Komm mir bloß nicht zu nahe - Nasha Berend - E-Book

Komm mir bloß nicht zu nahe E-Book

Nasha Berend

0,0
3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Alexander und Florian sind seit Jahren ein Paar. Sie sind aber nicht nur privat zusammen, sondern führen auch ein kleines Unternehmen gemeinsam und mit großem Erfolg. Das Ganze könnte so harmonisch sein, wenn da nicht Florians Gewaltbereitschaft wäre, die Alexander mehrfach schon am eigenen Leib erfahren hat. Ein paar Mal lag er deshalb schon im Krankenhaus, war aber seiner Meinung nach unfähig ein Leben ohne seinen Partner zu führen. Aber ein Mal geht Florian zu weit. Alexander zieht einen Schlussstrich unter die Beziehung und fängt ein völlig neues Leben an. Er glaubt fest daran, der Hölle endlich davongekommen zu sein, aber selbst als er eine geeignete Bleibe findet und Florian gerne aus seinem Gedächtnis streichen würde, ist irgendetwas nicht in Ordnung. Von Frieden und Ruhe kann noch keine Rede sein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Beziehungen
Gesichter
Zimmergenossen
Aussagen
Vier Wochen noch
Jaqueline
Fliegen lernen
Manolo
Ein neues Kapitel
Luca
Umzug
Unvorhersehbar
Hilfe!
Gespräche
Verdachtsmomente
Ein bisschen Magie
Der in Schwarz gekleidete Mann
Brüder
Jonathan
Alexander
Gäste
Geständnisse
Glücklich sein

Wortzähler: 66523

 

 

 

 

 

 

 

Komm mir bloß nicht zu nahe

Bleib wo du bist

 

 

 

 

 

 

 

von

 

Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

Nasha Berend

 

Über das Buch

 

Alexander und Florian sind seit Jahren ein Paar. Sie sind aber nicht nur privat zusammen, sondern führen auch ein kleines Unternehmen gemeinsam und mit großem Erfolg. Das Ganze könnte so harmonisch sein, wenn da nicht Florians Gewaltbereitschaft wäre, die Alexander mehrfach schon am eigenen Leib erfahren hat. Ein paar Mal lag er deshalb schon im Krankenhaus, war aber seiner Meinung nach unfähig ein Leben ohne seinen Partner zu führen.

Aber ein Mal geht Florian zu weit. Alexander zieht einen Schlussstrich unter die Beziehung und fängt ein völlig neues Leben an. Er glaubt fest daran, der Hölle endlich davongekommen zu sein, aber selbst als er eine geeignete Bleibe findet und Florian gerne aus seinem Gedächtnis streichen würde, ist irgendetwas nicht in Ordnung. Von Frieden und Ruhe kann noch keine Rede sein. Gardelegen

[email protected]

 

Beziehungen

Mit wütendem Blick griff er nach dem nächstbesten Gegenstand und bekam eine alte Vase zu fassen, die er vor etlichen Jahren mal von seiner Mutter geschenkt bekommen hatte. Eine Bodenvase, hässlich wie die Nacht, aber eben ein Geschenk seiner Mutter und wenn er sich nicht täuschte, dann hatte er sie zum Einzug in die neue Wohnung bekommen. Im Augenblick aber war sie einfach nur eine Waffe für ihn. Ein Gegenstand, der jemanden davon abhalten sollte sich ihm zu nähern und gewalttätig zu werden.

„Komm bloß nicht näher, das rate ich dir.“

„Was denn, DU willst mir drohen? Mach dich nicht lächerlich. Du bist doch gar nicht im Stande dich zu wehren. Dazu bist du viel zu feige.“

„Ach ja? Glaubst du?“, fragte er und fixierte ihn noch immer mit seinem Blick und mit jedem ausgesprochenen Wort wurde er wütender.

„Das glaube ich nicht nur, das weiß ich sogar. Du solltest doch wissen das wir uns nicht erst seit gestern kennen. Ich bin mir sicher das du so ein Weichei bist, das alles über sich ergehen lässt“, grinste ihn sein Gegenüber hämisch an. Er machte einen Schritt auf ihn zu und eher er wusste wie ihm geschah, spürte er einen Schlag gegen seinen Kopf und taumelte zurück. Sein Knie berührte etwas, das weiteren Schmerz verursachte und dann kippte er auch schon rücklings.

„Oh“, hörte er den zweiten Mann lachend und überzogen sagen „Hat er sich weh getan? Das ist aber schade. Soll ich ein Pflaster holen?“, fragte er dreckig lachend und trat nach ihm. Wohin war ihm wohl egal, denn er wiederholte diese Tritte und traf dabei den rechten Oberschenkel, die linke Seite der Rippen, einen gegen den Kopf und dann ging er dazu über, mit Fäusten zuzuschlagen.

Als er wieder zu sich kam, war ihm übel, ihm tat alles weh und außerdem war die Sicht stark eingeschränkt. Er war froh, das er sein Handy in der Hosentasche ertasten konnte und obwohl er so verschwommen sah, schaffte er es mit zittrigen Fingern eine Nummer zu wählen.

„Ich brauche Hilfe“, flüsterte er, als sich jemand meldete, und nannte anschließend seinen Namen und die Adresse. Kaum hatte er das getan, verlor er wieder die Besinnung und kam erst wieder zu sich, als jemand sein Gesicht berührte.

„Hallo? Hören Sie mich?“

Er stöhnte laut und öffnete die Augen.

„Ja“, hauchte er zurück.

„Wo tut es weh? Können Sie mir das sagen?“

„Überall.“

„Was ist denn passiert? Sind Sie überfallen worden?“

Er brauchte einen Augenblick, bevor er den Kopf schüttelte und dann leise antwortete „Das war mein Partner. Ich möchte bitte Anzeige erstatten. Ich habe die Nase voll von seinen Schlägen.“

„Ne komische Art seine Liebe zu zeigen“, hörte er eine Frauenstimme sagen ohne die dazugehörige Frau zu sehen und befeuchtete seine Lippen. Gerne hätte er auch geantwortet, aber sein Kiefer schmerzte so sehr, dass er besser den Mund hielt.

