Am dunkelsten Tag - Nora Roberts - E-Book
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Am dunkelsten Tag E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Dieser Tag wird in einem Blutbad enden, und auch danach ist das Böse nicht gebannt …

Es ist ein ganz normaler Abend in einem Einkaufszentrum in Portland, Maine. Drei Teenager warten darauf, dass der Kinofilm anfängt. Ein junger Mann flirtet mit dem Mädchen, das die Sonnenbrillen verkauft. Mütter und Kinder kaufen zusammen ein. Doch dann fallen die Schüsse. Officer Essie McVee ist zufällig am Tatort, und sie handelt sofort: In nur acht Minuten überwältigen McVee und ihre Kollegen die Täter, für viele der Besucher ist das jedoch zu spät. Und während die Überlebenden langsam ihr Leben wieder aufbauen, müssen sie erfahren, dass ein weiterer Verschwörer nur darauf wartet, seine Mission zu beenden …

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Buch:

Es war ein ganz normaler Abend in einem Einkaufszentrum in Portland, Maine. Drei Teenager warten darauf, dass der Kinofilm anfängt. Ein junger Mann flirtet mit dem Mädchen, das die Sonnenbrillen verkauft. Mütter und Kinder kaufen zusammen ein. Doch dann fielen die Schüsse. Officer Essie McVee ist zufällig am Tatort, und sie handelt sofort: In nur acht Minuten überwältigen McVee und ihre Kollegen die Täter, für viele der Besucher ist das jedoch zu spät. Und während die Überlebenden langsam ihr Leben wieder aufbauen, müssen sie erfahren, dass ein weiterer Verschwörer nur darauf wartet, seine Mission zu beenden …

Autorin:

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Unter dem Namen J.D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag

Nora Roberts

Am dunkelsten Tag

Roman

Deutsch von Margarethe van Pée

Die Originalausgabe erschien 2018unter dem Titel »Shelter in Place« bei St. Martin’s Press, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019

by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: René Stein

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Getty Images / Deb Snelson

LH ∙ Herstellung: wag

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-23195-8V004www.blanvalet.de

Im Gedenken an meine Großmutter mit dem leuchtend roten Haar.

TEIL I VERLORENE UNSCHULD

Zu diesem Zweck habe ich gezeigt, dass nichts schuldhaft Erworbenes den Verlust der festen, inneren Seelenruhe aufwiegt, die immer mit Unschuld und Tugend einhergeht, und dass es keinen Ausgleich für die Übel der Angst und des Schreckens bildet, welche die Schuld an ihrer Stelle in unserer Brust erweckt.

Henry Fielding, Tom Jones

1

Am 22. Juli 2005, einem Freitag, bestellte Simone Knox eine große Fanta Orange zu ihrem Popcorn und dem Weingummi. Ihre Wahl, Simones übliches Menü im Kino, veränderte ihr Leben, ja rettete es höchstwahrscheinlich. Trotzdem würde sie nie wieder Fanta trinken.

Aber in diesem Moment wollte sie sich nur mit ihren beiden allerbesten Freundinnen in den Kinosaal setzen und sich in der Dunkelheit verlieren.

Denn ihr Leben – derzeit und definitiv für den Rest des Sommers und vielleicht sogar für alle Zeit – war komplett ätzend.

Der Junge, den sie liebte und mit dem sie seit sieben Monaten, zwei Wochen und vier Tagen ausschließlich zusammen gewesen war, der Junge, mit dem sie gemeinsam durch das bevorstehende letzte Collegejahr hatte gehen wollen – Hand in Hand, Herz an Herz –, hatte Schluss gemacht.

Mit einer Textnachricht.

Will nicht mehr meine Zeit mit dir verschwenden, weil ich mit jemandem zusammen sein will, der auch zu allem bereit ist, und das bist du nicht. Wir sind fertig miteinander.

Das konnte er doch bestimmt nicht so gemeint haben, also versuchte sie, ihn anzurufen – aber er ging nicht ans Telefon. Sie hatte ihm drei Nachrichten geschickt und sich selbst gedemütigt.

Dann war sie auf seine Facebook-Seite gegangen. Demütigend war noch zu schwach für das, was sie dort lesen musste.

Habe das alte SCHADHAFTE Modell gegen ein heißes neues eingetauscht.

Simone ist out!

Tiffany ist in!

Der LOSER ist Vergangenheit, und ich werde den Sommer und das letzte Jahr mit dem heißesten Mädchen im Jahrgang 2006 verbringen.

Sein Post – mit Bildern – hatte schon Kommentare hervorgerufen. Sie wusste natürlich, dass er seine Freunde aufgefordert hatte, gemeine, hässliche Dinge über sie zu schreiben, aber deshalb tat es doch nicht weniger weh.

Tagelang hatte sie getrauert. Sie genoss den Trost und die gerechte Wut ihrer zwei besten Freundinnen. Sie ärgerte sich über die Sticheleien ihrer jüngeren Schwester, schleppte sich zu ihrem Sommerjob und einmal in der Woche zu den Trainerstunden im Tennisclub, auf die ihre Mutter bestand.

Eine Textnachricht von ihrer Großmutter brachte sie zum Weinen. CiCi mochte beim Dalai Lama in Tibet meditieren, mit den Stones in London um die Wette rocken oder in ihrem Atelier auf Tranquility Island malen, aber sie fand immer alles heraus.

Es tut jetzt weh, und der Schmerz ist real, also umarme ich dich, mein Schatz. Aber in ein paar Wochen wirst du merken, dass er einfach nur ein Arschloch ist. Lass ihn hinter dir. Namaste.

Simone fand nicht, dass Trent ein Arschloch war (Tish und Mi jedoch schlossen sich CiCis Meinung an). Vielleicht hatte er ja nur mit ihr Schluss gemacht – und zwar auf eine echt gemeine Art und Weise –, weil sie es nicht mit ihm machen wollte. Sie war einfach noch nicht bereit dazu. Außerdem hatte Tish es nach der Junior Prom – und noch zwei weitere Male – mit ihrem Exfreund getan, und er hatte sich trotzdem von ihr getrennt.

Das Schlimmste war, dass sie Trent immer noch liebte. In ihrem verzweifelten, sechzehnjährigen Herzen wusste sie, dass sie nie wieder jemand anderen lieben würde. Sie hatte die Seiten aus ihrem Tagebuch gerissen, auf denen ihre zukünftigen Namen geschrieben standen – Mrs. Trent Woolworth, Simone Knox Woolworth, S. K. Woolworth –, und sie in kleine Fetzchen gerissen. Zusammen mit allen Fotos, die sie von ihm besaß, hatte sie sie in der Feuerschale auf der Terrasse in einer feierlichen Zeremonie mit ihren Freundinnen verbrannt. Und trotz alledem: Sie liebte ihn immer noch.

Aber, wie Mi immer sagte, das Leben ging weiter, auch wenn ein Teil von ihr am liebsten gestorben wäre, deshalb ließ sie sich von ihren Freundinnen ins Kino mitschleppen.

Sie war es sowieso leid, schmollend allein in ihrem Zimmer zu sitzen oder mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester im Einkaufszentrum herumzuhängen, also ließ sie sich zum Kino überreden. Mi war an der Reihe, den Film auszusuchen, und so musste Simone wohl oder übel in einen Science-Fiction-Film mit dem Titel Die Insel mitgehen.

Tish hatte nichts gegen Mis Wahl. Als zukünftige Schauspielerin empfand sie alle Filme und Theaterstücke als Pflicht und Vorbereitung auf den Beruf. Außerdem rangierte Ewan McGregor unter den ersten fünf von Tishs »Freunden« aus Film und Fernsehen.

»Kommt, wir setzen uns schon mal. Ich will gute Plätze haben.« Mi, klein, kompakt, mit dunklen, dramatischen Augen und dicken schwarzen Haaren, ergriff ihr Popcorn – ohne falsche Butter –, ihr Getränk und die Erdnuss-M&Ms, die sie am liebsten aß.

Mi war im Mai siebzehn geworden, ging nur sporadisch mit Jungs aus, da sie in der letzten Zeit mehr auf Wissenschaft stand, und galt nur deshalb nicht als Nerd, weil sie gut im Turnen war und einen festen Platz in der Cheerleader-Truppe hatte.

Eine Truppe, deren Captain leider eine gewisse Tiffany Bryce war, Freund-Diebin und Schlampe.

»Ich muss noch schnell aufs Klo.« Tish – Popcorn mit doppelt falscher Butter, eine Cola und Junior Mints – drückte ihren Freundinnen ihre Snacks in die Hand. »Ich komme nach.«

»Mach dir nicht schon wieder das Gesicht und die Haare«, warnte Mi sie. »Wenn der Film angefangen hat, kann dich sowieso keiner sehen.«

Außerdem war sie bereits perfekt gestylt, dachte Simone, während sie Tishs Popcorn mit in eines der drei Kinos im DownEast Cineplex mitnahm.

Tish hatte lange glatte, seidige kastanienbraune Haare mit professionellen goldenen Highlights – ihre Mutter war nicht in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts stecken geblieben. Ihr Gesicht – Simone liebte es, Gesichter zu studieren – war ein klassisches Oval, dem Grübchen einen zusätzlichen flirtenden Charme verliehen; und die Grübchen flirteten oft, da Tish immer einen Grund zum Lächeln fand. Simone dachte, dass sie wahrscheinlich auch oft lächeln würde, wenn sie groß und kurvig mit hellblauen Augen und Grübchen wäre.

