ereilte ihn dasselbe Schicksal wie Valerie und Larissa? War das alles am Ende gar kein Zufall?

Plötzlich drang ihm der Geruch auslaufenden Benzins in die Nase. Offensichtlich war der Tank leckgeschlagen.

»Verdammt, warum kommt denn keiner?«, fluchte Wellenbrink, der wusste, dass er ohne Unterstützung kaum hier herauskommen würde. Kopfüber hing er im Fahrersitz. Das Blut schoss ihm in den Kopf, er konnte fast gar nicht mehr klar denken. »Heilige Scheiße!«, murmelte er.

Tränen der Verzweiflung rannen ihm übers Gesicht. Der Benzingeruch wurde immer penetranter.

Da, ein Geräusch. Hatte jemand eine Autotür zugeschlagen?

So laut er konnte, schrie Wellenbrink um Hilfe, bis ihn ein Hustenanfall stoppte.

Endlich, Schritte. Jemand näherte sich.

»Hallo. Ist da jemand? Bitte … helfen Sie mir, ich kann mich nicht befreien … der Gurt …«, keuchte er. Als er nach links schaute, dorthin, wo nur noch ein gezackter Glasrand daran erinnerte, dass an derselben Stelle einmal eine Seitenscheibe gesessen hatte, blickte er auf ein Paar Turnschuhe und zwei Beine, die in einer Jeans steckten. Hoffnung keimte in ihm auf.

»Hallo«, versuchte er es noch einmal. »Bitte … So helfen Sie mir doch!« Die Verzweiflung ließ seine Stimme unnatürlich schrill klingen. Wer war der Unbekannte, und weshalb antwortete er nicht? Und – was ihn noch mehr irritierte – warum zur Hölle half er ihm nicht?

Ein leises Klicken, das er nicht einordnen konnte. Kein Zweifel, dachte Wellenbrink, dieses Geräusch hatte er schon oft gehört. Dann sah er einen Gegenstand auf den Boden fallen. Ein Zippo. Mit entzündeter Flamme. Jetzt wusste er, warum ihm das Geräusch von eben bekannt vorkam.

Der Audi. Der Wagen musste ihm gefolgt sein, seit er die Tiefgarage verlassen hatte.

Valerie!

Larissa!

Was würde aus ihnen werden?

Doch diese Gedanken wurden vertrieben durch nackte Angst, als die Flamme das auslaufende Benzin entzündete und die Fahrerzelle in ein flammendes Inferno verwandelte.

 

Kapitel 1

 

Jana Brinkhorst wollte gerade Feierabend machen, als das Handy klingelte. Na toll, die Nummer auf dem Display konnte nichts Gutes bedeuten. Die Kommissarin seufzte. Vor knapp zwei Jahren war sie von der Kieler zur Hamburger Polizei gewechselt und hatte dort die Leitung der Mordkommission übernommen. Den ersten Fall, ein Serienmörder, der vier Frauen entführt und auf bestialische Weise ermordet hatte, hatte das Team unter Janas Führung nicht zuletzt dank ihrer unerbittlichen Hartnäckigkeit lösen können. Ehrgeiz war eine der Eigenschaften, die sie ihrem strengen Vater verdankte, der sie, seit sie denken konnte, mit völlig überzogenen Erwartungshaltungen übergoss und zu dem sie kein sonderlich inniges Verhältnis pflegte. In einem waghalsigen Alleingang war es ihr gelungen, den Täter zu überwältigen, was ihr im Kollegenkreis eine Menge Anerkennung verschafft hatte.

Zu den beiden männlichen Kollegen Steffen Hempel und Henning Kruse hatte sich inzwischen sogar ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Seit der Scheidung vor einigen Jahren war sie Single aus Überzeugung. Ein Leben im leitenden Polizeidienst war für sie mit einer Familie und den daraus resultierenden Verpflichtungen nicht zu vereinbaren. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie sich nicht hin und wieder in ein amouröses Abenteuer stürzte.

Ihr war bewusst, dass sie eine gewisse Anziehungskraft auf Männer ausübte, und ihre weiblichen Attribute setzte sie dann und wann gern ein: katzengrüne Augen, weiche Gesichtszüge, eine sportliche Figur und eine pechschwarze, lockige Mähne. Die hatte sie den Genen ihrer geliebten Mutter zu verdanken, die vor sieben Monaten mit nur fünfundsechzig Jahren viel zu früh an Brustkrebs gestorben war. Im Großen und Ganzen war Jana mit ihrem Aussehen zufrieden, nur die Nase war wohl ein wenig zu groß geraten, und an die ersten Krähenfüßchen rund um die Augen musste sie sich noch gewöhnen. Bei dem Anrufer, der gerade ihre Feierabendpläne durcheinanderzubringen drohte, handelte es sich um niemand Geringeren als ihren Chef, Jens-Uwe Stöver.

»Hallo, Jens«, begrüßte sie ihn freundlich.

»Tach, Jana. – Ich hoffe, du hast noch keine Pläne für den Abend.«

»Ich wusste es«, seufzte sie. »Als ich deinen Namen gesehen habe, war mir klar, dass es ein Fehler sein würde, ranzugehen. Was gibt’s?«, fragte sie kühl.

»Einen Verkehrstoten in Harburg, Waltershofer Straße, kurz hinterm Umspannwerk.«

»Wohl eher ein Fall für die Verkehrspolizei, oder?«

»Die Kollegen vor Ort sind der Überzeugung, dass da irgendwas faul ist. Es gibt keine Bremsspuren. Der Insasse hat offenbar ohne ersichtlichen Grund auf gerader Strecke die Kontrolle über seinen Porsche verloren, bevor der sich überschlagen und Feuer gefangen hat. Sieht so aus, als ob jemand bei dem Brand nachgeholfen hat.«

»Inwiefern?«

»Neben dem Sportwagen wurde ein Zippo gefunden. Ist zwar durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogen, aber die SpuSi ist sich da sicher.«

»Das könnte doch genauso gut bei dem Unfall aus dem Wagen geschleudert worden sein. Warum glaubst du, dass mehr dahintersteckt?«

»Weil es sich bei dem Toten nicht um irgendjemanden handelt.«

»Jetzt werde ich aber neugierig. Also: Wer war der Fahrer?«

»Vermutlich Julius Wellenbrink. Jedenfalls ergab die Überprüfung des Kennzeichens, dass es sein Porsche war. Und da Wellenbrink gegen halb drei am Nachmittag die Tiefgarage seiner Kanzlei mit eben diesem Wagen verlassen hat, liegt nahe, dass er der Tote ist.«

Jana pfiff einmal durch die Zähne. »Der Star-Strafverteidiger? Wow, das ist ja ein dickes Ding.«

»Und der alte Wellenbrink macht schon gehörig Druck. Keine Ahnung, wie er so schnell vom Ableben seines Sohnemanns erfahren hat, aber Polizeipräsident Struckmeyer hat mich eben angerufen und mir unmissverständlich klargemacht, dass wir uns der Sache annehmen sollen. An der Unfallstelle herrscht schon ein reges Treiben. Also schicke ich meine beste Frau hin.«

»Ich bin ja auch zufällig die einzige Frau in deinem Team. Aber gut, die Message ist angekommen. Ich verschiebe mein Date mit dem Wein und fahre hin. Waltershofer Straße, richtig?«

»Korrekt. Melde dich, wenn du was rausgefunden hast.«

»Selbstverständlich, Chef«, erwiderte Jana und beendete das Gespräch.

Sie zog sich die Lederjacke an, die sie wie üblich über die Lehne des Bürostuhls geschmissen hatte, und eilte hinüber zum Büro ihrer Partner. Hoffentlich waren die Kollegen noch da, denn allein wollte sie nicht am Unfallort aufkreuzen.

Zum Glück saßen beide Männer an ihren Schreibtischen. Während Kruse in eine Akte vertieft war, tippte Hempel offenbar seinen Tagesbericht.

»Jungs, ich störe euch ja nur ungern, aber es gibt Arbeit. Ihr dürft eure Chefin zu einem potenziellen Tatort in Harburg begleiten.«

»Jetzt noch?«, stöhnte Hempel und beförderte einen der Zahnstocher, auf denen er neuerdings ständig kaute, seit er das Rauchen aufgegeben hatte, vom rechten in den linken Mundwinkel. »Ich wollt’ gleich Feierabend machen.«

»Warum überrascht mich deine Reaktion jetzt nicht, du alter Brummbär?«, meinte Jana schmunzelnd.

