Glück in Tassen - Nasha Berend - E-Book

Glück in Tassen E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Als es eines Abends an Thies Haustür klopft, öffnet der nur widerwillig. Ein Fremder steht vor ihm und erzählt ihm eine fast schon haarsträubende Geschichte. Da Thies aber immer an das Gute im Menschen glaubt und auch nichts anderes sehen möchte, lässt er den Fremden in sein in die Jahre gekommenes Häuschen. Was in den nächsten Tagen geschieht, ist kaum zu glauben. Dieser Fremde katapultiert Thies in eine Geschichte, von der er nie und nimmer gedacht hat, das er sie außerhalb der Medienwelt tatsächlich erleben würde. Plötzlich ist da von Stalking die Rede und von Entführung. Kaum zu glauben! Trotz dieser verworrenen Geschichte, die immer mysteriöser wird, finden die beiden Männer aber einen Weg, sich ein bisschen besser kennenzulernen. In einem kleinen Café, das ein Mann mit seinem autistischen Sohn betreibt, finden sie nicht nur Ablenkung bei einer heißen Tasse Schokolade und warmem Apfelkuchen, sondern auch neue Freunde. Und diese helfen ihnen schließlich die geheimnisvolle Geschichte zu entwirren und in klare Bahnen zu lenken. Oder doch nicht? Ist vielleicht sogar einer dieser neuen Freunde der Drahtzieher dahinter? Vielleicht der ehemalige Hausmeister mit seinem Mischling Paul, oder eine Nachbarin, ein Nachbar oder jemand der sein Auto einfach am Ende einer Sackgasse parkt? Da wäre ja auch noch eine junge Musikerin und der Mitarbeiter eines Pflegedienstes. Thies bereut es trotzdem nicht das er an diesem einen Abend die Tür für einen völlig Fremden geöffnet hat und ihn nicht nur in sein Haus, sondern auch in sein Leben gelassen hat. Auch dann nicht, wenn ihm vor der Außenwelt deutlich gemacht wird, dass er vielleicht nicht so harmlos ist, wie er glaubt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Es klopft
Notruf
Thies
Stammgäste
Gunnar
Hannah
Verlaufen
Vergessen
Verdrängt
Mandy
Fremde
Arbeit
Überlegungen
Grubenfeld
Überlegungen
Hausmeister Krüger
Telefonate
Fragen über Fragen
Nachbarn
Vermutungen
Ein Plan .. kein Plan .. null Plan
Spätfolgen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Glück in Tassen

 

Thies

 

Von Nasha Berend

 

 

 

Buschstrasse 1

39649 Gardelegen

 

 

 

 

[email protected]

© Nasha Berend

 

 

 

 

Wortzähler: 71326

Über das Buch

Als es eines Abends an Thies Haustür klopft, öffnet der nur widerwillig. Ein Fremder steht vor ihm und erzählt ihm eine fast schon haarsträubende Geschichte. Da Thies aber immer an das Gute im Menschen glaubt und auch nichts anderes sehen möchte, lässt er den Fremden in sein in die Jahre gekommenes Häuschen. Was in den nächsten Tagen geschieht, ist kaum zu glauben. Dieser Fremde katapultiert Thies in eine Geschichte, von der er nie und nimmer gedacht hat, das er sie außerhalb der Medienwelt tatsächlich erleben würde. Plötzlich ist da von Stalking die Rede und von Entführung. Kaum zu glauben! Trotz dieser verworrenen Geschichte, die immer mysteriöser wird, finden die beiden Männer aber einen Weg, sich ein bisschen besser kennenzulernen. In einem kleinen Café, das ein Mann mit seinem autistischen Sohn betreibt, finden sie nicht nur Ablenkung bei einer heißen Tasse Schokolade und warmem Apfelkuchen, sondern auch neue Freunde. Und diese helfen ihnen schließlich die geheimnisvolle Geschichte zu entwirren und in klare Bahnen zu lenken. Oder doch nicht? Ist vielleicht sogar einer dieser neuen Freunde der Drahtzieher dahinter? Vielleicht der ehemalige Hausmeister mit seinem Mischling Paul, oder eine Nachbarin, ein Nachbar oder jemand der sein Auto einfach am Ende einer Sackgasse parkt? Da wäre ja auch noch eine junge Musikerin und der Mitarbeiter eines Pflegedienstes. Thies bereut es trotzdem nicht das er an diesem einen Abend die Tür für einen völlig Fremden geöffnet hat und ihn nicht nur in sein Haus, sondern auch in sein Leben gelassen hat. Auch dann nicht, wenn ihm vor der Außenwelt deutlich gemacht wird, dass er vielleicht nicht so harmlos ist, wie er glaubt.

 

 

Es klopft

Thies seufzte laut auf und verdrehte innerlich zum hundertsten Male die Augen. Er zog die Nase hoch und wünschte sich nach Hause zurück, wo dererlei Arbeiten eigentlich immer seine Mutter übernommen hatte.

„Ach Scheisse“, schimpfte er schließlich und ließ das, was er in den Händen gehalten hatte, auf den Boden fallen „Wer hat die Scheißdinger eigentlich erfunden und wozu? Von draußen sieht man sie nicht und hier drinnen sind sie einfach nur ein Staubfänger“, machte er weiter und sah eine dunkel gekleidete Gestalt an seinem alten Haus vorbeihuschen.

„Hoppla“, sagte er leise und stieg von der Leiter. Er war einigermaßen überrascht, als es an der Haustür klopfte und direkt im Anschluss klingelte. Und zwar Sturm.

„Ist ja gut“, brummelte er und schaltete im kleinen Flur das Licht an. Im ganzen Haus, das er von seinem Großvater geerbt hatte, hörte und sah er ihn, wann immer er einen dunklen Raum betrat. Sein Großvater war zum Ende seines Lebens hin sehr lichtempfindlich gewesen und hatte darum gebeten, die Läden geschlossen zu halten und auch selten bis gar keine Lampe einzuschalten. Als er vor einigen Monaten hier eingezogen war, da war es so ziemlich seine erste Handlung gewesen, die Stromleitungen zu überprüfen und in jeder Ecke eine Lampe zu installieren. Im Gegensatz zu seinem Großvater ertrug er die Dunkelheit nicht.

Es klopfte erneut und Thies pustete die Luft aus seiner Lunge.