Und zu allem kam noch hinzu, dass Tishs Eltern sie total in ihren Schauspielambitionen unterstützten. In Simones Augen hatte sie wirklich das große Los gezogen. Aussehen, Persönlichkeit, Verstand und Eltern, die sie verstanden.

Aber Simone liebte Tish trotzdem.

Die drei hatten schon Pläne geschmiedet – geheime Pläne, da Simones Eltern überhaupt nicht cool waren –, den Sommer nach dem Abschluss in New York zu verbringen.

Vielleicht würden sie ja sogar dorthin ziehen – es war bestimmt viel aufregender dort als in Rockpoint, Maine (Simone dachte, dass sogar eine Sanddüne wahrscheinlich aufregender war als Rockpoint, Maine).

Aber New York? Helle Lichter, Horden von Menschen.

Freiheit!

Mi konnte an der Columbia Medizin studieren, Tish würde auf die Schauspielschule gehen und vorsprechen. Und sie … sie konnte irgendwas studieren.

Auf jeden Fall nicht Jura, was ihre uncoolen Eltern wollten. Das war nicht überraschend gekommen, aber so was von lahm und klischeebeladen, denn ihr Vater war ein angesehener Anwalt.

Ward Knox würde zwar enttäuscht sein, aber so war es eben.

Vielleicht würde sie ja Kunst studieren und eine berühmte Künstlerin werden wie CiCi. Ihre Eltern würden außer sich sein. Und wie CiCi würde sie sich nach Lust und Laune Liebhaber nehmen und ihnen wieder den Laufpass geben (wenn sie dazu bereit war).

Sie würde es Trent Woolworth zeigen.

»Komm ins Hier und Jetzt!«, befahl Mi und versetzte ihr einen Stoß mit dem Ellbogen.

»Was? Ich bin doch hier.«

»Nein, du grübelst schon wieder. Also hör auf, nimm am Leben teil.«

Vielleicht gefiel es ihr ja zu grübeln, aber … »Ich muss die Tür ins Jetzt mit der Kraft meines Geistes öffnen, weil ich die Hände voll habe. Okay, geschafft. Da bin ich wieder.«

»Der Geist von Simone Knox hat’s aber mal echt drauf.«

»Ich muss ihn für wichtige Dinge benutzen und nicht dafür, Tiffany zu Schlampenschmalz zu zerschmelzen.«

»Das brauchst du gar nicht. Ihr Gehirn besteht bereits aus Schlampenschmalz.«

Freunde, dachte Simone, sagten immer das Richtige. Sie würde wieder am Leben teilnehmen mit Mi – und mit Tish, wenn die endlich aufgehört hatte, an ihrem sowieso schon perfekten Gesicht und ihren Haaren herumzuspielen. Sie, Simone, würde mit der Grübelei aufhören.

Da der Film an diesem Freitagabend Premiere hatte, war das Kino bereits halb voll, als sie hineingingen. Mi besetzte sofort drei Plätze in der Mitte. Sie setzte sich auf den dritten Platz vom Gang, sodass Simone – immer noch mit waidwundem Herzen – zwischen ihr und Tish saß, deren lange Beine am Gangplatz am besten aufgehoben waren.

Mi rutschte auf ihrem Sitz hin und her. Sie hatte bereits ausgerechnet, dass in sechs Minuten das Licht gedimmt wurde.

»Du musst morgen Abend auf Allies Party gehen.«

Sofort setzten die Grübeleien wieder ein. »Ich bin noch nicht bereit für eine Party, und du weißt doch, dass Trent mit dieser gehirnamputierten Schlampe Tiffany dahin geht.«

»Genau darum geht es doch, Sim. Wenn du nicht hingehst, denkt jeder, dass du dich versteckst, dass du noch nicht über ihn hinweg bist.«

»Das bin ich ja auch nicht.«

»Du darfst ihm aber nicht die Befriedigung lassen. Du kommst mit uns – Tish geht zwar mit Scott, aber der ist cool –, und du ziehst etwas Tolles an und lässt dich von Tish schminken, denn nur sie kann das richtig. Und du tust ganz gleichgültig: Wer, was, er? Du weißt schon, als wenn du absolut drüber weg wärst. Du legst einen richtigen Auftritt hin.«

Simone war nicht überzeugt. »Ich glaube nicht, dass ich das kann. Tish ist die Schauspielerin, nicht ich.«

»Du hast doch Rizzo in Grease beim Frühjahrsmusical gespielt. Tish war super als Sandy, aber du warst als Rizzo genauso toll.«

»Weil ich Tanzstunden genommen habe und ein bisschen singen kann.«

»Du singst großartig – und du hast es großartig gemacht. Sei auf Allies Party einfach Rizzo, selbstbewusst und sexy. Denk dir, du kannst mich mal.«

»Ich weiß nicht, Mi.« Aber irgendwie konnte sie es sich doch vorstellen. Wenn Trent sie so selbstbewusst, sexy und gleichgültig sah, würde er sie vielleicht wieder wollen.

Dann kam Tish hereingestürmt, ließ sich auf ihren Sitz plumpsen und ergriff Simones Hand. »Dreh jetzt nicht durch.«

»Warum sollte ich … Oh nein. Bitte!«

»Das Flittchen legt gerade frischen Lipgloss auf, und der Typ wartet wie ein braver Hund vor der Tür der Damentoilette.«

»Mist.« Mi legte Simone die Hand auf den Arm. »Vielleicht gehen sie in einen der anderen Filme.«

»Nein, sie kommen hierher. So was passiert nur mir«, jammerte Simone.

Mi packte ihren Arm fester. »Komm bloß nicht auf die Idee zu gehen. Er würde dich sehen, und du würdest dich wie ein Loser fühlen und auch so wirken. Aber du bist kein Loser. Heute ist deine Generalprobe für Allies Party.«

»Kommt sie mit?« Tishs Grübchen blitzten auf. »Hast du sie überredet?«

»Wir arbeiten noch dran. Bleib einfach sitzen.« Mi drehte sich so um, dass sie etwas sehen konnte. »Du hast recht, sie kommen gerade herein. Bleib hier«, zischte sie, als Simones Arm unter ihrer Hand zu zittern begann. »Du bemerkst ihn nicht einmal. Wir sind bei dir.«

»Für immer und ewig«, echote Tish und drückte Simones Hand. »Wir sind … eine Mauer der Verachtung. Kapiert?«

Sie gingen vorbei, das blonde Mädchen mit dem Lockenkopf und eng sitzenden Jeans und der Goldjunge – groß und gut aussehend, Quarterback der Championship Wildcats.

Trent bedachte Simone mit dem langsamen Lächeln, bei dem ihr früher das Herz zerschmolzen war. Er ließ seine Hand absichtlich über Tiffanys Rücken gleiten, sodass sie auf ihrem Hintern liegen blieb.

Tiffany wandte den Kopf, als Trent ihr etwas ins Ohr flüsterte, und warf einen Blick über die Schulter. Spöttisch verzog sie die perfekt geschminkten Lippen.

Und obwohl ihr Leben eine öde, Trent-lose Wüste war, war Simone ihrer Großmutter viel zu ähnlich, um so eine Beleidigung einfach hinzunehmen.

Sie erwiderte das spöttische Lächeln und zeigte den Mittelfinger.

Mi kicherte schnaubend. »Weiter so, Rizzo!«

Obwohl Simones gebrochenes Herz laut klopfte, wandte sie den Blick nicht ab, als Trent und Tiffany sich drei Reihen vor ihnen hinsetzten und sofort zu knutschen begannen.

»Alle Männer wollen Sex«, sagte Tish weise. »Ich meine, warum auch nicht? Aber wenn sie nur Sex wollen, taugen sie nichts.«

»Wir sind besser als sie.« Mi reichte Tish ihre Junior Mints und die Cola. »Sie kann nämlich nicht mehr aufweisen.«

»Du hast recht.« Ihre Augen brannten vielleicht ein bisschen, aber auch in ihrem Herzen brannte es, und dort fühlte es sich an wie Heilung. Sie reichte Tish ihr Popcorn. »Ich gehe auf Allies Party.«

Tish lachte – absichtlich laut und spöttisch. Es reichte aus, um Tiffany zusammenzucken zu lassen. Tish grinste Simone an. »Wir werden diese Party rocken.« Simone klemmte ihr Popcorn zwischen die Beine, damit sie die Hände ihrer Freundinnen ergreifen konnte. »Ich liebe euch.«

Als Werbung und Vorschau zu Ende waren, achtete Simone nicht mehr auf die Silhouetten drei Reihen vor ihnen. Meistens jedenfalls nicht. Sie hatte erwartet, den ganzen Film über finster vor sich hin zu brüten – eigentlich hatte sie das sogar vorgehabt –, aber stattdessen stellte sie fest, dass das Leinwandgeschehen sie fesselte. Ewan McGregor war wirklich ein Traumtyp, und auch Scarlett Johansson kam so stark und tapfer rüber.

Doch schon nach einer Viertelstunde merkte sie, dass sie besser noch einmal mit Tish zur Toilette gegangen wäre – auch wenn das ein Desaster bedeutet hätte, weil sie dann auf Lipgloss-Tiffany gestoßen wäre. Sie hatte entschieden zu viel Fanta getrunken.

