Lesse, Nelio und die magischen Momente - Nasha Berend - E-Book

Lesse, Nelio und die magischen Momente E-Book

Nasha Berend

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Beschreibung

Nachdem sowohl Nelio als auch Lesse den Schock über ihre magische Herkunft überwunden haben, kommt gleich ein nächster Schreck hinterher. Jetzt geht es darum, den arroganten und fiesen Magier Marobianus zu stoppen. Aber wie sollen sie anstellen? Selbst der weiße Hirsch und seine Familie wissen nicht wie und wo er sich befindet. Und ob er sich darauf einlässt den Fluch zurückzunehmen, ist auch noch fraglich. Nicht einmal Paul und Hildegard, die sonst auf jede Frage eine Antwort haben, können ihnen bei ihrer Suche helfen. Eines Morgens packen die beiden einfach ihre Rucksäcke und ziehen los ohne ein Ziel vor den Augen zu haben. Sie laufen einfach in die Richtung, die ihnen richtig erscheint. Was als Notlösung begann, endet in einem Abenteuer, mit dem niemand von ihnen beiden gerechnet hatte. Ob es ihnen allerdings gelingt, den Magier zu finden, zur Rede zu stellen und die Flüche aufzuheben, das steht auf einem anderen Blatt.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Das gibt es doch nicht
Prüfungen
Überraschung
Überlegungen
Der unausgesprochene Name
Marobianus
Lesse und Nelio
Paul und Hildegard
Energie
Vertrauen
Der Wald
Der Morgen danach
Marco
Angst
Denk nach, denk nach, denk nach
Ungeheuerlich
Gedankensalat
Ein Reh das steht im Walde
Magier und Zauberer
Ein Ende mit neuem Anfang
Später
Nachwort

Wortzähler: 85076

 

 

 

Über das Buch

 

Nachdem sowohl Nelio als auch Lesse den Schock über ihre magische Herkunft überwunden haben, kommt gleich ein nächster Schreck hinterher.

Jetzt geht es darum, den arroganten und fiesen Magier Marobianus zu stoppen. Aber wie sollen sie anstellen? Selbst der weiße Hirsch und seine Familie wissen nicht wie und wo er sich befindet. Und ob er sich darauf einlässt den Fluch zurückzunehmen, ist auch noch fraglich.

Nicht einmal Paul und Hildegard, die sonst auf jede Frage eine Antwort haben, können ihnen bei ihrer Suche helfen.

Eines Morgens packen die beiden einfach ihre Rucksäcke und ziehen los ohne ein Ziel vor den Augen zu haben. Sie laufen einfach in die Richtung, die ihnen richtig erscheint. Was als Notlösung begann, endet in einem Abenteuer, mit dem niemand von ihnen beiden gerechnet hatte. Ob es ihnen allerdings gelingt, den Magier zu finden, zur Rede zu stellen und die Flüche aufzuheben, das steht auf einem anderen Blatt.

 

 

 

Lesse, Nelio und die magischen Momente

Der zweite Teil

 

 

von

 

Nasha Berend

 

 

 

 

 

 

Nasha Berend

 

 

 

 

 

Das gibt es doch nicht

 

Lesse fuhr sich mit den Händen durch die wirr abstehenden Haare. Er saß am Frühstückstisch und hatte bis gerade eben in eines seiner Bücher gesteckt, das er für die Fortbildung benötigte.

Er stöhnte laut auf und schüttelte über sich selbst den Kopf „Das gibt es doch gar nicht. Das darf doch alles nicht wahr sein. Verdammt noch mal. Bin ich eigentlich so dämlich oder stelle ich mich einfach nur blöd an?“, fragte er sich selbst und seufzte noch einmal. Mit einem lauten Knall schlug er das Buch zu, legte seinen Block und sein Tablet dazu und griff nach der Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Tisch stand. Er verzog sein Gesicht, als er erkannte das sie leer war, erhob sich schwerfällig und schlurfte zur Kaffeemaschine, die immer frischen Kaffee aufbrühte, sobald sich jemand an ihr bedient hatte. Die Magie hatte so ihre Vorteile. Wenigstens manchmal.

Lesse dachte an das, was er in den letzten Stunden gelesen hatte, ohne es sich tatsächlich merken zu können und verdrehte schon wieder über sich selbst die Augen. Der Kaffeegeruch breitete sich innerhalb kürzester Zeit in der Küche aus, in der er inzwischen mehr Zeit verbracht hatte als in der seiner kleinen, angemieteten Wohnung.

Als er sich wieder auf den Stuhl setzte, überkam ihn fast so etwas wie Heimweh. Er dachte an seine Einrichtung, seine Möbel, seine Bücher und all die anderen langweiligen Dinge, mit denen er sich umgab. Zumindest hatten zwei seiner besten Freunde immer behauptet, er wäre der langweiligste Mensch, den sie kennen würden, und manches Mal hatte Lesse sich darüber geärgert, war dann aber irgendwann zu dem Entschluss gekommen das er es einfach akzeptierte langweilig zu sein. Sollten doch andere unangenehm auffallen und alle Blicke auf sich ziehen. Er wollte viel lieber seine Ruhe und so wenig Aufmerksamkeit wie machbar.

„Lernst du schon wieder oder immer noch?“

Erschrocken hob Lesse den Blick und seufzte leise, als er erkannte wer ihm die Frage gestellt hatte.

„Ach, du bist es. Ich hatte schon befürchtet ich müsste heute alleine zur Schule.“

Nelio grinste schief und schloss die Augen, während er gähnte.

„Ich habe die halbe Nacht im Bett gesessen und habe gelernt. Eigentlich dachte ich ja, ich hätte diese verdammte Lernerei endlich hinter mir gelassen, als ich von der Schule verlassen habe, aber im Augenblick glaube ich eher, ich hätte besser aufpassen sollen. Vielleicht wäre mir dann das hier erspart geblieben.“

„Da hat das eine nichts mit dem anderen zu tun“, ertönte eine weitere Stimme in der Küche und das fröhliche Gesicht von Nelios Großmutter erschien, direkt gefolgt von Paul, dem Großvater eines ehemaligen Klassenkameraden Nelios.

Nelio hob erstaunt die Augenbrauen an.

Seine Großmutter strich ihm zärtlich über die Schulter und zwinkerte ihm zu „Hier geht es wohl weniger um das kleine oder große Einmaleins und auch nicht um das Alphabet, liebster Enkel. Das müsste dir nach dem halben Jahr Schule aber klar geworden sein.“

„Was?“, rief Nelio erstaunt aus „Das geht schon ein halbes Jahr so? Ich habe viel eher den Eindruck als hätten wir erst in der letzten Woche damit begonnen uns mit Magie zu beschäftigen.“

Paul brummte etwas Unverständliches, als er drei Tassen aus dem Küchenschrank entnahm und sie vor die Kaffeemaschine stellte, die augenblicklich damit begann ihre Arbeit zu verrichten.

