Marco, Hendrik und die Geisterkinder - Nasha Berend - E-Book

Marco, Hendrik und die Geisterkinder E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Marco und sein Geschäftspartner wollen sich vergrößern und suchen aus diesem Grund ein zweites Gebäude. Im Internet finden sie einen Makler und ein Objekt, das wirkt, als wäre es für ihr Vorhaben gebaut worden. Bei der Besichtigung erfährt Marco, dass dort vor einigen Jahrzehnten eine ganze Familie ausgelöscht worden ist. Trotz aller Vorsicht lässt er sich auf den Vorschlag des Maklers ein, eine Woche im Haus zu verbringen und sich dann erst zu entscheiden. Nach und nach findet er Dinge heraus, die mehr Fragen als Antworten aufwerfen, die Marco aber auch dabei helfen zu erfahren, wer die Familie war und weshalb es zu dieser Tat gekommen ist. Er lernt Wesen kennen, die er bis jetzt für Fantasiegestalten gehalten hat und auch einen Menschen, für den er mehr empfindet, als er wollte. Und irgendwann wird ihm mit deren Hilfe klar, warum er dieses Gebäude unbedingt kaufen und erhalten sollte.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über das Buch
Anfänge
Marco
Tage und Nächte
Hendrik
Picknick
Geisterleuchten
Nichts als Theater
Geister kommen nicht um Mitternacht
Frühstück bei Hendrik
Mittags um 12
Geister, Geister
Lagerhallenblues
Kinderlachen
Geistergespräche
Beziehungen
Später

 

 

 

 

 

 

 

Marco, Hendrik und die Geisterkinder

 

 

 

Von Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © Nasha Berend

 

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

Impressum:

Nasha Berend

Buschstraße

39649 Hansestadt Gardelegen

E-Mail: [email protected]

 

 

 

 

Umschlaggestaltung: Dirk Dresbach

Fotos: Copyright © Dresbach

 

 

Vorwort:

 

Nasha Berend ist eines meiner Pseudonyme unter denen ich meine Werke veröffentliche.

Nein, ich habe nicht schon in der Schule mit Kurzgeschichten angefangen und ich habe auch keine journalistische Laufbahn. Vielleicht gefallen euch meine Geschichten trotzdem. Dann würde ich mich über eine Kontaktaufnahme über Facebook wirklich freuen. Gruß, Nasha.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wortzähler: 73026

 

 

 

 

 

 

 

Marco, Hendrik und die Geisterkinder

Du bist nicht alleine

 

 

von

 

Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

Über das Buch

 

Marco und sein Geschäftspartner wollen sich vergrößern und suchen aus diesem Grund ein zweites Gebäude. Im Internet finden sie einen Makler und ein Objekt, das wirkt, als wäre es für ihr Vorhaben gebaut worden. Bei der Besichtigung erfährt Marco, dass dort vor einigen Jahrzehnten eine ganze Familie ausgelöscht worden ist. Trotz aller Vorsicht lässt er sich auf den Vorschlag des Maklers ein, eine Woche im Haus zu verbringen und sich dann erst zu entscheiden.

Nach und nach findet er Dinge heraus, die mehr Fragen als Antworten aufwerfen, die Marco aber auch dabei helfen zu erfahren, wer die Familie war und weshalb es zu dieser Tat gekommen ist. Er lernt Wesen kennen, die er bis jetzt für Fantasiegestalten gehalten hat und auch einen Menschen, für den er mehr empfindet, als er wollte. Und irgendwann wird ihm mit deren Hilfe klar, warum er dieses Gebäude unbedingt kaufen und erhalten sollte.

 

Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anfänge

 

Marco grinste breit und zwinkerte einem völlig Unbekannten zu, der gerade vor ihm auf einem der vielen Sessel gab, die der Gastgeber auf seiner überaus großen, ausladenden Terrasse bereitgestellt hatte.

„Schockiert?“, wollte er wissen und sah den Mann noch immer an, der missgelaunt den Kopf schüttelte und ohne eine Miene zu verziehen aufstand und sich zu Menschen gesellte, denen er vorher aus dem Weg gegangen war.

„Das dachte ich mir“, knurrte Marco und seufzte. Er trank den Rest aus seinem Glas und stellte es dann auf der nächstbesten geraden Fläche ab. Ein Blick zurück auf die Personen, mit denen er etwa eineinhalb Stunden verbracht hatte, ließ ihn die Augen verdrehen und dann die Hände in die Hosentaschen stecken. Mit gesenktem Kopf verließ er die Gesellschaft, die ihn bis auf den Gastgeber nicht einmal vermisste.

„Warum, zum Kuckuck, bist du gestern Abend so früh gegangen?“, wollte der am anderen Tag von ihm wissen und Marco schnitt eine Grimasse.

„Willst du mich verarschen? Du willst ernsthaft von mir wissen warum ich so früh gegangen bin? Kannst du dir das nicht denken?“

„Danach wurde es erst richtig gemütlich. Die brauchten scheinbar erst ein gewisses Maß an Alkohol bevor sie lockerer wurden, aber als sie den intus hatten, waren sie richtig ausgelassen.“

„Das ist doch schön für deine Freunde“, gab Marco von sich und widmete sich wieder der Tätigkeit, bei der er gerade unterbrochen worden war „Aber genau das war der Knackpunkt. Es sind deine Freunde gewesen und werden wohl niemals meine sein.“

„Warum denn nicht? Ich kenne sie als aufgeschlossene, überaus liebenswerte Menschen, die immer für mich da waren und auch heute noch sind. Ohne sie wäre ich niemals so weit gekommen.“

„Das mag für dich ja auch gelten, Stefan, aber mich würden sie keines zweiten Blickes mehr würdigen. Das ist okay, wirklich, aber du kannst keine Toleranz erzwingen, wo sie nicht vorhanden ist. Du hast es sicherlich nur gut gemeint, aber ..“, Marco hielt erneut inne und sah den Mann an, mit dem er schon seit mehr als 15 Jahren zusammen arbeitete. Er lächelte „Du bist ein lieber Kerl, Stefan, aber du hättest es nicht erwähnen sollen. Es könnte sogar sein, das ein paar Abstand von dir nehmen, weil sie damit nichts zu tun haben wollen. Du hättest es wirklich für dich behalten sollen“, erklärte Marco und fühlte sich für das verantwortlich, was seinem Freund eventuell noch bevorstand „Wieso hast du das getan?“

Stefan sah Marco an. Er kannte ihn schon eine halbe Ewigkeit und hatte nach der Schule den Kontakt nicht verloren. Später hatten sie dann eine Firma gegründet und arbeiteten seit 15 Jahren unglaublich erfolgreich zusammen. In all der Zeit waren sie zu einer Einheit, einem Team zusammengewachsen und aus einer Laune heraus, schien er am gestrigen Abend genau dieses Team entzweit zu haben.

