Zurüstungen für die Unsterblichkeit - Peter Handke - E-Book

Zurüstungen für die Unsterblichkeit E-Book

Peter Handke

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Beschreibung

Die Sonnenzeit geschlossener Horizonte, die Weite einer kleinen Enklave, die Ruhe eines selbstgenügsamen Völkchens sind vorbei. Krieg sickert durch die Grenzen. Noch ungeboren, werden Pablo und Felipe dazu auserkoren, ihrem Volk eine Geschichte zurückzugeben, das Recht einzusetzen, das allein den Niedergang der Enklave verhindert. Als Prinz der eine, als Nichtsling der andere kommen die beiden zur Welt, auf denen die Hoffnung einer neuen Ordnung lastet. Während Pablo der Ruf zum König ereilt, wird Felipe ein hinkender Schreiberling, der mit seinen unleserlichen Schriften gegen die bedrückende Geschichtslosigkeit nicht ankommt. Selbst dem Idioten geht der Stoff für Erzählungen aus, und so kommt die fremde Erzählerin im rechten Moment, um das »Feenmärchen« in ein »Königsdrama« zu wenden.

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Seitenzahl: 122

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Peter Handke

Zurüstungen für die Unsterblichkeit

Ein Königsdrama

Suhrkamp Verlag

»Gab es seit dem Laufen und Rennen hin über die Steppe

Auf der Erde viel Ausruhen? …

Ist die Finsternis fern ‒ wieviel Helligkeit ist da?

Wann wird ein Toter den Sonnenglanz sehen?«

Der König Gilgamesch

»Das Gesetz, das ich dir gebe, geht nicht über deine Mittel. Es ist nicht in den Himmeln. Es ist nicht jenseits der Meere. Das Gesetzeswort ist ganz nah bei dir. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, damit du es umsetzst in die Tat.«

Deuteronomium

Personen

DER GROSSVATER ODER AHNHERR

DESSEN ZWEI TÖCHTER

DAS VOLK (1)

DER IDIOT

PABLO VEGA

FELIPE VEGA

DIE RAUMVERDRÄNGERROTTE (1 Häuptling, 3 andere)

DIE JUNGE SCHÖNE WANDERERZÄHLERIN

DIE LETZTEN KÖNIGE (3)

DIE FLÜCHTLINGIN

MEHRERE UNBEKANNTE

Zeit: Vom letzten Kriege bis jetzt und darüber hinaus

Ort: Eine Enklave zum Beispiel im Bergland von Andalusien

Die Szenenangaben sind nicht immer unbedingt Szenenanweisungen.

1

Der Schauplatz ist eine Art von Enklave, an die sich, links, rechts und in der Bühnentiefe, von senkrechten und waagerechten Sichtblenden und Schranken zum guten Teil verstellt, noch andere, dem Anschein nach größere Schauplätze anschließen. Die Enklave, unter dem freien Himmel, ist leer ‒ bis auf ein wie gestrandetes, kieloben liegendes Boot, ein von einem verschwundenen Anwesen übriggebliebenes, einzeln, wie aus einer Steppe, aufragendes, türloses Portal (an der Oberschwelle eine arabische Inschrift), und einen Haufen aus Trümmern einer wie da an Ort und Stelle zusammengekrachten kleinen Kutsche oder Kalesche, in dem Gemenge aus Sitzbank, geschweiftem Dach und Zügeln deutlich fast nur die Räder. Darauf hockt derGROSSVATER, fast nackt, während ihm zur Seite, beide in der entsprechenden Enklaventracht, mit gewaltigen Bäuchen zwei hochschwangere Frauen stehen. Auf einem der weiteren Schauplätze, im Hintergrund, landet ein uniformierter Fallschirmspringer, gleich hinter den Schranken oder Planken dort halb verschwunden, worauf von allen SeitenUNBEKANNTEmit Knüppeln, Sensen, Gabeln und Beilen auf ihn zulaufen, auch sie, als sie dann ausholen und zuschlagen, fast verdeckt. Auf den paar anderen Schauplätzen lassen sich kurz, für einen Moment auf Podeste gestiegen, dieLETZTEN KÖNIGEblicken und winken, halb abgewendet, stillen Völkern zu.