„Ich habe euch doch gesagt das hier die Zeit schneller vergeht, als in der Außenwelt. Was hier eine Woche ist, ist dort, wo ihr herkommt, allerhöchstens eine Stunde. Vielleicht auch zwei. Ich hätte sonst niemals alles verheimlichen können. Wie erklärt man denn seiner Familie das man mal so ganz kurz ein ganzes Jahr nicht anwesend ist?“, fragte sie und lächelte ihren Enkel an, der ihr schon nickend zustimmte und sich dann erst zu Lesse setzte, der schon wieder über den Büchern brütete und von der Diskussion gar nichts mitbekam. Nelio hörte seiner Großmutter zu, die ihm erzählte, zu welcher Zeit sie früher untergetaucht war, um das zu erlernen, was sie später an Dritte weitergeben sollte. Damals war sie noch ein Teenager gewesen und die Eltern sicher nicht darüber erfreut das die Tochter Wochen- oder gar monatelang nicht zuhause sein würde.

Später hätte sie dann ihren Kindern erklären müssen, warum die Mama morgens aus dem Haus geht und erst spät abends wieder zurückkommt. Für sie, die ihre Zeit in einer magischen Welt verbracht hätte, wären mindestens zwei Wochen vergangen, aber für die zurückgebliebenen nicht einmal ein Tag.

„Es ist also ein halbes Jahr her“, begann Nelio und richtete den Blick auf seine Großmutter „Das du mir so einfach bei einem Frühstück erzählt hast das ich in eine Welt geboren wurde, die man durchaus als magisch bezeichnen könnte?“, wollte er wissen und sah sie nicken.

„Ich kann mich zwar an kein Frühstück erinnern, aber ja, ich habe euch erzählt das ihr ein wenig anders seid als andere.“

„Es gibt Tage da fasse ich das immer noch nicht und an anderen glaube ich fest daran das ich es schon immer wusste“, gab Nelio von sich und sah auf Lesse, der endgültig die Nase voll hatte und das Buch vor sich schloss.

„Was ich jetzt nicht kann werde ich wohl niemals begreifen. Herrgott noch mal, ich hätte nicht gedacht das ich noch einmal so sehr büffeln müsste. Mir raucht der Kopf“,gab er zu und holte tief Luft „Wenn ich die Abschlussarbeit versaue werfe ich alles hin. Dann hat es keinen Sinn“, machte er weiter und Paul setzte sich neben ihn.

„Du wirst gar nichts verhauen. Deine ganze Büffelei hättest du dir sparen können. Du kannst mir doch nicht erzählen das du wirklich lernen musst, oder? Dir fällt das nicht nur im Schlaf zu, du bist auch noch ein Naturtalent“, lächelte er und tätschelte behutsam die Hand des nicht einmal halb so alten Mannes „Als Hildegard euch hier angeschleppt hat, da war ich mir auch nicht so ganz sicher ob ihr die Anforderungen wirklich erfüllen würdet, aber so, wie ich die Sache sehe, waren meine Befürchtungen völlig umsonst. Ihr entpuppt euch als wahre Magier. Ihr bringt wirklich gute Gene mit“, erklärte er und lächelte jetzt Hildegard an, die noch immer neben ihrem Enkel saß.

„Ich bin kein Magier“, murmelte Lesse und war kurz davor genau dieses Studium an den Nagel zu hängen „Niemals. Ich bin völlig unfähig, aber so richtig“, gab er von sich und schüttelte den Kopf „Ich werde das niemals verstehen, ehrlich nicht. Es war eine Schnapsidee von mir mich überreden zu lassen. Ich hätte zuhause bleiben sollen und meine neue Stelle antreten. Das kann ich jetzt wohl vergessen, die werden sich längst nach einem Ersatz umgesehen haben.“

„Du schaffst das schon“, sagte Nelio und lächelte Lesse an, mit dem er gerne noch mehr Zeit verbracht hätte. Leider war das Studium der Magie nicht ganz so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte, aber auch nicht so dramatisch schwer, wie Lesse es gerade darstellte. Sie würden es beide schon schaffen, da war er sich sicher.

 

 

 

 

Prüfungen

Nelio warf seine Tasche in die nächste Zimmerecke, warf sich auf sein Bett und schloss genüsslich die Augen. Das nur ein Zimmer weiter Lesse das Gleiche tat, konnte er nicht wissen.

Beide fühlten sich unglaublich stark, als könnten sie nicht nur Bäume ausreißen, sondern auch alles erreichen, was sie sich vorgenommen hatten.

„Juhu!“, hörten Hildegard und Paul einen Freudenschrei durch das ganze Haus und grinsten sich an.

„Hört sich an als hätten sie die Zwischenprüfung bestanden“, lachte Nelios Großmutter und Paul stimmte ihr kopfnickend zu.

„Hört sich zumindest so an. Mir war das klar, dir nicht auch?“

„Natürlich. Nicht nur das sie gelernt haben als hinge ihr und unser Leben von dieser Prüfung ab, sie sind wie für diese Aufgaben gemacht.“

„Das finde ich auch“, antwortete Paul und schlurfte mit müden Schritten durch den Eingangsbereich des alten im Wald stehenden Hauses, das nur derjenige sehen konnte, der die Magie und die Zauberei nicht ablehnte oder gar bestritt. Meist waren es Kinder die es sahen und Erwachsene, die dann genervt den Kopf schüttelten, weil sie es eben nicht erkennen konnten. Er erinnerte sich in diesem Augenblick auch daran, wie seine langjährige Freundin Hildegard ihn aufgesucht und gebeten hatte ihr bei der Ausbildung der beiden Jungmagier zu helfen, die weder ihre Fähigkeiten kannten, noch wussten, dass sie in Familien hineingeboren worden waren, in denen die Magie eine Rolle spielte. Während Lesses Familie versuchte das alles zu verdrängen, um bloß nicht damit konfrontiert zu werden, war zumindest Hildegard in Nelios Familie noch aktiv als Hexe tätig, wenn es gebraucht wurde. Es geschah nicht mehr oft, aber dennoch so viel das sie einigermaßen in Übung blieb. Nur Nelio, der hatte davon nichts mitbekommen sollen. Seine Eltern hatten sie so oft darum gebeten das es ihr irgendwann in Fleisch und Blut übergegangen war, ihm nichts über sich selbst zu erzählen das sie sich daran gehalten hatte. Manches mal war es ihr schwer gefallen, aber sie hatte ihm nichts darüber berichtet, bis er selbst angefangen hatte Fragen zu stellen. Sie war immer noch davon überzeugt das sein neuer Freund Lesse, ihr Untermieter, nicht ganz unschuldig daran war. Schließlich war er es gewesen der sich in einem kleinen Esoterikladen für einen Job als Verkäufer beworben hatte, Nelio hatte damals viele Fragen gestellt und sowohl Lesse als auch sie selbst hatten ein paar davon beantwortet. Und dann war alles so schnell geschehen das sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, wie sie hierher gekommen waren. Hierher, in das Haus im Wald, wo sie auf die magische Welt dort draußen vorbereitet wurden. Als völlige Neulinge sozusagen, die nicht einmal geahnten hatten das es die Welt, in der sie augenblicklich lebten, überhaupt gab.

„Ist das eigentlich ein ganz normaler Tag heute?“, fragte Paul und wartete auf eine Antwort, die Hildegard ihm auch sofort gab. Sie schüttelte ihren Kopf.

