Cordina's Royal Family 3. Eine königliche Hochzeit - Nora Roberts - E-Book

Cordina's Royal Family 3. Eine königliche Hochzeit E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die beliebte Cordina-Saga: Liebe, Intrigen und Leidenschaften am Königshof der Fürstenfamilie von Cordina

Prinz Bennett hat den Ruf, jede Frau erobern und jedes Herz brechen zu können. Nur Lady Hannah Rothschild scheint immun gegen seine Avancen. Die neue Gesellschafterin am Hof weckt deshalb umso mehr sein Interesse und seinen Ehrgeiz. Doch Lady Rothschild ist nicht die, die sie vorzugeben scheint. Die Lage am Hof wird Tag für Tag gefährlicher, weil Anschläge drohen. Ist der Prinz noch sicher?

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Nora Roberts

Cordina’s Royal Family 3

Eine königliche Hochzeit

Roman

Aus dem Amerikanischenvon M.R. Heinze

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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Die Originalausgabe The Playboy Princeist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.Copyright © 1987 by Nora RobertsPublished by Arrangement with Eleanor WilderCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by MIRA Taschenbuch in der Cora Verlag GmbH & Co. KG, HamburgUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/kuznetcov_konstantinSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12126-6V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

Der Hengst jagte über die Hügelkuppe. Seine Hufe gruben sich tief in das Erdreich. Das Pferd dampfte, als es sich auf dem höchsten Punkt aufbäumte und mit seinen kraftvollen Vorderbeinen durch die Luft schlug. Für einen Moment hoben sich Ross und Reiter als Silhouette vor dem hellen Himmel des Nachmittags ab. Mensch und Tier wirkten gleichermaßen beeindruckend.

Kaum berührten die Hufe wieder den Boden, als der Reiter seine Knie in die Seiten des Hengstes presste und einen waghalsigen Ritt über den abfallenden Weg begann. Der Pfad war hier glatt, aber alles andere als ungefährlich mit der Felswand auf der einen und dem Abgrund auf der anderen Seite. Dennoch preschten sie mit voller Geschwindigkeit dahin und genossen es.

Nur ein Verrückter ritt so – ohne Rücksicht auf Leib und Leben. Nur ein Verrückter oder ein Träumer.

»Los, Dracula, los.« Der Befehl kam leise und herausfordernd wie das darauf folgende Lachen.

Vögel, aufgeschreckt von den auf der Erde donnernden Hufschlägen, flatterten aufgeregt aus den Bäumen und Büschen hoch oben auf dem Kliff und flogen kreischend Richtung Himmel davon. Schon bald verloren sich ihre Schreie in der Ferne. Als der Pfad eine scharfe Linksbiegung machte, nahm der Hengst sie in unverändertem Tempo. Am Wegrand fielen Klippen etwa siebzig Fuß steil zum blauen Meer ab. Kieselsteine stoben unter den Hufen hoch und hagelten geräuschlos hinunter durch den leeren Raum.

Der Reiter blickte hinab, ohne jedoch seinen Ritt zu verlangsamen. Daran dachte er nicht einmal.

In dieser Höhe roch die Luft nicht nach Meer. Selbst das Geräusch sich brechender Wellen war schwach wie weit entfernter und noch ungefährlicher Donner. Aber aus dieser Höhe barg das Meer etwas ganz eigenartig Gefahrvolles und Geheimnisvolles. Der Reiter verstand es, nahm es hin, denn so war es schon immer gewesen, von Anbeginn aller Zeit. Und so würde es fortdauern. In Augenblicken wie diesen vertraute er sich dem Schicksal an.

Der Hengst brauchte keine Peitsche, keinen Ansporn, um noch schneller dahinzupreschen. Wie immer genügten die Erregung und das Vertrauen seines Herrn. Sie rasten den sich dahinschlängelnden Pfad hinunter, bis sie das Tosen des Meeres in den Ohren hatten und endlich die Schreie der Möwen hörten.

Für den Betrachter mochte es scheinen, als fliehe der Reiter vor dem Teufel oder eile zu seiner Geliebten. Wer jedoch sein Gesicht sah, wusste, es war keines von beiden.

Das Leuchten in den Augen des Reiters stammte nicht von Angst oder Vorfreude. Es war eine Herausforderung an den Augenblick und nur daran. Die dunklen Haare des Mannes wehten im Wind, genau wie die Mähne des Pferdes.

Der schwarze Hengst, ein wahres Kraftpaket, hatte eine breite Brust und einen kräftigen Hals. Sein Fell glänzte von Schweiß, doch sein Atem kam stark und gleichmäßig. Der Reiter saß kerzengerade im Sattel, und sein gebräuntes schmales Gesicht glühte. Sein voller, wohlgeformter Mund zeigte ein Lächeln, das Wagemut und Freude verriet.

Sobald der Pfad eben wurde, griff der Hengst weiter aus. Sie kamen an weißen Häusern vorbei, vor denen Wäsche in der Meeresbrise flatterte. Blumen wuchsen in Beeten auf sorgfältig in Ordnung gehaltenen Wiesen, Fensterläden waren weit offen. Die Sonne stand noch hoch am Nachmittagshimmel und verstrahlte ihr gleißendes Licht. Ohne langsamer zu werden und die leichte Hand seines Herrn an den Zügeln zu benötigen, preschte der Hengst auf eine hüfthohe Hecke zu.

Gemeinsam schnellten sie darüber hinweg.