Er bekam mit, wie sie ihn versorgten, dann auf eine Trage hievten und in den Rettungswagen schoben. Danach fiel er in einen tiefen und dunklen Schlaf.

 

 

Gesichter

 

Das nächste Mal, das er die Augen öffnete war er verwundert. Weshalb bekam er sein linkes Auge nicht auf? Warum konnte er sein rechtes Bein nicht bewegen und weshalb hatte er das Gefühl als würde seine rechte Hand irgendwie in weiter Ferne sein, über ihm schweben? Er drehte den Kopf und hielt die Luft an, was wiederum schmerzte. Er hüstelte ein wenig und zuckte zusammen, als eine Stimme etwas von ihm wissen wollte.

„Na? Auch wieder unter den Lebenden?“

Er versuchte, sich zu drehen, und bemerkte erst jetzt das einer Art Gipsschale steckte und sein rechter Arm ebenfalls bewegungsunfähig war. Das linke Auge war abgeklebt und ansonsten bot er wohl einen jämmerlichen Anblick.

„Mein lieber Mann, du hattest wohl einen Unfall“, hörte er die Stimme wieder sagen und verneinte.

„Eine liebevolle Auseinandersetzung“, flüsterte er und räusperte sich. Noch bevor er etwas sagen konnte, war sein Zimmernachbar aufgestanden und an sein Bett getreten.

„Durst?“

„Und wie.“

„Die Schwester sagte vorhin, wenn du wach wirst, hättest du wahrscheinlich elendigen Durst. Stimmt das? Möchtest du was trinken?“

„Ich bin am Verdursten.“

„Hier“, bekam er zur Antwort und sah etwas verschwommen ein Glas vor seinem Auge auftauchen „Großer Gott, du siehst aus als wärst du unter eine Dampfwalze geraten. Was sagtest du gerade? Liebevolle Auseinandersetzung? Meine Güte. Dann möchte ich nicht wissen, wie du aussehen würdest, wenn sie nicht mehr so liebevoll gewesen wäre. Ich bin übrigens der Paul. Mich hat vor ein paar Tagen ein Autofahrer erwischt, aber ich bin auf dem aufsteigenden Ast.“

„Autsch“, gab der Fremde vor ihm im Krankenhausbett von sich und verzog das Gesicht „Ein Auto? War bestimmt nicht so toll.“

„Im Gegensatz zu dir war ich aber nur halb so lädiert.“

„Mein Auge“, flüsterte der Fremde und Paul räusperte sich.

„Ich klingel nach den Schwestern, okay? Vielleicht können die dir schon ein bisschen mehr sagen und wenn nicht, dann wissen die wahrscheinlich nur zu gut, wo dein behandelnder Arzt ist.“

Die Gesundheitspflegerin erschien an seinem Bett, noch bevor er zugestimmt hatte.

„Na, da ist er ja, unser Neuzugang. Alles klar?“

„Nee“, antwortete der Bettnachbar für ihn „Ihr solltet ihn wohl mal darüber aufklären was ihr so alles mit ihm angestellt habt.“

„Wenn ich Sie befragen möchte, dann tue ich das Paul, aber jetzt gilt meine Aufmerksamkeit zuerst einmal diesem Patienten hier, okay? Es war vorhin übrigens jemand auf der Station und hat nach Ihnen gefragt. Er hat Blumen dagelassen und hat uns gebeten ihn anzurufen wenn Sie wach sind. Soll ich das tun?“, fragte sie und zog eine Visitenkarte aus einer ihrer Hosentaschen. Trotz der Sehschwäche erkannte er die kleine Pappkarte und schüttelte den Kopf.

„Bitte nicht.“

„Ich soll ihm nicht sagen das sie wieder wach sind?“, fragte die junge Frau und sah den Patienten den Kopf schütteln, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel.

„Bitte nicht“, wiederholte er und hob die freie Hand, die zwar einige blaue Flecken aufwies, aber ansonsten unversehrt war „Er war das“, murmelte er und sein Bettnachbar und die Pflegerin hielten die Luft an.

„Was?“, fragte der Nachbar überrascht „Der war hier?“

„Ich hole den Arzt“, flüsterte die junge Frau und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

„Dich hat wirklich jemand verprügelt?“, fragte Paul jetzt und schüttelte den Kopf „Meine Fresse, das würde ich mir nicht bieten lassen“, machte er weiter ohne eine Antwort erhalten zu haben.

„Ich auch nicht mehr. Es reicht“, hörte er den Bettnachbarn flüstern, bevor Ruhe eintrat. Er war wohl wieder eingeschlafen und Paul schnaubte.

„Dem hätte ich gezeigt wo der Hammer hängt, darauf kannst du dich verlassen“, flüsterte er und wählte die Nummer seiner Freundin, um ihr von dem Neuzugang zu erzählen und von den Andeutungen, die er sich zusammengereimt hatte. Das er auf dem völlig falschen Dampfer war, bekam er erst Stunden später mit, als der behandelnde Arzt sich mit seinem Patienten über die Verletzungen unterhielt.

„Ich muss gestehen“, gab der Mediziner von sich und setzte sich auf die Bettkante des Mannes, mit dem er redete „Das ich solche Verletzungen nur von Frauen kenne. Entschuldigen Sie das ich das ausspreche, aber Männer sind meist diejenigen die austeilen und nur sehr selten die, die einstecken.“

„Das ist mir bewusst. Deshalb habe ich so lange geschwiegen. Ich schäme mich einfach, verstehen Sie?“, fragte Pauls Bettnachbar leise und mit brüchiger Stimme und der Arzt nickte.

