Der Moment der Wahrheit - Teil 2 - Mathilda Grace - E-Book

Der Moment der Wahrheit - Teil 2 E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Marc Tears ist todkrank und ein begeisterter Fan der Band 'Desert Sand', aber vor allem von Leadsänger Jackson Connor. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen Star wenigstens einmal persönlich zu treffen. Daher zögert Janek nicht, seinem kleinen Bruder den Lebenstraum zu erfüllen, als er die Möglichkeit dazu erhält. Janek ahnt nicht, welchen Stein er damit ins Rollen bringt.

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Mathilda Grace

Der Moment der Wahrheit

Teil 2

Marc Tears ist todkrank und ein begeisterter Fan der Band 'Desert Sand', aber vor allem von Leadsänger Jackson Connor. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen Star wenigstens einmal persönlich zu treffen. Daher zögert Janek nicht, seinem kleinen Bruder den Lebenstraum zu erfüllen, als er die Möglichkeit dazu erhält. Janek ahnt nicht, welchen Stein er damit ins Rollen bringt.

Impressum

© 2015 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2009/2010

Fotos: werner22brigitte; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Sprachwelten

Web: http://mathilda-grace.blogspot.de/

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte enthält homoerotische Darstellungen.

32     

Janek sah zu Rafe, der genauso entsetzt schien wie er selbst, aber das änderte nicht das Geringste an seiner auflodernden Wut. Dafür würde der Drummer büßen, schwor sich Janek, bevor er ihn mit einem rabiaten Stoß gegen die Schulter aufforderte aufzustehen und ihn vorbeizulassen, damit er sich Marc stellen konnte.

„Ich bin was?“, fragte der hohl, als sie sich gegenüberstanden.

„Mein Sohn“, antwortete Janek und verschloss sich im selben Augenblick, ohne es verhindern zu können. Es war viele Jahre her, dass er seine militärische Maske aufgesetzt hatte, aber hier und jetzt würde er ohne nicht zurechtkommen. „Du bist nicht mein Bruder, sondern mein Sohn.“

„Janek ...“, fing Rafe an, doch er ließ ihn nicht ausreden.

„Du bist jetzt besser still, Connor. Für einen Tag hast du genug angerichtet.“ Janek warf ihm einen eiskalten Blick zu und sah danach zurück zu Marc, der daraufhin einen Schritt von ihm zurückwich, so als hätte er Angst vor ihm.

„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“, wollte Marc wissen und blickte zwischen ihm und Rafe umher. „Und wieso weiß Rafe davon?“

„Warum hätte ich es dir sagen sollen?“

„Hör' mit diesen verfickten Gegenfragen auf!“, explodierte Marc und ballte die Hände zu Fäusten. „Warum hast du es mir die ganzen Jahre verschwiegen? Oder Mum und Dad? Ich hatte Großeltern und du hast mir ...“ Marc unterbrach sich und holte tief Luft. „Ich will wissen, warum du mir nichts davon gesagt hast!“

„Hey, wieso schreit ihr mitten in der Nacht herum, wo ich endlich einmal schlafen kann?“ Jackson kam laut gähnend nach unten, in Schlafshirt und Boxershorts. „Ist irgendwas?“, fragte er misstrauisch, als niemand auf ihn reagierte.

„Ja, es ist was.“ Marcs Augen verdunkelten sich vor Wut. „Mein lieber Bruder hat mir gerade erklärt, dass er mein Vater ist und ich würde sehr gerne wissen, warum ich das erst jetzt erfahre.“

Jackson blieb der Mund offenstehen.

Janek zuckte die Schultern, was Rafe leise aufstöhnen ließ, während Marc blass wurde und Jackson ihn entsetzt anstarrte. „Weil wir gemeinsam so entschieden hatten.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Marc zuckte zusammen, als Jackson ihm seine Hand auf die Schulter legte. „Wieso weiß Rafe dann davon?“

„Weil er es zufällig herausgefunden hat und seither will, dass ich dir davon erzähle, was ich abgelehnt habe“, gab Janek preis.

„Warum?“

„Was hätte ich deiner Meinung nach sagen sollen, als wir uns das erste Mal trafen? 'Hey, Marc, ich bin dein Vater und nicht dein Bruder?' Du warst sechs Jahre alt, als ich den Marines den Rücken zukehrte, und bist in dem Glauben aufgewachsen, dass du ein Nesthäkchen unserer Familie bist. Mum, Dad und später auch ich, wollten, dass du eine glückliche Kindheit erlebst und die hast du bekommen. Ende der Geschichte.“

„Wie meinst du das?“, hakte Marc nach und runzelte dabei die Stirn. „Dass du später auch wolltest, dass ich glücklich bin. Wieso erst später?“ Janek sagte nichts und das war für Marc Antwort genug. Seine Augen weiteten sich begreifend. „Du wolltest mich nicht.“

„Fuck!“, kam von Jackson, bevor er sich übers Gesicht fuhr.

Janek wusste ganz genau, was ihm blühte, sobald das hier vorbei war, aber zurück konnte er nicht mehr. Dafür hatte Rafe, samt seinem Dickschädel, gesorgt. „Nein, ich wollte dich nicht.“

„Warum nicht?“ Marcs Stimme war kaum noch zu hören.

„Ich war bei deiner Geburt ein fast achtzehnjähriges, dummes und egoistisches Arschloch, das nur sich selbst gesehen hat“, antwortete Janek ehrlich und verschloss sich noch weiter vor Marcs blassem Gesicht. Erst wenn er zu Ende gesprochen hatte, konnte er sich eine Ecke suchen und zusammenbrechen. „Ich wollte Spaß haben und Partys feiern. Alkohol und Drogen inklusive. Du hast nicht in mein Leben gepasst, also habe ich dafür gesorgt, dass du wieder daraus verschwindest.“

„Was?“, fragte Marc immer entsetzter.

„Als man merkte, dass deine Mutter schwanger war, saßen wir beide wegen Diebstahl hinter Gittern. Megan hatte zu dem Zeitpunkt keine Familie mehr und wollte dich daher weggeben. Mir war das egal, aber dann ist sie bei deiner Geburt gestorben und als dein Vater sollte ich entscheiden, was mit dir passiert. Das Jugendamt nahm Kontakt zu meinen Eltern auf und kurz darauf stand ich vor der Wahl, Armee oder Gefängnis. Ich wollte nichts davon, aber dich wollte ich noch viel weniger. Am Ende entschied ich mich für das, in meinen Augen, kleinere Übel, die Marines, und schob dich zu Mum und Dad ab.“

Jackson fluchte. „Himmel, Janek, hör' auf.“

„Halt den Mund! Er hat mich gefragt, also erfährt er es auch“, fuhr Janek ihn kalt an, hielt dabei aber Marcs Blick fest. „Du warst zwei Wochen alt, als ich vor der Haustür meiner Eltern auftauchte. Ich blieb eine Stunde. Sechzig Minuten, in denen ich packte und dabei keinen einzigen Blick auf dich warf. Dann stieg ich in den Bus, der mich auf den Weg nach Parris Island brachte, wo ich meine Strafe antrat. Ich habe nicht zurückgesehen. Kein einziges Mal in den folgenden zwei Jahren.“

„Darum warst du bei den Marines?“, fragte Marc und war mittlerweile so bleich, dass er aussah, als würde er gleich umfallen. „Weil du süchtig und ein Dieb warst?“

„Ja. Und deswegen haben wir dir nichts gesagt, denn du warst für meine Eltern der Sohn, den sie sich immer gewünscht hatten. Ich hingegen war nur der Nichtsnutz, der heute tot wäre, hätte ich damals nicht deine Mutter geschwängert und mich beim Klauen erwischen lassen. Mum und Dad wollten nicht, dass du davon erfährst und mir war das recht. Du warst mir lange Zeit vollkommen egal, Marc. Ich gab dir ja nicht mal deinen Namen. Den hast du von deinen Großeltern.“

Das darauffolgende Schweigen war so drückend, dass Janek sich nur mit Mühe davon abhalten konnte einfach kehrtzumachen und zu verschwinden. Stattdessen blieb er an Ort und Stelle, denn noch war es nicht vorbei.

