Countryroads und andere Wege - Nasha Berend - E-Book

Countryroads und andere Wege E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch nimmt Marlon entgegen seiner sonstigen Gewohnheit den Anhalter Björn mit. Auf der gemeinsam zurückgelegten Strecke lernen sich die beiden Männer ein wenig kennen und als sie sich schließlich trennen, gibt Marlon Björn ein Versprechen. Als er es einlöst, staunt er nicht schlecht, denn der Anhalter war unterwegs zu seinem Großvater, der in einem alten Forsthaus lebt, das ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Marlon fühlt sich dort wohl, was aber nicht nur an der Lage des Hauses und dem Gebäude selber liegt, sondern auch an Björn und seinem Großvater Helmut. Nur die Umstände, weshalb der Anhalter seinem Opa besuchen wollte, die sind nicht so besonders schön. Genau aus diesem Grund aber überlegt Björn, seine Zelte abzubrechen und zu seinem Großvater zu ziehen. Wenn da nur die Sache mit dem Job nicht wäre. Und ganz plötzlich zeigt sich wieder einmal, dass es so etwas wie Zufälle nicht gibt, denn Marlon macht ihm einen Vorschlag, der es ihm ermöglichen würde Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen und auch noch eine neue Liebe zu genießen. Jetzt muss er nur noch seinen Großvater überreden, aber der hat gerade andere Dinge im Kopf.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Mit keinem Wort
Mitfahrgelegenheit
Björn
Marlon
Helmut
Große und kleine Entscheidungen
Socken, Kekse, Schnaps und Körbe
Smilla
Patrick
Familie
„Wo ist denn hier das Klo?“
Unerwarteter Besuch
Flammen
Marc und Maria
Jessica
Beobachtet
Beobachtet den Beobachter
Verraten und verkauft
Neueröffnung

Wortzähler: 60747

 

 

 

 

 

 

 

Countryroads und andere Wege

Viele Wege führen zum Ziel

 

 

von

 

Nasha Berend

Buschstrasse 1, 39649 Gardelegen

 

 

 

 

 

 

Nasha Berend

Buschstrasse 1, 39649 Gardelegen

 

[email protected]

Über das Buch

 

Auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch nimmt Marlon entgegen seiner sonstigen Gewohnheit den Anhalter Björn mit. Auf der gemeinsam zurückgelegten Strecke lernen sich die beiden Männer ein wenig kennen und als sie sich schließlich trennen, gibt Marlon Björn ein Versprechen.

Als er es einlöst, staunt er nicht schlecht, denn der Anhalter war unterwegs zu seinem Großvater, der in einem alten Forsthaus lebt, das ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint.

Marlon fühlt sich dort wohl, was aber nicht nur an der Lage des Hauses und dem Gebäude selber liegt, sondern auch an Björn und seinem Großvater Helmut. Nur die Umstände, weshalb der Anhalter seinem Opa besuchen wollte, die sind nicht so besonders schön. Genau aus diesem Grund aber überlegt Björn, seine Zelte abzubrechen und zu seinem Großvater zu ziehen. Wenn da nur die Sache mit dem Job nicht wäre.

Und ganz plötzlich zeigt sich wieder einmal, dass es so etwas wie Zufälle nicht gibt, denn Marlon macht ihm einen Vorschlag, der es ihm ermöglichen würde Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen und auch noch eine neue Liebe zu genießen. Jetzt muss er nur noch seinen Großvater überreden, aber der hat gerade andere Dinge im Kopf.

 

 

Mit keinem Wort

 

„Countryroads take me home“, grölte er mit John Denver um die Wette und drehte das Autoradio noch ein wenig lauter. Textsicher sang er Strophe um Strophe und auch den Refrain mit. Als das Lied endete, räusperte er sich und wartete auf den Sprecher, der den nächsten Titel ankündigen würde. An die nachfolgenden Nachrichten hatte er gar nicht mehr gedacht und reagierte entsprechend genervt.

„Ich weiß gar nicht warum sich Menschen die Nachrichten anhören“, gab er von sich und setzte den linken Blinker, um zu überholen „Es ist doch mehr oder weniger immer das Gleiche. Überall nur Mord und Totschlag und kaum was erfreuliches. Ehrlich, da lohnt es sich nicht mehr einzuschalten, weil man allerhöchstens ein Magengeschwür bekommt. Da fällt mir gerade ein“, murmelte er vor sich hin und lächelte als er seinem Smartphone den Befehl gab seine Mutter anzurufen.

„Hey, ruf Mama an“.

Kaum eine Minute später nahm auf der anderen Seite jemand das Gespräch entgegen.

„Ja“, hörte er eine tiefe, männliche Stimme sagen und runzelte die Stirn.

„Da ich mir ziemlich sicher bin mich nicht verwählt zu haben, würde ich gerne wissen wer Sie sind“, sagte er ernst und setzte sich aufrechter in den Fahrersitz seines Autos.

„Auf dem Display prangte gerade ein Foto von Sabines Sohn auf, deshalb gehe ich in der Annahme das Sie Marlon sind“, gab der Mann auf der anderen Seite von sich und dieses Mal nickte der Fahrer des Autos, das mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahn fuhr.

„Richtig geraten, aber wer, bitteschön, sind Sie?“

Der Mann räusperte sich.