Nach zwanzig Minuten gab sie auf. »Ich muss aufs Klo«, flüsterte sie.

»Dann geh!«, flüsterte Mi zurück.

»Ich beeile mich.«

»Soll ich mitkommen?«

Simone schüttelte den Kopf und gab Tish den Rest des Popcorns und der Fanta zum Halten.

Rasch eilte sie den Gang entlang. Dann wandte sie sich nach rechts zur Damentoilette und drückte die Tür auf.

In der Toilette war niemand. Erleichtert huschte sie in eine Kabine, und während sie ihre Blase leerte, ging ihr durch den Kopf, wie gut sie die Situation gemeistert hatte. Vielleicht kapierte sie ja langsam, dass Trent ein Arschloch war.

Aber er war so süß, und er hatte dieses Lächeln und …

»Egal«, murmelte sie. »Auch Arschlöcher können süß sein.«

Sie dachte immer noch darüber nach, als sie sich die Hände wusch und sich im Spiegel über dem Waschbecken betrachtete.

Sie hatte nicht Tishs lange blonde Locken oder ihre strahlend blauen Augen und den Wahnsinnskörper. Soweit sie das beurteilen konnte, war sie einfach nur Durchschnitt.

Durchschnittliche braune Haare, weil ihre Mutter ihr keine Highlights erlaubte. Also musste sie warten, bis sie achtzehn war und mit ihren eigenen Haaren tun konnte, was sie wollte. Sie hätte sie besser heute Abend nicht zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, weil sie damit auf einmal so jung aussah. Vielleicht würde sie sie einfach abschneiden lassen. Und dann würde sie sie mit Gel stachelig hoch frisieren. Vielleicht.

Ihr Mund war zu breit, auch wenn Tish meinte, er sei so sexy wie der von Julia Roberts.

Braune Augen, aber nicht so dunkelbraun und dramatisch wie Mis. Einfach nur braun wie ihre blöden Haare. Tish behauptete natürlich, sie seien bernsteinfarben.

Aber das war einfach nur ein beschönigendes Wort für braun.

Außerdem spielte es sowieso keine Rolle. Sie mochte durchschnittlich sein, aber an ihr war alles echt. Anders als bei Tiffany, deren Haare ungefärbt auch braun waren.

»Ich bin absolut echt«, sagte sie zum Spiegel. »Und Trent Woolworth ist ein Arschloch. Tiffany Bryce ist ein Flittchen. Sie können sich beide zum Teufel scheren.«

Sie nickte entschlossen, hob den Kopf und ging aus der Toilette heraus.

Sie dachte, das laute Knallen – Feuerwerkskörper? – und die Schreie kämen aus dem Film. Fluchend, weil sie zu viel Zeit vertrödelt und eine wichtige Szene verpasst hatte, beschleunigte sie ihre Schritte.

Als sie sich den Saaltüren näherte, sprangen sie auf. Der Mann blickte wild um sich und tat taumelnd einen Schritt nach vorne, bevor er zusammenbrach.

Blut – war das Blut? Seine Finger krallten sich in den grünen Teppich, der auf einmal lauter rote Flecken hatte –, und dann bewegte er sich nicht mehr.

Blitze, sie sah Blitze durch den Türspalt zucken, der von den Beinen des Mannes einen Spalt offen gehalten wurde. Es knallte immer wieder, Schreie. Und Leute, Schatten und Silhouetten, die stürzten, rannten, hinfielen.

Und die Gestalt, dunkel im Dunkeln, die methodisch die Reihen entlangging.

Wie erstarrt beobachtete sie, wie diese Gestalt sich umdrehte und einer flüchtenden Frau in den Rücken schoss.

Sie konnte nicht atmen. Wenn sie nur einen einzigen Atemzug getan hätte, wäre er als Schrei herausgekommen.

Ein Teil ihres Gehirns lehnte das ab, was sie sah. Das konnte nicht real sein. Es musste so etwas wie ein Film sein. Einfach nur Erfindung. Aber dann setzte ihr Instinkt ein. Sie rannte zurück auf die Damentoilette und kauerte sich hinter die Tür.

Mit zitternden Händen kramte sie in ihrer Tasche und zog ihr Handy heraus.

Ihr Vater hatte darauf bestanden, dass die Neun-eins-eins als erste Nummer auf ihrem Gerät gespeichert war.

Tränen verschleierten ihren Blick, und ihr Atem kam in keuchenden Stößen.

»Neun-eins-eins. Was für einen Notfall melden Sie?«

»Er tötet sie. Er tötet sie. Hilfe! Meine Freundinnen. Oh Gott, oh Gott. Er erschießt die Leute!«

Reed Quartermaine hasste es, am Wochenende arbeiten zu müssen. Er war auch nicht gerade versessen darauf, in dem kleinen Einkaufszentrum zu arbeiten, aber er wollte im Herbst wieder aufs College. Und zum College gehörten eben leider auch die Studiengebühren. Rechnete man dann noch Bücher, Wohnen und Essen dazu, dann musste man eben am Wochenende im Einkaufszentrum arbeiten.

Seine Eltern zahlten einen Großteil der Gebühren, aber alles schafften sie nicht. In einem Jahr wollte auch seine Schwester aufs College, und sein Bruder war bereits seit drei Jahren an der American University in Washington, D.C.

Natürlich wollte er nicht den Rest seines Lebens kellnern, also ging er aufs College. Und vielleicht würde er ja vor dem nächsten Abschluss wissen, was er mit seinem Leben anfangen wollte.

Doch jeden Sommer arbeitete er als Kellner und versuchte, das Ganze positiv zu sehen. Das Restaurant im Einkaufszentrum lief ganz gut, und die Trinkgelder waren nicht zu knapp. Es mochte ja seinem sozialen Leben schaden, wenn er fünf Abende in der Woche mit einer Doppelschicht an Samstagen arbeitete, aber das Essen war gut.

Pasta, Pizza und große Stücke von Tiramisu, für das das Manga berühmt war, hatten seinen langen knochigen Körper nicht dicker werden lassen, aber das lag ganz bestimmt nicht daran, dass er nicht alles probierte.

Sein Vater hatte einmal gehofft, sein mittleres Kind würde in seine Fußstapfen als Footballstar treten, so wie es sein ältester Sohn mit großem Erfolg gemacht hatte. Aber Reeds kompletter Mangel an Talent auf dem Spielfeld und seine dürre Gestalt zerstörten all diese Hoffnungen. Auch mit sechzehn waren seine Beine immer noch viel zu lang, aber seine Ausdauer hatte ihm einen gewissen Ruhm bei Langstreckenläufen eingebracht, was alles wieder ein bisschen ausglich. Schließlich hatte seine Schwester mit ihrem großen Talent auf dem Fußballplatz den Druck aus der Sache genommen.

Er brachte Vorspeisen zu einem Tisch mit vier Personen – Insalata mista für die Mutter, Gnocchi für den Vater, Mozzarella-Sticks für den Jungen und gebratene Ravioli für das Mädchen. Harmlos flirtete er mit Letzterer, die ihm schüchtern zulächelte. Harmlos deshalb, weil sie höchstens vierzehn war und für einen Collegestudenten im zweiten Jahr nicht infrage kam.

Reed verstand es, harmlos mit jungen Mädchen, älteren Frauen und so ziemlich allem dazwischen zu flirten. Trinkgelder waren wichtig, und nach vier Sommern Kellnern hatte er seinen Charme an Gästen erprobt.

Er blickte über den ihm zugewiesenen Bereich – Familien, ein paar alte Ehepaare, eine Handvoll Leute in den Dreißigern, die sich wahrscheinlich zu Abendessen und Kino verabredet hatten. Er würde Chaz – Assistant Manager im GameStop – fragen, ob sie nach ihren Schichten in die Spätvorstellung von Die Insel gehen wollten.

Er nahm Kreditkarten entgegen – dass er mit den Gästen an Tisch drei so freundlich geplaudert hatte, hatte ihm zwanzig Prozent Trinkgeld eingebracht –, schob Tische zusammen, lief ständig durch die Schwingtür in die chaotische Küche, bis endlich seine Pause anstand.

»Dory, ich mache zehn Minuten Pause.«

Die Oberkellnerin musterte mit einem raschen prüfenden Blick seinen Bereich und nickte.

Er trat aus den gläsernen Flügeltüren in den Trubel des Freitagabends. Zuerst hatte er überlegt, ob er Chaz eine Nachricht schicken und seine Pause in der Küche nehmen sollte, aber er wollte an die frische Luft. Außerdem wusste er, dass Angie freitagabends im Kiosk Fun In The Sun arbeitete, und er konnte vier oder fünf von seinen zehn Minuten für einen weniger harmlosen Flirt nutzen.

Sie war immer mal wieder mit ihrem Freund zusammen, aber seit Kurzem war es wohl wieder mal vorbei. Er konnte sein Glück bei ihr probieren, und vielleicht brachte er ja eine Verabredung mit jemandem zustande, dessen Arbeitszeiten genauso elend waren wie seine.

Rasch bewegte er sich auf seinen langen Beinen durch die Einkaufenden, durch Cliquen von halbwüchsigen Mädchen und den Jungs, die sie umlagerten, wich Müttern mit Kinderwagen oder Kleinkindern an der Hand aus. Die dumpf dröhnende Musik um ihn herum hörte er schon gar nicht mehr.