„Ja, das kann ich durchaus verstehen, aber ich bin froh das Sie sich jetzt dazu entschieden haben und werde alles Erdenkliche dafür tun das Sie, zumindest solange Sie hier bei uns sind, nichts zu befürchten haben.“

Der Mediziner erhob sich und Paul tat, als hätte er nichts mitbekommen. Er vertiefte sich so schnell er konnte in seine Lektüre. Der Arzt lächelte, trat zwischen die beiden Betten und zupfte unsanft an der Illustrierten, in der Paul angeblich las.

„Andersherum würde es einfacher“, grinste der Arzt, nahm Paul die Zeitschrift aus den Händen und drehte sie ein Mal, bevor er sie dem Patienten reichte. Er zwinkerte ihm zu.

„Ihnen ist schon klar das alles, was hier in den Zimmern gesprochen wird unter die Schweigepflicht fällt, oder?“, fragte er Paul, der entrüstet die Augen öffnete und dann nickte.

„Ja natürlich. Was glauben Sie denn?“

„Das hier die Wände Ohren haben und man so manches aufschnappt, das nicht für einen bestimmt ist. Ich kann mich doch auf Ihre Diskretion verlassen, Paul, oder muss ich ihn in ein Einzelzimmer verlegen?“

„Nein, nein, das müssen Sie nicht. Das, das ..“, stammelte Paul „Ist doch selbstverständlich.“

„Das denke ich doch auch, schließlich haben wir die Hoffnung das Sie ein wenig auf ihn achten würden.“

„Natürlich tue ich das, darauf können Sie sich verlassen, Herr Doktor. Ich werde jeden vertreiben der sich ihm nähert. Könnten Sie mir vielleicht eine Frage beantworten? Immer, wenn ich ihn selbst fragen möchte, schläft er mir vorher ein“, lächelte Paul gequält und der Arzt steckte beide Hände in die Kitteltaschen des makellos weißen Kittels.

„Sie wissen doch das ich unter Schweigepflicht stehe. Ich darf Ihnen überhaupt nichts sagen.“

„Ich möchte doch nur wissen wie er heißt.“

Der Arzt starrte den Mann im Bett an, der so unschuldig wirkte, das er grinsend den Blick senkte.

„Nachnamen sollten Sie unter sich austauschen, aber ich kann Ihnen sagen das der Mann hier neben Ihnen Alexander mit Vornamen heißt. Alles weitere fragen Sie ihn bitte selbst, in Ordnung?“, wollte er wissen und Paul nickte heftig.

So heftig, dass er plötzlich stöhnte „Aua.“

„Die kleinen Sünden“, grinste der Mediziner und zwinkerte dem Patienten zu „Bestraft der liebe Gott sofort. Nehmen Sie Rücksicht auf ihre eigenen Blessuren. Die waren auch nicht von schlechten Eltern.“

„Ach, wem sagen Sie das?“, wollte Paul wissen und warf einen Blick auf den schon wieder schlafenden Mann im anderen Bett „Aber im Gegensatz zu ihm war das ja Pillepalle, oder nicht?“

Der Arzt hob die Schultern und schüttelte den Kopf. Er schwieg, aber das alleine reichte Paul schon aus. Er presste die Lippen zusammen und sank auf das Kissen zurück.

„Liebevolle Auseinandersetzung, hat er gesagt“, machte Paul weiter „Aber das klang irgendwie nicht ehrlich. Da war noch mehr in seiner Stimme.“

„Wenn er Ihnen das erzählen möchte, dann soll er das tun, aber von mir werden Sie nichts weiter erfahren. Ich muss jetzt auch wieder“, erklärte der Mediziner und winkte Paul zu, bevor er das Zimmer verließ. Als die Tür ins Schloss fiel, stöhnte Alexander laut auf.

Paul hielt die Luft an und horchte, aber sein Zimmernachbar war wieder eingeschlafen. Ein wenig enttäuscht schloss auch Paul die Augen und war innerhalb kürzester Zeit ebenfalls im Reich der Träume. Paul erwachte, als er die Zimmertür hörte und blinzelte in das Deckenlicht des Zimmers. Er hörte eine tiefe und dunkle Stimme und identifizierte sie sofort als die von Dr. Ingo Sommer. Ohne hinzusehen grinste er und drehte den Kopf in Richtung Fenster, also weg vom Geschehen.

„Ich denke, er ist jetzt so weit das er mit der Polizei sprechen kann. Würdet ihr die Beamten bitte informieren?“, hörte er den Arzt flüstern und hörte eine Schwester etwas antworten, bevor erneut die Zimmertür geöffnet und geschlossen wurde.

„Herr ...“, flüsterte der Arzt „Es tut mir leid das ..“, konnte Paul noch verstehen, der Rest ging in ein Murmeln über. So sehr er sich auch bemühte, er verstand weder die beiden Ärzte, die an Alexanders Bett standen, noch die Pflegerinnen die miteinander flüsterten.

Er konnte sich gerade noch beherrschen sie zu bitten etwas lauter zu sprechen. Stattdessen nahm er sein Smartphone aus dem Nachtschränkchen und steckte sich die passenden Kopfhörer dazu in die Ohren. Wenn er schon nichts verstand, dann wollte er auch nichts hören. Trotzdem bekam er mit das man seinen Bettnachbarn, mitsamt des Bettes, aus dem Zimmer schob und eine der Pflegerinnen das Licht über dem jetzt fehlenden Bett löschte. Dann war es wieder leer um ihn herum und Paul regelte die Musiklautstärke, bis er sie fast nicht mehr hören konnte. Er wählte erneut die Nummer seiner Freundin und wartete, bis die sich meldete.