„Ich bin mir nicht sicher wo Sie sich gerade aufhalten, aber es wäre sicherlich besser wenn Sie anhalten würden. Ich kann Autos hören. Viele Autos, deshalb gehe ich davon aus das Sie entweder auf einer stark befahrenen Straße unterwegs sind, oder vielleicht sogar auf einer Autobahn.“

„Wer, in Dreiteufelsnamen, sind Sie und was ist mit meiner Mutter? Hören Sie, Sie haben Recht, ich bin auf einer Autobahn unterwegs und würde jetzt gerne mit meiner Mutter sprechen. Wären Sie also so nett und würden ihr das Telefon geben?“

„Ähm“, murmelte der Mann am anderen Ende und räusperte sich erneut „Ich weiß nicht, ob Sabine mich schon einmal erwähnt hat, aber wir sind seit ein paar Monaten eng miteinander befreundet. In Ihrer Generation würde man wahrscheinlich von Lebensabschnittspartnern sprechen. Mein Name ist Mehmet und ich kenne Ihre Mutter inzwischen seit mehr als einem Jahr“, verhaspelte sich der Gesprächspartner und Marlon hörte ihn schnauben „Entschuldigen Sie das die Informationen alle so durcheinander kommen, aber die letzte Nacht war aufregend und ich bin etwas durch den Wind.“

„WAS IST MIT MEINER MUTTER?!“, rief Marlon jetzt genervt fragend in Richtung seines Telefones und hörte den Fremden sagen.

„Sie haben eine Notoperation durchführen müssen. Sie hatte einen Blinddarmdurchbruch und wurde in der Nacht ins Krankenhaus eingeliefert. Man hat sie sofort in den Op geschoben und seither sitze ich hier und warte.“

„WAS?“, schrie Marlon und raufte sich die Haare „Warum weiß ich nichts davon? Weshalb hat mich niemand informiert.“

„Ehrlich gesagt?“, begann dieser Mehmet leise „Habe ich nicht daran gedacht. Ich habe leider keine Kinder und auch niemanden den meine Wenigkeit interessiert, deshalb habe ich auch völlig unterschlagen das da noch jemand ist den ich informieren müsste. Es tut mir furchtbar leid“, erklärte Mehmet und holte gut hörbar Luft.

„Schon gut. Sie wissen also nicht, wie es meiner Mutter geht? Es wird wohl das Beste sein wenn ich umkehre und direkt nach Hause komme“, gab Marlon von sich und befeuchtete seine trockenen Lippen.

„Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird. Aber wenn Sabine Sie sehen möchte, dann könnte ich Sie anrufen und Sie bitten nach Hause zu kommen. Ich kann mir nicht vorstellen das sie möchte das Sie Ihre Arbeit unterbrechen“, gab Mehmet zu und Marlon schnaubte. Woher wollte der Kerl wissen, was seine Mutter wollte, oder nicht? So gut kannten sie sich garantiert auch wieder nicht, denn sonst hätte sie den Namen sicherlich schon einmal erwähnt. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, das seine Mutter auch nur mit einem einzigen Wort einen neuen Partner erwähnt hatte. Prompt dachte Marlon an seinen Vater, der vor fast fünf Jahren einen tödlichen Autounfall gehabt hatte und verringerte die Geschwindigkeit. Er würde auf jeden Fall pünktlich am Ziel sein. Auf seine Pünktlichkeit konnte man sich verlassen. So auch in diesem Fall. Garantiert würde er wieder Stunden vor der verabredeten Zeit an dem Ort sein, der so wichtig für seine Zukunft war. Natürlich wollte er den Job haben, aber für seine Mutter hätte er versucht, den Termin zu verschieben.

„Sie müssen mir was versprechen“, sagte Marlon leiser und zog aus Nervosität die Nase hoch „Sobald Sie etwas wissen, rufen Sie mich an, haben Sie das verstanden? Ich will sofort wissen was mit ihr ist.“

Für einen kurzen Moment war auf der anderen Seite der Leitung Ruhe eingetreten, dann stimmte der Mann zu, über den Marlon nichts wusste außer dem Namen.

„Waren Sie bei ihr?“, wollte er prompt wissen und hörte schon wieder, wie Mehmet sich räusperte.

„Ja. Ich war bei ihr und um die nächste Frage gleich auch noch zu beantworten: Ja, wir sind ein Paar und werden in der nächsten Zeit zusammenziehen.“

Marlon verschluckte sich „Zusammenziehen? So ernst?“

„Noch viel ernster“, antwortete der andere Mann leise und machte weiter „Wir werden Zeit haben zu reden und dann können Sie mir jede Frage stellen die Ihnen auf der Zunge brennt, aber im Augenblick ist es jetzt erst einmal wichtig das Sabine wieder gesund wird. Was halten Sie davon, wenn wir uns in etwa vierzehn Tagen samstags bei ihr zuhause treffen. Vielleicht zu einem guten Abendessen? Soviel ich weiß, ist es ja nicht allzu weit von Ihnen entfernt und für Sie gut zu erreichen. Ich schätze, sie würde sich wahnsinnig freuen Sie wieder Mal zuhause zu haben.“

„Wenn Sie mir ein schlechtes Gewissen einreden wollen“, begann Marlon „Dann muss ich leider zugeben das es Ihnen gelungen ist. Ich weiß das ich nicht allzu viel Zeit mit ihr verbringe, aber das war ihr wohl auch klar als sie mich hat gehen lassen. Sie war es schließlich die mir einen guten Job gewünscht hat.“