Steffen Hempel, ein Hüne mit Glatze und Vollbart, hatte eigentlich immer etwas zu motzen, weshalb sie ihm diesen lieb gemeinten Spitznamen verpasst hatte. Der gebürtige Essener war nur ein Jahr älter als sie selbst und vor zwanzig Jahren der Liebe wegen nach Hamburg gezogen. Mittlerweile war er geschieden und fristete sein Dasein als Single. Dank seiner stattlichen Größe, der muskulösen Oberarme mit beeindruckenden Tätowierungen und seiner tiefen, sonoren Stimme war er eine imposante Erscheinung. Jana war immer froh, wenn sie ihn in brenzligen Situationen in ihrer Nähe wusste. Aus ihrer Sicht hatte der Kollege nur zwei Fehler: Er neigte zu impulsiven Reaktionen, und er versuchte sein Glück zu oft bei Glücksspielen, wodurch er immer wieder knapp bei Kasse war.

»Deinen Feierabend wirst du leider verschieben müssen. Muss ich im Übrigen auch. Wie`s aussieht, hatte ein prominentes Mitglied unserer Gemeinde, Julius Wellenbrink, einen tödlichen Unfall. Es hat den Anschein, dass da jemand nachgeholfen hat, wir sollen uns der Sache annehmen. Befehl von oben.«

»Von Stöver?«

»Nein, von ganz oben. Der Polizeipräsident persönlich hat sich eingeschaltet. Wohl auf Drängen von Wellenbrink senior.«

»Überraschen würd’s mich nicht, wenn jemand den Wellenbrink umgebracht hätte. Der hat sich in den letzten Jahren bestimmt ’ne Menge Feinde gemacht«, schaltete sich jetzt auch Henning Kruse ein.

Der Achtunddreißigjährige war das Küken der Abteilung – ein typischer Hamburger Jung, was vor allem sein Partner auch immer wieder zu spüren bekam, wenn Kruse ihn mit plattdeutschen Schimpftiraden in den Wahnsinn trieb. Der zweifache Familienvater galt als Ruhepol der Abteilung, und er nutzte jede Gelegenheit, sein Umfeld davon zu überzeugen, dass die Ureinwohner der schönen Hansestadt alles andere als distanziert, humorlos und unterkühlt waren. Sein volles braunes Haar war inzwischen von ersten grauen Strähnen durchzogen, was er spaßeshalber immer auf seine Kinder und die Arbeit mit Hempel, seinem Partner, zurückführte. Es gab nicht wenige Kollegen auf dem Revier, die ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Hans Albers nachsagten. Aber abgesehen von den stahlblauen Augen, konnte er keine weiteren Gemeinsamkeiten mit dem berühmten Hamburger Schauspieler und Sänger an sich ausmachen.

»Bevor wir uns jetzt vorschnell darauf festlegen, dass Wellenbrink um die Ecke gebracht wurde, schlage ich vor, dass wir uns erst mal selbst einen Eindruck vor Ort verschaffen«, erwiderte Jana und gab somit das Zeichen zum Aufbruch.

 

Kapitel 2

 

Als das Trio den Unfallort erreichte, herrschte dort reger Betrieb. Jana entdeckte mehrere Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, einen Leichenwagen und drei Polizeiautos. Das Team der SpuSi schien schon vor einer Weile eingetroffen zu sein, was sie ein wenig überraschte. Hatte Stöver das im Telefonat erwähnt?

Sie gingen auf das Flatterband zu, mit dem der Unfallort großräumig abgesperrt worden war, als ihnen Horst König, der Chef der KTU, entgegenkam. Der schlanke Endvierziger trug einen weißen Overall samt Kapuze, einen Mundschutz und Handschuhe. Er sah aus, als ob er fürs Seuchenschutzkommando arbeitete.

»Moin, Jana«, begrüßte er die Teamleiterin der Mordkommission. Kruse und Hempel bedachte er mit einem Kopfnicken.

»Hallo, Horst. Wie ich sehe, seid ihr schon fleißig bei der Arbeit.«

»Schon eine ganze Weile«, erwiderte er ausweichend.

»Gibt es abgesehen von dem Zippo, das man in der Nähe des Autowracks gefunden hat, bereits irgendwelche Erkenntnisse, die auf Mord hinweisen? Stöver erwähnte da was.«

»Ja, die gibt es. Das verdanken wir Stegemann vom LKA. Das war kein Unfall, Jana. Hier hat jemand gewaltig nachgeholfen.«

»Moment mal, meinst du den Stegemann?«, wunderte sich Jana. Was zum Teufel ging hier vor? Martin Stegemann war die Koryphäe schlechthin, wenn es um Brandursachenermittlungen ging!

»Richtig. Ferdinand Wellenbrink, der Vater des mutmaßlichen Opfers, hat seinen Einfluss in alle Richtungen geltend gemacht, sobald er von dem Unfall wusste. Er und Stegemann sind befreundet. Martin und ich kennen uns ja ebenfalls seit vielen Jahren. Und bevor du dich jetzt aufregst, der Polizeipräsident und auch der Staatsanwalt haben seinen Einsatz gebilligt, sagt Stöver.«

»Ich sehe schon, es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sache hier aufzuklären. Dann müssen wir uns wohl glücklich schätzen, dass wir den Fall jetzt übernehmen dürfen«, gab Hempel sarkastisch seinen Senf dazu. Kruse schüttelte ebenfalls ungläubig den Kopf.

»Was genau hat Stegemann denn herausgefunden?«, wollte Jana wissen.

»Wer auch immer dafür verantwortlich war, der- oder diejenige hat mit einem Zippo das auslaufende Benzin in Brand gesteckt, und der Fahrer ist offenbar bei lebendigem Leib gegrillt worden. Aber das war noch nicht alles. Es gibt ein weiteres Indiz dafür, dass wir’s hier nicht mit einem einfachen tragischen Verkehrsunfall zu tun haben.«

»Heißt im Klartext …?« Jana war nun hellwach.

»Stegemann vermutet, dass bereits beim Unfall selbst nachgeholfen wurde. Es gibt keine Bremsspuren. Und es sieht auch nicht danach aus, als hätte der Fahrer Selbstmord begangen.«

»Lass mich raten, Horst. Auch für die Idee der geplanten Unfallherbeiführung gibt’s bereits gesicherte Erkenntnisse.« Janas Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Ich kann ja verstehen, dass du dich jetzt übergangen fühlst, aber Martin hat in der kurzen Zeit gute Vorarbeit geleistet. Seine Spürnase irrt sich ja nur selten, wie dir bekannt sein dürfte«, erklärte König lächelnd. »Er sagt, es gibt erste Hinweise, dass – womöglich durch eine kleine Sprengladung – mindestens ein Reifen zum Platzen gebracht wurde, sodass der Fahrer die Kontrolle über den Porsche verlor.«

»Aha, sagt Stegemann das«, erwiderte Jana genervt. »Wenn er richtig liegt, können wir also davon ausgehen, dass da jemand auf Nummer sicher gehen wollte, dass der Fahrer den Unfall nicht überlebt. Glaubst du das mit der Sprengladung auch? Bei dem Feuer dürfte doch nicht mehr viel übrig geblieben sein, um das ohne eingehende Laboruntersuchungen sagen zu können.«

»Da hast du natürlich recht. Erst wenn wir das Wrack genauestens unter die Lupe genommen haben, lässt sich die ganze Theorie untermauern. Da, schau mal, dort drüben.« König deutete auf eine etwa hundert Meter entfernte Stelle, an der ein Mitarbeiter der Spurensicherung offenbar Proben vom Asphalt nahm. »Dort haben wir Hinweise gefunden, dass hier vor kurzem Sprengstoff gezündet wurde. Sicher nur eine äußerst kleine Menge. Martin hat seine Kontakte spielen lassen und umgehend einen Spürhund angefordert, der die Stelle vor wenigen Minuten lokalisiert hat. Wir haben hier allerdings nicht die Mittel, um Genaueres darüber sagen zu können. Vermutlich ein Plastiksprengstoff.«

»Stegemann kann uns nicht zufällig auch schon einen Täter präsentieren?« Langsam, aber sicher riss Jana der Geduldsfaden. »Unglaublich, dass wir jetzt erst hinzugezogen wurden, während sich der LKA-Typ längst hier austoben durfte! Wissen wir schon, wann das alles passiert ist?«

»Vermutlich gegen 15:00 Uhr. Der Anruf ging kurz nach fünfzehn Uhr bei der Polizei ein.«

»Also vor mehr als drei Stunden.« Jana sah kopfschüttelnd auf die Armbanduhr. »Jetzt ist mir auch klar, warum du eben so rumgedruckst hast, als ich gefragt habe, seit wann ihr hier seid. Als mich Stöver angerufen hat, dachte ich eigentlich, dass er selbst erst kurz zuvor informiert worden war. Aber sei`s drum. Ganz schön aufwendig, so eine Vorgehensweise, findest du nicht?«

»Ich würde eher sagen: ungewöhnlich.«

»Wie auch immer. Wir haben’s allem Anschein nach mit einem Mordfall zu tun. Und die Tatsache, dass Wellenbrink ziemlich prominent ist … war … und sein Vater schon Alarm beim Polizeipräsidenten geschlagen hat, dürfte für uns in den nächsten Tagen wohl eine Menge Überstunden bedeuten. Weißt du, ob der Zeuge, der den Vorfall gemeldet hat, noch vor Ort ist?«

»Der war schon nicht mehr hier, als die Kollegen am Unfallort eingetroffen sind.«

»Dann sollten wir rausfinden, wer die Leitstelle verständigt hat. Möglicherweise der Täter selbst«, mutmaßte Jana. »Henning, das übernimmst du bitte. Steffen, kannst du dir schon mal das Unfallwrack ansehen. Ich spreche in der Zwischenzeit mit Stegemann. Wo finde ich ihn?«

»Dort drüben.« König deutete auf den Mann, der sich angeregt mit einem der Feuerwehrleute unterhielt und mit erhobenen Armen in der Luft gestikulierte. Stegemann hatte in etwa ihre Größe, schien jedoch körperlich nicht in allerbester Verfassung zu sein, wie sein hochroter Kopf verriet. Er war stark übergewichtig und hatte garantiert mit hohem Blutdruck zu kämpfen. Auf seinem Hemd zeichneten sich große Schweißflecken im Achselbereich ab.