„Ganz langsam bitte. Ein alter Mann ist kein D-Zug.“

„Ist da jemand?“, hörte er eine männliche Stimme fragen und verdrehte schon wieder mal die Augen.

„Nein. Der Hausgeist hat das Licht angemacht“, gab er zurück und stellte sich vor die noch verschlossene Tür „Wer ist da und weshalb sollte ich die Tür öffnen?“

„Bitte, lassen Sie mich rein. Ich werde verfolgt und sollte mich dringend in Sicherheit bringen. Haben Sie ein Telefon?“

„Ach, woher denn? Wir leben hier so weit hinter dem Mond, das ich noch immer mit Rauchzeichen arbeite, oder eine Taube verschicke. Natürlich habe ich ein Telefon. Was meinen Sie mit »ich werde verfolgt«?“

„Ich werde Ihnen alles erzählen, aber bitte lassen Sie mich zuerst rein, ja?“

Thies zögerte, aber die Panik in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. Außerdem bot so ziemlich jede Geschichte eine kleine Abwechslung in seinem doch recht tristen Alltag und zu der Sache mit den Raffgardinen allemal. Er drehte den Schlüssel im Schloss und biss sich auf die Unterlippe, aber dann öffnete er die Tür und sah erstaunt einem Mann ins Gesicht, der etwa in seinem Alter war und in dessen Stimme jetzt wirklich Panik mitschwang.

„Bitte“, sagte er flehentlich „Darf ich rein? Ich will wirklich nur telefonieren und vielleicht eine halbe Stunde warten. Sie werden gar nicht bemerken das ich hier bin, aber ich habe Angst.“

Thies machte eine Geste und trat zur Seite, der Fremde lächelte gequält und betrat das Haus. Er sah sich nicht einmal um.

„Ey, ich weiß nicht, warum er ausgerechnet mich ins Visier genommen hat, aber ich war im Supermarkt, weil mir noch ein paar Kleinigkeiten für das Abendessen fehlten. Als ich rauskam sprang mein Auto nicht mehr an und so ein komischer Typ bot mir seine Hilfe an. Er war dabei so aufdringlich das mir das irgendwie...“, er sah Thies an und schüttelte sich „Es fühlte sich einfach nicht gut an. Sein Blick war eiskalt und wenn ich ehrlich bin, ein bisschen psychopathisch, verstehst du?“

Thies hob die Augenbrauen und nickte.

„Ich denke schon.“

„Ich wollte dann mit dem Bus nach Hause fahren aber er ließ mich einfach nicht in Ruhe. Er fragte immer und immer wieder ob er mich irgendwohin fahren sollte oder sonst irgendwie helfen. Er ließ mich überhaupt nicht mehr in Ruhe und als endlich der Bus kam habe ich bemerkt das er hinterher fuhr. Zuerst habe ich es für Zufall gehalten, aber als ich ausstieg und er schon wieder, oder immer noch, da war, da bekam ich echt Panik. Ich habe meine Tüten vor Schreck in der Bushaltestelle stehen lassen und bin einfach nur noch losgerannt“, erklärte der Fremde ungefragt und beugte sich vornüber. Mit hängenden Armen berührte er mit den Händen seine Knie, als müsse er Luft schnappen.

„Meine Güte. Ich hätte nie gedacht das ich jemals so eine Panik vor einem Fremden bekommen würde, aber dieser Typ, der hat mir echt Angst eingejagt.“

„Wen willst du denn anrufen?“

„He?“, fragte der Fremde und begann leise zu lachen „Entschuldige. Ich bin echt neben der Spur. Ich würde gerne eine Freundin anrufen die im gleichen Haus wohnt wie ich. Vielleicht kann die mich abholen.“

„Wo wohnst du denn?“

„Ein paar Straßen weiter, aber der Bus, der um diese Uhrzeit fährt, der fährt nur bis zum Busbahnhof und ehrlich gesagt, ich habe mir darum keine Gedanken gemacht. Ich war nur froh diesen Kerl endlich los zu sein.“

„Kaffee?“, wollte Thies wissen und wunderte sich über sich selbst. Eigentlich war er Fremden gegenüber eher reserviert und war nicht darauf aus Freunde zu gewinnen. Er ging durch den kleinen Flur auf eine Tür zu „Oder einen Tee? Vielleicht auch einen Schnaps?“

„Schnaps klingt gut und danach, wenn es keine Mühe macht, einen Kaffee. Hast du vielleicht einen Apfel, oder sowas? Ich habe einen mordsmäßigen Kohldampf. Eigentlich wäre ich schon längst zuhause und würde mein Essen genießen aber dieses Arschloch hat mich davon abgehalten.“

„Klar. Komm“, sagte Thies und öffnete die erste Tür. Dahinter kam die Küche zum Vorschein, die er fast exakt so übernommen hatte, wie sein Großvater sie bis zuletzt benutzte.

„Oh wow“, hörte er den Mann hinter sich sagen „Mir war nicht klar das ich hier in einer Zeitkapsel lande.“

„Ich bin noch am überlegen in welchem Zimmer ich mit der Sanierung und Renovierung anfange, aber im Augenblick ist es so okay wie es ist. So bin ich meinem Großvater ziemlich nah.“

„Ich lebe in der Wohnung meiner verstorbenen Mutter“, sagte der andere Mann, als müsse er sich erklären und setzte sich einfach ungebeten an den kleinen Esstisch, an dem Thies schon als Kind gesessen hatte, wenn er bei seinen Großeltern übernachtete. Er war sich ziemlich sicher das er genau diesen Tisch und die dazugehörigen Stühle niemals entsorgen könnte. Diese Möbelstücke waren so fest in seinen Erinnerungen verankert, dass er das nicht übers Herz bringen könnte.

„Manchmal glaube ich, ich wohne in einem Museum, aber ich bringe es einfach noch nicht übers Herz etwas zu ändern. Sie hat so viel Nippes auf den vielen Regalen in der Wohnung stehen“, begann der Fremde zu erzählen „Das ich mit abstauben gar nicht hinterher komme. Es wäre wirklich besser sie an jemanden abzugeben der sie mehr wert schätzt als ich, aber ich kann es einfach nicht. Ist noch nicht so lange her das ich sie verloren habe“, machte er weiter und räusperte sich. Damit schien er sich aus den Erinnerungen zu holen. Er senkte den Blick und wartete, bis Thies ihm zuerst einen Apfel reichte, dann einen Schnaps und schließlich die Tasse mit dem heißen Kaffee. Das Festnetztelefon legte er ebenfalls auf den Tisch.

