Tawe - Nasha Berend - E-Book

Tawe E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Er hat es nicht gesucht, aber es hat ihn gefunden. Tawe wollte nicht umziehen und er wollte auch kein Haus kaufen, aber als er das alte Gemäuer sieht, ist es um ihn geschehen. Er kauft es ohne die Hintergrundgeschichte zu kennen und ist begeistert, das sein bester Freund ihm bei der Renovierung und Sanierung helfen möchte. Doch statt Tapeten von den Wänden zu kratzen, Balken zu ersetzen und die Kellerräume in ein kleines, privates Fitnessstudio zu verwandeln, finden sie etwas, mit dem sie nicht gerechnet haben und das sämtliche Pläne völlig durcheinanderbringt.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über das Buch
Alte Gemäuer
Rosalinde
Verwirrung
Grün
Alte Gemäuer
Müller
Aktenberge
Edwin
Grillabend mit neuen und alten Freunden
Wie kann man nur so dämlich sein?
Das Letzte

Wortzähler: 72950

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © Nasha Berend

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

 

 

Impressum:

Nasha Berend

Buschstraße

39649 Hansestadt Gardelegen

E-Mail: [email protected]

 

 

 

 

 

 

 

 

Umschlaggestaltung: Dirk Dresbach

Fotos: Copyright © Dresbach

Tawe

 

Wortzähler: 72950

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tawe

 

 

 

Von Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wortzähler: 72950

 

Tawe

 

 

 

von

 

Nasha Berend

 

 

 

 

Über das Buch

 

Er hat es nicht gesucht, aber es hat ihn gefunden.

Tawe wollte nicht umziehen und er wollte auch kein Haus kaufen, aber als er das alte Gemäuer sieht, ist es um ihn geschehen. Er kauft es ohne die Hintergrundgeschichte zu kennen und ist begeistert, das sein bester Freund Jakob ihm bei der Renovierung und Sanierung helfen möchte. Doch statt Tapeten von den Wänden zu kratzen, Balken zu ersetzen und die Kellerräume in ein kleines, privates Fitnessstudio zu verwandeln, finden sie etwas, mit dem sie nicht gerechnet haben und das sämtliche Pläne völlig durcheinanderbringt. Nasha Berend

 

 

 

 

 

Alte Gemäuer

 

 

 

 

Schweiß tropfte von seinen Haaren auf die Stirn. Mit dem Handrücken wischte er ihn fort und ließ sich zeitgleich auf den einzigen Stuhl am Tisch fallen. Dankend nahm er ein großes Glas mit eisgekühltem Inhalt an und stürzte es in einem Zug hinunter.

„Da unten ist es so staubig, als wäre das Haus direkt auf der Sahara gebaut“, murmelte er und wischte sich sowohl den Staub, den Sand als auch das restliche Trinken von den Lippen.

„Das war mir gar nicht bewusst“, hörte er seinen ältesten und besten Freund sagen, der sich gegen die Spüle lehnte, die Arme verschränkte und ihn einfach nur ansah „Als ich das Haus besichtigt habe, habe ich auf alles mögliche geachtet, aber nicht auf den Keller. Ich habe die Wände nach Feuchtigkeit überprüft, habe nach Schimmel und sonstigen Befall gesucht und habe keinen Gedanken daran verschwendet, das der Keller einen Naturboden haben könnte.“

„Im Grunde ist das sogar ganz gut, es sei denn, man kommt auf so bescheuerte Ideen und will genau dort etwas aufbauen“, grinste Jakob seinen Freund an und seufzte dann „Aber es wird auch nicht fertig, wenn ich hier herumsitze und mich von dir verwöhnen lasse. Da wir aber inzwischen wissen das du manchmal zwei linke Hände hast, würde ich sagen, ich gehe weiter graben und du machst inzwischen irgendwas zu essen. Hauptsache viel. Ich habe einen mordsmäßigen Kohldampf.“

Mit diesen Worten stand er wieder vom Stuhl auf, zwinkerte ihm kurz zu und verließ die provisorische Küche.

Tawe sah hinter ihm her und seufzte leise, nahm dann das leere Glas vom Tisch und stellte es auf der Spüle ab. Der nächste Gang führte ihn zu dem alten Kühlschrank, den er öffnete und hineinsah. Mit den wenigen Lebensmitteln würde Jakob nicht satt werden, also stand erst einmal einkaufen auf dem Programm. Er setzte sich an den alten Tisch, der wohl schon vor zwei oder drei Generationen hier gestanden hatte und entsprechend viele Macken aufwies. Tawe strich über die Tischplatte und lächelte.

„Wenn du erzählen könntest würde ich dir sehr gerne zuhören“, sagte er leise und lächelte, als ihm so einige Geschichten in den Sinn kamen. Er öffnete die kleine Schublade unter der Tischplatte und entnahm einen Block und einen Kugelschreiber, dann begann er eine Einkaufsliste zu machen und fuhr etwa 15 Minuten später über den regendurchweichten Feldweg zur Hauptstraße, die ihn bis in den nächsten Ort bringen würde.

Erst vor zwei Tagen waren sein Jugendfreund Jakob und er hier angekommen und hatten bis zum jetzigen Zeitpunkt noch niemanden gesehen. Weder Nachbarn noch sonst irgendjemanden. Bisher waren sie alleine gewesen und es war ihnen ganz recht. So hatten sie zuerst einmal alles genau inspizieren können und hatten anschließend ihre Pläne zu Papier gebracht. An diesem Morgen hatte Jakob während des Frühstücks plötzlich beschlossen, das sie jetzt genug Ideen gesammelt hätten und es endlich Zeit würde, einen winzig kleinen Teil davon in die Realität umzusetzen. Nach einer kurzen, aber heftigen Debatte war er dann in den Keller gegangen und hatte begonnen die oberste Schicht des Lehmgemisches abzutragen, damit sie, wenn er damit fertig war, irgendwann den Beton hineingießen könnten. Zu dem Zeitpunkt hatte er nicht gedacht, dass direkt unter diesem festgetretenen Lehm eine ziemlich krümelige Schicht Erde sichtbar würde. Noch ein paar Zentimeter tiefer und er war auf Sand gestoßen. Auf ziemlich staubigen Sand, denn immer wenn er die Schaufel in die Erde stieß, stand er in einer Staubwolke. So auch jetzt, als Tawe auf die Hauptstraße bog und Jakob nicht mehr fluchen hörte.

