Ich spiele kein Lotto - Nasha Berend - E-Book

Ich spiele kein Lotto E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Tamsin ist nicht gerade der Ordentlichste. Zumindest nicht in den eigenen vier Wänden. Es verwundert seine Geschwister also nicht das sich sein Altpapier auf einer Kommode an der Wohnungstür stapelt. Bis dieser Stapel eines Tages nicht mehr vorhanden ist, weil sein Zwillingsbruder ihn entsorgt hat. Genau damit fängt diese Geschichte an. Mit einem achtlos entsorgten Stapel Papier. Tamsin glaubt zuerst nicht, was ihm in einem Brief mitgeteilt wird und führt sein Leben genau so weiter wie bisher. Jeden Morgen fährt er zu seiner Arbeitsstelle, nimmt seine Arbeit auf und ärgert sich mit seinen Kollegen und Kolleginnen über die Vorgesetzten, die alles besser wissen. Er berät Kunden, freut sich, wenn er helfen konnte und fährt am Abend wieder nach Hause. Eines Tages beschließt er aber, etwas völlig anderes zu tun. Das er damit einen Albtraum auslöst, ahnt er nicht, als er alles hinter sich lässt und nach vorne sieht. Er lernt neue Menschen kennen, aber er verbringt auch Zeit mit Menschen, die er länger kennt und die er jetzt in einem anderen Licht sieht. Zusammen mit neuen und alten Freunden findet er ein Leben, das er sich niemals vorstellen konnte. Was ihn aber am meisten verwunderte war ein kleines, unscheinbares Tier, das immer wieder für Wendungen sorgte, mit denen niemand von ihnen gerechnet hatte. Ein Tier, dem in der Gegend in der Tamsin sich befindet, eine Sage gewidmet ist. Ob sich diese Sage als Wahrheit entpuppt, wird sich im Laufe dieser Geschichte zeigen. Außerdem ist da noch ein gewisser Makler, der sein Herz ein wenig aus dem Takt bringt.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Überraschung!!
Geschwister und Altpapier
Anzug und Krawatte
Tamsin
Louis
Baumärkte
Ein Treffen und seine Folgen
Herr Müller
Gruseleffekte
Beobachtet
Ich habe es dir doch gesagt
Wesen
Telefonate und Nachrichten
Wow-Effekte
Streitgespräche
Vicky
Fremde
Martin
Freunde
Weihnachten

Wortzähler: 72826

 

 

 

 

 

 

 

Ich spiele kein Lotto

 

Das weiße Kaninchen

 

 

 

von

 

Nasha Berend

 

 

Copyright © Nasha Berend

 

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Impressum:

Nasha Berend

Buschstraße

39649 Hansestadt Gardelegen

E-Mail: [email protected]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über das Buch

 

Tamsin ist nicht gerade der Ordentlichste. Zumindest nicht in den eigenen vier Wänden. Es verwundert seine Geschwister also nicht das sich sein Altpapier auf einer Kommode an der Wohnungstür stapelt. Bis dieser Stapel eines Tages nicht mehr vorhanden ist, weil sein Zwillingsbruder ihn entsorgt hat. Genau damit fängt diese Geschichte an. Mit einem achtlos entsorgten Stapel Papier.

Tamsin glaubt zuerst nicht, was ihm in einem Brief mitgeteilt wird und führt sein Leben genau so weiter wie bisher. Jeden Morgen fährt er zu seiner Arbeitsstelle, nimmt seine Arbeit auf und ärgert sich mit seinen Kollegen und Kolleginnen über die Vorgesetzten, die alles besser wissen. Er berät Kunden, freut sich, wenn er helfen konnte und fährt am Abend wieder nach Hause.

Eines Tages beschließt er aber, etwas völlig anderes zu tun. Das er damit einen Albtraum auslöst, ahnt er nicht, als er alles hinter sich lässt und nach vorne sieht. Er lernt neue Menschen kennen, aber er verbringt auch Zeit mit Menschen, die er länger kennt und die er jetzt in einem anderen Licht sieht. Zusammen mit neuen und alten Freunden findet er ein Leben, das er sich niemals vorstellen konnte. Was ihn aber am meisten verwunderte war ein kleines, unscheinbares Tier, das immer wieder für Wendungen sorgte, mit denen niemand von ihnen gerechnet hatte. Ein Tier, dem in der Gegend in der Tamsin sich befindet, eine Sage gewidmet ist. Ob sich diese Sage als Wahrheit entpuppt, wird sich im Laufe dieser Geschichte zeigen. Außerdem ist da noch ein gewisser Makler, der sein Herz ein wenig aus dem Takt bringt.

 

 

 

Überraschung!!

 

„WAS hast du gesagt?“

 

 

 

„Ich sagte, du solltest deine Post vielleicht doch mal öffnen. Vielleicht ist was wichtiges dabei?“

„Ja“, kommentierte er genervt „Eine wichtige Rechnung. Was soll denn sonst noch dabei sein? Ein Brief von einem Rechtsanwalt der mir das Ableben eines Erbonkels in Neuseeland mitteilt wird es wohl kaum sein, den habe ich nämlich nicht.“

„Boah ey, du bist so ein Pessimist.“

„Weiß ich, aber ehrlich gesagt, mir geht es gerade nicht so gut. Also ziehe ich es vor, nicht auch noch die Post zu öffnen um mich über die Werbung und die Rechnungen zu ärgern.“

„Dann lass es, aber mach mir hinterher keinen Vorwurf wenn doch was dabei war, was du dir besser nicht hättest entgehen lassen.“

Er verdrehte die Augen und seufzte laut „Versprochen. Tue ich nicht.“

„Das sagst du jetzt“, hörte er seine Schwester sagen und sah wie sie nach ihrer Handtasche griff und sich über die Schulter hängte „Komm mir in ein paar Wochen nur ja nicht komisch, in Ordnung?“

Er schnitt eine Grimasse und öffnete die Wohnungstür für sie. Mit einer Geste entließ er sie ins Treppenhaus, wo seine neuen Nachbarn gerade ebenfalls dabei waren ihre Wohnung zu verlassen. Die Frau beäugte ihn kritisch und richtete ihren Blick dann auf diejenige, die gerade winkte.

