Der Mustang - Klaus Hartung - E-Book

Der Mustang E-Book

Klaus Hartung

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Krimi, Science Fiction, Dystopien, Horror, Thriller, Western - diese Genres werden bedient. Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die die Vielseitig des Erzählers abbildet. Enthält den Erstlingskurzroman "Der Bunker". Neuveröffentlichungen sind mit (*) gekennzeichnet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Hinweise

Weisheit

Copyright

Der Beamte

Wasser (*)

Der Mustang (*)

Der fehlerfreie Computer

Der Einsatz

Die Beschwörung

Der Galgen (*)

Die gescheiterte Invasion (*)

Periplaneta

1.Kapitel

2.Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Hübsche Blumen

DER BUNKER

Nachwort

Vom gleichen Autor

Der Mustang

und andere Erzählungen

von

Klaus Hartung

Allgemeine Hinweise

Diese Geschichte ist fiktiv. Der Ort und die Handlung sind ausgedacht. Die handelnden Personen sind erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen oder Orten oder Örtlichen Gegebenheiten sind ungewollt und rein zufällig.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen elektronischen oder mechanischen Mitteln, einschließlich Informationsspeicher- und -abrufsystemen, ohne schriftliche Genehmigung des Autors vervielfältigt werden, mit Ausnahme der Verwendung von kurzen Zitaten in Rezensionen.

Weisheit

Der Größte Fehler,

den die Menschen begehen,

ist zu glauben,

sie hätten Zeit!

Copyright

Copyright © 2023 Klaus Hartung

Pommernstrasse 19, 25436 Tornesch

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 

Der Beamte

Ursula „Uschi“ Ehlers legte langsam den Telefonhörer wieder auf die Ladeschale. War es also doch noch nicht ausgestanden, dachte sie. Das die einen aber auch nicht in Ruhe lassen konnten!

Wie waren die bloß darauf gekommen? Hatte sie einer der Nachbarn angeschwärzt? Oder hatte sich im Beerdigungsinstitut jemand verplappert? Diesmal würde sie daran denken, mal den Beamten danach zu fragen. Die kamen ja nicht von ungefähr auf den Gedanken.

Sie stand auf und warf einen Blick in ihren gepflegten Garten. Mitten drin stand ein kleines, bei Dunkelheit, leuchtenden Herzchens, das die Ruhestätte ihres kleinen Lieblings anzeigte.

Von links kam eine der dicken Tauben angeflogen und versuchte mal wieder auf einem der zu dünnen Äste zu landen. Natürlich gab der Ast, wie üblich, unter ihr nach und sie wäre fast heruntergefallen. Hektisch schlug sie mit den Flügeln und entschied sich dann dafür, sich einen stärkeren Ast zu suchen.

Uschi schüttelte den Kopf. Dämliches Vieh, dachte sie. Sie ging dann in ihre kleine Küche und setzte sich Wasser auf, um einen Tee zu trinken. Wenn der Typ sie besuchen kam, sollte er bloß nicht glauben, dass er hier einen Kaffee bekäme. Sie mochte keinen Kaffee und insofern gab es in ihrem Haushalt auch keinen. Wenn er einen Kaffee wollte, würde er sich einen am Bahnhof holen müssen. Aber nicht bei ihr!

So weit käme es noch! Kommt hierher, stresst sie und will dann auch noch einen Kaffee! Niemals. Sie schüttelte den Kopf.

Nun denn, dachte sie, in zwei Tagen, gegen die Mittagszeit, will er hier vor der Tür stehen. Vielleicht spekulierte er sogar darauf, dass er eine Kleinigkeit zu essen bekäme. Man weiß ja nie, auf was für krude Gedanken diese Beamten kommen.

Sie straffte sich. Nun gut, es war noch das eine oder andere vorzubereiten. Er sollte sich hier ja nicht unwillkommen fühlen.

*

Friedhelm Jacobi, seines Zeichens Amtmann im Umweltamt, stellte seinen Golf VI Diesel Dienstwagen auf einem dafür vorgesehenen Parkplatz in der Straße ab. Die wenigen Schritte bis zum Haus der möglicherweise auffälligen Person würden ihm sicherlich guttun.

