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Nach dem Tod seiner Nachbarin Samantha Fuchs nimmt Fynn deren Kater Rusty bei sich auf. Rusty stromert durch die Nachbarschaft um immer irgendwelche Leckerbissen zu erwischen und es sich schließlich wieder in seinem Körbchen bequem zu machen. Als ein Makler erscheint, der das Haus der Nachbarin verkaufen möchte, hofft Fynn auf ein junges Paar, da er bisher der Jüngste in der Straße ist. Nach einigen Anläufen mit potentiellen Käufern, erscheint plötzlich ein junger Mann vor dem Haus, der einen altersschwachen VW-Bulli fährt, der aussieht, als hätte er die Hippie-Ära schon miterlebt. Fynn kann kaum glauben was er sieht und freut sich, als der eventuelle Nachbar sofort den Kontakt zu ihm sucht. Schon in einem der ersten Gespräche bekommt Fynn mit, dass der Mann mit dem Bulli schwer krank ist. Trotzdem fühlt er sich zu ihm hingezogen und verbringt so viel Zeit mit ihm, wie er für vertretbar hält. Aber dann kommt alles anders als gedacht. Statt ein paar Tage Ruhe, Stille und Zweisamkeit zu genießen, findet sich Fynn in einem Krankenhaus wieder. Aber auf seine Nachbarn kann er sich verlassen. Hoffentlich.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Wortzähler: 76120
Kater Rusty findet ein Körbchen
Von
Nasha Berend
Copyright © Nasha Berend
Alle Rechte vorbehalten
Impressum:
Nasha Berend
Buschstraße
39649 Hansestadt Gardelegen
E-Mail: [email protected]
Nach dem Tod seiner Nachbarin Samantha Fuchs nimmt Fynn deren Kater Rusty bei sich auf. Rusty stromert durch die Nachbarschaft um immer irgendwelche Leckerbissen zu erwischen und es sich schließlich wieder in seinem Körbchen bequem zu machen. Als ein Makler erscheint, der das Haus der Nachbarin verkaufen möchte, hofft Fynn auf ein junges Paar, da er bisher der Jüngste in der Straße ist. Nach einigen Anläufen mit potentiellen Käufern, erscheint plötzlich ein junger Mann vor dem Haus, der einen altersschwachen VW-Bulli fährt, der aussieht, als hätte er die Hippie-Ära schon miterlebt. Fynn kann kaum glauben was er sieht und freut sich, als der eventuelle Nachbar sofort den Kontakt zu ihm sucht. Schon in einem der ersten Gespräche bekommt Fynn mit, dass der Mann mit dem Bulli schwer krank ist. Trotzdem fühlt er sich zu ihm hingezogen und verbringt so viel Zeit mit ihm, wie er für vertretbar hält. Aber dann kommt alles anders als gedacht. Statt ein paar Tage Ruhe, Stille und Zweisamkeit zu genießen, findet sich Fynn in einem Krankenhaus wieder. Aber auf seine Nachbarn kann er sich verlassen. Hoffentlich.
Angewidert schüttelte er die triefend nasse Regenjacke vor der Haustür aus und hängte sie dann auf einem Bügel an die Garderobe, bevor er die Schuhe auszog, Zeitungspapier hineinstopfte und auf eine separate Matte für nasse Schuhe stellte auf der schon das Wasser der Regenjacke in kleinen Pfützen stand.
Die Haustür war noch nicht geschlossen, sodass der Duft von frisch gemähtem Rasen sich mit dem Geruch von regennassem Asphalt paarte. Ein Geruch, der ihn immer wieder in seinen Erinnerungen nach Hause führte.
Dorthin zurück, wo er eine glückliche Kindheit gehabt hatte und auch seine Teenagerzeit durchlebt hatte. Zurück in eine Zeit, die schon eine Weile zurücklag, an die er sich aber immer noch gerne erinnerte.
Er schlurfte auf feuchten Socken in die Küche und stellte den Wasserkessel auf den eingeschalteten Herd, dann lief er ins Schlafzimmer und nahm ein frisches paar Socken aus der Lade am Kleiderschrank. Auf seinem frisch bezogenen Bett setzte er sich und zog sie an. Auch hier öffnete er die Fenster so weit als möglich und atmete tief den Geruch ein, der von draußen in seine Nase stieg.
„Herrlich“, seufzte er sich selbst zu und freute sich auf den Tee, den er gerade im Begriff war zu kochen. Als es klingelte, verdrehte er die Augen.
„Ja“, rief er aus der Küche und schenkte das kochend heiße Wasser in die Tasse ein, in die ein Sieb mit Kräutern eingehängt war.
„Sind Sie zuhause?“, rief eine ältere weibliche Stimme und er nickte ihr grinsend zu, als sie die Küche betrat. Erst jetzt fiel ihr auf, was sie gefragt hatte.
„Was für eine dumme Frage, aber ich bin ein wenig durch den Wind. Entschuldigen Sie bitte das ich hier einfach so eindringe. Ich bin vor etwa einem halben Jahr neben Ihnen eingezogen und kenne Sie nur flüchtig, aber ich hätte eine riesen Bitte an Sie.“
„Wollen wir uns nicht erst einmal vorstellen?“, fragte er und streckte die Hand nach der Frau aus, die klatschnass in seiner Küche stand. Der Regen schien an ihr abzuperlen und einfach auf den Boden zu tropfen.
„Ach Gott, ich vergesse wohl meine Erziehung, aber da sieht man mal, wie sehr ein Herz für ein Tier schlagen kann“, gab sie von sich und schlug in die Hand ein, die er ihr reichte „Ich bin Samantha Fuchs und wohne einen Eingang weiter. Ich habe Sie schon mehrfach durch das Fenster gesehen und dachte mir, Sie sind der einzige den ich kenne, der auch bei diesem Wetter nicht mit einer herunterhängenden Mundwinkeln nach Hause kommt.“
Er lachte leise und schüttelte die Hand seiner älteren Nachbarin „Ich bin Fynn. Einfach nur Fynn und ja, mir ist das Wetter ziemlich schnuppe.“
„Gott sei Dank“, sagte sie und faltete ihre Hände wie zum Beten „Ich würde Sie schrecklich gerne um etwas bitten, obwohl wir uns eigentlich gar nicht kennen. Ich weiß aber wirklich nicht an wen ich mich sonst wenden soll. Hätten Sie vielleicht ein paar Minuten für mich?“
„Was halten Sie von einer schönen Tasse grünem Tee?“, fragte er und deutete auf den Wasserkessel und die daneben stehende Tasse. Sie nickte.