„Nein, natürlich nicht. Wir werden den Abschluss heute Abend feiern. Mit einem guten Essen. Ich meine, mit einem RICHTIG guten Essen. Dazu werden wir die anderen Teilnehmer in der Klasse auch noch einladen, obwohl ich glaube das zwei von ihnen den Ansprüchen der Lehrer nicht gewachsen waren. Irgendwas habe ich da gehört“, machte sie weiter und war froh, das ihre beiden ausgewählten Kandidaten den ersten Abschluss mit Bravour gemeistert hatten.

„Ich auch. Soll wohl einer dabei gewesen sein der sich nicht an die Regeln der Schule gehalten hat. Kannst du dich noch an eine dieser Regeln erinnern?“, wollte Paul wissen und sah Hildegard rot werden. Zusammen mit ihren fast weißen Haaren fiel die gesunde Gesichtsfarbe so richtig auf „Was ist? Sag bloß, du hast was ausgefressen? Das kann ich mir so gar nicht vorstellen.“

„Na ja“, kicherte Hildegard und legte das Tuch aus der Hand, mit dem sie bis gerade eben noch den Schrank im Eingang abgestaubt hatte „Ich war nicht immer brav. Vor allem meine Eltern hat mein Verhalten öfter als ein Mal zur Verzweiflung getrieben, aber ich kann mich an einen Vorfall erinnern, für den ich mich später tatsächlich geschämt habe. Nicht, weil es geschehen war, sondern weil man uns erwischt hat.“

„Uns?“, fragte Paul und grinste breit „Erwischt?“, machte er weiter und wartete. Hildegard starrte ihm mitten ins Gesicht und senkte dann den Blick.

„Na ja. Ich war ja nicht immer alt und runzelig, mein lieber Paul. Es hat durchaus Zeiten gegeben in denen ich jung war und so wie man sagte, recht attraktiv.“

„Ob du mir das jetzt glaubst oder nicht, liebste Hildegard, daran kann ich mich durchaus erinnern. Ist ja nicht so, als hätte ich dich damals nicht im Auge gehabt, sehr zum Leidwesen meiner Frau“, grinste Paul und Hildegard kicherte leise „Oh ja, ich kann mich erinnern. Es tut mir heute noch leid das ich dich damals in Schwierigkeiten gebracht habe.“

„Hättest du nicht bei mir übernachtet, hätte ich vielleicht nie geheiratet. Ich meine, sie war sowas von wütend, das kannst du dir nicht vorstellen. Ein paar Mal hatte ich an dem Tag richtig Angst um mein Leben“, machte Paul weiter und nickte zur Unterstützung seiner Aussage „Und damit irgendwann Ruhe einkehren würde, habe ich sie an dem Tag gefragt ob sie meine Frau werden möchte. Da war sie so sprachlos das ich endlich durchatmen konnte“, lachte Paul und befeuchtete seine trockenen Lippen mit der Zungenspitze „Aber, wie du natürlich weißt, war das nicht der einzige Grund. Natürlich habe ich sie geliebt, gar keine Frage.“

„Ich dachte schon, du hättest mir jetzt die Schuld für deine Ehe in die Schuhe geschoben“, grinste Hildegard und atmete tief durch.

„Du willst wissen, weshalb ich uns und erwischt gesagt habe?“, fragte sie und sah ihn nicken. Hildegard deutete mit der Hand in die offenstehende Küchentür „Gönnen wir uns eine kurze Pause. War stressig genug in den letzten Tagen, oder?“

„Hör bloß auf. Ich bin heute Abend froh wenn ich im Bett liege, dabei weiß ich gar nicht, warum wir uns so verrückt gemacht haben. Es war doch immer klar das die beiden die Prüfungen schaffen, oder etwa nicht?“

Hildegard nickte „Das dachte ich auch, aber wie es aussieht, waren wir wohl die einzigen die das dachten.“

„Jetzt erzähl schon“, grinste Paul „Was hatte es mit dem uns und dem erwischt zu tun.“

Hildegard setzte sich genau wie Paul. Sie sahen sich an, wie sie sich schon lange nicht mehr angesehen hatten, und im ersten Moment waren beide darüber erschrocken und wollten dem Blick des jeweils anderen ausweichen, taten es dann aber doch nicht.

„Kannst du dich noch an die Schülerin erinnern die erst nach dem ersten Halbjahr zu uns gekommen ist? Ich glaube, das muss so im dritten Jahr oder so gewesen sein.“

„Ach du meine Güte“, stöhnte Paul und kratzte sich am Hinterkopf. Er kramte in seinen Erinnerungen und runzelte schließlich die Stirn.

„Du meinst aber nicht zufällig diese, wie hieß die gleich? Agnetha, oder so?“

„Agnetha Bernecke, genau die meine ich. Kannst du dich noch an sie erinnern?“

„Ja klar kann ich das. Ich müsste ja lügen wenn ich das Gegenteil behaupten würde. Damals waren wir Jungs mächtig beeindruckt. Sie war ja schon eine Schönheit, diese Agnetha. Schade das man nicht weiß was aus ihr geworden ist. Wäre interessant das zu erfahren.“

„Ich glaube, da kann ich dir helfen, aber das sei nur am Rande erwähnt. Was ich dir eigentlich erzählen möchte“, machte Hildegard weiter und Paul starrte sie an.

„Du weißt, was aus ihr geworden ist?“

„Aus Agnetha?“, stellte Hildegard die Gegenfrage und nickte ihm zu „Willst du jetzt wissen was damals passiert ist, oder nicht?“, wollte sie ungeduldig wissen und Paul zog die Nase hoch. Er nickte.

„Natürlich möchte ich das wissen. Entschuldige. Erzähl bitte.“

Hildegard atmete tief ein und wieder aus, befeuchtete ihre Lippen und räusperte sich „Ich weiß ja nicht, was du davon hältst, aber kannst du dir vorstellen das ich damals was mit einem anderen Mädchen gehabt habe?“

„Was hast du denn mit ihr gehabt?“, wollte Paul wissen und sah Hildegard an. Erst als er ihr in die Augen sah, begriff er, was sie damit andeuten wollte. Er hustete.

„Du hast was mit einem anderen Mädchen gehabt?“,fragte er und Hildegard seufzte, nickte ihm aber zu.

„Du tust gerade so als wäre das völlig unmöglich“, gab sie ein wenig beleidigt von sich „Es ist einfach so passiert. Ist ja nicht so als hätten wir uns das damals vorgenommen. Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht, haben für manche Arbeit zusammen gelernt und dabei müssen wir uns ineinander verguckt haben. Jedenfalls sind wir eines schönen Tages nach der Schule nicht direkt hierher gegangen, sondern haben uns im Wald verabredet. Ich mache es jetzt kurz, ja?“, grinste Hildegard schelmisch und räusperte sich noch einmal „Und irgendwann hörten wir eine empörte Stimme die uns gezwungen hat uns voneinander zu lösen“, machte sie weiter und Paul zwang sich dazu sein Kopfkino endlich einzustellen. Er fand sich einfach zu alt, um sich mit derartig freizügigen Dingen zu beschäftigen, aber die Vorstellung das sich seine alte Freundin Hildegard mal mit einem anderen Mädchen vergnügt hat, löste in ihm doch einen Film aus, den er nicht wirklich stoppen konnte.