Er stieg aus, zog sein Jackett über, richtet seine Krawatte, wie man es von einem Staatsdiener erwarten konnte und ging los. Er musste auf dem Bürgersteig ein wenig Slalom laufen, da hier noch diverse, bereits leere, aber noch nicht zurückgeholte, Hausmülltonnen standen.

Am Anfang der Zuführung blieb er stehen. Gute hundert Meter ging es hinein. Rechter Hand standen die Reihenhäuser aufgereiht. Linker Hand zogen sich diverse Holzzäume, um die Grenze zum Nachbargrundstück deutlich zu machen. Eine mittelmäßig erhaltene Teerschicht bedeckte die Zufahrt an sich.

Jacobi ging langsam los und versuchte die Umgebung in sich aufzunehmen. Er bildete sich ein, dadurch besser die Anwohner verstehen zu können. Da war ein gepflegter Vorgarten, hier nicht. Da hatte sich jemand ein Carport vor die Garage gesetzt (Jacobi machte sich einen Gedankenvermerk, mal beim Bauamt nachzufragen, ob es einer Baugenehmigung dafür bedurfte und ob die vorliege), dort parkte jemand seinen Wagen lieber auf einer, wohl selber angerichteten, Kiesschicht.

Er bewunderte kurz den mit Glasbaustein eingefassten Eingangsbereich und schüttelte dann den Kopf. Wahrscheinlich ein alter Ossi, der sich von den Auszeichnungen des ehemaligen DDR-Regimes nicht losmachen konnte.

Zum Ende hin verbreiterte sich die Zufahrt, was, wie er zugeben musste, auch notwendig war, im Anbetracht der hier parkenden Fahrzeuge. Wieder schüttelte er den Kopf. An der Straße war so viel Platz zum Parken, aber lieber quetschte man sich hier rein. Er überlegte, aber auf die Schnelle fiel ihm keine Vorschrift ein, die er dagegen ins Feld hätte führen können.

Ah ja, da war das besagt Haus. Kurz vor Ende der Baureihe. Zurückblickend musste er feststellen, dass man den Häusern ihre unterschiedlichen Baujahre durchaus ansah. Diese hier waren demnach, so schätzte er, erst um die dreißig Jahre alt. Gar nicht mal schlecht, dachte er.

Okay, dachte er, der Zugang zum Hauseingang wird von Büschen eingerahmt. Scheinbar möchte hier jemand für sich sein. Er betrachtete, angenehm überrascht, den ansprechend gefliesten Zugang mit der kleinen Bank und den Blumentöpfen. Sehr liebevoll dekoriert.

Er stieg ein paar Stufen hoch, betrachtete das Namensschild (Ursula Ehlers & Chico – er schüttelte wieder den Kopf, albern) und drückte auf die Klingel.

Überraschenderweise gab es nur einen normalen Klingelton. Er hatte mit etwas überkandideltem gerechnet, Big Ben, Hundebellen oder so.

Durch die Milchglasscheibe sah er Bewegung. Jemand kam zu Tür. Er hörte, dass ein Schlüssel herumgedreht wurde. Recht hatte sie. Sicherheit geht vor, dachte er.

Die Tür öffnete sich und eine ältere, grauhaarige, Frau stand in der Tür. Jacobi taxierte kurz ihr gepflegtes Äußeres und blieb mit dem Blick an den Gartenhandschuhen hängen.

„Guten Tag, Frau Ehlers, ich bin der Amtmann Friedhelm Jacobi vom Umweltamt. Wir hatten miteinander telefoniert und für heute einen Termin gemacht!“

„Ehlers! Guten Tag Herr Jacobi, kommen Sie doch bitte herein!“ Mit einem Lächeln ging sie einen Schritt beiseite, um ihm genug Platz zum Hereinkommen zu machen.

*

Uschi musterte den Beamten von oben bis unten. Der sah ja aus wie ein Geier. Dürrer, klapperiger Körper in einem schlechtsitzenden schwarzen Anzug, dachte sie. Nun gut, das kriegen wir auch geregelt.

„Herr Jacobi, kommen sie doch bitte mit ins Wohnzimmer. Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Tee? Frisch gemachter Kamillentee!“ Sie wies den kurzen Flur hinunter.