„Sag mal“, begann er „Was stellst du dir unter einer liebevollen Auseinandersetzung vor?“, wollte er wissen und hörte sie lachen. Etwa zehn Minuten sprachen sie miteinander, ohne sich einig zu werden. Fast hätten sie sogar gestritten, sie konnten es gerade noch verhindern.

Als Paul aufgelegt hatte und sich ins Kissen zurücksinken ließ, tauchten einige Gesichter vor ihm auf, die er nicht alle identifizieren konnte. Ein paar davon gehörten zu alten Klassenkameraden, von denen er die meisten schon länger nicht mehr gesehen hatte, andere zeigten deutlich ein paar Arbeitskollegen, von denen er viele nicht einmal mit Namen kannte und wieder andere Gesichter sah er jeden Morgen auf dem Weg von zuhause zur Arbeitsstelle. Natürlich konnte er sich nicht an jeden Einzelnen erinnern, aber an viele. Was ihn in diesem Moment irritierte, war die Tatsache, weshalb er gerade jetzt an diese Menschen denken musste. Weshalb hatte er ausgerechnet jetzt so viele ihrer Gesichter vor den Augen?

 

 

 

 

Zimmergenossen

 

Zwei Tage und zwei Nächte später ging es Alexander besser. Er schlief zwar noch recht viel, hatte aber genauso viele wache Momente. Inzwischen hatte er sich bei Paul mit Namen vorgestellt und konnte auch wieder alleine nach seinem Trinken greifen. Beim Essen half ihm eine Pflegerin, aber wenigstens war er gesprächiger und besser gelaunt.

Gerade eben hatte man Paul mitgeteilt, das er am Wochenende nach Hause dürfe, und der hatte sich, nach einem Blick auf Alexander, plötzlich den Oberarm gehalten „Aber ich habe doch noch Schmerzen, Herr Doktor. Ist es denn ratsam mich nach Hause zu lassen?“

Der Mediziner hob leicht verwirrt die Augenbrauen an „Ich gebe zu, das ist mir in meiner Laufbahn noch nicht passiert“, begann er grinsend und musterte Paul „Die meisten Patienten sind froh wenn man sie nach Hause entlässt und Sie würden gerne noch bleiben? Gefällt es Ihnen bei uns so gut?“

Paul räusperte sich und befeuchtete die trockenen Lippen „Ich würde schon gerne nach Hause gehen, aber“, begann er und senkte den Blick. Eine der Pflegerinnen trat dicht an den Arzt heran und flüsterte ihm etwas zu, was den Mediziner zuhören und schließlich nicken ließ. Sie alle hatten mitbekommen, wie sehr Paul sich um Alexanders Gesundheit bemühte und wie sehr er versuchte, ihm zu helfen, wo immer er ihm helfen konnte.

„Na ja“, antwortete der Arzt schließlich „An mir soll es nicht liegen. Wir könnten Sie natürlich schon noch hier behalten, damit Sie sich von Ihrem Unfall erholen, keine Frage. Nun gut, dann würde ich vorschlagen Sie bleiben noch bis nach dem Wochenende und wir entlassen Sie am Dienstag. Sind alle damit einverstanden?“, wollte er wissen und sah sich fragend um. Ein paar Kollegen grinsten und nickten, anderen sah man an ihren Mienen an das sie das Ganze missbilligend hinnahmen. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir jedem Patienten einen Wunsch erfüllen würden?

„Gut“, antwortete Paul fast schon ein wenig zu begeistert und als er die Augen der anderen Ärzte spürte, griff er sich eiligst wieder an den Arm und verzog sein Gesicht, als hätte er Schmerzen.

„Und bei Ihnen?“, fragte der Arzt jetzt und wendete sich an Alexander, der sich redliche bemühte, sich nicht anmerken zu lassen das er dringend zur Toilette gemusst hätte „Haben Sie auch einen Wunsch zwecks Ihrer Entlassung?“

Alexander hüstelte und schüttelte den Kopf „Nein. Nichts dergleichen, obwohl ich zugeben muss am liebsten heute statt morgen.“

„Wer nicht?“, wollte der Arzt wissen und sah über die Schulter eines Kollegen auf die elektronische Akte, die dieser gerade auf einem Tablet aufgerufen hatte.

„Wie ich sehe, scheint die Fraktur am Bein recht gut zu verheilen, aber der Arm“, begann er und geriet ins Stocken. Hektisch wischte er auf dem dünnen Tablet-Computer herum und biss sich dabei auf die Innenseite seiner Wange.

„Haben Sie Schmerzen?“, wollte er wissen und Alexander presste die Lippen aufeinander.

„Nein. Schmerzen würde ich das nicht nennen, aber manchmal habe ich das Gefühl als würde ein Fremdkörper den Arm entlanglaufen und zwar immer von oben nach unten, verstehen Sie?“

„Das war nicht einfach nur eine Fraktur, sondern auch noch eine tiefe Schnittwunde, von der sie nicht wissen woher Sie die haben, richtig?“

Alexander nickte mit gesenktem Kopf. Nein. Er konnte sich beim besten Willen nicht an ein Messer oder Ähnliches erinnern, mit dem er angegriffen worden war, wohl aber an heftige Tritte in massiven Schuhen.

„Ich weiß wirklich nicht woher ich diese Schnittwunde habe“, antwortete er wahrheitsgemäß und eine der Pflegerinnen schaltete sich ein. Sie räusperte sich und trat erneut nah an den Mediziner heran. Der beugte sich zu ihr und ließ sie reden. Ein paar Mal nickte er und hob schließlich erstaunt die Augenbrauen.

„Wirklich?“, wollte er wissen und holte tief Luft „Unser Labor hat seine Kompetenzen wohl ein bisschen sehr weit gedehnt, warum auch immer, aber sie haben herausgefunden das die Schnittwunde wohl von Scherben stammt. Eventuell“, begann der Arzt und sah die Pflegerin an, die jetzt das Wort ergriff.