„Sie ist auch mächtig stolz auf Sie, aber das bedeutet nicht das sie nicht weiterhin ein wichtiger Teil ihres Lebens sein möchte und da Sie so erstaunt sind das sie einen Partner hat, wäre es vielleicht sogar ganz gut wenn sie sich mal wieder sehen würden.“

„Oh man“, stöhnte Marlon und atmete tief durch „Sie haben ja so Recht“, knurrte er „Ich war zu lange nicht mehr bei ihr. Ehrlich gesagt, hatte ich immer die Ausrede das ich keine Zeit dazu hätte, aber ich glaube, das ist nur ein Vorwand. Ja. Wenn man sie wieder aus dem OP lässt, dann sagen Sie ihr bitte das ich die Einladung sehr gerne annehme, aber bitte vergessen Sie nicht mich direkt anzurufen wenn sie wieder da ist“, sagte er und legte nur wenig später auf.

„Mehmet“, flüsterte er vor sich hin und runzelte dabei dir Stirn. Noch einmal versuchte er, herauszufinden, ob sie ihn schon einmal erwähnt hatte.

Nein.

Da war er sich ganz sicher. Sie hatte niemals einen Freund erwähnt und einen Partner schon gar nicht. Mit keinem Wort.

 

 

 

 

Mitfahrgelegenheit

 

Keine zehn Minuten später gab er seinem Smartphone den Befehl „Ruf Smilla an“.

„Das ist jetzt gerade ganz furchtbar schlecht, Bruderherz. Es wäre besser ich könnte dich zurückrufen“, hörte er seine jüngere Schwester abgehetzt von sich geben und sah auf die Uhr.

„Entschuldige wenn es gerade ungünstig ist, ich habe auch nur eine einzige Frage.“

„Na dann, schieß los“, antwortete sie und klang etwas ruhiger als zuvor.

„Hast du gewusst das Mama im Krankenhaus ist?“

„WAS!“, schrie seine Schwester auf und Marlon hörte etwas zu Boden fallen. Wahrscheinlich ein Glas, oder eine Tasse.

„Was ist mit ihr? Verdammte Scheiße, ich kriege aber auch gar nichts mehr mit. Wieso weiß ich davon nichts? Was ist denn mit ihr? Soll ich kommen?“

„Moment. Ganz ruhig“, gab Marlon zu und wischte sich mit der linken Hand über die Haare „So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Mich hat nur gerade ein gewisser Mehmet angerufen, um mir mitzuteilen das sie heute Nacht mit einem Blinddarmdurchbruch in die Klinik gekommen ist.“

„Blinddarmdurchbruch? Ist der lebensgefährlich?“

„So, wie es mir geschildert wurde nicht. Sie war aber noch im OP als er mich darüber informiert hat.“

„Wer?“

„Was, wer?“

„Wer hat dich informiert?“

„Mehmet.“

„Wer ist das denn?“, wollte sie wissen und hob unter leichtem Stöhnen das auf, das ihr zuvor auf den Boden gefallen war.

„Ich dachte“, gab Marlon ein wenig befriedigt von sich, das er nicht der Einzige war, der nicht darüber informiert war, das seine Mutter einen Freund hatte „Du wüsstest vielleicht ein bisschen mehr über Mama. Hat sie dir nichts erzählt?“

Smilla atmete tief ein und geräuschvoll wieder aus, dann räusperte sie sich „Wenn ich ehrlich bin, dann ist es schon eine Zeit her das ich mit ihr gesprochen habe. Ich habe so viel zu tun das ich kaum Zeit für mich selbst habe, geschweige dennoch Telefonate zu führen in denen ich doch nur immer wieder das Gleiche gefragt werde“, antwortete sie und stöhnte gleichzeitig „Ich sollte sie wohl wirklich mal wieder anrufen, oder?“

„Ja, das solltest du. Obwohl ich lieber still bin, denn mir geht es nicht anders. Ich war wie vor den Kopf gestoßen als er sich meldete und mir mitteilte das er Mamas Freund ist. Ich gönne es ihr ja, aber hätte sie nicht Bescheid geben können?“

„Sagst du ihr was wenn du dich verliebst oder längere Zeit mit jemandem zusammen bist?“, kam die Gegenfrage und Marlon presste die Lippen aufeinander.

„Nein. Was aber wahrscheinlich daran liegt das es sowieso niemanden interessiert.“

„Das Gleiche wird Mama sich wohl auch gedacht haben“, knurrte Smilla „Ist sonst noch was?“

„Wir sollten uns mal wieder die Zeit nehmen um uns zu treffen. Ich weiß nicht, aber ihr Krankenhausaufenthalt macht doch mal wieder deutlich das nichts unendlich ist. Nicht einmal das Leben einer Mutter, Smilla“.

„Hast wohl heute einen Philosophen zum Frühstück verspeist, was? Natürlich müssen wir uns alle damit auseinandersetzen das nichts für die Ewigkeit ist, aber nicht ausgerechnet jetzt. Ich habe echt keine Zeit für sowas.“

Marlon schnaubte „Für sowas? Hast du keine Zeit für die Liebe oder keine Zeit um zu sterben? Weißt du was? Es war ein Fehler dich anzurufen. Wie ich sehe hat sich absolut nichts geändert. Alles, was dich interessiert bist du selbst“, gab er giftig von sich, obwohl es ihm leidtat.