Hildegard hingegen neigte den Kopf zur Seite „Ob du mir das jetzt glaubst oder nicht, wir waren schon ordentlich zugange bevor wir gestoppt und getrennt wurden. Für einen Augenblick sah es auch so aus als wenn sie uns von der Schule weisen würden, aber das konnten wir gerade noch verhindern indem wir ihnen versprachen uns nicht mehr zu treffen.“

„Und? Habt ihr euer Versprechen einhalten können?“

„Ja. Haben wir. Im Gegensatz zu meinen Eltern, mit denen ich darüber geredet habe und die mir nicht wirklich Vorhaltungen gemacht haben, wurde Agnetha von der Schule genommen und in eine andere gesteckt, die noch weiter von ihrem Zuhause entfernt war als diese hier. Wir haben uns noch eine Zeitlang geschrieben, aber als wir beide junge Mütter wurden hat es sich im Sande verlaufen.“

„Sie ist also Mutter geworden.“

„Oh ja. Sie bekam eine Tochter.“

„Weißt du, wo sie lebt?“

„Möchtest du dein Glück noch einmal versuchen?“, grinste Hildegard, aber Paul wehrte sofort mit einer Geste ab und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

„Es gibt da manche, die uns gerne auf das Abstellgleis verfrachten würden, andere glauben längst wir hätten schon das zeitliche gesegnet und wieder andere denken wohl wir wären noch zu jung um zu sterben. Ich mische diese drei Ansichten gerne, liebste Hildegard, aber ganz so jung, das ich noch mal von vorne anfange, bin ich nun doch nicht mehr.“

„Warum denn nicht? Ich meine, es wäre doch gar nicht mehr so übel wenn da noch mal jemand in deinem Leben wäre der sich um dich kümmert, oder? Maikel ist ja wohl nicht so ganz der Richtige dafür, oder?“

„Hör mir bloß auf. Der würde mich doch am liebsten schon auf das Abstellgleis schieben und dort vergessen. Der ist doch froh wenn er keine Zeit mit mir verbringen muss, aber deshalb muss ich mich doch nicht Hals über Kopf in eine Affäre stürzen“, gab Paul von sich und Hildegard verkniff sich ein Lachen. Sie presste die Lippen aufeinander.

„Na ja“, kicherte sie „Wäre doch ein netter Zeitvertreib, oder etwa nicht?“

„Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, oder? Ich bin doch keine zwanzig mehr wo ich fünf Mal am Tag ...“, beschämt sah er sie an und räusperte sich „Könnten wir das Thema wechseln?“

„Ich finde ja das es gerade erst so richtig spannend wird.“

„Wer hat eigentlich damit angefangen?“

„Du! Du wolltest doch wissen wer mich mit wem erwischt hat.“

„Genau“, gab Paul zu und lehnte sich zurück „Du hast also mal was mit Agnetha gehabt. Das hätte ich ja nicht gedacht, ehrlich nicht. Hätte nicht geglaubt das die vom anderen Ufer ist .. und du erst recht nicht.“

„Was heißt denn hier, vom anderen Ufer?“, fragte Hildegard einigermaßen entrüstet „Weder sie noch ich waren an Mädels interessiert, aber bei uns beiden war es eben was anderes. Gut, es hat auch nicht lange gehalten und ich habe mich nie wieder mit einer Frau eingelassen, aber versuchen konnte man es ja mal. Sag bloß, du hast nie was mit einem Mann gehabt.“

„Ich?“, fragte Paul laut und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Brust „Mit einem Mann? Machst du Witze? Nee, ich gebe ja zu das ich in meinem Leben so einiges ausprobiert habe, aber ein Mann gehörte ganz sicher nicht dazu.“

„So unmöglich, wie du es gerade darstellst ist es nun auch wieder nicht. An Männern ist ja nichts ekliges, oder doch?“

Paul zog verunsichert die Nase hoch und wollte gerade antworten, als es an der Haustür klopfte. So laut, das sie es in der Küche noch hörten. Erschrocken sprang Hildegard auf.

„Wer könnte das sein?“

„Agnetha ist es sicherlich nicht“, brummte Paul und schlurfte schon durch die Küche und öffnete deren Tür. Das Hämmern an die Eingangstür wurde noch lauter.

„Ich komme ja schon“, gab er von sich und öffnete die Tür. Eigentlich hatte er immer geglaubt, normal groß zu sein, und rechnete nicht damit das sein Gegenüber so viel kleiner wäre als er, aber er starrte ins Leere, als er die Tür geöffnet hatte und wunderte sich. Kurz bevor er sie wieder schließen wollte, ertönte eine Stimme.

„Ist der Neue anwesend?“

Paul war noch verwirrter als zuvor als er den Blick senkte und das Lama mit dem Einhorn vor der Treppe des Eingangs stehen sah.

„Was guckst du denn so? Sieht ja fast aus, als hättest du mich noch nie gesehen. Ich weiß aber, dass das nicht stimmt, also stelle ich dir noch mal die Frage: Ist der Neue hier oder sind die noch in der Schule?“

Paul befeuchtete seine Lippen und holte Luft „Die sind beide schon wieder da. Waren doch Prüfungen in den letzten Tagen.“

„Ach ja. Habe ich vergessen. Ich habe gerade andere Sorgen wie diese dämlichen Prüfungen. Ich hoffe doch, sie haben sie beide bestanden, oder?“

„Ja ja. Alles im grünen Bereich“, knurrte Paul „Aber vielleicht kann ich dir helfen. Wir wollten eigentlich den beiden jungen Männern ein bisschen Ruhe gönnen. Waren stressige Tage.“

„Die sind jung“, gab das Lama von sich und drehte den Kopf zuerst nach links und dann nach rechts. Fast so, als erwarte es beobachtet zu werden. Es trat einen Schritt nach vorne und stand jetzt mit den Vorderbeinen auf der ersten Stufe „Die werden es verkraften wenn man sie stört. Bitte, ich wäre garantiert nicht hier wenn es nicht wichtig wäre, oder? Ich meine, überlege bitte mal ob wir uns schon mal mit irgendeinem Problem an euch gewendet haben“, sagte es und Paul überlegte tatsächlich. Er musste zugeben, dass das Tier recht hatte. Er konnte sich an keinen Vorfall mit den Waldbewohnern erinnern. Sie hatten noch niemals Kontakt mit ihnen aufgenommen und auch die Waldtiere selbst waren noch nie bei ihnen gewesen. Jedenfalls nicht, solange er sich daran erinnern konnte.

„Was ist denn jetzt?“, fragte das Tier ungeduldig und trat von einem Bein auf das andere „Es ist wirklich wichtig. Würdest du bitte nachsehen ob einer der beiden ansprechbar ist.“

„Egal wer?“, wollte Paul beleidigt wissen, weil er immer noch der Meinung war, das er selbst hätte helfen können und sah das Lama nicken.

„Ja. Egal wer, aber am liebsten wäre mir dieser Frischling. Der Neuling im Wald, verstehst du? Wie heißt der noch gleich?“, fragte er sich mehr selbst und senkte ein wenig den Blick „Lesse“, sagte es gleich und schien sich darüber zu freuen, dass es ihm gelungen war, den Mann zu identifizieren.