„Ich melde mich Ende der Woche, okay?“, sagte sie, nickte den neuen Bewohnern des Hauses zu und verschwand mit schnellen Schritten. Er seufzte laut und war im Begriff seine Wohnungstür zu schließen, als er die fremde Frau etwas sagen hörte und sich angesprochen fühlte.

„Wie bitte?“

„Ich sagte“, begann sie „Das es hier zugeht wie im Taubenschlag. Könnten Sie Ihren Besuchern bitte sagen das sie mitten in der Nacht im Treppenhaus etwas leiser sein sollen? Ich dachte, da geht oder kommt eine ganze Herde von irgendwelchen Trampeltieren. Und als wäre das noch nicht genug, haben sie auch noch ziemlichen Lärm gemacht.“

„Wann soll das gewesen sein?“, wollte er wissen und wich ihrem Blick nicht mehr aus.

„Na, heute Nacht.“

„Nee“, er schüttelte den Kopf „Dann richten Sie Ihre Bitte an jemand anderen. Ich war heute Nacht nämlich alleine, wie die letzten vier Wochen auch.“

„Auch noch unverschämt werden, was? Wer war denn das gerade eben? Ein Geist war es wohl kaum.“

Er stöhnte leise „Das war meine Schwester, die mir jeden Morgen vor der Arbeit ein paar Brötchen für das Frühstück bringt. Ich liege genau zwischen ihrer Wohnung und ihrem Arbeitsplatz, aber das geht Sie wohl kaum was an.“

Die Frau murmelte etwas vor sich hin, während der Mann ihn mit einem Blick musterte, mit der er sich für ihr Verhalten entschuldigte.

Er schloss seine Wohnungstür und lehnte sich für wenige Sekunden dagegen. Im Flur hörte er das Paar die Treppe hinunterlaufen, noch immer darüber diskutierend, ob er nun unverschämt war oder nicht.

Er hob den Kopf und sah auf die große Uhr am Ende seines Flures, dann stieß er sich von der Tür ab und betrat die Küche, in der er sich setzte und eines der drei Brötchen aufschnitt, um es mit Marmelade zu bestreichen. Während des Frühstücks fiel ihm der schon recht große Haufen an Post auf, den seine Schwester einfach auf seiner Arbeitsplatte abgelegt hatte. Das einiges davon Werbung war, konnte er auf Anhieb erkennen, anderes konnte er nicht identifizieren. Nach der ersten Hälfte Marmeladenbrötchen stand er auf und holte das Häufchen Post zu sich an den Tisch.

„Werbung“, murmelte er und nahm den ersten Brief herunter, um ihn etwas weiter entfernt wieder abzulegen „Noch mal Werbung“, murmelte er und legte ihn auf das erste Schreiben „Ah, da ist ja die Rechnung vom Auto“, knurrte er und verdrehte innerlich schon die Augen „Auf die hätte ich getrost verzichten können“, machte er weiter und schmierte sich die zweite Hälfte seines Frühstücksbrötchens. Direkt danach nahm er noch die restliche Post in Augenschein, sortierte sie in drei Häufchen und stellte anschließend das benutzte Geschirr in die Spülmaschine. Danach widmete er sich den Rechnungen. Auch diese sortierte er in »besonders dringlich« und »kann noch warten« und holte tief Luft, als er das Resultat erfasste.

„Au weia. Das heißt dann wohl soviel wie Überstunden und noch mehr Überstunden“, knurrte er und presste die Lippen aufeinander. Er nahm sich vor, mit seinem Chef darüber zu sprechen, und machte sich anschließend fertig für die Arbeit. Er griff nach seinem Wohnungsschlüssel als sein Blick auf die aussortierte Post fiel. Verdammte Werbung. Von einem Sanitätshaus, einem Gartenbetrieb, von einer Versicherung und einem Autohaus, von dem er noch nie etwas gehört hatte. Aber dazwischen befand sich ein gelber Umschlag, auf dem nur seine Adresse stand und sonst nichts. Kein Absender oder der Aufdruck einer Firma.

Warum auch immer er es tat, er hätte es später nicht beantworten können, aber er nahm den Brief an sich und öffnete ihn mit dem Bart seines Wohnungsschlüssels und entnahm das gefaltete, blütenweiße Papier. Nur Minuten später schnappte er nach Luft und las die Information noch einmal und dann noch einmal.

Er ließ den Brief sinken, nahm ihn wieder hoch, las ihn erneut, schüttelte über sich selbst und seine Gutgläubigkeit den Kopf und warf den Brief auf einen der Stapel auf dem Küchentisch. So ein Blödsinn. Darauf würde er nicht reinfallen. Nein! Er nicht.

Eine halbe Stunde später betrat er durch den Personaleingang den Laden, in dem er seit etwa vier Jahren arbeitete.

„Was bin ich froh das du da bist“, wurde er von einer Mitarbeiterin empfangen „Der Chef hat heute wieder eine Laune kann ich dir sagen“, erklärte sie ihm ungefragt und stöhnte leise, während sie sich an den Kopf griff „Furchtbar.“

„Ich übernehme gleich“, sagte er lächelnd „ich hole mir nur noch einen Kaffee, ja?“

„Ich sage es ja. Ich bin froh das du hier bist. Sag mal, hat der hier noch lange das Sagen?“

„Wenn er nicht gerade morgen in Rente geht oder im Lotto gewinnt, wahrscheinlich schon. Warum?“

„Wäre es nicht mal an der Zeit dich zu befördern? Du schmeißt den Laden doch sowieso mehr oder weniger alleine. Ich finde das nicht gerecht“, sagte sie und stopfte verärgert ihre Hände in die Kitteltasche „der Alte sitzt auf seinem dicken Hintern und kassiert den Lohn und du machst die Arbeit und verdienst gerade mal so viel das man am Hungertuch nagt. Das ist nicht gerecht, wenn du mich fragst.“

„Dich fragt aber niemand und mich wohl auch nicht“, sagte er, hängte seine Jacke in den Spint und stellte seinen Rucksack hinein, dann schlüpfte er in seine Arbeitsschuhe und sah keine halbe Stunde später dem Mann hinterher, der sich den Ruhestand wirklich verdient hätte. Er konnte verstehen, das er keine Lust mehr darauf hatte hier für jemanden zu schuften, den er noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren es, die den Laden am Laufen hielten und die Kundenwünsche so gut es ging erfüllten. Sie waren es, die tagaus tagein ackerten bis sie abends todmüde ins Bett fielen und gedanklich noch immer keinen Feierabend gemacht hatten. Und wer dankte es ihnen?