„Sehr gerne, auch wenn es vielleicht etwas unverschämt ist.“
„Nicht doch“, erklärte er und bot ihr einen Sitzplatz in seiner kleinen Küche an. Erst jetzt sah sie sich verstohlen um.
„Oha. Hier hat sich aber einiges getan. Als ich das letzte Mal hier drinnen war da“, begann sie und räusperte sich „Sah es hier etwas anders aus.“
„Ich weiß schon“, murmelte er und deutete auf eine Küchentür „Dort an dem Balken hat er sich damals aufgehängt. Manchmal kann ich ihn noch sehen“, sagte er und presste die Lippen aufeinander, genau wie Samantha Fuchs, die alte Nachbarin. Sie setzte sich auf den angebotenen Stuhl und senkte den Blick auf die Tischplatte.
„Mir ist da was ganz dummes passiert“, begann sie zu erzählen und nahm ihrem noch fremden Nachbarn eine Tasse mit dampfendem Inhalt ab „Ich habe den Müll rausgebracht und habe wohl meine Terrassentür nicht richtig geschlossen. Jedenfalls ist mein Kater auf und davon. Ich habe ihn an den üblichen Stellen gesucht, aber dort ist er nicht. Und jetzt wird es langsam dunkel und ich sehe nicht mehr so gut, wissen Sie?“, wollte sie von ihm wissen und redete gleich weiter „Da macht es nicht viel Sinn weiter nach ihm zu suchen, aber er ist, wie ich auch, kein ganz neues Exemplar mehr und fürchtet sich bestimmt in der Dunkelheit“, erklärte sie und sah nicht, das Fynn schon wissend lächelte.
„Samantha“, sagte er leise und tätschelte dabei ihre Hand „Ich werde nach ihm suchen.“
„Würden Sie?“, fragte sie trotzdem noch einmal und sah ihn lächelnd nicken.
„Natürlich tue ich das. Meine Großmutter hatte auch einen Kater. Leider hatte sie Nachbarn die den alten Kerl nicht mochten weil er öfter mal in ihrem Garten herumgestreunt ist. Na ja, wie dem auch sei. Ich trinke jetzt meinen Tee und ziehe mich danach wieder an. Ich bräuchte ein Bild des Tieres und vielleicht sollten sie mir aufschreiben wo sie schon überall gesucht haben.“
„Ja“, sagte sie und nickte heftig „Ja natürlich, das werde ich tun. Mein Gott, ich stehe tief in Ihrer Schuld“, machte sie weiter und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel „Darf ich Sie danach zum Essen einladen? Ich könnte etwas für uns beiden kochen. Wissen Sie, seit mein Mann nicht mehr unter uns weilt macht es keinen Spaß mehr sich an den Herd zu stellen. Für einen alleine lohnt der ganze Aufwand nicht.“
„Sie müssen nicht für mich kochen, ich bin groß, wissen Sie? Ich kann das ganz alleine. In einem Punkt muss ich Ihnen allerdings Recht geben. Für einen alleine ist mir manchmal auch der Aufwand zu groß.“
„Ja, nicht wahr“, strahlte sie und hatte wohl für einen Moment die Sorge um ihren Kater vergessen. Nur Sekunden später schniefte sie in ihr Taschentuch.
„Er ist das letzte Andenken an meinen verstorbenen Mann. Ich habe ihn zum Hochzeitstag bekommen damit ich jemanden habe um den ich mich kümmern kann wenn er mal nicht mehr ist. Wie Recht er damit haben sollte war ihm wohl gar nicht klar, denn nur ein paar Monate später verstarb er an den Folgen einer Krebserkrankung. Da waren wir dann alleine und ich froh diesen kleinen, pelzigen Kerl zu haben.“
„Wir werden ihn auch finden“, antwortete Fynn und dachte einen Augenblick nach. Er telefonierte mit ein paar Freunden und bat sie ihm zu helfen. Keine halbe Stunde später waren knapp 10 Personen damit beschäftigt den ausgerissenen Kater zu suchen und etwa zwei Stunden später hatten sie ihn gefunden.
Als sie mit dem Fellknäuel im Arm zurückkamen, hatte Samantha für sie alle Spaghetti Bolognese gemacht und erwartete sie schon. Glücklich schloss sie ihren Kater in die Arme und ging anschließend ganz in der Rolle der Gastgeberin auf. Sie lachte mit den jungen Leuten die sie, bis auf ihren Nachbarn, noch nie gesehen hatte, aber sie freute sich, endlich wieder was zu tun zu haben.
Nur der Regen, der hörte nicht auf. Auch drei Tage später nicht. Langsam zehrte es an den Nerven und Fynn fragte sich, ob es überhaupt noch mal aufhörte, oder der Sommer ein einziges Desaster werden würde. Es hörte nicht einmal für eine Stunde auf, sondern regnete durchweg, jeden Tag und jede Nacht. Der Himmel war ständig grau in grau und das Tropfen aus der Dachrinne über dem Schlafzimmerfenster machte es trotzdem unmöglich, zu schlafen. Fynn wälzte sich hin und her.
Urplötzlich war er hellwach.
Draußen maunzte eine Katze ganz jämmerlich und Fynn verdrehte die Augen.
„Mensch Rusty, hör einfach auf mit der Brüllerei. Sie wird dich sowieso nicht hören wenn sie ihr Hörgerät herausgenommen hat“, erklärte er mehr sich selbst als dem Tier vor seinem Fenster, das aber nicht aufhörte ihm sein Leid zu klagen. Nach etwa 20 Minuten unaufhörlichem Katzenjammer gab Fynn sich geschlagen und öffnete das Schlafzimmerfenster.
„Hey, was ist denn los, Rusty? Warum brüllst du denn so? Willst du hier rein? Geht dir wohl auch auf den Keks, dieser ewige Regen, oder?“, fragte er, obwohl er wusste, dass er keine Antwort kriegen würde. Er schloss das Fenster wieder und lief die Treppe in seinem kleinen Häuschen hinunter, öffnete die Terrassentür und ließ den pudelnassen Kater hinein. Der schüttelte sich, sobald er eingetreten war.
„Du Schmutzfink“, lachte Fynn und wischte sich mit der trockenen Hand an der Wade entlang, an der Rusty gerade entlanggerutscht war „Wo kommst du denn her? Weiß Samantha das du draußen bist? Die wird sich wieder Sorgen machen“, sagte er und warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war kurz vor Mitternacht und Samantha hatte sich garantiert schon hingelegt, um zu schlafen. Vielleicht erging es ihm aber auch wie ihm und sie wälzte sich hin und her und das nicht nur wegen des Regens, sondern auch vor Sorge um ihren Kater.