Herr Jacobi lehnte jedoch dankend ab. Er konnte nicht von einem anhängigen Fall ein Getränk annehmen und dann hinterher gegebenenfalls ein Strafgeld verhängen. Das ging nicht. Nicht für ihn.

Frau Ehlers zuckte mit den Schultern. Dann eben nicht, dachte sie, und holte sich selber trotzdem einen Tee, allerdings einen schwarzen.

„Setzen Sie sich doch. Meine Güte. Wenn Sie da so rumstehen, sieht das ja so ungemütlich aus.“ Das sieht ja fast so aus, als ob er sich nur widerwillig setzt, dachte Uschi. Dabei ist doch alles sauber.

Sie nahm ihre Tasse, fügte ein Stück Zucker und ein Tröpfchen Milch hinzu und rührte gemächlich um.

„Was kann ich denn nun für Sie tun, Herr Jacobs?“ fragte sie freundlich. „Jacobi!“ wurde sie korrigiert. „Mein Name ist Jacobi, bitte sehr!“

Uschi nickte verständig. „Tut mir leid. Das Alter, wissen Sie? Was kann ich denn nun für sie tun?“

Herr Jacobi öffnete seine Aktentasche und zog einen schmalen Hängehefter heraus und blätterte kurz darin herum.

„Nun, Frau Ehlers“, Er betonte ihren Namen extra, um nochmal auf ihren Fauxpas hinzuweisen. „und wurde zugetragen, dass Sie eine widerrechtliche Bestattung in ihrem Garten vorgenommen haben und damit nicht nur gegen den Friedhofszwang, sondern auch gegen das Allgemeine preußische Landrecht von 1934 (aber immer noch gültig!) verstoßen haben! Was sagen Sie dazu?“

Uschi nahm langsam einen Schluck Tee. „Von wem?“

Herr Jacobi sah sie irritiert an. „Von wem, was?“ fragte er.

„Von wem wurde Ihnen das zugetragen, wollte ich wissen?“

Herr Jacobi wand sich etwas. „Nun ja, nicht mir persönlich. Vielmehr unserer Dienststelle erlangte davon Kenntnis.“ stellte er richtig.

„Aber, wer behauptet so etwas? Ich kann doch nicht einfach losgehen und irgendwelche wilden Gerüchte verbreiten!“

„Sie sagen also, das wäre nur ein Gerücht?“

Uschi beugte sich vor. „Hören Sie eigentlich zu, was ich sage? Ich habe gefragt, wer das behauptet hat! Oder habt ihr Beamten so wenig zu tun, dass ihr jedem Gerücht nachgehen könnt? So verprasst ihr unsere Steuergelder also…“

„Also, Frau Ehlers, ich muss doch sehr bitten! Nicht beleidigend werden!“

Nun war es an Uschi, ihn irritiert anzusehen. „Womit habe ich Sie beleidigt?“

„Nun“, druckste Herr Jacobi rum, „indem sie uns Untätigkeit unterstellen. Indem sie uns unterstellen, dass wir Gerüchten nachgehen! Das wir unsere Zeit mit der Verfolgung übler Nachrede verbringen!“

„Nun… von wem ist den dann dieses Gerücht? Oder wissen Sie das vielleicht gar nicht?“

„Es tut mir leid, aber wir dürfen unsere Quellen nicht bekannt geben…“ „Dann hören Sie auf, mir meine Zeit zu stehlen! Ich bin einundachtzig Jahre alt. Und verschwende nicht meine Zeit, nur weil Sie nicht besseres zu tun haben, als Verleumdungen nachzugehen…“ Sie stand auf.

„Hm, nach Verleumdungen hörten sich die Ausführungen der Frau Kahrs aber…“ er verhielt. Verdammt, dachte er, jetzt hatte er sich verplappert.

Uschi setzte sich wieder. „Frau Kahrs, also… War doch gar nicht so schwer. Wissen Sie eigentlich wer das überhaupt ist?“

Herr Jacobi, der sich etwas überfahren fühlte, schüttelte den Kopf.

„Das ist die dicke, alte Trutsche von nebenan. Die ist nur neidisch auf meinen tollen Garten!“

Herr Jacobi sah unwillkürlich nach draußen. Recht hatte sie ja, der Garten sah wirklich toll aus.