»Wäre schön, wenn du ihn nicht gleich mit Haut und Haaren frisst. Er mag seine Kompetenzen überschritten haben, aber er hat auch nur auf Anweisung gehandelt.«

»Danke, Horst«, erwiderte Jana, ohne auf Königs Bitte einzugehen. Dann steuerte sie geradewegs auf den LKA-Mann zu. Auch ihre beiden Kollegen machten sich umgehend an die Arbeit. Kruse zückte sein Handy, und Hempel passierte das Absperrband und ging auf das ausgebrannte Autowrack zu.

Kurz bevor Jana den LKA-Beamten erreicht hatte, hörte sie, dass er dem Einsatzleiter der Feuerwehr das Okay zum Abrücken gab.

»Tag, Herr Stegemann. Jana Brinkhorst, Mordkommission Hamburg.«

»Hallo, Frau Kollegin. Schön, Sie persönlich kennenzulernen. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Vor allem seit der Geschichte mit dem Serienmörder damals.«

»Danke für die Lorbeeren. Kollege König hat mir erzählt, dass Sie eindeutige Hinweise darauf gefunden haben, dass das Feuer keine Folge des Unfalls war, sondern vorsätzlich gelegt wurde. Also haben wir es mit einem sauberen Mord zu tun.«

»Der Unterton suggeriert mir, dass das keine Frage war, sondern eine Feststellung.« Stegemann lächelte.

Wider Erwarten war der LKA-Mann Jana auf Anhieb sympathisch. Dank seiner gewinnbringenden Art flaute ihr Ärger schnell wieder ab.

»Im Grunde haben Sie’s perfekt auf den Punkt gebracht.«, fuhr er fort. »Das Feuer ist definitiv gelegt worden. Es hat sich von außen nach innen, also zum Porsche hin, ausgebreitet. Damit kann ich nahezu hundertprozentig ausschließen, dass sich das Benzin selbst entzündet hat. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sich das Feuer zum Beispiel im Motorraum des Fahrzeuges durch austretendes Benzin entzünden müssen. Es ist ohnehin ein Irrglaube, dass sich auslaufender Kraftstoff automatisch nach einem Unfall entzündet, wenn der Tank beschädigt wird. Die Wahrscheinlichkeit liegt statistisch gesehen bei unter einem Prozent, das können Sie sogar nachlesen. Von explodierenden Autos einmal ganz abgesehen – ein Mythos, den Hollywood erschaffen hat. Kommt vor, ist aber noch unwahrscheinlicher als ein Fahrzeugbrand.« Er verzog verächtlich die Mundwinkel. »Und dann wäre da noch die Möglichkeit, dass es bei dem Unfall zum Einsatz von Plastiksprengstoff gekommen ist. Das spricht eindeutig dafür, dass jemand nachgeholfen hat, um den Fahrer ins Jenseits zu befördern.«

»Sicherlich ein guter Ansatz für unsere Ermittlungen. Aber mehr auch nicht«, schnitt ihm Jana das Wort ab.

»Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen ausführlichen Bericht zukommen lassen, Frau Brinkhorst. Wenn Sie mich dann jetzt entschuldigen würden, ich würde gern heimfahren. Es gibt hier ohnehin nichts mehr für mich zu tun.«

»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, verabschiedete sich Jana von dem LKA-Mann und hielt nach Kruse Ausschau. Ob er schon herausgefunden hatte, wer den Unfall bei der Leitstelle gemeldet hatte?

»Was Neues?«, fragte sie kurz darauf, als sie auf den Kollegen zuging.

»Wir versuchen, den Anrufer zurückzuverfolgen«, meinte Kruse.

»Dann bin ich ja mal gespannt, was dabei herauskommt.«

»Und, was konnte dieser Brandursachenermittler berichten?«

»Dass er keine Zweifel daran hat, dass das Feuer mutwillig herbeigeführt wurde. Also nichts Neues. Ich schlage vor, dass wir Steffen einsammeln, und dann bring ich euch zurück ins Präsidium. Ihr könnt Feierabend machen. Ich werd’ noch Wellenbrinks Witwe aufsuchen, wobei wir davon ausgehen können, dass nicht ich ihr die traurige Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringen muss. Das hat mit Sicherheit schon der Schwiegervater übernommen.«

 

Kapitel 3

 

Als sie Kruse am Präsidium abgesetzt hatte, erklärte sich Steffen Hempel spontan bereit, sie zu begleiten. Die Wellenbrinks bewohnten eine luxuriöse Landhausstil-Villa mit pastellgelber Putzfassade. Vor den Sprossenfenstern waren grüne hölzerne Jalousien angebracht. Der Grotiusweg lag in einer der teuersten Gegenden Hamburgs, im Stadtteil Blankenese. Das gusseiserne Tor zur Auffahrt des Anwesens war geöffnet, als ob ihre Ankunft bereits erwartet wurde.

»Imposant«, murmelte Hempel, als sie im BMW den Weg zur Villa hinaufsteuerten.

»Schätze, mit drei Millionen wärst du dabei«, scherzte Jana.

»Ich werd’ Stöver Bescheid geben, dass eine Gehaltserhöhung überfällig ist«, konterte Hempel trocken.

Jana parkte direkt hinter einem Rolls Royce, der dem Kennzeichen nach vermutlich Ferdinand Wellenbrink gehörte, dem Familienoberhaupt und Inhaber der Anwaltskanzlei Wellenbrink & Partner. Der Name war seit mehr als hundertdreißig Jahren fester Bestandteil der gehobenen Hamburger Gesellschaft. Entsprechend groß war mittlerweile auch der Einfluss, den die Familie in gewissen Kreisen ausübte, wovon sich die Hauptkommissarin heute selbst hatte überzeugen können.

»Dann wollen wir mal«, meinte sie kurz darauf, als sie auf den Klingelknopf drückte.

Es dauerte nicht lange, bis geöffnet wurde. Die Hausdame der Wellenbrinks begrüßte die beiden Ermittler freundlich und führte sie ins Wohnzimmer, wo sie bereits erwartet wurden. Bei der zierlichen Person mit den weichen Gesichtszügen und dem pechschwarzen schulterlangen Haar handelte es sich ganz offensichtlich um Valerie Wellenbrink. Die Ehefrau des Toten hatte dem Aussehen nach in den letzten Stunden viele Tränen vergossen – trotz ihres angeschlagenen Zustands war sie unübersehbar hübsch.

Ferdinand Wellenbrink machte rein äußerlich einen gefassten Eindruck. Jana kannte den Mann bisher nur aus den Medien, sie war ihm noch nie persönlich begegnet. Er verstand es immer wieder, sich selbst und seine Prozesse medienwirksam zu vermarkten. Im Fernsehen hatte er wesentlich größer ausgesehen, dachte sie, als sie sich gegenüberstanden. In Wahrheit musste er sogar einige Zentimeter kleiner als sie sein. Sein Haar war komplett ergraut, die Gesichtszüge wirkten hart, und sein Blick drückte eiserne Entschlossenheit aus. Aus blaugrauen Augen taxierte er sie. Doch der perfekt sitzende Maßanzug konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ferdinand Wellenbrink ein Wolf im Schafspelz war. Sein Ruf eilte ihm voraus, und allem Anschein nach wurde er diesem allein schon durch sein Auftreten durchaus gerecht.

»Setzen Sie sich doch bitte«, forderte das Familienoberhaupt die beiden Beamten nach einer kurzen Begrüßung auf und deutete auf das kaffeebraune Ledersofa. Dass er sofort die Gesprächsinitiative übernahm, schien Valerie Wellenbrink offensichtlich nichts auszumachen.

»Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Die beiden Beamten lehnten dankend ab, woraufhin Wellenbrink die Hausdame aus dem Wohnzimmer schickte.