„Warum hat sie mich nicht abgetrieben?“

„Was?“ Janek sah Marc irritiert an.

„Meine Mutter. Warum hat sie mich nicht einfach abgetrieben?“, wiederholte Marc und sah ihn mit einem Blick an, von dem Janek eine Gänsehaut bekam, als ihm klar wurde, worauf Marc mit der Frage hinauswollte. Er schüttelte den Kopf und sein Sohn schnappte nach Luft, um einen weiteren Schritt nach hinten zu treten, wo er von Jackson in dessen Arme genommen wurde, der ihm einen tödlichen Blick zuwarf. Janek wurde übel, aber für Schamgefühl war es schon längst zu spät. Genauso wie es bei Megan für eine Abtreibung zu spät gewesen war.

„Es war zu spät“, gestand er und presste die Lippen aufeinander, als Jackson ein Geräusch machte, das nicht identifizierbar war.

In Marcs Augen stiegen Tränen auf, während er sich an Jacksons Armen festkrallte. „Sie hätte es getan, oder? Wenn ihr es früher bemerkt hättet, gäbe es mich nicht.“

Janek schluckte bittere Galle hinunter, die in seiner Kehle aufstieg, bevor er nickte. In der nächsten Sekunde riss er den linken Arm hoch und packte Marcs Hand, der sich von Jackson losgerissen hatte und auf ihn zugestürzt war, um ihn zu schlagen. Janeks andere Hand legte sich so schnell um Marcs Kehle, dass sein Sohn nur keuchen konnte. In der nächsten Sekunde war er wieder frei und Janek einige Schritte zurückgewichen, um Marc entsetzt anzusehen. Beinahe hätte er ... Nein, bloß nicht darüber nachdenken, befahl er sich und holte zitternd Luft.

„Greife niemals jemanden an, der ausgebildet wurde, sich zu verteidigen, Marc. Ich weiß, wie man Menschen tötet, ich habe es jahrelang getan, vergiss das nicht. Du hättest jedes Recht mich grün und blau zu schlagen, das ist mir bewusst, aber ich werde den Teufel tun und es dir erlauben.“

„Ich hasse dich! Fahr' zur Hölle!“ Nach den Worten wirbelte Marc herum und stürmte aus dem Bus.

Janek blickte ihm nach, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. „Da war ich schon. Die wollte mich auch nicht haben.“

„Hey, wieso seid ihr denn schon auf? Wir waren beim Bäcker und haben Frühstück mitgebracht.“ Bennett kam lächelnd in den Bus, eine Tüte in der Hand, und hinter ihm trat Julien durch die Tür, dessen Lächeln allerdings genauso schnell erstarb wie Bennetts. „Was ist hier los?“

Janek schwieg, während Jackson zu ihm sah, dann zu Rafe und wieder zu ihm, bevor er ein paar Mal ansetzte, etwas zu sagen, aber schlussendlich nur mit dem Kopf schüttelte und sich abwandte. „Kommt mit. Wir müssen Marc suchen. Ich erzähl' es euch unterwegs.“

„Zieh dich vorher an“, funkte Sam dazwischen, der an der Treppe nach oben stand und das offenbar schon eine ganze Weile, seinem Blick nach zu urteilen. „Oder willst du in deinem Schlafzeug rausgehen?“

„Wie lange stehst du da schon?“, fragte Jackson.

„Lange genug. Wir kommen mit. Marc suchen.“ Sams Blick traf seinen und Janek starrte ausdruckslos zurück. „Und du solltest dir in der Zwischenzeit eine verdammt gute Erklärung für das einfallen lassen, was du hier eben abgezogen hast.“

Janek sagte kein Wort, bis er mit Rafe alleine war und aus dem Fenster schaute, der sich entfernenden Gruppe nach, die sich rasch aufteilte. Als die Männer nicht mehr zu sehen waren, fuhr er wutentbrannt zu dem Drummer herum.

„Bist du jetzt zufrieden, du blödes Arschloch? Halt' du mir noch mal vor, wie ich mein Leben zu leben habe.“

„Falls du es genauso machen willst, wie beim letztem Mal ...“ Rafe deutete zur Tür. „Die nächste Bar ist fünf Minuten die Straße runter.“ Janek klappte die Kinnlade herunter, zu einem Widerspruch kam er aber nicht. „Was bildest du dir eigentlich ein? Du hattest nicht das Recht, diese Entscheidung über Jahre hinweg für deinen Sohn zu treffen, ebenso wenig wie Lissy das Recht hatte, mein Baby zu töten. Dein Leben war und ist nicht perfekt, na und wenn schon? Marc ist dein Kind, Herrgott noch mal. Hast du auch nur ein einziges Mal darüber nachgedacht, was du ihm mit dieser Lüge eigentlich antust? Marc hat geglaubt, dass seine Eltern tot sind, dabei ist sein Vater die ganze Zeit bei ihm. Natürlich wird er wütend auf dich sein, aber du bist und bleibst sein Vater, Janek. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich darum beneide, dass du ihn hast?“

„Ich wollte nicht ...“

„Halt die Klappe!“, schrie Rafe ihn urplötzlich an und Janek verstummte. „Ich weiß, was du wolltest. Und ich weiß, dass ich seit Lissy einen Knacks weg habe, aber ich würde alles darum geben, um in deiner Position zu sein, was Marc angeht. Doch anstatt das zu begreifen, hast du mich ständig bekämpft, beschimpft, dich betrunken und am Ende sogar Jackson gegen mich ausgespielt. Meinen eigenen Bruder. Bist du eigentlich noch zu retten? Ja, ich bin zu weit gegangen, indem ich dich bedrängt habe, das weiß ich, aber warum, verflucht noch mal, hast du das getan? Warum, Janek?“

„Weil ich dich verletzen wollte, genauso wie du mich verletzt hast!“ Janek konnte sich nicht zurückhalten. „Weil du mich in eine Ecke gedrängt hast, als ich dir von Leary erzählte und ich dir das heimzahlen wollte. Weil du ständig mit dem Kopf durch die Wand willst. Egal, wie oft ich 'nein' sage, du hörst trotzdem nicht auf. Dir ist doch vollkommen egal, wie es mir dabei geht.“

„Das ist nicht wahr!“ Rafe war außer sich.

„Und ob das wahr ist!“, fuhr Janek ihn an und ballte hilflos die Hände zu Fäusten. „Ich bin jahrelang allein klargekommen. Ich hatte überhaupt keine andere Wahl, als mich immer nur auf mich selbst zu verlassen, weil ich sonst draufgegangen wäre. Marc und mir ging es gut, so wie es war. Er sollte nicht wissen, dass seine Mutter eine Schlampe war und sein Vater ein Junkie und Dieb. Und dann kommst du und machst alles kaputt. Du bedrängt mich ständig, schleichst dich in unser Leben, in meine Gedanken und du ... du ... Ich habe panische Angst dich noch mehr zu lieben, als ich es sowieso schon tue, weil du mich früher oder später alleinlassen wirst, genau wie alle anderen es getan haben.“ Janek holte zitternd Luft und wich Rafes Blick aus, der mit jedem Wort von ihm fassungsloser geworden war. „Wie Marc es tun wird.“

Eine Weile passierte nichts, dann stieß Rafe hörbar die Luft aus und im nächsten Moment fand sich Janek in dessen Armen wieder. „Ich lasse dich nicht allein und du solltest vor Marc nicht so über seine Mutter reden. Wäre sie nicht gestorben, hättest du deinen Sohn vielleicht nie kennengelernt.“