„Warum ausgerechnet Lesse?“

Paul hatte den Eindruck, als würde das Lama die Augen verdrehen. Es starrte ihn an und neigte dann den Kopf zur Seite. Hildegard erschien und lächelte.

„Was willst du denn hier?“

„Ich möchte zu Lesse aber Paul lässt mich nicht zu ihm.“

„Was willst du denn von ihm?“

„Mit ihm reden.“

„Reichen wir dir nicht?“

„Nein.“

Hildegard richtete sich kerzengerade auf „Wir reichen dir nicht?“

„Herrgott noch mal“, stöhnte das Tier „Holt mir jetzt einfach den Lesse und alles ist gut. Ihr geht mir tierisch auf die Nerven mit eurer Fragerei“, schimpfte es und Paul drehte sich weg und verschwand im Hausinneren.

„Was ist denn los?“, wollte Hildegard jetzt wissen und das Lama wendete sich ab. Er stieg die Stufe hinunter und tippelte aufgeregt ein paar Schritte vor und dann wieder zurück.

„Ich glaube, da wären ein paar frische Augen nicht falsch“, sagte es mit gesenktem Kopf „Jemand, der so gar keine Ahnung von uns hat könnte eventuell besser helfen als jemand der schon seit x Jahren mit uns hier zusammenlebt.“

„So wie Paul und ich?“, wollte Hildegard wissen und wieder nickte das Tier.

Hildegard steckte ihre Hände in die Hosentasche und lehnte sich an die Hausmauer „Das muss ja was sehr spezielles sein wenn wir alt Eingesessenes dir nicht helfen können.“

Das Lama machte ein schmatzendes Geräusch und hob den Kopf, bis es Hildegard ansehen konnte.

„Ich sagte doch gerade, das wir gerne ein frisches Paar Augen hätten, oder nicht? Bitte. Ich möchte ihm doch nur etwas zeigen was uns schon seit ein paar Jahren beschäftigt.“

„Und da hat es jetzt nicht gerade noch ein paar Stunden Zeit? Wenigstens solange, bis wir die Prüfungen gefeiert haben?“

Das Lama seufzte leise, dann schüttelte es den Kopf.

„Ich habe lange überlegt ob ich euch heute stören soll aber es ist wirklich wichtig und ein Aufschub könnte katastrophal sein.“

„Für wen?“

„Was? Für wen?“

Hildegard schnitt eine Grimasse „Für wen könnte ein Aufschub eine Katastrophe sein?“

„Ach so“, murmelte das Lama und konnte so schnell keine Antwort auf die Frage finden. Es war froh, als Lesse erschien und es erstaunt ansah.

„Was willst du denn hier?“

„Ich brauche deine Hilfe. Nein, eigentlich ist das falsch. Ich sollte wohl besser sagen das WIR deine Hilfe brauchen. Hast du ein bisschen Zeit und könntest mal kurz mit mir kommen?“

„Ehrlich gesagt, wenn jetzt nicht gerade jemand den Kopf unter dem Arm hat, dann würde ich gerne den Ausflug auf morgen oder so verschieben. Ich bin völlig erledigt und hundemüde.“

„Ähm“, stammelte das Lama und scharrte mit dem linken Vorderbein „Bitte. Würdest du jetzt mitkommen. Vielleicht dauert es ja nicht lange und dann kannst du dich wieder ausruhen, aber JETZT ist es noch ganz frisch und ...“

Lesse pustete die Luft aus seiner Lunge und nickte „Ich hole nur schnell meine Jacke. Hast du was dagegen wenn Nelio mitkommt?“

„Ich glaube, der kann dir nicht helfen. Der kommt aus einem alten Magiergeschlecht und hat manchmal Tomaten auf den Augen. Würdest du jetzt bitte mitkommen?“, wollte es wissen und sah ihn nicken. Er holte seine Jacke und beantwortete auf dem Weg durch den Wald die Fragen nach den Prüfungen. Er wunderte sich, wie viel das Lama über die Schule, die Fächer und die Prüfungen wusste, stellte aber keine Fragen danach. Als das Tier etwa dreißig Minuten später stehenblieb und im Waldboden zu scharren begann, sah Lesse ihm zu.

„Was ist denn jetzt? Wobei soll ich dir helfen?“

„Gehe einfach hier weiter. Hinter den nächsten Büschen wirst du schon sehen wobei du helfen kannst, aber ich gehe nicht noch einmal dorthin. Garantiert nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Verdammt noch mal“, gab es wütend von sich und straffe seinen Körper „Geh einfach gucken. Mir reicht der Schreck ein mal am Tag. Ganz ehrlich. Noch einmal muss ich das nicht sehen. Mir ist noch ganz übel“, gab es von sich und trat beiseite. Mit dem Kopf machte es eine Bewegung, die wohl so viel bedeuten sollte wie, Lesse solle in diese Richtung gehen. Er zögerte zuerst, nickte dann aber und bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp. Bis ...

 

 

 

 

Überraschung

 

Entsetzt sprang Nelio auf und sah Lesse an, der bleich neben seinem Bett stand.

„Hey, aufstehen. Nun komm endich, ich habe keine Zeit dich noch eine Stunde oder so zu wecken. Da braucht jemand dringend unsere Hilfe und alleine kriege ich das noch nicht hin, Also mach schon. Steh endlich auf“, giftete Lesse und hatte, so ganz nebenbei, Nelio darüber in Kenntnis gesetzt, wohin das Lama ihn gebracht und was er gesehen hatte.

„Habe ich dich richtig verstanden?“, fragte Nelio noch immer ein wenig schläfrig und hörte Lesse zu, als er die Hälfte der Geschichte noch einmal wiederholte. Er warf Lesse einen ungläubigen Blick zu.

„Ich habe von ähnlichen Dingen gehört und manchmal gibt es sogar einen Bericht dazu im Fernsehen, aber gesehen habe ich so etwas noch nie.“

„Ich habe es auch nicht glauben wollen. Zuerst dachte ich, ich wäre eingeschlafen und es wäre ein Traum, dann dachte ich, ich hätte vorhin vielleicht irgendeine Droge im Kaffee gehabt“, machte er weiter und schnitt dabei eine Grimasse. Sofort erinnerte sich auch Nelio an die Geschichte, die Lesse ihm vor einigen Wochen erzählt hatte und in dem eine Tasse Kaffee mit einem Halluzinogen die Hauptrolle spielten.

„Dem war aber nicht so. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Jetzt komm schon. Es wird kaum dort stehenbleiben und auf uns warten.“

„Und was machen wir dann?“, wollte Nelio wissen und Lesse hob die Schultern an.

„Das weiß ich nicht. Deshalb bin ich ja hier. Du musst mir helfen einen Plan zu entwickeln.“

„Einen Plan? Wofür?“

Lesse starrte ihn an und Nelio zog aus Nervosität die Nase hoch. Beide nickten und machten sich auf den Weg zu der Stelle, an die das Lama Lesse geführt hatte. Es stand noch immer dort.

„Da seid ihr ja endlich. Ich dachte schon, ihr kommt überhaupt nicht wieder. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor“, schimpfte es ungehalten und sah Lesse von oben herab an „Wollen wir mal hoffen das er ein bisschen mehr Fantasie hat als seine Großmutter. Die hat es nämlich vor zig Jahren auch schon mal versucht.“

„Was hat sie versucht?“, wollte Nelio wissen, als Lesse das Lama kurz am Hals streichelte und dann beiseiteschob.

