Alpengold 424 - Monika Leitner - E-Book

Alpengold 424 E-Book

Monika Leitner

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Beschreibung

»La montanara ...« Versunken lauscht der Gutwenger-Veit der dunklen Mädchenstimme. Er weiß, wenn die Mariann dieses Lied singt, dann ist sie traurig.
Seit sie im letzten Sommer die Mutter verloren hat, fühlt sich Mariann oft einsam und hat noch mehr als zuvor unter der Härte ihres Vaters zu leiden. Es ist gerade so, als hätte der Schönleitner-Luis jetzt, wo seine Frau tot ist, der Tochter gegenüber alle Hemmungen verloren ...
»La montanara ...« Leise verwehen die letzten Töne des Liedes. Wie gern wäre der Veit jetzt einfach zu dem Madel gegangen, um es zu trösten und ihm zu gestehen, dass er es über alles liebt. Doch er muss schweigen, denn er ist an ein Versprechen gebunden, das Marianns Mutter ihm kurz vor ihrem Tode abgenommen hat ...


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Inhalt

Cover

Schicksalslied der Berge

Vorschau

Impressum

Schicksalslied der Berge

Ein Madel und sein Weg ins Glück

Von Monika Leitner

»La montanara ...« Versunken lauscht der Gutwenger-Veit der dunklen Mädchenstimme. Er weiß, wenn die Mariann dieses Lied singt, dann ist sie traurig.

Seit sie im letzten Sommer die Mutter verloren hat, fühlt sich Mariann oft einsam und hat noch mehr als zuvor unter der Härte ihres Vaters zu leiden. Es ist gerade so, als hätte der Schönleitner-Luis jetzt, wo seine Frau tot ist, der Tochter gegenüber alle Hemmungen verloren ...

»La montanara ...« Leise verwehen die letzten Töne des Liedes. Wie gern wäre der Veit jetzt einfach zu dem Madel gegangen, um es zu trösten und ihm zu gestehen, dass er es über alles liebt. Doch er muss schweigen, denn er ist an ein Versprechen gebunden, das Marianns Mutter ihm kurz vor ihrem Tode abgenommen hat ...

Noch schimmerten die Gipfel silbern, doch drunten im Tal dämmerte es schon, und aus den Wiesen stieg der Abendnebel auf. Über den Brunecker Bergen fern im Westen glühte der Himmel. Große dunkle Wolken mit blutroten Rändern segelten von den Tauern her über das breite Pustertal zu den bizarren Felstürmen der Dolomiten hinüber.

Die Schönleitner-Mariann hatte die Herde auf die Nachtweide getrieben und ging langsam ihrer hochgelegenen Hütte zu. Mariann war heute seltsam schwermütig zumute, sie wusste nicht, warum.

Vielleicht kam es daher, dass es in der stillen Bergwelt ringsum schon überall zu herbsteln begann. Auf den Wiesen war kein Blühen mehr, nur noch ein Verblühen und Welken.

Alles sah nach Abschied aus, nach Abschied vom goldenen Almsommer hoch über dem Tal, von leuchtenden Sonnenaufgängen, von flirrenden Tagen, von glitzernden Sternennächten, von den Stunden zwischen Tag und Nacht auf der Hüttenbank, von blauen Traumstunden, in denen heuer so viel Sehnsucht wach geworden und so mancher Wunsch aufgekommen war.

Und nichts war in Erfüllung gegangen.

Am Gatter hielt Mariann an und lehnte den Rücken gegen die noch sonnenwarme Holztür. Was sollte auch in Erfüllung gehen da heroben in der Abgeschiedenheit und Bergstille? Und wusste sie denn überhaupt so recht, wonach sie sich sehnte, was das so unruhig gewordene Herz eigentlich begehrte?

Mariann strich sich die vom Wind zerzausten braunen Locken aus der Stirn und wandte sich um. Sie zog die Gattertür auf, drückte sie hinter sich zu und legte gewohnheitsmäßig die Drahtschlinge um den Pfosten. Mit kleinen Schritten ging sie das letzte Stück quer über den steilen Hang. Als sie ums Hütteneck bog, saß auf der Bank unter dem Vordach ein fremder junger Bursch.

Ihr plötzliches Auftauchen schien ihn nicht zu überraschen.

»Grüß dich, Sennerin!« Er strahlte sie an. In seinen schwarzen Augen glitzerten silberne Fünkchen, zwischen den Lippen blitzten makellos weiße Zähne.