Einen Supermarkt hatte er schnell gefunden und stand jetzt am Gemüseregal und bestaunte die gut sortierte Ware. Einiges davon war ihm bekannt und kam öfter auf den Speiseplan, anderes war ihm fremd. Eigentlich war er der Typ, der gerne Neues versuchte und auch nicht vor Experimenten zurückschreckte, wenn es um das zubereiten von unbekanntem Gemüse ging, aber im Augenblick wollte er sich nur auf eines konzentrieren und dabei ging es nicht wirklich um das leibliche Wohl. Er wollte so schnell wie möglich mit den Renovierungs- und Sanierungsarbeiten abschließen und war froh und dankbar für die Hilfe von Freunden und Bekannten. Aber auch er selbst wollte sich als Handwerker versuchen, obwohl sein Vater immer darüber schmunzelte, dass er wohl zwei linke Hände besaß.

Er grinste und zuckte zeitgleich erschrocken zusammen. Hinter ihm schepperte es fürchterlich und als er sich umdrehte, verdrehte gerade eine ältere Dame die Augen.

„Entschuldigen Sie“, kicherte sie jetzt „Ich war so sehr in die Auslagen vertieft, dass ich weder Sie noch den Wagen gesehen habe“, sagte sie und musterte ihr gegenüber unverhohlen. Ihre kleinen und schon leicht trüben Augen lachten verschmitzt und erinnerten Tawe an seine verstorbene Großmutter mütterlicherseits.

„Ist ja nichts passiert. Der Wagen ist ja noch leer. Ich kann mich einfach nicht entscheiden.“

„Das kenne ich“, nickte die Frau sofort und deutete auf einen großen Kohlkopf direkt vor sich und Tawe „Früher hätte ich sofort danach gegriffen weil er schön rund und knackig aussieht und auch die entsprechende Größe hat, aber heute“, sie schüttelte ein wenig enttäuscht den Kopf „Brauche ich das alles nicht mehr. Für mich alleine wäre das viel zu viel“, sagte sie und presste die Lippen aufeinander.

„Für mich auch. Leider“, murmelte Tawe und sah den Kohlkopf an „Ich werde oft von Freunden beneidet, weil ich nur für mich alleine kochen muss. Wenn die wüssten, mit welchen Schwierigkeiten das verbunden ist, wären die sicherlich nicht mehr so begeistert.“

„Keine Familie?“, fragte die alte Dame und sah den jungen Mann vor sich den Kopf schütteln.

„Nein.“

„Das kommt noch“, lächelte sie „Und dann dürfen Sie all die Dinge kochen, die Sie jetzt hier liegenlassen müssen“, zwinkerte sie ihm zu und wollte schon an ihm vorbei, als er sie noch einmal ansprach.

„Kennen Sie sich hier aus?“

„Ich bin in diesem Kaff geboren“, grinste sie „Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht, bin selbst zur Schule gegangen, habe meinen Mann hier schon im Kindergarten kennengelernt, habe meine eigenen Kinder geboren und aufwachsen sehen und jetzt bin ich ganz alleine“, sagte sie, nicht ohne einen seltsamen Unterton in der Stimme, den Tawe nicht deuten konnte. Er sah sie an und hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen. Sie sah so verletzlich aus, so einsam und traurig, dass es ihm in der Seele leidtat.

„Zuerst gingen die Kinder. Es hat sie in alle Richtungen verschlagen und je weiter sie fort sind, umso weniger sehe ich sie und als wäre das nicht noch schlimm genug, starb im letzten Herbst mein Mann. Jetzt lebe ich in einem riesigen Haus mit einer Menge leeren Zimmern und weiß nichts mit mir anzufangen“, sagte sie leise und ohne ihn anzusehen. Sie griff in ihre Jackentasche und holte ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich und zog dann trotzdem die Nase hoch. Sie schob den Wagen ein wenig weiter und blieb dann wieder stehen.

„Jetzt habe ich Sie verunsichert. Sie wollten mich sicherlich etwas fragen. Nur zu, junger Mann. Nur Mut.“

Tawe stand vor ihr und hatte völlig vergessen, was er sie hatte fragen wollen. Es hatte irgendetwas mit Handwerkern zu tun gehabt, aber an mehr erinnerte er sich in diesem Moment nicht.

„Vergessen“, gab er zu „Ich habe mein Gehirn im Augenblick wohl in einem der tausend Umzugskartons vergraben“, stöhnte er „Ich weiß nicht, warum ich Sie aufgehalten habe. Tut mir leid.“

„Schade“, sagte sie und war schon wieder im Begriff sich abzuwenden „Ich dachte, ich könnte noch mal jemandem behilflich sein, irgendetwas auf die Reihe zu bekommen.“

„Hätten Sie Lust, heute Mittag“, begann er und bemerkte wohl, wie seltsam seine Aussage für die Frau klingen musste. Er vollendete den Satz nicht und winkte ab „Entschuldigung, aber ich glaube, da gehen jetzt die Pferde mit mir durch. Tut mir leid. Wirklich“, sagte er und schob den Wagen weiter, vorüber an Gemüse und Obst, an den Backwaren und dem Kaffee, dem Teeregal und durch die Tiefkühlabteilung. Sein Blick klebte förmlich auf den verpackten Käsesorten. Er überflog die Namen.

„Ich kann so nicht nach Hause gehen“, hörte er eine Frauenstimme sagen „Ich würde für den Rest meines Lebens darüber grübeln, was Sie mich wohl fragen wollten. Also bitte, tun Sie mir den Gefallen und stellen ihre Frage einfach. Wer weiß, vielleicht kann ich tatsächlich helfen.“

Tawe befeuchtete seine Lippen und glaubte eigentlich selbst nicht, was er da von sich gab, aber es kam einfach so aus ihm heraus, ohne das er groß darüber nachdachte.

„Ich würde gerne diesen großen Kohlkopf mit nach hause nehmen. Wie gesagt, für mich alleine ist er viel zu groß, aber ich habe einen Umzugshelfer, der gerne auch mal für drei Personen reinhaut und wenn man dann uns beiden dazuzählt, wären wir immerhin zu fünft. Mit ein wenig Glück, kommt noch jemand dazu und dann lohnt es sich schon fast, oder? Was halten Sie davon?“

Völlig überrascht starrte die Frau ihn an „Sie laden mich zum Essen ein?“, fragte sie verblüfft und Tawe nickte.