Er hatte dicke schwarze Haare – das italienische Erbteil seiner Mutter. Die Oberkellnerin Dory drängte ihn nicht, sich die Haare schneiden zu lassen, und sein Dad hatte irgendwann aufgegeben. Seine tiefliegenden hellgrünen Augen – ein schöner Kontrast zu seiner olivfarbenen Haut – leuchteten auf, als er Angie am Kiosk entdeckte. Er verlangsamte seine Schritte, steckte die Hände in die Hosentaschen, um möglichst lässig auszusehen, und schlenderte zu ihr.

»Hey. Wie läuft’s?«

Sie strahlte ihn an und verdrehte die hübschen braunen Augen. »Viel zu tun. Alle außer mir wollen zum Strand.«

»Ich auch nicht.« Er lehnte sich an die Theke, auf der ein Gestell mit Sonnenbrillen stand. Hoffentlich kam er cool rüber in seinem weißen Hemd, der schwarzen Weste und der Hose. »Ich überlege, ob ich mir Die Insel noch anschaue. Es gibt eine Spätvorstellung um zehn Uhr fünfundvierzig. Das ist doch fast wie ein Ausflug zum Strand, oder? Willst du mit?«

»Ach … Ich weiß nicht.« Sie fummelte an ihren hellblonden Haaren, die so gut zu ihrem goldbraunen Teint passten, den sie wahrscheinlich dem Selbstbräuner in einem anderen Gestell zu verdanken war. »Ich möchte ihn schon gerne sehen.«

In ihm keimte Hoffnung, und er strich Chaz von seiner Liste.

»Ich glaube, er ist ganz gut, oder?«

»Ja, aber … Ich habe Misty gesagt, dass wir noch rausgehen, wenn der Kiosk zu hat.«

Sofort sprang Chaz wieder auf die Liste. »Das ist doch cool. Ich war gerade auf dem Weg zu Chaz, um ihn zu fragen, ob er mitkommen will. Wir können doch alle zusammen gehen.«

»Vielleicht.« Erneut schenkte sie ihm ihr strahlendes Lächeln. »Ja, vielleicht. Ich frage Misty.«

»Gut. Ich laufe rasch zu Chaz.« Er trat zur Seite, um einer Frau Platz zu machen, die geduldig wartete, während ihre Tochter – schon wieder eine, die ungefähr vierzehn war – eine halbe Million Sonnenbrillen anprobierte. »Du kannst mir ja schreiben.«

»Wenn ich zwei haben könnte«, begann das Mädchen und betrachtete sich in einer Sonnenbrille mit metallisch blauen Gläsern, »hätte ich eine in Reserve.«

»Eine, Natalie. Das ist deine Reserve.«

»Ich schreibe dir«, murmelte Angie und ging wieder in den Arbeitsmodus. »Die Sonnenbrille steht dir richtig gut.«

»Wirklich?«

»Ja, total«, antwortete Angie, als Reed ging. Er beschleunigte seine Schritte. Er musste Zeit gutmachen.

Im GameStop wimmelte es wie immer von Geeks und Nerds und den Eltern der jüngeren Geeks und Nerds, die sich mit glasigen Augen durch die Menge bewegten.

Auf Monitoren wurde eine Vielzahl von Spielen angeboten – die ab dreizehn Jahren auf den Bildschirmen an der Wand. Die weniger harmlosen auf individuellen Laptops – zu ihnen hatte nur Zugang, wer entweder über achtzehn war oder von seinen Eltern begleitet wurde.

Chaz – der König der Nerds – erklärte gerade einer verwirrt aussehenden Frau irgendein Spiel.

»Wenn er Spaß an militärischen Spielen hat, an strategischen Spannungsbogen und so, dann wird es ihm gefallen.« Chaz schob seine Brille mit den flaschenbodendicken Gläsern hoch. »Es ist erst seit ein paar Wochen draußen.«

»Es kommt mir so … gewalttätig vor. Ist es denn wirklich passend?«

»Sechzehnter Geburtstag, haben Sie gesagt.« Er nickte Reed zu. »Und er mag die Splinter-Cell-Serie. Wenn er darin gut ist, dann kann er das auch.«

Sie seufzte. »Jungs werden wahrscheinlich immer Krieg spielen. Ich nehme es, danke.«

»Sie können es an der Kasse bezahlen. Danke für Ihren Einkauf im GameStop. Hab keine Zeit, Mann«, sagte er zu Reed, als die Kundin wegging. »Hier ist es gerammelt voll.«

»Dreißig Sekunden. Spätvorstellung. Die Insel.«

»Bin dabei. Da geht’s um Klone.«

»Genau. Ich habe Angie am Haken, aber sie will Misty mitbringen.«

»Oh, na ja, ich …«

»Lass mich nicht hängen, Mann. So nahe war ich noch nie an einem Date mit ihr.«

»Ja, aber Misty jagt mir ein bisschen Angst ein. Und … muss ich für sie bezahlen?«

»Es ist kein Date. Ich arbeite noch daran, es in eins zu verwandeln. Du deckst meine Flanke und Misty Angies. Klone«, erinnerte er Chaz.

»Okay, na gut. Du lieber Himmel, ich hätte im Traum nicht gedacht …«

»Toll!«, sagte Reed, bevor Chaz seine Meinung ändern konnte. »Ich muss los. Wir sehen uns da.«

Er rannte hinaus. Er hatte es geschafft! Die Verabredung in der Gruppe konnte den Weg zu Zweisamkeit ebnen, und das eröffnete die Möglichkeit zu ein bisschen anfassen.

Und das könnte er wirklich ganz gut gebrauchen. Aber jetzt musste er es erst einmal in drei Minuten zurück zum Manga schaffen, sonst würde Dory ihm die Hölle heißmachen.

Er begann zu laufen, als er plötzlich so etwas wie Feuerwerkskörper oder eine Reihe von Fehlzündungen hörte, die wie die Schießspiele im GameStop klangen. Eher verwirrt als alarmiert blickte er sich um.

Dann begannen die Schreie. Und das Donnern.

Es kam nicht von hinten, stellte er fest, sondern von vorne. Das donnernde Geräusch kam von Dutzenden von Leuten, die rannten. Er sprang aus dem Weg, als eine Frau auf ihn zuraste. Sie schob einen Kinderwagen, in dem ein Kind schrie.

War das Blut auf ihrem Gesicht?

»Was …«

Sie rannte weiter, den Mund in einem stummen Schrei aufgerissen.

Hinter ihr wogte eine Lawine. Die Leute trampelten in wilder Flucht, ließen Einkaufstüten fallen, stolperten darüber, stürzten übereinander.

Ein Mann rutschte über den Boden, die Brille fiel ihm von der Nase und wurde unter dem Fuß von jemand anderem zermalmt. Reed packte ihn am Arm.

»Was ist los?«

»Er hat ein Gewehr. Er hat geschossen … geschossen …«

Der Mann rappelte sich auf, rannte humpelnd weiter. Ein paar Teenager liefen weinend und schreiend in einen Laden links von ihm.

Und Reed merkte, dass der Lärm – die Schüsse – nicht nur von vorne, sondern auch von hinten kamen. Er dachte an Chaz, der einen Dreißigsekundensprint hinter ihm lag, und an seine Restaurantfamilie, die die doppelte Strecke vor ihm lag.

»Versteck dich, Mann«, murmelte er für Chaz. »Such dir ein Versteck.«

Er rannte auf das Restaurant zu.

Das Krachen und Knallen dauerte an und schien mittlerweile von überall her zu kommen. Glas splitterte und zersprang, eine Frau mit einem blutenden Bein verkroch sich stöhnend unter einer Bank. Er hörte noch mehr Schreie, doch plötzlich brachen sie wie ein durchgeschnittenes Band ab, was fast noch schlimmer war.

Dann sah er den kleinen Jungen in roten Shorts und Elmo-T-Shirt. Wie ein Betrunkener taumelte er an Abercrombie & Fitch vorbei.

Das Schaufenster zersplitterte. Die Leute rannten auseinander, suchten Schutz, und das Kind fiel hin und schrie weinend nach seiner Mutter.

Hinten im Einkaufszentrum sah er einen Schützen – ein Junge? –, der lachend immer weiter feuerte. Der Körper eines Mannes auf dem Boden zuckte, als die Kugeln ihn trafen.

Reed hob das Kind mit dem Elmo-T-Shirt auf und schob ihn sich wie einen Football unter den Arm.

Die Schüsse – und das Geräusch würde er nie wieder vergessen, nie – kamen näher. Von vorne und von hinten. Von überall her.

Bis zum Manga würde er es auf keinen Fall schaffen, nicht mit dem Kind. Instinktiv bog er zum Kiosk ab, in den er förmlich hineinsprang.

Angie, das Mädchen, mit dem er vor fünf Minuten in einem anderen Leben noch geflirtet hatte, lag mit gespreizten Armen und Beinen in einer Blutpfütze. Ihre hübschen braunen Augen starrten ihn an. Das Kind klammerte sich heulend an seinen Arm.

»Oh Gott! Himmel! Oh Gott, oh Gott!«

Die Schüsse hörten nicht auf, sie hörten nicht auf.