„Zeitkapsel hört sich gut an. Ich kann begreifen das du dich wie in einem Museum fühlst. Das ist hier ähnlich. Ich habe Dinge in den Schubladen gefunden die doppelt so alt sind wie ich“, lachte Thies und dachte dabei an ein seltsames Ding, zu dem erst eine alte Nachbarin Klarheit geschaffen hatte. Es hatte sich dabei um einen Dosenlocher gehandelt, den man dazu benutzt hatte zwei gegenüberliegende Löcher in Konservendosen zu stanzen, damit man die Dosenmilch darin benutzen konnte. Da er selbst zum Kaffee eine Milchalternative nutzte, die aus dem Tetrapack kam, hatte er diesen Locher nie in Benutzung gesehen und hatte sich doch sehr darüber gewundert, als er ihn in der Schublade fand. Aber das war nur einer von vielen Gegenständen gewesen, die er nicht hatte zuordnen können. Gott sei Dank war seine Nachbarin eine ehemalige Klassenkameradin seiner Großeltern gewesen und hatte ihm ein über das andere Mal erklären können, was er gefunden hatte. Manchmal hatte sie sich darüber amüsiert, aber war dann oft genug in ihren eigenen Erinnerungen versunken. So wie jetzt dieser Fremde, der ihm, als hätte er seine Gedanken erraten, plötzlich die Hand entgegenstreckte.

„Ich bin übrigens Gunnar.“

„Mein Name ist Thies, habe ich das nicht schon gesagt?“

„Besser ein Mal zu oft als zu wenig. Ich vergesse leider immer wieder das mich nicht jeder kennt. Dann stelle ich mich nicht vor und bin etwas enttäuscht wenn man mich nicht mit dem Namen anspricht“, lachte er leise und kopfschüttelnd, während er das Schnapsglas in einem Zug leerte und dann einen Schluck aus der Kaffeetasse nahm.

„Meine Güte. Das ist mir echt peinlich. Meine Geschichte klingt ja ein bisschen so als wäre ich völlig irre, oder?“

„Ich hatte eher den Eindruck als wärst du verängstigt.“

„Verängstigt ist gar kein Ausdruck“; sagte der Mann, der danach herzhaft in einen Apfel biss. Thies stand auf und erinnerte sich daran, dass er selbst auch noch nicht gegessen hatte.

„Willst du vielleicht lieber ein paar Bratkartoffeln?“

„Ich will echt keine Mühe machen“, antwortete Gunnar und befeuchtete die trockenen Lippen, dann nahm er das Telefon vom Tisch und hielt es für wenige Sekunden einfach fest „Aber wenn es dir nichts ausmacht, dann sage ich nicht nein. Meine Güte. Ich bin wohl echt schon zu lange alleine.“

„Du sagtest vorhin das du in der Wohnung deiner Mutter leben würdest. Hast du sie gepflegt?“, wollte Thies jetzt wissen und nahm eine Pfanne aus einem Eckschrank. Gunnar nickte.

„Ja. Mama hatte Lungenkrebs. Sie hat zwar die Chemotherapie recht gut weggesteckt, aber an den Bestrahlungen ist sie schließlich zugrundegegangen. Ich habe sie zuhause gepflegt bis ich sie eines schönen Abends in ein Krankenhaus bringen musste. Sie ist nicht wieder nach Hause zurückgekehrt.“

„Mein Großvater“; sagte Thies und tat ein paar Tropfen Öl in die Pfanne „Er hatte Alzheimer. An manchen Tagen war er klar, an anderen wusste er weder wer er war, noch was ich hier zu suchen hatte. Nur meine Großmutter, die hat er nie vergessen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr lebte. Zum guten Schluss musste ich eine Pflegerin engagieren, die sich um ihn kümmerte, während ich gearbeitet habe. Der hat er das Leben zur Hölle gemacht aber sie hat sich nicht ein einziges Mal beklagt. Ihr war allerdings anzumerken das sie erleichtert war als er verstarb. Sie hätte es nie zugegeben, aber er konnte schon ein rechter Kotzbrocken sein, wenn man nicht so wollte wie er“, sagte Thies und hatte währenddessen eine Zwiebel geschnitten, deren Würfelchen er jetzt in die Pfanne legte. Sofort verströmte diese Zwiebel einen fast schon heimeligen Geruch.

„Oh Gott“, seufzte Gunnar und stand auf. Er legte das Telefon wieder auf den Tisch zurück und stellte sich neben Thies. Er atmete immer wieder tief ein und wieder aus.

„Ich hatte schon längst vergessen wie richtiges Essen riecht und aussieht. Seit ein paar Wochen esse ich nur noch aus der Dose oder lasse mir was liefern. Solange meine Mutter bei mir war habe ich versucht gesund zu kochen, aber immer ist mir das nicht gelungen“, lächelte er „Aber als sie fort war, da wollte ich all das nachholen, was ich vorher nicht durfte. Zum Beispiel Pommes, Burger und so einen Kram. Das mir was fehlt, weiß ich erst seit gerade eben.“

„Dir fehlt was?“

Gunnar nickte und schnupperte noch einmal, wobei er Thies ziemlich nahe kam.

„Ja. Solche Dinge eben. Kein Dosenfutter mehr. Ich kann es nicht mehr sehen, echt nicht. Das war mir nicht klar, bis mir dieser Geruch in die Nase stieg. Das ist großartig, ich weiß gar nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll.“

„Das wird sich zeigen“, lächelte Thies und schaufelte wenig später die angebratenen, wohlduftenden Bratkartoffeln mit Ei auf zwei Teller. Einen stellte er vor Gunnar ab, den Zweiten auf die andere Seite.

„Ich sollte wirklich eine Freundin anrufen, aber im Augenblick habe ich gar keinen Drang danach von hier zu verschwinden. Immer vorausgesetzt ich gehe dir nicht auf den Wecker. Sag mir bitte Bescheid wenn ich dich störe, ja?“.

 

 

 

 

Notruf

 

Ein paar Stunden später lachten sie laut über die Geschichten, die jeder von ihnen erzählt hatte. Es ging meist um die Familie. Gunnar hatte viel über seine Mutter erzählt und Thies fand es spannend, mit jemandem über seinen Großvater zu reden.