„Ich kann verstehen das du dir kein Bein mehr ausreißt“, sagte er leise während er hinter dem Mann her sah der in sein Auto einstieg und vom Parkplatz rollte „aber ein bisschen Zeit wirst du hier wohl noch verbringen müssen bevor du in Rente gehst“, machte er leise weiter und dachte an das Schreiben, das er gelesen hatte, bevor er zur Arbeit ging. Er lachte noch einmal über sich selbst und machte dann das, was er sonst auch tat.

Arbeiten.

Gegen 19.30 Uhr am gleichen Tag war er wieder zuhause und warf seinen Wohnungsschlüssel achtlos auf die Kommode an der Tür. Im hohen Bogen entledigte er sich seiner Schuhe und stellte den Rucksack auf einem Stuhl in der Küche ab. Schon im Flur begann er sich auszuziehen und war nackt, bis er das Bad betrat und sich unter die Dusche stellte. Mit geschlossenen Augen genoss er das heiße Wasser, das über seinen Körper lief und blieb einfach reglos stehen. Erst ein Nachrichtenton des Smartphones holte ihn in die Gegenwart zurück. Erschrocken drehte er das Wasser ab, öffnete die Tür seiner Dusche einen Spaltbreit und tastete nach dem Mobiltelefon, das immer auf dem Waschbecken lag, solange er duschte.

Er riskierte einen Blick auf das Display und seufzte „Du hast mir zu meinem Glück heute noch gefehlt“, sagte er verärgert und öffnete die Dusche so weit, das er hindurchschlüpfen konnte. Er nahm sein Handtuch und trocknete sich, so gut es mit einer Hand eben ging, ab „Wenn das jetzt nicht wichtig ist, dann gnade dir Gott“, schimpfte er und hörte den Gesprächsteilnehmer lachen. Er hatte seine Geschwister gern, aber manchmal gingen sie ihm gewaltig auf die Nerven, so wie im Augenblick.

Seine Schwester versuchte ständig ihn mit einer ihrer Freundinnen zu verkuppeln und sein Zwillingsbruder hatte immerzu Geldprobleme und versuchte ihn anzupumpen. Andere Themen kannten die beiden scheinbar nicht, weshalb es unwahrscheinlich mühsam war sich mit ihnen zu unterhalten. Einfachen Smalltalk konnte man zwar betreiben, aber nach spätestens drei belanglosen Sätzen waren sie wieder bei dem Thema, das sie beschäftigte: Sein Beziehungsstatus und seine finanziellen Mittel. Von beidem nahmen sie wohl an das es interessant für sie sein müsste.

Er trocknete seine Haare und hörte nur mit einem halben Ohr zu. Einige Male nickte er und bestätigte die Aussage, ein anderes Mal schüttelte er den Kopf „Davon weiß ich nichts.“

„Du sag mal“, kam plötzlich aus dem kleinen Telefon an seinem Ohr „ich würde dich gerne was fragen.“

„Wenn du wissen willst ob ich in den letzten Wochen jemanden gedatet habe, dann muss ich dich enttäuschen. Ich genieße es gerade zusehens alleine zu sein. Manchmal ist das besser als eine halbherzige Beziehung.“

Sein Bruder lachte. Er liebte dieses Lachen und auch seinen um zehn Minuten älteren Bruder Levi, aber so ab und an wäre er begeistert gewesen ein Einzelkind zu sein.

„Nein. Das ist wohl mehr Alinas Revier, Brüderchen. Sie ist diejenige von uns die dich gerne unter die Haube bringen würde. Sag mal, hast du eigentlich immer noch nicht mit ihr gesprochen?“

„Bei ihr kommt man doch kaum zu Wort“, versuchte er sich zu rechtfertigen und ließ sich so nackt, wie er war, in einen Sessel plumpsen. Noch immer trocknete er sich mit einer Hand die Haare ab „Aber ja, sie wissen Bescheid. Was aber nicht heißt das sie es akzeptieren.“

„Ach Tamsin“, kam aus dem Telefon „Lass ihnen ein bisschen Zeit sich damit abzufinden denn genau das wird passieren. Mama und Papa ist es mit Sicherheit egal, solange du glücklich bist und Alina wird sich fügen, ich meine“, begann er, bis Tamsin ihm ins Wort fiel „Bitte! Hör einfach auf, ja. Das ist doch sicher nicht der Grund weshalb du anrufst. Wenn du aber wieder Geld brauchst, dann muss ich dich enttäuschen. Ich habe gerade so gar nichts übrig.“

„Es geht nicht um Geld“, gab der Gesprächsteilnehmer zu und Tamsin hörte, wie sein Bruder Levi sich räusperte und dann leiser weitersprach „Ich bräuchte für eine kurze Zeit ein Quartier.“

„Quartier? Was meinst du damit?“

Am anderen Ende der Leitung räusperte sich jemand.

„Wenn du es genau wissen willst, ich habe mich vor ein paar Stunden von Svetlana getrennt und habe ihr, großzügig und dämlich wie ich bin, versprochen ihr die gemeinsame Wohnung zu überlassen. Was aber auch bedeutet das ich jetzt obdachlos bin.“

„Sie hat dich vor die Tür gesetzt, oder?“

„So könnte man es auch sagen. Aber wir haben einen Kompromiss geschlossen, denn sie muss nicht umziehen und ich behalte den Kombi.“

Tamsin befeuchtete seine trockenen Lippen und bemerkte erst jetzt das er Hunger hatte „Natürlich kannst du ein paar Tage bleiben. Kein Thema, aber auch wirklich nur ein paar Tage. Danach solltest du wohl wieder auf eigenen Füßen stehen können. Kannst du mir das versprechen?“

„Ich denke ja. Muss mal gucken was ich mit dem Job mache, aber hierbleiben möchte ich auf keinen Fall. Mir wäre es lieber wieder ein bisschen näher bei meiner Familie zu wohnen, aber auch nicht so nah das man mich jederzeit erreichen kann, wenn du weißt worüber ich spreche.“

Der grinsende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen und Tamsin schmunzelte.