„Ich weiß es nicht, Marco. Ich weiß es wirklich nicht und ich gestehe dir, es tut mir furchtbar leid. Wenn ich könnte, dann würde ich es ungeschehen machen, aber so einfach wird es wohl nicht werden, oder?“

„Ich bezweifel das ich dieser Gesellschaft noch einmal begegne. Also mach dir da bloß keinen Kopf wegen mir. Überleg dir lieber wie du damit umgehst wenn dir jetzt der ein oder andere die Freundschaft kündigt.“

„Warum sollten sie das tun?“

Marco schnaubte „Kann ich dir sagen. Du hast jemanden jeden Tag um dich und verbringst eine Menge Zeit mit einem Kerl der auf Männer steht. Entweder glauben sie jetzt das du zweigleisig fährst und deine Frau öfter mal mit einem Typen wie mir betrügst, wenn nicht gleich mit mir, oder sie warten auf den sichtbaren Ausschlag, den du dadurch bekommst, das du mich auch nur ansiehst. Glaub mir, sie werden einen Grund finden dich zu meiden und du wirst keine Ahnung haben warum sie es tun.“

Betreten senkte Stefan den Blick noch weiter. Er schien zu überlegen, dann schüttelte er plötzlich den erhobenen Kopf „Nein. Das werden sie nicht. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Heute ist es doch egal wen man liebt, solange man glücklich ist.“

„Das glaubst du wirklich?“

„Ja“, antwortete Stefan sofort „Das glaube ich. Das spielt doch keine Rolle, solange man niemanden zu irgendetwas zwingt. Liebe ist doch ein Gefühl und Gefühl kann man nicht wirklich kontrollieren und auch nicht erzwingen. Herrgott Marco“, schimpfte Stefan „Wehrst du dich denn nie dagegen?“

„Wehren? Nein. Das habe ich aufgegeben. Ich muss allerdings auch gestehen das ich meine Sexualität nicht gerne in die Öffentlichkeit trage. Warum auch? Ich meine, gehst du zu einer Party, gibst irgendeinem Fremden die Hand und stellst dich dann vor ich bin der Stefan und ich bin hetero?“

Stefan zögerte, lachte dann aber kopfschüttelnd „Nein. Natürlich nicht. Das geht doch keinen was an.“

„Genau das. Es geht niemanden etwas an. Aber ich muss meine Neigung nach außen tragen? Ich habe auch noch nie jemanden getroffen der gesagt hat, ich bin hetero und stehe auf Lack und Leder?“

Erneut stutzte Stefan und kicherte dann „Ich stelle mir gerade so eine hochgestochene Gesellschaft vor. Du weißt schon, diese Typen in auf den Leib geschneiderten Hemden und Sakkos und die Mädels in tief ausgeschnittenen Kleidchen, die sich gegenseitig ihre Neigungen und Sexualität gestehen, wenn sie sich das erste Mal die Hand schütteln“, kicherte er und jetzt musste sogar Marco lachen.

„Könnte recht spaßig werden.“

„Ich weiß schon“, sagte Stefan leiser „Was du meinst. Das tut natürlich niemand und es macht auch keinen Sinn. Es gibt einfach Dinge, die niemanden außerhalb einer Beziehung etwas angehen. Wie gesagt, ich weiß nicht warum ich dich gestern Abend bei Brian so vorgestellt habe. Ich könnte mich dafür ohrfeigen“, murmelte Stefan „Aber ich kann es leider nicht mehr ändern. Es tut mir furchtbar leid.“

„Na ja“, Marco warf alles aus den Händen und stemmte sie in die Hüfte „Wären es andere Umstände gewesen hätte ich darüber gelacht. Gestern Abend fühlte ich mich dabei allerdings nicht wohl. Das wäre glatt noch gelogen, ich fühlte mich hintergangen.“

Betreten sah Stefan seinen Freund an und nickte schließlich „Verständlich. Was machen wir jetzt?“

„Jetzt?“, fragte Marco und sah auf die Uhr „Sehen wir zu das wir fertig werden. Wie du ja weißt, habe ich an diesem Wochenende noch etwas vor. Machen wir also das wir fertig werden, okay?“

„Alles klar. Du Marco?“, Stefan stellte sich neben seinen langjährigen Freund und legte ihm die Hand in den Rücken „Du weißt das ich immer besonders stolz darauf gewesen bin dein Freund zu sein, oder?“

„Ja. Das weiß ich. Während viele mich haben fallen lassen warst du immer da. Das rechne ich dir hoch an, Stefan und das ist auch einer deiner Bonuspunkte für gestern Abend. Wäre ich mir nicht so sicher das dich meine Homosexualität nicht im geringsten stört, wäre ich heute derjenige der dich zum Teufel gejagt hätte.“

Stefan biss sich auf die Unterlippe und nickte seinem Freund und Arbeitskollegen zu. Er traute sich nicht mehr etwas zu erwidern, aus Angst erneut ins Fettnäpfchen zu treten. Für sich selbst entschied er, sich nie wieder so derartig zu betrinken, das er nicht mehr wusste, was er von sich gab. Nie wieder würde er einen Freund in solch eine kompromittierende Situation wie Marco am letzten Abend. Er wendete sich einfach ab und machte ein paar Schritte, dann drehte er sich und sah Marco noch einmal an, lächelte, als der es auch tat und ging dann seiner Arbeit nach, wie er es sonst auch getan hätte. In seinem Kopf spielte sich der gestrige Abend aber immer und immer wieder ab. Wie in einer Endlosschleife.