„Deine Aussagen sind manchmal nicht wirklich hilfreich. Du solltest uns gut zureden und anfeuern, verstehst du?“

„Anfeuern? Wie meinst du das? Gut zureden?“

„So ähnlich.“

„Ist das dein Ernst?“, fragte das Lama und sah aus, als würde es eine Grimasse schneiden. Lesse musste sich ein Grinsen verkneifen und holte tief Luft.

„Jetzt komm. Lass uns mal nachsehen ob du das Gleiche siehst wie ich.“

„Darauf bin ich auch gespannt“, murmelte Nelio und schlich so leise wie möglich hinter Lesse her, der die dünnen Ästchen der Büsche beiseiteschob und sich langsam dem Ziel dieses seltsamen Ausflugs näherte.

Als sie das Dickicht passiert hatten, blieb Lesse stehen. Nelio stieß gegen ihn, blieb dann aber ebenso stehen und starrte in die gleiche Richtung wie Lesse.

„Grund gütiger. Es gibt sie wirklich“, flüsterte er so leise, er konnte und hoffte, das Lesse ihn trotzdem gehört hatte.

„Heißt das etwa, das ist bekannt?“

„Mhm“, murmelte er zustimmend und nickte gleichzeitig „Meine Oma hat mir schon so einiges darüber erzählt als ich noch jünger war. Ehrlich gesagt habe ich es ihr nicht geglaubt. Das klang immer ziemlich unrealistisch.“

„Es sieht auch ein wenig so aus, oder findest du nicht?“, wollte er wissen und beide nickten sich zu, bevor sie sich wieder dem Schauspiel zuwandten, dessen Zeuge sie wurden.

Nelio spürte, wie sein Herz schneller schlug, und Lesse befürchtete, das sein Herz aufhören würde zu schlagen. Es schien Aussetzer zu haben und beruhigte sich auch nicht, als er Nelio Luft schnappen hörte.

„Ich dachte wirklich es wäre ein Mythos. Hätte nie damit gerechnet sie mal zu sehen. Ich glaube das alles nicht. Das kann doch nicht sein“, flüsterte Nelio, dem sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war „Heiliger Strohsack“, machte er gleich weiter und trat einen großen Schritt nach vorne.

Die Tiere vor ihnen hoben die Köpfe und starrten in ihre Richtung.

So langsam sie konnten, näherten sich Lesse und Nelio ihnen und blieben erst stehen als sie die Hände ausstrecken und jeweils ein Tier hätten berühren können. So wie es aussah, stand der Anführer der Rudel in der Mitte der kleinen Gruppe und machte sich nun auf den Weg zu ihnen.

Nelio war genauso mulmig zumute wie Lesse.

Um ein Haar wäre er ausgewichen als die feuchte Nase des majestätischen Tieres seine Hand berührte, bevor es sich Lesse zuwendete und dort das Gleiche tat.

„Meine Güte“, hauchte Lesse ehrfürchtig und schluckte den dicken Kloß in seinem Hals hinunter „Du bist die reine Energie. Es ist fast so als würdest du mich aufladen, mir neue Kraft geben“, sagte er leise und streckte die Hand aus, um es zu berühren. Jetzt war es das Tier, das zurücktrat und die Männer auffällig musterte.

„Was wollte das Lama?“, fragte Nelio und Lesse räusperte sich, weil seine Stimme zu versagen drohte.

„Es hat mich gebeten der Rudel zu helfen.“

„Wobei?“

„Es sagte sowas wie, alle paar Jahre tauchen sie hier auf weil die Rudel krank ist und erwarten Hilfe. Leider konnte ihnen nur noch niemand helfen. Und jetzt wäre wohl ich an der Reihe es zu versuchen.“

„Was fehlt den Tieren denn?“, fragte Nelio und Lesse hob aus Unwissenheit die Schultern an. Darüber hatte er mit dem Lama nicht gesprochen, oder er erinnerte sich nicht mehr daran. Jedenfalls streckte er tatsächlich seinen Arm aus, als der Anführer der Rudel nach vorne trat und sich bereitwillig von ihm anfassen ließ.

Das Fell unter Lesses Händen fühlte sich rau und weich zugleich an. Die Wärme des Tieres tat gut und wieder verspürte Lesse eine ungeheure Kraft und Energie von ihm ausgehen die ihn wiederum einhüllte und von der er sich wünschte, er könne sie in sich aufnehmen.

Nelio sah, wie Lesse dem Tier in die Augen sah und mit ihm zu kommunizieren schien. Beide hielten den Blickkontakt so lange aufrecht wie nötig und als das Tier sich abwendete und wieder zu seinesgleichen lief, musste Lesse sich mühsam aufrappeln.

„Was ist los?“, fragte Nelio, der schon zu ahnen schien, das Lesse Kontakt aufgenommen hatte. Er war nicht nur jemand der sich meisterhaft mit Kräutern, Salben, Cremes und Tinkturen auskannte, sondern auch einer der die seltene Gabe besaß sich mit Tieren auszutauschen. Nelio konnte es nicht und beneidete Lesse über alle Maßen für diese Gabe.

„Was hat er dir gesagt?“

Lesse reagierte noch immer nicht. Er sah hinter dem Leittier her und ließ den Blick dann über die restliche Rudel schweifen, die um sie herum stand. Es sah aus, als wären sie geradewegs einem Fantasieroman entsprungen. Deshalb wunderte sich Lesse auch nicht, dass er an Annegret dachte und sich vornahm, ihr zu schreiben und darüber zu unterrichten, was in den letzten Wochen und Monaten vorgefallen war. Dabei fiel ihm ein, das er sich vielleicht mal wieder zuhause melden sollte. Obwohl er den Eindruck hatte, als würde es seine Eltern nicht wirklich interessieren, aber das konnte auch täuschen. Die Wahrheit durfte er ihnen sowieso nicht sagen, aber es war egal ob er log oder eben nicht. Seine Mutter wollte nur immer wissen wie es mit der Arbeit ging und ob er zufrieden war mit dem was er tat und ganz wichtig war ihr wohl das genug im Kühlschrank war. Sein Vater hingegen nahm gar nicht an seinem Leben teil. Dem schien alles gleichgültig zu sein und Lesse fragte nicht weiter nach warum.

Nelio betrachtete seinen Freund und wartete auf eine Reaktion, aber alles, was er sah, war Lesses unbeweglicher Gesichtsausdruck. Er starrte einfach nur hinter dem Tier her das er gerade eben berührt hatte. Oder war es schon länger her? Nelio war sich nicht sicher ob sein Zeitgefühl stimmte oder etwas aus den Fugen geraten war.

„Ich muss zurück!“

Nelio zuckte zusammen, als Lesse ihn ansprach.

„Zurück? Warum?“

„Ich muss etwas nachschlagen. Ich bin mir nicht sicher ob ich das alles hier richtig deute.“

„Ich weiß ja nicht, was du siehst, aber ich sehe eine ganze Horde von weißen Tieren. Einen Hirsch und ..“, Nelio hob den Blick und ließ ihn über die Tiere vor sich schweifen, bevor er weitersprach „Einen Hirsch und 12 Hirschkühe. Ist das normal, dass das so viele sind?“, wollte er von Lesse wissen, der die Schultern anhob und den Kopf schüttelte.