»Okay, okay, alles gut. Wie heißt du? Ich bin Reed, wie heißt du?«

»Brady. Ich will zu Mommy!«

»Okay, Brady, wir suchen sie gleich, aber jetzt müssen wir erst einmal ganz still sein. Brady! Wie alt bist du?«

»So viel.« Das Kind hielt vier Finger an seine Wange.

»Dann bist du ja schon ein großer Junge, was? Wir müssen still sein. Da sind böse Männer. Du weißt doch, was das ist, oder?«

Brady nickte mit tränen- und rotzverschmiertem Gesicht.

»Wir müssen ganz still sein, damit sie uns nicht finden. Und ich rufe die Guten an, die Polizei.« Er tat sein Bestes, um dem Jungen den Blick auf Angie zu versperren und auch für sich selbst die Vorstellung auszublenden, dass sie tot war.

Er öffnete einen der Wandschränke und zerrte die Vorräte heraus. »Kletter da hinein, okay? Wir spielen Verstecken. Ich bleibe hier stehen, aber du gehst da hinein, während ich die guten Männer anrufe.«

Er schob das Kind hinein und holte sein Handy heraus. Erst da bemerkte er, wie sehr seine Hände zitterten.

»Neun-eins-eins, was für einen Notfall melden Sie?«

»DownEast-Einkaufszentrum«, begann Reed.

»Polizei am Apparat. Sind Sie im Einkaufszentrum?«

»Ja. Ich habe ein Kind bei mir. Ich habe ihn in den Vorratsschrank im Fun-In-The-Sun-Kiosk gesteckt. Angie – das Mädchen, das hier gearbeitet hat – ist tot. Sie ist tot. Gott! Hier sind mindestens zwei Männer, die Leute erschießen.«

»Können Sie mir Ihren Namen sagen?«

»Reed Quartermaine.«

»Reed, fühlen Sie sich dort, wo Sie sind, sicher?«

»Machen Sie Witze?«

»Entschuldigung. Sie sind in einem Kiosk, also sind Sie in gewisser Weise geschützt. Ich rate Ihnen dringend, in Ihrem Schutzraum zu bleiben. Sie haben ein Kind bei sich?«

»Er hat gesagt, sein Name sei Brady, und er sei vier. Er ist von seiner Mutter getrennt worden. Ich weiß nicht, ob sie …« Er blickte sich um und sah, dass Brady sich zusammengerollt hatte und am Daumen lutschte. »Er steht wahrscheinlich unter Schock oder so.«

»Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Reed, und seien Sie leise. Die Polizei trifft jeden Moment ein.«

»Sie schießen immer noch. Sie schießen einfach immer weiter. Sie lachen dabei. Ich habe ihn lachen gehört.«

»Wer hat gelacht, Reed?«

»Er hat geschossen, das Glas ist zersplittert, ein Mann lag auf dem Boden, und er hat immer weitergeschossen und dabei gelacht. Gott im Himmel!«

Er hörte Schreie – nicht die Schreie von vorhin, sondern Kriegsgeschrei. Wie ein triumphierendes Stammesritual.

»Es hat aufgehört. Das Schießen hat aufgehört«, flüsterte er.

»Bleiben Sie, wo Sie sind, Reed. Wir kommen zu Ihnen. Bleiben Sie, wo Sie sind.«

Wieder blickte er zu dem Jungen, der ihn aus glasigen Augen ansah. »Mommy«, jammerte er.

»Wir suchen sie gleich. Die guten Männer kommen jetzt. Sie kommen.«

Das war das Schlimmste, dachte er später. Das Warten … Der Geruch nach Schießpulver, der beißend in der Luft hing, die Hilferufe, das Stöhnen und Schluchzen. Und das Blut auf seinen Schuhen von dem Mädchen, mit dem er nie mehr ins Kino gehen würde.

2

Um sieben Uhr fünfundzwanzig am 22. Juli schloss Officer Essie McVee vor Ort den Bericht über den Unfall mit Blechschaden auf dem Parkplatz des DownEast-Einkaufszentrums ab.

Keine Verletzten, minimaler Schaden, aber der Fahrer des Lexus war ziemlich aggressiv gegenüber den drei Collegemädchen im Mustang Cabrio geworden.

Zwar war der Mustang zweifelsfrei schuld – die weinende zwanzigjährige Fahrerin hatte sofort zugegeben, dass sie, ohne zu gucken, rückwärts aus der Parklücke herausgefahren war. Aber der Choleriker im Lexus und seine peinlich berührte Freundin hatten – ebenso zweifelsfrei – zu viel getrunken.

Essie überließ ihrem Partner den Lexus, weil sie wusste, dass Barry ansonsten eine blöde Bemerkung über Frauen am Steuer machen würde. Aber so konnte Barry bei dem Typen einen Alkoholtest durchführen.

Sie beruhigte die Mädchen, nahm Aussagen und Informationen auf und schrieb einen Strafzettel. Lexus reagierte nicht freundlich auf den Alkoholtest – ebenso wenig wie auf das Taxi, das Barry anforderte –, aber Barry wurde auf seine gelassene Art leicht mit ihm fertig.

Sie hörte aufmerksam zu, als die Meldung über Funk kam. Und obwohl sie schon vier Jahre bei der Polizei war, schlug ihr das Herz auf einmal bis zum Hals.

Sie fuhr zu Barry herum, der ebenso aufmerksam zuhörte. Dann wandte sie sich zum Mikro.

»Einheit vier-fünf ist am Tatort. Wir stehen vor dem Kino.«

Barry öffnete den Kofferraum und warf ihr eine kugelsichere Weste zu.

Essies Mund war staubtrocken. Sie schlüpfte in die Weste und überprüfte ihre Pistole – sie hatte sie außerhalb des Schießtrainings noch nie abgefeuert.

»Verstärkung ist unterwegs. Das Sonderkommando wird mobilisiert. Du lieber Himmel, Barry!«

»Wir können nicht warten.«

Sie wusste, was sie zu tun hatte, hatte jedes Training mitgemacht – aber sie hatte nie wirklich damit gerechnet, ihr Wissen auch einmal anwenden zu müssen. Aktiver Schütze bedeutete, dass jede Sekunde zählte.

Essie rannte mit Barry auf die breiten Glastüren zu.

Sie kannte das Einkaufszentrum und fragte sich, welche Laune des Schicksals gerade sie und ihren Partner vor den Eingang zum Kino gespült hatte.

Sie überlegte nicht mehr, ob sie nach Hause fahren und ihre alte Katze füttern oder das Buch auslesen sollte, das sie begonnen hatte. Es ging nicht.

Lokalisieren. Aufhalten. Ablenken. Unschädlich machen.

Das ging ihr durch den Kopf, als sie an den Türen ankam. Da die Kinolobby zum Einkaufszentrum führte, musste sie nach rechts zum Ticketschalter, am Imbiss-Stand vorbei, links in den Flur zu den drei Kinosälen. Neun-eins-eins sagte, der Schütze sei in Eins – dem größten der drei Säle.

Sie blickte prüfend durch die Glasscheibe, betrat die Lobby, sicherte links, als Barry rechts sicherte. Sie hörte das Gedudel vom Einkaufszentrum, das Murmeln der Einkaufenden.

Die beiden Typen am Imbiss starrten die Polizisten an, die mit gezogenen Pistolen näher kamen. Beide hoben sofort die Hände. Der Jumbobecher Cola in der Hand des einen, der links neben dem Tresen stand, zerplatzte spritzend auf dem Boden.

»Sonst jemand hier?«, fragte Barry.

»N-nur Julie, in der Garderobe.«

»Holt sie, und dann nach draußen. Sofort! Na los!«

Einer von ihnen lief zu einer Tür hinter der Theke. Der andere blieb mit erhobenen Händen stehen und stammelte: »Was? Was? Was?«

»Beweg dich!«

Er gehorchte.

Essie wandte sich nach links, sah den reglosen Körper, der bäuchlings vor den Türen von Saal eins lag, und die Blutspur dahinter.

Sie meldete der Einsatzzentrale: »Wir haben einen Toten.« Langsam und vorsichtig ging sie weiter. Vorbei an dem Gelächter im Kino rechts von ihr, auf die Geräusche zu, die aus der Tür von Saal eins drangen.

»Schüsse, Schreie.«

Sie wechselte einen Blick mit Barry und trat über den Körper am Boden. Als er nickte, dachte sie: Jetzt geht’s los.

Sie zogen die Türen des Kinos auf, und die Laute der Gewalt und Angst fluteten heraus. Das gedämpfte Licht aus dem Flur fiel in die Dunkelheit.

Sie konnte den Schützen sehen – männlich, kugelsichere Weste, Helm, Nachtsichtbrille, ein Sturmgewehr in der einen, eine Pistole in der anderen Hand.

In dem Moment, als sie ihn wahrnahm, erschoss er einen Mann, der zum Seitenausgang rannte.

Dann richtete er das Sturmgewehr auf die Kinotüren und eröffnete das Feuer. Essie ging hinter der Wand hinter der letzten Reihe in Deckung, aber sie sah noch, wie Barry an der Weste getroffen wurde. Er taumelte zurück und stürzte zu Boden.

Nicht aufs Herz zielen, sagte sie sich, während das Adrenalin durch ihre Adern pumpte. Nicht aufs Herz zielen, weil der Schütze genau wie Barry eine kugelsichere Weste trug. Sie holte tief Luft, rollte vor und sah zu ihrem Schrecken, wie er durch den Gang auf sie zukam.

