Der Hotelonanist - Herold zu Moschdehner - E-Book

Der Hotelonanist E-Book

Herold zu Moschdehner

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Beschreibung

Er hat nie jemanden berührt. Und wurde nie berührt. Sein Leben ist still. Bis auf die Nächte. Herr Vogt ist Gerichtsvollzieher. Er lebt allein, spricht wenig, liebt niemanden. Doch in anonymen Hotelzimmern, hinter dünnen Wänden, sucht er Nähe auf seine eigene Weise. Er hört anderen beim Sex zu. Und nur so kann er kommen. Kein Körper, keine Stimme, keine Liebe gehört ihm. Doch sie durchdringen ihn. Jede Nacht, durch Putz, Gips und Sehnsucht. "Der Hotelonanist" ist ein leiser Roman über Schamlust, Hörbegierde und den Versuch, am Rande des Lebens doch noch etwas Echtes zu empfangen. Ein Buch über einen Mann, der nicht liebt, sondern lauscht. Und über die Geräusche, die ihn retten.

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Seitenzahl: 52

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 – Das Haus in der Biegung

Kapitel 2 – Seine Nächte in fremden Betten

Kapitel 3 – Der Rhythmus der Wand

Kapitel 4 – Möglichkeiten, die nicht geschahen

I. Frau Keller mit der Messingbrosche

II. Die Frau mit dem Honigton

III. Gerda auf dem Parkplatz

Kapitel 5 – Die bleibende Mutter

Kapitel 6 – Gerichtsvollzieher

Kapitel 7 – Das Fenster zum Hof

Kapitel 8 – Die Stimme im Flur

Kapitel 9 – Die Einladung

Kapitel 10 – Ein Sonntag wie ein letzter

Vorwort

Haben Sie schon einmal durch eine Wand gelauscht, nicht aus Neugier, sondern aus Not? Ich schon. Oft. Zu oft.

Dieses Buch handelt nicht von Liebe. Es handelt auch nicht von Sex. Es handelt von einem Mann, der beides nicht kennt – aber beides hört. Ein Mann, der nicht anklopft, nicht spricht, nicht berührt. Ein Mann, der in Hotelzimmern liegt, nackt und lauschend, weil sein Körper sonst nicht antwortet.

Ich habe lange überlegt, ob man so etwas aufschreiben darf. Ob man das Schamvolle, das Armselige, das einsame Zittern zwischen Bettkante und dünner Wand überhaupt teilen sollte. Aber ich habe festgestellt: Wenn man schweigt, bleibt man allein. Wenn man spricht, wird man vielleicht verstanden – oder zumindest kurz gehört.

Dieses Buch ist kein Bekenntnis. Es ist ein Zustand. Ein Zimmer, ein Geräusch, ein Körper – mehr war da nicht.

Wenn Sie das lesen und glauben, es sei widerlich: Ich verstehe Sie.

Wenn Sie das lesen und spüren, dass Sie sich selbst darin streifen: Dann verstehe ich Sie besser.

Herold zu Moschdehner

Kapitel 1 – Das Haus in der Biegung

In einer dieser Straßen, die sich sanft um die Kurve legen, als wollten sie dem Wind einen kleinen Gefallen tun, steht ein Haus, das weder besonders alt noch besonders jung ist. Es steht einfach da, wie ein Möbelstück, das niemand je ganz besessen hat. Hier wohnt der Herr, um den es in dieser kleinen Geschichte gehen soll. Ein Mann von gemessenem Auftreten, von solcher Art, dass man ihm zwar nicht aus dem Weg geht, aber sich auch nicht zu ihm setzt, wenn man wählen darf.

Er trägt stets ein Jackett mit einer Falte im Rücken, die offenbar von seinem eigenen Rückgrat nicht ganz aufgelöst werden kann. Er ist nicht dick, auch nicht dünn, sondern in jener mittleren Verfassung, in der sich Menschen befinden, die vom Leben weder mit zu viel noch zu wenig versehen wurden. Er heißt Vogt. Ein Name wie eine Reminiszenz, aber ohne Melodie.

Die Straße, in der er wohnt, heißt Am Klingenberg, was vielversprechend klingt, aber kein einziges Klingen kennt. Dort huscht kaum jemand, und wenn, dann schnell, als wolle man dem Eindruck entgehen, hier habe die Zeit einen Schluckauf.