Jana ließ kurz den Blick durchs Zimmer schweifen, das gut und gerne die Größe ihrer kompletten Mietwohnung hatte. Die Einrichtung wirkte elegant, teuer und dennoch nicht protzig. »Zunächst einmal möchten wir Ihnen unser aufrichtiges Beileid aussprechen, Frau Wellenbrink«, wandte sie sich zuerst an die Ehefrau des verstorbenen Rechtsanwaltes.

»Danke, das wissen wir zu schätzen«, erwiderte Ferdinand Wellenbrink und unterstrich somit, wie die weitere Befragung ablaufen würde. Genau das hatte Jana befürchtet. »Gibt es mittlerweile irgendwelche Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Unfall meines Sohnes vorsätzlich herbeigeführt wurde?«, kam er sogleich zur Sache.

»Aufgrund der uns vorliegenden Informationen gehen wir im Moment davon aus«, bestätigte sie.

»So etwas habe ich mir schon gedacht.«

»Weswegen? Gab es einen konkreten Anlass?«

»Nein, das nicht. Aber ich brauche Ihnen vermutlich nicht zu erklären, dass mein Sohn als Anwalt nicht nur Freunde hatte.« Kaum dass Wellenbrink senior zu Ende gesprochen hatte, war ein lautes Schluchzen von seiner Schwiegertochter zu vernehmen. »Valerie, so reiß dich doch vor den Ermittlern zusammen«, forderte er die Trauernde harsch auf.

Keine Spur von Mitleid, wie Jana mit Bedauern feststellen musste. »Sie spielen auf die Prozesse an, die Ihr Sohn in den letzten Jahren geführt und zu großen Teilen gewonnen hat«, erwiderte sie, ohne eine Antwort zu erwarten, die auch nicht kam.

Der Tote, Julius Wellenbrink, war ein international anerkannter Strafverteidiger gewesen, der in den letzten Jahren mehrere spektakuläre Prozesse geführt und gewonnen hatte, selbst wenn seine Mandanten zu Beginn einer Verhandlung kaum Aussicht auf einen Freispruch gehabt hatten. Der Gedanke lag nahe, dass er sich hierbei einige Feinde gemacht hatte. »Lag eine konkrete Bedrohung gegen Ihren Sohn vor?«

»Eine?« Der Patriarch ließ ein höhnisches Lachen ertönen. »Ich lasse Ihnen die Drohbriefe und E-Mails morgen zustellen. Dann können Sie sich Ihr eigenes Bild machen. Wobei die Erfahrung zeigt, dass Sie Julius’ Mörder höchstwahrscheinlich nicht darunter finden werden. Die wahren Gefahren lauern da, wo man sie am wenigsten erwartet.«

»Haben Sie einen bestimmten Verdacht?«, hakte Jana nach.

»Bedauerlicherweise nein.«

»Hat sich Ihr Mann in den letzten Tagen auffällig verhalten? War er zum Beispiel nervös?«, unternahm sie einen weiteren Versuch, mit der Witwe ins Gespräch zu kommen.

Valerie Wellenbrink warf ihrem Schwiegervater einen verunsicherten Blick zu, als ob sie ihn um Erlaubnis bitten wollte, die Frage zu beantworten. Und tatsächlich deutete er ihr durch ein kurzes Kopfnicken an, dass sie antworten dürfe. »Nein, alles war wie immer. Er wirkte zwar etwas angespannt, weil der Prozess gegen diesen Ben Luger bald beginnen sollte. Aber das war nicht ungewöhnlich. Larissa und mir gegenüber hat er sich ganz normal verhalten.«

»Larissa ist Ihre Tochter, nehme ich an.«

»Richtig. Sie ist völlig fertig mit den Nerven. Die Kleine ist … war Julius’ ganzer Stolz. Sie ist erst letzte Woche elf geworden. Und«, die Witwe schniefte, »jetzt muss ich ihr erklären, dass ihr Papa nicht mehr nach Hause kommt.«

»Wissen Sie, wohin Ihr Mann unterwegs war, als sich der Unfall ereignete?«

»Das ist eine seltsame Geschichte«, war es wieder Ferdinand Wellenbrink, der das Wort ergriff.

Offenbar hatte es heute keinen Zweck, die Befragung mit der Witwe zu führen. Das würde sie später nachholen, beschloss Jana.

»Seine Sekretärin hat mir erzählt, dass er plötzlich aus dem Büro gestürmt ist und sie angewiesen hat, alle Termine für heute abzusagen. Ohne jegliche Erklärung, das sieht ihm eigentlich gar nicht ähnlich.« Der alte Wellenbrink runzelte die Stirn.

»Das ist interessant«, befand Jana.

»Sie sollten die Telefongespräche meines Sohnes zurückverfolgen lassen. Die Sekretärin glaubt, dass Julius unmittelbar vor seinem Aufbruch telefoniert hat.«

»Das hätten wir ohnehin getan, wie Sie sich denken können, Herr Wellenbrink«, ergriff nun Hempel zum ersten Mal das Wort. »Das verstehen wir unter polizeilicher Routinearbeit.«

Jana konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Sie ahnte, dass es in ihrem Kollegen brodelte, da er mit Menschen vom Schlage Ferdinand Wellenbrinks noch weniger anfangen konnte als sie selbst. Und sie war schon mächtig genervt. Da spielte es auch keine Rolle, dass dieser Wichtigtuer gerade erst seinen Sohn verloren hatte. »Sie glauben also, dass Ihr Sohn einen Anruf erhalten hat, der ihn dazu veranlasste, alles stehen und liegen zu lassen, um wohin auch immer zu fahren?«, griff sie Wellenbrinks Gedanken auf.

»Genau.«

»Danke für diese Information, wir werden sehen, ob sie uns weiterbringt. Fürs Erste haben wir keine weiteren Fragen mehr. Wir finden alleine hinaus«, verabschiedete sich die Kommissarin und verließ mit ihrem Kollegen die Villa.

 

»So ein Kotzbrocken«, meinte Hempel, als sie in den Wagen einstiegen.

»Der alte Wellenbrink nimmt auch auf meiner Beliebtheitsskala eher einen Platz in den hinteren Rängen ein. Aber der Hinweis mit dem Telefonat war sehr aufschlussreich.«

»Du glaubst, dass ihn sein Mörder angerufen hat?« Hempel sah sie an.

»Genau das denke ich. Wir müssen uns unbedingt die Verbindungsnachweise für den Telefonanschluss in seinem Büro und für sein Handy besorgen.«

»Darum kümmere ich mich gleich morgen früh.«

»Und ich werde Horst fragen, ob die KTU die Daten aus dem Navigationsgerät auslesen konnte. Vielleicht hat das Feuer ja nicht alles restlos zerstört. Aber für heute machen wir erst mal Feierabend.«

Kapitel 4

 

Als er den schallisolierten Kellerraum betrat, lag der Gefangene am Boden auf der Matratze. Er selbst hatte ihn vor einigen Tagen mit einer mittelalterlichen Handschelle gefesselt, die aus drei Teilen Flachstahl geschmiedet war, und anschließend die Fessel mit einer etwa zwei Meter langen grobgliedrigen Eisenkette an einem stabilen Wandhaken befestigt. Das Ding saß so fest, dass man sich unmöglich davon befreien konnte. Gleichzeitig war der Gefangene so in der Lage, selbstständig zu essen oder seine Notdurft in einem Eimer zu verrichten.

Er setzte sich auf den Stuhl an der gegenüberliegenden Wand und beäugte seine Geisel. Der Mann starrte ihn angsterfüllt an.

»Es wird dich sicherlich interessieren, dass dein alter Kumpel Julius gerade mitten in seiner letzten großen Verhandlung stecken dürfte. Diesmal allerdings nicht vor einem irdischen, sondern vor dem Jüngsten Gericht. Ich befürchte jedoch, dass der ach so erfolgsverwöhnte Staranwalt heute eine empfindliche Niederlage einstecken wird.« Er musste über seinen eigenen Scherz schmunzeln, während der Mann auf der Matratze nicht die geringste Reaktion zeigte. »Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Gott ihn nach all den Verfehlungen mit offenen Armen empfangen wird«, fuhr er fort. »Der gute Julius wird wohl geradewegs auf dem Weg in die Hölle sein. An die Temperaturen dort unten konnte er sich bei seinem Ableben schon mal gewöhnen.«

»Was soll das heißen?« Der Gefangene riss die Augen weit auf.

»Dass sein Abgang nicht so gelaufen ist wie geplant. Offensichtlich ist die Qualität deutscher hochpreisiger Autos, was den Sicherheitsaspekt angeht, deutlich besser als gedacht. Deshalb musste ich etwas improvisieren. Das war um einiges schmerzhafter für den lieben Julius, als bei dem Unfall draufzugehen. Tod durch Verbrennen ist eine schmerzvolle Angelegenheit. Aber sei’s drum. Nicht mehr zu ändern. Und schließlich hat er sich das ja auch selbst zuzuschreiben, findest du nicht?«

»So zu sterben hat niemand verdient, nicht mal Julius«, zischte der Entführte durch die Zähne. In seinem Blick standen gleichzeitig blankes Entsetzen und die Angst davor, welches Schicksal ihm selbst wohl noch bevorstand.