„Kann ich gut verstehen. Auf der anderen Seite müssen wir uns wohl damit abfinden das unsere Eltern wohl nicht jünger werden. Mama kämpft mit ihren Alterswehwehchen und Papa wird immer tüdeliger.“

„Wie meinst du das?“

„Irgendwas stimmt nicht mit ihm, aber er lässt sich weder von Mama, noch von Alina und mir was sagen. Für ihn ist es so als wäre er noch immer derjenige der er mal war, aber so ist es nicht. Wenn du mich fragst, dann durchlebt er gerade ein frühes Stadium von Alzheimer.“

„Oh Gott. Das fehlt uns noch, aber sagtest du vorhin ich könnte bei dir bleiben?“

„Ja, das habe ich gesagt.“

„Das ist ja wunderbar, dann bin ich in etwa einer Stunde bei dir, dann können wir über alles reden. Ist das in Ordnung?“

„Was? Heute schon?“

„Ja. Ich bringe auch was zu Essen mit, okay?“„Das wäre ja wundervoll. Also gut. Dann mache ich dir schon mal das Bett.“

„Tamsin?“

„Ja.“

„Danke“, hörte er seinen Bruder fast schon flüsternd von sich geben und direkt darauf ein klares „Wir sehen uns gleich, Brüderchen.“

 

 

 

 

Geschwister und Altpapier

 

Als Tamsin am anderen Morgen zur Arbeit kam, gähnte er anstatt das er den anderen einen guten Morgen wünschte. Eine Mitarbeiterin lachte.

„Oh je. Du siehst aus als hättest du in der Nacht kein Auge zugetan. Scheint, als wenn du eine neue Liebe gefunden hättest.“

„Ich habe nicht mal eine gesucht“, gab Tamsin zu und schüttelte den Kopf „Nein, ich muss dich enttäuschen. Ich habe die ganze Nacht mit meinem Bruder gequatscht.“

„Oh“, gab die junge Frau von sich „Du hast einen Bruder? Davon wusste ich ja gar nichts.“

„Du weißt so einiges nicht von mir“, zwinkerte Tamsin ihr zu und gähnte gleich noch einmal „Genau so wie ich vieles nicht von dir weiß. Aber wir sind doch auch nur Arbeitskollegen, oder?“

„Apropos Kollegen“, murmelte die Frau und räusperte sich. Sie reichte Tamsin ein Blatt bedruckten Papiers und wartete auf seine Reaktion, die auch nicht lange auf sich warten ließ.

„Ach du Scheiße“, murmelte er und ließ das Blatt sinken „Dann werden jetzt also noch Wetten angenommen wer den Posten übernimmt, oder hast du da schon was läuten hören?“

„Nein“, sie schüttelte den Kopf und trat einen Schritt näher an ihn heran „Aber wenn mich einer fragt wer das übernehmen soll, dann wird dein Name fallen, darauf kannst du dich verlassen. Ich möchte den Posten nicht haben und von den anderen ist auch niemand bereit so viel Verantwortung zu übernehmen.“

„Ich bin mir nicht sicher ob ich Filialleiter werden will“, murmelte er und gähnte erneut. Er rieb ich die Augen „Aber auf die Idee euch zu fragen werden die wohl auch nicht kommen. Wann hört er auf?“

„Wenn ich das richtig gelesen habe, dann in zwei Monaten. Das kommt wohl sehr kurzfristig. Es ist durchgesickert das er krank ist. Und zwar richtig krank. Nicht nur so eine Grippe, oder sowas.“

„Das hat er trotz allem nicht verdient“, gab Tamsin zu und nippte an einer Tasse mit einem heißen Getränk, die ihm seine Kollegin gerade gereicht hatte „Aua“, schimpfte er „Das Zeug ist ja kochendheiß.“

„Gerade erst gekocht“, zwinkerte sie ihm zu und ließ ihn dann einfach stehen. Sie lief zu einem Kunden der eine Information brauchte und er ging vom Spint aus wieder ins Büro, wo sein Chef saß und mürrisch in eine Zeitung starrte. Er hob nicht einmal den Blick, als Tamsin eintrat und ihn begrüßte.

Wie fast jeden Tag war er kaum vor 19.30 Uhr zuhause. Aber deshalb fing er ja auch später an und nicht wie manche seiner Kollegen schon vor dem Aufstehen. Jedenfalls für ihn.

Als er den Schlüssel zu seiner Wohnung im Schloss drehte, drang schon Musik bis zu ihm.

„Mensch Levi. Mach die Musik leiser sonst stehen die Nachbarn gleich wieder auf der Matte.“

„Du meinst du Tante von drüben?“

„Nicht nur die. Die unter und die über uns auch.“

„Die von drüben hat mich heute gefragt ob ich jetzt bessere Laune hätte aber sie hätte auch meine Freundin nicht gesehen. Sollte ich da vielleicht was wissen?“

Tamsin verdrehte die Augen „Die meint Alina. Dadurch das sie mehr oder weniger jeden Morgen hier vorbeirauscht bekommen es viele zwar mit das sie meine Wohnung wieder verlässt, aber nur ganz ganz wenige wissen das sie sie erst Minuten zuvor betreten hat. War sie eigentlich heute hier?“

„Alina? Nee, die habe ich nicht gesehen.“

„Was riecht denn hier so?“

„Ach Mist“, schimpfte Levi und lief schnell in die Küche, wo er noch hantierte als Tamsin aus der Dusche kam und sich in bequemer Kleidung auf einen Stuhl fallen ließ.

„Stell dir vor, Svetlana hat angerufen“, grinste Levi und entnahm dem Backofen eine Auflaufform, von der Tamsin nicht einmal wusste, woher die kam „Sie ist wohl der Meinung wir sollten noch einmal über alles reden.“

„Und wann wirst du dich mit ihr treffen?“

„Mit wem?“

„Mit Svetlana“, gab Tamsin von sich und verdrehte die Augen „Mit wem denn sonst?“

„Ach so. Ich weiß noch nicht. Ist es ratsam kalten Kaffee wieder aufzuwärmen?“

„Fühlst du denn gar nichts mehr für sie?“

Levi zog die Nase hoch und sah an Tamsin vorbei, dann wechselte er wenig gekonnt das Thema.