In der Ferne tauchten die Ställe auf. Wie es in den Klippen hinter ihnen Gefahr und tödliche Anziehungskraft gab, so herrschte vor ihnen Frieden und Ordnung. Rot und weiß und genauso gepflegt wie die Wiesen ringsherum, verliehen die Ställe der Landschaft mit den Klippen und dem vielen Grün eine zusätzliche bezaubernde Note. Zäune grenzten Gehege ab, in denen Pferde wesentlich weniger dramatisch Auslauf fanden als Dracula.

Einer der Stallburschen hörte auf, eine junge Stute an der Longe im Kreis zu führen, als er den Hengst herankommen hörte. Was für ein Irrer, dachte er, aber nicht ohne grimmige Hochachtung. Dieses Pferd und dieser Reiter zusammen waren ein vertrauter Anblick. Dennoch warteten zwei Stallburschen vorsichtig ab, bis der Hengst langsamer wurde und stehen blieb.

»Eure Hoheit.«

Seine Hoheit Prinz Bennett von Cordina glitt mit einem Lachen, in dem noch die Waghalsigkeit nachklang, von Draculas Rücken. »Ich kühle ihn schon ab, Pipit.«

Der alte Stallknecht mit dem leicht hinkenden Gang trat vor. Sein verwittertes Gesicht war leidenschaftslos, während er seinen Blick über den Prinzen und den Hengst auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen von Verletzungen gleiten ließ. »Verzeihen Sie, Hoheit, aber während Sie unterwegs waren, kam eine Nachricht aus dem Palast. Fürst Armand wünscht Sie zu sehen.«

Nicht ohne Bedauern übergab Bennett dem wartenden Stallburschen die Zügel. Zu seinem Vergnügen beim Ausritt gehörte die Stunde, in der er normalerweise mit dem Hengst ging und ihn bürstete. Doch wenn sein Vater nach ihm schickte, hatte er keine andere Wahl, als Vergnügen gegen Pflicht einzutauschen.

»Lassen Sie ihn ordentlich gehen, Pipit. Wir hatten einen langen Ritt.«

»Ja, Hoheit«, sagte der Stallknecht, der drei Viertel seines Lebens mit Pferden verbracht hatte. Es hatte zu seinen Pflichten gehört, Bennett auf sein erstes Pony zu setzen. Er tätschelte Draculas Hals und fand ihn schweißnass. »Ich werde mich persönlich darum kümmern, Hoheit.«

»Tun Sie das, Pipit.« Doch Bennett hielt sich noch lange genug auf, um selbst die Gurte zu lockern. »Danke.«

»Dank ist unnötig, Hoheit.« Mit einem leisen Ächzen hievte Pipit den Sattel vom Rücken des Hengstes. »Hier gibt es keinen anderen Mann, der den Nerv hat, sich mit dem Teufel einzulassen«, murmelte er auf Französisch, als das Pferd zu tänzeln begann. Sekunden später war Dracula wieder beruhigt.

»Und es gibt keinen anderen Mann, dem ich mein bestes Pferd anvertrauen würde. Eine Extraration Hafer könnte heute Abend nicht schaden.«

Pipit nahm das Kompliment als absolut verdient hin. »Wie Sie wünschen, Hoheit.«

Noch von Unrast erfüllt, wandte sich Bennett von den Ställen ab. Er hätte ebenfalls eine zusätzliche Stunde brauchen können, um sich abzukühlen. Ein schneller und wagemutiger Ritt stillte sein Bedürfnis nur teilweise. Er brauchte die Bewegung, die Geschwindigkeit, vor allem aber die Freiheit.

Fast drei Monate lang war er fest an den Palast und an das Protokoll gebunden gewesen, an Pomp und Zeremonien. Da er in der Thronfolge von Cordina an zweiter Stelle stand, waren seine Pflichten manchmal weniger öffentlich als die seines Bruders Alexander, aber selten weniger mühsam. Pflichten gehörten seit seiner Geburt zu seinem Leben und wurden für gewöhnlich auch als Selbstverständlichkeit hingenommen. Bennett konnte allerdings weder sich selbst noch viel weniger irgendeinem anderen erklären, wieso er im letzten Jahr begonnen hatte, sich dagegen aufzulehnen.

Gabriella sah es ihm an. Bennett glaubte, dass seine Schwester es vielleicht sogar verstand. Auch sie hatte stets Verlangen nach Freiheit und Privatleben verspürt. Beides hatte sie teilweise vor zwei Jahren erlangt, als Alexander sich mit Eve verheiratete und das Gewicht der Verantwortung sich verlagerte.

Allerdings drückt sie sich nie, dachte Bennett, als er durch das Gartentor des Palastes schritt. Wenn sie gebraucht wurde, war sie zur Stelle. Nach wie vor verwendete sie sechs Monate des Jahres für das Hilfswerk für behinderte Kinder, während sie gleichzeitig für den Bestand ihrer Ehe sorgte und ihre Kinder großzog.

Bennett schob die Hände in die Taschen, als er die Treppe zu dem Arbeitsraum seines Vaters hinaufstieg. Was stimmte denn mit ihm nicht? Was war in den letzten Monaten geschehen, das in ihm den Wunsch weckte, sich nachts aus dem Palast zu schleichen und wegzulaufen? Irgendwohin.

Er konnte die Stimmung nicht abschütteln, wohl aber bezähmen, als er an die Tür seines Vaters klopfte.

»Herein!«

Der Fürst saß nicht hinter seinem Schreibtisch, wie Bennett erwartet hatte, sondern am Fenster, neben sich ein Tablett mit Tee. Ihm gegenüber saß eine Frau, die bei Bennetts Erscheinen aufstand.