„Ja.“

„Ernsthaft?“

Tawe schnaubte lächelnd und nickte „Ja. Ich lade Sie zum Essen ein.“

„Und wer wären die anderen?“

„Mein Umzugshelfer ist gleichzeitig mein bester und ältester Freund. Sein Name ist Jakob. Er steht gerade in meinem neu erworbenen Häuschen und buddelt im Keller. Er ist mehr so der Mann fürs Grobe“, grinste Tawe und hörte die alte Dame lachen.

„Er buddelt im Keller?“

Noch einmal nickte Tawe „Ich würde dort unten gerne sowas wie einen Spielkeller einrichten, mit Billardtisch und Dartscheibe. Vielleicht sogar eine kleine Bar, da bin ich mir aber noch nicht so ganz sicher“, erklärte er ihr ungefragt „Aber dazu müsste der Boden eben sein und das ist er im Augenblick ganz und gar nicht. Eher im Gegenteil. Das ist ein Naturkeller. Das bedeutet“, begann er, aber sie machte eine Handbewegung, die ihm deutlich machte, das sie wusste, was ein Naturkeller ist.

„Ist schon eine Weile her, dass mich ein Mann zum Essen eingeladen hat und noch dazu einer, der bequem mein Letztgeborener sein könnte, oder sogar schon mein Enkel“, kicherte sie „Aber ich bin tatsächlich geneigt, diese Einladung anzunehmen. Weiß der Kuckuck, was mich da reitet, aber ja“, sie nickte ihm zu und öffnete ihre Handtasche. Sie kramte darin herum und reichte ihm schließlich eine Visitenkarte.

„Hier ist meine Telefonnummer. Wenn Sie es sich noch anders überlegen, bin ich Ihnen nicht böse“, sagte sie lächelnd und dieses Mal flackerte in ihren Augen etwas auf, das mit Einsam- und Traurigkeit nichts mehr zu tun hatte. Sie schien Hoffnung zu haben.

„Ich hole Sie gegen 17 Uhr zuhause ab“, erklärte Tawe und lächelte schon wieder. Sie presste die Lippen aufeinander und nickte ihm zu.

„Das ist mir sehr Recht. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich meinem Nachbar sage, wohin ich fahre und vor allen Dingen, mit wem?“

Tawe öffnete den Mund und schüttelte den Kopf „Nein. Natürlich nicht. Wenn Sie möchten, dann werden wir gemeinsam bei diesem Nachbarn klingeln, so das er sich ein eigenes Bild von mir machen kann. Ich sagte ja, diese Einladung war unüberlegt. Mir war nur gerade so. Ich kann das gar nicht erklären, denn eigentlich bin ich eher jemand, der sehr lange braucht um Fremde in sein Leben zu lassen, aber bei Ihnen hatte ich keine Bedenken. Keine Ahnung, woher das kam, aber ich MUSSTE Sie einfach fragen.“

„Mich hat schon so lange niemand mehr eingeladen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich mich verhalten soll, aber ich schätze, unter jungen Leuten geht es nicht mehr so steif zu wie noch zu meiner Zeit“, sagte sie und atmete tief ein und wieder aus „Ich freue mich drauf. Soll ich noch etwas mitbringen?“

„Nein“, sofort schüttelte Tawe den Kopf „Ich schätze, Ihre Anwesenheit reicht vollkommen aus.“

Noch einmal lächelten sie sich an, dann ging jeder seiner Wege. Während Tawe zurück zur Gemüseabteilung lief, um den Kohlkopf zu holen, ging die Frau, dessen Namen er nicht einmal kannte, zur Kasse und bezahlte ihren Einkauf.

Tawe zog die Visitenkarte aus der Hosentasche und drehte sie in seinen Fingern, bis er die Adresse darauf lesen konnte.

„Rosalinde“, sagte er leise vor sich hin und grinste „Das passt. Oh Gott, Jakob wird ausrasten. Da glaubt er gerade noch, er wäre seiner Familie entkommen, da schleppe ich ihm die erste Oma nach Hause die mir hier über den Weg läuft. Großartig. Der wird begeistert sein“, kicherte er und suchte dann im ganzen Laden die Dinge zusammen, die er für das Rezept benötigte, das ihm vorschwebte. In seinen Gedanken war das Gericht schon fertig und wartete darauf von ihnen verspeist zu werden, egal ob sie nun zu zweit, zu dritt oder zu zehnt wären, es wäre sicherlich reichlich für jeden da.

Während Tawe nach dem Einkauf zurück zum Haus fuhr, lief Rosalinde mit einem vollen Korb zurück zu ihrer Wohnung. Beide dachten, getrennt voneinander, viel über den anderen nach. Rosalinde stellte sich vor das der junge Mann ihr Enkel wäre, der sich freute sie zum Abendessen zu sehen und Tawe dachte häufiger an seine Großmutter, mit der er viel zu wenig Zeit verbringen durfte, bevor sie starb.

Jakob schlug zwar die Hände über dem Kopf zusammen, als Tawe ihm von seiner Zufallsbekanntschaft erzählte und seufzte einige Male tief, aber dann hob er die Schultern an „Ist ja auch schon egal. Dich kann man nicht einmal zum Einkaufen schicken“, lachte er kopfschüttelnd „Dann schleppst du hier noch fremde Frauen an. Au weia.“

„Was heißt denn hier fremde Frauen anschleppen. Ich weiß nicht, warum sie mich so fasziniert hat, aber ich hatte einfach den Drang, sie einzuladen. Und genau das habe ich getan. Sie eingeladen. Wir werden zusammen essen, werden sie nach dem Haus befragen und dann wieder getrennte Wege gehen.“

Jakob hob die Augenbrauen an „Ach, so ist das. Du willst nur etwas über dieses Häuschen erfahren. Ich muss schon sagen, du bist raffinierter als ich dachte. Das hätte ich dir, ehrlich gesagt, nicht zugetraut. So einer bist du“, zwinkerte er ihm zu, aber Tawe ließ den Gegenstand in seiner Hand sinken und schüttelte den Kopf.