„Du kriegst eine ganze Menge Werbung mit der Post. Was hältst du davon wenn du dir mal so ein Klebeschild besorgst: bitte keine Werbung?“

„Bringt das was?“

„Weiß ich nicht, aber schlimmer kann es ja nicht werden, oder? Da holt man ja fast den halben Regenwald aus dem Kasten.“

„Ich weiß“, gab Tamsin zu und dachte für einen kurzen Augenblick an Svetlana, die er eigentlich nie gemocht hatte aber die trotzdem zu seinem Bruder gehörte „Ich könnte mir ja mal eines aus dem Geschäft mitbringen. Schließlich verkaufen wir die Dinger ja, aber bisher habe ich keinen Sinn darin gesehen und es immer gelassen.“

„Dann solltest du es versuchen. Schlimmer kann es ja nicht werden.“

„Vor ein paar Tagen hatte ich sogar eine Mitteilung von einer Lottogesellschaft im Kasten die mir mitgeteilt hat das ich der Gewinner des großen Jackpots wäre“, lachte Tamsin und schüttelte schon wieder den Kopf „Die haben doch echt nicht mehr alle Latten am Zaun. Die sind doch nur darauf aus Daten abzugreifen und dich dann mit Werbung zu bombardieren. Als würde jemand der nie Lotto spielt im Lotto gewinnen“, kicherte er und sah Levi an, der mit starrem Blick vor ihm stand und anstarrte.

„Wo ist dieser Brief?“, wollte er wissen und Tamsin hob die Schultern.

„Keine Ahnung. Ich glaube, ich habe ihn auf die Kommode an der Tür gelegt. Ich wollte ihn später Alina zeigen. Wieso?“

„Wo ist dieser Brief, Tamsin?“

„Alter. Beruhige dich mal wieder. Wie schon gesagt, ich könnte da nicht gewinnen weil ich nie gespielt habe.“

Levi zog aus Nervosität die Nase hoch und räusperte sich.

„Kannst du dich an unseren Geburtstag erinnern?“

„Wie könnte ich das nicht?“, fragte Tamsin und dachte an den Tag vor zwei Monaten, an dem sie sich zum Grillen getroffen hatten. Sie hatten mit gemeinsamen Freunden gefeiert und jeder von ihnen ....

Tamsin stutzte.

Plötzlich bekam er riesengroße Augen und griff nach vorn. Er erwischte seinen Bruder an den Schultern und ging in Windeseile die letzten Tage durch. Wann hatte er den Brief der Lottogesellschaft geöffnet und wohin hatte er ihn gelegt?

„Scheiße“, knurrte er und stieß Levi von sich. Er rannte in den Flur und stellte fest, dass kein Brief mehr auf der Kommode lag.

„Scheiße“, wiederholte er „Wo ist meine Post?“

„Ich habe ein bisschen aufgeräumt und den Stapel der dort lag im Papiercontainer entsorgt“, erklärte Levi und verstand im ersten Augenblick nicht ganz, was sein Bruder ihm mitteilen wollte. Erst, als sich ihre Blicke begegneten, verlor er sämtliche Farbe im Gesicht und schlug sich die Hand vor den Mund.

„Heilige Scheiße“, flüsterte er und lief so schnell durch den Hausflur, das Tamsin Mühe hatte, ihm zu folgen.

Draußen vor der Tür stießen sie mit ihrer Schwester Alina zusammen, die ein wenig mitgenommen aussah und ihre Stirn runzelte, als sie nicht einmal begrüßt wurde.

„Ich freue mich auch euch zu sehen. Was machst du hier, Levi? Ist schon wieder Weihnachten?“

„Keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln. Du könntest uns helfen, Schwesterlein. Oh Gott“, Tamsin blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Sie sah wirklich nicht gesund aus.

„Alles okay bei dir?“

„Nein“, gab sie kopfschüttelnd von sich und atmete tief durch „Es ist nicht alles in Ordnung. Ich habe mir irgendwo die Männergrippe eingefangen und kann kaum aus den Augen gucken. Deshalb bin ich hier. Vielleicht könnte sich ja mal einer meiner Brüder um mich kümmern, statt das ich immer hinter euch herlaufe“, gab sie von sich und hustete im nächsten Augenblick. Das klang wirklich besorgniserregend. Tamsin war stehengeblieben und hatte sich zu ihr gedreht.

„Geh nach oben, Mausi. Wir sind gleich wieder da.“

„Was habt ihr denn vor, ihr zwei? Und was sucht der Kerl überhaupt hier? Sollte der nicht bei seiner besseren Hälfte sein?“

„Kurzfassung“, begann Tamsin „Die beiden haben sich vorübergehend getrennt und er hat bei mir um Asyl gebeten. Allerdings hat er ungefragt heute aufgeräumt und dabei den Brief der Lottogesellschaft weggeworfen.“

„Die Werbung?“, wollte sie wissen und Tamsin nickte.

„Genau die. Es könnte nämlich sein“, murmelte er und überlegte, wie er ihr seine Vermutung mitteilen sollte. Sie sah ihn mit einem Blick an, den er von ihrer Mutter kannte. Sie hatte ihn wohl an ihre einzige Tochter vererbt.

„Moment mal“, sagte sie „Soll es vielleicht heißen das dieser Brief keine Abzocke war? Das du wirklich im Lotto gewonnen hast?“

„Sagen wir mal so“, fiel Levi ihnen ins Wort „Wir haben doch beide einen Lottoschein zum Geburtstag bekommen. So einen, der für mehrere Ausspielungen gültig ist. Erinnerst du dich?“

„Oh ja. Das Ding war nicht so billig wie es ausgesehen hat“, murmelte Alina und hustete schon wieder. Außerdem zog sie ihre Nase hoch und sah ein bisschen aus, als würde sie sich in wenigen Sekunden übergeben „Es könnte also sein das du über Nacht und ohne dein Zutun Millionär geworden bist?“, wollte sie wissen und Tamsin sah hilfesuchend auf Levi, der noch immer neben ihm stand.

„Ich will lieber nichts behaupten“, begann er „Aber nachdem du mich auf den Umschlag aufmerksam gemacht hast, habe ich ihn geöffnet bevor ich zur Arbeit gegangen bin. Ich habe so gelacht als ich gelesen habe das ich mich doch bitte mit einem ihrer Mitarbeiter in Verbindung setzen soll, nachdem meine Zahlen mit der letzten Ziehung übereingestimmt haben. Jetzt weiß ich auch nicht so genau was ich davon halten soll, aber ich habe den Brief wieder in den Umschlag getan und auf die Kommode gelegt ohne noch ein Mal daran zu denken. Aber er hier“, er deutete auf Levi und eine Grimasse schnitt „Ich habe sein ganzes Papiergedöns in den Container gebracht“, machte Levi weiter und sah nur wenig später, das sein Bruder in dem Papiercontainer verschwand, der im Hinterhof der Wohnungen stand und von mindestens sechs, meist aber sogar acht Parteien genutzt wurde. Wenn Not am Mann war, sprich, wenn die Tonnen der Nachbarn schon überfüllt waren, dann wurden aus den sechs oder zehn Parteien auch schon mal 12 oder 15.