Sie zielte tief – Hüfte, Schritt, Beine, Knöchel, und auch als er zu Boden ging, feuerte sie weiter.

Sie musste den Instinkt unterdrücken, zu ihrem Partner zu laufen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Schützen.

»Schütze am Boden«, gab sie über Funk durch. Sie hielt die Pistole weiter auf ihn gerichtet, zog ihm seine Pistole aus der Hand und stieß das Gewehr, das er fallen gelassen hatte, mit dem Fuß weg. »Mein Partner ist ebenfalls getroffen. Wir brauchen medizinische Hilfe. Gott, zahlreiche Schussopfer. Wir brauchen Hilfe hier. Wir brauchen Hilfe.«

»Meldung eines weiteren aktiven Schützen, möglicherweise auch zwei oder mehr im Einkaufszentrum. Können Sie bestätigen, dass ein Schütze am Boden ist?«

»Ja, definitiv.« Sie musterte seinen Unterkörper, das viele Blut. »Er kann nicht aufstehen.« In diesem Moment hörte sie, wie die rauen, schnellen Atemzüge des Schützen abbrachen.

Er hatte einen Pickel auf dem Kinn. Sie starrte darauf, bis sie endlich den Kopf heben und sich ansehen konnte, was er getan hatte.

Überall lagen leblose Körper, im Gang, zusammengesunken auf den Sitzen, in den schmalen Zwischenräumen zwischen den Sitzreihen, in denen sie Deckung gesucht hatten.

Sie würde den Anblick nie vergessen.

Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Als endlich eine Sondereinheit in das Kino gestürmt kam, hob sie die Hand. »Officer McVee. Der Schütze ist ausgeschaltet. Mein Partner.«

Barry hustete und stöhnte. Als sie sich langsam aufrichtete, wurde ihr schwindlig.

»Sind Sie getroffen, McVee?«

»Nein. Nein, nur … Nein.« Sie trat zu Barry.

»Wenn ich mich das nächste Mal über diese warmen, schweren Westen aufrege, dann darfst du mich schlagen.« Zischend sog er die Luft ein. »Das tut scheißweh.«

Sie schluckte, weil ihr die Galle hochkam, und ergriff Barrys Hand. »Ohne hätte es noch viel mehr wehgetan.«

»Du hast ihn erwischt, Essie. Du hast den Scheißkerl erwischt.«

»Ja.« Erneut schluckte sie. Sie nickte. »Ich glaube, er ist noch ein Kind, Barry. Barry, er ist nicht allein.«

Weitere Polizisten strömten herein, zusammen mit Notärzten und Sanitätern. Während andere Polizeieinheiten in das Einkaufszentrum eindrangen, um Jagd auf den oder die anderen Schützen zu machen, überprüften Essie und Barry die Toiletten, die Lagerräume und Garderoben.

»Du brauchst ärztliche Hilfe«, sagte sie zu ihm, als sie sich der Damentoilette näherten.

»Später. Von hier aus hat eine Simone Knox die Neun-eins-eins angerufen.« Er nickte zur Toilettentür.

Essie schob sie auf, drehte sich mit der Waffe in der Hand und sah aus den Augenwinkeln ihr Gesicht im Spiegel über den Waschbecken. Leichenblass, aber immer noch besser als der graue Farbton unter Barrys tiefbrauner Haut.

»Hier ist die Polizei«, rief Essie. »Simone Knox? Hier ist die Polizei.«

Schweigen.

»Vielleicht ist sie rausgelaufen.«

Eine der Kabinentüren stand einen Spalt breit auf. »Simone«, wiederholte Essie, als sie hinging. »Ich bin Officer McVee von der Rockpoint Police. Sie sind jetzt in Sicherheit.«

Sie drückte die Tür auf. Das Mädchen saß auf dem Toilettendeckel, die Hände fest an die Ohren gepresst.

»Simone?« Essie hockte sich hin und legte eine Hand auf Simones Knie. »Es ist alles in Ordnung.«

»Sie schreien. Er tötet sie. Tish, Mi, meine Mom, meine Schwester.«

»Die Polizei ist schon da. Wir finden sie für dich. Komm, wir gehen jetzt heraus. Okay? Du bist ein kluges Mädchen, Simone. Du hast heute Abend Leben gerettet, indem du den Notruf abgesetzt hast.«

Erst jetzt blickte Simone auf. Ihre großen braunen Augen schwammen in Tränen. »Mein Handy tut’s nicht mehr. Ich habe vergessen, es aufzuladen, und es geht nicht mehr. Deshalb habe ich mich hier versteckt.«

»Das hast du gut gemacht. Komm jetzt mit mir hier heraus. Ich bin Officer McVee. Das ist Officer Simpson.«

»Der Mann, er ist herausgerannt und dann zu Boden gestürzt. Das Blut. Ich habe gesehen … ich habe gesehen … Tish und Mi sind im Kino. Meine Mom und meine Schwester sind shoppen.«

»Wir finden sie für dich.« Sie legte den Arm um Simone und führte sie hinaus. »Du gehst jetzt mit Officer Simpson. Und ich suche nach deiner Mom, deiner Schwester und deinen Freundinnen.«

»Essie.«

»Du bist verletzt, Barry. Nimm das Kind und bring sie hier heraus.«

Sie führte das Mädchen den Flur entlang an den Kinosälen vorbei. Aus ihrem Funkgerät ertönte die Meldung, dass zwei weitere Schützen ausgeschaltet worden waren. Hoffentlich waren das jetzt alle, aber sie musste sich auf jeden Fall vergewissern.

Als Barry übernahm und Simone zu den Glastüren und dem Blaulicht der Streifenwagen und Ambulanzen führte, blieb Simone noch einmal stehen und blickte Essie direkt in die Augen.

»Tulip und Natalie Knox. Mi-Hi Jung und Tish Olsen. Sie müssen sie finden. Bitte finden Sie sie.«

»Ich mache mich sofort auf die Suche.«

Essie drehte sich um und lief in die entgegengesetzte Richtung. Sie hörte keine Schüsse mehr, und irgendjemand hatte die Musik ausgestellt, Gott sei Dank. Aus ihrem Funkgerät drangen pausenlos Meldungen über durchsuchte Bereiche und weitere Notrufe.

Essie blieb stehen und starrte auf das Einkaufszentrum, in dem sie, solange sie denken konnte, eingekauft hatte, herumgelaufen war, etwas gegessen hatte.

Es würde dauern, dachte sie wie betäubt, die Toten herauszuschaffen, die Verletzten zu behandeln und wegzubringen, die Aussagen derjenigen aufzunehmen, die keine Verletzungen davongetragen hatten – keine körperlichen Verletzungen, korrigierte sie sich. Sie bezweifelte, dass jemand, der diesen Abend überlebt hatte, unversehrt aus dem Ganzen hervorgehen würde.

Sanitäter strömten jetzt herein, aber so viele Personen brauchten ihre Hilfe gar nicht mehr.

Eine Frau, der das Blut über den Arm lief, hielt einen Mann auf dem Schoß – auch ihm war nicht mehr zu helfen. Ein Mann in einem T-Shirt der Red Sox lag bäuchlings auf dem Boden. Sie sah graue Hirnmasse in seiner Kopfwunde. Eine Frau, Anfang zwanzig vielleicht, saß weinend vor Starbucks, ihre Schürze blutbespritzt.

Sie sah einen kleinen pinken Sneaker und hoffte inständig, dass das Mädchen, das ihn verloren hatte, in Sicherheit war. Der Anblick zerriss ihr das Herz.

Sie sah einen jungen Mann – höchstens Anfang zwanzig – aus dem GameStop heraustaumeln. Seine Brille mit den dicken Gläsern hing schief auf dem Nasenrücken, und er blickte sich benommen um.

»Ist es vorbei?«, fragte er sie. »Ist es vorbei?«

»Sind Sie verletzt?«

»Nein. Ich habe mir nur den Ellbogen gestoßen. Ich …« Er schaute sie aus glasigen Augen an, und dann glitt sein Blick zu den blutenden Menschen, den Toten. »Oh Gott, oh Gott. Im … im Hinterzimmer. Ich habe die Leute ins Hinterzimmer gebracht. Das wird doch immer empfohlen, wenn … Sie sind im Hinterzimmer.«

»Warten Sie kurz.« Sie fragte über Funk nach, ob sie eine Gruppe von Leuten herausbringen konnte und zu welchem Stützpunkt sie kommen sollten.

»Wie heißen Sie?«, fragte sie ihn.

»Ich bin Chaz Bergman. Ich bin … ich habe heute Abend … äh … Dienst im GameStop.«

»Okay, Chaz, das hast du gut gemacht. Wir holen deine Leute jetzt heraus. Draußen sind Beamte, die eure Aussagen aufnehmen werden, aber jetzt bringen wir erst einmal alle in Sicherheit.«

»Ich habe einen Freund. Reed. Reed Quartermaine. Er arbeitet im Manga – dem Restaurant. Können Sie ihn suchen?«

»Ja, ich werde nach ihm suchen.« Essie schrieb den Namen auf ihre Liste.

»Ist es vorbei?«, fragte Chaz erneut.

»Ja«, sagte sie zu ihm, obwohl sie wusste, dass es eine Lüge war.