»Du hast einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass ich von seinem Geheimnis erfahren habe. Dafür bin ich dir wirklich sehr dankbar, auch wenn du mir das jetzt nicht unbedingt glaubst. Trotzdem ist meine Arbeit noch lange nicht erledigt, wie du weißt. Ihr habt mehrere Leben zerstört, das darf nicht ungesühnt bleiben. Dabei wiegen deine Schuld und die von Sanddorn, deinem ehemaligen Weggefährten, ungleich schwerer als die des Anwalts. Und all das nur wegen der Kohle! Dein alter Kumpel wird übrigens übermorgen von seinem Mallorca-Trip zurückkehren. Dann ist auch seine Zeit gekommen. Ich werde dich über die weiteren Entwicklungen selbstverständlich auf dem Laufenden halten.«

Mit diesen Worten machte er kehrt und überließ den Gefangenen wieder sich selbst und den eigenen Gedanken, die sich garantiert einzig und allein darum drehten, wann sein letztes Stündlein schlagen würde.

 

Kapitel 5

 

Mittwoch, 4. September

 

Jana hatte am Vorabend noch Bekanntschaft mit einer guten Flasche Rotwein gemacht. Obwohl sie nur zwei Gläser getrunken hatte, war sie am Morgen nach einer unruhigen Nacht mit recht starken Kopfschmerzen aufgewacht. Entsprechend unausgeschlafen betrat sie das Büro. Da sie immer noch einen Brummschädel hatte, schluckte sie eine Aspirin, und gerade als sie sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, trat ihr Chef ein.

»Guten Morgen, Jana. Täuscht der Eindruck, oder bist du schlecht drauf?« Der Kriminalrat lächelte, wobei sich kleine Fältchen um seine Augen zeigten. Ansonsten hatte der Sechsundfünfzigjährige noch nicht einmal ansatzweise Falten, sein Gesicht war glatt wie ein Babypopo, wie er selbst immer betonte. Weniger Glück hatte er dafür mit seinen Haaren. Die Geheimratsecken wurden von Jahr zu Jahr größer, und auch auf dem Kopf prangte eine erste kahle Stelle. Vor kurzem hatte er in Janas Beisein erwähnt, es wäre nur noch eine Frage der Zeit, bis sein dunkelblonder Schopf einer Glatze weichen würde. Wobei er betonte, dass er diesen Zeitpunkt selbst bestimmen und nicht etwa der Natur freien Lauf lassen wollte. Stöver war wie immer leger gekleidet, trug Jeans und ein gestreiftes Sommerhemd. Dem Wetter angemessen, denn im Gegensatz zum Vortag war es heute schon am frühen Morgen recht mild gewesen. So locker wie Stövers Kleidungsstil fiel auch der Umgang mit seinen Mitarbeitern aus, entsprechend beliebt war er auf dem Präsidium.

»Kopfschmerzen«, war alles, was Jana erwiderte.

»Verstehe. Warum hast du gestern nicht mehr angerufen, um mich auf den neuesten Stand zu bringen? Ans Handy bist du auch nicht gegangen.«

»Verdammt, habe ich völlig vergessen. Dass du angerufen hast, ist mir erst später aufgefallen, da wollte ich nicht mehr zurückrufen. Sorry.«

»Entschuldigung angenommen. Kollege Hempel hat mich eben bereits informiert.«

»Wer immer Wellenbrink aus dem Weg geräumt hat, wollte auf jeden Fall auf Nummer sicher gehen.«

»Daran besteht wohl kein Zweifel. Es wird in den nächsten Tagen eine Menge Arbeit auf euch zukommen. Die Liste der Feinde, die er gehabt haben dürfte, wird mit Sicherheit umfangreich sein.«

»Das meinte der Senior auch. Ich hätte mich zu gerne ausführlicher mit der Witwe unterhalten, bekam aber gestern kaum Gelegenheit dazu, der alte Kauz hat das Gespräch komplett an sich gerissen.«

»Das überrascht mich nicht. Er ist Anwalt. Noch dazu ein sehr guter und …«, bevor Stöver weiterreden konnte, wurde er durch ein Klopfen unterbrochen.

»Herein«, rief Jana. Herrje, ihr dröhnte noch immer der Schädel. Wann begann die verdammte Kopfschmerztablette endlich zu wirken?

»Morgen, Jana«, begrüßte Steffen Hempel sie. »Lange Nacht gehabt?«, konnte auch er sich eine Spitze nicht verkneifen, wofür er einen entsprechenden Blick von ihr erntete. »Es gibt Neuigkeiten. Uns liegen schon die Verbindungsdaten von Wellenbrinks Mobilfunkanbieter vor.«

»So schnell?«, wunderte sich Jana.

»Henning hat das gestern noch in die Wege geleitet, ehe er Feierabend gemacht hat. Wellenbrink erhielt tatsächlich einen Anruf, unmittelbar bevor er so überstürzt aus dem Büro gestürmt ist.«

»Da hat der Senior also recht gehabt. Liege ich richtig mit der Vermutung, dass dieser Anruf von einem Prepaidhandy getätigt wurde, das sich nicht zurückverfolgen lässt?«, mutmaßte Jana.

»Sogar goldrichtig.«

»Dann können wir getrost davon ausgehen, dass es sich bei dem Anrufer um Wellenbrinks Mörder oder dessen Auftraggeber handelt«, meinte Stöver.

»Oder um seine Mörderin«, widersprach Jana.

»Denkst du ernsthaft, dass für diese Tat eine Frau verantwortlich war?«

»Warum denn nicht? Es gibt da draußen mit Sicherheit genügend Damen mit krimineller Energie, die zu solch einer Tat fähig wären. Heute kann doch jedes Kind im Internet nachlesen, wie man eine Bombe baut. Und auslaufendes Benzin mit einem Feuerzeug anzuzünden – na ja, das ist jetzt auch keine allzu große Herausforderung. Von daher sollten wir diese Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen.«

»Ich stelle mal die Behauptung auf, dass wir auf jeden Fall nach einem männlichen Täter suchen. Ich habe nämlich noch mehr Neuigkeiten«, fuhr Hempel fort. »Ich war heute Morgen in der Leitstelle und habe versucht, herauszufinden, wer Wellenbrinks Unfall gemeldet hat.«

»Lass mich raten: Der Anrufer war männlich, hat ein Prepaidhandy benutzt und ist nicht zurückzuverfolgen.«

»Bingo. Ist schon ein großer Zufall, dass wir’s in beiden Fällen mit einer nicht verfolgbaren Prepaidnummer zu tun haben. Wenn ihr mich fragt, gehört die jeweils zu ein und derselben Person. Beide Nummern sind übrigens seit den Gesprächen nicht mehr aktiv gewesen. Würde mich nicht wundern, wenn er – oder sie – die SIM-Karten bereits entsorgt hat. Das lernst du ja schon in jedem Fernseh-Krimi.«

»Ich frage mich, was der Unbekannte gesagt hat, um Wellenbrink derart aufzuscheuchen und ihn in die Falle zu locken …«, warf Stöver ein.

»Ich fürchte, dass Wellenbrink dieses Geheimnis mit ins Grab genommen hat. Nach den wenig erbaulichen Neuigkeiten schlage ich vor, dass wir jetzt in die Kanzlei fahren und die Angestellten dort befragen«, erwiderte Jana, schloss kurz die Augen und massierte sich mit Daumen und Zeigefingern die Schläfen.

»Eine Sache wäre da noch«, meinte Stöver. »Ich brauche euch nicht zu erzählen, dass diesmal ein besonderer Druck auf uns lastet. Der Fall ist seit den Morgenausgaben der Zeitungen in aller Munde. Egal ob in der Morgenpost, im Internet, Fernsehen oder Radio, es gibt kein anderes Thema als den Tod von Wellenbrink. Wäre also gut, wenn wir schnellstmöglich Ergebnisse präsentieren.«

»Gut, dass du’s noch mal erwähnst, Jens.«

Jana griff nach einer Wasserflasche und wandte sich zum Gehen.

»Also los, Steffen. Du hast den Chef gehört. Keine Zeit zu verlieren. Schnapp dir Henning, wir treffen uns unten am Wagen.«

Kapitel 6

 

Sie brauchten knapp zwanzig Minuten vom Präsidium am Bruno-Georges-Platz bis zu dem Bürogebäude in der Hamburger Straße, in dem Wellenbrink & Partner untergebracht war. Die Aufgaben waren klar verteilt. Kruse sollte beim hauseigenen Sicherheitsdienst überprüfen, dessen Räumlichkeiten im Erdgeschoss lagen, ob die Tiefgarage videoüberwacht wurde. Seit dem Vorabend hatte sich Jana die Frage gestellt, wann der Täter die Mini-Sprengladung am Porsche des Anwalts angebracht haben konnte. Aus ihrer Sicht war die Tiefgarage dafür der geeignetste Ort. Hempel sollte die Mitarbeiter der Kanzlei befragen, während sie Wellenbrink senior treffen wollte.