„Sie hat mir leid getan und ich dachte, wir könnten sie ein wenig aufmuntern und dann erzählte sie mir, sie wäre hier aufgewachsen und nie fort gewesen, da dachte ich, wir könnten vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. WIR könnten ihr ein wenig aus der Einsamkeit helfen und SIE könnte uns was über das Haus erzählen. So einfach ist das. Eine Hand wäscht die andere, verstehst du?“

„Hättest du dir da nicht eine junge, knackige Studentin aussuchen können?“, wollte Jakob wissen und verdrehte die Augen „Oder meinetwegen auch noch einen knackigen Studenten, aber ausgerechnet eine Oma?“

„Eine knackige Studentin wäre mir garantiert nirgendwo in den Einkaufswagen gefahren und von knackigen Studenten haben wir zwei so verschiedene Ansichten, dass das auch nichts geworden wäre“, gab Tawe zu und Jakob dachte nur Sekunden darüber nach, bevor er nickte.

„Das stimmt auch wieder“, murmelte er und atmete tief durch „Und dieser verdammte Keller bringt mich an den Rand des Wahnsinns“, schimpfte er weiter und lehnte sich gegen einen der Küchenschränke, die die Vorgänger im Haus gelassen hatten und die sie übergangsweise nutzten. Jakob sah hoch. Nicht zum ersten Mal begutachtete er die hohe Decke und die Verzierungen daran.

„Ich kann durchaus verstehen warum du dich in dieses Gemäuer verguckt hast, aber ehrlich gesagt, wenn man alleine ist, dann ist es schon ein bisschen unheimlich. Ich beneide dich nur bedingt“, murmelte Jakob und wendete sich jetzt an Tawe „Das war reichlich dumm von dir, niemanden von uns bei der Besichtigung mitzunehmen und der Maklerin direkt eine Zusage zu geben.“

„Ich weiß selbst nicht warum ich das direkt und ohne zu zögern durchgezogen habe, aber es fühlte sich richtig an und deshalb habe ich es getan.“

„Wie hast du das überhaupt gefunden?“

„Durchs Internet. Ich habe nicht einmal danach gesucht“, gab Tawe zu und schob einen Braten in den vorgeheizten Backofen „Ich saß Sonntags vor dem Rechner und habe einfach in den Kleinanzeigen gestöbert. Von abzugebenden Haustieren bis hin zu Möbeln die nicht mehr gebraucht wurden und schließlich ganze Häuser die verkauft oder vermietet werden sollten. Ich hab dann lustlos und gelangweilt gescrollt und bin schließlich bei diesem Objekt hier hängengeblieben. Danach ging es recht schnell. Ich habe die Maklerin angerufen und einen Termin für das nächste Wochenende gemacht. Tja, den Rest kennst du.“

Jakob nickte und zog ein Kaugummi aus der Hosentasche und rollte es zusammen, bevor er es in den Mund schob und zu kauen begann.

„Wenn du einem von uns gesagt hättest das du umziehen möchtest, hätten wir dir sicherlich dabei geholfen eine neue Bleibe zu finden, aber gleich ein Haus zu kaufen und dann noch so weit von uns entfernt, damit hat wohl keiner von uns gerechnnet“, sagte Jakob und senkte den Blick auf den Küchenboden. Er hatte mit seinen staubigen Schuhen dort Abdrücke hinterlassen und Tawe hatte sie anscheinend noch nicht entdeckt. Begeistert wäre er darüber sicher nicht, da war Jakob sich ziemlich sicher.

„Ich war nicht auf der Suche nach einer neuen Wohnung und schon gar nicht nach einem Haus. Wie gesagt, ich habe die Anzeige gelesen und habe die Maklerin kontaktiert, dann habe ich mir dieses Haus hier angesehen und sofort gekauft. Kannst du dich noch daran erinnern, das ich vor einige Monaten gesagt habe, ich würde mich niemals an ein Gemäuer binden, indem ich es kaufen würde?“, wollte Tawe von Jakob wissen, der sich sofort erinnerte und nickte.

„Ja klar. Deshalb hat es mich auch überrascht, das du es trotzdem getan hast.“

Tawe richtete seinen Blick auf Jakob und lächelte.

„Nicht nur dich, mich auch. Ich konnte nicht anders, ehrlich nicht. Als die Maklerin die Tür aufgeschlossen hat, da war es, als würde mich irgendetwas empfangen und willkommen heißen. Ich war hier nie fremd und sofort zuhause“, sagte er leise und spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen. Er fühlte sich, als wenn er wieder ein kleiner Junge wäre und seine Eltern ihn beschützen würden. Sein Zuhause war immer eine Insel für ihn gewesen, die rettende Burg, in der seine Eltern die Herrschaft über die Zugbrücke teilten, die nur dann heruntergelassen wurde, wenn niemandem von ihnen Unheil drohte. Und wenn der oder die Besucher Eindringlinge waren, dann wurde sein Vater zum Ritter in eiserner Rüstung und seine Mutter zum Drachen, der niemanden hereinließ und zur Not auch Feuer spuckte.

Bei dem Gedanken an die beiden lächelte Tawe und zog die Nase hoch „Das war wie Nach-hause-kommen, verstehst du?“

Jakob presste kurz die Lippen aufeinander und schüttelte dann den Kopf.

„Nein. Leider weiß ich das nicht. Sowas habe ich noch nicht erlebt.“

„Ich wünsche dir, dass du es eines Tages erlebst, mein Lieber. Du öffnest die Tür und weißt genau, dass ist das Nest in dem du dich zurückziehen möchtest und das dir Schutz vor der Außenwelt gibt“, erklärte er leise und tätschelte seinem alten Freund den Rücken, dann atmete er tief durch und runzelte die Stirn.

„Wer, zum Kuckuck, hat denn hier diese Sauerei hinterlassen? Weißt du nicht, wie man einen Besen benutzt? Hat dir niemand beigebracht, das man sich die Schuhe abwischt, bevor man ein Haus betritt?“

Jakob stöhnte „Ja Mama, das hast du mir beigebracht, aber das hier ist eine Baustelle und ich habe angenommen, das hier niemanden ein paar Staubkörner stören. Ich konnte ja nicht wissen das hoher Besuch erscheint und man vom Fußboden essen muss. Ich gehe jetzt duschen und wenn das erledigt ist, schnappe ich mir einen Eimer mit Wasser und wische meinen Dreck fort. Ist das dem Herrn so recht?“

Tawe räusperte sich.