Für niemanden, der mit der Gewalttätigkeit des heutigen Tages in Berührung gekommen war, würde es jemals vorbei sein.

Reed trug Brady seitlich auf der Hüfte, als er ein paar Angestellte aus dem Manga sah. Einige saßen am Bordstein und umarmten einander. Rosie, die immer noch ihre Kochschürze trug, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen.

Iss mehr Pasta, hatte sie immer zu ihm gesagt. Du musst was auf die Rippen kriegen, du dünner Hering.

»Du bist okay, du bist okay.« Reed schloss die Augen und wollte sich neben sie hocken, doch sie war schneller, sprang auf und schlang die Arme um ihn.

»Du bist nicht verletzt.« Rosie umfasste Reeds Gesicht mit beiden Händen.

Er schüttelte den Kopf. »Ist alles in Ordnung?«

Rosie gab einen Laut von sich, als ob etwas in ihr zerreißen würde.

»Er kam herein und …« Rosie brach ab, als sie den Jungen bemerkte, den Reed auf dem Arm hatte. »Wir reden später darüber. Wer ist dieser hübsche Knabe?«

»Das ist Brady.« Es war keineswegs alles okay, dachte Reed. »Wir, äh, wir waren zusammen. Ich muss ihm helfen, seine Mom zu finden.«

Und ich muss meine Mom anrufen, dachte Reed. Er hatte ihr vom Kiosk aus eine Nachricht geschickt und ihr geschrieben, dass sie sich keine Sorgen machen solle, es ginge ihm gut. Aber er musste trotzdem zu Hause anrufen.

»Die Guten sind gekommen. Reed hat es gesagt.«

»Ja, das stimmt.« Rosie lächelte unter Tränen.

»Ich will zu Mommy.«

»Ich werde einen der Polizisten um Hilfe bitten.«

Reed richtete sich auf und ging auf eine Polizistin zu – Brady ging vielleicht lieber mit einer Frau, dachte er. »Officer? Können Sie mir helfen? Das ist Brady, und er kann seine Mom nicht finden.«

»Hey, Brady. Wie heißt deine Mom?«

»Mommy.«

»Und wie sagt dein Daddy zu ihr?«

»Süße.«

Essie lächelte. »Ich wette, sie hat noch einen anderen Namen.«

»Lisa, Liebling.«

»Okay. Und wie ist dein voller Name?«

»Ich bin Brady Michael Foster. Ich bin vier Jahre alt. Mein Daddy ist Feuerwehrmann, und ich habe einen Hund, der Mac heißt.«

»Ein Feuerwehrmann? Wie ist sein voller Name?«

»Er heißt Michael, Liebling.«

»Okay. Warte mal kurz.«

Feuerwehrleute waren zuerst am Tatort gewesen, deshalb brauchte Essie nicht lange zu suchen, bis sie auf einen von ihnen stieß. »Ich brauche einen Michael Foster. Ich habe seinen Sohn hier.«

»Foster gehört zu meinen Leuten. Haben Sie Brady? Ist er verletzt?«

»Nein.«

»Seine Mutter ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Zwei Schüsse in den Rücken, verdammte Scheiße. Foster sucht gerade nach dem Jungen. Er wusste gar nicht, dass sie hier waren, bis die Sanitäter Lisa gefunden haben.« Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht. »Ich weiß nicht, ob sie es schafft. Da kommt er.«

Essie sah, wie ein Mann durch die Menschenmenge auf sie zulief. Kräftig gebaut, braune, kurz geschnittene Haare. Als Brady »Daddy!« schrie, zuckte er am ganzen Körper zusammen, dann rannte er auf seinen Sohn zu.

Er riss ihn Reed aus den Armen und überschüttete Bradys Gesicht mit Küssen. »Brady! Gott sei Dank! Gott sei Dank! Bist du verletzt? Hat dir jemand etwas getan?«

»Mommy ist umgefallen, und ich habe sie nicht mehr gefunden. Reed hat mich gefunden, und er hat mich in den Schrank gesteckt und gesagt, wir müssten ganz leise sein, weil gleich die Guten kommen. Und ich war auch echt leise.«

Tränen liefen Michael übers Gesicht, als er Reed anblickte. »Bist du Reed?«

»Ja, Sir.«

Michael ergriff Reeds Hand. »Ich werde dir nie genug danken können. Im Moment fehlen mir die Worte, aber …« Er brach ab, als er das Blut auf Reeds Hose und Schuhen sah. »Du bist verletzt.«

»Nein. Ich glaube nicht … es ist nicht mein Blut. Es ist nicht …« Ihm versagte die Stimme.

»Okay. Okay, Reed. Hör zu. Ich muss Brady hier herausbringen. Brauchst du Hilfe?«

»Ich muss Chaz finden. Ich weiß nicht, ob es ihm gut geht. Ich muss ihn finden.«

»Warte.«

Michael setzte Brady auf seine Hüfte und zog sein Funkgerät heraus.

»Ich will zu Mommy.«

»Okay, Kumpel, aber wir müssen erst Reed hier heraushelfen.«

Während Michael in sein Funkgerät sprach, blickte Reed sich um. So viele Lichter, alle hell und flirrend. So viel Lärm. Reden, Geschrei, Weinen. Er sah einen Mann, der stöhnend und voller Blut auf einer Trage lag. Eine Frau mit nur einem Schuh, der ein dünnes Blutrinnsal über das Gesicht lief, humpelte immer nur im Kreis herum und rief nach Judy, bis ein Polizist sie wegführte.

Ein Mädchen mit langem braunem Pferdeschwanz saß am Bordstein und redete mit einem Polizeibeamten. Sie schüttelte nur den Kopf, und ihre Augen – bernsteinfarben wie die eines Tigers – glitzerten in den blinkenden Blaulichtern.

Er sah Fernsehübertragungswagen und weitere helle Lichter hinter dem gelben Polizeiabsperrband. Dahinter drängten sich die Leute, manche riefen laut Namen.

Plötzlich traf es ihn mit aller Wucht. Einige der Personen, die da mit Namen gerufen wurden, würden nie wieder antworten.

Er zitterte auf einmal am ganzen Körper. In seinen Ohren rauschte das Blut, sein Blick trübte sich.

»Hey, Reed, willst du dich nicht einen Moment hinsetzen? Ich halte Ausschau nach deinem Freund.«

»Nein, ich muss …« Dann sah er Chaz, der mit einer Gruppe von Leuten, die von der Polizei begleitet wurden, hinauskam. »Oh Gott! Oh Gott, Chaz!«

Er rief den Namen wie die Leute hinter der Absperrung und rannte auf seinen Freund zu.

Am Bordstein saß Simone und wartete darauf, dass sie ihre Beine wieder fühlte. Alles wieder fühlte. Ihr ganzer Körper war taub, als hätte ihr jemand eine Betäubungsspritze gesetzt.

»Deiner Mom und deiner Schwester geht es gut.«

Sie hörte Officer McVees Worte, versuchte, sie zu fühlen. »Wo sind sie? Wo sind sie?«

»Sie werden gleich herausgebracht. Deine Mom ist nur geringfügig verletzt. Nichts Schlimmes, Simone. Es geht ihr gut. Sie waren in einem der Geschäfte in Sicherheit. Deine Mom hat ein paar Schnittwunden von herumfliegenden Glasscherben, und sie hat sich den Kopf gestoßen. Aber es geht ihr gut, okay?«

Simone konnte nur den Kopf schütteln. »Mom hat sich den Kopf gestoßen.«

»Aber es geht ihr gut. Sie waren in Sicherheit. Sie kommen gleich heraus.«

»Mi, Tish.«

Sie wusste es. Sie wusste es sofort, als Officer McVee ihr den Arm um die Schultern legte. Sie konnte es nicht wirklich fühlen, aber sie spürte das Gewicht.

Das Gewicht.

»Mi ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie tun alles für sie, was in ihrer Macht steht.«

»Mi. Hat er sie erschossen?« Ihre Stimme war ganz schrill und tat ihr in den Ohren weh. »Hat er sie erschossen?«

»Sie wird gerade ins Krankenhaus gebracht. Dort ist schon alles für sie vorbereitet.«

»Ich musste aufs Klo. Ich war nicht da. Ich musste aufs Klo. Tish war da. Wo ist Tish?«

»Wir müssen erst alle herausholen und identifizieren.«

Simone hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln. »Nein, nein, nein. Sie haben nebeneinandergesessen. Ich musste aufs Klo. Er hat auf Mi geschossen. Er hat sie getroffen. Tish saß daneben.«

Sie blickte Essie an und wusste es. Und mit dem Wissen kam auch das Gefühl zurück. Auf einmal konnte sie alles wieder fühlen.

Reed zog Chaz in eine Umarmung. Wenigstens ein bisschen von der Welt war wieder in Ordnung. Sie standen vor dem Mädchen mit dem langen braunen Pferdeschwanz und den Tigeraugen und umarmten einander.

Als sie in jammervolles Schluchzen ausbrach, ließ Reed seinen Kopf auf Chaz’ Schulter sinken.

Er wusste genau, dass in dem Schluchzen ein Name steckte, der nie wieder antworten würde.

Sie konnten sie nicht dazu zwingen, nach Hause zu gehen. In ihrem Kopf ging alles durcheinander, aber sie wusste, dass sie im Warteraum eines Krankenhauses auf einem harten Plastikstuhl saß, mit einer Cola in der Hand.