Die beiden Ermittler wurden von einer freundlichen Dame empfangen, die sich als Ute Dörfler vorstellte. Die Hauptkommissarin wollte der Sekretärin gerade eine Frage stellen, als Ferdinand Wellenbrink aus einer der beiden Türen gleich links neben dem Empfangsbereich stürmte.

»Da sind Sie ja endlich! Ich habe schon viel früher mit Ihnen gerechnet. Frau Dörfler, ich möchte jetzt nicht gestört werden«, befahl er ohne ein Wort der Begrüßung, um gleich wieder auf dem Absatz kehrtzumachen und in das Büro zurückzueilen, aus dem er gerade gekommen war.

Jana warf einen Blick auf die Armbanduhr und schüttelte verärgert den Kopf. Noch nicht mal viertel nach neun. Was bildete sich der Mann eigentlich ein? Der Kerl wurde ihr immer unsympathischer.

»Ich denke, das war seine Art, mir zu sagen, dass ich ihm folgen soll«, stellte sie leise fest, woraufhin Ute Dörfler verlegen lächelte und zustimmend nickte. Sie folgte dem Strafverteidiger, während ihr Kollege zurückblieb und mit der Befragung der Sekretärin begann.

Als sie Wellenbrinks Büro betrat, staunte sie nicht schlecht. Der Raum war mindestens dreißig Quadratmeter groß und bestach in seiner Einrichtung durch schlichte Eleganz. Lediglich der übergroße glänzende Mahagoni-Schreibtisch mit der dreigeteilten Arbeitsfläche aus grünem Leder, der gegenüber am anderen Ende stand, fiel etwas aus dem Rahmen.

»Setzen Sie sich doch.« Wellenbrink deutete auf eine Sitzgruppe aus weißem Leder, die aus einem Sofa und drei Sesseln bestand. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken kommen lassen?«

Jana lehnte dankend ab und nahm in einem Sessel Platz, von dem aus sie Wellenbrinks Regungen am besten beurteilen konnte.

»Darf ich fragen, was Ihr Kollege da draußen treibt?«

»Er befragt die Mitarbeiter. Routine, wie Sie wissen dürften«, erwiderte sie.

»Und was soll das Ihrer Meinung nach bringen? Sie wissen doch so gut wie ich, dass Julius’ Mörder nicht hier zu finden ist. Meine Kollegen, die Sekretärinnen und sogar die Schülerpraktikantin haben ein lupenreines Alibi. Also sollten Sie Ihre wertvolle Zeit nicht mit sinnlosen Befragungen verbringen.«

»Zu beurteilen, welcher Teil unserer Arbeit sinnvoll oder weniger sinnvoll ist, sollten Sie schon uns überlassen, Herr Wellenbrink. Ich kann mir denken, dass Sie eine klare Vorstellung davon haben, wie wir unseren Job zu erledigen haben. Und diese dürfte sich kaum mit meiner Auffassung decken.« Jana gab sich betont freundlich, musste sich aber zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Die Arroganz dieses Mannes kotzte sie derart an, dass sie ihm das am liebsten ins Gesicht geschrien hätte. Heute wollte sie Wellenbrink erst gar nicht die Gesprächsinitiative überlassen, so wie am Vortag in der Villa seines ermordeten Sohnes. Doch der Anwalt ließ sich nicht beirren.

»Nun, es steht Ihnen selbstverständlich frei, Ihre Ermittlungen durchzuführen, wie Sie das für richtig halten, Frau Brinkhorst. Ich wollte Ihnen nur unnötige Arbeit ersparen und Ihren Blick stattdessen auf diese Unterlagen lenken. Ich bin davon überzeugt, dass Sie hier die Antwort auf die Frage finden, wer für Julius’ Tod verantwortlich ist.« Er deutete auf einen Stapel Papiere vor sich auf dem Tisch.

»Und was sind das für Unterlagen?«

»Eine Aufstellung aller Fälle, mit denen mein Sohn in den letzten fünf Jahren betraut war. Des Weiteren finden Sie hier sämtliche Namen und Adressen von Opfern und Klägern, die in einem Prozess unterlegen waren und somit als mögliche Täter in Betracht kommen. Außerdem haben wir Ihnen sämtliche Briefe zusammengestellt, in denen Julius bedroht wurde, zuweilen sogar mit dem Tod. Selbstverständlich wurden sie alle anonym versendet. Aber unter Umständen können Sie ja trotzdem etwas damit anfangen.«

Es widerstrebte ihr zwar, doch Jana musste zugeben, dass Wellenbrink ihnen dadurch durchaus die Arbeit erleichtert hatte. Dennoch war sie genervt von ihm und seiner Art. Schon wieder hatte er es geschafft, sie mehr oder weniger zu bevormunden, und das passte ihr überhaupt nicht in den Kram. »Vielen Dank. Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen. Wir werden uns selbstverständlich intensiv mit den Schriftstücken auseinandersetzen. Ist Ihnen in der Zwischenzeit eine Person eingefallen, der Sie den Mord an Ihrem Sohn zutrauen würden?«

Wellenbrink starrte sie an.

»Ich wiederhole mich nur sehr ungern, Frau Hauptkommissarin. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wenn ich das wüsste, würden wir dieses Gespräch kaum führen.«

»Und dennoch sind Sie davon überzeugt, dass wir den Namen des Täters oder der Täter in den Unterlagen finden«, warf Jana kühl ein.

»Wie ich gestern bereits erwähnte, hat mein Sohn sich in den letzten Jahren eine Menge Feinde gemacht. Es würde mich wundern, wenn Sie in den Akten keinen Hinweis finden.«

»In Ordnung, wir werden die Unterlagen später mitnehmen. Aber jetzt möchte ich erst einmal mit der Sekretärin Ihres verstorbenen Sohnes sprechen. Und zwar allein, Herr Wellenbrink.«

Jana erhob sich. Mit Genugtuung nahm sie zur Kenntnis, dass der Kanzleichef ihr einen eisernen Blick zuwarf.

 

Eine halbe Stunde später verließ sie mit Hempel die Praxisräume in der Hamburger Straße, ohne neue Erkenntnisse gewonnen zu haben. Keine der befragten Personen hatte ihnen weiterhelfen können. Auch Julius Wellenbrinks Sekretärin schien nicht zu wissen, warum der Anwalt Hals über Kopf nach dem Anruf aus dem Büro gestürmt war. Dabei hatte sich Jana von ihr noch die meisten Informationen erhofft.

»Wo steckt eigentlich Henning? Es kann doch unmöglich so lange dauern, zu überprüfen, ob die Tiefgarage videoüberwacht ist«, wunderte sich Jana, als sie in den Fahrstuhl gestiegen waren.

»Er sitzt wahrscheinlich in irgendeinem Café und wartet auf uns«, erwiderte Hempel.

»Oder er kommt uns gerade entgegen«, antwortete sie, als sie einen Moment später unten im Erdgeschoss aus dem Fahrstuhl traten.

»Ich war gerade auf dem Weg zu euch«, meinte Kruse. »Ihr werdet kaum glauben, was ich rausgefunden habe.«

Jana erwiderte nichts, sondern sah den Kollegen nur erwartungsvoll an.

»Etwa eine halbe Stunde bevor Wellenbrink diesen Anruf erhielt, hat sich jemand an seinem Porsche zu schaffen gemacht. Man erkennt das Gesicht der Person leider nicht, und es ist auch nicht zu sehen, was genau er oder sie da macht. Aber wenn man den Zeitpunkt bedenkt, könnte es sich um den Täter gehandelt haben. Ich habe eine Kopie vom Sicherheitsdienst bekommen.«

»Wenigstens ein Lichtblick. Die Befragung der Angestellten war nämlich nicht gerade von Erfolg gekrönt«, entgegnete Jana.

»Dann wird’s euch sicherlich freuen, dass ich noch mehr rausgefunden habe. Es gibt schräg gegenüber der Tiefgarage eine Boutique mit Videoüberwachung. Eine Kamera ist auf Kleiderständer ausgerichtet, die auf dem Gehweg stehen. Sie erfasst auch die Ausfahrt. Ich habe die Ladenbesitzerin gebeten, mir das Material zu zeigen.«

»Sag jetzt nicht, der Täter ist auf den Aufnahmen zu sehen«, unterbrach Jana ihn ungeduldig.