Als Mann, der Frauen jeden Alters und unterschiedlichsten Aussehens schätzte, unterzog Bennett sie einer flüchtigen Betrachtung, ehe er sich an seinen Vater wandte. »Tut mir leid zu stören. Man hat mir gesagt, dass du mich sehen willst.«

»Ja.« Armand nippte an seinem Tee. »Schon seit einiger Zeit. Bennett, ich möchte dich mit Lady Hannah Rothchild bekannt machen.«

»Eure Hoheit.« Sie senkte den Blick, während sie einen Knicks ausführte.

»Es ist mir ein Vergnügen, Lady Hannah.« Bennett ergriff ihre Hand und schätzte sie in Sekundenschnelle ein. Attraktiv auf eine ruhige Art. Er bevorzugte bei Frauen etwas weniger Zurückhaltung. Und er besaß eine Vorliebe für das Französische. Schlank und ordentlich. Unabänderlich wurde sein Blick von Üppigerem angezogen. »Willkommen in Cordina!«

»Danke, Hoheit.« Ihre Stimme klang britisch, kultiviert und ruhig. Er begegnete kurz ihrem Blick. Ihre Augen waren von einem dunklen, leuchtenden Grün. »Ihr Land ist wirklich wunderschön.«

»Bitte, nehmen Sie Platz, meine Liebe.« Armand deutete wieder auf ihren Sessel, ehe er noch eine Tasse einschenkte. »Bennett.«

Hannah, die Hände im Schoß verschränkt, bemerkte Bennetts raschen ablehnenden Blick zu der Teekanne. Doch er setzte sich und nahm die Tasse entgegen.

»Lady Hannahs Mutter war eine entfernte Cousine deiner Mutter«, begann Armand. »Eve lernte sie kennen, als sie vor Kurzem zusammen mit deinem Bruder England besuchte. Lady Hannah ist auf Eves Einladung bei uns.«

Hoffentlich werde ich nicht gebeten, den Begleiter der Lady zu spielen, dachte Bennett. Sie war recht hübsch, auch wenn sie sich in einem grauen, hochgeschlossenen Kleid, das ihr eine Handbreit sittsam über die Knie reichte, wie eine Nonne anzog. Sie hatte den typisch britischen blassen Teint. Ihre Augen ließen sie alles andere als unscheinbar wirken. Mit ihrem dunkelblonden Haar jedoch, das sie streng aus dem Gesicht zurückgekämmt trug, weckte sie in ihm Erinnerungen an die viktorianischen Gesellschafterinnen oder Gouvernanten früherer Zeiten. Langweilig. Aber ihm fielen wieder seine Manieren ein, und er schenkte ihr ein ungezwungenes, freundliches Lächeln.

»Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt, wie wir Ihre Anwesenheit genießen werden.«

Hannah erwiderte seinen ernsten Blick. Sie fragte sich, ob ihm bewusst war, wie sagenhaft er in lässiger Reitkleidung aussah. Vermutlich war es ihm bewusst. »Ich bin sicher, dass ich meinen Aufenthalt sehr genießen werde, Hoheit. Ich fühle mich geschmeichelt, dass mich Prinzessin Eve eingeladen hat, während sie die Geburt ihres zweiten Kindes erwartet. Und ich hoffe, ich kann ihr die Gesellschaft und die Hilfe bieten, die sie benötigt.«

Obwohl sich seine Gedanken mit anderen Dingen beschäftigten, bot Armand eine Schale mit Keksen an. »Lady Hannah ist äußerst großzügig, uns ihre Zeit zu widmen. Sie ist für ihr Wissen sehr renommiert und arbeitet gegenwärtig an einer Serie von Essays.«

Passt perfekt, dachte Bennett und nippte an dem verhassten Tee. »Faszinierend.«

Ein winziges Lächeln umspielte Hannahs Lippen. »Lesen Sie Yeats, Hoheit?«

Bennett wünschte sich zurück in die Ställe. »Nicht oft.«

»Meine Bücher sollten Ende der Woche hier eintreffen. Bitte, leihen Sie sich dann aus, was immer Sie möchten.« Sie erhob sich wieder und hielt die Hände verschränkt. »Entschuldigen Sie mich Hoheit, ich möchte das Auspacken meiner restlichen Sachen überwachen.«

»Natürlich.« Armand erhob sich, um sie an die Tür zu führen. »Wir sehen Sie beim Abendessen. Und klingeln Sie, wenn Sie etwas benötigen.«

»Danke, Hoheit.« Sie machte einen Knicks und wandte sich an Bennett, um ihm die gleiche Höflichkeit zu erweisen. »Auf Wiedersehen, Hoheit.«

»Auf Wiedersehen, Lady Hannah.« Bennett wartete, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ehe er sich auf die Armlehne seines Sessels sinken ließ.

»Nun ja, sie wird Eve innerhalb einer Woche tödlich langweilen.« Er ignorierte den Tee und nahm eine Handvoll Kekse. »Was hat Eve sich denn dabei gedacht?«

»Eve hat während ihrer zwei Wochen in England große Zuneigung zu Hannah gefasst.« Armand ging zu dem verschnörkelten Schrank und nahm zu Bennetts Erleichterung eine Karaffe heraus. »Hannah ist eine hervorragend erzogene junge Frau aus exzellenter Familie. Ihr Vater ist ein hoch respektiertes Mitglied des britischen Parlaments.« Armand schenkte Cognac ein.

»Das ist alles schön und gut, aber …« Bennett schwieg plötzlich, als er nach dem Schwenker griff. »Sag mal, Vater, du willst uns doch hoffentlich nicht zusammenbringen? Sie ist wohl kaum mein Typ.«

Die strengen Züge um Armands Mund wurden durch ein Lächeln sanfter.