Uschi lehnte sich in ihren Stuhl zurück. „Aber, Herr Jacobi, sagen Sie mal“ fing sie an. „Hatte mich ihr Amt nicht schon einmal deswegen angesprochen?“

Herr Jacobi sah in seiner Akte nach. Er nickte. „Ja, Anfang letzten Jahres hatte ein Kollege hier schon mal angerufen…“

„Stimmt!“ rief Uschi. „Jetzt, wo sie es sagen. Ein Herr … Waldheim, oder so, wollte mal vorbeischauen. Kam aber nicht. Wissen Sie, warum?“

„Wilhelmi. Wilhelmi war sein Name. Nein, leider nicht. Der war aus einem anderen Bereich. Ist glaube ich versetzt worden. Denke ich.“ Er klappte seine Akte wieder zu.

„Nun, Frau Ehlers, was sagen Sie denn nun zu den Vorwürfen?“

Uschi schüttelte den Kopf. „So ein Blödsinn. Also ob ich meinen kleinen Hund, denn um den geht es hier, im Garten vergraben würde…“ Herr Jacobi fing an, sich zu entspannen und lehnte sich zurück. „… dem habe ich hier im Keller seine letzte Ruhe gegeben!“

Herr Jacobi sprang auf. „Was!“ rief er. „Das ist ja noch schlimmer. Verstoß gegen Hygiene-Vorschriften. Da muss ich die Kollegen vom Gesundheitsamt informieren…“

Uschi wiegelte ab. „Nun beruhigen Sie sich mal, Herr Jacobi. Alles streng nach Vorschrift, wie? Möchten Sie sich nicht erstmal die Grabstätte ansehen? Dann werden Sie sehen, dass alles seine Ordnung hat!“ Sie stand auf und bewegte sich in Richtung der Kellertreppe.

Sie winkte ihm auffordernd zu. „Nun kommen Sie schon! Machen Sie sich selber ein Bild, anstatt auf die üble Nachrede der Nachbarn zu hören!“

Sie ging die ersten Stufen in den Keller hinunter. Widerwillig stand Herr Jacobi auf und folgte ihr. Es sollte ihm ja niemand nachsagen, dass er nicht gründlich wäre.

Frau Ehlers ging vorsichtig die wenigen Stufen in den Keller hinunter. Herr Jacobi folgte mit etwas Abstand.

„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich etwas langsam gehe. Ich habe im letzten Jahr ein künstliches Hüftgelenk bekommen und bin noch beim Einlaufen!“ Sie lächelte und wies nach vorne.

„Dort im Raum voraus, finden sie die letzte Ruhestätte meines kleinen Lieblings!“

Eher unwillig schob sich Herr Jacobi an ihr vorbei ging auf den angewiesenen Raum zu. Weiß getünchte Wände erwarteten ihn. Eine große Werkbank stand in der Mitte des Raumes. Die Arbeitsfläche war mit bräunlichen Flecken, teilweise Lachen, verunreinigt.

Er fuhr mit den Fingern darüber. Obwohl die Flecken schon älter waren, war die Farbe immer noch leicht klebrig.

„Könnte man auch mal sauber machen.“ murmelte er. „Schade um die Arbeitsfläche.“

„Tut mir leid, dass die Werkbank so schmuddelig ist, aber ihr Kollege vom letzten Jahr hat eine ziemliche Sauerei hinterlassen!“

Herr Jacobi stutzte. Was hatte sie gerade gesagt? Er drehte sich um und wollte gerade zu einer Frage ansetzen…

Der Hammer jedoch, der ihm entgegenkam, war das letzte, was er in diesem Leben sehen sollte.

*

Uschi schlug sicherheitshalber ein zweites und ein drittes Mal zu. Aber dann rührte sich der Mann nicht mehr. Sie legte den Hammer beiseite. Ihr Mann hatte ihn immer verwendet, wenn er irgendwelche Durchbrüche machen musste. Er wurde ihr aber auch langsam etwas schwer.

Sie sah auf ihr Werk hinunter und spuckte aus. Niemand würde ihrem kleinen Liebling seine letzte Ruhestätte wegnehmen.