Marlon hörte jemanden etwas sagen und seine Schwester Smilla antworten „Mein Bruder.“

„Grüß ihn von mir“, murmelte jemand und Marlon verdrehte die Augen.

„Ich weiß nur nichts von Mama, ich habe auch von dir keine Ahnung. Du bist also auch nicht mehr alleine?“

Smilla hüstelte gekünstelt „Nicht wirklich. Genau deshalb nervt Mama mich ja so. Sie würde ihn gerne kennenlernen und löchert mich ständig wann wir sie besuchen kommen, aber hey, das ist nicht so einfach wie es sich vielleicht anhört. Erstens seit ihr ja nicht gerade nebenan und zweitens haben wir unendlich viel zu tun. So wie jetzt auch. Hör zu, Marlon, sag Mama bitte einen schönen Gruß und wir wünschen ihr gute Besserung, aber mehr ist im Augenblick nicht drin.“

Marlon nickte ein wenig enttäuscht und beendete nur wenig später das Gespräch mit den üblichen Floskeln, von denen nie eine in die Tat umgesetzt werden würde.

Marlon umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen und drückte sich gegen die Lehne des Sitzes. Er sah Szenen seiner Kindheit vor sich, die er als glücklich und zufrieden beschrieben hätte. Beide Eltern waren zwar berufstätig gewesen, hatten sich aber trotzdem immer Zeit für die beiden Kinder freischaufeln können. Während Smilla die künstlerische Ader ihres Vaters geerbt hatte, war Marlon eher derjenige, der für alles eine gute Erklärung brauchte. Smilla war noch keine 20 Jahre alt gewesen, als sie für ihr Kunststudium nach Kanada ging und ihre Familie seither nur noch zwei oder drei Mal gesehen hatte. Manchmal kam ihnen die Technik zur Hilfe. Dank des Internets konnten sie sich mit der Videotelefonie wenigstens sehen, wenn auch nicht umarmen, aber es war schon etwas anderes, wenn man jemandem nur hörte, oder ihn gleichzeitig sehen konnte. Aber auch diese Unterhaltungen wurden immer weniger. Je älter sie wurden und je weniger sie sich sahen, umso seltener wurden auch ihre Telefonate.

Erst jetzt wurde Marlon klar, dass sie nicht einmal an Weihnachten gechattet hatten. Er hatte seine Schwester schon länger nicht mehr gesehen, um genau zu sein, seit der Beerdigung des Vaters.

Marlon warf einen Blick auf die Uhr und war sich sicher, er würde rechtzeitig zu seinem Vorstellungsgespräch kommen. Er hatte noch jede Menge Zeit. Zeit genug, um sogar noch anzuhalten und sich einen Kaffee zu gönnen. Das tat er auch.

Am nächsten Rastplatz hielt er an und bestellte bei einer mürrisch dreinblickenden Frau einen Pott Kaffee. Während er sein Tablet vor sich legte und etwas in die Suchmaske eingab, wartete er auf die Bedienung.

Er sah nicht, dass sich die Eingangstür des Restaurants selbständig öffnete und ein junger Mann eintrat, der mit einem grünen Parka bekleidet war und einen schweren Rucksack trug, den er jetzt am Nachbartisch auf einen Stuhl verfrachtete.

Ein Hauch kühler Luft traf Marlon, der in diesem Moment den Kopf hob. Die Blicke begegneten sich und der junge Mann lächelte verlegen.

„Hallo“, murmelte er beiläufig und setzte sich dann auf einen der drei Stühle, die um den Tisch herumstanden. Marlon beobachtete ihn unbewusst und sah dabei zu, wie der Mann mit der Bedienung Kontakt aufnahm, um seine Bestellung aufzugeben. Keine zwei Minuten später bekamen sie beide das Gewünschte.

Ein wenig verpeilt sah Marlon auf das Display des Tablets, auf dem noch einmal alles sichtbar wurde, das er für sein Vorstellungsgespräch brauchte. Er hatte keine Ahnung, wie oft er sich die Unterlagen angesehen hatte, aber er warf trotzdem noch einmal einen Blick darauf. Es war noch alles so, wie er es in Erinnerung hatte, deshalb schloss er die Anwendung wieder und steckte das Tablet zurück in seine Businesstasche, die er irgendwann mal von seiner Mutter zu Weihnachten bekommen hatte. Damit er wichtig genug aussehen würde, hatte sie damals lächelnd betont.

„Entschuldigen Sie“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und sah sich um, bis er ein Gesicht fand, das ihm zugewendet lächelte „Sie fahren nicht zufällig heute noch weiter?“

Marlon hob die Augenbrauen an „Da ich nicht ausgerechnet hier übernachten möchte, können Sie davon ausgehen. Warum?“

„Hätten Sie noch Platz im Auto?“

„Kommt darauf an.“

„Meines ist leider vor ein paar hundert Kilometern liegengeblieben und lässt sich, wo viel Glück habe ich garantiert nicht, auch nicht mehr reparieren. Ich müsste aber dringend heute noch weiter. So, wie es aussieht bin ich aber kein wirklich guter Tramper. Ich stehe schon seit einer gefühlten Ewigkeit am Straßenrand und halte den Daumen in die Luft. Inzwischen bin ich nicht nur genervt sondern auch noch müde.“

„Wohin müssen Sie denn?“

„Noch gute drei Ausfahrten. Könnten auch noch vier sein“, gab der Fremde von sich und trank einen Schluck aus einer großen, weißen Tasse. Eine Ähnliche hatte Marlon auch vor sich stehen und warf ihr einen sehnsüchtigen Blick zu. Er griff danach und trank einen Schluck, ohne auf den Mann am Nachbartisch zu achten. Erst als er die Tasse wieder abstellte und sich so seine Gedanken um Anhalter gemacht hatte, befeuchtete er seine Lippen und holte tief Luft.