Er sah aus dem Badezimmerfenster und erfasste tatsächlich noch ein kleines Licht im oberen Stockwerk. Eventuell ein Leselicht. Ob er mal anrufen sollte um ihr zu sagen, dass Rusty bei ihm war?
Er hatte schon das Festnetztelefon in der Hand, als das Licht im Nachbarhaus erlosch. Unsicher legte er es auf die Ladestation zurück und warf einen Blick auf Rusty, der auf die Couch gesprungen war und sich gerade genussvoll und ausgiebig putzte, dann rollte er sich zusammen und schloss einfach die Augen.
Fynn setzte sich in den freien Sessel und schaltete das Fernsehen ein. Er zappte durch das Programm, fand nichts das ihn wirklich interessierte und klappte ein Buch auf, das vor ihm auf dem Wohnzimmertisch lag. Er blätterte darin herum und blieb schließlich an einem Kapitel hängen, das er längst gelesen hatte, aber trotzdem las er es noch einmal. Ab und an sah er zu Rusty hinüber, aber der Kater ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lag einfach auf der Couch und schlief.
Fynn schloss die Augen und spürte eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. Als er seine Augen wieder öffnete, war er irritiert, denn es war hell draußen, aber es regnete noch immer oder schon wieder.
Rusty lag auch immer noch dort, wo er sich in der Nacht niedergelassen hatte und machte keinerlei Anstalten sich zu verabschieden.
„Na, Junge? Was machen wir jetzt? Frühstücken wir noch zusammen bevor sich unsere Wege wieder trennen? Bin ich noch ganz sauber?“, fragte Fynn sich selbst und schüttelte den Kopf „Ich rede mit einem Kater. Na ja. Solange er keine Antwort gibt ist es ja okay, aber ..“, er brach den Satz ab und stand schwerfällig vom Sessel auf „Ich brauche jedenfalls erst einmal einen Kaffee. Und du? Ein Schälchen Milch?“, wollte er wissen und lief in die Küche. Tatsächlich folgte ihm der Kater und strich ihm anschließend die Beine entlang.
„Gut. Wie gesagt, Frühstücken tun wir noch zusammen und dann bringe ich dich wieder dorthin zurück wo du hingehörst. Ich schätze, Samantha macht sich schon große Sorgen um dich. Immerhin bist du die ganze Nacht nicht nachhause gekommen. Vielleicht hätte ich sie doch anrufen sollen. Das war nicht richtig was ich heute Nacht gemacht habe“, redete er weiterhin mit sich selbst und seufzte laut und gut hörbar.
Der Kater sah ihm dabei zu, wie er Milch mit ein wenig Wasser mischte und für ihn auf den Boden stellte. Dann nahm er eine Tasse aus dem Schrank und befüllte sie mit einer dampfenden Flüssigkeit, bevor er sich wieder an den Tisch setzte und dem Kater dabei zusah, wie er die Milch schlürfte.
Etwa zwanzig Minuten später klingelte er bei seiner Nachbarin. Er streichelte den Kater, den er auf dem Arm trug und wartete. Nach ein paar Minuten klingelte er noch einmal, aber niemand schien ihn zu hören.
Er klopfte, er rief, er klingelte mehrmals, aber niemand öffnete.
Niedergeschlagen ging er zu seinem Haus zurück und ließ das Tier vom Arm, als sie eingetreten waren.
Fynn ging zum Telefon und wählte Samanthas Nummer, aber auch dort meldete sie sich nicht. Er trat an das Fenster und versuchte etwas zu erkennen. Die unteren beiden Fenster waren noch verdunkelt, aber die Oberen nicht. Er konnte sich daran erinnern das er ein Licht im Schlafzimmer gesehen hatte und starrte auf das Fenster, als müsse sich die Szene gleich wiederholen.
„Verdammt Samantha, wo bist du denn?“, fragte er, noch immer das Telefon am Ohr. Es klingelte und klingelte, aber niemand nahm das Gespräch entgegen.
Er sah auf Rusty, der neben ihn auf eine Kommode gesprungen war und den er schon wieder streichelte.
„Das ist ja seltsam. Wieso geht sie weder ans Telefon, noch an die Tür? Ach du liebe Güte. Ich hoffe doch sehr das sie nicht die ganze Nacht unterwegs war um dich zu suchen.“
Der Kater maunzte vor sich hin und kuschelte sich eng an Fynn, der nie etwas mit Katzen anfangen konnte, aber scheinbar eine Beziehung zu Rusty aufgebaut hatte.
Er wartete etwa eine Stunde und versuchte dann noch einmal Samantha zu erreichen. Mittlerweile war er in einem nahegelegenen Discounter gewesen und hatte Katzenfutter besorgt und da er nicht wusste, welche Marke der Kater bevorzugte, hatte er einfach ein Schälchen von jeder Sorte genommen, die der Supermarkt anbot. Zuhause stellte er sie alle auf den Boden und ließ den Kater entscheiden, der sich für eine wirklich hübsche Dose mit quietschbuntem Label entschied und das dann auch tatsächlich fraß.
Erneut versuchte Fynn in der Zwischenzeit die das Tier für sein Fressen benötigte die alte Dame aus dem Nachbarhaus zu erreichen, aber wieder meldete sie sich weder am Telefon noch auf ein Klingeln. Am Abend des Tages rief Fynn die Polizei an und schilderte denen seinen Verdacht, das irgendetwas mit Samantha Fuchs geschehen sein musste.
Am darauffolgenden Morgen erschien ein Streifenwagen vor Fynns Haus, während er am Fenster stand und in den grauen Morgen sah.
Wenn nur wenigstens der verdammte Regen aufhören würde. Ein Tag ohne diese Feuchtigkeit wäre im Augenblick das Höchste seiner Gefühle.
„Wann haben Sie Ihre Nachbarin denn das letzte Mal gesehen?“, fragte einer der Beamten und hielt einen kleinen Notizblock in den Händen. Eigentlich hatte Fynn gedacht, dass diese Art von Merkzetteln längst ausgestorben war und man inzwischen alles digital aufzeichnete, scheinbar hatte er sich aber getäuscht.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber inzwischen ist es, glaube ich zumindest, schon zwei oder drei Tage her. Ihr Kater Rusty hat jedenfalls schon zwei Nächte bei mir geschlafen.“
„Aha. Haben Sie versucht sie zu erreichen?“
„Natürlich. Ich habe sie angerufen und ich war drüben, aber niemand hat die Tür geöffnet oder das Gespräch angenommen. Deshalb habe ich gestern Abend auch die Polizei informiert. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen um sie.“
„Ihr Name ist Samantha Fuchs?“, wollte der andere Beamte wissen und um ein Haar hätte Fynn den Kopf geschüttelt. Nein, sein Name war nicht Samantha Fuchs, aber im letzten Augenblick nickte er einfach und schluckte den sarkastischen Kommentar hinunter.