Ihre Schwester und ihr Vater saßen neben ihr. Natalie hatte sich an Dad geschmiegt, aber Simone wollte weder in den Arm genommen noch berührt werden.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon warteten. Eine lange Zeit? Fünf Minuten?

Auch andere Leute warteten.

Sie hörte Zahlen, unterschiedliche Zahlen.

Drei Schützen. Sechsundachtzig Verletzte. Manchmal ging die Zahl der Verletzten nach oben, manchmal nach unten.

Sechsunddreißig Tote. Achtundfünfzig.

Die Zahlen änderten sich ständig.

Tish war tot. Das würde sich nicht ändern.

Sie mussten auf den harten Stühlen warten, bis man die Glasscherben aus dem Kopf ihrer Mutter gezogen und die Schnittwunden in ihrem Gesicht behandelt hatte.

Sie sah das Gesicht im Geiste vor sich, all diese kleinen Schnitte, und das Gesicht blass, ganz blass unter dem Make-up. Die blonden Haare ihrer Mutter, immer perfekt frisiert, jetzt blutig und wirr.

Natalie war nicht verletzt, weil Mom sie in den Laden geschoben hatte, und dabei war Mom gestürzt. Natalie hatte sie hineingezerrt, hinter einen Ausstellungstresen mit sommerlichen Tanktops und T-Shirts.

Natalie war mutig. Simone würde ihr sagen, wie mutig sie gewesen war, wenn sie wieder sprechen konnte.

Aber jetzt musste erst einmal das Glas aus dem Kopf ihrer Mutter gezogen werden. Und sie musste untersucht werden, weil sie sich den Kopf gestoßen und ein paar Minuten ohnmächtig gewesen war.

Gehirnerschütterung.

Simone wusste, dass Natalie nach Hause wollte, weil Dad ständig zu ihr sagte, dass Mom bestimmt gleich herauskommen würde. Und dann würden sie nach Hause fahren.

Aber Simone wollte nicht, und sie konnten sie nicht zwingen.

Tish war tot, Mi wurde operiert, und sie konnten sie nicht zwingen.

Sie hielt die Coladose mit beiden Händen fest, damit ihr Vater nicht wieder ihre Hand ergriff. Sie wollte nicht, dass jemand ihre Hand hielt oder sie in den Arm nahm. Noch nicht. Vielleicht nie mehr.

Sie wollte einfach nur auf dem harten Plastikstuhl sitzen und warten.

Der Arzt kam als Erster heraus, und ihr Vater sprang auf.

Dad ist so groß, dachte Simone vage, so groß und so attraktiv. Er war immer noch in Businessanzug und Krawatte, weil er gerade erst nach einem Geschäftsessen nach Hause gekommen war, als er es aus den Nachrichten erfahren hatte.

Dann war er direkt ins Einkaufszentrum gefahren.

Der Arzt sagte etwas zu ihrem Vater. Leichte Gehirnerschütterung, ein paar Stiche.

Als ihre Mutter herauskam, stand Simone mit weichen Knien auf. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, wie viel Angst sie um ihre Mutter gehabt hatte.

Sie hatte Angst gehabt, ihrer Mutter würde es so gehen wie Mi oder, schlimmer noch, wie Tish.

Aber ihre Mutter kam in den Warteraum. Sie hatte an verschiedenen Stellen komische Pflaster im Gesicht, aber sie war nicht mehr so schrecklich blass, wie sie vorher gewesen war. So wie Simone sich tote Menschen vorstellte.

Natalie sprang auf und schlang die Arme um ihre Mutter.

»Mein tapferes Mädchen!«, murmelte Tulip Knox. »Meine beiden tapferen Mädchen«, sagte sie und streckte die Hand nach Simone aus.

Und endlich konnte auch Simone zulassen, berührt zu werden, in den Arm genommen und festgehalten zu werden. Sie schlang die Arme um ihre Mutter und Natalie.

»Mir geht es gut, ich habe nur eine Beule am Kopf. Lass uns die Mädchen nach Hause bringen, Ward.«

Simone hörte die Tränen in der Stimme ihrer Mutter und umklammerte sie einen Moment lang fester. Als ihr Vater sie alle drei in den Arm nahm, schloss sie die Augen.

»Ich gehe das Auto holen.«

Simone löste sich von den anderen. »Ich fahre nicht mit. Ich fahre jetzt noch nicht nach Hause.«

»Liebes …«

Aber Simone schüttelte heftig den Kopf und wich noch ein Stück weiter vor dem müden Gesicht ihrer Mutter mit all den Pflastern und Schrammen zurück. »Ich fahre nicht mit. Mi … Sie wird gerade operiert. Ich fahre nicht mit.«

»Liebes«, versuchte Tulip es erneut, »du kannst doch hier sowieso nichts tun, und …«

»Ich kann hier sein.«

»Nat, weißt du noch, wo wir den Wagen geparkt haben?«

»Ja, Dad, aber …«

»Bring deine Mutter hinaus.« Er reichte Natalie den Schlüssel. »Ihr zwei steigt schon mal ins Auto und lasst Simone und mich einen Moment allein.«

»Ward, die Mädchen müssen nach Hause, weg von hier.«

»Geht schon mal zum Auto«, wiederholte er. Simone hatte sich wieder hingesetzt. Wie ein Häufchen Elend saß sie da, mit verschränkten Armen. Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und murmelte ihr etwas zu, dann setzte er sich neben Simone.

»Du hast Angst. Wir haben alle Angst.«

»Du warst doch gar nicht dabei.«

»Das ist mir klar.« Sie wollte die Traurigkeit in seiner Stimme nicht hören. »Simone, das mit Tish tut mir so schrecklich leid. Und auch das mit Mi tut mir schrecklich leid. Ich verspreche dir, dass wir uns von zu Hause aus nach Mi erkundigen, und ich fahre dich morgen hierher, damit du sie besuchen kannst. Aber deine Mutter muss nach Hause und Natalie auch.«

»Dann bring sie nach Hause.«

»Ich kann dich doch nicht hierlassen.«

»Ich muss hierbleiben. Ich habe sie alleingelassen. Ich habe sie alleingelassen.«

Er zog sie an sich. Sie wehrte sich und versuchte, sich loszureißen, aber er war stärker als sie und hielt sie fest, bis sie nachgab.

»Das mit Tish und Mi tut mir schrecklich leid«, wiederholte er. »Und ich werde für den Rest meines Lebens dankbar sein, dass du nicht im Kinosaal warst. Ich muss mich um deine Mom und deine Schwester kümmern. Und ich muss mich um dich kümmern.«

»Ich kann Mi nicht im Stich lassen. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Bitte, versuch nicht, mich zu zwingen.«

Er hatte die Macht dazu, und davor hatte Simone Angst, aber als sie sich von ihm löste, rauschte CiCi herein.

Mit wehenden langen roten Haaren, einem halben Dutzend Perlen- und Kristallketten um den Hals, einem weiten blauen Rock und Sandalen von Dr. Martens.

Sie umfing Simone mit ihren yogagestählten Armen und einer Wolke von Pfirsichduft, in der ein leichter Hauch von Marihuana mitschwang.

»Gott sei Dank! Oh Baby! Oh Dank an alle Götter und Göttinnen! Tulip?«, fragte sie Ward. »Natalie?«

»Sie sind gerade zum Auto gegangen. Tulip hat ein paar Beulen und Schrammen, mehr nicht. Natalie geht es gut.«

»CiCi wird bei mir bleiben.« Simone flüsterte ihrer Großmutter ins Ohr: »Bitte, bitte.«

»Ja, sicher. Bist du verletzt? Bist du …?«

»Er hat Tish getötet. Und Mi – sie wird gerade operiert.«

»Oh nein.« CiCi wiegte sie hin und her und weinte mit ihr. »Diese süßen Kinder, diese süßen jungen Mädchen!«

»Dad muss Mom und Natalie nach Hause bringen. Ich muss hier warten. Ich muss auf Mi warten. Bitte.«

»Natürlich wartest du. Ich passe auf sie auf, Ward. Ich bleibe bei ihr und bringe sie nach Hause, wenn Mi aus dem OP heraus ist. Ich passe auf sie auf.«

Simone hörte, wie CiCis Tonfall hart wurde. Ihr Vater hatte wahrscheinlich widersprechen wollen.

»Na gut, Simone.« Er umfasste ihr Gesicht und küsste sie auf die Stirn. »Ruf an, wenn du mich brauchst. Wir beten für Mi.«

Sie blickte ihm nach und schob ihre Hand in CiCis Hand. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Kannst du es herausfinden?«

CiCi Lennon verstand es, Leute dazu zu bringen, ihr zu erzählen, was sie wissen wollte, oder zu tun, was sie für richtig hielt. Es dauerte nicht lange, bis sie mit Simone in einem anderen Warteraum gelandet war.

Hier standen gepolsterte Sofas und Bänke, und es gab sogar einen Getränkeautomaten.

Mis Eltern, ihre ältere Schwester, ihr jüngerer Bruder und ihre Großeltern saßen da. Mis Vater sah sie zuerst. Er sah tausend Jahre älter aus als ein paar Stunden zuvor, als sie Mi zum Kino abgeholt hatten.

Er hatte im Vorgarten gearbeitet und ihnen nachgewinkt.