Janek erwiderte seine Umarmung. „Es tut mir so leid, Rafe.“

„Mir tut es auch leid. Du ahnst nicht, wie sehr.“ Rafe strich ihm beruhigend über den Rücken. „Ich liebe dich. Ich weiß nicht, wie lange schon. Irgendwann wusste ich es einfach. Und deinen Sohn liebe ich genauso. Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe, aber ich schwöre, ich wollte nicht, dass er es so herausfindet.“

Das änderte jetzt zwar auch nichts mehr, aber Janek glaubte ihm. „Du denkst trotzdem, dass es richtig ist.“

„Ja“, sagte Rafe ehrlich. „Obwohl ich dich für die Art und Weise, wie du es ihm gesagt hast, am liebsten an die nächste Wand klatschen würde. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“

„Rafe ...“

„Ja, ja, ja ...“, überging Rafe seinen Einwand, als hätte er nichts gesagt. „Ich bin weder blind noch dämlich, aber ich befürchte, damit hast du dir keinen Gefallen getan. Marc wird dir das heimzahlen.“

Janek seufzte. „Da ist er nicht der Einzige.“

„Wir kriegen das wieder hin. Du bist keine achtzehn mehr, Marc wird das verstehen. Dein Leben ist heute ein anderes und wer das nicht einsehen will, der hat Pech gehabt. Und ich bleibe bei dir, Sturkopf.“

Das 'Warum' lag Janek bereits auf den Lippen, aber diesmal schaffte er es still zu bleiben.

Rafe lachte leise. „Beißt du dir gerade auf die Zunge, um es nicht laut zu sagen?“

Janek schnaubte. „Ich bemühe mich, okay?“

„Ich weiß. Willst du ein Gewehr, Scharfschütze? Nur für alle Fälle.“

„Einer deiner Drumsticks müsste ausreichen, danke.“ Janek grinste, als Rafe lachte, bevor er eine Hand in sein Haar schob und sanft daran zog, bis sie sich anschauten. „Was ist?“, fragte Janek leise, denn Rafes Blick ging ihm durch und durch.

„Ich will dich küssen, Janek.“

Seine Augen weiteten sich. „Was?“

Rafe lächelte. „Du hast mich schon verstanden.“

„Aber ...“ Janek brach verlegen ab. Jetzt seinen One-Night-Stand mit Jackson ins Spiel zu bringen, war keine gute Idee.

Rafe schien das allerdings anders zu sehen. „Glaub' ja nicht, dass ich mich von dir fernhalte, weil du Sex mit meinem Bruder hattest.“

Janek wurde unwillkürlich rot. „Stört es dich wirklich nicht?“

„Du weißt genau, dass ich stinksauer auf euch war.“ Rafe gluckste, als er daraufhin das Gesicht verzog. Dann hob er mit der Hand sein Kinn an. „Allerdings kann ich sehr gut zwischen 'einfach Sex' und 'weit mehr als das' unterscheiden. Oder hast du vor noch mal mit Jackson ins Bett zu steigen?“

„Gott bewahre“, murmelte Janek sofort und stöhnte entsetzt auf, als Rafe in schallendes Gelächter ausbrach. „Das habe ich nicht gesagt. Schwöre, dass du das für dich behältst.“

„Wieso? War er so Scheiße?“

„Rafe!“ Statt einer Antwort, grinste der nur zufrieden, was Janek aus einem unerfindlichen Grund ärgerte. „Ich habe aber nicht vor, deswegen gleich mit dir ins Bett zu steigen, wie du es gerade so schön ausgedrückt hast.“

„Gut.“

„Gut?“ Jetzt war Janek total verwirrt.

Rafe nickte. „Zwischen 'Sex' und 'Liebe' besteht auch im Bett ein Unterschied. Einen, den ich dir zeigen werde, sobald du mich lässt. Aber bis dahin gebe ich mich gern' mit ein, zwei oder hundert Küssen zufrieden.“

Janek musste sich mühsam davon abhalten, ihn nach den Worten mit offenem Mund anzustarren. Wieso war ihm dieser Kerl nicht vor sechzehn Jahren über den Weg gelaufen? Warum hatte er sich nicht einen Freund wie Rafe gesucht, statt Drogen zu verticken, zu nehmen und am Ende mit Megan ins Bett zu steigen? Wieso? Warum? Weshalb? Dazu gab es nichts mehr zu sagen, weil seine Vergangenheit nun einmal nicht zu ändern war.

„Was mache ich bloß mit dir?“, murmelte er, mehr zu sich selbst, und vergaß dabei, dass er nicht allein war.

„Mich küssen wäre ein Anfang“, meinte Rafe trocken und Janek grinste schief. „Oder weißt du nicht mehr wie das geht?“

„Du bist so ein ...“

Rafes Lippen erstickten jedes weitere Wort im Keim und Janek reagierte darauf, indem er die Hände in Rafes Nacken schob, um ihn festzuhalten, bevor er den Kuss erwiderte. Und wo Jackson stürmisch gewesen war, war Rafe das komplette Gegenteil. Janek seufzte leise, als der Drummer ihn an sich zog und mit der Zunge über seine Lippen strich – um Einlass bittend, ihn nicht fordernd. Janek gab ihm was er wollte und öffnete seine Lippen, was Rafe seufzen ließ, bevor er der Einladung folgte, und Janek gab auf, sich darüber Gedanken zu machen, was nach ihrem Kuss sein würde. Hier und jetzt gab es nur Rafe, der sein Bestes tat, um ihn alles andere vergessen zu lassen.

„Müssen sie nicht atmen?“

Janek blinzelte, als ihm auffiel, dass er irgendwann seine Augen geschlossen haben musste. Er löste sich sehr unwillig von Rafe, der das mit einem Murren quittierte, danach aber an ihm vorbei sah, worauf Janek über seine Schulter schaute.

Die Gruppe war vollzählig zurück. Marc sah verheult und immer noch blass aus, aber auch sichtbar wütend, was Janek nicht kümmerte. Im Moment war er einfach froh, dass sein Sohn unverletzt neben Jackson stand, der Rafe anfunkelte. Der Rest ihrer Truppe schaute sie mit einer Mischung aus Ärger, Freude und Ratlosigkeit an. Das Schweigen schien allerdings niemand zuerst brechen zu wollen. Vielleicht sollte er es ja tun. Janek wusste nur nicht was er sagen sollte, darum beließ er es dabei, seine Hände aus Rafes Nacken zu lösen und sich umzudrehen.

Zwei Hände legten sich über seinen Bauch und Janek war anfangs irritiert, bis er begriff, dass Rafe ihn nicht alleinlassen wollte. Der Drummer würde bei ihm bleiben, wie er es gesagt hatte.

„Tja“, meinte Julien auf einmal und grinste lässig. „Es hat ganz schön lange gedauert, bis du das Brett vor dem Kopf abgenommen hast, Janek. Meinen Glückwunsch. Wann wird geheiratet?“

Wollte Julien ihn verkohlen? Janek runzelte die Stirn und war mit dem Gedanken offenbar nicht allein, denn Bennett sah seinen Freund an, als hätte der nicht mehr alle Tassen im Schrank. Er kam jedoch nicht dazu, das auszusprechen, denn plötzlich räusperte sich Sam.

„Und? Hast du eine Erklärung für uns, Janek?“

„Sam ...“, fing Rafe warnend an.