»Das weiß ich nur allzu gut. Ich kann dir versichern, dass Lady Hannah nicht hierher gebracht wurde, um dich in Versuchung zu führen.«

»Das könnte sie auch kaum.« Bennett ließ den Cognac im Glas kreisen und trank einen Schluck. »Yeats?«

»Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass sich Literatur nicht nur auf Handbücher zur Pferdezucht beschränkt.« Armand holte eine Zigarette hervor.

»Ich ziehe das Praktische jeglicher Dichtung über unerwiderte Liebe oder die Schönheit eines Regentropfens vor.« Bennett kam sich plötzlich unhöflich vor und lenkte ein. »Aber ich werde dafür sorgen, dass sich Eves neue Freundin wohl fühlt.«

»Daran habe ich nicht gezweifelt.«

Nachdem sich sein Gewissen beruhigt hatte, wandte sich Bennett wichtigeren Dingen zu. »Die Araberstute wird um Weihnachten herum fohlen. Ich wette, es wird ein junger Hengst. Dracula bringt starke Söhne hervor. Drei meiner Pferde sind so weit, dass sie im Frühjahr vorgeführt werden können. Ein weiteres sollte meiner Meinung nach an den olympischen Qualifikationsspielen teilnehmen. Das würde ich gern in den nächsten Wochen in die Wege leiten, damit die Reiter mehr Zeit haben, mit den Pferden zu arbeiten.«

Armand nickte geistesabwesend und fuhr fort, seinen Cognac im Glas zu schwenken. Bennett spürte die vertraute Ungeduld in sich aufsteigen und kämpfte dagegen an. Er wusste sehr wohl, dass die Ställe auf der Prioritätenliste seines Vaters nicht weit oben standen. Wie sollte es auch anders sein bei inneren Angelegenheiten, auswärtigen Angelegenheiten und der sehr heiklen politischen Situation innerhalb des Kronrats?

Trotzdem, konnte das alles sein? Die Pferde machten nicht nur Freude, sondern verschafften auch ein gewisses Ansehen, wenn das Fürstenhaus von Cordina einen der edelsten Ställe Europas besaß. Er selbst sah darin seinen einzigen wirklichen Beitrag zu Familie und Land.

Er hatte für die Ställe ebenso hart gearbeitet wie jeder Pferdepfleger oder Stallbursche und diese Arbeit niemals für unter seiner Würde betrachtet. Im Laufe der Jahre hatte er alles nur Mögliche über Pferdezucht gelernt. Zu seiner Freude hatte er ein angeborenes Talent dafür bei sich entdeckt und in kurzer Zeit aus einem guten Stall einen der besten gemacht. Noch ein Jahrzehnt, und dieser würde, davon war er überzeugt, seinesgleichen suchen.

Manchmal verspürte Bennett das Bedürfnis, über seine Pferde und seine Ziele mit jemand anderem zu sprechen als mit einem Stallarbeiter oder einem weiteren Züchter. Doch er verstand, hatte schon immer verstanden, dass diese Person kaum sein Vater sein konnte.

»Ich nehme an, jetzt ist nicht der richtige Augenblick, darüber zu reden.« Bennett trank noch einen kleinen Schluck Cognac und wartete darauf, dass sein Vater ihm offenbarte, was immer ihm durch den Kopf ging.

»Es tut mir leid, Bennett, das ist es leider wirklich nicht.« Als Vater empfand er Bedauern, als Fürst nicht. »Dein Programm für nächste Woche. Kannst du mir Näheres darüber sagen?«

»Eigentlich nicht.« Die Unruhe war wieder da. Bennett stand auf und begann, von einem Fenster zum anderen zu gehen. Wie nah das Meer zu sein schien und doch wie weit weg. Für einen Moment wünschte er, wieder auf dem Schiff zu sein, hundert Meilen vom Land entfernt, egal, von welchem, während sich am Horizont ein Sturm zusammenbraute. »Ich weiß, dass ich am Wochenende nach Port Cordina reisen muss. Die ›Indépendance‹ läuft ein. Es findet ein Treffen der landwirtschaftlichen Genossenschaft statt, und es gibt eine Reihe von Mittagessen. Cassell nennt mir jeden Morgen die Einzelheiten. Wenn es dir wichtig ist, kann ich von ihm die Höhepunkte für dich aufschreiben lassen. Bestimmt muss ich mindestens ein Band durchschneiden.«

Armand beobachtete seinen Sohn genau. »Fühlst du dich eingeengt, Bennett?«

Schulterzuckend kippte Bennett seinen restlichen Cognac hinunter. Dann kehrte das ungezwungene Lächeln auf sein Gesicht zurück. Das Leben war schließlich zu kurz, um sich darüber zu beklagen. »Durch die Bänder, ja. Zumindest alles andere scheint der Mühe wert.«

»Unser Volk erwartet von uns mehr, als dass wir es regieren.«

Bennett wandte sich vom Fenster ab. Hinter ihm strahlte die Sonne hoch vom Himmel. Was auch immer er sich manchmal im Geheimen wünschte, das Fürstenhaus, in das er hineingeboren worden war, umgab ihn wie ein Deckmantel. »Ich weiß, Papa. Das Problem ist: Ich habe nicht Alexanders Geduld, Gabriellas Gelassenheit oder deine Beherrschung.«

»All das wirst du bald brauchen.« Armand stellte sein Glas ab und sah seinen Sohn an. »Deboque wird in zwei Tagen aus dem Gefängnis entlassen.«

Deboque! Allein der Name sorgte dafür, dass sich Bennetts Magen zusammenkrampfte. François Deboque – der Mann, auf dessen Befehl seine Schwester entführt worden war. Der Mann, der Mordanschläge auf Bennetts Vater und Bruder geplant hatte.

Deboque!