„Entschuldige“, gab er von sich und schob die Hände in die Hosentaschen „Ich weiß nicht warum, aber ich möchte Rosalinde heute Abend ein bisschen beeindrucken und von meiner Großmutter weiß ich, dass man das am Besten mit Sauber- und Höflichkeit erreicht.“

Jakob sah ihn erstaunt an und begann dann erst zu grinsen „Sauber- und Höflichkeit? Oha.“

„Mach dich nur lustig über mich. Das ist mir egal. Ich bin davon überzeugt, das wir voneinander profitieren.“

„Ist schon gut. Du musst dich nicht rechtfertigen. Sicherlich hast du deine Gründe, auch wenn ich sie nicht immer nachvollziehen kann. So. Und jetzt entschuldige mich. Ich muss mich für unseren Besuch heute Abend etwas landfein machen. Im Augenblick sehe ich aus als käme ich geradewegs aus einer Gruft“, grinste Jakob und strich sich mit dem Zeigefinger über die Nase.

Tawe lächelte „Und mich störst du nur, es sei denn, du kannst mir helfen den Tisch zu decken und zwar etwas anders als sonst.“

„Aha. Kommen die Teller dieses Mal etwa umgekehrt auf die Platte, oder doch lieber darunter, also unter den Tisch?“, fragte Jakob und duckte sich, als Tawe lachend mit einem Geschirrtuch nach ihm warf.

„Geh duschen, damit ist uns wohl allen geholfen“, lachte er und wendete sich wieder der Zubereitung des Abendessens zu. Er brauchte dazu noch fast eine Stunde, bis alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war. Als er auf die Uhr sah, traf ihn fast der Schlag.

„Herrgott noch mal“, schimpfte er mit sich und wischte sich die Finger an einem Handtuch trocken „Ich sollte wohl auch noch duschen“, machte er weiter und zuckte zusammen, als er Jakob antworten hörte.

„Ja, das solltest du wohl. Du riechst etwas sehr streng nach Zwiebeln, Knoblauch und etwas, das ich nicht identifizieren kann.“

„Dürfte der Sellerie sein“, sagte Tawe und räusperte sich „Passt du hier auf das nichts anbrennt? Ich gehe mich schnell landfein machen und übernehme dann wieder. Heißt, ich drehe alles ab und fahre ins Dorf um Rosalinde zu holen.“

„Hat die kein eigenes Auto?“

„Weiß ich nicht. Ich habe auch keine Ahnung welche Schuhgröße sie hat, aber sie hatte definitiv welche an.“

„Ist ja schon mal was. Nicht auszudenken, wenn sie keine getragen hätte und uns die schöne und klare Landluft hier mit ihren Käsemauken verpesten würde, die sie auch noch unter deinen Esstisch steckt.“

Tawe musterte ihn kurz und verzog dann die Mundwinkel „Du kannst ein solches Arschloch sein.“

„Was denn? Habe ich etwa nicht Recht?“

„Pass auf das nichts anbrennt, okay? Das wirst du doch wohl noch hinbekommen. Ich meine, ich hab sowohl die Kartoffeln als auch den Kohl fast abgedreht und der Braten braucht sicherlich noch ein, bis eineinhalb Stunden“, sagte Tawe und verschwand aus der Küche, die er jetzt Jakob überließ. Der setzte sich an den alten Esstisch, den Tawe liebevoll dekoriert hatte. Jakob wusste nicht einmal, woher er das saubere Geschirr und die polierten Gläser genommen hatte, geschweige denn, wie er die Servietten gefaltet hatte. Es standen sogar Kerzen auf dem Tisch. Alles in allem hatte er mit wenigen Mitteln ein schönes Ambiente erschaffen, wie Jakob es nicht fertig gebracht hätte. Er dachte an seine letzte Freundin und daran, wie sehr sie bemüht gewesen war, die gemeinsame Wohnung zu dekorieren und auch, wie sehr er sich darüber amüsiert hatte. Zum Schluss hatte sie ihm einige Dekogegenstände nachgeworfen und beschimpft, ihre Bemühungen gar nicht bemerkt zu haben. Sie war so wütend gewesen und er hatte nichts getan, um sie zu beruhigen. Nachdem sie ausgezogen war, hatte er sich für zwei Tage zurückgezogen und getrauert und hatte dann einfach weitergemacht. Vier Wochen später hatte er eine junge Frau kennengelernt und hatte ein paar Tage mit ihr verbracht, aber sie war nicht die Richtige gewesen.

Und nur kurze Zeit später hatte Tawe seine Freunde und vor allen Dingen IHN damit überrascht, dass er ein altes Haus gekauft hatte und es auf Vordermann bringen wollte. Da hatte er nicht gezögert und sofort seine Hilfe angeboten.

Jakob hob seinen Blick und sah auf den großen TV-Bildschirm. Das war bisher der einzige Luxus, den Tawe sich hier gegönnt hatte. Alles andere hatte er zuerst einmal von den Vorgängern übernommen und arrangierte sich recht gut damit. Irgendwie schien er ein Teil dieses Hauses zu sein, obwohl er vor ein paar Monaten nicht einmal von dessen Existenz gewusst hatte.

Jakob hörte, wie Tawe das Wasser in der Dusche aufdrehte und lehnte sich zufrieden zurück. Er bestaunte noch einmal den fertig gedeckten Tisch und stand dann erst auf und hob jeden Topfdeckel an. Er schnupperte überall, bekam Hunger und hielt sich die Hand vor den Magen.

„Na, hoffentlich ist Rosalinde pünktlich, sonst garantiere ich für nichts. Ich merke jetzt erst wie hungrig ich bin“, seufzte er und grinste, als er Tawe hörte, der sich hinter ihm räusperte.

„Wehe dir. Ich weiß genau, wie viel in den Töpfen ist. Mir fällt es auf, wenn etwas fehlt.“

„Oh je. Und wenn du das merkst bekomme ich nichts mehr?“, wollte er wissen und lachte leise „Jetzt fahr schon. Ich nasche nicht. Ehrlich nicht. Ich habe zwar enormen Hunger, aber ich kann mich beherrschen. Ist ja nicht zu übersehen, wie sehr du dich ins Zeug legst. Auf diese Frau bin ich echt gespannt“, grinste Jakob und stand nur wenige Minuten später am Fenster und sah hinter Tawe her, der langsam über den Feldweg fuhr, um zur Hauptstraße zu gelangen.