„Ist mir scheißegal, was du dazu sagen willst!“, fuhr Jackson seinem Bruder rabiat über den Mund. „Ich will eine Erklärung für das alles. Und zwar sofort!“

„Hut ab“, mischte sich auf einmal Tom ein, wofür er von mehreren Seiten verdutzt angestarrt wurde. „Was?“, fragte er ungerührt. „Wie oft landen ungewollte Babys in der Mülltonne oder werden einfach abgeschoben? Marc jedoch hatte und hat ein gutes Zuhause, obwohl er das im Moment vermutlich anders sieht.“ Tom sah zu Marc, der daraufhin betreten den Blick senkte. „Ja, es ist nicht perfekt gelaufen, das ist mir klar, aber Janek hat in den vergangenen Jahren sein Bestes gegeben und daher sage ich 'Hut ab.' Was nichts daran ändert, dass ich von ihm gerne die restliche Geschichte hören würde, allein schon um des lieben Friedens Willen. Die Tour läuft noch fast drei Wochen, das scheinen einige von uns ...“, Tom warf Jackson und Bennett tadelnde Blicke zu, „... momentan zu vergessen.“

„Gut gesagt“, gab Sam zu und zeigte auf die Sitzecke. „Wer ist mit Küchendienst dran? Wir können genauso gut beim Frühstück reden.“

Was sie auch taten. Beziehungsweise Janek tat es und erzählte den Männern und Marc all das, was Rafe bereits wusste. In der ersten halben Stunde fragte er sich noch, wozu das gut sein sollte, denn zumindest Jackson und Bennett, bei dem er wirklich nicht damit gerechnet hatte, schienen sich ihre Meinungen bereits gebildet zu haben. Aber je mehr er davon erzählte, dass seine Eltern damals alles getan hatten, dass er einfach ein rebellisches Kind gewesen war, das niemand hatte bremsen können, bis es zu spät gewesen war, umso mehr schien nach und nach ein Umdenken stattzufinden.

Als er bei seiner Alkohol- und Drogensucht ankam, änderte sich Jacksons Blick von Wut in Verstehen. Janek war klar warum, immerhin hatten sie, was das anging, so einiges gemeinsam. Selbst Bennett hörte irgendwann auf verärgert aus dem Seitenfenster zu starren, sondern schaute ihn an, während Janek weitersprach. Erzählte, wie es dazu gekommen war, dass Marc von seinen Eltern großgezogen worden war, während er seine Strafe bei den Marines abgesessen hatte und dabei geblieben war, weil er dort etwas gefunden hatte, das seine Eltern ihm aus Gründen, die er bis heute nicht verstand, nie hatten geben können – ein zufriedenes Leben.

„Warum warst du so?“, fragte Gibson, als alles gesagt war. „Ich meine, es muss dafür doch einen Grund oder irgendeinen Auslöser gegeben haben.“

„Falls du ihn findest, sag' mir Bescheid.“ Janek zuckte mit den Schultern, als Gibson ihn erstaunt ansah. „Ich weiß es nicht. Ich habe so oft darüber nachgedacht, ohne Erfolg. Ich wurde nicht geschlagen, vernachlässigt oder missbraucht, und was es noch alles gibt, das Kinder im Allgemeinen austicken lässt. Ich war von klein auf völlig daneben. Es gab natürlich jede Menge Diagnosen von ratlosen Kinderärzten, aber das war auch alles.“

„Und was war mit Mum und Dad?“ Marc sah ihn an, immer noch wütend und zugleich hochgradig enttäuscht, was Janek ihm nicht verübeln konnte.

„Sie haben alles versucht und mich nie aufgegeben.“

„Hast du sie aufgegeben?“

Jackson wollte etwas sagen, aber Janek hielt ihn mit einem Blick davon ab. „Ja, eine Zeitlang. Als ich wegging, um Party zu machen. Für mich war das mein zukünftiges Leben und langweilige Spießer, wie meine Eltern, hatten darin keinen Platz. Ich war damit zufrieden, bis ...“ Janek brach ab.

„... ich auf der Bildfläche erschien“, beendete Marc seinen Satz.

„Ja. Ohne dich wäre ich heute vermutlich tot.“

Marc verschränkte die Arme vor der Brust. „Willst du in dieses Leben zurück?“

„Als ich nach Hause kam, habe ich mehrmals darüber nachgedacht, das gebe ich zu.“ Das war eine harmlose Untertreibung, aber mehr würde er hier, zwischen den Jungs, nicht dazu sagen. Wenn überhaupt, würde er nur Marc und Rafe davon erzählen, niemandem sonst. „Es war nicht leicht, von meinem komplett geregelten Leben bei den Marines, wieder in das Leben eines Zivilisten zu finden.“

„Gehst du dahin zurück, wenn ich tot bin?“

Janek ließ sich seine Irritation nach der Frage nicht anmerken. Worauf wollte sein Sohn hinaus? „Ich weiß es nicht.“ Marc schaute an ihm vorbei und da wusste Janek, dass etwas im Busch war. Er entschied sich, Nägel mit Köpfen zu machen. „Worauf willst du mit deinen Fragen eigentlich hinaus?“

Der Blick, den Marc ihm daraufhin zuwarf, ließ Janek auf seinem Platz erstarren. „Du brauchst nicht länger den Aufpasser für mich zu spielen. Geh' wieder zurück zu den Marines.“

„Marc ...“, murmelte Jackson hörbar überrascht, doch der schüttelte trotzig den Kopf.

„Sterben kann ich auch alleine. Dazu brauche ich keinen Vater, der mich eh nie gewollt hat.“

33     

Niemand sagte etwas, als Marc am Nachmittag im Hotel nicht mit Janek im gleichen Zimmer übernachten wollte, worauf Jackson ihn in seines mitnahm. Genauso wenig wurde kommentiert, dass Marc beim Abendessen nicht an ihren gemeinsamen Tisch kam, sondern sich abseits hinsetzte. Als Marc dieses Spielchen am nächsten Morgen beim Frühstück wiederholte, einen geplanten Ausflug sausen ließ und weiter bei Jackson übernachtete, sagte ebenfalls niemand etwas. Aber nicht, weil keiner es wollte, sondern da Janek die Jungs darum gebeten hatte, auch wenn Rafe Marc mittlerweile anschaute, als würde ihm bald der Kragen platzen.

Marc wollte Raum für sich, das zeigte er sehr deutlich und Janek würde ihm diesen Raum so lange lassen, wie sein Sohn ihn brauchte. Dass Marc mit ihm reden würde, hatte er nach der Eröffnung nicht mal erwartet, aber die eisige Ablehnung, die Marc ihm seither entgegenbrachte, tat weh.

Umso erstaunter war Janek, als er Marc am dritten Morgen, neben Jackson, an ihrem gemeinsamen Tisch beim Frühstück vorfand. Doch irgendwie sah es nicht so aus, als säße sein Sohn freiwillig dort. Vermutlich hatte Jackson seine Finger im Spiel, der seinen fragenden nur mit einem unschuldigen Blick beantwortete, was für ihn Antwort genug war. Er hatte Marc an den Tisch genötigt, na super. Janek sagte nichts dazu, weil er keinen Streit anfangen wollte, aber offenbar war Jackson der Meinung, dass ein gepflegter Streit an der Zeit war, denn er hatte nichts Besseres zu tun, als Marc in der folgenden halben Stunde ständig auf das Thema anzusprechen und mit jeder weiteren Frage wurde sein Sohn wütender, bis er Jackson schließlich anblaffte.