Die ersten Gäste waren vor über einer Stunde angekommen, als Marco eintraf. Er überreichte der jungen, frisch gebackenen Mama ein kleines Sträußchen Blumen, während alle anderen Gäste Strampler und Windeln verschenkt hatten. Entsprechend freute sich Stefans Frau Eva und gab Marco einen Kuss auf die Wange. Neben sich hatte Stefan eine weibliche Stimme flüstern hören, dass man diesen Mann auch nicht von der Bettkante stoßen würde und nur wenig später sogar ein Gespräch belauscht, in dem zwei Frauen sich darüber unterhielten, wer von ihnen Stefans Arbeitskollegen ansprechen sollte und was dann in der Nacht wohl geschehen würde. Da sich in seinem Kopf die Promille gesammelt hatten, hatte Stefan sich einfach neben Marco gestellt, ihm einen Arm um die Schultern gelegt, hatte wahrscheinlich diese beiden Frauen angegrinst und ihnen dann mitgeteilt, dass diese Fantasien wohl kaum in die Realität umzusetzen wären, weil Marco sich nicht für Frauen interessierte. Das hatte ein Raunen hervorgerufen und sämtliche Augen hatten sich auf Marco gerichtet. Einer der Gäste, ein Mann so um die 40 Jahre hatte seinen Drink auf ein Tischchen gestellt und hatte mit zusammengepressten Lippen die Party verlassen. Ein Pärchen war ihm noch gefolgt, alle anderen waren zur Tagesordnung übergegangen. Bis auf die beiden Frauen, die vorher schon über Marco gesprochen hatten. Die begannen zu tuscheln, und zwar so lange, bis es ihm auf den Wecker ging und er ihnen mitteilte, dass schon ganz andere Frauen versucht hätten bei ihm zu landen. Da hatten sie ein wenig beleidigt reagiert, aber ihn endlich in Ruhe gelassen. Marco hatte schon geglaubt alles wäre in Ordnung, als ein älterer Mann, den er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bemerkt hatte, auf ihn zukam und ihm ins Gesicht spuckte. Danach hatte er einfach umgedreht und hatte die Party, die Stefan und seine Frau Eva wegen ihres neugeborenen Kindes gaben, verlassen.

Marco konnte sich daran erinnern, dass Eva ihm einen Blick zugeworfen hatte und er die Konsequenzen daraus zog. Er war gegangen ohne sich zu verabschieden. Erst am anderen Morgen hatten Stefan und er die Möglichkeit gehabt, miteinander zu reden. Irgendwie glaubte er, dass dieses Erlebnis ihrer langjährigen Freundschaft nicht gerade gutgetan hatte und hoffte, das er sich täuschte.

 

 

 

 

Marco

 

Marco packte die Akten zu den Festplatten in den Koffer und legte ein paar Kleidungsstücke dazu, bevor er ihn schloss und neben die Eingangstür stellte. Ein letzter Blick zurück in die Wohnung, in der er sich nie zuhause gefühlt hatte, die aber doch einen gewissen Zweck erfüllte, dann griff er nach der Jacke an der Garderobe, warf seinem Spiegelblick einen zwinkernden Blick zu und verließ sein Zuhause. Er lief in die Garage, stellte den Koffer in den hinteren Teil des Fahrzeugs, legte seine Jacke darüber und setzte sich hinter das Steuer. Für einen kurzen Augenblick war er versucht die Route zu fahren, die er seit Jahren gefahren und die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Aber heute war es anders. Heute sollte er in die entgegengesetzte Richtung fahren und sich einen Parkplatz auf dem Flughafengelände suchen, dann in einen Flieger einsteigen und am anderen Ende des Landes wieder aus.

Ganz wohl war ihm nicht, aber einer musste den Job ja machen und Stefan wollte er diese Reise nicht zumuten. Er sollte nach Möglichkeit bei seiner kleinen Familie bleiben.

Marco fand schnell einen geeigneten Parkplatz, stellte sein Auto ab, nahm den Koffer und seine Jacke und lief zielstrebig zum Schalter seiner Fluggesellschaft. Als er den Schalter sah, begann sein Herz kräftiger zu schlagen als sonst. Irgendwie fühlte er sich unwohl, als er seinen Ausweis aus der Tasche zog und zusammen mit seinem Flugticket der jungen Frau überreichte, die beides von ihm gefordert hatte. Sie lächelte ihn an, schien etwas auf ihrem Bildschirm und den Papieren zu vergleichen und reichte dann alles wieder zurück.

„Gate 2. Immer geradeaus und dann links. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug und viel Spaß im wohlverdienten Urlaub“, lächelte sie und Marco nickte.

„Vielen Dank“, und erklärte ihr nicht, dass er nicht in den Urlaub fliegen würde, sondern seiner Arbeit nachging.

Als das Flugzeug später landete, hatte Marco ein wenig gedöst und sich trotzdem noch auf das vorbereitet, was ihm bevorstand. In etwa drei Stunden würde er den Makler treffen, der ihm das Gebäude zeigen wollte, das sie kaufen und dann als Zweigstelle benutzen wollten. Natürlich müssten einige Renovierungsarbeiten vorgenommen werden, aber die Expertise dieses Gebäudes hatte Stefan und ihn sofort angesprochen, sodass die kleinen Änderungen gar nicht ins Gewicht fielen.

Marco war recht gut gelaunt, als er sich von einem Taxi in ein Hotel bringen ließ, dort erst einmal duschte, eine Kleinigkeit aß und sich dann die Beine so lange vertrat, bis es Zeit wurde den Makler zu treffen.

Den Vorfall auf Stefan und Evas Kinderparty hatte er zwar noch nicht vergessen, aber eine übergeordnete Rolle spielte er in seinem Leben auch nicht mehr. Es war nicht das erste Mal gewesen, das er auf seine Sexualität reduziert worden war und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal.

„Herr Meyer?“, fragte er, als er das Hotel betrat und ein untersetzter Mann im Anzug an der Rezeption stehen sah. Der Mann drehte sich und sah ihn an, während er nickte.

„Ja, das bin ich. Sind wir beiden miteinander verabredet?“, wollte er wissen und Marco lächelte. Er nickte.