„Eventuell von einer Vase, oder etwas ähnlichem.“

„Vase“, flüsterte Alexander und nickte schließlich „Ich kann mich erinnern. Ich habe nach einer Vase gegriffen um mich zu verteidigen, aber ich war wie gelähmt.“

Der Mediziner schluckte „Es könnten also wirklich Scherben gewesen sein, die diese Wunden verursacht haben?“

Alexander nickte „Könnte sein. Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. An viel kann ich mich nicht erinnern, sorry.“

Der Arzt wehrte mit den Händen die Worte ab „Das ist für uns auch nicht wichtig, vielleicht aber für Sie. Sollen wir Ihnen einen Psychologen zur Seite stellen?“

„Nein“, schüttelte Alexander sofort den Kopf „Alles, bloß das nicht. War schon peinlich genug das alles der Polizei zu erzählen. Noch jemandem davon zu erzählen muss nicht unbedingt sein.“

„Okay“, gab der Arzt zu und holte tief Luft „Wenn sonst niemand eine Frage hat, dann würden wir uns gerne bis morgen verabschieden“, erklärte er, winkte ihnen zum Abschied noch einmal zu und verschwand dann, als wäre er nie bei ihnen gewesen. Alexander wirkte genauso erleichtert wie sein Bettnachbar Paul.

Etwa eine halbe Stunde später hörten die Ärzte, die ihre Visite beendet hatten, Gelächter aus dem Zimmer. Der junge Mediziner, der beide Männer betreute, grinste.

„Ich glaube, dieser Paul hatte nicht ganz Unrecht. Ich bin froh das er sich so gut mit diesem Alexander versteht. Das gibt dem Mann vielleicht ein bisschen was vom Glauben an die Menschheit zurück. Der ist doch auch nicht das erste Mal bei uns, oder? Hatte der nicht vor zwei Jahren einen schlimmen Unfall? Ich meine mich dunkel daran erinnern zu können das ich ihn schon mal gesehen habe.“

Ein weiterer Arzt nickte „Ja. Er war schon mindestens zwei Mal hier. Einmal hatte er einen gebrochenen Arm und ein paar böse Platzwunden am Kopf und den Schultern, ein anderes Mal hatte er zwei Veilchen das sich gewaschen hatte und“, sagte der und senkte den Blick und die Lautstärke seiner Stimme „Ein paar Rippen gebrochen und seine Hoden waren durch Tritte ziemlich bunt, wenn ihr wisst, was ich meine.“

„Autsch“, erklärte ein Assistenzarzt und griff sich unwillkürlich zwischen die Beine, während er das Gesicht verzog. Ein Kollege tat das Gleiche. Der behandelnde Arzt nickte.

„Richtig. Ich kann mich daran erinnern. Die gebrochenen Rippen und die beiden blauen Augen. Stimmt. Das hatte ich völlig vergessen. Und dann machten natürlich die, verzeiht wenn ich das jetzt so salopp ausdrücke, aber die Ostereier machten natürlich auch die Runde. Irgendjemand stellte damals schon die Vermutung auf das es sich bei den Verletzungen um häusliche Gewalt handeln könnte, aber solange das Opfer nicht die Initiative ergreift, kann man nicht wirklich was dagegen unternehmen.“

Sie wussten nicht, dass im gleichen Augenblick Alexander zögerlich damit begonnen hatte seinem Zimmergenossen seine Geschichte zu erzählen. Bisher hatte er es vermieden, auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, aber nach der letzten Attacke, war bei ihm einfach ein Knoten geplatzt. Jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. Vielleicht lag es aber zum Teil auch daran, dass Paul einfach nur zuhörte und kaum Fragen stellte. Und wenn er doch mal etwas wissen wollte, dann war es meist so banal, das Alexander einige Male fast gelacht hätte. Trotzdem hatte er den Eindruck, das er das Interesse nicht heuchelte.

Nach etwa einer Stunde sank Paul in die Kissen zurück und schloss die Augen. Alles, was er noch von sich geben konnte, war ein zischender Laut, als er die angestaute Luft aus der Lunge ausstieß.

„Und als er mir da vor ein paar Tagen gegen den Kopf trat, da dachte ich, mein letztes Stündlein hat geschlagen. Ich hätte wirklich nicht vermutet, das ich es überlebe. Das mein Bein und mein Arm so viel abbekommen haben, das habe ich gar nicht geschnallt. Alles, was ich im Kopf hatte war, ihm einfach diese dämliche Vase nachzuwerfen und somit alles zu beenden. In meiner Vorstellung hat diese Bodenvase ihn nicht einfach nur von den Füßen geholt, nein, sie hat ihn zu Fall gebracht und ihm gleichzeitig den Schädel zertrümmert“, erklärte Alexander und schloss seine Augen. Paul konnte ihn nicht sehen, aber er hörte die Tränen in seiner Stimme.

Für etwa fünf Minuten herrschte absolute Stille im Zimmer, dann zog Alexander die Nase hoch und verfluchte nicht zum ersten Mal den unbeweglichen rechten Arm. Plötzlich hörte Paul ihn kichern.

„Kannst du mir helfen?“

„Klar. Wobei?“, wollte er wissen und schwang schon die Beine von der Matratze.

„Könntest du mir vielleicht die Nase putzen? Ich bin scheinbar zu blöd mit einer Hand ein Taschentuch aus der Verpackung zu ziehen und ob ich es hinkriege mich damit zu schnäuzen, möchte ich auch bezweifeln.“

„Kein Thema“, grinste Paul und half ihm, ohne mit der Wimper zu zucken. Als er das Taschentuch in den Papierkorb geworfen hatte, setzte er sich zu Alexander auf die Bettkante und sah ihn an.