„Halt' doch endlich die Klappe. Was soll diese Scheiße eigentlich?“

„Was diese Scheiße soll?“ Jacksons Augen verengten sich bedrohlich. „Du solltest ganz dringend mal darüber nachdenken, wie du hier mit mir redest, Marc. Dass du sauer auf Janek bist, kann ich gut verstehen, aber dieses Verhalten ist einfach nur noch kindisch.“

Marc tippte sich vielsagend gegen die Stirn. „Du tickst doch nicht ganz sauber. Ich bin kindisch, weil ich nicht begeistert 'Hurra' rufe, dass mein eigener Vater lieber als Stricher unterwegs war, statt ...?“

„Jetzt reicht es!“, zischte Rafe, worauf es abrupt still am Tisch wurde. „Hör' sofort auf, dich wie ein bockiges Kleinkind aufzuführen, Marc! Und für das, was du eben gesagt hast, wirst du dich auf der Stelle bei deinem Vater entschuldigen, haben wir uns verstanden?“

„Ich soll bitteschön was?“ Marc schaute Rafe beleidigt an. „Er hat doch ...“

„Alles getan, damit du eine glückliche Kindheit hast, Marc!“, unterbrach Rafe ihn unwirsch. „Kein Mensch ist fehlerfrei, auch dein Vater nicht, aber ihn als Stricher zu titulieren ist das Allerletzte. Ganz davon zu schweigen, dass er keiner ist und auch niemals war. Bevor du Janek beleidigst, frag' dich erst mal, wie du gelebt hast, was er alles für dich getan hat und wie sehr er zurückgesteckt hat, damit es dir gut geht.“

„Er wollte mich nicht. Für ihn war ich bloß ein Ding, das nicht in sein kleines, schmutziges Leben aus Drogen, Suff und Sex passte!“, schrie Marc und sprang auf. Rafe ebenfalls und hielt ihn am Arm fest, bevor Marc aus dem Hotelrestaurant laufen konnte. „Lass mich los, du Arsch, du tust mir weh!“

Bennett griff zu, bevor Janek aufstehen und sich auf Rafe stürzen konnte, weil niemand seinem Kind wehtat, nicht einmal Rafe. Er wollte Bennett gerade anschreien, als Jackson über den Tisch langte und ihm eine Hand auf den Unterarm legte.

„Er würde Marc nie verletzen, er liebt deinen Sohn“, flüsterte der Sänger eindringlich und hielt sein Kinn mit der Hand fest, als Janek sich abwenden wollte. „Rafe hat recht. Marc muss das endlich begreifen.“

Und da wusste Janek plötzlich, was los war. Jackson hatte diesen Streit in voller Absicht provoziert, um klare Verhältnisse zu schaffen, und seinem Blick nach, steckte Bennett mit ihm unter einer Decke. Wie auch der Rest ihrer Truppe, denn als Janek sich umsah, hatten Nathan und Julien den Tisch bereits verlassen und standen an den geschlossen Türen, während Sam flüsternd auf einen Mann im Anzug einredete, vermutlich der Manager.

„Ihr habt das eingefädelt“, sagte er leise.

Bennett nickte. „Bevor wir weiterfahren, muss diese Sache vom Tisch sein, das weißt du.“

„Marc wird nicht ...“

„Wart's ab“, unterbrach Bennett ihn eindringlich.

„Was denkst du, was du im Moment tust? Glaubst du, es tut uns nicht weh zuzusehen, wie du deinen eigenen Vater behandelst?“ Rafes Stimme war so kalt, dass Janek eine Gänsehaut bekam.

„Ich war ihm egal. Er hat nur gelogen und ...“

„Alles aufgegeben für dich!“, fuhr Rafe Marc rabiat über den Mund und der wurde blass, während er ihn mit großen Augen anblickte. „Hast du auch nur die geringste Vorstellung davon, wie verletzend das ist, was du tust? Janek hat dich geliebt, nicht von Anfang an, aber heute tut er es. Er hat nichts gesagt, weil er deinen Großeltern und dir nicht das glückliche Leben nehmen wollte, das ihr geführt habt. Er hätte es dir niemals gesagt, wenn du nicht zufällig bei unserem Streit dazugekommen wärst, weil er will, dass du glücklich bist. Janek geht es immer nur um dich. Du bist ihm wichtiger, als alles andere.“

„Aber ...“, begann Marc kleinlaut.

„Ich bin noch nicht fertig“, fuhr Rafe ihm wieder ins Wort und Marc sah langsam aber sicher aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Ja, du darfst wütend auf ihn sein, aber du hast kein Recht ihn zu beleidigen, wie du es getan hast. Du wurdest niemals geschlagen und es hat dir auch nie an etwas gefehlt. Du konntest zur Schule gehen, hattest saubere Kleider und genug zu essen. Aber vor allem wirst du geliebt, Marc. Von deinem Vater und auch von uns. Du hast ein Leben, dank ihm. Vergiss das nicht.“ Rafe strich Marc liebevoll über die Wange. „Ich würde alles darum geben, dieselbe Chance zu haben wie du. Ich würde alles aufgeben, wenn ich dafür mein Kind leben sehen könnte.“

Die folgende Stille war ohrenbetäubend, und an den fassungslosen Blicken vom Rest der Truppe war deutlich erkennbar, dass, abgesehen von Jackson und Bennett, niemand in diesem Raum wusste, was Rafes Exfreundin getan hatte.

„Du hattest ein Kind?“, fragte Marc, nachdem das Schweigen so dick geworden war, dass man es mit einem Messer hätte schneiden können.

„Nein“, antwortete Rafe und schloss kurz die Augen, aber da war es schon zu spät. Janek hatte den Schmerz gesehen, wie auch Marc, der unwillkürlich die Arme um seine Hüften schlang, was Rafe zu helfen schien, denn er lächelte, als er die Augen wieder öffnete und Marc einen Kuss auf den Scheitel gab, bevor er sich ein Stück von ihm löste, um ihn wieder ansehen zu können. „Meine Exfreundin hat unser Baby abgetrieben, ohne mir eine Chance zu geben, mich dazu zu äußern, weil sie keine Kinder wollte. Ich fand es zufällig heraus. Danach habe ich sie verlassen.“

Marc überlegte eine Weile, warf Janek einen knappen Blick zu und sah im Anschluss wieder zu Rafe. „Janek wollte mich auch nicht.“

Rafe nickte. „Er hat trotzdem alles dafür getan, dass du ein gutes Zuhause bekommst. Dein Vater hätte dich einfach zur Adoption freigeben können, Marc, aber das hat er nicht. Warum wohl?“

Marc wich Rafes wissenden Blick verlegen aus. „Weil er mich damals schon mochte?“

„Genauso ist es. Hätte er nicht tief im Herzen etwas für dich empfunden, hätte er dich weggegeben und du wärst nie so aufgewachsen, wie du es bist.“

Janek wurde übel. Wie konnte Rafe das behaupten? Wie konnte er Marc erzählen, dass ... Oh mein Gott. Rafe log für ihn, obwohl er wusste, was Janek für ein Mistkerl gewesen war. Rafe log für ihn, weil er ihn wirklich liebte und glaubte, dass es richtig war. Janek wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.

„Wie alt wäre dein Kind heute?“, riss Marcs Frage ihn aus seinen Gedanken. Rafe hielt als Antwort sechs Finger hoch. „Das ist ja fast noch ein Baby“, murmelte Marc und überlegte kurz. „Ich bin kein Baby mehr.“

Rafe grinste. „Nein, bist du nicht.“

„Vielleicht kann ich trotzdem dein Kind sein.“

Das war zu viel. Janek wusste es im gleichen Moment, wie Marc es aussprach und noch bevor Rafe blass wurde, sich von Marc löste und aus dem Restaurant rannte.

„Fuck!“ Jackson sprang auf. Aber statt Rafe zu folgen, trat er vor Marc, der mit Tränen in den Augen zu ihm sah. „Du hast nichts falsch gemacht.“ Jackson schüttelte den Kopf, als Marc widersprechen wollte, und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Er liebt dich und er wird dein Angebot annehmen. Aber vorher muss Rafe sich wieder einkriegen.“

Marc verstand ihn. „Weint er jetzt?“ Jackson nickte. „Das wollte ich nicht.“

„Ja, ich weiß.“ Jackson brachte ein Lächeln zustande. „Aber manchmal muss man einfach weinen, wenn man traurig ist.“

„Kann ich ...?“, begann Marc und Janek wusste, was sein Sohn wollte. Raus. Rafe nach. Was er auch wollte, aber Bennett hielt ihn fest und formte stumm die Worte, 'Lass die zwei das machen', als Janek ihn wütend ansah.