Obwohl er die Worte wie ein Tiroler aussprach, hörte Mariann sofort heraus, dass er ein Italiener war. Sie schaute kurz auf seinen dunklen Lockenkopf und in sein von der Bergsonne gebräuntes Gesicht. Ein hübsches Gesicht.

»Was suchst denn du da heroben bei meiner Hütte?«, fragte sie ablehnend.

»Ich ruhe mich ein wenig aus.«

»Seit zehn Sekunden, gell? Bis dahin bist du da am Eck gestanden und hast mich heimlich beobachtet. Das mag ich net.«

»Mama mia! Wenn du so grantelst, verdirbst du mir gleich die ganze Freude, die ich dabei gehabt hab.«

»Mich freut's gar net, wenn ich heimlich belauert werde. Was hast du dir denn dabei gedacht?«

»Madonna, Madonna, hab ich gemurmelt und mir gedacht: Mein Gott, ist das Madel schön!«

Mariann spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Umso ärgerlicher schaute sie ihn an.

»Mir ist es zuwider, wenn einer solche Sprüche daherredet.«

»Wenn du gleich durchschaut hast, dass ich nur Sprüche klopfte, hätt ich doch lieber bei der Wahrheit bleiben sollen. Mir hat vor deinem Anblick gegraust wie vor dem einer Hex'. Und die Königspilze und die Eierschwammerln hat's mir schier verleidet, die ich drunten im Wald geklaubt hab.« Er deutete auf seinen Rucksack, den er neben der Bank abgestellt hatte. »Muss ja alles ungenießbar sein, wo eine junge Hex' mit den Augen das Gift verspritzt.«

Nun konnte Mariann das Lächeln nicht mehr unterdrücken.

»Wie kommt's eigentlich, dass du wie ein Tiroler daherredest?«, lenkte sie ab.

»Ich bin ein paar Jahre in Österreich drüben gewesen und hab in einer Holzschnitzerwerkstatt gelernt. Im Villgratental, wenn du dich dort auskennst.«

»Im Villgratental?« Unwillkürlich musste Mariann an den Gutwenger-Veit denken. Der war auch aus dem Villgratental gekommen, bevor er auf dem Mitterhof als Knecht eingestanden war und später die kranke Mitter-Burgl geheiratet hatte. Nun lag die Burgl schon über ein Jahr auf dem Kirchhof drunten, und über den Veit gingen ungute Gerüchte durchs Dorf.

Der junge Bursch bemerkte den nachdenklichen Zug nicht, der in ihr Gesicht getreten war.

»Seit dem Frühjahr wohne ich wieder bei einer Großmutter in Lorenzago di Cadore«, sagte er und deutete über das Pustertal zu den Gipfeln hinauf, die den Misurinasee verbargen. »Bist du schon einmal dort hinaufgefahren und weiter draußen bei uns gewesen?«

»Ja, einmal bin ich im Cadore drüben gewesen. Aber wir sind über Sexten und den Kreuzpass hineingefahren, später an der Piave entlang und über Misurina zurück. Schön ist's gewesen.«

»Seid ihr zu vielen gewesen?«

»Nur zu zweit. Unser Nachbar hat mich mitgenommen.«

»Ist er dein Schatz?«

»Der Gutwenger-Veit?« Richtig erschrocken kam es über ihre Lippen. »Der könnt ja mein Vater sein!« Sie ging auf die Tür zu. »Ich hole mir eine Milch heraus. Magst du auch eine?«

»Gern. Bei dir wird sie mir wie Chianti schmecken!«

»Jetzt klopfst du ja schon wieder Sprüche!«

Mariann ging hastig in die Hüttenstube und hörte seine Antwort nicht mehr. Mit fahrigen Bewegungen holte sie zwei Gläser aus dem Kasten und stellte sie auf den Tisch. Dumm, dass sie ihm von der Fahrt mit dem Veit erzählt hatte. Es wussten ja nicht einmal die Eltern davon.

Wie war sie nur darauf gekommen, dass der Veit ihr Vater sein könnte? Kaum fünfzehn Jahre älter war er als sie und schaute aus, als wäre er nicht einmal dreißig. Doch wenn er mit ihr redete? Klang es dann nicht allweil so, als hielte er sie noch für ein Kind? Nur einmal, damals im »Albergo Montanara« beim Wein, da hatte es ganz anders geklungen. Und angeschaut hatte er sie! Seitdem nie mehr so ...

