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Anleitung zur Demontage eines Mannes mit Mitteln des Gelächters Aus dem Leben der Domina Lalutschka Sie fasst nicht an. Sie spricht. Sie lacht nicht. Sie lässt lachen, bis es wehtut. Lalutschka ist keine gewöhnliche Domina. Sie arbeitet mit Reizworten, mit Rhythmus, mit Refrains. Ihre Sessions beginnen im Kopf und enden im Spiegel. Wer ihr begegnet, verliert mehr als nur die Kontrolle. Dieses Buch ist kein Roman, sondern ein Protokoll. Eine Sammlung innerer Räume, in denen eine Frau lebt, die mit Sprache schlägt und mit Stille bindet. Zwischen Stimmen, Masken, Türen und Zitaten baut sie sich ihr Reich. Dort herrscht kein Schmerz, sondern das Gelächter, das ihn formt. Ein literarischer Trip durch Zynismus, Zärtlichkeit und Zersetzung. Nichts wird erklärt. Alles wirkt.
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Seitenzahl: 61
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Prolog
Kapitel 1 – Der Mann mit der schiefen Brille
Kapitel 2 – Der Mann, der seine Mutter imitieren wollte
Kapitel 3 – Die Frau mit dem Wunsch nach dem harmlosesten Witz der Welt
Kapitel 4 – Die Ruhe zwischen den Pointen
Kapitel 5 – Der Rückkehrer
Kapitel 6 – Das Echo und die Fremde
Kapitel 6 – Das Echo und die Fremde
Kapitel 8 – Der Mann mit dem Handschuh
Kapitel 9 – Der Splitter im Spiegel
Kapitel 10 – Die Wohnung mit den zwei Türen
Kapitel 11 – Die zweite Stimme
Kapitel 12 – Das Lachen, das nicht vergeht
Ich beginne mit der schwarzen Farbe. Zuerst die Stirn, dann die Wangen. Ich arbeite langsam, konzentriert, fast andächtig. Der Spiegel vor mir ist blind vor altem Licht, aber ich sehe genug. Mit jedem Strich verschwinde ich ein wenig mehr. Die Konturen meiner Haut, die Schatten meiner Augen, die kleine Narbe unter dem Lid – all das versinkt unter dem Schwarz. Nur ich bin noch da. Und ich sehe zu.
Die Farbe riecht leicht süßlich, ein Rest von irgendetwas Kindlichem klebt noch darin. Fasching, Kindergarten, klebrige Finger. Ich ignoriere es. Ich bin nicht mehr das Mädchen mit den Konfettiwangen. Ich bin die Stille, bevor jemand zu lachen beginnt.
Die rote Nase liegt bereit. Ich werde sie zuletzt aufsetzen. Sie ist das Signal. Der Moment, in dem ich keine Wahl mehr habe. Wenn sie sitzt, beginnt alles. Dann bin ich wieder ganz bei mir. Oder ganz weg. Ich weiß es nie genau. Manchmal glaube ich, ich bin erst dann wach.
Ich überprüfe meine Haltung. Die Schultern sind gerade, das Kinn gesenkt. Ich kenne mich im Spiegel besser als in Wirklichkeit. Da draußen bin ich nur ein Schatten, ein Umriss. Hier bin ich vollständig. Sichtbar. Bereit.
Heute ist einer dieser Tage. Einer von denen, an denen ich weiß: Der Mann, der kommt, glaubt nicht an mich. Er hält das für ein Spiel. Eine schräge Idee. Er hat gehört, dass ich mit Worten arbeite, dass ich keine Peitsche brauche, keine Ketten, keine Lackstiefel. Er hält das für Blödsinn.
Und genau deshalb wird er am Ende nicht mehr wissen, wo oben und unten ist.
Ich mag die Skeptiker. Sie sind die reinsten. Ihre Fallhöhe ist groß. Und das Echo, wenn sie kippen, ist schön.
Ich beginne meine Lippen zu schwärzen. Dabei höre ich meine eigene Stimme in Gedanken: "Warum können Geister so schlecht lügen? Weil man durch sie hindurchsehen kann." Es ist ein leichter Witz, aus der weichen Reihe. Doch selbst er hat eine Spitze. Die Wahrheit steckt in den harmlosen.
Während ich die Lippen nachziehe, denke ich an den Moment, wenn er sich setzen wird. Die Schulbank ist kalt, hart, unbeweglich. Ich lasse sie nicht restaurieren. Ich will, dass das Holz kratzt, dass die Ritzen sprechen, dass die Erinnerungen an verkratzte Initialen und Kreidestaub mit im Raum sind. Schule war nie schön. Und das ist gut so. Ich bin kein Ort der Freude. Ich bin ein Ort der Auflösung.
Neben mir liegt das kleine Notizbuch. Leder, alt, abgegriffen. Darin: Hunderte von Zeilen. Manche sind nur Fragmente, andere ganze Kaskaden. Ich lese manchmal darin, wie andere Menschen in der Bibel lesen. Nicht wegen des Inhalts. Wegen der Wirkung.