„Ja. Frau Fuchs wohnt schon seit einigen Jahrzehnten in diesem Haus. Zuerst noch mit ihrer Familie, aber dann ist der Sohn ausgezogen und lebt jetzt, so viel ich weiß, in Neuseeland und hat keinen großen Kontakt mehr zu ihr gehabt und ihr Mann lebt auch nicht mehr. Seit ich hier eingezogen bin ist sie jedenfalls alleine.“
„Hatten Sie denn Kontakt mit ihr?“
„Na ja. Wie man eben so Kontakt zu Nachbarn hat. Man grüßt sich, man winkt sich vielleicht auch mal zu, aber das war es im Grunde auch schon. Ach ja“, Fynn lächelte versonnen „Ab und an stand ein Kuchen vor der Tür. Ich habe sie dann irgendwann darauf angesprochen und nachgefragt und da hat sie mir bestätigt das er von ihr kommt. Sie hat viel gebacken früher aber für sich alleine hat sie das wohl nicht mehr oft getan.“
„Na gut“, antwortete der eine Beamte und kratzte sich am linken Ohr „Dann werden wir jetzt mal versuchen ob wir die Frau erreichen. Bitte bleiben Sie hier und überlassen es uns, ja?“, fragte er und wendete sich schon ab. Etwa zwanzig Minuten später erschien ein anderes Fahrzeug und stellte sich hinter das der Polizei. Der große Aufkleber daran war jedenfalls nicht zu übersehen.
Ein Schlüsseldienst.
„Oh Gott“, stöhnte Fynn und nahm Rusty auf den Arm, der vor ihm auf der Kommode gesessen und ebenfalls durch das Fenster gesehen hatte. Er streichelte den Kater und vergrub die Nase im Fell. Das Tier roch angenehm und wirkte beruhigend auf ihn.
„Was machen wir denn wenn das Schlimmste eingetreten ist das man sich vorstellen kann?“, wollte Fynn wissen und Rusty schnurrte leise und unaufhörlich vor sich hin „Ich sehe schon. Da sind wir uns einig. Obwohl wir das doch sicher beide nicht hoffen, oder?“, wollte er weiter wissen und immer noch schnurrte Rusty. Dieses Mal schmiegte er seinen Kopf noch an Fynns Oberarm, der verträumt lächelte. Danach ging alles relativ schnell.
Noch ein Polizeiauto kam und dann noch ein Fahrzeug. Eines mit einem Arzt. Fynn seufzte.
„Och nö. Ehrlich nicht. Das muss jetzt wirklich nicht sein“, erklärte er und zuckte zusammen, als es bei ihm klingelte.
„Entschuldigen Sie die nochmalige Störung“, sagte ein Mann in Zivil und deutete auf das Nachbarhaus „Kollegen haben mir gesagt das Sie die alte Dame als vermisst gemeldet haben“, machte er weiter und Fynn nickte. Er trat zur Seite.
„Kommen Sie doch rein“, bat er die beiden Männer und räusperte sich „Ist Frau Fuchs was passiert?“
Der Mann in Zivil sah Fynn an und nickte schließlich „Sieht aus, als wäre Frau Fuchs an einem Schlaganfall verstorben.“
„Oh Gott“, knurrte Fynn und dachte an die alte Dame und ihr fröhliches Lachen bei ihrem letzten Zusammentreffen. Sie war so glücklich gewesen, ihren Kater wiederzubekommen das sie sofort jeden des kleinen Suchtrupps in den Arm genommen und gedrückt hatte.
„Wissen Sie zufällig wo der Sohn ist und wie wir den erreichen?“, fragte der Zivilbeamte und Fynn schüttelte den Kopf.
„Nein. Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, aber es sollte sich doch etwas im Haus finden. Die beiden hatten doch sicherlich wenigstens schriftlich Kontakt“, erklärte Fynn und schnitt eine Grimasse „Entschuldigen Sie bitte. Daran haben Sie sicherlich längst selbst gedacht. Kaffee?“, fragte er und sah die beiden Männer nicken. Wenig später saßen sie in seiner kleinen Küche und hielten sich an ihren Tassen fest, während sie Fragen zu Samantha Fuchs stellten. Irgendwie kam das Fynn seltsam vor, aber er fragte nicht weiter nach, sondern beantwortete sie alle, soweit er konnte.
Als die Beamten ihn schon wieder verlassen wollten, drehte sich einer der beiden um und sah auf den Kater, der noch immer in Fynns Armen schlief.
„Kümmern Sie sich weiterhin um den kleinen Kerl?“, fragte er und Fynn nickte. Gleichzeitig drückte er den Kater fest an sich, der einen ungnädigen Ton von sich gab.
„Wie geht das denn jetzt weiter?“, wollte er wissen und der Beamte seufzte.
„Wir werden die Leiche abtransportieren lassen und versuchen den Sohn ausfindig zu machen. Bis dahin, nun ja, werden wir drüben wohl die Tür verschließen und den Schlüssel an uns nehmen. Warum?“
„Ich frage mich gerade ob es möglich wäre wenigstens Rustys Sachen zu bekommen. Er hatte doch sicherlich ein Körbchen, ein paar Schälchen oder sowas.“
„Natürlich. Ich kümmere mich drum. Danke für Ihre Geduld“, lächelte einer von ihnen und dann waren Fynn und Rusty wieder alleine.
Es dauerte noch etwa eine Stunde, bis er die Sachen des Haustieres bekam und erst da wurde ihm schlagartig bewusst, das er Samantha nie wiedersehen würde. Eine tiefe Trauer überkam ihm, obwohl sie sich kaum gekannt hatten. Seine Gedanken gingen zu seinen Eltern und Großeltern und er nahm sich vor sie anzurufen. Noch am gleichen Abend erreichte er seine Mutter und erzählte ihr von dem schrecklichen Vorfall seiner Nachbarin. Sie redeten eine ganze Weile über das Leben und den Tod, über nette Nachbarn und solche auf die man verzichten könnte und über Tierheime und die zurückgebliebenen Tiere von Verstorbenen.
Das Gespräch mit seinem Großvater verlief nicht ganz so entspannt, aber trotzdem hatte Fynn anschließend das Gefühl das Richtige getan zu haben.
Wochen später sah Fynn aus dem Küchenfenster auf ein kleines Auto, das am Fußweg anhielt. Genau vor dem leerstehenden Nachbarhaus, ein junger Mann stieg aus. So geschniegelt hatte Fynn schon lange niemanden mehr gesehen. Dieser Mann blieb auf dem Gehweg stehen und starrte auf das Haus, in dem Samantha Fuchs gelebt hatte. Irgendwann nahm er seine Brille ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Nasenwurzel.