„Ich denke schon. Es sei denn, Sie warten noch auf mehr als einen Klienten für dieses doch ziemlich große Anwesen.“

„Nein“, kicherte der Mann und wendete sich ihm jetzt zu „Mein Chef behauptet zwar öfter mal ich könnte auch noch ein Iglu in der Wüste verkaufen, aber dieses Gebäude, für das Sie sich interessieren, das werden wir einfach nicht los. Deshalb habe ich auch ein ganz tolles Angebot für Sie. Das ist noch reizvoller als das letzte, glauben Sie mir.“

„Aber wir waren uns doch schon einig.“

„Keine Sorge. Es handelt sich nicht um eine Preiserhöhung, eher einen Anreiz zum Kauf.“

„Aha.“

„Lassen Sie sich überraschen“, grinste der Makler und tätschelte behutsam Marcos Arm „Sind Sie soweit? Können wir fahren? Es liegt ja ein wenig außerhalb und zurück müssen wir ja auch noch“, drängte der Makler plötzlich und Marco nickte.

Eine knappe Stunde später staunte er nicht schlecht.

„Großer Gott“, sagte er und stieg wie in Trance aus dem Fahrzeug aus, das ihn und den Makler bis hierher gebracht hatte „Das darf doch alles nicht wahr sein.“

„Oh, haben Sie etwas entdeckt das Sie nicht mögen? Das ist doch hoffentlich kein Problem, ich meine, man kann doch alles ändern. Also ich finde ja diese ganzen kleinen Türmchen und Erkerchen ein bisschen too much, wenn ich das mal so sagen darf, aber jeder wie er es gerne hätte, nicht wahr?“, fragte der Makler dümmlich grinsend und Marco nickte. Er nahm den Mann kaum noch wahr. Sein Blick klebte förmlich auf dem großen Gebäude, das tatsächlich an ein kleines, verwunschenes Schloss erinnerte. Irgendwie kam ihm die Immobilie bekannt vor, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass er noch niemals hier gewesen war.

Ganz leise, fast schon ein wenig bedächtig schloss Marco die Autotür und lief langsam auf das Gebäude zu, das in dem Augenblick, als er genau davor stand, so düster war, das er Angst vor seiner eigenen Courage bekam.

„Was ist hier geschehen?“, wollte er wissen und hörte, das der Makler sich einige Male räusperte.

„Na ja“, begann er leise und mit gesenktem Blick „Ich kann Ihnen natürlich auch nur das erzählen was in den Zeitungen stand und was man so gehört hat, aber das alles ist schon so lange her, das es für das Haus kaum mehr eine Rolle spielt.“

„Hier hat ein Verbrechen stattgefunden, oder?“, wollte Marco wissen und war froh, als der Makler endlich die Haustür aufgeschlossen hatte und er das Innere betreten konnte. Er achtete kaum noch auf den Mann mit der Kladde in der Hand und dem Aktenkoffer unter dem Arm. Marco fühlte sich geradezu angezogen von den geschlossenen Zimmertüren, die er sah, als er in der Eingangshalle stand und um sich blickte. Aufsehen erregte vor allen Dingen die große und breite Treppe. Die bis etwa in die Hälfte der nächsten Etage reichte und sich dann nach links und rechts verzweigte. Marcos Blick folgte den Stufen der linken Treppe, die im ersten Stock endete.

„Wenn ich das richtig in Erinnerung habe“, murmelte der Makler „Dann soll vor fast 100 Jahren hier ein junger Mann seine Eltern und seine Geschwister erschossen haben. Man konnte ihm das zwar nie so richtig nachweisen, aber für eine Verurteilung hat es damals gereicht. Bis zum Schluss hat er aber geschworen unschuldig zu sein.“

„Aha“, gab Marco ein nächstes Mal von sich und klopfte gegen eine der Wände, die etwas hohl klangen „Was ist dahinter?“, wollte er wissen und der Makler biss sich auf die Unterlippe.

„Die Handwerker haben alles versucht“, antwortete der Mann „Aber schließlich haben sie aufgegeben und die Wände mit Holz verkleidet.“

Marco drehte sich und sah den Mann an „Wollen Sie mir etwa erzählen das unter diesem Holz noch Blutspuren zu erkennen sind?“

„Sie sind ja nicht nur verdeckt, sondern auch mit zig Schichten an Chemikalien behandelt, aber ja, im Grunde haben Sie Recht. Stellt das ein Problem dar?“

„Das weiß ich noch nicht“, sagte Marco und sah sich schon ohne die Zusage für das Gebäude nach Hause fahren. Irgendwie war es hier unheimlich. Man erwartete fast schon, dass es spuken würde. Um ein Haar hätte er gelacht.

„Ähm, ich sagte ja schon, der Eigentümer hat Ihnen ein verlockendes Angebot zu machen“, machte der Makler weiter, dessen Namen Marco ständig vergaß.

„Dann lassen Sie mal hören“, antwortete Marco und bestaunte den Stuck an der Decke im Eingang. Sein Blut rauschte derartig in den Ohren, das er für einen Augenblick dachte, er hätte sich verhört. Er nahm den Blick endlich von der Stuckdecke und sah den Makler verwirrt an.

„Entschuldigen Sie bitte, ich habe nicht aufgepasst. Mein Fehler. Würden Sie ihre letzten Sätze bitte noch einmal wiederholen?“

Der Makler grinste „Klar. Ich sagte gerade, der Verkäufer hat vorgeschlagen, das Sie eine Woche hier wohnen und sich wirklich in Ruhe alles ansehen. Unentgeltlich, natürlich. Das ganze Haus steht Ihnen zur Verfügung und Sie dürften alles nutzen. Wäre das ein Vorschlag? Ich muss gestehen, ich war etwas überrascht als der Verkäufer mir das nahegelegt hat, aber auf der anderen Seite kann ich ihn gut verstehen. Es sollte recht gut überlegt sein ob man so weit draußen wohnen und arbeiten möchte, oder eben doch nicht.“

„Ich muss gestehen, das mein Geschäftspartner und ich diese Adresse über eine Suchmaschine überprüft haben. Dabei wurde eine Karte sichtbar, auf der dieses Anwesen und die umliegenden Orte sichtbar wurden. Ehrlich gesagt, sieht es ein wenig anders aus, nicht so weit draußen wie es in Wirklichkeit ist. Das hat mich ein wenig überrascht.“

„So weit ab ist es gar nicht. Sie würden schon sehen, wenn Sie auf das Angebot des Verkäufers eingehen, könnten Sie das in Ruhe testen.“

Dieser Makler versuchte tatsächlich ihn zu überreden und Marco war auch nicht abgeneigt. Auch dann nicht, als sie auf dem Speicher des Objektes einige tote Mäuse fanden und eine mumifizierte Katze, die sich wohl im Mäusehimmel geglaubt hatte.