„Ich habe in meinem ganzen bisherigen Autofahrerleben noch nie einen Anhalter mitgenommen. Meine Mutter hat mir derartige Horrorgeschichten darüber erzählt, das ich das nie wollte.“

Der Mann hob beschwichtigend eine Hand und schüttelte den Kopf „Ich wollte Sie weder zu etwas zwingen noch überreden. Es war nur eine Frage.“

Marlon zog die Unterlippe unter die obere Zahnreihe und sah den Mann noch einmal genauer an. Gut, die Kleidung war zwar nicht mehr die Neueste und sicher auch nicht der letzte Schrei, aber seit wann kümmerten ihn solche Nebensächlichkeiten? Solange derjenige sympathisch wirkte, war ihm das Aussehen immer gleichgültig gewesen.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Der Mann am Nachbartisch hatte einen Familienvater gefragt, der rechts von ihnen beiden saß, aber der hatte aus Platzgründen abgelehnt.

Der Mann im Parka lächelte trotzdem und bedankte sich, dass man ihm zugehört und wenigstens über seine Frage nachgedacht hatte.

Marlon atmete noch einmal tief ein und wieder aus.

„Hallo?“, rief er gerade so laut, das der Mann ihn hören konnte und sich ihm tatsächlich zuwendete.

„Ja?“

„Ich nehme Sie mit, in Ordnung?“

„Ernsthaft?“, fragte er mit strahlendem Lächeln und wirkte erleichtert „Das ist ja großartig. Wunderbar. Vielen, vielen Dank. Ich mache mich auch ganz klein und falle nicht weiter auf“, antwortete er und griff zu einem alten Handy, das sicherlich schon zehn oder noch mehr Jahre auf dem Buckel hatte. Er tippte einige Zahlen an und hielt sich dieses altertümliche Gerät ans Ohr.

„Opa?“, fragte er, als wäre er verwundert das sie sich meldete „Ich bins wieder. Ich wollte dir nur sagen das ich auf dem Weg bin. Tatsächlich nimmt mich jemand bis zur Ausfahrt mit und dann kann ich den Bus nehmen, es wird also ein wenig später, aber ich komme auf jeden Fall heute noch an. Mach dir keine Sorgen, okay? Das kriegen wir alles hin. Versprochen“, hörte Marlon den Mann sagen und dachte verschämt an seine eigenen Großeltern. Er blies die Wangen auf und schnitt anschließend eine Grimasse. Mist. Auch dort hatte er sich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gemeldet. Allerdings war er sich nicht sicher, ob es ihnen überhaupt aufgefallen war. Sie hatten nicht unbedingt das beste Verhältnis zueinander.

„Meine Großmutter ist vor ein paar Tagen verstorben und Opa plant seinen Umzug in eine Anlage für betreutes Wohnen“, erklärte der Fremde ungefragt und lächelte Marlon an „Das schafft er nicht alleine und wartet deshalb auf mich. Ich soll beim Ausmisten helfen und sowas. Entschuldigung, das interessiert sicher niemanden“, lächelte er noch immer und wendete sich dann wieder seiner Kaffeetasse zu.

„Das tut mir sehr leid für Ihre Großmutter“, sagte Marlon leise und sah, wie sein Tischnachbar den Kopf schüttelte.

„Das muss es nicht. Sie war lange sehr, sehr krank und wusste nur zu gut das sie gehen würde. Die beiden haben sich noch ein schönes Leben gemacht so gut es eben ging, aber es war klar, wenn einer der beiden geht, bleibt der andere nicht im Haus zurück. Sie haben das alles mit den eigenen Händen aufgebaut und in jeder Ecke steckt ein bisschen was von beiden drin. Die Erinnerung wären wohl zu schmerzhaft.“

Marlon nickte, als hätte er es genau verstanden. Betrübt senkte er den Blick und wäre fast zurückgewichen als ihn plötzlich eine Hand am Arm berührte.

„Ich bin übrigens Björn. Lässt sich besser reden wenn man den Namen weiß“, lächelte der Mann und Marlon sah hoch. Es war schon eine ganze Weile her, dass er mit einem völlig Fremden so viele Worte gewechselt hatte wie mit diesem Björn.

Und über Privates schon gar nicht.

„Mein Name ist Marlon. Meine Mutter war großer Fan eines Schauspielers“, grinste er jetzt und hörte den anderen lachen.