„Gleich.“ Jacksons Stimmte lenkte ihn von Bennett ab. „Marc, ich weiß, dass du sauer auf Janek bist, aber willst du ihm nicht wenigstens die Möglichkeit geben, dir seine Sichtweise zu erzählen? Damit du besser verstehst, was damals so schiefgelaufen ist.“

Marc biss sich auf die Unterlippe. „Doch.“

„Dann rede mit ihm. Es muss nicht jetzt sein, aber tu' es, okay?“, bat Jackson und lächelte zufrieden, als Marc seufzend nickte. „Na komm. Lass uns nach Rafe sehen.“

Janek starrte sein Handy ratlos an. Drei Mal hatte er die Nummer bereits gewählt und dann wieder aufgelegt. Was sollte er ihm auch sagen? Dass das Chaos in seinem Leben vor einer Stunde noch ein Stück größer geworden war? Salkoha würde ihm nur einen Vortrag halten, dass manche Dinge einfach Schicksal waren. Das half ihm aber leider nicht weiter. Janek schnaubte und schlug den Kragen seiner Jacke hoch, als der Wind auffrischte. Ein zugiges Hallendach war eindeutig nicht zum Nachdenken geeignet. Jedenfalls nicht bei den für Mai ungewöhnlich kalten Temperaturen. Aber wenigstens hatte er seine Ruhe.

„Wenn du dir hier draußen eine Lungenentzündung einfängst, werde ich ernsthaft sauer.“

Soviel dazu, dass er seine Ruhe hatte. Janek verkniff sich ein Seufzen. „Ist der Soundcheck schon vorbei?“

„Fast“, antwortete Julien und tauchte neben ihm auf, um über die Brüstung nach unten zu sehen. „Hast du vor einen Kopfsprung auf den Betonweg zu machen?“

Janek verdrehte die Augen. „Na sicher. Ein dreifacher Salto vorwärts mit halber Schraube ... Was soll die blöde Frage?“

„Ich wollte nur sichergehen, das ist schließlich mein Job“, konterte Julien achselzuckend und grinste ihn an.

„Julien ...“ Janek seufzte. „Wenn ich mich umbringen wollte, bloß weil gerade alles den Bach runter geht, hätte ich es längst getan. Ich kenne genug Mittel und Wege, das müsste dir klar sein.“

„Ist es auch“, nickte der. „Deswegen bin ich hier oben und nicht Rafe, den Bennett gerade mit einem Vorwand von dir fernhält.“

„Ich bin nicht selbstmordgefährdet.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, wobei Janek sich wunderte, dass seine Hände nicht zitterten. „Früher war ich es, ja, aber heute ... nein. Marc ist wichtiger als alles andere.“

Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber die ganze konnte er Julien nicht erzählen. Der würde ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, erwürgen. Oder ihn eigenhändig vom Dach werfen, nachdem Rafe ihn erwürgt hatte. Was der mit Sicherheit tat, sobald er erfuhr, was Janek vorhin getan hatte. Aber vorher würde Rafe ihn anschreien und einen Vollidioten schimpfen. Andererseits war das kaum etwas Neues, in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich sowieso in einem fort stritten. Und dass Janek vor einer Stunde Learys Angebot angenommen hatte, würde Rafe früher oder später ohnehin erfahren, und danach war er fällig. Janek konnte den Anfang vom Ende genauso gut gleich hinter sich bringen, entschied er und straffte die Schultern.

„Ich habe Learys Angebot angenommen.“

Im selben Tempo, wie das lässige Grinsen aus Juliens Gesicht verschwand, verdunkelten sich dessen Augen vor Wut. „Du hast was?“

„Learys Angebot angenommen“, wiederholte er und trat einen Schritt zurück, als Julien sich von der Brüstung weg und ihm zuwandte. „Anfang kommenden Jahres kehre ich zu den Marines zurück.“

„Wie bitte?“

Juliens Stimme klang zu leise und viel zu ruhig. Janek war instinktiv auf der Hut und versuchte gleichzeitig, sich zurückzuhalten. Es funktionierte nicht, denn Juliens immer wütender werdender Blick ärgerte ihn. „Ich habe mich dafür entschieden, weil ich Sicherheit brauche.“

„Sicherheit?“, äffte Julien ihn abfällig nach und dann explodierte er. „Bist du völlig bescheuert? Was für eine Sicherheit sollen dir die Marines bitte geben? Außer der, in irgendeinem versifften Land abgeknallt zu werden?“

Janek sah rot. „Das Risiko getötet zu werden, gehört in diesem Job dazu. Du bist Bodyguard und müsstest das wissen.“

„Fang' ja nicht wieder auf diese herablassende Art an. Oder hast du schon vergessen, was Marc dazu sagte?“

„Leck mich!“, fluchte Janek daraufhin und sah Julien finster an. „Das ist meine Sache. Wenn ich entscheide, zu den Marines zurückzugehen, dann gehe ich. Basta!“

„Und was ist mit Rafe?“, fragte Julien aufgebracht. „Er liebt dich, verdammt noch mal!“

„Ich ...“ Janek unterbrach sich und wich Juliens Blick aus. „Das geht ihn nichts an. Es ist mein Leben.“

„Verflixte Scheiße! Wann wirst du endlich anfangen, anderen Menschen zu vertrauen? Du stößt Rafe vor den Kopf, weil du Schiss hast, wieder in alte Gewohnheiten zu verfallen und abzustürzen? Hast du mal überlegt, wie es ihm damit geht? Du denkst immer nur an dich selbst. Wie kannst du so egoistisch sein?“

„Ich brauche irgendetwas, an dem ich mich festhalten kann, wenn das Jahr vorbei ist, und es ist mir scheißegal, ob du das verstehen kannst oder nicht.“ Janek spürte, wie er die Nerven verlor, konnte sich aber nicht stoppen. „Marc stirbt und danach stehe ich vor dem Nichts. Ich musste das tun und ich wollte es auch. Wenn er tot ist, muss ich hier weg, sonst drehe ich durch, und der einzige Ort, an den ich gehen kann und bei dem ich weiß, dass er mir helfen wird, ist der Stützpunkt. Ich muss das tun!“

„Nein, das musst du nicht“, hielt Julien dagegen. „Du redest es dir ein, weil du panische Angst davor hast, dass ein anderer Weg, als der, den du kennst, keinen Erfolg hat. Wie lange willst du dir dein Leben noch von deiner Angst bestimmen lassen, Janek?“

„Du verstehst es einfach nicht“, murmelte Janek und wandte Julien den Rücken zu, um sich mit zitternden Händen an der Brüstung abzustützen.

„Wie sollte ich auch“, konterte der eisig. „Du verstehst es doch selbst nicht. Angriff oder Flucht, etwas anderes gibt es für dich nicht, sobald du Angst hast. Hauptsache, dein Dickschädel gewinnt den Kampf gegen die Mauer, ganz gleich, wer dabei auf der Strecke bleibt.“

„Das ist nicht wahr.“

„Und ob das wahr ist.“ Julien war bösartig in seiner Offenheit. „Mach' nur so weiter, Janek, dann wirst du am Ende des Jahres dein Ziel erreicht haben und ganz allein dastehen. Aber du solltest eines dabei nicht vergessen, dass du selbst daran Schuld bist.“

„Julien, hör' auf.“

Janek schloss gequält die Augen. Vielleicht war der dreifache Salto mit halber Schraube doch keine schlechte Idee, denn Julien war ein Zuckerschlecken im Gegensatz zu dem, was ihm jetzt mit Rafe bevorstand.

„Vielleicht bringst du ihn ja zur Vernunft“, schimpfte Julien und kurz darauf knallte die Tür zum Treppenhaus lautstark zu.