Das Knarren des Fensterflügels schreckte sie aus ihrem Sinnen auf. Sie blickte hinüber.

Der Bursch hatte seine Ellbogen aufs Fensterbrett gelegt. Die Fäuste unterm Kinn, schaute er sie an.

»Mei, für eine Sennerin bist du noch arg jung. Aber gewiss trägst du einen von euren schönen alten Namen, gell?«

»Einen ganz gewöhnlichen Namen. Ich heiße Mariann.«

Kaum war es heraus, da ärgerte sie sich. Auch ihren Namen hätte sie ihm nicht gleich sagen sollen.

Ein paar Minuten später kam sie mit zwei Gläsern Milch wieder und reichte ihm eines davon. Sie setzte sich aufs Bankeck.

»Worauf trinken wir denn?« Lächelnd hielt er ihr das Glas entgegen.

»Dass man mit einer Milch anstößt, ist bei uns net der Brauch.«

»Also auf eine Tiroler Hex'!« Er leerte das Glas in einem Zug. »Madonna mia, das hat gutgetan! Mei, hab ich einen Durst gehabt!« Flüchtig fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Was ich noch hab sagen wollen: Mich darfst du Bartholo nennen, Mariann.«

Mariann nippte an ihrer Milch. Irgendwie freute es sie, dass er nicht Mariandl sagte wie der Gutwenger-Veit. Gerade das klang bei dem immer so väterlich.

»Mit einem Fuß bist du jetzt schon im Grab, Bartholo.«

Verdutzt schaute er sie an.

»Denk an die Schwammerln!«, sagte Mariann. »Ein bisserl Gift hab ich schon auch in die Milch gespritzt.«

Sofort verdrehte er die Augen.

»Maria und Josef! Deshalb wird mir so flau im Magen! Aber es tröstet mich, dass auch du dran glauben musst. Hast ja selber von der Milch getrunken. Sterben wir halt gemeinsam. Ein schöner Tod.« Sein Kopf sank langsam zu ihr hinüber.

Bis auf wenige Zentimeter ließ Mariann ihn herankommen, dann schob sie ihn zurück.

»Ich hätt dich für zäher gehalten, Bartholo. Schau, mir macht das bisserl Gift gar nix!«

»Kein Wunder. Bist ja ganz voll davon. Am liebsten möcht ich mich schleunigst auf die Socken machen. Aber für den langen Marsch zu meinem Wagen hinunter bin ich noch zu müd. Werd es wohl eine ganze Weile aushalten müssen da bei dir.«

»Armer Bursch! Ich werd hineingehen, damit du dich auf der Bank ausstrecken kannst. Hab drinnen eh zu schaffen.«

Mariann war aufgestanden, aber er zog sie zurück.

»Willst mich wirklich allein lassen?« Seine Hände hielten die ihren umschlossen, doch nur ganz sanft. Und weil sie spürte, dass sie sich mit dem kleinsten Ruck befreien konnte, ließ sie sie ihm.

»Ich hab dir ja nur noch eine Milch holen wollen, weil du so einen Durst hast.«

»Du wirst nach deinem langen Tag viel abgespannter sein als ich. Renn net allweil herum!« Und nach einem Blick durchs Fenster fügte er hinzu: »Ich füll mir das Glas schon selber nach. Der Milchkrug steht ja auf dem Tisch.«

Bartholo kam mit seinem randvollen Glas zurück. Vorsichtig ließ er sich nieder, um nichts zu verschütten, und trank dann mit kleinen Schlucken.

Viel näher hatte er sich jetzt neben Mariann gesetzt, und jedes Mal, wenn er die Rechte zum Mund führte, bewegte sich auch sein linker Arm, und die Kraushärchen streiften ihren nackten Oberarm. Wie ein zarter Hauch ging es über ihre Haut.

»Zeig mir geschwind einmal, was du zusammengeklaubt hast«, bat sie, nur um etwas zu sagen. »Eierschwammerln hat's drüben in dem Wäldchen bis vor einer Woche noch massenweise gehabt, doch einen Königspilz hab ich heuer keinen gefunden. Bis zum Forst komm ich ja net herunter.«

Bartholo stellte das Glas ab, zog den unverschnürten Rucksack herbei und stellte ihn vor ihre Füße. Die Köpfe senkten sie gleichzeitig. Dabei berührten sich kurz ihre Wangen. Mariann wandte ihren Kopf auch nicht ab, als sie seine Ringellocken an ihrer Schläfe spürte.