„Mein Vater war bekennender Fan eines Tennisspieler“, grinste Björn jetzt und seufzte „Ehrlich. So viel Pech wie ich in den letzten zwei Tagen hatte, kann man sich nicht vorstellen, aber der Hammer war heute Nacht mein Auto. Der blöde Karren blieb einfach auf der Überholspur stehen. Rechts rasten die Autos hupend an mir vorbei, aber auf die Idee mir zu helfen ist niemand gekommen.“

„Die Menschen werden immer egoistischer. Viele denken eben nur an sich.“

„Ich habe Blut und Wasser geschwitzt bis der Abschleppdienst da war. Und dann erzählt mir der Kerl auch noch das sich eine Reparatur kaum noch lohnt. Ich sollte mir überlegen ob ich mir nicht ein anderes Auto kaufen möchte. Meinen würde ja nur noch der Rost zusammenhalten. Hey, in dem Moment hätte ich dem am liebsten eine gelangt, aber mit Gewalt löst man wohl kaum ein Problem.“

„Hast du ihn nicht ausrollen lassen?“

„Wenn rechts die anderen Fahrer an dir vorbeiziehen hast du keine Chance auf die Standspur zu kommen“, gab Björn von sich und verdrehte die Augen „Aber ich glaube der Abschlepper hatte Recht. Eine Reparatur lohnt sich nicht. Na ja, vielleicht tut sich ja in den nächsten Tagen oder Wochen noch irgendwas damit ich ein bisschen sparen kann.“

„Was machst du denn beruflich?“

Björn stöhnte „Zum Leidwesen meiner Eltern habe ich den Beruf gewählt der mir am meisten Spaß macht und nicht den, der am meisten Geld einbringt, aber hey, ich bin glücklich mit dem was ich tue, auch wenn ich mir wohl kaum eine Weltreise leisten kann.“

Marlon richtete seinen Blick auf den eigentlich noch fremden Mann, der ihn entweder schon wieder oder noch immer anlächelte „Ich bin Angestellt bei einer kleinen Event Argentur für die ich koche. Bisher hat sich noch niemand beschwert, also nehme ich stark an das ich das ganz gut hinbekomme.“

„Ist das denn nicht die Jahreszeit wo dann wirklich Hochkonjunktur bei euch ist?“

„Doch, aber ich habe seit Jahren keinen Urlaub genommen und habe so viele Überstunden das mein Chef gar nichts sagen konnte als ich ihn um ein paar freie Tage gebeten habe.“

„Wir kennen uns zwar nicht wirklich, aber ich möchte trotzdem mein Beileid aussprechen“, antwortete Marlon und Björn nickte. Dieses Mal senkte er den Kopf und presste die Lippen aufeinander.

„Danke. Ist ja nicht so, als hätten wir nicht schon mal darüber geredet. Oma war sehr krank und wusste das ihre Zeit abgelaufen war, aber sie war trotzdem immer für uns da und hat ihre Witzchen gemacht. Wenn man in ihrer Gegenwart war, dann hat man vergessen wie es um sie stand.“

Marlon dachte an seine Mutter und prompt auch an Mehmet, den er überhaupt nicht kannte und noch nie gesehen hatte. Er malte sich aus, wie er mit Smilla vor einem offenen Grab stand, mit einem völlig fremden Mann, mit dem er um seine Mutter trauerte.

Erschrocken sah er hoch, als wieder jemand kurz seinen Unterarm berührte. Björn sah ihm ins Gesicht.

„Alles okay?“

„Ähm“, begann Marlon und hatte keine Ahnung, weshalb er es sagte „Ich habe vorhin erst erfahren das meine Mutter mit einem Blinddarmdurchbruch im Krankenhaus liegt und scheinbar einen Partner hat, von dem ich bisher auch noch nichts wusste.“

Björn hob die Augenbrauen an „Wow. Und jetzt bist du auf dem Weg zu ihr und machst hier Pause, wirst von einem fremden Kerl angesprochen und möchtest sicher das ich meinen Mund halte. Entschuldige bitte, ich weiß ja das ich zu viel rede, aber ich kann einfach nicht anders. Ich muss mich sofort mitteilen wenn ich jemanden sympathisch finde.“

„Oh“, grinste jetzt Marlon „Dann bedanke ich mich zuerst einmal für die Vorschusslorbeeren und muss dir ansonsten sagen das es nicht ganz stimmt. Ich bin nicht auf dem Weg zu meiner Mutter sondern zu einem Vorstellungsgespräch. Und jetzt gerade, in diesem Augenblick wundere ich mich über mich selbst.“

„Warum?“

„Weil ich sonst nichts privates von mir gebe. Weshalb ich es also gerade DIR erzähle, weiß ich auch nicht so genau.“

„Weil ich so ein netter, freundlicher und sensibler Mensch bin, dem man alles anvertraut was einem auf der Leber liegt“, grinste Björn und neigte den Kopf zur Seite „Hast du gerade gesagt, du fährst zu einem Vorstellungsgespräch?“

„Das habe ich“, stimmte Marlon zu und sah auf die Uhr „Und genau aus diesem Grund sollten wir jetzt auch fahren. Bist du so weit?“

„Zwei Minuten?“, fragte Björn hibbelig und sprang vom Stuhl auf. Er verschwand so schnell zwischen den Menschen, die sich in diesem Restaurant aufhielten, das Marlon ihn schnell aus den Augen verloren hatte. Tatsächlich erschien Björn nur wenig später und wirkte abgehetzt.

„Meine Güte. Wenn du von hier aus zur Toilette musst, dann gehst du schon mal los, bevor du weißt das du pinkeln musst. Das ist die reine Weltreise“, gab er von sich und schüttelte den Kopf. Zu seiner Verwunderung hörte er Marlon leise lachen.