„Was hast du vor wenn sie dich hier entlassen?“

Alexander presste die Lippen aufeinander „Ich habe keine Ahnung. Zurück werde ich jedenfalls nicht mehr gehen, das ist eines was sicher ist. Dieses Mal hat er es übertrieben.“

„Und jobmäßig?“

Alexander seufzte. Sie hatten ihm zwar den Augenverband entfernt, aber öffnen konnte er das Auge trotzdem nicht. Es war noch viel zu angeschwollen.

„Die Polizei hat mir den Vorschlag gemacht mich in ein Programm zu stecken, damit er mich nicht so schnell findet wenn ich nicht zurückgehe, aber ich bin mir nicht sicher ob ich einsteigen soll.“

„Wäre das nichts für dich?“, wollte Paul wissen und sah Alexander an. Im gleichen Augenblick hatte er wieder alle Gesichter vor sich, die sein Leben begleiteten. Angefangen von Familie, über Freunde, bekannte und Verwandte, Arbeitskollegen, bis hin zu denjenigen, denen er seit Jahren morgens begegnete. Die allermeisten dieser Gesichter wären dann verschwunden. Er würde sie nicht mehr sehen. Niemals mehr. Keine Eltern, keine Großeltern und erst Recht keine Freunde, Bekannte und andere Verwandtschaft mehr. Nicht einmal die Fremden würde er wiedersehen, wenn sie ihn fortbringen würden, damit er ein neues Leben beginnen könnte. Irgendwo in weiter Ferne.

„Ich bin mir nicht sicher“, erklärte Alexander und griff mit der freien Hand nach dem Glas auf seinem Nachttisch.

„Hätte ich ihm damit nicht aber, wie soll ich sagen, Recht gegeben?“

„Wie meinst du das?“

„Na ja. Er tut mir weh und ich gehe. Ist es nicht eher so ER gehen sollte?“

„Meinst du wirklich er würde das tun?“

„Nee“, stieß Alexander aus und schüttelte den Kopf „Niemals. Er würde weder einsehen das er im Unrecht war als er mich geschlagen hat, noch würde er irgendwo hingehen und mich zurücklassen. Das würde ja bedeuten das er sich jemand anderen suchen müsste. Mein Gott, ich war so blöd“, stöhnte er wieder und schloss kurz die Augen. Paul wusste das er erneut mit den Tränen kämpfte und tätschelte ihm behutsam die freie Hand, die auf Alexanders Brust lag.

„Nicht doch“, gab Paul von sich und lächelte, wenn auch gequält. Er stand wieder von der Bettkante auf und ging zu seinem eigenen, auf das er sich schwerfällig fallen ließ.

Alexander wendete den Blick ab und Paul ließ ihn. Manchmal heilte sogar Schmerz und das Pauls Gefühle weh taten, das war ihm längst klar geworden. Er wartete noch eine Weile, bis er sich sicher sein konnte das Alexander wieder eingeschlafen war, dann nahm er sein Smartphone und telefonierte mit seiner Freundin.

 

 

 

 

Aussagen

 

Freitag nachmittags klopfte es an der Zimmertür. Paul saß schon wieder auf Alexanders Bett und war ebenso in das Gespräch vertieft wie sein Gegenüber.

„Ja“, rief Alexander jetzt und die Tür öffnete sich. Ein Kopf erschien.

„Herr Alexander Xandner?“, fragte eine tiefe Männerstimme und Alexander nickte.

„Wer will das wissen?“

„Mein Name ist Grantl. Ich bin hier um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Komme ich ungelegen?“

„Nein“, antwortete Paul sofort und stand auf. Er schlüpfte in ein paar bequeme Schuhe und lächelte Alexander an „Ich gehe dann mal runter. Könnte sein das Jacky in der Cafeteria auf mich wartet. Soll ich dir was mitbringen?“

„Du tust so viel für mich, das kann ich im Leben nicht wieder gutmachen, Paul“, antwortete Alexander und lächelte seinen Bettnachbarn an, der breit grinste.

„Ich werde dich bei passender Gelegenheit daran erinnern, darauf kannst du Gift nehmen“, erklärte er und verschwand mit einem Winken durch die Tür. Zwei Männer betraten das Zimmer und Alexander kämpfte gegen die Magensäure an, die sofort in seine Speiseröhre floss und sich den Weg nach oben bahnte.

„Herr Xandner“, begann einer der Männer und wollte ihm die Hand schütteln. Erst als Alexander ihm den linken Arm entgegenstreckte, bemerkten sie das der rechte Arm starr fixiert war. Ein wenig verlegen lächelte der Mann.

Zehn Minuten später hätte Alexander die größte Lust seine Anzeige zurückzuziehen. Die Fragen die ihm gestellt wurden, schienen so gar nichts mit der Tat, dem Täter und noch weniger mit ihm zu tun zu haben, dem Opfer.

„Hören Sie“, begann Alexander und versuchte krampfhaft sich ein wenig bequemer aufzusetzen „Ich wollte lediglich Anzeige erstatten. Mir ist schon klar das ich zum Tathergang befragt werde und auch das Sie einen Blick in die medizinischen Akten werfen müssen, aber so hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt. Ich werde ihn nicht noch tiefer in die Scheiße reiten, als er sowieso schon drinsteckt.“

„Wir müssen Ihnen diese Fragen stellen um uns ein Bild von dem zu machen was Sie uns am Telefon geschildert haben, Herr Xandner. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hat Ihr Partner Ihnen das angetan, oder?“

Alexander räusperte sich, schloss kurz die Augen und holte sich ein Bild vor die Augen, dann schluckte er und nickte.

„Ja. Zumindest war er bis vor ein paar Tagen mein Partner.“

Der zweite Mann, ein gewisser Meyer, setzte sich auf die Kante des Tisches an dem Paul sonst aß.