Bennett drückte seine Finger auf die Narbe unterhalb seiner linken Schulter. Dort hatte ihn eine Kugel getroffen, und geschossen hatte Deboques Geliebte. Für Deboque, auf dessen Wunsch.

Die Bombe, die vor mehr als zwei Jahren in der Pariser Botschaft hochgegangen war, war für seinen Vater bestimmt gewesen, hatte jedoch Seward getötet, einen loyalen Mitarbeiter, der Frau und drei Kinder hinterlassen hatte. Auch das war Deboques Werk gewesen.

Und in den fast zehn Jahren seit Gabriellas Entführung hatte niemand beweisen können, dass Deboque in die Entführung oder in die Mordpläne verstrickt war. Die besten Detektive Europas, einschließlich Bennetts Schwager, waren angesetzt worden, doch keiner hatte bewiesen, dass der Terrorist Deboque die Fäden zog.

Und nun würde er freikommen.

Bennett zweifelte nicht einen Moment daran, dass Deboque weiterhin auf Rache sann. Die Fürstenfamilie war sein Feind, schon aus dem Grund, weil er seit über einem Jahrzehnt in einem Gefängnis in Cordina festgehalten wurde. Es bestand auch kein Zweifel, dass er während dieses Jahrzehnts weiterhin mit Drogen, Waffen und Mädchen gehandelt hatte.

Es gab keinen Zweifel, und keinen Beweis.

Jetzt würden sie zusätzliche Wächter einsetzen und die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. Interpol würde ihre Arbeit fortsetzen, ebenso das International Security System. Sowohl Interpol als auch das ISS hatten versucht, Deboque wegen Mordes und Verschwörung zum Mord festzunageln. Bis er unter Kontrolle war und die Fäden zu seiner Organisation durchtrennt wurden, schwebten Cordina und das restliche Europa in Gefahr.

Nach dem im Familienkreis eingenommenen Abendessen schlenderte Bennett in den Garten hinaus. Vor Eves neuer Freundin hatten sie nicht offen über ihre Probleme reden können. Lady Hannah hatte nur geantwortet, wenn sie angesprochen worden war, und war mit einem Glas Wein während des ganzen Essens ausgekommen.

Er hätte sie zurück nach England gewünscht, hätte er nicht gesehen, wie gut sie für Eve war. Seine Schwägerin war mit ihrem zweiten Kind im dritten Monat schwanger, und die zusätzliche Belastung eines Gesprächs über Deboque hätte ihr geschadet. Vor zwei Jahren wäre sie beinahe getötet worden, als sie Alexander beschützte. Wenn es Lady Hannah gelang, Eve von Deboque abzulenken, wenn auch nur für ein paar Stunden am Tag, wog das die Unbequemlichkeit auf, sie im Palast zu haben.

Er musste mit Reeve sprechen. Bennett rammte seine Fäuste in die Hosentaschen. Reeve MacGee war mehr als der Mann seiner Schwester. Als Sicherheitschef hatte er bestimmt einige Antworten parat. Und Bennett hatte die Fragen – Dutzende. Es war mehr zu tun, als zusätzliche Wachen aufzustellen. Bennett lehnte es ab, ziellos durch die folgenden Wochen zu gehen, während andere damit beschäftigt waren, ihn und seine Familie zu beschützen.

Leise fluchend sah er zum Himmel hinauf. Er war wolkenlos, der Mond halb voll. Zu einer anderen Zeit hätte es ihn gereizt, hier, umgeben von den Düften des Gartens, diesen Himmel zusammen mit einer Frau zu betrachten. Jetzt, in seiner Frustration, zog er die Einsamkeit vor.

Als er die Hunde bellen hörte, versteifte sich sein ganzer Körper. Er hatte gedacht, allein zu sein, er war sich dessen sogar sicher gewesen. Und seine älter werdenden Hunde bellten niemals Familienmitglieder oder vertrautes Dienstpersonal an. Leise ging Bennett, der schon auf eine Konfrontation hoffte, in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Bennett hörte Lady Hannah lachen, und das überraschte ihn. Das klang nicht ruhig und spröde, sondern voll und amüsiert. Als er sie erblickte, beugte Hannah sich herunter und streichelte die Hunde, die sich an ihre Beine drückten.

»Ihr zwei seid vielleicht schön.« Als sie sich noch tiefer beugte, fiel das Mondlicht auf ihr Gesicht und ihren Hals.

Bennett zog die Brauen zusammen. Im Moment wirkte sie alles andere als schlicht und zurückhaltend. Das Mondlicht betonte die Linien ihres Gesichts und ließ die ohnehin dunkelgrünen Augen noch dunkler erscheinen. Er hätte geschworen, Stärke und Leidenschaft zu erkennen. Und er war ein Mann, der beides in einer Frau erspürte. Ihr Lachen erreichte ihn erneut, strahlend wie der Sonnenschein, träge wie der Dunst über dem Meer.

»Nein, ihr dürft nicht hochspringen«, mahnte sie, als die Hunde sie umkreisten. »Ihr würdet mich ganz schmutzig machen, und wie sollte ich das dann erklären?«

»Für gewöhnlich ist es am besten, gar nichts zu erklären.«

Sie blickte bei Bennetts Worten unvermittelt auf. Er sah ihre Überraschung, doch als sie sich aufrichtete, war sie die ruhige, unscheinbare Lady Hannah. Er schrieb die Leidenschaft, die zu sehen er geglaubt hatte, einer Täuschung des Lichts zu.

»Guten Abend, Hoheit.« Hannah verwünschte es, dass sie überrascht worden war.