Keine fünf Minuten später standen sie zu dritt im Altpapier und suchten verzweifelt den einen Brief, der an Tamsin adressiert war.

Sie kramten so lange darin herum, bis es dunkel wurde, und machten mit Taschenlampen weiter. Die Nachbarn dachten sich sicherlich ihr Teil, aber niemand schien Anstoß daran zu nehmen. Sie hockten lediglich auf ihren Mini-Balkonen und amüsierten sich darüber wie drei Personen den Inhalt durchforsteten, den sie fortgeworfen hatten.

Nur ein Mieter, ein älterer Mann aus dem Parterre, kam zu ihnen und bestaunte die Angelegenheit. Aber auch er gab sich mit Levis Erklärung, er hätte versehentlich einen wichtigen Brief fortgeworfen, zufrieden.

„Dann hoffen wir mal“, grinste der alte Mann „Das niemand etwas fortgeworfen hat, das er vor den Eltern verheimlichen wollte.“

Tamsin hielt mitten in der Suchaktion inne und warf eine Zeitschrift zur Seite, die er gerade erst an sich genommen hatte. Mittlerweile waren sie dazu übergegangen, alles Papier im zweiten Container von links nach rechts zu schichten, um den Überblick nicht zu verlieren.

Levi lachte leise „Das ist heute digital.“

„Vieles vielleicht, aber sicher nicht alles“, gab der Alte grinsend zu und wendete sich ab. Er lief zum Haus zurück und verschwendete entweder keinen Gedanken mehr an sie, oder er setzte sich in seinen Fernsehsessel und dachte an seine Tage, als er so alt gewesen war, das er etwas vor den Eltern verstecken wollte.

Tamsin, Levi und Alina suchten weiter, bis Alina plötzlich und mit einem lauten Schrei etwas vor Tamsins Nase hielt.

„Ich habe ihn!“

Tamsin riss ihn ihr aus der Hand und nahm das Schreiben aus dem Umschlag. Er las es sicher zehn Mal oder noch öfter, während sowohl Levi als auch Alina ihm mit Blicken folgten.

Als er ihn sinken ließ, sank Alina zu Boden. Levi fing sie gerade noch auf, hob sie hoch und verließ mit ihr zusammen den Container, dicht gefolgt von einem bleichen und reichlich nervösen Tamsin.

In der Wohnung angekommen setzten sich die Geschwister, von denen inzwischen einer blasser als der andere war, an den Küchentisch, das Schreiben der Lottogesellschaft zwischen sich.

„Steht da drin wie viel du gewonnen hast?“, wollte Alina wissen und putzte sich lautstark die Nase. Tamsin schüttelte den Kopf.

„Nein. Da steht nur das ich mich bei der Gesellschaft melden soll um einen Termin für eine Beratung auszumachen.“

„Der Gewinner, der vor einer Woche gewonnen hat, der hat doch den großen Jackpot gezogen, oder irre ich mich? Waren das nicht über 30 Millionen?“, wollte Levi wissen und Tamsin spürte eine gewisse Übelkeit in sich aufsteigen.

Alina nickte „Da könntest du Recht haben. Ich achte da auch nicht so drauf weil ich nicht spiele und selbst wenn, garantiert nie in den Genuss gekommen wäre zu gewinnen. Seid mir nicht böse, Jungs, aber ich bin echt alle. Ich sollte heimfahren und ins Bett gehen.“

„Du gehst oder fährst heute überhaupt nirgends mehr hin“, gab Tamsin von sich „Du schläfst hier und wenn es dir morgen nicht besser geht, dann fahre ich dich höchstpersönlich zum Doc, darauf kannst du wetten.“

„Was soll ich denn da?“

„Dir eine Krankschreibung besorgen, was glaubst du denn?“, fragte Levi und atmete tief durch.

„Mein Gott, was man mit dem Geld nicht alles anstellen könnte. Was“, er sah Tamsin an, der langsam wieder an Farbe gewann „Würdest du als Erstes tun wenn sich rausstellt das du gewonnen hast?“

Tamsin schnitt eine Grimasse und hob gleichzeitig die Schultern an „Ich weiß nicht“, gab er zu und stellte dann Vermutungen an „Ich würde mir wahrscheinlich mal so 10.000 Euro auszahlen lassen und damit einkaufen gehen. Klamotten, eine Uhr, vielleicht ein neues Handy, anständige Kopfhörer und solche Dinge. Eventuell würde ich sogar mal in einem angesagten Schuppen essen gehen, obwohl ich mich da erst einmal erkundigen würde ob es sowas heute überhaupt noch gibt“, erklärte er und Alina hustete.

„Ja, ich würde ähnliches tun. Ein Auto kaufen und dann meinen Job kündigen. Ich hätte dann ja wohl einiges zu tun, ich meine, wer passt sonst auf die Kohle auf wenn ich es nicht tun würde?“, grinste sie schief und wirkte dabei noch zerbrechlicher als zuvor.

„Oh ja. Allerdings würde ich mir mein Geld nicht auf mein Konto auszahlen lassen, sondern extra eines anlegen. Weiß einer von euch ob man im Falle einer Scheidung das Geld teilen müsste? Ich meine, im Grunde hat sie mich ja schon vorgestern, arm wie eine Kirchenmaus, vor die Tür gesetzt. Wenn ich jetzt zu Geld kommen würde, müsste ich ihr dann einen Teil abtreten? Weiß das jemand?“

„Es ist so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto das ausgerechnet DU bei der nächsten Ziehung gewinnst“, grinste Alina wieder schief und begann erneut zu husten. Tamsin schon seinen Stuhl zurück und stand auf. Er lief ins Wohnzimmer und zog sein Sitzmöbel aus. Er holte Bettzeug und bezog es für seine Schwester, ging dann zurück in die Küche und stellte den Wasserkocher an. Etwa zehn Minuten später drückte er ihren Kopf liebevoll in ein Kissen.