„Und jetzt kommen wir zum Prunkstück des Hauses“, sagte der Mann neben Marco und lächelte verschmitzt „Diesen Raum lasse ich mir bei all den Besichtigungen immer bis zum Schluss. Ich bin ja der Meinung, man könnte auf eine Menge Zimmer verzichten, aber nicht auf das Herzstück eines jeden Hauses“, lächelte er und Marco nickte. Er wusste von wovon die Rede war und staunte nicht schlecht, als der Makler eine Zimmertür öffnete und das zum Vorschein kam, worauf er sehr stolz zu sein schien.

Die Küche.

Die war zwar saniert und renoviert worden, danach aber liebevoll mit den antiken Bestandteilen wieder bestückt worden. Trotzdem wirkte sie nicht unmodern und war mit allerlei technischen Raffinessen versehen.

„Tada“, grinste der Makler schelmisch und machte eine ausschweifende Bewegung mit seinem Arm „Ist das nicht herrlich hier? Also ich muss gestehen, als ich diese Küche das erste Mal gesehen habe, da dachte ich wirklich einen Augenblick darüber nach, dieses Haus zu behalten, aber das wäre recht egoistisch, ein Gebäude nur wegen eines einzigen Raumes zu kaufen, oder nicht?“, lachte er und seine Wangen wurden noch roter als zuvor.

„Ja“, log Marco, der seine letzte Wohnung nur bezogen hatte, weil ein Raum genau die richtige Größe und Lage besaß. Sein Schlafzimmer. Das war neben dem Badezimmer der einzige Raum, der nicht zur Straße hinführte, sondern vom Verkehrslärm abgewandt war.

Er war froh, als das Handy des Maklers klingelte und der sich sofort verdrückte, um das Gespräch anzunehmen. Marco betrat die große Küche und sah sich staunend um. Manches sah wirklich aus, als käme es gerade frisch aufpoliert aus dem Museum, anderes dafür umso futuristischer. Ein sehr harmonischer Raum und einer der schönsten in diesem Gebäude. Sein Gang führte zu der großen Fensterfront. Marco hielt die Luft an. Er hatte damit gerechnet, dass der Ausblick in den weitläufigen Garten führen würde, aber stattdessen sah er Wasser. Sehr viel Wasser. Meerwasser, um genau zu sein.

Für einen Moment runzelte er die Stirn und rief sich die Landkarte in Erinnerung, die er vor ein paar Stunden auf dem Bildschirm seines Laptops gesehen hatte. So sehr er sich auch anstrengte, konnte er sich nicht daran erinnern, Wasser gesehen zu haben. Weder einen Tümpel, noch einen Teich oder einen See und an ein Meer konnte er sich erst recht nicht erinnern.

„Ähm“, machte er, als der Makler die Küche wieder betrat „War das schon immer hier?“, wollte er wissen und hätte sich für diese dümmliche Frage am liebsten selbst geohrfeigt. Natürlich war das Meer schon immer dort gewesen. Es war wohl kaum in den letzten 10 Minuten extra dort für ihn erschienen, weil es wusste, das er es in diesem Moment brauchte und sich nach dem Klang der Wellen sehnte.

Der Makler trat an das Fenster und sah hinaus.

„Was sehen Sie denn, was eventuell schon immer hier gewesen sein könnte?“, fragte er und Marco pustete die Luft aus seinen Wangen.

„Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, weshalb ich ausgerechnet diese Frage gestellt habe. Mir müsste ja klar sein das so ein Meer nicht innerhalb von wenigen Minuten entsteht“, grinste dieses Mal Marco und kam sich dabei reichlich dumm vor. Der Makler lächelte dieses Mal und nickte ihm zu.

„Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht“, sagte er und wendete sich ab. Er blieb etwa in der Mitte der Küche stehen und steckte eine Hand in die Hosentasche, während er sich dabei umsah „Und? Was halten Sie von diesem Gebäude?“

Marco holte tief Luft und erinnerte sich an eines von vielen Gesprächen mit Stefan. Für ihre Zweigstelle am anderen Ende des Landes hatten sie sich einige Grundstücke und Häuser im Internet angesehen, hatten mit vielen Maklern gesprochen, hatten Preise verglichen und sich schließlich auf drei dieser Anzeigen gemeldet. Bei keinem konnte er sich an Wasser erinnern.

„Was ist das da draußen?“, wollte er von dem Mann wissen, der gerade dabei war die Küche zu verlassen und jetzt so tat, als würde er ihn nicht hören.

„Sie wissen doch sicher auch“, beeilte Marco sich, ihn einzuholen „Was für ein Gewässer das da draußen ist, oder nicht? Mir ist es vorher nicht aufgefallen. Da war kein Wasser“, erklärte Marco nachdenklich und bemerkte den Gesichtsausdruck des Mannes nicht, der die Schultern anhob.

„Nein. Ich habe nicht so viele Jobs in dieser Gegend, wissen Sie? Wie gefällt Ihnen das Haus?“, wollte er stattdessen wissen und blieb in der Mitte der Eingangshalle stehen. Marco ging in Gedanken seine Termine der nächsten Woche durch, entschied über Stefans Kopf hinweg, das es nicht so viele waren und sein Geschäftspartner diese Termine für ihn wahrnehmen konnte.

„Ich würde auf das Angebot des Verkäufers gerne eingehen“, erklärte er und sah, wie der Makler abrupt stehenblieb und ihn anstarrte.

„Ehrlich?“, wollte er jetzt wissen und Marco nickte.