„Keine Ahnung, ob das normal ist, aber ich weiß das ich zum Haus zurück muss und etwas nachschlagen.“

„Nachschlagen? Was denn? Kann ich helfen?“

„Alleine kriege ich das sicher nicht hin, also ja. Du kannst helfen, aber frag im Augenblick nicht weiter, in Ordnung? Ich kann mir ja nicht einmal selbst helfen, geschweige dennoch das ich dir Antworten auf deine Frage geben kann. Aber ich weiß das ich den Tieren helfen muss.“

„Helfen? Wobei denn helfen? Herrgott noch mal, warum redest du nicht mit mir?“

„Ich muss ihnen helfen wieder normal zu werden. Sie waren nicht immer so wie du sie gesehen hast. Das war mal eine Rudel ganz normaler Wildtiere, aber dann hat ein Zauberer sie verhext weil sie nicht so gehandelt haben, wie er es wollte. Ich erzähle es dir auf dem Rückweg, aber wir müssen was tun, Nelio. Wir müssen ihnen wieder zu einem normalen Leben verhelfen.“

 

 

 

 

 

Überlegungen

 

Schon wieder saßen Lesse und Nelio am Tisch und brüteten über den Schriftstücken, die sie im Haus gefunden hatten. Manchesmal hörten Hildegard und Paul sie wieder seufzen, ein anderes Mal schnauben und ab und zu sogar gähnen.

Hildegard sah vom Strickzeug hoch, Paul ins Gesicht, der gerade genüsslichst an seiner Pfeife zog.

„Jetzt steht die nächste Generation vor dem Problem. Kannst du dich noch erinnern?“

„Oh Himmel, ja“, seufzte Paul und nickte, während er Rauchkringel in die Luft pustete. Er sah aus dem Fenster dicht neben sich und lachte leise.

„Weißt du noch wie ich mich vor diesen Tieren erschrocken habe? Ich habe wirklich gedacht, ich hätte noch einen Rest dieses Halluzinogenes in mir das mir einen Abend zuvor in den Tee geschüttet worden war, aber das ist eine andere Geschichte.“

„Oh ja. Ich kann mich gut erinnern wie du geschrien hast“, kicherte Hildegard und räusperte sich „Aber ich weiß auch noch das du alle Hebel in Bewegung gesetzt hast um dieser Rudel zu helfen. Auch wenn es nicht geklappt hat, du hast es wenigstens versucht.“

„Wir hatten ja auch noch nicht die Möglichkeiten die die jungen Leute heute haben. Hätten wir Internet gehabt, vielleicht wäre die Sache anders ausgegangen, aber wir wollen uns nicht beklagen, oder?“

„Nein“, Hildegard schüttelte den Kopf „Das wollen wir wirklich nicht. War schon eine schöne Zeit, auch wenn sie etwas anstrengender war als heute.“

„Findest du?“, fragte Paul und wendete sich direkt an Hildegard, die ihm zunickte.

„Ja. Das finde ich tatsächlich. Herrgott noch mal“, schimpfte er gleich los „Was zappelst du denn so aufgeregt, Lesse?“

„Ich, ähm, ich habe hier was über den Zauberer, der die Rudel verflucht hat.“

„Ich habe gar nicht so richtig verstanden, weshalb er das getan hat“, gab Nelio zu und kratzte sich am Kinn. Hildegard ließ ihr Strickzeug sinken und sah Paul an, der in diesem Moment die Pfeife in die Hand nahm und wieder aus dem Fenster sah. Nelio und Lesse kam es so vor, als würde er ihrer Frage ausweichen. Sie wussten zwar nicht weshalb, aber er starrte angestrengt in die entgegengesetzte Richtung. Was die Neugierde der beiden Männer nur noch mehr entfachte. Was hatten die zwei jetzt zu verheimlichen?

Hildegard räusperte sich „Das ist eine längere Geschichte und ich muss in die Küche, endlich das Abendessen machen. Paul kann euch ja ein paar Dinge über diesen Zauberer berichten, aber ihr solltet ichn nicht unbedingt als Vorbild für euch wählen. Er war zwar ein begnadeter Magier, aber ein furchtbarer Mensch. Er hat seine Magie für jeden und alles missbraucht der nicht so gehandelt hat wie er es wollte. Leider gehörte die Rudel dazu.“

„Eine Rudel Damwild? Was kann die schon anderes tun als ihrem Instinkt folgen? Was hat er denn erwartet? Das sie Handstand und eine Rolle vorwärts machen?“, fragte Nelio verwundert und sah wie seine Großmutter aufstand, das Strickzeug auf ihren Sitzplatz legte und Paul ansah, der noch immer aus dem Fenster starrte.

„Wie gesagt, ich muss das Essen machen. Einer von euch könnte ja so in etwa einer halben Stunde schon mal den Tisch decken.“

Mit diesen Worten verließ sie den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.

Nelio hob verwundert die Augenbrauen an und Lesse runzelte die Stirn.

„Was war das denn?“

Paul räusperte sich „Es gibt Dinge in unseren Kreisen über die wir nicht gerne reden und dieser Zauberer gehört dazu. Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, also wenn das nachher ein wenig zusammenhanglos erscheint dann seht mir das bitte nach. Es fällt wirklich schwer das alles der Reihe nach zu erzählen ohne wütend zu werden oder sich zu verhaspeln.“

„Wir wollen eigentlich auch nur wissen warum der diese Rudel verflucht hat. So lange kann das ja noch nicht her sein. Ich meine, ich habe keine Ahnung wie alt solche Tiere werden, aber ..“, sagte Nelio, aber Paul befeuchtete seine Lippen und winkte mit der freien rechten Hand in Richtung der beiden Männer.

„Diese Rudel ist keine normale Rudel“, begann er „Er hat sie nicht nur einfach in eine weiße verflucht, sondern hat ihnen auch verwehrt ein ganz normales Leben zu leben. Sie werden älter, keine Frage, aber sie können nicht sterben. Sie quälen sich mit diversen Wehwehchen und jeder Kräuterheilkundige nimmt sich ihrer an und versucht die Leiden zu lindern die sich im Laufe der Jahre eingestellt haben, aber sterben“, wiederholte er „Sterben können sie leider nicht. Zumindest solange nicht, wie niemand diesen verdammten Fluch aufhebt und die Tiere sich wieder in den Normalzustand zurückverwandeln. Dann, dann sind sie ganz normal und können auch verenden.“

„Wie alt sind sie denn?“, wollte Lesse wissen und Paul hob aus Unwissenheit über die Antwort die Schultern.