Ob das wohl der Sohn war, den Samantha erwähnt hatte? Bei dem Gedanken daran musste sich Fynn ein Grinsen verkneifen. Nein. Das war nicht der Sohn. Niemals. Obwohl er ihn nie gesehen hatte, war er sich ziemlich sicher das dieser Mann niemals ein Verwandter der unkomplizierten und immer freundlichen Samantha war. Dieser Typ hier, der sah so ernst und trostlos aus, dass er niemals der Sohn der früheren Eigentümerin war.
Erst jetzt fiel Fynn ein, das er den Sohn nicht bei der Beerdigung gesehen hatte, jedenfalls nicht bewusst und vorgestellt hatte sich auch niemand bei ihm.
Vielleicht war der Kerl da draußen der Makler, der das Haus gewinnbringend an den Mann oder die Frau bringen sollte. Eventuell zog demnächst eine junge Familie mit Kindern dort ein und brachte ein bisschen Leben in die ansonsten doch in die Jahre gekommene Nachbarschaft.
Als Fynn seine Gedanken endlich geordnet hatte, war von dem Mann draußen nichts mehr zu sehen. Nur das Auto stand noch dort.
Es wirkte fehl am Platz. Irgendwie gar nicht so wie die Fahrzeuge die sonst in der Straße geparkt waren.
Fynn sah zu Rusty, der sich auf einem der Küchenstühle zusammengerollt hatte und schlief. Aus den Augenwinkeln erfasste er, das jemand das Nachbarhaus verließ, noch ein paar Fotos machte und dann zum Auto lief, als müsse er die Gegend so schnell wie möglich verlassen. Als der Mann die Gartentür schloss, blieb er aber stehen und sah sich die Nachbarhäuser an. Der Blick blieb an Fynns Vorgarten hängen, der erschrocken einen Schritt nach hinten auswich, um nicht am Fenster gesehen zu werden.
„Heilige Scheiße. Bitte, lieber Gott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Die Nachbarn auf der anderen Seite haben einen ganz ähnlichen Vorgarten und die Dame des Hauses ist auch noch draußen. Mir ist zwar rätselhaft was die bei diesem Dauerregen da tut, aber sie scheint sehr geschäftig zu sein.“
Rusty gab ein lautes miau von sich und stand kurz auf, um sich zu strecken, bevor er sich auf der anderen Seite wieder zusammenrollte und einfach weiterschlief.
Es klingelte an der Haustür und Fynn zuckte zusammen. Erinnerungen tauchten vor seinen Augen auf. Wie damals die Polizei bei ihm geklingelt und erzählt hatte, das seine Nachbarin nicht mehr lebte.
Wie auf rohen Eiern lief Fynn zur Tür und öffnete sie. Sein Magen krampfte sich zusammen, aber da schnitt der Mann schon eine Grimasse, die wohl ein Lächeln andeuten sollte.
„Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin der Makler der das Haus der Familie Fuchs veräußern soll und war gerade da um Bilder zu machen.“
„Hat man den Sohn mittlerweile erreicht?“, fragte Fynn, ohne sich etwas dabei zu denken. Er sah, wie der Mann sich die Lippen befeuchtete und sich dann räusperte.
„Er hat mir den Auftrag erteilt. Ja“, knurrte der Mann, der sich noch immer nicht vorgestellt hatte. Das holte er jetzt nach.
„Mein Name ist Berger. Ich habe das Immobilienbüro in der Innenstadt und der Herr Fuchs hat mich angerufen und mir gesagt ich soll mich um den Verkauf des Hauses kümmern.“
„Er hat Ihnen den Auftrag per Telefon erteilt?“
Der Mann namens Berger nickte.
„Ja. Hat er. Er befindet sich nicht in Deutschland und hat auch nicht den Drang hierher zu kommen. Natürlich kann ich das verstehen, aber zur Beerdigung der Mutter gehört man doch nach Hause, oder nicht?“
Fynn war reichlich irritiert und trat jetzt zur Seite „Möchten Sie reinkommen?“
„Nicht nötig. Ich wollte sie lediglich bitten ein Auge auf das Haus zu haben. In der heutigen Zeit ist es recht schwer sowas zu verkaufen. Ich rechne also nicht damit das es innerhalb der nächsten Monate verkaufe, da wäre es ganz günstig wenn jemand einen Blick drauf hat.“
„Na klar“, antwortete Fynn „Mach ich glatt. Darf ich was fragen?“
„Natürlich.“
„Was hat er sich denn so vorgestellt an Preis?“
„Viel zu viel. Ich habe noch versucht es ihm auszureden, aber er ließ einfach nicht mit sich reden. Er sagte nur immerzu ich solle mir jede erdenkliche Mühe geben um den Klotz am Bein loszuwerden und er käme deshalb ganz sicher nicht zurück.“
„Na super“, gab Fynn von sich „Das hatte seine Mutter nicht verdient. Sie hat sich immer so liebevoll um das Haus und den Garten gekümmert weil sie ihm etwas hinterlassen wollte das ihn an sie erinnert und jetzt kommt er nicht einmal zu ihrer Beerdigung. Große Klasse.“
„Ja“, seufzte der Mann und machte einen Schritt zurück „Man kann sich leider seine Familie nicht aussuchen. Nicht immer ist alles so, wie es sein sollte“, erklärte er und Fynn hatte den Eindruck als wüsste er genau, wovon er sprach.
„Ich kann mich auf Sie verlassen?“, fragte er dennoch und Fynn nickte. Er überreichte dem Mann eine Visitenkarte, die er zuvor aus einer Schublade gezogen hatte.
„Sie können sich auf mich verlassen und wenn irgendetwas ist, dann melden Sie sich einfach bei mir, ist das okay? Soll ich übrigens drüben weiterhin den Rasen mähen und mich ein wenig um die Pflanzen kümmern?“
„Ach, Sie waren das?“
„Ja“, nickte Fynn „Immer wenn das Wetter es zugelassen hat dann habe ich nicht nur meinen sondern auch Samanthas Garten auf Vordermann gebracht. Oder sollte ich besser sagen, ich habe es versucht? In den meisten Fällen kam nämlich ein Regenguss dazwischen“, antwortete Fynn ausschweifend und erntete ein erneutes Lächeln von Herrn Berger.