Für einen kurzen Augenblick war er versucht, sein Versprechen zu brechen und wenigstens mal zu kosten, aber dann schüttelte er über diesen Gedanken den Kopf und steckte die Hände tief in die Hosentaschen. Er amüsierte sich noch immer über Tawes Bemühungen, die alte Dame zu beeindrucken und bemerkte gar nicht, dass er sich schon wieder Richtung Keller bewegte. Der schien ihn magisch anzuziehen. Hatte er nicht erst vorhin behauptet, für die nächsten Stunden keinen Fuß mehr in diese Räume zu setzen? Und warum hielt er sich nicht daran?

Jakob knipste das Licht an und sah sich um. Die nachträglich aufgestellten Baustützen fielen ihm sofort ins Auge, genau wie die Haufen Erde, die er in den letzten Tagen aufgeschaufelt hatte.

Er konnte sich gut vorstellen, wie das später einmal aussehen würde, wenn Tawe seinen Plan in die Tat umsetzte und hier eine kleine Bar einrichten würde, mit einem Flipper, einem Billardtisch und der Dartscheibe. Wer wusste auch schon, was ihm sonst noch so einfiel. Eigentlich war Tawe immer für eine Überraschung gut.

Jakob kicherte und presste die Nasenflügel zusammen.

„Mit ihm wird es garantiert nicht langweilig“, erklärte er sich selbst und runzelte die Stirn. Für den Bruchteil eines Augenblicks hätte er beschwören können das sich etwas in einem dieser Erdhaufen bewegt hatte. Vielleicht waren Ratten hier unterwegs, vielleicht aber auch nur Mäuse. Allerdings hatte er bisher keinerlei Anzeichen dafür entdeckt und sah sich die Stelle genauer an.

Was immer er auch gesehen hatte, jetzt war alles still und ruhig und nichts bewegte sich mehr.

»Ich muss dringend mit dir reden«, hörte er Tawes Stimme sagen und schnaubte. Ihm fiel ein, dass er das letzte Mal, als sein Freund ihm das gesagt hatte, nicht damit gerechnet hatte, dass es um einen Hauskauf ging. Ein weiteres Mal hatte er ihm mit dieser Eröffnung gesagt, das er sich in einen Mann verliebt hatte. Jakob war im ersten Moment in Lachen ausgebrochen, aber als er in Tawes ernstes Gesicht gesehen hatte, war ihm das Lachen vergangen. Als Nächstes hatte er es abgestritten. Sein Freund interessierte sich nicht für Männer, das konnte gar nicht sein. Das hätte er doch längst bemerkt. Hatte er nicht im letzten Sommer mit einer der jungen Frauen angebandelt, die mit ihnen Tage am Strand verbracht hatten? Hatte er nicht sogar gesehen, wie Tawe mit einer davon in seinem Zelt verschwunden war? Und jetzt wollte er ihm erklären, er wäre an keiner der Frauen interessiert gewesen, die in den letzten Jahren irgendeine Rolle in seinem Leben gespielt hatten? Im Leben nicht!

Jakob hob die Augenbrauen, schüttelte über sich und seine Gedanken den Kopf und wendete sich ab. Er nahm zwei Stufen der Treppe auf einmal und stutzte. Was war das? Was hatte sich denn da gerade bewegt? War es auf ihn zu gelaufen, oder hatte es sich vor ihm versteckt?

Jakob drehte sich erneut, beugte sich ein wenig vor und sah sich um. Inzwischen hatten sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt und es fiel ihm nicht schwer, etwas zu erkennen, aber so sehr er sich auch darum bemühte, er fand nichts, was nicht vorher auch dort gewesen war. Jeder Erdhaufen war noch da, wo er ihn aufgeworfen hatte, und jede Schaufel, wo er sie abgestellt hatte.

Auch die angebliche Ratte oder die eingebildete Maus war nicht mehr aufzufinden. Da hatte ihm wohl wieder sein Unterbewusstsein einen Streich gespielt. Immerhin hatte er schon als Kind Angst vor dem dunklen Keller gehabt und das hatte sich, wenn er ehrlich zu sich selbst war, bis heute nicht geändert. Auch in diesem Keller fühlte er sich unwohl und war froh darüber, nicht länger hierbleiben zu müssen. Jetzt nahm er tatsächlich zwei Stufen auf einmal, blieb aber nicht mehr stehen, sondern hastete die Treppe empor und warf die Kellertür hinter sich ins Schloss.

Jakobs Herz raste und sein Puls hatte sich merklich beschleunigt.

„Verdammte Scheiße“, schimpfte er und schüttelte den Kopf „Du bist der größte Narr in diesem Haus“, machte er weiter und lehnte sich gegen die Kellertür. In diesem Moment hätte er schwören können ein Geräusch aus diesen Räumen zu hören, die er gerade eben noch fluchtartig verlassen hatte.

Er schnaubte, grunzte und räusperte sich schließlich.

„Du bist doch echt nicht mehr zu retten“, stöhnte er und machte einen Schritt zur Seite. Wieder war ihm, als hätte er etwas gehört, aber dieses Mal klang es schon eher wie eine Stimme. Als würde jemand um Hilfe rufen. Erneut stöhnte Jakob über seine Einbildungskraft und stürmte dann davon. Er wurde erst wieder ruhiger, als er in der Küche angekommen war, in der eine Mahlzeit vor sich hin köchelte und den entsprechenden Duft verströmte.

Bei einem Blick aus dem Küchenfenster wünschte er sich zurück in seine eigene Wohnung. Einem Neubau aus den letzten 10 Jahren und mit einer Menge Komfort ausgestattet, von der dieses Haus hier bisher nur träumen konnte. Und so, wie er Tawe kannte, würde sich das auch nicht wirklich ändern. Er war ein Mann der mit wenig zufrieden und so wunderte es ihn gar nicht mehr so sehr, dass er dieses Gemäuer gekauft hatte und noch weniger, dass die Pläne dafür keine wirklichen Neuerungen enthielt. Natürlich mussten einige Dinge ersetzt oder gar installiert werden, aber Dinge wie eine Fußbodenheizung, oder gar die Annehmlichkeiten einer künstlichen Intelligenz im Haushalt, waren für Tawe völlig nutzlos.