„Das ist eine gute Frage, aber ich kann mich daran erinnern das schon mein Ur-Urgroßvater etwas darüber erzählt hat. Und jedes neue Schuljahr versuchen sie jemanden zu finden der stärker und scheinbar klüger ist als alle seine Mitschüler. Den bitten sie dann darum ihnen zu helfen. Bisher hat es allerdings noch niemand geschafft. Keiner von all den Schülern hat es je geschafft den Fluch aufzuheben. Und zwar schon seit Jahrzehnten. Wie gesagt, mein Ur-Urgroßvater hat es versucht, genau wie mein Urgroßvater, Mitglieder aus Hildegards Familie und auch sonst noch eine Menge Schüler. Keiner von ihnen hat es geschafft. Und jetzt, jetzt seid ihr eben an der Reihe euer Glück zu versuchen. Tut mir und euch nur den Gefallen und seid nicht allzu sehr enttäuscht wenn es nichts wird, okay? Daran haben sich schon so viele die Zähne ausgebissen das es fast schon an ein Wunder grenzen würde wenn ihr es schaffen solltet.“

„Ich habe noch nie etwas von dieser Rudel gehört, dabei sollte man doch annehmen das diese weißen Tiere jede Menge Blicke auf sich ziehen.“

„Ist ja nicht so, als würden sie tagtäglich im Wald herumstreunen. Sie tauchen hier nur ein Mal im Jahr auf. Immer zu den Zwischenprüfungen. Dann suchen sie sich jemanden aus dem sie es zutrauen das er ihnen helfen könnte und verschwinden danach wieder wenn es nicht gelingt .. bis zum nächsten Jahr.“

Lesse seufzte und vertiefte sich erneut in die Bücher vor sich, während Nelio eine neue Suche in den Laptop eingab. So schnell gaben sie nicht auf, egal was alle anderen dachten. Vielleicht waren sie genau die Richtigen, um der Rudel zu helfen. Vielleicht würden sie scheitern wie schon die Generationen vor ihnen. Bei dem Gedanken sah Nelio hoch und Paul ins Gesicht.

„Hast du vorhin erzählt das diese Rudel schon Generationen von Hexen und Magiern beschäftigt? Wie alt sind die Tiere dann?“

„Wenn man verflucht ist, relativiert sich die Zeit“, antwortete Paul und befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze „Dann wird die Zeit zur Nebensache, versteht ihr?“

„In unserer Welt“, machte Lesse weiter „Wie alt wären sie?“

„Sicher über 100 Jahre“, gab Nelio von sich und sah Lesse an „Oder sogar noch älter. Die Angaben hier über diesen Magier sind recht unterschiedlich. Mal hat er vor über 200 Jahren sein Unwesen getrieben, ein anderes mal steht da drin das er unter Umständen sogar noch leben könnte, dann aber schon ein biblisches Alter erreicht hätte.“

Lesse sah auf „Ich finde nichts über einen Umkehrspruch zu Flüchen bei Tieren. Menschen ja, was ich einigermaßen seltsam finde, aber für Tiere scheint es nichts zu geben.“

„Was hältst du davon?“

„Wovon?“

„Das der Magier eventuell noch leben könnte?“

Lesse sah reichlich verwirrt aus und Nelio verdrehte die Augen „Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ehrlich gesagt“, begann Lesse und war sich sicher, das er den Satz nicht beenden müsste, aber Nelio schien tatsächlich zu warten. Bedauernd räusperte Lesse sich „Nicht wirklich. Ich habe hier gelesen und mir gleichzeitig den Kopf darüber zerbrochen ob wir im Unterricht sowas schon durchgenommen haben.“

„Mit keiner Silbe“, gab Nelio von sich und Paul horchte auf.

„Ihr hattet das noch nicht?“

„Über Flüche und sowas haben wir noch nie geredet. Warum auch? Wir wollen ja niemandem Schaden zufügen, also brauchen wir auch nicht über derartige Dinge sprechen“, gab Lesse von sich und Nelio nickte bestätigend.

Paul legte seine Pfeife zur Seite und starrte die jungen Männer an, als hätte er sie nie zuvor gesehen.

„Was hast du gerade gesagt?“

Lesse hob die Augenbrauen und Nelio runzelte die Stirn. Beide dachten an ihre letzten Sätze, bis Lesse antwortete.

„Ich sagte, wir würden ja nicht dazu ausgebildet jemandem Schaden zuzufügen, also brauchen wir auch nicht über solche Dinge sprechen.“

Paul sah sie noch immer verwirrt an, dann nickte er, schnappte sich seine Pfeife und lief zur Tür „Ich komme gleich wieder. Klappt eure Bücher zu, darin werdet ihr nichts finden das euch weiterbringt. Ihr habt nämlich Recht. In euren Schulbüchern werden nur Themen aufgegriffen wie ihr euren Mitmenschen helfen könnt und nicht wie ihr sie mit Flüchen belegt. Also müssen wir zu anderen Mitteln greifen. Ich gehe nur schnell etwas holen. Lauft nicht weg, ich bin spätestens zum Essen wieder da“, sagte er und verschwand ohne sie noch einmal anzusehen.

Weder die beiden Männer noch Hildegard hatten eine Ahnung, wohin Paul gegangen war, aber er hatte eiligst das Haus verlassen und war den kleinen, schmalen Weg entlanggehastet, der eigentlich zum Parkplatz führte, aber Paul war ohne Auto hierher gekommen. Er hatte sich mit Hildegard ein Taxi geteilt, als sie das Haus bezogen hatten, um alles für Lesse und Nelios Ankunft vorzubereiten. Nun war er wohl auf dem Rückweg, jedenfalls führte der schmale Pfad sonst nirgendwo hin. Nur zum Parkplatz nahe der Straße.

„Was will er bloß holen?“, fragte Nelio und nahm seiner Großmutter die Teller aus den Händen, die sie auf dem Tisch platzieren wollte. Schnell räumte Lesse seine Bücher beiseite und half, den Tisch zu decken. Noch immer grübelte er darüber nach, ob das, was er zu sehen geglaubt hatte, auch wirklich dort gewesen war. Vielleicht hatte er Visionen gehabt, weil es genau das war, was er wollte: Eine Aufgabe. Ein Ziel. Diese Lernerei in den letzten Monaten war extrem anstrengend gewesen und er hatte sich gefragt, wozu er das alles lernte, wenn er nie ein Magier werden würde, der seine Gabe auch einsetzen konnte. Das hatte er schriftlich und war sich nicht sicher was dann mit dem Wissen anfangen sollte. Gut, sie hatten ja Recht, wenn die Lehrer behaupteten, Magie würde man in vielen kleinen, fast schon banalen Dingen im Alltag finden. Und das Magie nicht unbedingt etwas mit Zaubern zu tun hatte, das wussten sie inzwischen selbst. Der kindliche Glaube war inzwischen gewichen und hatte nichts mehr mit dem zu tun das man ihnen in diesem Studium beibrachte, obwohl immer noch so ein Fünkchen Hoffnung glimmte, vielleicht doch einmal mit Zauberstab und einem sich reimenden Spruch etwas in Bewegung zu setzen, das ansonsten stumm und starr auf seinem Platz gestanden hatte.

Lesse verkniff sich ein Lachen und presste die Lippen aufeinander.

„Mal gesetzt den Fall, die Tiere sind tatsächlich schon so alt, wie wird das denn wenn der Fluch aufgehoben wird?“, wollte Nelio wissen und nahm Hildegard die beiden großen Keramikschalen ab, die sie in ihren Händen balancierte. Sie hob die Schultern an.

---ENDE DER LESEPROBE---