Das Haus von Herrn Vogt liegt auf der Innenseite der Biegung, was ihm eine gewisse Unberührbarkeit verleiht. Kein direkter Blick fällt darauf, man muss es schon wollen, dieses Haus zu sehen. Und wer will schon so etwas?

Vogt verlässt das Haus morgens um acht Uhr fünfzehn. Nicht früher, nicht später. Er trägt einen ledernen Aktenkoffer, der keine Geschichten enthält, sondern nur Papiere, auf denen solche festgehalten sind, die andere zu erzählen vergessen haben. Vogt ist Gerichtsvollzieher. Kein Beruf für einen Jüngling, aber auch keiner für einen Träumer. Es ist ein Beruf, bei dem man an Türen klopft und nicht auf Antworten hofft.

Sein Frühstück besteht aus zwei Scheiben Graubrot, einer halben Banane und einem stillen Glas Wasser, das nie zur Neige geht, sondern immer in einem seltsamen Gleichgewicht zwischen Konsum und Verzicht bleibt. Das Frühstück nimmt er am Fenster ein, dessen Scheibe er nie ganz klar wischt. Es bleibt ein Film, eine milchige Erinnerung an Regen oder Fingerabdrücke, die nie wirklich da waren.

Er hat keine Freunde. Das muss man nicht bedauern, denn Herr Vogt scheint sich damit abgefunden zu haben. Wenn jemand in seiner Gegenwart lacht, blickt er höflich weg. Als sei Lachen ein Kleidungsstück, das andere tragen dürfen, er aber nicht anprobieren möchte. Es gibt im Ort ein Café, das er meidet, obwohl es genau auf seinem Arbeitsweg liegt. Dort sitzt manchmal eine Frau mit roten Haaren, die ihm einmal zugenickt hat. Seitdem nimmt er eine andere Straße.

Seine Mutter, Gott hab sie selig, wie man so sagt, war eine Frau, die immer wusste, wie man einen Kragen bügelt. Sie sprach leise, aber eindringlich.

Ihr Tod – nun ja – war plötzlich, aber nicht überraschend. Er war, wie sie war: diskret. Sie starb im Schlaf, was ihr letzter Dienst an ihm war.

Danach sprach Herr Vogt drei Tage nicht. Weder mit sich noch mit irgendwem sonst. Man hätte auch nicht gewusst, worüber.

Das Haus ist seither still. Es gibt keinen Fernseher, kein Radio, keine Uhr, die schlägt. Alles, was dort klingt, kommt von draußen oder aus Erinnerungen, die manchmal wie Schritte im Flur hallen, obwohl niemand da ist. Es gibt einen Dachboden, den er nie betritt, und einen Keller, den er nur kennt, weil er dort einmal als Kind aus Versehen eingeschlossen wurde. Man könnte sagen, das Haus kennt ihn besser als er es.

Abends sitzt er auf einem Stuhl, der gegenüber dem Fenster steht, das zur Straßenseite zeigt.

Manchmal hält er ein Buch in der Hand, das er nicht liest. Er liest nie lange. Seine Augen bleiben auf einer Zeile, als hätten sie dort etwas entdeckt, das nur sie betrifft. Dann schließt er das Buch, legt es zur Seite, steht auf – und verlässt das Haus.

Denn das ist das Eigentümliche an Herrn Vogt.

Obwohl er ein ganzes Haus besitzt – ein Erbe, gewissermaßen – schläft er dort fast nie. Er trägt seinen Schlaf wie ein Gast in fremde Zimmer. Er kehrt zurück, wenn der Tag beginnt, aber die Nacht verbringt er anderswo. Im Hotel. Immer in einem anderen. Immer in einem, das nicht zu laut, nicht zu still, nicht zu teuer und nicht zu beliebt ist. Wie es dazu kam, das – ja, das ist eine Geschichte für sich.

Aber für den Moment soll es genügen, zu wissen, dass er, wenn er morgens in sein Haus zurückkehrt, stets die Hände in die Hosentaschen steckt, als müssten sie sich erst daran gewöhnen, wieder zu Hause zu sein.

Kapitel 2 – Seine Nächte in fremden Betten