„Ja. Ganz ehrlich. Warum verwundert Sie das so? Sollten Sie nicht viel eher froh darüber sein? Sie bekommen doch sicherlich eine Provision wenn Sie die Hütte hier verscherbeln, oder nicht?“

„Es tut in der Seele weh, wenn Sie dieses Gebäude hier als eine Hütte bezeichnen. Ich bin mir nicht sicher ob Sie der Richtige für dieses Haus sind. Vielleicht sollten wir etwas für Sie suchen, das nicht ganz so groß und mit Geschichten vollgestopft ist, wie diese Immobilie.“

„Entschuldigung“, antwortete Marco versöhnlich „So war es nicht gemeint. Ich bin mir sehr wohl bewusst das dieses Haus hier keine Hütte ist, seien Sie da unbesorgt. Ich weiß gerade auch nicht was da in mir vorgegangen ist. Eigentlich bin ich niemand der etwas verbal bewertet. Ich entschuldige mich hiermit in aller Form bei Ihnen“, sagte Marco und hoffte darauf, das der Mann entsprechend auf seine Entschuldigung reagieren würde.

Der Makler musterte ihn einen Augenblick, dann nickte er ihm zu „Verscherbeln tue ich übrigens auch nichts. Ich gebe mir wirklich Mühe diese wunderschönen, wenn auch nicht mehr ganz neuen Immobilien zu veräußern. Ja, es ist nicht immer einfach. Ich weiß auch nicht. Die Menschen wollen heute einfach nichts mehr, was nach ein wenig Arbeit aussieht. Alles muss perfekt sein. Am besten ein wenig außerhalb, aber bitteschön mittendrin. Der Nachwuchs darf auf keinen Fall benachteiligt werden, sollte für die Freundinnen und Freunden gut erreichbar sein, aber bitteschön nicht zu weit außerhalb. Bushaltestellen am besten vor der Haustür“, murmelte er und schüttelte den Kopf „Ist natürlich Unfug, aber gewünscht wird es öfter als mir lieb ist. Meist suchen sie ein Haus auf dem Land und kaufen schließlich eine Wohnung in der Stadt. Entschuldigen Sie bitte, ich wollte mich nicht bei Ihnen ausheulen, aber manchmal frage ich mich, warum ich das alles tue.“

„Man macht es niemandem Recht, oder?“, fragte Marco und klopfte dem übergewichtigen Makler auf die Schulter „Aber ich versichere Ihnen, ich, beziehungsweise mein Geschäftspartner und ich, wir wären ganz froh über ein wenig Alleinlage. Es muss auch nicht unbedingt ein Bus fahren, eine anständige Straße die zum Haus führt würde uns schon reichen. Aber wie gesagt, mich irritiert das Wasser. Das ist mir nicht aufgefallen, so oft und so lange wie ich auch darüber nachdenke“, murmelte Marco und senkte dabei den Kopf. Er hörte den Makler telefonieren, einige Male sah er ihn nicken und als er sich an ihn wendete und lächelte, ahnte Marco schon, das er den Zuschlag des Mannes bekommen hatte. Er würde also die nächsten Tage in diesem großen Haus verbringen. Mutterseelenalleine.

 

 

 

 

Tage und Nächte

 

Marco hatte mit vielem gerechnet, zum Beispiel mit einem sehr viel kleineren Anwesen, mit einem sehr heruntergekommenen Gebäude, mit Konkurrenten, die mit ihm um den Preis buhlen würden, aber ganz sicher nicht mit einer Möglichkeit zum Übernachten in seiner Wunschimmobilie. Aus diesem Grund hatte er das Haus eigentlich erst nach den anderen Häusern besichtigen wollen, sozusagen als krönenden Abschluss, aber dann waren die Termine durcheinandergeraten und schließlich hatte er eingewilligt, dieses Haus hier als erstes unter die Lupe zu nehmen. Wenn seine Meinung die einzige wäre, dann würde er keine weiteren Objekte mehr besichtigen, dann wäre dieses hier perfekt für ihr Vorhaben. Und jetzt würde er es die nächsten Tage auf Herz und Nieren überprüfen und Stefan anschließend davon vorschwärmen. Sie würden die Kaufsumme vom gemeinsamen Geschäftskonto überweisen und Marco würde in Zukunft hier leben und arbeiten. Zumindest hoffte er das Stefan dieses Gebäude nicht für sich und seine kleine Familie beanspruchen würde, obwohl er es sich kaum vorstellen konnte. Eva, die Mutter seines Söhnchens Max, war so mit ihrem Heimatort verbunden, das er sich nicht vorstellen konnte, das sie es freiwillig verlassen würde. Und schon gar nicht, um hierher umzusiedeln, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten.

Marco grinste noch immer, als er seine Sachen in dem Zimmer auspackte, das er sich von all den vorhandenen ausgesucht hatte. Den Makler hatte er sicherlich schon vor einer Stunde verabschiedet und war seitdem im Haus herumgewandert, um den perfekten Raum zu finden, in dem er übernachten konnte. Er glaubte ihn gefunden zu haben und hängte seine Kleidung in den dafür vorgesehenen Schrank. Danach ging er zurück in die Küche, stellte dort das Radio an, suchte sich einen für sich passenden Sender und öffnete den Kühlschrank. Seltsamerweise war er recht gut bestückt, als hätte der Eigentümer genau gewusst das er sich auf dieses Angebot einlassen würde und welche Dinge er zum Essen bevorzugte. Nacheinander nahm er einige Lebensmittel an sich, stellte sie in Reichweite zum Herd ab und suchte nach Töpfen und Pfannen. Etwa eine Stunde später saß er am Küchenfenster und aß mit Appetit und einem etwas dümmlichen Grinsen im Gesicht die zubereitete Mahlzeit. Immer wieder fiel sein Blick dabei nach draußen. Eigentlich konnte er gar nicht schnell genug essen, weil er unbedingt nach draußen wollte und sich den Wind um die Nase wehen lassen. Der Wind am Meer war etwas, an das er sich jederzeit erinnern konnte. Immer, wenn er nicht mehr weiterwusste, dachte er an die stürmischen Böen die er schon als Kind in den Ferien immer so geliebt hatte. Seine Eltern hatten nie die Zeit für ihn gehabt, aber seine Großeltern hatten sie sich genommen. Sie waren es, mit denen er die Sommerferien meist in einem Zelt irgendwo am Meer verbracht hatte. Sie waren es auch gewesen, mit denen er Sandburgen gebaut hatte, mit denen er um die Wette geschwommen war und von denen er die Leidenschaft für das Kochen geerbt hatte.