Uschi überlegte kurz. Wie bei seinem Vorgänger würde sie den Kopf und die Hände abtrennen. Die Hände würde sie aber diesmal in der Biotonne der Nachbarin platzieren. Die würde sowieso demnächst wieder den Rasen mähen. Da konnte man die Hände gut drunter verstecken. Den Kopf würde sie im nahegelegenen Fluss schmeißen. Dann noch die Beine vom Rumpf trennen. Der Rumpf landete dann irgendwo im Wald und die Beine würde sie woanders entsorgen.

Vielleicht schmiss sie das Zeug auch einfach des Nachts irgendwo auf die Bahnschienen.

Würde sich finden.

Aber erstmal würde sie sich einen neuen Tee zur Feier des Tages gönnen. Und trinken würde sie ihn im Garten. Mit Blick auf die Grabstelle ihres kleinen Hundes.

Wasser (*)

Der Mann hatte sich an das Geländer gelehnt und sah hinab auf einen Teil des Hamburger Hafens. Er war an der U-Bahn-Station Landungsbrücken und wartete auf seinen Zug.

Er schnaufte. U-Bahn, also Untergrundbahn… nirgends war man von diesem Begriff weiter weg. Die Station war sowohl in, als auch auf eine kleinere Erhebung mit Namen Stintfang in der Art eines Turmbahnhofes gebaut wurden. Unterirdisch gab es die Haltestelle für die S-Bahn, im mittleren Teil waren die Fahrkartenautomaten und kleinere Geschäfte angesiedelt. Und oben gab es die Haltestelle für die U-Bahn.

Die U-Bahn, und hier machte sie ihrem Namen alle Ehre, gab unterirdisch vom Heiligengeistfeld, schraubte sich dann in den Stintfang und gab dort bei der Haltestelle heraus. Weiter ging es von hier aus in Richtung Stadtmitte für die nächsten drei Stationen auf einer Brücke.

Er sah sich nach der tragenden Konstruktion in der Haltestelle um und schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben, dass die Station bereits 1912, also vor über hundert Jahren, eröffnet worden war. Natürlich war sie damals um ein Vielfaches kleiner gewesen und hatte erst in den Jahrzehnten nach dem krieg so langsam ihre jetzige Form angenommen.

Oben auf dem Stintfang war eine Ansammlung kleiner und mittelgroßer Gebäude mit einem leicht schulischen Charakter. Dort war eine Jugendherberge untergebracht, die jugendliche Besucher aus aller Herren Länder vorübergehend Unterkunft gewährte.

Der Mann nickte sich zu. Eigentlich ein toller Standort, so mit direktem Blick über den Hamburger Hafen!

Er sah wieder zum Hafen hinunter. Dort unten waren die Landungsbrücken. Das Gegenstück zur U- und S-Bahn, nur eben für die Schifffahrt. Dort unten gingen viele verschiedene Nahverkehrslinien ab, die es den Menschen ermöglichte, zwischen den beiden Seiten des Hafens sich hin und her zu bewegen.

Die Landungsbrücken waren aus schwimmenden Pontons zusammengesetzt, die mit einigen Brücken mit dem „Festland“ verbunden waren.

Gegenüber waren auch die Werften, deren Mitarbeiter natürlich auch von diesen Linien Gebrauch machten.

Der Mann zog die Augenbrauen zusammen. Das Wasser im Hafen sah heute aber höher aus, als es das normalerweise tat. Er zuckte mit den Schultern. Dann würde wohl wieder mal die Fischauktionshalle tief im Wasser stehen. Nichts Ungewöhnliches, da es drei, viermal im Jahr vorkam, das die Elbe über die Ufer trat und die tieferliegenden Gebiete feuchter wurde. Meistens wurde dies aber vorher im Radio angesagt, damit die Leute rechtzeitig ihre Autos aus den gefährdeten Gebieten bringen konnten.

In der besagten Fischauktionshalle machte man in diesem Fall lediglich auf beiden Seiten die Türen auf, damit das Wasser besser passieren konnte. Das sah man dort mittlerweile ziemlich fatalistisch. Andererseits war das mittlerweile auch sehr Werbewirksam. Und Künstler, die dort auftreten wollten, klärten vorher den Pegelstand der Elbe ab.