„Deshalb war ich vorher, muss aber auch gestehen das ich den Rasthof hier kenne. Ich fahre ziemlich viel und ziemlich oft quer durchs Land. Da hat man so seine Ziele, wenn ich das mal so ausdrücken darf.“

„Wir können“, erklärte Björn wenig später und stand mit seinem riesigen und alten Rucksack vor Marlon, der ihm den Weg wies.

Sie verstauten das Gepäck im Kofferraum und setzten den Weg gemeinsam fort. Zuerst herrschte ein etwas seltsames Schweigen zwischen ihnen, was schon alleine deshalb seltsam war, weil sie sich beim Rasten schon angeregt unterhalten hatten. Erst nach etwa 20 Kilometern räusperte sich Björn und atmete tief ein und wieder aus.

„Ich hätte nicht gedacht, dass das alles so schnell geht.“

„Was meinst du?“

„Na ja. Ich habe vor etwa drei Wochen noch mit meiner Großmutter Pläne für das nächste Weihnachtsfest gemacht. Wir wollten zusammen feiern und es uns so richtig gut gehen lassen. Du weißt schon, zuerst Essen, dann Kirche und schließlich Bescherung.“

Marlon biss sich auf die Zunge, aber Björn schien seine Gedanken erraten zu haben.

„Meine Eltern ziehen es vor den heiligen Abend und wahrscheinlich auch restlichen Feiertage alleine zu verbringen. Ihnen sind die Strapazen der Reise zu viel.“

„Aber bei der Beerdigung sind sie dabei, oder etwa nicht?“

Björn biss sich auf die Zunge, presste gleichzeitig die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Marlon wusste, dass ihn die Antwort auf die Frage nichts anging. Weshalb er sie gestellt hatte, wusste er auch nicht genau.

„Ich schätze eher nicht. Meine Mutter ist selbst krank und mein Vater hat zu seinen Eltern nicht so das dollste Verhältnis, verstehst du? Meine Großmutter war damals nicht so richtig glücklich das ihr Sohn mit seiner kleinen Familie gleich so viele Kilometer zwischen sie legte und da ich ein kränkliches Kind war, habe ich sie erst drei Jahre nach meiner Geburt kennengelernt. Damals waren sie bei uns, weil Mama nicht mit mir verreisen wollte. Warm geworden sind sie nie miteinander, weshalb ich immer in den Sommerferien alleine zu ihnen geschickt wurde. Heute würde ich sagen, sie konnten sich einen Urlaub zu dritt nicht leisten und haben mich deshalb zu meinen Großeltern geschickt, während sie selbst verreist sind. Ich habe es jedenfalls nicht vermisst das sie nicht dabei waren. Ich war bei Oma und Opa absolut glücklich und zufrieden. Sogar noch als ich längst ein Teenager war und meine Mitschüler andere Interessen als Milchkühe, Schweine und anderes Getier hatten. Da stand ich neben meiner Großmutter in der Küche und habe ihr über die Schulter gesehen, wie sie aus den Zutaten ihrer eigenen Schlachtung geniale Gerichte gezaubert hat. Tja, den Rest kannst du dir jetzt denken.“

„Deshalb bist du Koch geworden?“, fragte Marlon und setzte den linken Blinker. Er überholte einen LKW als Björn nickte.

„Ja, so könnte man das sagen. Sie hat mich für Lebensmittel begeistert und ich habe das zuhause für mich perfektioniert. Wie gesagt, sehr zum Missfallen meiner Eltern. Die waren nicht begeistert, das kannst du mir glauben. Ich schätze, sie hatten für mich anderes vorgesehen, leider ohne mich vorher zu fragen. Sowas wie ein Studium kam für mich gar nicht in Frage, obwohl ich recht gutes Abitur abgeliefert habe.“

„Tja“, knurrte Marlon und fuhr nach dem Überholvorgang wieder auf die rechte Fahrbahn „Manchmal hat man andere Pläne für das Leben.“

„Ja“, gab Björn von sich „Ab und an hat sogar das Leben andere Pläne. Wie im Falle meiner Großmutter zum Beispiel. Wie gesagt, die wollte unbedingt noch mit mir Weihnachten feiern und jetzt helfe ich meinem Opa dabei den Hausstand aufzulösen. Natürlich werde ich erst einmal die Beerdigung abwarten und dann so viel Zeit mit Opa verbringen wie nötig ist, um ihm den Schritt aufs Altenteil zu erleichtern. Aber wenn er es möchte, werde ich ihm dabei helfen, soviel steht fest.“

„Und der Job?“

„Wenn ich den verlieren sollte, dann habe ich Pech gehabt und suche mir einen anderen. Mir ist es völlig egal was ich mache, solange ich damit glücklich bin ist mir wurscht, was ich tue.“

„Ist das wirklich so, oder redest du dir das nur ein um die Auszeit zu rechtfertigen?“

Björn befeuchtete seine trockenen Lippen „Wäre durchaus drin, ist mir im Endeffekt aber egal. Ich werde Opa helfen und dann erst sehen wie es bei mir weitergeht. Dafür nehme ich auch Knatsch mit meinem Arbeitgeber und meinen Eltern in Kauf. Irgendwie geht es immer weiter, oder nicht?“

„Ich bin mir nicht sicher ob ich deinen Mut hätte, aber wenn ich ehrlich bin, dann finde ich das großartig.“

„Danke“, antwortete Björn und sah aus dem Beifahrerfenster. Erneut schwiegen sie sich an. Jeder von ihnen hing den eigenen Gedanken nach, aber irgendwann deutete Björn mit dem Finger auf die Hinweistafeln.