DER GROSSVATER

Rache! Rache? Gerechtigkeit.

Seit Jahrhunderten schon ist unsere Heimat hier eine Enklave, umschlossen allseits von Fremdgebiet und von Fremdsprachen. Enklave in der Sprache der andern, in der Fremdsprache ‒ für mich aber, wie für euch, ein weites Land, mit eigenen Quellen und einem eigenen Recht, und einem eigenen Ernst, der noch jeden Weithergereisten, nach dem vielen Unernst unterwegs, zuerst vor den Kopf gestoßen und dann aber erfrischt hat. Wir haben dazu unser fernes Stammvolk, dort hinterm Meer, im Großen Atlas oder im Kaukasus, schon lange nicht mehr gebraucht. Gerade durchs Getrenntsein vom Mutterland haben wir uns hier die Art bewahrt, und eine Art überhaupt erst bekommen. Keiner von uns hat sich in der Enklave je im Exil gefühlt, hat sich zurückgesehnt nach den Fleischtöpfen Ägyptens, hat gejammert nach den Palmen von Nizza oder Gorizia, hat sich weggewünscht an einen Billardtisch ins East Village nach New York, hat an den Fußballnachmittagen geplärrt nach dem Spiel zwischen Real Madrid und Barcelona, oder nach den Stierkampfarenen zwischen Santander und Ronda. So begrenzt unser Bereich war: Jeder hatte da doch seinen Weg hinaus ins Freie, zwischen den Feldern, Auen und Krötenlachen hinaus zu seinem speziellen Keitum, Nußdorf oder Tivoli. Welch starker Frieden hat hier geherrscht. Es war eine Sonnenzeit. Und ich muß dazusagen: Sie war. Und muß dazusagen: Sie war Episode, zwischen zwei Kriegen, die Besonntheit nach hinten und vorne durchsetzt von Gespensterlicht. So haben eure Brüder jedenfalls die Zeit erlebt, kurz der ältere, kürzer der jüngere, viel kürzer, kaum. Pablo. Felipe. Speihimmel. Jedes Stück Manna ein Fettklumpen. Sprich nur ein Wort, und es würgt mich. Der Krieg jetzt, der Weltkrieg: Besetzung der Enklave, und eure Brüder, gerade noch fein heraus in ihren Obstgärten und an ihren Werkbänken, im Armumdrehen Zwangssoldaten, der eine im ersten, der andre im zweiten Okkupationsheer, Unbekannt an der Seite von Unbekannt im Kampf gegen Unbekannt in einem unbekannten Land. Und vorgestern, am Eismeer, zerriß es den einen, und gestern, auf der großen Düne von Delft, erwischte es den andern. Da gibt es nichts zu sagen? Nichts zu verstehen? Ich will auch nichts verstehen, sondern, daß etwas geschieht ‒ gemacht wird ‒ unternommen wird ‒ daß eine Antwort erteilt wird, ganz gegen unsere Enklavenart. Wir sind eine Sippe von Aufständischen. Aber den Aufstand haben wir immer nur gegen uns selber gerichtet. Wir sind mit den Schädeln gegen die Mauern gerannt. Wir haben uns die eigenen Augen ausgerissen. Wir haben uns die eigenen Hände abgebissen. Statt dem Bösewicht die Peitsche zu geben, prügelten wir uns mit dem eigenen Bruder, verboten der eigenen Frau den Mund, sperrten unsre Kinder in den Keller. Bei all dem, was die stockfremden Mächte uns je antaten, haben wir bisher nicht den kleinsten Mucks ausgestoßen. Hört: Was ich jetzt sage, richte ich nicht an euch zwei blöde Töchter, geschwängert die eine angeblich mit Gewalt, die andre angeblich in heißer Liebe, von der Invasionsbodentruppe gleich in der Einmarschnacht, von zwei Helden der Vorhut, inzwischen, was euch angeht, längst Helden der Flucht: Ich wende mich an die Knaben in euren dummen gesegneten Bäuchen. Felipe Vega der Zweite, Pablo Vega der Zweite: Ihr werdet zu dem Enklavenvolk hier gehören.