Er schob die dottergelben Eierschwammerln beiseite, die obenauf lagen. Darunter häuften sich die schönsten Königspilze mit dunkelbraunen Kappen und dicken hellen Stielen.

»Magst ein paar von denen, Mariann?«

»Der große da, Bartholo, der tät genügen. Morgen zu Mittag mach ich mir dann Schlutzkrapfen und geb Pilzschnitzel hinein.«

Er nahm den Pilz heraus und schaute kurz zum Waldrand hinunter.

»Drunten kommt einer herauf, Mariann. Ist das dein Bruder?«

»Ich hab keinen Bruder.« Mariann blickte den Hang hinunter und zuckte zusammen. »Das ist unser Nachbar, der Gutwenger-Veit. Warum hat er's nur so eilig?«

Sie stand auf und ging bis zur Hangböschung vor. Der Veit stürmte ja regelrecht über das Steilstück!

Jetzt blickte er zu ihr herauf. Doch statt wie sonst grüßend den Arm zu heben, beschleunigte er nur seine Schritte. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn.

Ganz plötzlich stieg in Mariann ein eigenartiges Gefühl auf. Ihr war, als käme nicht der Gutwenger-Veit da herauf, sondern etwas Ungutes, Drohendes, etwas Unabwendbares.

Dann war der Gutwenger-Veit heran. Nur ganz flüchtig schaute er zur Hüttenbank hinüber, von der sich der Bartholo mittlerweile erhoben hatte.

»Mariandl! Mariandl!« Veit legte beide Hände auf ihre Schultern. »Kind, Kind ...«

»Was ist denn?«, fragte sie unsicher.

»Es ist etwas passiert drunten. Was ganz Trauriges. Wie soll ich's dir nur sagen?«

Als wenn sie es geahnt hätte!

Willenlos ließ sie es geschehen, dass er ihren Kopf an seine Brust zog. Seine Rechte streichelte über ihr Haar.

»Jetzt musst du tapfer sein, Mariandl. Deine Mutter ... Auf dem Kartoffelacker draußen hat sie der Schlag getroffen. Mitten im Schaffen.«

»Die Mutter!«, schrie sie.

Einen Augenblick sah es aus, als wolle sie sich von ihm losreißen. Doch dann drängte sie sich noch dichter an ihn. Sie schluchzte auf, ihre Schultern zuckten. Kein weiteres Wort kam mehr über ihre Lippen.

»Deine Mutter hat wenigstens net leiden müssen, Mariandl«, sagte Veit leise. »Der Tod hat ihr sofort den Schmerz genommen. Ich bin ganz in der Nähe gewesen und hab's beobachten können.«

»Mutter! Mutter!«, wimmerte Mariann.

»Du bist ja net allein, Kind. Ich fühl mit dir.« Mit der Linken hielt er sie umfangen, mit der Rechten zog er sein Taschentuch aus der Tasche und tupfte über ihre Augen. »Dein Vater sitzt drunten wie versteinert. Vielleicht ist ihm schon klar geworden, was der Tod ihm genommen hat. Vielleicht ist er jetzt auch anders zu dir, nimmer so hart, weil er einsieht, dass er sich an dir und an seiner Frau versündigt hat.«

Mariann hörte die Worte wie aus weiter Ferne. Doch trotz des stechenden Schmerzes in der Brust, trotz der Traurigkeit fühlte sie eines ganz klar: Nie, niemals würde der Vater anders werden. Er war nicht nur hart, sondern auch bösartig.

***

Weit oberhalb des Dorfes standen der Marerhof und der Mitterhof inmitten der steilen Wiesen unter dem Wald, nur einige Steinwürfe weit voneinander entfernt.

Es waren zwei schöne Bauernhöfe mit ausladenden Dächern über dem weiß geputzten Mauerwerk und mit reich beschnitzten Söllern nach der Talseite hin. Ställe und Tennen lagen rückwärts gegen den Hang.

Jetzt im Jänner, an einem frostklirrenden Abend, hatten die hölzernen Brüstungen dicke Schneehauben, und auf den Hausdächern lag eine meterdicke Last.