Rafe schwieg einige Zeit, bis er seufzte. „Du lässt auch nichts aus, oder? Irgendwie scheinst du etwas gegen: 'In Frieden leben' zu haben, so gerne wie du streitest, wenn dir etwas nicht in den Kram passt.“

Janek schwieg. Was hätte er dazu auch sagen sollen? Dass er recht hatte, wusste Rafe selbst, außerdem war er bereits wütend genug, da musste er den Drummer nicht noch zusätzlich reizen. Obwohl, er klang nicht sonderlich verärgert. Es schien ihm eher, als hätte Rafe mit seiner Entscheidung für die Armee gerechnet. Kannte er ihn tatsächlich so gut? Janek lief ein nervöser Schauder über den Rücken.

„Wann packst du denn die Sachen, um zurück in den Krieg zu ziehen? Gleich nach Marcs Beerdigung? Oder wartest du, bis die Blumen verwelkt sind? Ich würde das gerne wissen, um vorausplanen zu können, für wie lange ich mich um das Grab unseres Sohnes kümmern werde.“

Rafe und Marc hatten sich also ausgesprochen und es war gekommen, wie Jackson im Restaurant vorausgesagt hatte. Darüber hätte er sich freuen sollen, aber offenbar hatte Rafe sein gesamtes Gespräch mit Julien gehört und das würde ihm das Genick brechen. Soviel zum Thema, 'Ablenkung durch Bennett'. Janeks Fingerknöchel waren weiß vor Anstrengung, so sehr krallte er sich mittlerweile am Geländer fest, um irgendwie die Fassung zu wahren.

„Du wartest wirklich darauf, dass ich dir sage, 'Fahr' zur Hölle', damit du dich in deinem völlig verdrehten Denken auch noch bestätigt fühlen kannst.“ Rafe lachte kurz und hart auf, im nächsten Moment waren seine Hände auf Janeks und lösten seine Finger vom Geländer, bevor Rafe ihn mit dem Rücken an seine Brust zog. „Ich muss dich enttäuschen, denn diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, Janek. Um mich loszuwerden, musst du dir schon mehr einfallen lassen.“

„Was denn?“, fragte Janek und boxte Rafe gegen den Arm, worauf der ihn nur noch fester an sich zog. „Was muss ich tun, um dich loszuwerden? Was?“

„Nur eines“, flüsterte Rafe an seinem Ohr. „Sieh mir in die Augen und sag' mir, dass du mich nicht liebst.“

Und das konnte Janek nicht, was sie beide wussten. Er versuchte heftiger sich von Rafe loszureißen und gab abrupt auf, als ihm klar wurde, dass Rafe ihn mit Absicht so festhielt. Er würde ihn ernsthaft verletzen müssen, um von ihm wegzukommen, und diese Grenze würde Janek auf gar keinen Fall überschreiten.

„Du bist ein Mistkerl“, murmelte er und wusste nicht, ob er beleidigt sein oder Rafe auf den Fuß treten sollte, weil dessen Reaktion ein hörbar zufriedenes Lachen war. „Blödmann.“

„Gönn' uns doch ein bisschen Ruhe. Wir werden noch genügend Gelegenheiten finden, um uns in die Haare zu kriegen, aber in den nächsten Tagen und Wochen hätte ich gerne etwas Frieden.“

Janek fing an zu schmollen, so albern und kindisch er sich dabei auch vorkam. „Das ist unfair.“

„Was? Dass du streiten willst, ich dir aber jeden Wind dafür aus den Segeln nehme?“

„Ja.“ Janek stöhnte, als Rafe wiederholt lachte. „In solchen Momenten wünschte ich, ich würde dich nicht so sehr mögen, Rafe Connor.“

„Nur mögen?“, fragte der leise nach, bevor er mit den Lippen überraschend über seinen Nacken schmuste, was Janek eine Gänsehaut bescherte. „Komm schon, sag' es.“

„Was?“, tat Janek unwissend, kam aber nicht damit durch.

„Magst du mich oder magst du mich etwas mehr?“

„Ich mag dich“, gab Janek zu, was Rafe wie erwartet nicht genug war, denn seine weichen Lippen fanden die empfindliche Stelle hinter seinem rechten Ohr zielgenau. Janek knickten fast die Beine weg.

„Wie sehr?“, wollte Rafe wissen und Janek hielt zwei Finger hoch, deutete zwischen ihnen einen Abstand von etwa einem halben Zentimeter an. „Mehr nicht?“, tat der Drummer enttäuscht, bevor er sich seinem linken Ohr zuwandte, was Janek dazu zwang, sich an ihm festzukrallen. Rafe lachte. „Willst du nicht noch mal darüber nachdenken?“

„Du bist hinterhältig“, murmelte er und versuchte an etwas Langweiliges zu denken.

„Ich weiß. Deswegen liebst du mich ja.“

„Eingebildet bist du auch, nur fürs Protokoll ... Rafe!“ Dessen freie Hand hatte sich, von Janek unbemerkt, in gefährliches Gebiet geschoben. „Das ist nicht der richtige Ort, um ... du weißt schon.“

Rafe küsste ihn auf den Hals. „Liebst du mich?“

„Das weißt du doch“, murmelte Janek und wand sich unter den flinken Fingern des Drummers. „Himmel, hör' auf damit.“

„Weil du es bist“, gab Rafe nach und drehte ihn zu sich herum. Janek hatte das Gefühl in den grünbraunen Augen zu versinken, während Rafe das Gesicht langsam zu ihm beugte. „Sag' es mir. Nur ein Mal ... pro Tag.“

Janek musste unwillkürlich grinsen. „Du bist gierig.“

„Auch das weiß ich.“ Ihre Lippen berührten sich fast. „Sag's mir.“

„Ja, ich liebe dich.“

34     

Rafe hob die Hand, um an die Tür des Hotelzimmers zu klopfen, in dem sich Marc befand. Janek hielt ihn im letzten Moment davon ab und schüttelte den Kopf, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte. Trotzdem hielt er Rafes Finger fest und der wehrte sich nicht gegen seinen Griff, sondern schien abwarten zu wollen, was er als nächstes tat. Und genau das war das Problem, denn Janek wusste es nicht. Natürlich war ihm klar, dass er diese Sache mit Marc aus der Welt schaffen musste, aber er hatte schlicht Angst davor.

„Was soll ich ihm denn sagen?“

„Die Wahrheit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ Rafe lächelte aufmunternd und löste Janeks verkrampfte Finger von seiner Hand. „Komm schon. Marc wird dich schon nicht auffressen.“

„Bist du dir sicher? Vielleicht warte ich doch lieber bis morgen.“

„Klar, so etwas bespricht sich bestimmt ganz super im Tourbus, wo in jeder Ecke Lauscher sitzen.“

Janek verdrehte die Augen zur Decke. „Pfft.“

Rafe lachte leise. „Schluss mit der Feigheit, Tears. Du sprichst jetzt mit unserem Sohn, ich spiele mein Konzert und danach lade ich meine zwei Männer zum Essen ein, falls ihr euch bis dahin nicht umgebracht habt.“

„Rafe!“

Dessen Antwort war ein lautes, heiteres Lachen, dann klopfte er an die Tür, bevor Janek den nächsten Versuch starten konnte, ihn davon abzuhalten und sich irgendwie noch ein bisschen Zeit zu erkaufen. Diese Connors waren dermaßen lästig, wenn sie unter einer Decke steckten, es war nicht zum Aushalten.

Jackson hatte nämlich, in Absprache mit Rafe, Nägel mit Köpfen gemacht und Marc aus seinem Hotelzimmer geworfen, damit der sich mit seinem Vater aussprach. Nicht die feine englische Art, aber da Marc nicht auf das Konzert gehen würde, weil er Kopfschmerzen hatte und Jackson ihm deswegen schlichtweg verboten hatte, ihnen heute zuzusehen, war die Gelegenheit günstig.

Erstaunlich genug, dass Marc überhaupt von sich aus mit den Kopfschmerzen herausgerückt war, aber darüber wollte Janek nicht weiter nachdenken. Er war nur froh, dass sein Sohn es getan hatte, auch wenn Jacksons erste Reaktion eine halbe Panikattacke gewesen war.