„Ja, es ist mühselig in diesem Jahr. Der viele Regen macht es auch nicht besser.“
„Und dann diese Gewitter“, stöhnte der Makler und verdrehte gleichzeitig die Augen „Jeden zweiten Abend rumpelt es. Leider hat meine Frau Angst davor und ich kann gar nicht genug kriegen. Ich sitze immer am Fenster und finde das ausgesprochen faszinierend, wenn da, wie gesagt, nicht gerade meine Frau wäre.“
„Ich mag es auch wenn es blitzt und donnert. Eigentlich mag ich auch den Regen der gegen Fensterscheiben klopft, aber im Augenblick habe ich von all diesen Wettern die Nase voll“, gab Fynn zu und Berger nickte. Er nahm seine Aktentasche wieder hoch und rückte sich die Brille zurecht.
„Es tut mir wirklich leid das ich sie behelligt habe, aber mir war eingefallen das mir jemand erzählt hat, das ein junger Mann neben Frau Fuchs gewohnt hat, der jetzt auch ihren Kater beherbergt. Das fiel mir wieder ein in dem Augenblick, in dem ich wieder wegfahren wollte. Na ja, der Rest der Geschichte ist ja bekannt“, lächelte er und verabschiedete sich im gleichen Moment von Fynn.
„Ich werde veranlassen das Ihnen monatlich ein gewisser Geldbetrag ausgezahlt wird solange das Gebäude nicht verkauft wurde.“
„Das ist nicht nötig. Ich mache das gerne und hoffe lieber auf einen Nachbarn oder eine Nachbarin mit der man auch mal einen Jux machen kann oder sie oder ihn zum Grillen einlädt. Sowas in der Art eben.“
„Ja“, nickte Herr Berger und lächelte wieder sein gequältes Lächeln „Das hoffen wir wohl alle. Ich bin jedenfalls froh Sie kennengelernt zu haben. Machen Sie es gut“, sagte er noch und wendete sich dann ab, um ins Auto einzusteigen. Fynn schloss die Tür und ging zur Küche zurück, wo er aus dem Fenster sah.
Seltsamerweise dachte er in diesem Moment an Rusty und drehte sich zu dem Kater, den er noch immer schlafend auf dem Stuhl wähnte, aber der Stuhl war leer.
„Oh nein“, entfuhr es Fynn, dem sofort wieder einfiel, wie er Samantha Fuchs begegnet war. Es war Rusty gewesen, der durch eine offene Tür ausgebüxt war und den sie gemeinsam gesucht hatte.
Panisch rannte er durch das Haus auf der Suche nach dem vermissten Kater, der sich inzwischen einige Plätzchen ausgesucht hatte, an denen er sich wohlfühlte. An keinem dieser Plätze war er aufzufinden und Fynns Panik wuchs. Er rief nach dem Tier, er öffnete sämtliche Türen und Läden, spähte in jede noch so kleine Lücke, aber der Kater war und blieb verschwunden.
Dann fiel Fynn ein, dass er Herrn Berger zur Tür begleitet hatte und diese Tür für eine Weile offen gestanden hatte.
„Oh nein“, wiederholte er und rannte die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, riss die Haustür auf und rief gleich noch einmal nach Rusty. Niemand erschien, aber damit hatte er auch nicht gerechnet.
„Rusty“, brüllte er noch einmal und raufte sich die Haare.
„Entschuldigen Sie“, rief ein älterer Mann etwa zwei Häuser von ihm entfernt „Suchen Sie Ihren Kater? Der ist hier. Der hat sich gerade hier unter die Rosen gelegt.“
„Gott sei Dank“, gab Fynn von sich und beeilte sich, das Tier zurückzuholen. Der ältere Mann grinste, als Fynn die Gartenpforte öffnete und hindurchtrat. Augenblicklich blieb er stehen und hielt die Luft an.
„Wow“, entfuhr es ihm, während er sich umsah „Ich, ähm, ich“, stammelte er „Man, das sieht man von außen gar nicht wirklich. Das ist wunderschön.“
„Was meinen Sie denn?“
„Diese Rosen überall und diese, ich weiß gar nicht wie ich das ausdrücken soll, aber Ihr Garten ist wunderschön und so völlig anders als die anderen.“
„Oh. Vielen Dank junger Mann. Das freut mich zu hören. Wir wollten auch niemals wie andere sein, meine Frau und ich. Wir waren schon immer etwas sonderbar, wenn man so will und das spiegelt sich eben auch im Garten wider.“
„Meine Güte“, seufzte Fynn und sah sich weiter um „Und trotz des Regens alles so schön grün hier.“
„Das ist nicht grüner als bei Ihnen drüben“, gab der Gartenbesitzer von sich und deutete dann auf etwas am Boden „Hier ist übrigens der Gesuchte. Rusty war früher öfter bei uns, aber dann haben sich die Kinder in die Haare bekommen und keiner wollte mehr was mit den anderen zu tun haben. Das hat sich auch nicht geändert als der Nachwuchs ausgezogen ist und wir alleine zurückgeblieben sind. Heute weiß ich nicht einmal mehr was damals passiert ist, aber das spielt ja auch keine Rolle mehr, jetzt, wo alle weg sind.“
Traurig senkte er den Blick und schien kurz in seinen Erinnerungen festzuhängen, dann hob er den Kopf und lächelte Fynn an „Tässchen Kaffee?“
Fynn überlegte kurz und nickte dann „Warum nicht? Ich finde es eigentlich schade das sich die Nachbarn hier nichts zu sagen haben und wäre der Erste der begrüßen würde wenn es sich ändern würde. Mein Name ist Fynn“, erklärte er und reichte dem Mann die Hand.
„Meine Freunde sagen Winnie zu mir, aber eigentlich heiße ich Erwin. Ich wohne hier seit ich verheiratet bin. Dann kam unser Sohn auf die Welt und als der vor einigen Jahren ausgezogen ist, wollten wir verkaufen, aber die Preise sind so im Keller das man praktisch drauflegt. Na ja und irgendwann haben wir entschlossen hier zu bleiben bis es wirklich nicht mehr geht.“
Fynn nickte vorsichtig „Das Paar, das mir das Haus damals verkauft hat“, begann er und lief hinter dem Mann durch den Garten „Die haben mir, ähnliches erzählt. Die wollten auch schon Jahre vorher verkaufen, sind das Haus aber nicht losgeworden. Dann haben sie den Preis gesenkt, weil beide zu alt wurden um sich darum zu kümmern. Während ich es dann bezogen habe, sind die beiden alten Leutchen in ein Pflegeheim umgezogen. Es hat nicht einmal ein halbes Jahr gedauert da waren sie beide tot. Einen alten Baum sollte man eben nicht verpflanzen, nicht wahr? Mir tut es heute noch leid das ich nicht einfach erst einmal in den ersten Stock gezogen bin und sie ein wenig betreut habe.“
„Ach“, Erwin winkte ab und schüttelte gleichzeitig den Kopf „Nicht doch. Das ist auch nicht immer das Gelbe vom Ei, ich meine, wer mag schon einen Fremden in den eigenen vier Wänden?“
Fynn nickte und dachte noch über diese Worte nach, als er das fremde Haus betrat und von einer älteren Frau in Empfang genommen würde, als wäre er das lange verlorene Schaf der Familie.