Dieses ist inzwischen dazugetreten oder -gestolpert, in Gestalt einesIDIOTENund einesSTRÄFLINGS, beide mit Laubkronen bekrönt, wie sie sie jetzt auch dem Redner und seinen Töchtern überstülpen.

DER GROSSVATER

Stoßt euch ab, Bauchmolche da drinnen, von euren Mutterkuchen, und hört zu: Ihr sollt die ersten Aufständischen hierzuland sein, welche nicht gegen sich selber losschlagen, sondern gegen die Unrechtstifter. Wie die aber bestimmen, sagt ihr, in einem Krieg? Wahr: Ist einmal Krieg, zeigt sich hinter dem einen Kriegsherrn noch ein anderer, und hinter dem wieder ein anderer, und der Platz des eigentlichen Kriegsherrn erwies sich zuletzt noch immer als leer. Ist einmal Krieg, gibt es statt Kriegsherrn nur noch Kriegsknechte. Der Krieg, einmal im Gang, hat Recht. Und ich, der Meister des Fluchens, finde keinen einzigen Bestimmten mehr zum Verfluchen. So oder so: Hört, Bäuchlinge, Ackerfurchen- und Waldrandschöpfungen, Mischbrut: Ihr sollt den Unzeittod und die Vernichtung der edlen Brüder eurer wahllosen Mütter dereinst rächen ‒ und wenn ihr dabei selber die Bösen werden müßt, die ersten ausgewachsenen Bösewichte hier. Er dreht an einem Rad der zusammengekrachten Kutsche ‒ nichts. Er erhebt sich von dem Gerümpel und weist in den Kreis. Hier ist die Sterbende Welt. Aber es kommt die Zeit der Rache oder Gerechtigkeit. Rache wie? Er zerrt aus den Trümmern einen Umhang, einen tiefroten, und läßt sich den vom Sträfling-Volk und Idioten-Volk um die Schultern legen. Seht, mein Mantel für die Osternacht, mein Mantel für die Auferstehungsfeier, seit nun bald achtzig Jahren. Immer neu habe ich mich damit gegen Sonnenaufgang, nach Osten, gewendet. Er dreht sich hierhin und dorthin. Ach, es gibt keinen Osten mehr. Und im Norden nur ein Holzpferd im Kunstschnee. Und im Westen nicht einmal Kraut und Rüben. Und im Süden nur noch leere Bierflaschen. Sterbende Welt. Nie mehr werde ich mit meinen Söhnen auf dem Grünen und dem Grauen Weg gehen. Aber dafür werden ihre Nachkommen hier zusammen mit Thomas Jefferson, Cristobal Colón, Manuel Valverde und Israel Meyer aus den Bäuchen der törichten Mütter hier und den Resten der Enklave aufbrechen zum Hügel der Unsterblichkeit. Rache oder Gerechtigkeit so! Komm, Sonnenzeit.

Ein unbekannter Flüchtling hetzt über die Szene, mit pfeifender Lunge, schaut sich im Laufen um. Es folgen ihm gleich zwei bewaffnete Gendarmen, die aus der Bewegung heraus auch schon feuern. DerGROSSVATERfällt. Verfolgter und Verfolger verschwinden.

DIE ERSTE TOCHTER

Sonnenzeit?

DIE ZWEITE TOCHTER

Unsterblichkeit?

DIE TÖCHTER

gemeinsam, zu ihren Bäuchen geneigt. Wir werden sehen.

DER GROSSVATER

am Boden, flucht. Lecke Boote! Lecke Portale! Lecke Kutschen! Lecke Welt! Leckt mich, alle!

IDIOT

auf den Ahnherrn am Boden zeigend. Ist er tot?

STRÄFLING oder VOLK

Ja.

IDIOT

Liegt er nach Osten?

VOLK

Weiß nicht.

Dunkel.