»Ich wusste nicht, dass jemand im Garten ist.«

»Ich auch nicht.« Aber sie hätte es wissen müssen. »Ich bitte um Verzeihung.«

»Tun Sie das nicht.« Er lächelte, damit sie sich entspannte. »Konnten Sie nicht schlafen?«

»Nein, Hoheit. Ich finde nie Ruhe, wenn ich auf Reisen bin.« Die Hunde hatten sie verlassen und waren zu Bennett gelaufen. Sie beobachtete, wie er sie mit seinen starken Händen streichelte, und sie wusste nur zu gut, dass zahlreiche Damen die gleiche leichte Berührung genossen hatten. »Ich habe die Gärten von meinem Fenster aus gesehen und wollte spazieren gehen«, erklärte sie vorsichtig.

»Ich ziehe die Gärten auch nachts vor. Alles sieht dann anders aus.« Er betrachtete Hannah eingehend. »Finden Sie nicht?«

»Selbstverständlich.« Sie verschränkte die Hände. Er war sagenhaft anzusehen, im Sonnenschein oder im Mondlicht. Die Hunde kamen wieder zu ihr und drückten ihre Nasen an ihre Hände.

»Die Hunde mögen Sie.«

»Ich habe immer Tiere geliebt.« Als sie die Hunde streichelte, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass ihre Hände zart, lang und schlank waren. »Wie heißen sie?«

»Boris und Natasha.«

»Passende Namen für russische Wolfshunde.«

»Ich habe sie als Welpen bekommen. Und nach Figuren aus einem amerikanischen Zeichentrickfilm benannt. Nach zwei Spionen.«

»Nach Spionen, Hoheit?«

»Unbeholfenen russischen Spionen, die ständig hinter einem Elch und einem Eichhörnchen her waren.«

Er glaubte, es wieder zu sehen, dieses Aufblitzen von Humor, das ihrem Gesicht etwas Besonderes verlieh. »Aha! Ich war noch nie in Amerika.«

»Nein?« Er kam näher, sah jedoch nichts anderes als eine junge Frau mit guter Figur und einem ruhigen Wesen. »Es ist ein faszinierendes Land. Cordina ist eng mit ihm verbunden, seit zwei Mitglieder der Fürstenfamilie Amerikaner geheiratet haben.«

»Was bestimmt eine Reihe hoffnungsvoller Europäer enttäuscht hat.« Hannah lächelte zaghaft. »Ich habe vor einigen Jahren Prinzessin Gabriella kennengelernt. Sie ist eine wunderbare Frau.«

»Ja, das ist sie. Wissen Sie, ich war ein paar Mal in England. Seltsam, dass wir uns nie getroffen haben.«

Hannah erlaubte dem Lächeln zu verweilen. »Aber das haben wir, Hoheit.«

»Boris, sitz!«, befahl Bennett, als der Hund eine Pfote zu Hannahs Kleid hob. »Sind Sie sicher?«

»Ganz sicher. Aber man kann kaum erwarten, dass Sie sich erinnern. Es war vor einigen Jahren auf einem Wohltätigkeitsball beim Prinzen von Wales. Die Königinmutter hat Sie mir und meiner Cousine Lady Sara vorgestellt. Ich glaube, Sie und Sara haben sich … angefreundet.«

»Sara?« Seine Gedanken wanderten zurück. Sein ohnehin gutes Gedächtnis war tadellos, wenn es um Frauen ging. »Ja, natürlich.« Auch wenn er Hannah nur als vagen Schatten neben ihrer sagenhaften Cousine in Erinnerung hatte. »Wie geht es Sara?«

»Sehr gut, Hoheit. Sie ist zum zweiten Mal glücklich verheiratet. Soll ich sie von Ihnen grüßen?«

»Wenn Sie möchten.« Er schob seine Hände wieder in die Taschen. »Sie trugen Blau, ein helles Blau, fast schon Weiß.«

Hannah zog eine Augenbraue hoch. Niemand brauchte ihr zu sagen, dass er sie kaum wahrgenommen hatte. »Sie schmeicheln mir, Hoheit.«

»Es gehört zu meinen Grundsätzen, nie eine Frau zu vergessen.«

»Ja, das glaube ich.«

»Mein Ruf eilt mir voraus.« Sein Stirnrunzeln wich einem sorglosen Lächeln. »Stört es Sie, allein im Mondschein im Garten zu sein mit …«

»… dem Playboy-Prinzen?«, beendete Hannah den Satz.

»Sie lesen tatsächlich Zeitungen«, meinte Bennett.

»Unermüdlich. Aber nein, Hoheit, danke, ich fühle mich sehr wohl.«

Er lachte. »Lady Hannah, ich bin selten so treffsicher auf meinen Platz verwiesen worden.«

»Tut mir leid, Hoheit, das war nicht meine Absicht.«

»Und ob es das war, und Sie haben es gut gemacht.« Er ergriff ihre kühle Hand. »Ich sollte mich dafür entschuldigen, dass ich Sie herausgefordert habe, aber ich werde es nicht tun, da Sie sich offenbar so gut halten. Ich beginne zu verstehen, warum Eve Sie hier haben will.«

Hannah hatte schon vor langer Zeit gelernt, jegliche Schuldgefühle abzublocken. Genau das tat sie jetzt. »Ich habe Eve in der kurzen Zeit sehr lieb gewonnen und war über die Gelegenheit erfreut, ein paar Monate in Cordina bleiben zu können. Ich gestehe, ich habe mich schon in die kleine Prinzessin Marissa verliebt.«

»Kaum ein Jahr alt, regiert aber schon im Palast.« Bennetts Augen nahmen einen sanften Ausdruck an, als er an das erste Kind seines Bruders dachte. »Vielleicht, weil sie Eve so ähnlich sieht.«

Hannah entzog ihm ihre Hand. Sie hatte von den Gerüchten gehört, Bennett sei ein wenig, oder vielleicht auch mehr als ein wenig, in die Frau seines Bruders verliebt gewesen. Man brauchte gar kein so guter Beobachter wie sie zu sein, um aus seiner Stimme die Zuneigung herauszuhören. Sie nahm sich vor, es im Gedächtnis zu behalten, ob es ihr später von Nutzen war oder nicht.