„Im Normalfall würde ich dich jetzt bitten mit dem Trinken aufzuhören, liebster Jakob, aber da ich weiß, dass du in den letzten Tagen kaum einen Tropfen Alkohol angerührt hast, fällt diese Möglichkeit schon mal flach“, kommentierte er seine Panik und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Jakob atmete ein Mal tief durch und wartete, bis sich die Atmung normalisiert hatte, dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und rief einen Freund an. Dem beschrieb er das alte Haus in allen Einzelheiten, behielt aber die Stimme und die anderen Ungereimtheiten für sich.

 

 

 

 

Rosalinde

Die alte Dame stand am Fenster und zupfte vor Aufregung immer wieder an ihrer rotgeblümten Bluse herum. Was, in Dreiteufelsnamen, hatte sie denn jetzt wieder angestellt? Auf welches Abenteuer hatte sie sich denn nun wieder eingelassen? Hatte sie tatsächlich in eine Einladung eingewilligt, die ein völlig fremder Mann ausgesprochen hatte? Was hatte sie sich bloß dabei gedacht?

Noch viel schlimmer war aber, dass sie sich tatsächlich auf diese Einladung freute. Es war schon ein paar Jahre her, dass sie abends außer Haus war und sich dann auch noch mit jemandem traf, mit dem sie reden konnte.

Hoffentlich.

Vielleicht war er auch einer dieser irren Serienmörder, der sich nur einer seltsamen Masche bediente, um an seine Opfer zu kommen.

Noch während sie diesen Gedanken weiterspann, begann sie zu kichern.

„Ja klar, er lauert hinter den Regalen und lädt dann alte Schachteln zu sich ein, um was zu tun? Sich an ihnen zu vergreifen? Oh man, Rosalinde. Du solltest endlich akzeptieren das du nicht mehr das junge Ding bist, hinter dem die Männer hersehen. Du bist alt geworden und niemand nimmt mehr Notiz von dir. Jedenfalls keiner dieser Serienmörder, der ja noch seinen Spaß mit den knackigen Körper haben möchte. Hör also auf zu spinnen und genieß den Abend. Sofern dieser Tawe dich nicht gefoppt hat und gar nicht erst erscheint“, schimpfte sie leise mit sich selbst und spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen, als ein Fahrzeug vor ihrem Haus vorfuhr, parkte und der junge Mann vom Supermarkt ausstieg.

Fast wäre sie vor Freude gehüpft, erinnerte sich dann aber wieder an ihre morschen Knochen. Als es an der Tür klingelte, drückte sie mit zitternden Fingern auf die Gegensprechanlage.

„Ja bitte?“, fragte sie so belanglos wie möglich und hörte, wie der Mann sich räusperte.

„Hier ist Tawe Anderson. Ich glaube, wir haben uns heute beim Einkauf kennengelernt und uns für heute Abend verabredet. Bin ich richtig?“

Rosalinde biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen.

„Sie sind richtig. Kommen Sie kurz rein, damit ich Sie meinem Nachbarn vorstellen kann, der hält mich nämlich für ein bisschen verrückt, einfach so eine Einladung anzunehmen.“

Tawe lächelte vor der verschlossenen Haustür „Erinnern Sie sich an meinen Freund? Den, der gerne auch für drei oder mehr Personen isst?“

„Natürlich. Sie haben von ihm erzählt.“

„Der hat mich vor Ihnen gewarnt. Er glaubt, ich hole uns jemanden ins Haus der uns während des Essens vergiftet oder uns sonst irgendwie um die Ecke bringt. Er konnte mir zwar nicht sagen, warum sie das tut, aber er ist davon überzeugt“, lachte Tawe und hörte den Türsummer. Er war schon auf dem Weg nach oben, als sich eine Wohnungstür öffnete und ein älterer Mann mit Gehstock in den Flur trat.

Misstrauisch sah er den Eindringling an und war nicht weiter verwundert, als sich die Tür auf der gegenüberliegenden Seite öffnete.Eine ältere Frau warf einen kurzen Blick in den Flur und als sie Tawe erfasste, lächelte sie „Ich hab nicht damit gerechnet das Sie tatsächlich Ihr Wort halten.“

„Ich mache doch keine Versprechungen und halte Sie dann nicht ein“, lächelte Tawe gewinnbringend und sah den Mann an.

„Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Nachbarin. Ich werde Sie wohlbehalten und an einem Stück gegen 22 Uhr wieder zuhause absetzen. Hier“, er zog eine Visitenkarte hervor und seinen Ausweis. Beide reichte er dem Mann „Ich finde es wirklich genial das Sie aufeinander achtgeben, aber in meinem Fall ist es unnötig. Wirklich“, lächelte er, aber der alte Mann beobachtete ihn noch immer über den Brillenrand. Er schien das Passfoto mit dem Mann vor sich zu vergleichen und verglich dann die Adressen.

„Umgezogen?“, knurrte er nur und ließ Tawe dann erzählen, wie er das Haus gefunden hatte und auch noch ein paar von den noch nicht umgesetzten Plänen. Aufmerksam hörte der Mann zu und nickte einige Male.

„Früher hätte ich sofort meine Hilfe angeboten, heute ist das leider nicht mehr möglich“, antwortete er schließlich und reichte den Ausweis an den Besitzer zurück. Die Visitenkarte steckte er ein.

„Wenn sie um halb elf nicht zuhause ist, informiere ich die Polizei“, knurrte er, drehte auf dem Absatz um und blieb stehen, als Tawe eine Frage stellte.

„Was halten Sie davon, wenn Sie gleich mitfahren? Würde es Sie beruhigen?“

Ein vernichtender Blick traf ihn, als der Alte sich drehte und gleichzeitig den Kopf schüttelte, bevor er wieder in seiner Wohnung verschwand und die Tür lautstark hinter sich schloss.

Rosalinde verdrehte hinter Tawes Rücken die Augen.

„Dieser alte Kauz hält sich für unwiderstehlich und ist grundlos eifersüchtig. Der nervt mich schon seit mehr als 60 Jahren mit seiner schroffen und arroganten Art“, schimpfte sie, nahm eine dünne Jacke von ihrer Garderobe hinter der Tür, schnappte sich ihre Handtasche und schob Tawe einen geflochtenen Korb zu.

„Würden Sie den bitte nehmen? Der ist ein bisschen schwer geworden. War keine Absicht.“

„Was ist denn da drin?“, wollte Tawe wissen und nahm den Korb. Das heißt, er griff locker zu und musste dann nachgreifen, weil er nicht mit dem Gewicht gerechnet hatte. Rosalinde seufzte.