Gunnar wischte sich eine Lachträne aus dem Gesicht.

„Verdammt“, schimpfte er grinsend „Ich wollte lediglich telefonieren und habe jetzt hier den schönsten Abend seit langem mit dir verbracht. Wie kann ich mich je dafür revanchieren?“

„Das wird sich zeigen, ich muss nämlich zugeben das es mir ganz ähnlich geht. Hier war schon lange niemand mehr. Komischerweise haben mir Freunde noch beim Umzug hierher geholfen und sind danach eigene Wege gegangen. Hierher verirrt hat sich niemand mehr und anrufen tun sie auch nicht.“

„Kenne ich“, murmelte Gunnar „Bei mir ist nur ein einziger Freund übrig geblieben. Der kommt sogar noch regelmäßig zu mir, über ein Wochenende, aber im Grunde wollen sie mit dem, der jetzt in der Wohnung seiner Mama wohnt nichts mehr zu tun haben. Früher, als wir Kinder waren, da waren sie gerne bei uns, aber heute finden sie es schräg.“

Thies lachte nickend und schenkte sich noch ein Glas Limonade ein. Er trank einen Schluck und griff in die Schale mit den Chips.

„Ich war schon immer ein Außenseiter. Wie gesagt, ich war oft bei meinen Großeltern weil meine Mama kränklich war und genau deshalb fanden die anderen Kinder mich komisch. Ein Junge der sich eher darum bemüht seiner Oma im Garten zu helfen oder mit dem Großvater angeln geht, der war nicht unbedingt angesagt, wenn du weißt worüber ich rede.“

„Oh ja. Das kann ich mir nur zu gut vorstellen“, gab Gunnar von sich und gähnte jetzt ebenfalls „Ich sollte wirklich meine Freundin anrufen und dir nicht weiter die Nachtruhe rauben. Aber ich gestehe, ich würde dich gerne wiedersehen. Vielleicht unter etwas weniger mysteriösen Umständen.“

„Natürlich. Jederzeit. Du weißt ja jetzt wo du mich findest.“

„Wie sieht es aus mit Pizza?“

„Hast du Hunger?“, wollte Thies wissen und hörte Gunnar lachen.

„Ich wollte wissen ob du Pizza isst.“

„Natürlich. Gibt es jemanden der die nicht mag?“

„Gut. Dann schlage ich vor, wir sehen uns am Wochenende, wenn du nichts anderes vorhast. Vielleicht sogar bei mir? Wir könnten Pizza selber machen. Ich bin nicht so der Typ der sich irgendwo was bestellt und rausgehen tue ich meist auch nur widerwillig und wenn es nicht anders geht. Seit heute weiß ich dann wohl auch, weshalb“, gab er von sich und bat um das Telefon, das noch immer in der Küche auf dem Esstisch lag. Thies stand auf, um es zu holen.

„Selber machen klingt genau richtig. Ich gebe zu das ich Fertigpizza manchmal wegen der Bequemlichkeit bevorzuge, aber richtig schmecken tut sie mir nicht. Also ja, ich würde die Einladung gerne annehmen, wenn du es wirklich ernst meinst. Du musst dich aber nicht verpflichtet fühlen. Wirklich nicht.“

„Das tue ich auch nicht. Es hat wirklich gut getan mal mit jemanden zu reden der dir nicht jedes Wort im Mund herumdreht.“

„Das kenne ich auch“, gab Thies von sich und winkte etwa eine halbe Stunde später hinter dem Mann her, den er erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte, der ihm aber jetzt schon sehr viel näher war als viele seiner langjährigen Freunde.

In dieser Nacht träumte er einen mehr als seltsamen Traum. Immer wieder spielte Gunnar darin eine Rolle. Und keine unerhebliche. Aber immer wenn er auftauchte, dann war auch ein Polizeiauto zu sehen oder zu hören. Anschließend rannten hektisch mehrere uniformierte Personen über eine Straße und danach wieder zurück. Direkt auf ihn zu, der als Zuschauer völlig unbeteiligt an einer Ecke stand und zusah, obwohl er nicht wusste wobei. Er sah nur abwechselnd das Gesicht von Gunnar und anschließend die Beamten, die zuerst vor ihm davonliefen um ihn dann gefangen zu nehmen und in einem Polizeifahrzeug wegzubringen.

Schweißgebadet öffnete Thies gegen vier Uhr morgens erschrocken die Augen. Klopfte es an seiner Haustür?

Er trat in die ausgelatschten Hausschuhe die er schon seit mehreren Jahren trug und huschte die Treppe hinunter. Da! Noch einmal. Ja, es klopfte jemand, da war er sich jetzt sicher. Ohne auch nur nachzudenken, drehte er den im Schloss steckenden Schlüssel und öffnete die Tür.

„Was ist denn?“, fragte er nur und sah Gunnar ins Gesicht, der ihm nur kurz zunickte, ihn dann umdrehte und ins Innere schob.

„Der Kerl“, sagte er aufgeregt „Der ist in meiner Wohnung.“

„Was?“, fragte Thies und wendete sich an Gunnar, der hinter sich griff und die Haustür mit lautem Knall ins Schloss warf.

„Der Kerl, der mir heute mittag schon aufgelauert hat, der ist in meiner Wohnung.“

„Bist du dir sicher?“

Zuerst schien Gunnar zu überlegen, dann nickte er.

„Ja, ich bin mir sicher.“

„Hast du die Polizei gerufen?“

„Ich habe es versucht.“

„Versucht?“

„Ja. Ich hatte aber das Gefühl das die mich gar nicht beachtet haben. Die haben mir nicht geglaubt. Die haben sich nicht einmal meine Adresse geben lassen. Das war irgendwie komisch.“

Thies sah ihn mit großen Augen an und bemerkte erst jetzt das Gunnar im Schlafanzug vor ihm stand. Barfuß.

„Bist du mit dem Auto hier? Hattest du nicht gesagt es stünde noch auf dem Supermarktparkplatz?“

„Ich bin mit dem Taxi gekommen“, gab Gunnar von sich und kratzte sich am linken Ohr „Ich war noch so geistesgegenwärtig und habe mir meinen Geldbeutel in die Schlafanzugtasche gesteckt. Gott sei Dank kam einer meiner Nachbarn sturzbetrunken mit dem Taxi nach Hause. Der Fahrer hat mich eingesammelt und hierher gebracht.“

„Soll ich noch einmal versuchen die Polizei zu informieren?“, fragte Thies und Gunnar nickte.