„An der nächsten Einfahrt kannst du mich absetzen.“

„Alles klar.“

„Eigentlich schade.“

„Was?“

„Das du mich absetzt. Ich schätze, mein Großvater würde dich mögen.“

„Aha. Und weshalb glaubst du das?“

„Weiß ich nicht, ist nur so ein Gefühl.“

Marlon dachte einen Augenblick nach und sah sicherlich drei Mal, oder noch öfter, auf die Uhr.

„Wenn ich jetzt noch länger trödel, könnte es knapp für mich werden“, gab er zu und räusperte sich „Aber wenn ich ehrlich bin, dann würde ich deinen Opa und dich tatsächlich ein bisschen näher kennenlernen. Wenn du nichts dagegen hast, dann könnte ich auf dem Rückweg vorbeisehen.“

„Mensch“, stieß Björn so laut und begeistert aus, dass Marlon sich erschreckte „Das klingt großartig. Das wäre ja fantastisch. Klar, das machen wir. Wenn du zurückfährst, machst du bei uns halt und kannst so lange bleiben wie du möchtest. Ist das ein Wort?“

„Allerdings“, lächelte Marlon und war sich schon fast sicher das er entweder nach ein paar Stunden, oder spätestens nach einem Tag wieder fahren würde, weil er einen Job zu machen hatte.

Etwa eine halbe Stunde später hupte Marlon ein letztes Mal, winkte in Björns Richtung und fädelte sich wieder in den Verkehr ein, der ihn auf die Autobahn bringen würde. Das Komische daran war nur, dass er nicht mehr nur an sein Vorstellungsgespräch dachte, sondern sich immer öfter der Gedanke an Björn einmischte.

 

 

 

 

Björn

 

Als Marlon Stunden später auf der Rückfahrt war, wusste er schon, dass ihn die Firma, bei der er sich vorgestellt hatte, wohl nicht nehmen würde.

„Wir melden uns bei Ihnen“, war der letzte Satz, den er gehört hatte, bevor er den Raum verließ, in dem die Gespräche stattgefunden hatten. Er war nur einer unter vielen gewesen, hatte sich aber trotzdem große Chancen ausgemalt, bis er eben in diesem Raum saß und die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Plötzlich hatte er zu keiner der gestellten Fragen mehr als eine knappe Antwort, die dem Firmenchef aber wohl nicht gefielen. Jedenfalls wurden die Fragen immer zögerlicher gestellt, bis sie schließlich ganz ausblieben.

„Ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie ein Glas Wasser?“, wurde er gefragt und runzelte für eine Sekunde die Stirn.

„Nein Danke, es ist alles in Ordnung.“

„Nun denn“, hatte ein älterer Mann in einem wahnsinnig teuer aussehenden Dreiteiler gesagt und war aufgestanden. Er hatte ihm die Hand lächelnd gereicht und Marlon hatte gewusst, dass er gescheitert war. Etwas, das er eigentlich so gar nicht von sich kannte. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, dann hatte er es durchgezogen, egal wie schmerzlich es für ihn geworden war. Dieses Mal hatte er aber auf ganzer Linie versagt. Und es tat ihm nicht weh. Im Gegenteil. Irgendwie fühlte er sich fast beschwingt als er wieder vor dem Firmengebäude stand und Ausschau nach seinem abgestellten Auto suchte. Plötzlich hatte er nicht nur vergessen, wo er geparkt hatte, sondern auch weshalb er eigentlich hierher gekommen war. Was war denn so falsch an seiner bisherigen Arbeitsstelle, die einen Katzensprung von seiner Mutter entfernt war? Da tat er doch auch nichts anderes, als er es hier getan hätte. Gut, die Firma hier war bekannter und hatte oft im Ausland zu tun, aber ob das immer so bedeutend war?

Als Marlon wieder in das Auto einstieg, war sein erster Griff das Smartphone. Wie unter Zwang suchte er nach der zuletzt eingegebenen Rufnummer und hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr.

„Björn?“, rief er voller Vorfreude, als sich der Gesprächspartner meldete „Ich bin auf dem Weg. Brauche allerdings sicherlich noch mindestens drei Stunden. Ist das für euch okay? Ich meine, dann ist es ziemlich spät. Ich bin euch nicht böse wenn ihr mich dann nicht mehr aufnehmen wollt. In dem Dörfchen gibt es doch sicherlich auch sowas wie einen Gasthof, oder nicht?“

Er lächelte, als Björn ihm versicherte, dass er auch in drei oder vier Stunden noch auf ihn warten würde und mit einem Essen auf ihn wartete.

„Essen und ein Glas Wein und meine Welt ist wieder in Ordnung“, gab Marlon von sich und wich der Frage aus, wie sein Vorstellungsgespräch gelaufen war.

Erst, als er wieder auflegte, sah er die fremde Rufnummer auf dem Display und die Tatsache, das der oder diejenige ihn fast 10 Mal in der letzten Stunde versucht hatte anzurufen.

---ENDE DER LESEPROBE---