„Schlaf jetzt. Morgen ist auch noch ein Tag und noch wissen wir ja gar nicht ob ich tatsächlich gewonnen habe. Aber wenn, dann werdet ihr die Ersten sein denen ich was davon abtrete. Dann kannst du dir ein anständiges Auto kaufen um nicht immer mit dem Fahrrad fahren zu müssen.“

„Ich will auch nur ein ganz kleines“, seufzte Alina mit geschlossenen Augen „Nur so zum Einkaufen. Und ein paar Klamotten. Mal was schickes und nichts wo ich auf den Preis achten muss“, machte sie weiter und Tamsin lächelte. Er strich seiner jüngeren Schwester eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nickte.

„Ist gebongt, Schwesterherz. Wenn ich gewonnen habe, dann lade ich dich auf ein Wochenende in London oder Paris ein. Dann kannst du dir Klamotten kaufen bis du Plattfüße vom shoppen hast, ist das ein Deal?“

„Deal“, gab sie noch von sich, dann war sie eingeschlafen.

 

 

 

 

 

Anzug und Krawatte

 

„Boah“, stöhnte Tamsin und fummelte zum xten Mal am Hemdkragen herum „Ich fühle mich wie an Halloween. Verkleidet.“

„Jetzt hör schon auf“, gab Alina von sich und zupfte am Kragen des Jacketts „Du kannst doch nicht in Jeans und T-Shirt zu dem Termin. Was soll denn das für einen Eindruck machen?“

Levi grinste breit „Vielleicht legen sie dann noch eine Millionen drauf damit er sich was anständiges zum Anziehen kaufen kann. Also ich hätte mich nicht so rausgeputzt, darauf kannst du dich verlassen.“

„Jetzt hört schon auf“, knurrte Tamsin und schlug spielerisch nach den Händen seiner Schwester, der es drei Tage später schon wieder besser ging. Zumindest hustete sie nicht mehr so langanhaltend und der Schnupfen hielt sich auch in Grenzen. Nur in diesem Moment war sie wieder blass. Sie tätschelte die Wange ihres Bruders und zwinkerte ihm zu.

„Ich gönne es dir“, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange „Aber nur, wenn du ein bisschen an mich denkst.“

„Als könnte ich meine Schwester vergessen“, lächelte Tamsin und umarmte sie. Er hörte das Levi sich räusperte.

„Na, deinen Bruder wirst du wohl auch nicht vegessen, oder?“

„Nein, auch an den denke ich oft.“

„Na dann“, sagte Levi und öffnete die schwere Glastür des Gebäudes, vor dem sie standen „Geh und sieh nach warum die mit dir sprechen wollen. Ich lach mich schlapp wenn sie dir nur einen Job anbieten wollen.“

„Ich bin Einzelhandelsverkäufer. Was will die Lottogesellschaft denn mit einem wir mir?“, fragte Tamsin, aber da schloss sich die Tür zwischen ihm und seinen Geschwistern. Er sah, wie sie ihm aufmunternd zu verstehen gaben, das er endlich gehen soll, da wurde er schon von einer jungen Frau im schwarzen Kostüm abgeholt und bis zu den Fahrstühlen begleitet. Nur wenig später war er verschwunden.

Levi seufzte „Du meine Güte. Stell dir mal vor der hat wirklich so einen Batzen Kohle gewonnen? Ob er sich dann sehr verändert?“

„Tamsin? Kann ich mir nicht vorstellen.“

„Ob er seinen Job kündigt?“

„Man hat ihm doch die Filialleitung angeboten. Meinst du wirklich er würde ablehnen und seinen Kollegen in den Rücken fallen?“

„Und was macht er wohl mit Mama und Papa? Ob die auch was abkriegen?“

Levi sah Alina an, wie sie ihren Blick auf ihren Bruder richtete.

„Ja klar“, antworteten sie sich gegenseitig auf die gestellte Frage und warteten dann fast zwei Stunden auf Tamsin. Sie hatten sich zwischenzeitlich einen Plan gemacht, was er mit dem gewonnenen Geld anstellen könnte, hatten zwei Kaffee getrunken und jeder ein Stück Kuchen gegessen. Levi hatte Alina von Svetlana und der Trennung erzählt, aber auch von dem Wunsch seiner Frau sich noch einmal mit ihm zu treffen, um zu reden.

„Das ist sinnlos“, erklärte er und sah der Bedienung hinterher, die gerade ein Tablett auf dem Nachbartisch abgestellt hatte „Selbst wenn wir uns jetzt wieder versöhnen sollten, ist das garantiert nicht von langer Dauer.“

„Hast du eine Neue?“, wollte Alina wissen und nippte an ihrem dampfenden Tee. Ihr Bruder schüttelte den Kopf.

„Nein, aber ich lege nicht meine Hand dafür ins Feuer das Svetlana nicht einen anderen hat.“

„Wie kommst du darauf?“

„Na ja. Sie hat noch nie wirklich Überstunden gemacht und irgendwelche Geschäftsreisen waren auch noch nie ihr Ding, aber plötzlich kam sie drei Mal in der Woche später nach Hause und hat auch so manche Woche irgendwo im Ausland verbracht. Hey, mag sein das ich nicht der Hellste bin, aber so dämlich bin ich nun auch wieder nicht.“

„Hey“, sagte Alina sanft und griff über dem Tisch nach der Hand ihres Bruders „Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen. Wenn du sagst das es keinen Sinn mehr mit euch hat, dann vertraue ich dir, allerdings höre ich dir auch zu wenn du darüber reden willst.“

„Da ist alles Reden zwecklos. Sie wird es sich so drehen das ich derjenige bin der Schuld am Scheitern dieser Ehe ist, aber egal. Damit kann ich leben.“

„Da ist er.“

„Wer?“

„Na, Tamsin“, Alina deutete nach draußen auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort stand ein großer Mann in einem Anzug, der sicherlich schon bessere Tage gesehen hatte, und entledigte sich gerade seiner Krawatte. Er öffnete den Knoten und riss sie sich dann förmlich vom Hals. Ein wenig verloren sah er sich nach allen Seiten hin um, wahrscheinlich auf der Suche nach seinen Geschwistern, die so schnell sie konnten zahlten und schon winkten, kaum das sie aus dem kleinen Café herausgetreten waren.