Marco sah nach draußen, sah den Wellen zu und konnte seine Großeltern lachen hören. Er sah sie mit ihm über den Sand laufen, er hörte die Stimme seines Großvaters, die ihm etwas erklärte und er konnte das Parfum seiner Großmutter reichen. Ihm blieb der Bissen im Hals stecken als er sich daran erinnerte, wie hilflos sie damals in diesem Krankenhausbett ausgesehen hatte. So klein und schutzbedürftig, dass es ihm sein Herz gebrochen hatte. Und als sie starb, lebte sein Großvater noch genau einen Monat, bevor auch er im gleichen Krankenhaus sein Leben aushauchte. Seither war Marco nicht mehr dort gewesen. Er verband dieses Krankenhaus einfach mit dem Tod und nicht mit etwas so freudigem wie einer Geburt. Als Stefan ihn gebeten hatte, sich seinen neugeborenen Sohn anzusehen, hatte Marco abgelehnt. Ihm war bewusst, das es unhöflich gewesen war, aber er hatte abgelehnt, weil er es nicht schaffte einen Fuß über diese Schwelle zu setzen, ohne das die Narbe an seinem Herz zu schmerzen begann.

So wie jetzt, in diesem Moment. Ein ganz seltsames Gefühl überkam ihn und auch wenn er sich vor der Klingel erschreckte, war er froh, das seine Gedanken unterbrochen worden waren.

Langsam stellte er den Teller mit den Essensresten ab, sah noch einmal aus dem Fenster und wartete, ob er sich das Geräusch nur eingebildet hatte. Als es das zweite Mal klingelte, sprang er vom Tisch auf an dem er gesessen hatte und rannte durch die Eingangshalle zur Haustür.

„Entschuldige bitte, aber ich bin angewiesen worden hier kurz nach dem Rechten zu sehen. Alles okay bei dir?“, fragte eine fremde Stimme und Marco nickte.

„Hier ist alles in Ordnung. Darf ich fragen wer du bist?“

„Oh, Entschuldigung. Ich bin derjenige, der heute Morgen den Strom und das Wasser wieder angestellt hat. Ich dachte, wenn etwas nicht funktionieren würde, wäre das inzwischen aufgefallen.“

„Ich habe mir gerade was zu essen gemacht. Dabei habe ich Wasser und Strom benutzt, beides hat funktioniert. Also gehe ich davon aus, das beides ansonsten auch funktioniert.“

„Freut mich zu hören. Ich war mir, ehrlich gesagt, nicht ganz so sicher.“

„Sind denn die Leitungen marode?“, wollte Marco wissen und sein Gegenüber lächelte verlegen.

„Nein. Natürlich nicht. Im Gegenteil, die sind sogar recht neu. Wenn ich mich recht erinnere dann hat mein Onkel die erst vor etwa 5 oder 6 Jahren erneuert. Damals hatte sich der Mieter beschwert, es kämen Geräusche aus den Rohren. Also hat man sie ausgetauscht.“

Marco hob überrascht die Augenbrauen „Das war sicher nicht ganz preiswert.“

„Na ja, wenn ich mich recht erinnere, dann hat das den Eigentümer nicht sonderlich belastet. Der ist einfach nur froh wenn er seine Ruhe hat und dieses Haus bewohnt ist.“

„Sag mal“, Marco trat einen Schritt zurück und signalisierte dem Besucher das er eintreten könnte „Weißt du etwas über die Familie die hier ums Leben gekommen sein soll?“

„Vom Hörensagen und einigen gruseligen Geschichten die sich die Dorfbewohner erzählen. Du kannst dir denken das da nicht alles der Wahrheit entspricht.“

„Ich weiß nur so viel“, begann Marco „Das der Typ, also der Familienvater, hier ausgeflippt sein soll und seine ganze Familie umgebracht hat, bevor er sich selbst erschossen hat.“

Der Mann, etwa in Marcos Alter, senkte den Blick und dachte für einige Minuten nach, dann nickte er.

„Ja. So ungefähr könnte man es übersetzen.“

„Übersetzen?“

„Na ja“, grinste er jetzt „Wenn man es Kindern oder Jugendlichen erzählt, dann hat das wohl noch einen anderen Hintergrund. Es soll ja ein bisschen erzieherisch wirken.“

„Es wird immer undurchsichtiger. Wenn du ein bisschen Zeit hast, wäre ich dir wirklich dankbar wenn du mir ein wenig mehr über diese Geschichte erzählen würdest. Das Internet ergießt sich in Ungereimtheiten und ehrlich gesagt, ich habe auch nicht wirklich nachgeforscht. Es war mir ziemlich egal, was hier vor einer Ewigkeit geschehen ist. Spuren davon habe ich auch nicht mehr gefunden, also, was soll es. Ich schätze, es gibt noch mehr Häuser in denen Verbrechen stattgefunden haben, ohne das der Nächste auch nur irgendetwas davon mitbekommt.“

„In unserem Land muss das nur durch den Hinweis gekennzeichnet werden, das man sich selbst über das Internet über die angegebene Adresse erkundigen soll“, antwortete der seltsame Besucher und wischte sich die Schuhe an einer alten und recht ausgetretenen Matte ab.

„Hättest du einen Kaffee für mich?“, fragte der Fremde und streckte die Hand aus „Mein Name ist übrigens Hendrik. Wenn ich dir was über dieses Haus hier erzählen soll, dann brauche ich vorher dringend einen Kaffee“, ergänzte er seine Frage und Marco nickte.

„Den werden wir wohl finden. Bisher habe ich jedenfalls noch alles gefunden was ich hier drinnen gesucht habe.“

„Man“, knurrte Hendrik „Ich bin jedes Mal wieder erstaunt wie groß diese Eingangshalle ist. Darin könntest du bequem ein Einfamilienhaus aufbauen. Darf ich fragen, ob du die Hütte hier für private Zwecke nutzen möchtest?“

„Du solltest mit deiner Wortwahl vorsichtiger sein“, grinste Marco und erzählte von der Reaktion des Maklers, als er das Wort Hütte gebraucht hatte.

„Kann ich mir vorstellen“, grinste Hendrik. Für die Dorfbewohner ist es noch immer das Schlösschen, da ist von Hütte keine Rede“.