„Ja bitte. Entschuldige das ich schon wieder hier bin, aber was anderes ist mir nicht eingefallen.“

„Schon gut. Ich muss gestehen, das ich mich sogar ein bisschen über deinen Besuch freue. Geh schon mal in die Küche, ja? Ich bin gleich bei dir, muss aber erst Mal ins Bad und hole auf dem Rückweg das Telefon“, sagte er und hatte schon ein paar Schritte getan.

„Mir schlottern noch die Knie“, hörte er Gunnar sagen und konnte das gut nachvollziehen. Wenn jemand Fremdes sein Haus betreten würde, um sich zu verstecken, dann würde es ihm wohl nicht anders gehen. Dann hätte er sicherlich auch Angst.

Nachdem Thies aus dem Bad gekommen war und danach das Telefon von der Ladestation genommen hatte, betrat er die Küche, in der Gunnar am Tisch saß und nervös die Hände knetete.

„Ich habe keine Ahnung was dieser Kerl von mir will. Ich bin weder sehr vermögend noch würde ich jemandem sonst einen Grund bieten sich an mich heranzumachen. Was also will der von mir?“ Gut. Das war nicht ganz die Wahrheit, aber im Grunde glaubte er das sogar von sich selbst. Außerdem war er sich noch nicht sicher, was und wie viel er diesem Thies von sich erzählen konnte, ohne zu viel von sich preiszugeben.

„Weiß ich nicht, aber ist das nicht auch die Sache der Polizei einen Grund herauszufinden?“

„Ph. Ich glaube nicht einmal das die überhaupt einen Finger rühren, ich meine, es ist doch noch niemand zu Schaden gekommen, oder? Eigentlich glaube ich nicht das sich jemand darum kümmert.“

„Wir werden sehen“, sagte Thies und wählte die Notrufnummer. Nur wenige Sekunden später meldete sich eine müde aber angenehme Frauenstimme.

Nachdem Thies sich mit Namen und Adresse vorgestellt hatte, schilderte er das Problem, mit dem Gunnar zu ihm gekommen war. Die Person am anderen Ende der Leitung schien zuzuhören, ohne ihn zu unterbrechen. Erst, als Thies sich räusperte, weil er mit seiner Erzählung am Ende war, kam eine Reaktion.

„Und was sollen wir jetzt tun?“

Thies runzelte die Stirn „Das weiß ich nicht, aber sind Sie nicht dazu da, Bürgern zu helfen wenn diese befürchten das sich jemand unberechtigt Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hat?“

„Das weiß der Freund doch gar nicht, weil er nicht mehr in der genannten Wohnung ist“, gab die Frau von sich und Thies begann zu ahnen, was Gunnar ihm vorher schon erklärt hatte. Die Behörden wollten wohl nicht helfen, solange niemand zu Schaden gekommen war.

„Nein. Ist er nicht. Er hat die Wohnung leise verlassen damit ihm nichts passiert. Deshalb ist er auch zu mir gekommen und ist im Augenblick nicht in der Verfassung auf Ihre Fragen zu antworten“, murmelte Thies und war kurz davor einfach aufzulegen, aber so leicht ließ er sich nicht einschüchtern „Sie greifen also erst dann ein“, machte er weiter „Wenn ich Sie morgen früh darüber informiere das ich eine Person gefunden habe, die nicht mehr atmet und sich auch nicht mehr bewegt, oder? Dann werde ich wahrscheinlich gefragt, warum ich Sie nicht vorher gerufen habe. Stimmt doch, oder?“

Die Frau am anderen Ende seufzte leise und räusperte sich kaum hörbar.

„Geben Sie mir bitte noch einmal die Adresse? Ich könnte Kollegen vorbeischicken, obwohl ich bezweifel das noch jemand in der Wohnung ist. Ist ja schon eine Weile her das Ihr Freund einen Eindringling bemerkt haben will, oder?“

„Was heißt denn hier, bemerkt haben will?“, rief Thies inzwischen wütend und sah Gunnar an, der den Kopf schüttelte und ihm mit einer Geste zu verstehen gab, das er sich nicht aufregen sollte.

„Geben Sie mir jetzt die Adresse, oder nicht?“, wurde er gefragt und atmete tief durch. Ein kurzer Blickwechsel zwischen den Männern, dann schüttelte Thies den Kopf.

„Nein, aber vergessen Sie meinen Anruf nicht“, murmelte er und legte auf. Gunnar schnaubte.

„Die kommen wirklich erst, wenn es zu spät ist. Das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte immer, die sind dazu da einzugreifen wenn jemand das Gefühl hat angegriffen zu werden. Na ja. Vielleicht habe ich mich ja auch geirrt. Ich frage mich die ganze Zeit, was der oder diejenige von mir will. Ich habe doch nix und es lohnt sich auch nicht in meine Wohnung einzubrechen. Und so interessant, das man sich an mir vergreifen will bin ich wohl auch nicht“, gab er von sich und sah Thies dabei zu, wie der sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.

„Du bleibst jetzt auf jeden Fall hier. Nachher bringe ich dich zu deiner Wohnung und dann suchen wir gemeinsam ob sich Spuren finden lassen, ob jemand unbefugt in die Wohnung eingedrungen ist und ob irgendetwas fehlt. Danach packst du ein paar Sachen und bleibst den Rest der Woche bei mir. Mir ist bewusst das hier nicht das Ritz ist, Gunnar, aber du solltest ein bisschen zur Ruhe kommen. Du zitterst ja am ganzen Körper.“

„Mir ist auch schon wieder übel“, gab Gunnar zu und war dankbar für die Tasse warmen Kaffees, die Thies ihm zuschob und sich dann ebenfalls an den Küchentisch setzte „Aber das kann ich unmöglich annehmen. Meine Güte. Du hast schon mehr für mich getan als alle sogenannten Freunde zusammen. Keiner von denen hätte sich die Mühe gemacht, die du dir mit mir gibst, noch dazu, da wir uns nicht richtig kennen. Was alleine schon deshalb aufgefallen ist, das du weder meinen Nachnamen, noch meine Adresse wusstest“, sagte er und nippte am dampfenden Getränk. Er grinste schief.