„Huhu“, rief Alina aufgeregt „Wir sind hier. Warte, wir kommen rüber.“

„Bring eine Flasche Schnaps mit“, rief Tamsin ihr zu und hielt sich an einem Laternenmast fest. Zumindest sah es für Alina so aus.

„Was sollen wir mitbringen?“, stellte sich Levi neben seine Schwester und hörte sie sagen „Mein Gott. Er hat tatsächlich gewonnen.“

„Woher weißt du das?“

„Hier“, sagte sie und kramte in ihrer Handtasche. Sie drückte ihrem Bruder einen Zwanzig-Euro-Schein in die Hand „Geh und hole eine Flasche Schnaps.“

„Warum?“

„Herrgott noch Mal, Levi. Geh jetzt einfach und besorg was hochprozentiges. Egal was, egal woher, mach einfach!“

Alina lief über die Straße und blieb vor Tamsin stehen, der so bleich war, das sie Angst bekam.

„Meine Güte, was ist los?“

„Bring mich nach Hause, ja?“, sagte er und drehte sich wie ein Roboter nach links „Mir war noch nie in meinem Leben so schlecht wie gerade jetzt. Ich will nach Hause und mir die Decke über den Kopf ziehen.“

„Wie viel?“, war alles, was Alina wissen wollte, und Tamsin blieb stehen. Er warf seiner Schwester einen Blick zu und hielt die Luft an.

„Das ist eine unvorstellbare Zahl“, flüsterte er und sah sich um. Niemand war auf der Straße zu sehen, der sie hätte belauschen können. Trotzdem hallten die Worte des Mannes nach, mit dem er sich bis vor etwa 15 Minuten unterhalten hatte und der ihm geraten hatte, niemandem etwas zu sagen, auch nicht der Familie.

„Später“, gab er von sich und legte dann an Tempo zu. Alina überlegte, ob sie auf ihren Bruder Levi warten sollte, oder lieber Tamsin folgen, der einen seltsamen Eindruck auf sie machte. Sie sah einige Male über die Straße, um zu sehen, ob sie Levi erkennen würde, aber der war nirgends zu sehen.

„Scheiß der Hund drauf“, knurrte sie sich selbst zu und beeilte sich Tamsin zu erwischen, der gerade in sein Auto einstieg, in dem sie gekommen waren. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und bekam nicht einmal mit das Alina sich hinter ihn setzte. Als ihre Hand seine Schulter berührte, fuhr er erschrocken zusammen.

„Entschuldige“, sagte sie leise „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Mir ist übel“, antwortete Tamsin und holte tief Luft „Dabei dachte ich immer, ich würde Freudensprünge machen wenn mir sowas je passieren würde.“

„Ist“, begann Alina „es viel Geld?“

Tamsin öffnete die Beifahrertür und übergab sich. Als er die Tür wieder schloss und sich den Mund mit dem Handrücken abwischte, stieg Levi gerade auf der Fahrerseite ein.

„Alles okay?“, wollte er wissen und sah seinen Bruder von der Seite an „Nein. War eine blöde Frage, entschuldige bitte. Hier“, er reichte ihm die Flasche mit dem Alkohol und drückte Alina das restliche Geld in die Hand.

„Wohin?“, wollte er wissen und startete den Motor.

„Nach Hause“, gab Tamsin von sich, dessen Gesichtsfarbe sich gerade ein bisschen erholte.

Zuhause angekommen verschwand Tamsin als Erstes im Badezimmer, während sich seine Geschwister an den Küchentisch setzten.

„Hat er was gesagt?“, wollte Levi wissen und Alina schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf und senkte dann den Blick.

„Ich habe ihn noch nie so aufgewühlt gesehen. Was machen wir denn jetzt?“, wollte sie wissen und Levi hob die Schultern an.

„Keine Ahnung.““

„Schon gut“, sagte Tamsin, als er die Küche betrat „ich brauche keinen Babysitter. Ich habe nur im Lotto gewonnen und keinen Mord begangen.“

Levi öffnete den Mund und wollte etwas fragen, aber er schloss ihn wieder und stand auf, um eine Kanne Kaffee zuzubereiten. Er sah deshalb nicht, das Tamsin eine Geldtasche auf den Küchentisch legte und seine Schwester ansah.

„Eine kleine Summe haben sie mir sofort ausgezahlt, für den Rest haben wir gerade zusammen ein Konto errichtet.“

Mit spitzen Fingern und angehaltenem Atem öffnete Alina ganz vorsichtig den Reißverschluss der Geldtasche. Levi hörte, wie sie nach Luft schnappte und dann einen erstickten Schrei ausstieß.

„Wie viel ist das?“

Tamsin räusperte sich „Das ist mehr als wir drei in den letzten zehn Jahren jährlich gemeinsam erwirtschaftet haben.“

„Und das ist nur ein kleiner Teil?“, wollte Levi wissen und Tamsin nickte.

„Ja. Ich bin mir nicht sicher was er gesagt hat, aber ich glaube, er murmelte was von 10 Prozent. Leute, es könnten auch fünf oder zwanzig sein. Nach etwa einer halben Stunde und der ersten genannten Gewinnsumme bin ich, mehr oder weniger, ausgestiegen.“

Levi setzte sich zu ihnen und nahm die Tasche an sich. Er öffnete sie genauso vorsichtig wie seine Schwester und spähte kurz hinein, dann holte er ein Bündel Geldscheine heraus und starrte seinen Bruder an.

„Leckomiodonnaklara“, seufzte er und befeuchtete die trockenen Lippen „Heute Abend brauchen wir uns um unser Essen keine Sorgen machen. Du lädtst uns doch sicher ein, oder?“

Tamsin atmete tief ein und wieder aus „Du glaubst doch nicht im Ernst das ich das da anrühre, oder? Ich warte die ganze Zeit darauf das es einen Knall tut und ich endlich aus diesem Traum aufwache oder jemand gleich klingelt und mir sagt das ich verarscht worden bin.“

„Hast du was schriftliches?“, wollte Alina wissen und wieder nickte Tamsin. Er kramte in seiner Anzugtasche herum, die er achtlos über eine Stuhllehne gehängt hatte. Er gab ihr ein Schreiben und faltete eine weitere Information auseinander.

„Also“, antwortete Alina „du kannst das Geld hier ruhig ausgeben.

---ENDE DER LESEPROBE---