„Es erinnert ja mit seinen Türmchen und Erkern auch eher an ein Schloss als an eine heruntergekommene Hütte. Von daher kann ich die Reaktionen verstehen und es war auch nicht so gemeint, wie er es aufgefasst hat“, gab Marco von sich „Aber er war doch ein wenig pikiert, wenn ich es mal so ausdrücken darf.“

Jetzt ging er durch die Eingangshalle, vorbei an den geschlossenen Türen der anderen Räume und betrat die Küche.

„Setz dich bitte, der Kaffee kommt gleich.“

Hendrik setzte sich an den Küchentisch und sah aus dem Fenster, wie Marco es zuvor auch schon getan hatte.

„Ich bin jedes Mal völlig überwältigt von dieser Aussicht“, flüsterte er und Marco musste nicht einmal hinsehen, wovon er sprach.

„Das ist wirklich atemberaubend“, antwortete er stattdessen „Ich kann mich auch kaum daran sattsehen. Ich schätze, das dieser Fensterplatz wohl zu sowas wie meinem Lieblingsplatz gehören wird.“

„Du hast echt vor den Bunker hier zu kaufen? Nichts für ungut, aber wenn du hier nicht gerade eine Fußballmannschaft unterbringen willst, finde ich diesen Klotz hier einfach viel zu groß. Darin kann man sich verlaufen.“

„Mein Geschäftspartner und ich haben schon öfter überlegt eine zweite Filiale zu eröffnen. Dafür wäre dieses Gebäude wie geschaffen. Zumindest auf den ersten Blick. Ob ich in ein paar Tagen noch genau so darüber denke wird sich zeigen. Irgendwie bin ich dem jetzigen Eigentümer dankbar, das er mir die Möglichkeit gibt die Zeit hier zu verbringen.“

„An und für sich ist das ein tolles Haus. Außerdem ist es in einem guten Zustand. Wenn man es ablehnen würde, dann entweder wegen der Alleinlage, oder aber wegen der Vorgeschichte.“

Marco stellte die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit vor Hendrik ab und stellte seine auf die andere Seite des Tisches.

„Ich war mir nicht sicher ob ich geahnte habe das es dieses Haus hier betrifft, aber ich habe gelesen das es hier in der Gegend einen Familienvater gegeben haben soll, der aus finanziellen Problemen heraus zuerst seine ganze Familie und dann sich selbst umgebracht haben soll“, begann Marco und Hendrik trank einen Schluck aus seinem Kaffeebecher.

„Ich war damals noch ganz klein. Erst ein paar Monate alt“, begann Hendrik „Aber ich kann mich gut an die Geschichten erinnern, die hier noch im Umlauf sind. Dabei ist nicht die Rede von finanziellen Problemen, wie es in der Presse hieß, sondern von Eheproblemen. Seine Frau soll einen Liebhaber gehabt haben und ihn nach Strich und Faden betrogen haben. Irgendwann soll ihn seine älteste Tochter darauf angesprochen haben, wie lange er sich noch zum Idioten machen lässt. Jedenfalls schien jeder im Dorf darauf zu warten das es bei denen knallt, bis es schließlich so weit war. Aber er hat sich nicht damit zufrieden gegeben, nur seine Frau um die Ecke zu bringen, sondern hat auch seinen Kindern das Leben genommen, damit sie nicht herumerzählen können, was für ein Weichei er war und was er sich hat alles bieten lassen. Na ja. Die Kinder, so sagt man wenigstens, haben sich das nicht gefallen lassen und spuken seitdem durch das Haus.“

„Spukende Kinder?“, grinste Marco kopfschüttelnd „Womöglich mit Kettengerassel und Betttuch?“

„Ich kann dir nur das sagen, was hier an Geschichten im Umlauf ist, aber ein bisschen mehr als Bettlaken und Kettenrasseln sollen die schon drauf haben. Einen Bewohner haben sie, nach knapp vier Wochen die er im Haus gelebt haben soll, aus dem obersten Fenster des Nordturmes springen lassen.“

„Springen lassen?“

„Zumindest hat es so ausgesehen“, antwortete Hendrik „Der Gerichtsmediziner sagte damals, er könne nicht feststellen das es kein Suizid gewesen wäre. Und genau so sahen auch all die anderen aus. Als wäre es Selbstmord gewesen. Fremdverschulden, wie es so schön heißt, käme gar nicht in Betracht.“

„Und es war immer hier in dem Haus?“, wollte Marco wissen und Hendrik wirkte etwas verunsichert, bevor er nickte.

„Die Menschen im Dorf reden nur immer »vom Haus«, verstehst du? Ich bin mir nie ganz sicher, über welches Gebäude sie sprechen und wenn du nachfragst, dann kriegst du so schwammige Antworten, da könnte es das ganze Dorf gewesen sein“, gab er schnaubend von sich „Nicht einmal mein Vater sagt mir mehr darüber. Manchmal habe ich gedacht, die haben sich abgesprochen. Das ganze Dorf muss sich getroffen haben und sich tatsächlich abgesprochen haben, was sie in Zukunft erzählen werden“, machte er weiter „Natürlich hat sich nicht jeder daran gehalten, aber im großen und ganzen hören sich die Geschichten ähnlich an.“

„Ich bin mir jedenfalls sicher, das ich hier in den nächsten Tagen übernachten werde. Mit ein bisschen Glück habe ich dann wenigstens etwas zu erzählen.“

„Wenn du noch erzählen kannst“, gab Hendrik zurück „Darf ich dich daran erinnern das hier meist männliche Personen in den Selbstmord getrieben wurden?“

„Ja. Daran brauchst du mich nicht erinnern. Aber ich habe keine Angst vor irgendwelchen Geistern. Und schon gar nicht vor den Geistern von Kindern.“

„Ich schätze, das haben sie auch alle gesagt.“

Marco nickte erneut „Ja, das denke ich auch. Was glaubst du? Sollte ich es besser lassen, oder kann ich es riskieren?“

Hendrik sah sich kurz um und dann wieder auf Marco.

„Würdest du mir das ganze Haus zeigen? Ich bin bisher nie weiter als hierher gekommen. Ich kann dir zwar ungefähr sagen wo die Rohre verlaufen, aber ansonsten habe ich hier noch nichts gesehen.

---ENDE DER LESEPROBE---