2

Die Enklave hat sich gelichtet. Diese und jene Schranke und Sichtblende ist weggefallen. Zeichen eines noch frischen Friedens: Farbige Papierdrachen ziehen über die Bühne; Geigenspiel, von hier, dann Klavier von dort, dann Harmonika von woanders; Hämmern, Sägen, Klopfen; einer derLETZTEN KÖNIGEtritt für einen Augenblick aus seinem Bereich und legt einem siechenUNBEKANNTENdie Hand auf, während woanders ein zweiterLETZTER KÖNIGseine Krone in die Luft wirft, sie fängt ‒ zusammen mit einem Federbusch, von irgendwo dazugeflogen ‒, verschwindet; aus den Fallschirmtauen sind Kinderschaukeln geworden, welche im Leeren schwingen, wie betrieben von Unsichtbaren. Darüber der immerfreie Himmel. Zugleich scheinen die vorigen Gegenstände ‒ Boot, Kutschenstücke, Portal ‒ um einen Strich in den Boden versunken. Auftritt nun der zweiSCHWESTERNvon verschiedenen Seiten, im Alltags- und Arbeitsgewand, mit den Neugeborenen-Bündeln im Arm; Zusammentreffen wie an einem Kreuzweg.

DIE ERSTE SCHWESTER

Er hat mich bei der Geburt beinahe umgebracht. Ohne daß sichtbar das Blut geflossen ist, bin ich an dem Kerl fast ausgeblutet. Wie ein Egel hat er mich von innen her ausgesaugt und ist dabei so angeschwollen, daß er beinahe steckenblieb. So weiß ich dann war, so rot war dann er ‒ rotschwarz. Die zweite Vergewaltigung: Zuerst der Zeuger, und neun Monate später der Gezeugte. Als ihn die Hebamme auf den Hintern schlug, weil er so lange stumm blieb, dachte ich: Mehr! Schlag ihn noch mehr! Sein Schrei dann hat alle Umstehenden erschreckt. Es kamen sogar draußen von der Straße welche herbeigelaufen. Es war ein Gebrüll ohne einen Ton des Weinens darin, ein Brüllen der Wut oder des Unwillens, nein, der Empörung. Und zugleich hat er schon versucht, sich wegzudrehen, von den andern, vom Licht, von mir. Wie bestaunt hat ihn dafür aber die Umwelt. Wie besonders fand ihn gleich jeder. Es fielen sogar Wörter, wie sie in der Enklave hier noch nie gefallen sind: »Prinz«, »Star«, »unser Prinz« ‒ und das auch nur deshalb, weil er von Anfang an die Muttermilch verweigerte, mit einem Ausdruck des Ekels, vor dem ein jeder, außer mir, ausrief: Welch Grazie! Welch Hoheit!

DIE ZWEITE SCHWESTER

Zeig. ‒ Wie ist er schön. Sie legt sich seine Hand auf die Stirn, auf die Augen, usw. Wie tut er mir gut. Pablo Vega. Von der Aue. Kein Kopfdruck mehr. ‒ Mir ist, als blickte ich an seinem Gesicht in die Zukunft. Es macht mir Angst. Aber diese Angst kitzelt mich. Sie packt mich am Nacken und zieht mich aus der Trübnis. Ich fürchte mich und freue mich. ‒ Bei Felipes Geburt war es eher umgekehrt. Mitten in den Wehen kam mir die Nacht mit seinem Vater in den Sinn, und es befiel mich die genaugleiche Lust, und das Kind wäre um ein Haar erdrosselt worden. Wer geschlagen werden mußte, das war dann ich. Und der Sauger hier ‒ von der ersten Sekunde an saugt er an mir, und saugt, und saugt ‒ hat nun seinen Schaden davon: Verdrehte Knie, ausgekegelte Schultern, Wasser in der Lunge, allgemeine Schwächlichkeit. Kind der Liebe! war mein erster Gedanke, und zugleich: Nicht lebensfähig. Und zugleich hat die Hebamme gesagt: »Wie freundlich ist er. Wie wirkt er glückselig, wie einverstanden. Wie vergnügt ist er, selbst wenn er sich verschluckt, vor Atemnot blau anläuft, als sei das Teil des Spiels. Was für ein Glanz geht von dem kleinen Krüppel aus. Schon in seinem ersten Schrei war eine Melodie.« Und zugleich dachte ich weiter: Wie soll denn dieser Nichtsling unsre toten Brüder rächen? Wie überhaupt erst einen Platz hier finden?