„Die Tante von der Polizei hat sich bestimmt auch ihren Teil gedacht, ich meine, was für eine Art Freunde sind wir, wenn nicht mal DAS bekannt ist?“

„Ist mir egal was die gedacht hat. Unverschämte Person.“

Gunnar zog aus Verlegenheit die Nase hoch „Na ja. So unverschämt fand ich die gar nicht. Da war die vorhin unsympathischer. Der hat sich nicht einmal die Mühe gemacht mich überhaupt etwas zu fragen. Der wollte lediglich von mir wissen woher ich weiß das jemand in der Wohnung ist und ob es nicht sein könnte das einer der Nachbarn ein wenig mehr Lärm macht“, sagte er und schnaubte kopfschüttelnd „Als hätte ich diese Möglichkeit gar nicht in Erwägung gezogen. Unglaublich.“

„Ich kann mir gar nicht vorstellen wie furchtbar der Gedanke sein muss das jemand fremdes hier eindringt und in meinen Sachen wühlt“, gab Thies von sich und senkte den Blick in die Tasse hinein „Ein widerlicher Gedanke.“

„Begeistert bin ich auch nicht, aber was soll ich tun? Ehrlich gesagt, mich würde mehr interessieren WARUM er das tut. Oder sie.“

„Darum kümmern wir uns später“, erklärte Thies und sah auf die Uhr. Es war noch immer sehr früh, aber ihm war gar nicht aufgefallen, wie viel Zeit sie schon wieder zusammen verbracht hatten. Das war gar nicht unangenehm. Im Gegenteil.

 

 

 

 

 

Thies

 

Erstaunt sah Thies sich in der Wohnung um, in der Gunnar lebte. Nach dem Kaffee hatten sie noch eine Weile zusammengesessen und hatten dann beschlossen, das es Zeit würde sich der Sache zu stellen. Sie hatten sich beide krankgemeldet und waren dann aufgebrochen. Es dauerte keine 5 Minuten, da waren sie an der Wohnung angekommen, die Gunnar bis vor Kurzem noch mit seiner Mutter bewohnt hatte. Auch in seiner Wohnung war noch eine Handschrift zu erkennen, die sicherlich nicht seine war, aber das spielte genauso wenig eine Rolle wie bei ihm. Er war eben auch noch nicht so weit alles hinter sich zu lassen und endlich ein eigenes Leben zu führen.

Mit zittrigen Fingern hatte Gunnar zuerst die Haus- und dann die Wohnungstür geöffnet und war mit angehaltenem Atem hineingegangen. Ganz kurz hatte er sich umgesehen und war dann ziemlich zielstrebig eine Treppe hinaufgelaufen. Thies war stehengeblieben und horchte. Er hörte aber weder Gunnar, noch etwas, das er einem Kampf oder Ähnlichem hätte zuschreiben können. Also wartete er einfach, bis er gerufen wurde.

„Kommst du bitte mal rauf, Thies? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe etwas gefunden.“

Thies nickte, obwohl er wusste, dass Gunnar ihn nicht sehen konnte, und setzte sich in Bewegung. Er lief die Treppe hinauf und staunte nicht schlecht über die völlige Veränderung der Einrichtung. War unten noch alles etwas altertümlich, aber sauber gewesen und sah aus, als hätte es längst die besten Jahre hinter sich, war hier, im ersten Stock, alles recht hell und modern, wenn auch nicht von der neuesten Mode.

„Guck mal“, sagte Gunnar leise und deutete auf ein offen stehendes Fenster hin „Ich bin mir ganz sicher das es geschlossen war. Warum hätte ich hier denn ein Fenster offen stehen lassen sollen, wenn ich mich selbst in einem völlig anderen Raum befinde? Mein Schlafzimmer ist dort hinten“, sagte er und deutete auf einen weiteren Raum der von dem, in dem sie sich befanden, abging. Das Wohnzimmer, als solches leicht zu identifizieren, war ein großer, heller Raum, der zwar spärlich möbliert war, aber dennoch etwas Heimeliges bot.

„Sieh nicht so genau hin. Ich habe mich damals in einer Phase befunden in der ich keinen Schnickschnack wollte“, gab Gunnar von sich als er Thies Blick bemerkte „Heute würde die Sache wieder anders aussehen.“

„In meinem ersten Jugendzimmer wollte ich auch noch alles anders machen als meine Eltern, die ziemlich klassisch eingerichtet waren. Du weißt schon, so mit riesiger Wohnwand im Wohnzimmer und tiefen Sitzmöbeln aus denen sie nur schwer wieder aufstehen konnten“, sagte er und Gunnar lachte nickend.

„Oh ja. Ich weiß genau was du meinst. Du hast Mamas Wohnzimmer noch nicht gesehen. Da liegen sogar noch die weißen Spitzendeckchen von meiner Oma überall herum. Ich schätze, ihr ging es damals wir mir jetzt: sie war einfach nicht fähig etwas zu verändern was ihre Mutter so platziert hatte. Egal, aber sieh mal, das ist doch schon ein wenig seltsam, oder?“

„Ja, allerdings“, erklärte Thies und sah auf den Hebel des Fensters, der irgendwie seltsam wirkte. Irgendwie schief.

„Hat das jemand aufgehebelt?“, wollte Thies wissen und beugte sich vor, um etwas besser sehen zu können.

„Könnte sein. Das ist dann aber doch ein Zeichen das ich nicht danebengelegen habe, oder?“, fragte Gunnar und sah sich im Zimmer um. Er schien nichts zu entdecken, was seine Aufmerksamkeit erforderte und wendete sich wieder an Thies, der mit spitzen Fingern am Fenstergriff hantierte. Er bewegte ihn aber nicht.

„Ich hätte die größte Lust wieder die Polizei anzurufen. Das sollte sich ein Fachmann ansehen.“

Jemand drehte einen Schlüssel im Wohnungsschloss und Thies sah fragend auf den Mann, in dessen Wohnung sie sich befanden.

„Das ist nur Kathrin. Du weißt schon, die, die ich gestern Abend angerufen habe und die mich abgeholt hat. Sie, ähm, sie hat es im Augenblick gerade nicht leicht und ich helfe ihr ein bisschen in ihrer Situation.“

Thies runzelte die Stirn und Gunnar trat einen Schritt näher an ihn heran „Sie hat ihren Job verloren und putzt hier zwei Mal die Woche. Sie hat wohl nicht mitbekommen das ich noch zuhause bin. Warte“, sagte er und machte ein paar Schritte bevor er sich noch einmal zu Thies drehte.