Der Pinsel gleitet über meinen Hals. Ich ziehe die Farbe bis unter das Schlüsselbein. Nicht jedes Mal. Nur wenn ich will, dass die Stimme tiefer sitzt. Heute will ich das. Ich spüre es. Er wird lachen. Und er wird nicht mehr aufhören.
Ich erinnere mich an einen, der kam und sagte: "Ich bin immun gegen sowas." Er hat fünf Minuten gebraucht, bis er sich an der Tischkante festklammerte wie ein Ertrinkender. Ich habe ihm damals nur die mittlere Reihe gegeben. Keine Spitzen. Keine schwarzen Juwelen. Nur das Mittelmaß. Es hat gereicht.
Die Witze liegen in drei Reihen auf dem Tisch. Ich habe sie sortiert: weich, hart, unberechenbar. Die erste Reihe klingt wie Kabarett. Die zweite wie Bösartigkeit. Die dritte ist nur noch Form, Sprache, Schmerz. Niemand weiß, wie tief man mit Worten schneiden kann, bis er es selbst erlebt hat. Sie lachen, ja. Aber es ist kein Lachen, das löst. Es ist eines, das bindet. Das fesselt. Das brennt.
Ich erinnere mich nicht an jeden. Aber ich kenne ihre Wirkung. Ich erinnere mich an Gesichter. An zitternde Schultern. An Tränen. An Stöhnen. Manche kommen wieder. Immer wieder. Weil sie glauben, es noch einmal aushalten zu können. Manche kommen nie mehr. Sie nennen es Ekstase. Ich nenne es: die andere Seite.
Ich überprüfe die Fesseln. Nicht aus Notwendigkeit. Nur aus Gewohnheit. Sie sind weich, aus Stoff, aber stark. Es geht nicht um Schmerz. Es geht um Unbeweglichkeit. Um Ausgeliefertsein. Die Knie müssen an den Holzsockel. Die Hände auf den Tisch. Der Rücken gerade. Das Lachen kommt aus dem Bauch, aber die Kontrolle sitzt im Rücken.
Jetzt bin ich fast fertig. Die rote Nase liegt noch immer da. Ich strecke die Hand aus, zögere, ziehe sie zurück. Nicht weil ich Angst habe. Sondern weil ich weiß: Danach spricht nicht mehr sie. Danach spricht das, was durch sie lebt.
Ich denke an den ersten Mann, der mich darum bat, ihm „das Schlimmste“ zu geben. Ich hatte gezögert. Und dann war es passiert: Ich hatte nicht mehr geantwortet. Ich hatte einfach begonnen. Nicht mit einem Witz, sondern mit drei hintereinander. Ohne Pause. Ohne Luft. Ohne Rücksicht. Er hatte nach dem dritten gebettelt. Und ich hatte weitergemacht. Ich hatte mich in einen Rausch hineingesprochen. Wörter, Satzfragmente, Silbenstürme. Ein Kichern hatte mich geschüttelt, nicht aus Freude, sondern aus Hunger. Ich hatte ihn ausgelacht, ja. Aber nicht aus Spott. Aus Notwendigkeit.
Seitdem weiß ich: Wenn es kommt, dann kommt es. Und dann halte ich nicht inne. Ich werde schnell. Ich werde böse. Ich werde genau. Ich atme ein. Lege die Hände auf den Tisch. Flüstere einen kurzen Vers. Kein Gebet. Nur ein Zählen. Bis drei. Immer drei. Die Zahl des Setups. Der heiligen Pointe.
Ich habe mir nie einen Namen gegeben. Ich brauche keinen. Wer mich findet, weiß, wo er ist. Und wer nicht mehr kommt, hat genug verstanden.
Ich setze die Nase auf.
Die Sitzung kann beginnen.
Er kam mit einem Grinsen. Das war das Erste. Nicht Verachtung, nicht Nervosität – ein Grinsen. Breit, offen, fast kumpelhaft. Als würde er gleich einen Witz erzählen und nicht auf einen Stuhl geschnallt werden. Ich hasse Grinser. Sie glauben, dass sie der Ausnahmefall sind. Dass sie mich entlarven können. Als Scharlatanin. Als Witzfigur. Und genau deswegen liebe ich sie auch.
"Na, da bin ich ja mal gespannt, ob Sie wirklich so gut sind, wie man sagt", sagte er und schob sich die schiefe Brille höher. Ich sagte nichts. Ich schaue nie in die Augen, bevor sie sitzen. Es verwässert die Rollen.
"Wo soll ich Platz nehmen?"
Ich wies auf die Bank. Er lachte.
"Na das ist ja wie früher in der Schule. Fehlen nur noch die Ohrfeigen."
Ich trat hinter ihn. "Hände auf den Tisch. Rücken gerade."
Er tat es. Noch immer grinste er. Ich fixierte seine Handgelenke. Nicht fest. Nur so, dass sie nicht von allein verschwinden konnten. Dann die Knie. Die Fesselung war nie das, was sie erwarten. Ich nehme ihnen nicht die Freiheit. Ich gebe ihnen die Form.