DIE ERSTE SCHWESTER

Zeig. ‒ Er lacht. Und wie er lacht. Der erste aus unserm Stamm, der so lachen kann. Wir sind doch seit je bekannt als die mit den zugenähten Mündern. Die, wenn sie dann einmal lachten, ihr Gesicht verloren. Das Lachen von Verlierern. Mag sein, dein Sohn wird von uns allen der größte Verlierer sein, oder er ist schon verloren, von Natur aus. Aber sein Lachen ist anders. »Durch die Zeiten gehen«: Das soll unser Wahlspruch, hier auf dem Portal, sein ‒ aber unsre Leute sind durch die Zeiten immer bloß gestolpert, gehinkt, gekrochen, gehaspelt, haben durch die Zeiten ihre Haken geschlagen, oder sich weg ins Abseits geflüchtet. Der da aber wird als der erste von uns allen mitsamt seinen knickenden Knien, ausgekugelten Hüften und seinem chronischen Kleinkindschluckauf durch die Zeiten gehen. Schau, allein sein Lachen rächt den Tod unsrer Brüder schon. Und wie ist es ansteckend. Sie weint.

Sie weinen.

DIE ERSTE SCHWESTER

Dagegen mein Früchtchen hier: Finster. Wenn sich in seinen Augen etwas spiegelt, so nicht der Himmel. In einem Traum hatte er eine Krone auf, mit deren Zacken er sich dann absichtlich die Stirn aufschnitt. In einem anderen Traum stand ihm der Schaum vor dem Mund, ganz gleich seinem Samengeber, als der mich damals zwischen Tür und Angel überwältigt hat, eine schweinsblasengroße Blase von Schaum vor dem Mund.

DIE ZWEITE SCHWESTER

Und ich bin zugleich in meiner Kammer nebenan gelegen, mit dem anderen Fremden, dem Meinigen, und habe, mitten in der stockfinstern Nacht, gesehen, wie eine jede unserer Bewegungen und Berührungen eingeschrieben worden ist in das Buch des Lebens. ‒ Nur ist die betreffende Seite da wohl längst schon herausgerissen. Oder das Buch des Lebens ist inzwischen allgemein ausgeblichen. Oder so was wie ein Buch des Lebens war von Anfang an bloß ein Hirngespinst, ein Traum ohne ein Herz dabei.

Sie lacht.

Sie lachen, recht unheimlich und kläglich, zuletzt mit den Händen vorm Gesicht.

DIE ERSTE SCHWESTER

Jedenfalls sind unsere Söhne vaterlos. Und werden ohne Väter bleiben. Gut so, scheint mir. Gut für die heutige Zeit, gut für den Frieden jetzt, gut für die Zukunft. Ich hatte noch einen grundandern Traum von meinem Sproß hier, wobei er übers Meer hinüber zu unserem Stammland schwamm und ein Lachen hatte so wie der deinige: Er jauchzte!

DIE ZWEITE SCHWESTER

Ja, mir scheint, es liegt im Augenblick ein Erbarmen über der Erde, uns und den Söhnen zum Nutzen. Schon einmal, damals im Zwischenkrieg, war das so: Ein Palast wölbte sich hier. Unsere Brüder haben das gewußt in ihrer kurzen Zeit wie für alle Zeit. Erinnerst du dich?

Sie lacht.

Sie lachen ihr Hexenlachen.

DIE ERSTE SCHWESTER

Die Arbeit ruft.

DIE ZWEITE SCHWESTER

Sie hat schon schöner gerufen.

DIE ERSTE SCHWESTER

Ja, das Heimweh in den Briefen der Brüder aus dem Krieg war vor allem eins nach der Arbeit hier.

Gewaltiges Gebrüll nun aus einem der Bündel, ein Wutgeschrei: Eine Kinderschaukel hat sich verdreht ‒ wird von der Mutter entwirrt, worauf der Säugling sich mit einem Schlag beruhigt. DieSCHWESTERNrasch, trippelnd, in verschiedenen Richtungen ab.

Dunkel.

3