„Keine Lust alles zu erklären“, flüsterte Gunnar und sah Thies mit einem Blick an, der dem fast den Boden unter den Füssen fortzog. Was hatte dieser Kerl zu verbergen? War wirklich alles mit ihm in Ordnung?

War das, was er ihm erzählte auch wirklich die Wahrheit? Und weshalb durfte diese Nachbarin nicht wissen, dass er hier war?

Ein Frauenschrei löste seine Gedanken einfach in nichts auf. Er war kurz davor die Treppe hinunterzustürzen um die Gefahr, die die Frau wohl bedrohte, abzuwenden. Er hörte Gunnar lachen.

„Hey, nicht gleich die Keule schwingen. Bin nur ich.“

„Herrgott noch mal, Gunnar. Ich kriege wegen dir noch einmal einen Herzinfarkt. Was machst du denn hier? Hast du heute frei, oder bist du krank?“, hörte er eine Frau fragen, deren Stimme ihm sofort sympathisch war. Sie schien nicht mehr ganz jung zu sein, aber auch noch nicht im Alter seiner Mutter.

„Ich hatte, man höre und staune, heute einfach keine Lust. Kannst du dir das vorstellen? ICH? Das Arbeitstier, hat keine Lust. Ist das zu fassen?“

„Keine Lust?“, fragte die Frau entrüstet und schnaubte „Ich wäre froh ich hätte eine Arbeit und du schwänzt weil du keine Lust hast? Ich fasse es nicht. Ehrlich nicht. Pass bloß auf das es dir nicht geht wie mir und sie deine Stelle einfach wegrationalisieren.“

„Ich werde mich bemühen. Ist wahrscheinlich auch eher eine große Ausnahme. Du kennst mich doch, ich bin sonst niemand der einfach so zuhause bleibt.“

„Das weiß ich“, antwortete diese Nachbarin und seufzte „Ich muss also heute nicht putzen und aufräumen?“

„Nein. Aber da es an mir liegt werde ich den Ausfall trotzdem bezahlen. Kein Thema.“

„Nein. Das möchte ich nicht. Wenn ich nicht arbeite, möchte ich auch nicht dafür bezahlt werden.“

„Wie du willst“, sagte Gunnar „Aber sag mal, hast du heute Nacht auch so komische Geräusche gehört?“

„Ich höre hier immerzu komische Geräusche“, kicherte die Frau „Ich lebe hier zwischen einer Menge junger Leute die ab und an mal vergessen das sie ihre Fenster besser schließen sollten wenn sie nicht alleine sind.“

Gunnar lachte leise „Das meinte ich weniger. Ich dachte eher an Geräusche die einen vermuten lassen das jemand in der Wohnung ist.“

Ein erschrockenes Geräusch entfuhr der Frau „Einbrecher?“, stieß sie aus und Gunnar räusperte sich.

„Weiß ich nicht. Könnte ja auch sein, das ich das einfach nur geträumt habe. Deshalb frage ich ja, ob du vielleicht irgendwas gehört hast.“

„Grund gütiger. Ich spiele schon lange wieder mit dem Gedanken einem armen Geschöpf aus dem Tierheim ein neues Zuhause zu geben. Seitdem unser Walter nicht mehr ist, ich meine, seit unser Schäferhund nicht mehr bei uns ist, ist es schon recht einsam. Auf der anderen Seite kann ich mir einen weiteren Esser kaum leisten und dann habe ja auch noch die Hoffnung auf eine neue Stelle. Dann wäre das Tier zu lange alleine. Deshalb habe ich es bis jetzt gelassen, aber mit Walter wäre niemand ins Haus eingebrochen. Garantiert nicht. Der hätte Alarm geschlagen, darauf kannst du dich verlassen.“

„Ein Hund“, sagte Gunnar leise und dachte nach, aber auch bei ihm wäre ein Tier die meiste Zeit alleine. Deshalb hatte auch er es niemals in Betracht gezogen sich einen Hund aus dem Tierheim oder dem Tierschutz zu holen. Jetzt, in diesem Augenblick war ihm das fast schon ein bisschen egal. Ein Tier würde ihm einen gewissen Schutz bieten, aber zu was für einen Preis?

„Wie dem auch sei“, knurrte Kathrin jetzt und wendete sich ab „Das ist sowieso nur Wunschdenken. Wie gesagt, ich kann es mir gar nicht leisten einen weiteren Esser durchzufüttern. Ganz zu schweigen von anderen Kosten die es verursacht“, sagte sie und seufzte noch ein Mal „Ich glaube, ich wünsche mir zu Weihnachten eine neue Arbeitsstelle und dann, tja dann könnte auch dieser andere Wunsch in Erfüllung gehen.“

Thies sah, wie Gunnar die Lippen aufeinanderpresste und den Blick senkte.

„Es wird sich alles zum Guten wenden, Kathrin. Ganz sicher. Vielleicht nicht heute und vielleicht auch nicht morgen, aber irgendwann.“

„Dein Wort in Gottes Gehör“, murmelte sie und verschwand, wie sie gekommen war. Gunnar kam wieder die Treppe hoch und seufzte laut.

„Wenn ein Mann aus meinem Stockwerk gekommen wäre“, setzte er zu einer Erklärung an, aber Thies stoppte ihn mit einer Geste.

„Du musst nichts erklären. Alles gut“, sagte er und steckte die Hände in die Hosentaschen „Es gibt so viele Menschen die gar keinen Wert auf eine Arbeitsstelle legen und dann gibt es solche wie sie, die unbedingt arbeiten wollen, aber keine Stelle finden. Das ist doch ungerecht.“

„Das ist es. Hast du das Gespräch verfolgen können?“

„Habe ich.“

„Ich habe schon einige Male überlegt ob ich nicht einen Hund aus dem Tierheim holen soll und ihn ihr überlassen, aber das würde sie niemals annehmen und da ich weiß wie knapp es bei ihr ist, habe ich es gelassen.“

„Sie hatte früher einen Schäferhund?“

Gunnar nickte.