»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Hoheit. Ich sollte in mein Zimmer zurückgehen.«

»Es ist noch früh.« Er zögerte, sie gehen zu lassen.

»Ich ziehe mich für gewöhnlich früh zurück.«

»Ich begleite Sie.«

»Machen Sie sich bitte keine Umstände. Ich kenne den Weg. Gute Nacht, Hoheit.« Sie verschmolz rasch mit den Schatten, während die Hunde winselten und mit den Schwänzen gegen seine Beine klopften.

Was hat sie nur an sich?, fragte sich Bennett, als er sich bückte, um seine Hunde zu streicheln. Auf den ersten Blick wirkt sie so unauffällig, und doch … Er wusste es nicht. Aber als er auf den Palast zuging, gefolgt von seinen beiden Hunden, versuchte er, die Antwort darauf zu finden. Wenn es schon zu sonst nichts führte, der Versuch, unter Lady Hannahs ruhige Oberfläche vorzudringen, konnte ihn zumindest von Deboque ablenken.

Hannah wartete nicht, um zu sehen, ob er ihr folgte, sondern ging rasch durch die Gartentür. Sie besaß die angeborene Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen, so unauffällig, dass sie in einer Gruppe von drei Leuten leicht unbemerkt blieb. Diese Fähigkeit hatte sie im Laufe der Zeit zu einem wahren Geschick entwickelt, und es war ihr von großem Vorteil.

Geräuschlos stieg sie die Treppe hinauf, ohne sich ein einziges Mal umzusehen. Wenn man überprüfen musste, ob man verfolgt wurde, steckte man bereits in Schwierigkeiten. Einmal in ihrem Zimmer, verschloss sie die Tür und schlüpfte aus ihren praktischen Pumps. Da die Frau, die sie zu sein vorgab, niemals ihre Kleidung verstreut herumliegen lassen würde, hob Hannah die Schuhe auf und stellte sie, mit nur einem kurzen widerwilligen Blick, ordentlich in den Wandschrank.

Während sie kontrollierte, ob die Vorhänge zugezogen waren, streifte sie das unvorteilhafte Cocktailkleid ab.

Sie fand zwar, dass es in den Müll gehörte, hängte es aber dennoch sorgfältig auf einen gepolsterten Bügel.

Da stand sie nun, eine schlanke, kurvenreiche Frau mit zarter, weißer Haut und langen Beinen, in einem knappen, spitzenbesetzten Body. Sie zog die Nadeln aus ihrem Haar und ließ es mit einem Seufzer reinsten Genusses bis zu ihrer Taille fallen.

Jeder, der Lady Hannah Rothchild kannte, wäre von dieser vollständigen Verwandlung verblüfft gewesen, so war ihr diese zweite Rolle, die sie seit fast zehn Jahren spielte, vertraut geworden.

Lady Hannah hatte eine Leidenschaft für Seide und bretonische Spitze, beschränkte sie jedoch auf Nachtwäsche und Dessous. Leinen- und Tweedkleidung passte eher zu dem Bild, das sie mit viel Mühe von sich geschaffen hatte.

Lady Hannah las gern einen seichten Krimi in einem dampfenden Schaumbad. Auf ihren Nachttisch hatte sie jedoch ein Exemplar von Chaucer gelegt und konnte, falls man es von ihr verlangte, eine Handvoll schwer verständlicher Passagen daraus zitieren und darüber diskutieren.

Das alles war kein Fall von gespaltener Persönlichkeit, sondern von Notwendigkeit. Hannah hätte nach einiger gründlicher Überlegung feststellen können, dass sie mit ihren beiden Ichs zufrieden war. Ja, meistens gefiel ihr sogar die unscheinbare, höfliche und angemessen hübsche Hannah besonders gut. Andernfalls hätte sie die praktischen Schuhe niemals über einen längeren Zeitraum ertragen.

Aber es gab noch eine andere Lady Hannah Rothchild, einzige Tochter des Lord Rothchild, Enkeltochter des Earl of Fenton. Diese war nicht ruhig und bescheiden, sondern raffiniert und leichtsinnig. Mehr noch, sie liebte die Gefahr und besaß eine Beobachtungsgabe, mit der sie jedes noch so kleine Detail wahrnahm und es sich ins Gedächtnis einprägte.

Diese beiden Hannah Rothchilds zusammen ergaben eine ausgezeichnete und hoch qualifizierte Agentin.

Hannah öffnete die oberste Schublade ihrer Frisierkommode und nahm einen langen, geschlossenen Kasten heraus. Er enthielt eine Perlenkette, ein Erbstück von ihrer Urgroßmutter, und die dazu passenden Ohrringe, die ihr Vater für sie zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag hatte neu einfassen lassen. In den Schubladen der Schatulle waren noch einige andere, einer Dame ihres Standes angemessene Schmuckstücke aufbewahrt.

Hannah öffnete den doppelten Boden des Kastens, nahm ein Notizbuch heraus, ging damit zu dem Rosenholz-Sekretär und begann, ihren Bericht zu schreiben. Sie war nicht nur zur Erholung in den Garten gegangen. Jetzt kannte sie die ganze Anlage und brauchte sich nicht länger auf Informationen von anderen zu verlassen. Sie zeichnete eine Skizze des Palastes einschließlich der Türen und Fenster, durch die man am leichtesten eindringen konnte. In ein oder zwei Tagen würde sie auch den Zeitplan der Wachen kennen.