»Das leider nicht. Aber vermutlich sein Wagen. In dem Moment, als Wellenbrink aus der Tiefgarage schoss, schert ein Audi aus und scheint die Verfolgung aufzunehmen. Das Kennzeichen ist allerdings nicht zu erkennen.«

»Henning, das sind großartige Neuigkeiten! Gute Arbeit. Wir fahren sofort zurück zum Präsidium. König muss die Aufnahmen auswerten.«

 

Kapitel 7

 

Als Jana das Büro betrat, lag bereits der Abschlussbericht von Wellenbrinks Obduktion auf ihrem Schreibtisch. Bildete sie sich das nur ein, oder hatte der Gerichtsmediziner seine Arbeit ungewöhnlich schnell erledigt? Irgendwie kam es ihr so vor, als ob im Fall des stadtbekannten Strafverteidigers die Uhren alle ein wenig schneller zu ticken schienen als sonst üblich. Das hatte schon damit angefangen, dass von Beginn an der Polizeipräsident involviert gewesen war. Und auch am Unfall- beziehungsweise Tatort hatte man zu spüren bekommen, dass dieser Fall anders lag als sonst. Der Tod eines Prominenten schien den sonst oft starren, von bürokratischen Vorschriften beeinflussten Beamtenapparat plötzlich regelrecht zu beflügeln. Vielleicht hörte sie aber auch nur die Flöhe husten und bildete sich das nur ein, weil sie von Beginn an eine tiefe Abneigung gegenüber Ferdinand Wellenbrink empfunden hatte, der so ungeniert Einfluss auf die Ermittlungen nehmen wollte.

Sie schlug die Mappe auf und begann zu lesen. Der Teil, der sie am meisten interessierte, fand sich im Schlussdrittel des Berichts. Wellenbrink war eindeutig durch das Feuer gestorben, wie Rauchgase und Rußpartikel belegten, die in der Lunge des Anwalts nachgewiesen werden konnten. Jana seufzte, als sie zu Ende gelesen hatte. Sie stand auf und wollte sich auf den Weg nach nebenan zu Henning und Steffen machen. Als sie die Tür öffnete, lief sie geradewegs dem Chef der KTU in die Arme.

»Wohin des Weges, schöne Frau?«

»Oh. Ich wollte Steffen und Henning gerade erzählen, was Wellenbrinks Obduktion ergeben hat.«

»Der Bericht liegt schon vor?«

»Das habe ich auch gedacht. Aber sag, was führt dich zu mir?«

»Ich wollte dir meinen vorläufigen Bericht über die Vorkommnisse in der Waltershofer Straße vorbeibringen.«

Erst jetzt registrierte Jana, dass König einen Schnellhefter in der Hand hielt.

»Ich schlage vor, dass du mit rüberkommst. Dann muss ich nicht zweimal erzählen, was im Obduktionsbericht steht. Und du kannst uns bei der Gelegenheit auf den neuesten Stand bringen«. Sie schob sich an König vorbei und marschierte schnurstracks, ohne anzuklopfen, in das Büro direkt gegenüber.

Hempel blickte auf, als sie den Raum betrat, im Schlepptau den Leiter der Spurensicherung. Offenbar hatte er bereits damit begonnen, die Unterlagen zu sichten, die Ferdinand Wellenbrink ihnen zuvor in der Kanzlei ausgehändigt hatte. Von Kruse war nichts zu sehen.

Jana setzte sich auf einen der beiden Besucherstühle, während König es bevorzugte, stehen zu bleiben.

»Wo ist Henning?«, wollte sie wissen.

»Schon da«, ertönte es aus dem Hintergrund, als ihr Partner durch die offene Bürotür hereinspazierte. »Hätte ich gewusst, dass sich Horst hier rumtreibt, hätte ich mir den Weg gespart. Ich habe deinem Kollegen das Videomaterial aus der Hamburger Straße zur Auswertung gegeben«, wandte Kruse sich an den Chef der Spurensicherung.

»Was für Videomaterial?«, wollte König wissen.

»Erklären wir dir gleich. Aber alles der Reihe nach. Es gibt Neuigkeiten«, begann Jana und brachte die Drei auf den aktuellsten Stand. »Es handelt sich also um waschechten Mord. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Horsts Team etwas rausgefunden hat, das uns einen gehörigen Schritt weiterbringt.«

»Ich fürchte, dass ich euch da enttäuschen muss, Jana«, fiel König ihr ins Wort. »Das Wichtigste zuerst: Unsere Vermutung, dass Wellenbrinks Unfall vorsätzlich durch den kontrollierten Einsatz von Plastiksprengstoff herbeigeführt wurde, hat sich bestätigt. Der Täter hat mit C4 beide Reifen zum Platzen gebracht. Das Feuer hat zwar leider nichts mehr von der Bereifung übrig gelassen, aber die Spuren an den Felgen waren eindeutig. Wir konnten die Stelle lokalisieren, wo die Explosion ausgelöst wurde, und auch die ungefähre Geschwindigkeit ermitteln, die Wellenbrinks Porsche zum Unfallzeitpunkt draufhatte.«

»Ich tippe mal auf mindestens hundert Sachen«, meinte Kruse, der ein großer Motorsport-Fan war.

»Nah dran, Henning. Sogar knapp an die hundertzehn Stundenkilometer. Wäre Wellenbrink nicht mit einem Porsche oder einem vergleichbaren Fahrzeug in dieser Preisklasse unterwegs gewesen, hätte er den Unfall höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum der Mörder mit dem Feuer nachgeholfen hat, womit wir dann bei Teil zwei meines Berichtes angekommen wären. Wir konnten den Gegenstand, mit dem der Brand entfacht wurde, eindeutig als Sturmfeuerzeug der Marke Zippo identifizieren. Aber bevor ihr fragt, die Herkunft des Zippos ist nicht auszumachen. Diese Spur führt uns leider nicht zu dem Täter oder den Tätern.«

»Und was ist mit dem C4?«, wollte Hempel wissen. »Das bekommt man ja kaum im Supermarkt um die Ecke.«

»Nein, natürlich nicht. Bei C4 handelt es sich um einen Sprengstoff, der in erster Linie vom Militär eingesetzt wird. Wurde in den Sechzigern von dem tschechischen Chemiker Stanislav Brebera entwickelt. Eine kommerzielle Nutzung gibt es im Grunde nicht. Trotzdem blüht der Schwarzmarkt für Sprengstoffe dieser Art. Wegen der einfachen Handhabung ist C4 leider Gottes auch bei Terroristen sehr beliebt. Wenn man an den Sprengstoff rankommen möchte, ist das nicht wirklich ein Problem, das Darknet macht heutzutage fast alles möglich. Wenn Geld keine Rolle spielt, kannst du dir das Zeug inklusive Zündkapseln sogar nach Hause schicken lassen. Mehr als ein paar Gramm waren für die Explosion auch nicht notwendig. Die Spur wird uns da aber leider nicht weiterbringen, eine Rückverfolgung des Verkäufers ist unmöglich. Ich kann in diesem Zusammenhang allerdings sagen, dass der oder die Täter auf jeden Fall über technisches Know-how verfügen muss beziehungsweise müssen. Immerhin wurde der Sprengstoff über eine Fernzündung zur Explosion gebracht – und auch die richtige Menge wurde berechnet, um nur die Autoreifen platzen zu lassen. Wenn du dich nämlich damit nicht auskennst, jagst du schnell das ganze Auto in die Luft.«

»Wobei ich mich ohnehin frage, warum er das nicht gemacht hat. Wäre doch viel einfacher gewesen«, grübelte Kruse laut.

»Guter Einwand, Henning«, meinte auch Jana.

»Vielleicht wollte der Täter, dass Wellenbrink einen möglichst schmerzvollen Tod hat und vorher ordentlich leiden muss«, schlug Hempel vor.

»Das wäre zwar eine Erklärung, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Der Mörder konnte kaum vorhersehen, dass Wellenbrink bei dem Unfall nicht draufgeht«, war Jana anderer Meinung. »Trotzdem sollten wir diesen Aspekt im Hinterkopf behalten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Inszenierung des Unfalls möglicherweise aus einem bestimmten Grund erfolgt ist. Das Vorgehen hat für mich einen symbolträchtigen Charakter. Vielleicht finden wir in den Unterlagen aus der Kanzlei einen Hinweis auf einen Prozess, in dem ein Autounfall eine wichtige Rolle gespielt hat«, warf Jana in die Runde.

»Apropos Unterlagen. Allein die Liste mit Namen von Wellenbrinks Familienangehörigen, Freunden und Bekannten umfasst neunzig Personen, die wir überprüfen müssten. Das schließt aber noch gar nicht die Leute mit ein, die Wellenbrink bedroht oder in den Prozessen eine Rolle gespielt haben«, erklärte Hempel.