„Na ja. Ich wusste ja nicht, was heute Abend geschieht. Also habe ich ein wenig eingekauft und vorbereitet.“

„Sie haben mir wohl nicht zugetraut das ich aus diesem Kohlkopf etwas zubereiten kann, das man dann auch noch essen kann.“

„Darum ging es nicht“, behauptete Rosalinde und schloss ihre Wohnungstür ab „Oder sagen wir besser, so ganz sicher war ich mir tatsächlich nicht. Nicht, das ich Ihnen das nicht zutraue, es geht eher darum.. oh Gott, ich rede mich um Kopf und Kragen“, lachte sie und winkte ab „Es sind einfach nur ein paar zusätzliche Häppchen, mehr nicht. In Ordnung?“

„Zusätzliche Häppchen ist gut“, lachte Tawe „es fühlt sich eher an, als würde ich hier die Wochenmahlzeit einer fünfköpfigen Familie transportieren.“

Rosalinde lachte leise „Nein. So schlimm ist es nicht, aber als Sie mir von Ihrem Freund erzählt haben, Sie wissen schon, da dachte ich mir, ich biete ihm einfach etwas zusätzlich zu Ihren Köstlichkeiten, noch ein paar Häppchen von mir. Nichts aufregendes, aber es hat Spaß gemacht, mal wieder für mehrere Personen zu kochen als nur für mich. Und manchmal eben noch für meinen Nachbarn, aber der hat einen so völlig anderen Geschmack als ich. Während ich gerne mal etwas ausprobiere, klebt er an den alten Traditionen fest. Der ist manchmal schlimmer als meine Großmutter“, schimpfte Rosalinde kopfschüttelnd und öffnete die Haustür. Sie lehnte sich dagegen, ließ Tawe den Vortritt und setzte sich nur Minuten später in das große Fahrzeug, mit dem er sie abholte.

Während der Fahrt schwieg sie die meiste Zeit und wenn sie doch etwas sagte, dann war es belanglos. Tawe versuchte keine unangenehme Stille aufkommen zu lassen, aber je mehr er sich in Konversation versuchte, umso schlimmer wurde die Stille danach.

Als Tawe sein Auto vor dem Haus parkte und den Schlüssel aus dem Zündschloss zog, sah er die Frau neben sich an.

„Wir sind da.“

Rosalinde war blass wie ein von der Sonne ausgebleichtes Leinentuch und nickte mit offen stehendem Mund, aus dem ein seltsamer Laut drang.

„Ist alles in Ordnung? Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte er und hörte, das sie sich räusperte.

„Alles okay“, krächzte sie „Ich hatte nur nicht damit gerechnet, ausgerechnet hierher gebracht zu werden“, machte sie weiter und pustete die Luft aus ihrer Lunge, bevor sie die Autotür öffnete und Luft ins Innere ließ.

„Was soll das heißen?“, wollte Tawe wissen und stieg aus. Er beeilte sich zur anderen Seite zu gelangen und half der alten Dame auszusteigen. Dabei bemerkte er, dass die Frau das Haus nicht aus den Augen ließ.

„Gehe ich recht in der Annahme, das Sie schon einmal hier waren?“, wollte er wissen und hörte sie wie einen Stier schnauben.

„Oh ja. Ich werde Ihnen Rede und Antwort stehen, sobald ich den Schreck verdaut habe. Tut mir leid“, sagte sie leise und lehnte sich gegen das Auto, während ihre Hände sich an Tawe klammerten.

„Ich würde gerne behaupten das ich es bin dem es leidtut, aber im Augenblick wäre das gelogen. Was hat Sie denn derartig erschreckt?“, wollte Tawe wissen und Rosalinde presste die Lippen aufeinander, bis nur noch ein schmaler Strich zu sehen war.

„Ist das das Haus das Sie gekauft haben?“, wollte sie wissen, weil sie sich an ihr Treffen erinnerte und daran, was er ihr erzählt hatte.

Tawe nickte.

„Ja.“

„Na ja“, murmelte Rosalinde „Das Haus kann ja auch nichts dazu, wenn die Bewohner ein wenig seltsam sind, nicht wahr?“, sagte sie mit leicht brüchiger Stimme und zog dann aus Nervosität die Nase hoch „Ich könnte jetzt ein Schnäpschen vertragen“, keuchte sie und sah den Mann vor sich nicken.

„Natürlich. Kommen Sie“, bat Tawe sie und führte sie am Arm zum Haus. Vom Küchenfenster aus beobachtete Jakob die beiden und runzelte die Stirn in tiefe Falten. Die alte Frau war wohl noch älter, als Tawe sie geschätzt hatte, wenn sie nicht einmal alleine den Weg zum Haus gehen konnte. Sie klammerte sich derartig an seinen Arm, dass er Jakob schon fast leidtat. Sein Grinsen verkniff er sich trotzdem, als die beiden endlich die Küche betraten.

„Wir bräuchten bitte einen Stuhl und einen Schnaps“, sagte Tawe ernst „Am besten in der Reihenfolge und am besten gestern.“

„Also dein Fahrstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber so schlimm ist er nun auch wieder nicht“, lachte Jakob und zwinkerte ihm zu. Natürlich zog er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und platzierte ihn so, dass Rosalinde sich nur noch setzen brauchte.

„Jessas“, staunte die alte Dame und sah sich um „Hier drinnen ist die Zeit stehengeblieben. Hier sieht es noch genau so aus wie vor fast 40 Jahren.“

„Ich dachte, während der Renovierungsarbeiten tun es die alten Möbel noch. Danach würde ich sie gerne austauschen, aber bis dahin“, sagte Tawe und machte eine Handbewegung. Rosalinde nickte und lächelte den anderen Mann an, als dieser ihr ein Glas reichte. In einem Zug leerte sie es und stellte es auf dem Tisch ab.

„So. In einigen Minütchen geht es mir wieder gut. Meine Güte, habe ich mich erschreckt“, gab sie zu und räusperte sich erneut. Sie schlug sich die Hand gegen die Brust auf Höhe des Herzens und atmete laut und tief ein „Aber Sie haben doch sicher genug darüber gehört, bevor sie es gekauft haben, oder?

---ENDE DER LESEPROBE---