Rusty nutzte die Gelegenheit und huschte durch die offene Haustür ins Innere. Dort suchte er sich ein gemütliches Plätzchen und tauchte erst wieder auf, als Fynn zum Aufbruch mahnte.
Etwa zwei Wochen später stand Fynn im strömenden Regen an seiner Mülltonne und öffnete sie gerade, als ein Auto vor Samantha Fuchs anhielt. Ein jungen Paar stieg aus und starrte sofort auf das Haus, vor dem sie geparkt hatten. Die Frau war ganz offensichtlich im letzten Drittel einer Schwangerschaft. Sie hielt sich abwechselnd die Hände vor den Bauch und dann an den Rücken.
„Ach du liebe Güte“, hörte er die Frau flöten „Das ist aber eingepfercht zwischen den anderen Häusern, also da müssten wir als erstes mal einen Sichtschutz errichten. Ich meinem damit ich den Kinderwagen unbeobachtet auch mal auf die Terrasse stellen kann.“
„Meinst du wirklich es interessiert hier die Nachbarschaft ob da ein Kind zum Schlafen abgestellt wird, oder nicht?“, wollte er wissen und klapperte mit dem Hausschlüssel.
„Den Nachbarn fällt hier sicherlich auch auf wenn du den Rasen 12 Stunden zu spät mähst, Leon“, erklärte sie ohne Fynn überhaupt zu bemerken. Der verkniff sich ein grinsen, denn Unrecht hatte die Frau nicht. Hier konnte man gar nichts tun, ohne das mindestens einer der Nachbarn jemanden gesehen hatte. Deshalb war es ja auch so seltsam gewesen, das keiner mitbekommen haben wollte, wie Rusty das Grundstück verlassen und sich aus dem Staub gemacht hatte.
„Ja“, hörte er den Mann noch sagen, dann verschwanden sie ins Innere des Hauses.
Fynn blieb mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zurück. Er senkte den Blick, als er die Berührung des nassen Katers an den Beinen spürte.
„Na?“, fragte er „Warst du wieder bei Winnie?“
Der Kater maunzte und lief zur rückwärtigen Tür des Hauses, durch die sie beide schlüpften und sich dann schüttelten. Das Regenwasser spritzte zu allen Seiten und landete überall. Auf dem Boden, den Wänden, an der Decke und auch am jeweils anderen.
„Komm, wir gehen uns abtrocknen und dann mache ich uns was zu essen. Hast du auch Hunger?“, fragte er und lief mit seinem tierischen Freund in die Küche. Dort hantierte er bis er sowohl Rustys Napf befüllt hatte, als auch sein Mittagessen abgefüllt hatte. Ab und an sah er aus dem Fenster und beobachtete die Regentropfen, die gegen die Scheibe klopften und dann in einem Rinnsaal daran herunterliefen. Der Himmel war grau in grau und das jetzt schon seit Wochen. Es war so deprimierend. Dieses graue, nasse und recht kalte Wetter hätte niemals vermuten lassen, das es Sommer war. Und wenn dann doch mal ein paar Strahlen durch die Wolkendecke fielen, dann wusste man gar nicht, wo man im Garten zuerst beginnen sollte um das Chaos zu lichten.
„Was machst du wohl wenn drüben neue Leute einziehen?“, fragte Fynn und Rusty machte sich ungeachtet dessen über sein Fressen her.
„Bleibst du dann bei mir oder würdest du gerne wieder rüber gehen? Die beiden sahen allerdings nicht gerade aus als wären sie darüber erfreut einen Vierbeiner in ihrem Umfeld zu sehen. Ich schätze fast, wenn da ein Grashalm falsch wächst, dann macht sie ihm das Leben zur Hölle. Den Eindruck hatte ich jedenfalls, ob es auch wirklich so ist, müsste sich erst zeigen.“
„Oh Gott!“, hörte er eine aufgeregte Stimme kreischen und dann kam die hochschwangere Frau mit bleichem Gesicht und sich den Bauch haltend aus dem Haus gestürzt. Sie keuchte und schien nur schwer Luft zu bekommen.
Fynn ließ alles stehen und liegen und rannte zu der fremden Frau, die sich am Gartentor des Hauses festhielt und sich heftig übergab.
„Hey, ist alles in Ordnung?“, fragte er und verdrehte angesichts seiner Frage schon die Augen.
Die Frau hob den Kopf und sah Fynn entsetzt an. Sie wischte sich über den Mund und entschuldigte sich.
„Mir ist gerade etwas flau geworden“, sagte sie und hielt sich die Hand vor den Bauch „Da drinnen“, sagte sie und deutete mit dem Finger auf das Haus „Da ist jemand gestorben.“
Fynn nickte.
„Ja. Frau Fuchs. Eine liebe ältere Dame die abends schlafen gegangen ist und morgens nicht mehr aufwachte. Ich weiß.“
Die Frau würgte noch einmal und Fynn machte sich aus dem Staub. Er war froh, als er die Frau nicht mehr hörte und sich sein Magen etwas beruhigte. Um ein Haar wäre es ihm so ergangen wie ihr. Das Geräusch alleine reichte bei ihm manchmal aus, um ein Übermaß an Unwohlsein in ihm zu erwecken.
„Hallo?“, rief er in das Haus und bekam prompt Antwort.
„Ist sie fertig?“
„Ähm“, antwortete Fynn und drehte sich zu der Frau, die sich in diesem Augenblick noch einmal in die Büsche erbrach.
„Nein.“
„Oh Gott. Ich bin so froh wenn das Baby endlich da ist. Schlimmer kann das wirklich nicht sein. Diese ständige Kotzerei macht mich völlig fertig“, hörte er den Mann sagen und nickte, obwohl sie sich nicht sahen. „Ich glaube“, machte Fynn weiter „Sie ist soweit.“
„Sie denken jetzt sicher ich wäre unsensibel“, sagte der Mann und tauchte aus einem der Zimmer aus „Aber ich kann das einfach nicht. Wenn sie kotzt, kann ich mich gleich danebenstellen.“
„Ich habe auch gerade so noch die Kurve bekommen“, gab Fynn zu und streckte dem Mann die Hand entgegen „Ich bin Fynn und wohne im Nachbarhaus. Ich stand gerade am Fenster als Ihre Frau herausgetaumelt kam und ich dachte zuerst es wäre etwas passiert.“
„Ich blöder Hund musste ihr ja noch einmal erzählen das in diesem Haus eine Frau verstorben ist. Hätte ich bloß meinen Mund gehalten.“
„So viel ich weiß“, erklärte Fynn „Ist auch ihr Mann hier verstorben, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.“
„Spielt auch keine Rolle mehr. Sie wird hier niemals einziehen. Für kein Geld der Welt.“
„Wegen der Todesfälle?“
Der Mann nickte und stellte sich als Leon vor.