Jana stieß angesichts dieser Zahl hörbar den Atem aus. »Dann sollten wir wohl nicht länger tatenlos hier rumsitzen, sondern uns an die Arbeit machen. Also gut, Männer«, sie klatschte in die Hände, »lasst uns mit der Auswertung beginnen und eine Liste mit Personen erstellen, die möglicherweise ein Motiv für den Mord an Julius Wellenbrink haben könnten.«

»Moment, nicht so schnell. Was hat es denn jetzt mit diesem Videomaterial auf sich, von dem Henning eben gesprochen hat?«, wollte König wissen.

»Es sind zwei verschiedene Aufnahmen«, erläuterte Kruse. »Eine stammt aus der Tiefgarage des Gebäudes, in dem die Wellenbrink-Kanzlei untergebracht ist. Die andere aus einem Geschäft schräg gegenüber der Garagenausfahrt. Auf der Tiefgaragenaufnahme ist zu sehen, wie der Täter die Sprengladung am Porsche anbringt. Jedenfalls vermuten wir das. Die Aufzeichnungen sind sehr grobkörnig, die Überwachungsanlage war leider nicht gerade auf dem neuesten Stand. Vielleicht könnt ihr noch was aus den Aufnahmen rausholen. Das Gesicht des mutmaßlichen Täters war ohnehin nicht erkennbar, er muss gewusst haben, wo sich die Kameras befanden. Die zweite Aufzeichnung zeigt, wie Wellenbrink die Garage verlässt. Und man erkennt, dass unmittelbar danach ein Audi die Verfolgung aufnimmt, der am Rand geparkt stand. Möglicherweise der Tatverdächtige.«

»Klingt vielversprechend. Ich mache den Jungs mal Dampf, dann werden wir sehen, ob uns diese Spur weiterbringt«, erwiderte König und verließ das Büro.

 

Kapitel 8

 

Donnerstag, 5. September

 

Die Fortschritte bei den Ermittlungen vom Vortag hatten sich in Grenzen gehalten. Königs Leute hatten die Videoaufnahmen aus der Tiefgarage bildtechnisch bearbeitet, aber aufschlussreiche Erkenntnisse ergaben sich dadurch nicht. Der Täter war demnach zwischen eins fünfundsiebzig und eins achtzig groß, trug sportliche Kleidung und bewegte sich recht geschmeidig. Nicht gerade viele Details, um den Täterkreis einzugrenzen, wie Jana zugeben musste.

Auch die Aufzeichnung der Boutique brachte sie erst einmal nicht weiter. Da es sich um eine Schwarzweiß-Aufnahme handelte, ließ sich die Wagenfarbe des Audis nicht eindeutig bestimmen. Sie suchten den Fahrer eines dunklen A3. Erstaunlich, wie viele Modelle dieses Wagentyps in Hamburg und Umgebung zugelassen waren, die Überprüfung der Halter würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber es war immerhin eine Spur, auf die Jana den Kollegen Kruse angesetzt hatte, während sie sich mit Hempel durch Ferdinand Wellenbrinks Unterlagen gekämpft hatte. Doch neue Erkenntnisse ergaben sich bisher nicht.

Die ungeklärten Fragen raubten ihr den Verstand – und den Schlaf. Immer wenn sie mitten in einer Mordermittlung steckte, führte sie ein Duell mit ihrem ruhelosen Geist, das sie in der Regel verlor. Und wegen der besonderen Ermittlungsumstände, die durch die Einflussnahme von Ferdinand Wellenbrink entstanden waren, wurde dieser Effekt sogar noch verstärkt, wie sie sich eingestehen musste. Immer wieder war sie die drei zentralen Fragen durchgegangen, die sich bei jeder Ermittlung stellten: Wer hatte ein Motiv? Wer die Gelegenheit? Und wer die Mittel?

Die Frage nach dem Motiv bereitete ihr dabei das meiste Kopfzerbrechen und hatte sie letztlich die halbe Nacht wachgehalten. Konnte ein vor Gericht gescheitertes Opfer oder eine ihm nahestehende Person für den Mord verantwortlich sein, weil Wellenbrink ein Meister seines Fachs gewesen war? Wenn sie allein an den Prozess eines mutmaßlichen Kinderschänders dachte, wurde ihr schlecht. Wellenbrink hatte einen Freispruch erwirkt, weil er damals nachweisen konnte, dass ein für den Prozess wichtiger Beweis durch einen Ermittler manipuliert worden war. In einem anderen Fall war es ihm gelungen, einen stadtbekannten Politiker vor dem Gefängnis zu bewahren. Die Anklage lautete auf Autounfall mit tödlichem Ausgang sowie anschließender Fahrerflucht. Es gab eindeutige Indizien, dass der Politiker für den Unfall verantwortlich gewesen war, doch der Mann hatte den SUV noch in der Nacht als gestohlen gemeldet. Da der Wagen nie mehr aufgefunden wurde, fehlte das entscheidende Beweisstück. Jana mochte sich gar nicht ausmalen, ob Wellenbrink seinem Mandanten den Tipp mit dem angeblichen Fahrzeugdiebstahl gegeben hatte – zuzutrauen gewesen wäre ihm ein solcher Schachzug allemal.

In den Unterlagen waren weitere derartige Fälle zu finden, die Raum für Spekulationen ließen, was ein mögliches Motiv für Wellenbrinks Ermordung anging. Doch je mehr Jana darüber nachgedacht hatte, desto mehr Zweifel waren ihr gekommen. Sicherlich boten Fälle dieser Art auf den ersten Blick ein hervorragendes Motiv. Aber warum hätte sich der Hass eines unterlegenen Klägers oder dessen Familienangehörigen dann gegen Wellenbrink richten sollen? Wäre es nicht nachvollziehbarer, sich am vermeintlich Schuldigen und dennoch freigesprochenen Täter zu rächen? Genau diese Frage hatte sie ruhelos durch die Wohnung tigern lassen, bis ihr wieder der Luger-Prozess eingefallen war, der bald beginnen sollte.

Ben Luger hatte zusammen mit einem untergetauchten Komplizen diverse Anleger mit sogenannten Schrottimmobilien um mehrere Millionen Euro betrogen. Wellenbrinks plötzlicher Tod würde den Prozessauftakt vermutlich um einige Wochen verzögern, da ein neuer Strafverteidiger Zeit brauchte, um sich angemessen auf den Fall vorbereiten zu können. Lag hier ein mögliches Motiv? Sie wusste nicht viel über den Vorgang. Die Sekretärin des Toten hatte erwähnt, dass Wellenbrink sich in den vergangenen vier Monaten ausschließlich mit dem Fall beschäftigt haben musste.

Kaum daheim, hatte Jana den Computer hochgefahren und Berichte über die Verhaftung und den anstehenden Prozess im Internet studiert. Erst dann war sie erschöpft ins Bett gegangen. Nach weniger als dreieinhalb Stunden Schlaf war sie hundemüde aufgewacht und anschließend unter die Dusche gesprungen, bevor sie sich nach einer starken Tasse Kaffee und einem Toast wieder auf ins Präsidium machte.

Sie hatte gerade hinter dem Schreibtisch in ihrem Büro Platz genommen, als Kriminalrat Stöver hereinstürmte.

»Wenn ich dieses Arschloch erwische, dem wir das hier zu verdanken haben! Der kann sich warm anziehen!«, polterte er gleich drauflos und knallte ihr eine Ausgabe der Hamburger Morgenpost auf den Schreibtisch.

»Ich wünsche dir auch einen Guten Morgen, lieber Jens«, flötete sie. Ihr Lächeln erlosch im selben Moment, als ihr die Schlagzeile der Titelseite ins Auge stach, die Stöver so auf die Palme gebracht hatte.

ES WAR MORD!

In großen Lettern, in bester Bildzeitung-Manier. Und in der Subheadline darunter: Heimtückischer Anschlag auf Julius Wellenbrink.

»Scheiße. Wie ist das möglich?«, fluchte Jana, nachdem sie den Artikel überflogen hatte. Er enthielt neben Spekulationen des Verfassers auch einige Ermittlungsdetails, die definitiv nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Dazu gehörte beispielsweise der Umstand, dass der Täter C4 verwendet hatte, um die Reifen zur Explosion zu bringen. Am meisten ärgerte sie jedoch die Tatsache, dass der Reporter in Bezug auf ein mögliches Motiv Mutmaßungen anstellte, der Mord könnte mit dem anstehenden Prozess von Ben Luger im Zusammenhang stehen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, hatte sie sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen!

»Eine berechtigte Frage, Jana. Entweder hat jemand aus dem Präsidium gequatscht, oder der alte Wellenbrink steckt dahinter, um den Druck auf unsere Ermittlungen zu erhöhen.«

»Woher soll Wellenbrink senior Ermittlungsinterna kennen? Er ist zwar gut vernetzt, aber so gut, dass er Kenntnis von Königs Abschlussbericht hat …? Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Trotzdem hat jemand mit der Presse gequatscht. Und das kann ich nicht durchgehen lassen.«