Es hatte nur kurze Zeit erfordert, um sich mit Eve anzufreunden und eine Einladung in den Palast von Cordina zu erhalten. Eve vermisste ihre Schwester und ihr Heimatland. Sie hatte eine Freundin gebraucht, mit der sie sprechen konnte.

Hannah unterdrückte ihr schlechtes Gewissen. Ein Job ist ein Job, sagte sie sich. Sie konnte sich durch ihre Zuneigung für Eve einen Plan nicht durchkreuzen lassen, an dem sie vor zwei Jahren zu arbeiten begonnen hatte.

Kopfschüttelnd machte sie sich erste Notizen zu Bennett. Er ist ganz und gar nicht so, wie ich es erwartet habe, dachte Hannah jetzt. Oh, er war so charmant und so attraktiv, wie es in seinem Dossier vermerkt war, aber er hatte der langweiligen Lady Hannah seine Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet.

Ein egoistischer Schürzenjäger, rief Hannah sich ins Gedächtnis. Zu diesem Schluss war sie selbst am Ende ihrer Nachforschungen über ihn gekommen. Vielleicht langweilte er sich ein bisschen und trug sich mit dem Gedanken, sich mit einer verletzlichen, zugänglichen Frau die Zeit zu vertreiben.

Hannah kniff die Augen zusammen und erinnerte sich an sein Lächeln. Ein Mann mit seinem Aussehen, seiner Stellung und Erfahrung verstand es, mit diesem Lächeln oder einem leisen Wort eine Frau jeden Alters und jeden Standes zu bezaubern. Dass er es getan hatte, mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, war gut belegt. Vielleicht versuchte er, seiner Krone ein weiteres Juwel hinzuzufügen, indem er sie verführte.

Sie erinnerte sich daran, wie er sie im Mondschein angesehen hatte, wie sein Blick sanft geworden war, als sie mit ihm herumgeplänkelt hatte. Seine Hand war fest und kräftig gewesen, als er ihre Hände nahm – die Hand eines Mannes, der mehr tat, als seinem Volk hoheitsvoll zuzuwinken.

Nachdenklich klopfte sie mit dem Stift auf das Buch. Nein, eine Romanze mit Bennett würde nur zu Komplikationen führen, wie vorteilhaft sie auf lange Sicht auch sein mochte. Sie würde den Blick gesenkt und die Hände verschränkt halten.

Sorgfältig versteckte Hannah das Notizbuch und setzte den doppelten Boden wieder ein. Sie verschloss den Kasten, ließ ihn jedoch für jeden sichtbar, der ihre Frisierkommode durchsuchen sollte.

Ich bin hereingekommen, sagte sie sich in gespannter Erwartung und sah sich im Raum um.

Wenn Deboque in zwei Tagen aus dem Gefängnis entlassen wurde, sollte er mit ihr sehr zufrieden sein.

2. KAPITEL

Ach, Hannah, ich bin so froh, dass du für eine Weile hier bist.« Bei ihrer Freundin untergehakt, ging Eve hinter die Theaterbühne. »Seit du hier bist, findet Alex es nicht mehr nötig, mich zu verwöhnen. Er hält dich für so vernünftig.«

»Ich bin vernünftig.«

Eve lachte leise. »Ich weiß, aber du sagst mir nicht ständig, dass ich mich hinsetzen und die Beine hochlegen soll.«

»Viele Männer betrachten Schwangerschaft und Geburt manchmal als traumatische Krankheit und nicht als Tatsache des Lebens.«

»Genauso ist es.« Eve zog Hannah in ihr Büro. Da Gabriella so oft in Amerika war und ihre eigene Schwester selten zu Besuch kam, hatte Eve sich nach einer anderen Frau gesehnt. »Alex wartet ständig darauf, dass ich in Ohnmacht falle oder mich über Gebühr errege. Dabei habe ich mich in meinem Leben nie besser gefühlt, höchstens als ich mit Marissa schwanger war.«

Eve schleuderte ihre dunklen Haare zurück und lehnte sich an die Schreibtischkante. Hier konnte sie wenigstens noch ein wenig Privatleben beanspruchen, das sie aufgegeben hatte, als sie einen Prinzen heiratete.

»Wärst du nicht gekommen, hätte ich ihn mit Klauen und Zähnen bekämpfen müssen, um weiter arbeiten zu können. Er hat nur zugestimmt, weil er denkt, du würdest mich scharf im Auge behalten, während er beschäftigt ist.«

»Dann werde ich ihn nicht enttäuschen.« Hannah sah sich unauffällig in dem Büro um. Kein Fenster, kein anderer Zugang von außen. Lächelnd wählte sie einen Stuhl und zog ihn zu sich heran. »Weißt du, Eve, ich bewundere dich wirklich. Das Zentrum der Schönen Künste hatte schon immer einen guten Ruf, aber seit du hier angefangen hast, ist dieses Theater zu einem der wichtigsten von Europa geworden.«

»Das habe ich mir immer gewünscht.« Eve betrachtete ihren mit Diamanten besetzten Ehering. Selbst nach zwei Jahren erstaunte es sie noch, ihn zu sehen. »Weißt du, Hannah, manchmal habe ich morgens fast Angst vor dem Erwachen, weil ich dann herausfinden könnte, dass alles nur ein Traum war. Dann sehe ich Alex und Marissa und denke, dass sie mir gehören. Wirklich mir.«

Ihre Augen nahmen einen betrübten Ausdruck an vor Angst und Entschlossenheit. »Ich werde nicht zulassen, dass etwas oder jemand sie verletzt.«