„Dann solltet ihr euch vielleicht nach einer neuen Immobilie umsehen. Bei einer gebrauchten könnte es immer sein das mal jemand darin verstorben ist.“
„Einen Neubau will sie nicht“, stöhnte Leon und wischte sich über die verschwitzte Stirn „Das ist nicht ganz einfach im Augenblick. Als Erstes diese Stimmungsschwankungen und dann das Wetter. Das macht einen echt fertig.“
„Ich weiß schon“, erklärte Fynn und wendete sich um, als er angesprochen wurde.
„Entschuldigen Sie bitte, aber mir war so übel.“
„Kein Thema. Ich wollte auch nicht aufdringlich wirken sondern nur wissen ob alles in Ordnung ist. Ich habe sie aus dem Haus kommen sehen und na ja, wenn es Ihnen gut geht, ist ja alles in Ordnung.“
„Ich kann hier nicht bleiben“, hörte er die Frau sagen, die an ihm vorbei und ihrem Mann ins Gesicht sah „Bei der Vorstellung das hier mal jemand gestorben ist, wird mir schon wieder schlecht“, sagte sie und hielt sich sofort die Hand vor den Mund. Sie verließ das Haus wieder und nur Sekunden später hörte man sie erneut würgen.
Leon stieß die angestaute Luft aus und schnitt dann eine Grimasse.
„Es ist also wirklich schade das wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen, aber nichts für Ungut“, sagte er und winkte Fynn kurz zu, bevor er wieder in einem der Zimmer verschwand.
„Armer Kerl“, grinste Fynn und horchte. Die Frau hatte entweder nichts mehr um es auszuspucken, oder sie war zum Auto zurückgegangen. Er traute sich vor und spähte durch die offenstehende Haustür. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, dafür donnerte es jetzt wieder. Von der Frau war weit und breit nichts zu sehen und erst als er durch die Gartenpforte wieder auf den Gehweg trat, sah er, das sie im Auto saß und einen Schluck Wasser trank.
„Ist mein Mann noch drinnen?“
Fynn nickte „Ja, aber ich schätze er kommt gleich.“
„Das ist gut so. Ich will einfach nur noch nach Hause.“
„Ich habe es gerade schon zu Ihrem Mann gesagt, es wäre vielleicht besser für Sie wenn Sie selbst bauen würden. Nicht, das ich Ihnen das Haus hier ausreden möchte, aber wenn Sie so sensibel darauf reagieren, dann halte ich meinen Vorschlag nicht für falsch.“
„Da könnten Sie Recht haben, aber ich bin mir fast sicher das unser finanzieller Rahmen dafür nicht ausreicht. Das war einer der Gründe warum wir uns nach einer gebrauchten Immobilie erkundigt haben. Na ja. Eventuell ist es ja was anderes wenn das Kind erst einmal auf der Welt ist. Früher war ich nicht so zart besaitet und habe wirklich die Hoffnung das es auch wieder anders wird.“
„Das wünsche ich mir für Sie“, sagte er lächelnd und bemerkte erst jetzt das ihm das Wasser von der Nasenspitze tropfte. Er verdrehte die Augen „Dieses ewige grau und der dazugehörige Regen gehen einem wirklich aufs Gemüt.“
„Oh ja. Wem sagen Sie das“, erklärte sie und warf einen Blick Richtung Haus, aus dem ihr Mann gerade kam und die Haustür wieder abschloss.
Sie verabschiedeten sich voneinander und Fynn sah hinter ihnen her, wie sie ihren Standort verließen und am Straßenanfang hinter den Häusern verschwanden.
„Ich wünsche euch wirklich viel Glück“, sagte er zu sich selbst und winkte einem Nachbarn zu, der wie erstarrt an seinem Gartentor stand und ihn beobachtete. Als Fynn die Hand hob, verschwand er, als hätte er nie dort gestanden „dann eben nicht“, grinste Fynn und beeilte sich ins Trockene zu kommen. Noch im Flur entledigte er sich seiner nassen Kleidung und stapfte ins Badezimmer, um sich abzutrocknen.
Keine halbe Stunde später hörte er ein Auto und ahnte, das es der nächste Interessent sein würde. Noch konnte er nicht wissen, dass es über Wochen so weitergehen würde, aber kaum hatten sie das Haus betreten, stürmten viele schon wieder davon. Die waren dann nicht einmal länger als 10 Minuten im Haus. Ein paar potentielle Käufer hielten sich über eine Stunde im Haus auf und bei einigen erschien sogar der Makler zu einer Führung.
Inzwischen war es Hochsommer geworden, aber die Gewitterwolken waren noch immer nicht verschwunden. Immer und immer wieder regnete es heftig und donnerte dabei und blitzte.
Der Herbst war längst in greifbare Nähe gerückt und die Temperaturen waren nachts auch schon um einige Grad gesunken. Ab und an hatte Fynn den Eindruck, als würden die Interessenten weniger, aber belegen konnte er das natürlich nicht.
An einem Samstagnachmittag, er stand mit Erwin und seiner Frau Hedi, die eigentlich Hedwig hieß, am Gartentor und tauschte Pflanzentipps und die Vorbereitung für den Winter aus, hielt ein klappriger und quietschbunt bemalter Bulli am Haus.
„Ach du meine Güte, jetzt gucken sich schon die alten Hippies das Haus an“, stöhnte Erwin und bekam einen Seitenhieb von seiner Frau.
„Die alten Hippies?“, fragte Hedi ihn „Als wenn du jünger geworden wärst.“
„Nein, das bin ich nicht, aber kannst du dir hier einen kiffenden langhaarigen Kerl mit weißen Haaren im Vorgarten vorstellen, der aussieht als hätte er in der Altkleidersammlung gewühlt um sich was auszusuchen? Na, der passt ja mal wunderbar hierher.“
„Dann hätten sie wenigstens was zum tratschen“, grinste Fynn und beobachtete, wie Winnie und Hedi auch, das geparkte Fahrzeug, aus dem jetzt ein Mann ausstieg der in etwa so alt war wie er selbst. Also weit entfernt vom Althippie.