„Die Tür ist offen“, rief Marc von drinnen.

Janek sah sich unwillkürlich nach einem Fluchtweg um und zog ertappt den Kopf ein, als Rafe tadelnd mit der Zunge schnalzte. „Tut mir leid.“

Der Drummer schob die Tür auf. „Na geh' schon.“

Janek seufzte und straffte danach die Schultern, um sich seinem Sohn zu stellen. Rafes leises, „Janek?“ hielt ihn zurück. „Hm?“, fragte er und drehte sich zu ihm. Im nächsten Moment hatte Rafe ihn gegen die Wand neben der Tür gedrängt und küsste ihn. Aber wie. Janek kam erst wieder zu sich, als Rafe längst von ihm abgelassen hatte und einen Schritt zurückgetreten war. Sein Blick war so eindringlich, dass Janek tief Luft holen musste, bevor er fähig war, etwas zu sagen. „Danke ... Wow.“

Rafe grinste ihn zufrieden an. „Wir sehen uns später.“

„Äh ... okay“, brachte er heraus, da war Rafe längst im Fahrstuhl verschwunden. Janek blinzelte, um dabei den Kopf zu schütteln. „Mann, kann der Kerl küssen.“

„Hey.“

Janek fuhr herum. Marc stand in der Tür und sah ihn mit einem schiefen Grinsen an. „Selber hey“, wiederholte er und brachte ein Lächeln zustande. „Ähm ... meinst du, wir kriegen es hin, miteinander zu reden?“

„Ich schätze, Jackson und Rafe bringen uns um, wenn wir es nicht tun“, antwortete Marc und seufzte. „Jackson sagte was von Dummköpfen und Idioten, bevor er mich aus dem Zimmer warf.“

„Rafe war ähnlich freundlich“, murmelte Janek und deutete auf die offene Tür in Marcs Rücken. „Darf ich?“

„Ja, klar“, nickte sein Sohn und ging vor.

Janek folgte ihm, schloss die Tür und atmete einmal tief durch, bevor er zu Marc in den Wohnraum ging, der es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte und ihm entgegensah. Janek nahm den zweiten Sessel in Beschlag und danach schwiegen sie sich an. Marc schien genauso wenig zu wissen was er sagen sollte, wie Janek selbst.

„Deine Wange sieht echt bunt aus“, ergriff Marc nach einer Weile das Wort. „Tut es noch weh?“

„Nein“, antwortete Janek. Die Schwellung war kaum mehr fühlbar, es heilte gut ab. Andere Dinge schmerzten dafür umso mehr. Was hatte Rafe zu ihm gesagt? Dass er einfach bei der Wahrheit bleiben sollte. Genau das würde Janek jetzt tun. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Ich auch nicht“, gab Marc zu und sah kurz aus dem Fenster. „Das ist alles ganz merkwürdig, seit du ... Na ja, seit ich es weiß.“

Janek sah zu Boden. „Es tut mir leid.“

„Wieso hast du mir das so erzählt?“, fragte Marc auf einmal leise. „Du warst so ... fies ... als wärst du jemand ganz anderes. Bist du früher auch so gemein gewesen?“

„Ja“, gestand Janek und sah wieder zu Marc. „Ich war jahrelang so gemein. Für mich war das normal, es war mein Leben.“

„Du hasst mich, oder?“

Janek klappte die Kinnlade herunter, dann schüttelte er entschieden den Kopf. „Ich hasse dich nicht. Denk' das bitte nicht. Das habe ich niemals getan, Marc. Du warst mir bei deiner Geburt egal, ja, aber hassen ... Nein!“

„Wieso dann das alles?“, fragte Marc unverständlich und sah ihn verletzt an. „Wieso wolltest du mir wehtun? Und behaupte ja nicht, dass du es nicht wolltest. Ich bin nicht blöd.“

Nein, blöd war sein Sohn mit Sicherheit nicht. Janek wusste vor Scham nicht wohin. Rafe hatte recht und er würde seinen Rat befolgen und weiter ehrlich sein. „Ich habe mich zu Tode geschämt, Marc. Ich tue es heute noch. Das soll keine Entschuldigung für mein Verhalten sein. Es ist einfach so. Manchmal wünschte ich, ich könnte Mum und Dad die Schuld daran geben, doch das geht nicht. Sie haben immer versucht zu helfen, aber ich wollte keine Hilfe. Ich weiß nicht, warum ich früher so ... so ... mir fällt kein Wort dafür ein. Durchgedreht vielleicht? Ja, ich glaube, ich war durchgedreht. Die Marines haben das geändert und anfangs war ich stolz auf mich, dass ich den Entzug geschafft hatte.“ Er wich Marcs neugierigem Blick aus. „Das hielt leider nicht lange an, nachdem ich die Armee verlassen hatte.“

„Warum nicht?“

Janek lächelte zynisch. „Erzähl' irgendwem, du wärst Alkoholiker und Junkie gewesen. Ganz egal, wie lange es her ist, niemand gibt dir einen Job, dein Leumund ist auf ewig im Arsch und jeder, der davon erfährt, schaut dich merkwürdig an. Sogar Mum und Dad haben es getan und ich kann es ihnen nicht mal verübeln. Ich war ein Wrack, als sie mich das letzte Mal gesehen hatten. Ein Trinker, ein Junkie, vollkommen kaputt. Sie hatten immer Angst, ich würde rückfällig werden. Vor allem in der ersten Zeit, als ich von der Armee nach Hause gekommen war und keine Arbeit fand.“

„Was ist mit dir bei den Marines passiert?“

„Ich war im Krieg und habe Dinge gesehen ...“ Janek brach ab und schüttelte den Kopf. „Ich war jahrelang in Therapie deswegen. Weil ich nicht mehr schlafen konnte und ständig Albträume hatte. Es war so schwer, das vor dir zu verheimlichen, aber es musste sein. Wie hätten wir dir denn erklären sollen, was mit mir nicht stimmt? Du warst glücklich und ich glaubte, ich hätte kein Recht, dir das wegzunehmen, indem ich dir die Wahrheit sage. Ich meine, wer war ich denn schon? Ja, ich hatte den Entzug durchgestanden und bei den Marines Karriere gemacht, aber davon, ein guter Vater zu sein, war ich weit entfernt. Ich war feige, Rafe hat schon recht.“

„Mir ist das nie aufgefallen“, murmelte Marc entsetzt. „Ich war so dumm.“

Janek sah seinen Sohn an und schüttelte den Kopf. „Denk das nicht. Woher hättest du etwas ahnen sollen? Wir haben das immer vor dir versteckt. Es war besser für dich und auch für mich. Ich hatte genug Probleme, mit meinem normalen Leben klarzukommen. Und bevor du danach fragst, ja, ich wäre wieder abgestürzt, wenn Dad eines Tages nicht zu mir gesagt hätte, dass ich meinen Lebenslauf einfach fälschen soll.“

„Das hat er gesagt?“ Marc machte große Augen.

„Ja“, nickte Janek und lächelte verlegen. „Und es hat funktioniert, denn knappe drei Wochen später fand ich den Job in der Agentur.“

Marc erwiderte sein Lächeln, wandte den Blick aber gleich darauf wieder ab, sichtlich beschämt. „Was ich zu dir gesagt habe, dass du zurückgehen sollst ...“ Sein Sohn wurde rot. „Das habe ich nicht so gemeint.“

Janek stand auf, weil ihm von seiner angespannten Haltung der Rücken wehtat. Er hatte nicht mal gemerkt, wie sehr er sich verkrampft hatte. „Weißt du, ich habe zu Rafe gesagt, dass es mir egal ist, ob du mich Dad oder großer Bruder nennst, solange du bei mir bist und das stimmt. Ich verlange nichts von dir, ich möchte, dass du das weißt, Marc.

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