„Ja. Als sie hier eingezogen sind war er noch sehr jung. Als die Scheidung lief hat ihr Mann ihn einfach mitgenommen. Sie ist dann innerhalb des Hauses in eine kleinere Wohnung gezogen und prompt stand der Hund eines Tages vor der Tür. Mit allem was dazugehört. Ihr Mann wollte ihn einfach nicht mehr und hat ihn ihr überlassen. Ein paar Jahre später wurde Walter, der Hund, dann ziemlich krank und sie musste ihn einschläfern lassen. Das war für sie die Hölle, das kann ich dir versichern. Sie wäre fast daran zerbrochen. Die Kinder längst aus dem Haus, vom Mann geschieden und der einzige Halt war plötzlich auch nicht mehr da. Das war keine einfache Zeit. Sie hat zu viel getrunken um den Schmerz zu vergessen und na ja“, sagte Gunnar und befeuchtete die trockenen Lippen.

„Dann hat sie ihre Stelle verloren?“, fragte Thies nach und sah Gunnar nickend bejahen.

„Inzwischen ist sie schon wieder seit zwei Jahren oder noch länger trocken, aber was immer sie auch unternimmt, niemand will sie einstellen.“

Eine seltsame Stille breitete sich zwischen ihnen aus, bis Gunnar sich wieder gefasst hatte. Das Fenster kam ihm in den Sinn. Er ließ Thies stehen und betrachtete noch einmal den Griff.

„Was machen wir jetzt?“, wollte er wissen und wendete sich wieder Thies zu.

„Sagte ich doch. Du packst jetzt ein paar Sachen und kommst erst einmal mit zu mir. Ich habe da eine Idee, aber ich muss erst einmal nachdenken und das kann ich am besten wenn ich mich zuhause zurückziehe.“

Er sah Gunnar an das ihm der Vorschlag nicht behagte, aber als er einen Blick auf das noch immer geöffnete Fenster richtete, nickte er schließlich.

„Aber was machen wir mit Kathrin?“, wollte er wissen und Thies dachte nach.

„Meinst du, sie ist ebenfalls in Gefahr?“, fragte er schließlich und sah Gunnar dabei zu, wie er eine kleine Tasche aus einem Schrank nahm.

„Wenn ich herausfinden würde was der Kerl von mir will, dann könnte ich dir die Frage vielleicht beantworten, aber ich kann mir beim besten Willen keinen Reim auf diese Sache machen. Zuerst das gestern Abend und dann das heute Nacht. Vielleicht hat es auch gar nichts miteinander zu tun“, versuchte Gunnar sich selbst zu erklären. Er öffnete eine Tür und betrat das Zimmer dahinter. Thies sah, dass es sich um das Schlafzimmer handelte. Wahrscheinlich packte Gunnar ein paar Kleidungsstücke in die kleine Tasche, die er aus dem Schrank geholt hatte. Erneut sah er sich um. Ein paar Bilder hingen an der Wand, aber keine persönlichen Fotos. Nur Kunstdrucke. Vor einem davon blieb er stehen. Die Farben gefielen ihm, obwohl er nicht hätte sagen können, was darauf abgebildet war. Es waren einfach nur Striche in verschiedene Richtungen.

„Das hat ein Freund von mir gemalt“, sagte Gunnar und Thies fuhr erschrocken zusammen.

„Großer Gott. Diese Kathrin hat Recht. Du schleichst dich wirklich an“, sagte er und griff sich theatralisch ans Herz. Gunnar grinste und deutete auf das Bild, vor dem sie standen.

„Kurz nachdem ich ihm das Bild überlassen hat, ist er von der Bildfläche verschwunden. Von einem auf den anderen Tag war er einfach weg. Ein bisschen so, als hätte es ihn nie gegeben“, er klatschte in die Hände und schnitt eine komische Grimasse „Ich habe verzweifelt versucht ihn durch das Internet wiederzufinden, aber was immer ich versuche, er ist und bleibt als hätte er sich in Luft aufgelöst.“

Thies stieß die Luft hörbar aus „War er ein guter Freund?“

„Ja“, gab Gunnar zu „Wir kannten uns aus der weiterführenden Schule und haben eine Ewigkeit nebeneinander gesessen. Sogar an der Uni hatten wir ein paar gemeinsame Kurse, aber er hat das Studium dann irgendwann geschmissen und hat sich der Kunst gewidmet. Ab dem Tag habe ich nichts mehr von ihm gehört. Eigentlich schade. Erstens gefiel mir das was er auf die Leinwand brachte und dann war er auch ein wirklich guter Freund.“

Thies starrte auf die Signatur am rechten unteren Rand des Gemäldes, das er für einen Druck gehalten hatte. Gunnar folgte dem Blick.

„Sein Name war Peter“, sagte er leise und wendete sich dann ab. Thies vermutete, das es ihm schwerfiel über den Freund nachzudenken und ließ ihn deshalb in Ruhe. Er bemühte sich, den Nachnamen zu erkennen, aber auch das war unmöglich. Der Schrift nach zu urteilen wäre der Mann wohl besser Arzt geworden, die hatten ja meist auch so unleserliche Schriften. Prompt dachte er an seinen besten Freund aus Kindertagen, den er ebenfalls sehr vermisste, genau wie Gunnar wohl dieser Peter hier. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Gunnar die Vergangenheitsform benutzt hatte. Als er von ihm sprach. So, als wüsste er, dass der Künstler dieses Gemäldes nicht mehr am Leben sei. Bei seinem Freund Stefan wusste er nur zu genau, wo er ihn finden würde. Leider

„So einen ähnlichen Freund habe ich auch, der ist nur leider nicht mehr am Leben. Er hatte einen tödlichen Motorradunfall und ich wäre fast daran zerbrochen“, gab er zu und spürte Gunnar Blick auf sich „Wir kannten uns seit unserer Geburt“, machte er erklärend weiter „Unsere Mütter waren zusammen in einem Zimmer untergebracht und hatten sich angefreundet. Die beiden haben sich noch Jahre später immer mal wieder getroffen und die Kinder haben die Möglichkeit genutzt und haben uns angefreundet. Na ja. Mal waren wir enger zusammen, mal haben wir uns monatelang nicht gesehen und haben auch nichts voneinander gehört. Und dann, eines schönen Tages rief mich seine Mutter an und teilte mir mit das er nicht mehr lebte. In seiner Brieftasche hatten sie ein altes Foto von uns beiden gefunden und meine Telefonnummer.

---ENDE DER LESEPROBE---