„Sie möchten ihn also wegen Körperverletzung anzeigen, sehen wir das richtig?“

„Woher soll ich das wissen? Sie machen doch den Job, oder? Sie können mir ja auch nicht sagen wie ich meinen Job machen soll.“

Dieser Meyer biss sich auf die Unterlippe und klappte die Kladde zu, in der er bis gerade eben etwas angekreuzt oder aufgeschrieben hatte.

„Sind Sie sich denn sicher“, begann er, da funkelten Alexanders Augen. Sogar das, was noch ein wenig in Mitleidenschaft gezogen war.

„Wenn Sie mich jetzt fragen ob ich nicht einen Teil Mitschuld trage, dann können Sie sich darauf gefasst machen das ich mich über Sie beschweren werde. Nein, ich habe ihn nicht provoziert bis er zugeschlagen hat. Ich wollte an dem Abend lediglich mit Freunden ausgehen und hatte mich erdreistet, sein Hemd nicht zu bügeln. Und als dann auch noch mein Smartphone geklingelt hat und ich gefragt wurde ob ich denn pünktlich wäre, da wusste ich schon das es nicht gutgehen würde. War ja nicht das erste Mal, das er ausgerastet ist. Ich habe nur nicht damit gerechnet, das er mich gleich krankenhausreif schlägt. Im Grunde hat er immer darauf geachtet nicht mein Gesicht zu treffen, ich meine, das ist ja immer so eine Sache, nicht wahr? Im Gesicht fallen Wunden nun einmal auf und manchmal kann man diese Wunden eben nicht einleuchtend erklären“, sagte Alexander und fühlte sich von diesen Beamten missverstanden.

„Es geschieht nicht oft“, antwortete jetzt der zweite Mann, der bis gerade eben noch nicht allzu viel gesagt hatte „Das wir gegen einen Mann ermitteln, der ...“, begann er und Alexander schnaubte.

„Ich weiß schon, was Sie sagen wollen“, fiel er ihm ins Wort „Sie ermitteln nicht oft bei häuslicher Gewalt wenn zwei Männer beteiligt sind, stimmts? Nun ja, vielleicht fällt es Ihnen leichter, wenn Sie sich vorstellen das ich eine Frau wäre.“

Der zweite Mann, dessen Name Alexander wahrscheinlich vergessen hatte, befeuchtete seine Lippen und holte tief Luft. Er wendete sich an seinen Kollegen.

„Wartest du bitte draußen? Ich komm gleich.“

Jetzt schnaubte dieser, warf die Kladde neben sich auf den Tisch und entfernte sich eiligst aus dem Raum. Der zweite Mann entschuldigte sich.

„Es tut mir leid wenn er Sie mit Worten verletzt haben sollte. Er ist noch nicht lange bei uns und hat noch so seine Schwierigkeiten.“

„Das gibt ihm noch lange nicht das Recht mich wie Dreck zu behandeln. Ob er jetzt mit meiner sexuellen Orientierung klar kommt oder nicht ist nicht mein Problem.“

„Das weiß ich und ich versprechen Ihnen das ich ihn mir nachher vorknöpfen werde, aber im Augenblick ist nur eines wichtiger. Sie. Würden Sie mir denn die gestellten Fragen beantworten?“

Alexander sah den Mann lange an, dann nickte er „Ja, obwohl ich nicht weiß warum ich das tun soll. Die sind absolut nutzlos.“

„Vielleicht auch nicht. Wir können aus den Antworten Rückschlüsse ziehen, die sie vielleicht nicht einmal in Betracht ziehen. Seien Sie mir nicht böse, Herr Xandner, aber lassen Sie uns unseren Job machen, wie wir auch in Ihren nicht hineinreden würden, in Ordnung?“

Alexander presste kurz die Lippen aufeinander und nickte dann.

„Okay. Fragen Sie“, murmelte er und beantwortete die Fragen fast eine dreiviertel Stunde lang. Er fühlte sich ausgelaugt als sich die Männer wieder verabschiedeten und er endlich allein im Zimmer war. Er drehte den Kopf zur Seite und ließ den Tränen einfach freien Lauf. Immer wieder holten ihn die Szenen der letzten Stunde mit seinem Partner ein und immer wieder spürte er auch die Schmerzen, die er hinterlassen hatte. Bis, ganz plötzlich, eine bleierne schwarze Decke sich über ihm ausbreitete und nichts mehr eine Rolle spielte.

Er hörte Stimmen auf dem Flur und leises Gelächter. Paul und seine Freundin kamen wohl zurück. Kaum hatte er das gedacht, riss jemand die Tür auf und trat ein.

„Meine Güte“, hörte er Paul sofort stöhnen „Die haben dich aber gründlich durch die Mangel gedreht und wollten mich gerade auch noch in irgendetwas verwickeln, aber ich habe nichts gesagt. Was auch? Ich konnte ihnen ja nur sagen wie lädiert du warst als ich dich das erste Mal gesehen habe.“

„Kommt sowieso nichts dabei raus“, murmelte Alexander und lächelte gequält in Jaquelines Richtung, die an seinem Bett stehengeblieben war. Sie war es auch, die ihm jetzt einen kleinen Becher reichte.

„Sieh mal. Wir wussten nicht was du gerne isst, also haben wir einfach das genommen, was uns am besten schmeckt.“

„Eis“, seufzte Alexander und überlegte, wann er das letzte Mal mit Freunden entspannt in einer Eisdiele gewesen war. Dankbar nahm er Jacky das kleine Töpfchen ab und biss sich auf die Zunge. Paul lachte schon, setzte sich auf Alexanders Bettkante und nahm den Becher. Mit dem kleinen gelben Plastiklöffel fütterte er Alexander mit den Eissorten, die sie für ihn geholt hatten.

„Hast du mal über meinen Vorschlag nachgedacht?“, wollte Paul wissen und sah Alexander tatsächlich nicken.

„Ich würde gerne annehmen“, antwortete er und lächelte, während er sich ein wenig geschmolzenes Eis von der Unterlippe leckte.