Der Mann sah genauer hin. Ja, das Wasser stand höher. Er schaute nach Nordwesten, in Richtung Elbmündung. Von dort war allerdings nichts zu sehen. Keine unruhigen Wellenbewegungen oder gar Auftürmungen wie eine Tsunami. Es wirkte gerade so, als ob das Wasser von unten hochgedrückt wurde.

Da! Mehr für sich selber deutete der Mann hinunter. „Da“, sagte er. „das Wasser tritt über die Ufer!“ Ein Passant blieb neben ihm stehen und sah in die angegebene Richtung. Dann zuckte er mit den Schultern. „Nicht nervös werden, junger Mann! Das kennen wir hier in Hamburg schon!“

„Nein“, sagte der Mann. „Schauen sie doch mal richtig hin!“ Der Passant tat, wie ihm geheißen. „Oh ja, tatsächlich“, sagte er. „Die Pontons, an denen die Schiffe anlegen haben sich tatsächlich etwas angehoben… Uiih!“ Er schüttelte den Kopf und ging weiter. „Touristen!“ murmelte er dabei.

Der Mann sah ihm verständnislos hinterher. „Aber…“ Er stockte. Die Pontons hob sich tatsächlich immer weiter. Fast glaubte er das Knarren der Brücken zu hören, die sich gegen diese ungewohnte Bewegung sperrten.

Ein Stoß ging durch den Boden und der Mann hielt sich erschrocken am Geländer fest. Das Wasser der Elbe hatte in diesem kurzen Moment um mindestens drei Höhenmeter zugelegt. Fast schon schwammen die Pontons auf Straßen-Niveau! Er sah nach rechts runter, in Richtung des alten Elbtunnels. Tatsächlich, da unten trat das Wasser bereits über die Ufer und ergoss auf die Straße.

Der Mann klammerte sich erneut an das Geländer, als sein Magen sich auf und ab bewegte. In einem dicken Schwall schoss das Elbwasser in die Straßen unterhalb der U-Bahnstation.

Menschen wurden von den Beinen gerissen, Fahrräder fielen um, Motorräder schlitterten durch die Gegend und Autos wurden überspült. Die ersten Schreie wurden laut.

Mittlerweile hatten sich mehrere Menschen neben den Mann an das Geländer gestellt und sahen nach unten. Teilweise von Sensationslust, teilweise von morbider Neugier getrieben.

„Da“, rief eine Frau und wies nach unten. „den hat es vor ein Auto gehauen. Ich glaube nicht, dass der das übersteht. Und da! Sie wies in eine andere Richtung. „Die Frau mit ihrem Kinderwagen… keine Chance dem Wasser zu entkommen. Uuhhh…!“ Sie schüttelte sich. „Ist das gruselig!“

„Sie wissen aber schon“, sprach der Mann sie an. „Dass das da unten echten Menschen sind? Das ist nicht Fernsehen!“ Die Frau winkte ab. „Nun regen sie sich mal nicht auf! Das kennen wir hier schon!“

Sein Magen machte den nächsten Sprung. Die Schreie von hörte schlagartig auf, als das Wasser sich um weitere drei Meter anhob.

Der Zug fuhr ein und die Leute wandten sich vom Geländer ab. Der Mann sah ihnen irritiert nach. „Äh, und das da unten?“ Die Frau drehte sich zu ihm um. „Der Zug ist da!“ sagte sie und wies auf den besagten.

Der Mann zuckte nun mit den Schultern und bestieg ebenfalls schnell den Waggon vor sich. Die Türen schlossen sich und der Zug fuhr ruckend an.

Doch kaum hatte der Zug kaum die Station verlassen, als er schon wieder anhielt. Im Waggon ging das Licht aus. Jemand kreischte.

Der Mann drückte sich nach vorne an die Tür und sah hinaus. Das Wasser hatte einen neuen Sprung gemacht und stand nun knapp unter der Brücke.

Verdammt! fluchte er innerlich. Noch zwei, dreimal, dann würde er hier im Waggon elendig absaufen!

---ENDE DER LESEPROBE---