„Das ist gut“, hörten sie Jaqueline sagen „Weißt du schon, wann du ungefähr rauskommst?“

„Nee, ich habe keine Ahnung, aber ich schätze, in ein paar Tagen dürfte es soweit sein. Sie wollen noch abwarten bis die Schwellungen in der Nierengegend zurückgehen, na ja und wie der Rest sich eben verhält.“

„Du kannst doch alleine gar nichts machen. Dein Arm ist bandagiert und dein Bein ist nicht zu gebrauchen“, warf Jacky ein und Paul nickte.

„Dann werde ich so lange bei dir bleiben bis du wieder fit bist. Ist das für dich in Ordnung, Jacky?“

 

 

 

Vier Wochen noch

 

Alexander verdrehte die Augen und legte sich stöhnend zurück in die Kissen. Mittlerweile war er einen ganzen Monat im Krankenhaus und schon der zweite Bettnachbar hatte ihn verlassen. Er wartete jeden Moment darauf das jemand Neues zu ihm verlegt wurde, aber er genoss den stillen Augenblick, in dem er mit niemandem sprechen musste.

Jetzt, als er sich mit geschlossenen Augen zurücklehnte und die Ruhe genoss, klopfte es an der Zimmertür und jemand riss gleichzeitig die Tür auf.

„Grüß dich, Alex. Ich bin es nur. Ich wollte dich fragen ob du auch noch was zu lesen haben möchtest. Ich bin mal wieder mit meinem Wägelchen unterwegs und dachte mir, du könntest Abwechslung brauchen.“

„Oh Gott, Leif. Gibt es auch Tage an denen du keine gute Laune hast? So ganz normale Tage, du verstehst schon ,oder?“

„Du meinst, Tage, in denen ich mit hängenden Mundwinkeln herumlaufe und am besten meine Klappe halte?“, fragte der junge Mann der ehrenamtlich die Patienten mit Büchern und Zeitschriften versorgte, die andere Patienten und deren Angehörige zur Verfügung gestellt hatten.

„Nö“, machte er kopfschüttelnd weiter „Könnte mich jedenfalls nicht daran erinnern. Für schlechte Laune sind andere zuständig. Und? Wie geht es dir? Immer noch keinen Termin zur Entlassung?“

„Nee, ich weiß noch von nichts, aber im Augenblick bin ich auch nicht böser darüber.“

„Wieso? Sag mir jetzt bitte nicht das du so einer bist der nicht nach Hause will.“

„Natürlich möchte ich“, begann Alexander und wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte. Leif kam zu ihm ans Bett und setzte sich auf einen freien Stuhl.

„Alles okay?“, wollte er wissen und Alexander kämpfte gegen Tränen an, von denen er nicht einmal wusste, weshalb er sie weinen wollte.

„Ja, ja“, sagte er schnell. Zu schnell, wie Leif vermutete.

„Du weißt ja, wenn du reden möchtest, werde ich mir einfach die Zeit nehmen und dir zuhören.“

„Lieb von dir, aber es ist wirklich alles in Ordnung.“

„Kommt Paul noch her, oder hat er auch mal wieder den Mund zu voll genommen?“

„Nein. Der kommt tatsächlich jeden zweiten Tag und wenn er mal nicht kann, dann kommt Jaqueline, seine Freundin. Die zwei sind wirklich gute Freunde geworden, auf die man sich verlassen kann.“

„Du wirkst niedergeschlagen. Verzeih das Wortspiel“, erklärte Leif und zog aus Nervosität die Nase hoch und richtete seinen Blick auf den Mann vor sich, der seit Wochen im Krankenhausbett lag und den er inzwischen schon recht gut kannte. Immerhin kam er zweimal in der Woche bei ihm vorbei und gab ihm die neuesten Bücher zum Lesen.

„Irgendwie habe ich es satt hier herumzuliegen und ..“, begann er und hätte sich fast verplappert. Nein, er würde Leif nicht sagen, dass er unter Heimweh litt und sich sogar ein bisschen nach seinem Partner sehnte, der ja eigentlich kein schlechter Kerl war. Jedenfalls nicht permanent.

Alexander schluckte und schüttelte dann den Kopf „Ich wäre froh ich könnte wenigstens mal das Bett verlassen. Ich kriege so ganz langsam die Krise wenn ich nur daran denke das ich unter Umständen noch die nächsten vier Wochen hier verbringen muss.“

„Echt?“, wollte Leif wissen und erhob sich von dem Besucherstuhl an Alexanders Bett.

„Vier Wochen noch?“

Alexander nickte und nahm anschließend lächelnd zwei Bücher entgegen, die der junge Mann, ein BWL-Student, ihm reichte.

„Hier. Die habe ich vorhin erst reinbekommen. Es ist eine Schande, aber heute liest kaum noch jemand. Die meisten die hier liegen haben ein Tablet dabei und gucken in die Röhre und wenn nicht gerade das, dann haben sie Stöpsel in den Ohren und lassen sich ein Hörbuch vorlesen. Aber so einen Schmöker in die Hand nehmen, das ist außer Mode gekommen.“

„Im Moment ist das für mich gar nicht so einfach was zu lesen. Ich kann den rechten Arm noch immer nicht belasten und mit nur einer Hand ist das ziemlich schwierig, ein Buch festzuhalten und umzublättern, aber bisher habe ich das immer noch geschafft. Irgendwie und manchmal fluchend, aber ich habe es hinbekommen. Hörbücher habe ich nur die ersten Tage zu mir genommen. Genossen könnte ich das nicht behaupten, aber immerhin.“

„Tja, ich tippe ja darauf das in einigen Jahren niemand mehr ein gedrucktes Buch konsumiert, sondern allerhöchstens noch ein e-Book, aber die meisten werden nicht einmal DAS mehr in die Hand nehmen.

---ENDE DER LESEPROBE---