Die Frauen der Calhouns 5. Megan - Nora Roberts - E-Book

Die Frauen der Calhouns 5. Megan E-Book

Nora Roberts

4,9
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Calhouns: Leidenschaft, Abenteuer und Romantik.

Fünf Frauen auf der Suche nach Liebe und nach einem mysteriösen Schatz.

Megan zieht zu ihren Verwandten, den Calhouns, nach Maine und hilft dort im Schlosshotel The Towers aus. Niemand ahnt, dass der Vater ihres Sohnes Baxter Dumont ist, mit dem Suzanna Calhoun verheiratet war. Ihr Geheimnis bleibt unentdeckt – bis sie sich in den seeerfahrenen Nathaniel Fury verliebt. Weit hinaus aufs Meer der Leidenschaft entführt er sie, wo nicht nur eine Flut von Zärtlichkeit sie überwältigt, sondern auch trügerische Untiefen lauern. Megan müsste Nathaniel endlich gestehen, welche Rolle Suzannas machthungriger Exmann in ihrem Leben spielte. Doch sie wartet zu lange: Eines Tages steht Baxter vor der Tür.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 322

Bewertungen
4,9 (14 Bewertungen)
12
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nora Roberts

Die Frauen der Calhouns 5

Megan

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Sonja Sajlo-Lucich

Wilhelm Heyne Verlag München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe Megan’s Mateist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/Iancu CristianSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12083-2V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

Von Risiken hielt sie grundsätzlich nichts. Bevor sie den nächsten Schritt unternahm, stellte sie sicher, dass der vorherige komplett zu Ende gebracht war. Das war Teil ihrer Persönlichkeit. Zumindest war es während der letzten zehn Jahre Teil ihrer Persönlichkeit geworden. Sie hatte sich angewöhnt, ausnahmslos praktisch zu denken und umsichtig zu handeln. Megan O’Riley war eine Frau, die abends lieber zweimal nachsah, ob sie auch wirklich die Haustür verschlossen hatte.

Für den Flug von Oklahoma nach Maine hatte sie sehr methodisch das Handgepäck für ihren Sohn und sich zusammengestellt. Ihre restliche Habe würde per Fracht nachgeschickt werden. Zeit mit Gepäck zu verschwenden, war ihrer Meinung nach unsinnig.

So war der Umzug auch keineswegs eine impulsive Entscheidung. Während der letzten sechs Monate hatte Megan alles genau durchdacht. Der Ortswechsel war ein praktischer und vorteilhafter Schritt zugleich, nicht nur für sie, sondern auch für Kevin. Es wird ihm sicherlich nicht schwerfallen, sich einzugewöhnen, dachte sie, als sie auf ihren Sohn blickte, der auf dem Fenstersitz neben ihr eingeschlafen war. Schließlich hatten sie Familie in Bar Harbor. Seit Kevin wusste, dass seine Mutter ernsthaft in Erwägung zog, zu seinem Onkel, seinem Halbbruder und seiner Halbschwester zu ziehen, konnte er vor freudiger Erwartung kaum an sich halten. Und da waren ja auch noch die Cousins und Cousinen. Vier neue Babys waren hinzugekommen, seit Megan und Kevin damals zur Hochzeit ihres Bruders mit Amanda Calhoun nach Maine geflogen waren.

Mit zärtlichem Blick betrachtete sie den schlafenden Kevin. Ihr kleiner Junge. So klein war er gar nicht mehr. Fast neun. Es würde ihm guttun, in einer großen Familie aufzuwachsen. Die Calhouns gingen weiß Gott verschwenderisch mit ihrer Zuneigung um.

Nie würde Megan vergessen, wie Suzanna Calhoun Dumont – jetzt hieß sie Bradford –, sie im vorangegangenen Jahr willkommen geheißen hatte. Obwohl Suzanna wusste, dass Megan die Geliebte von Baxter Dumont, Suzannas Exmann, gewesen war und sein Kind geboren hatte, war sie ihr mit offener Herzlichkeit entgegengekommen.

Allerdings stellte Megan auch ein geradezu erbarmungswürdiges Beispiel der »anderen Frau«, der Geliebten, dar. Sie hatte nichts von Suzanna gewusst, als sie sich vor vielen Jahren Hals über Kopf in Baxter verliebte. Siebzehn Jahre alt und unendlich naiv, hatte sie all die leeren Versprechen und Schwüre von der ewig währenden und einzig wahren Liebe geglaubt. Nein, sie hatte nicht einmal geahnt, dass Baxter Dumont mit Suzanna Calhoun verlobt war.

Bei Kevins Geburt war Baxter in den Flitterwochen gewesen. Den Sohn, den Megan O’Riley ihm gebar, hatte er bis heute nicht gesehen, geschweige denn die Vaterschaft anerkannt.

Jahre später, als das Schicksal beschloss, Megans Bruder Sloan und Suzannas Schwester Amanda zusammenzuführen, war die ganze Geschichte ans Licht gekommen. Und jetzt, mit den unvorhersehbaren Wendungen und Biegungen des Schicksals, würden Megan und ihr Sohn in dem Haus leben, in dem Suzanna und ihre Schwestern aufgewachsen waren. Kevin würde eine Familie haben, einen Halbbruder und eine Halbschwester – und ein Haus voller Cousins, Cousinen, Tanten und Onkel.

Das Haus … The Towers, dachte Megan mit einem stillen Lächeln. Ein beeindruckendes, wunderbares altes Gemäuer, das Kevin nur »das Schloss« nannte. Wie es wohl sein mochte, dort zu leben und zu arbeiten? Jetzt, nachdem die Renovierungen abgeschlossen waren, wurde ein großer Teil des Hauses als Hotel genutzt. »The Towers Retreat« gehörte nun zur St.-James-Hotelkette. Ein Projekt, realisiert von Trenton St. James III, der die jüngste Calhoun-Schwester, Catherine, geheiratet hatte.

Die St.-James-Hotels waren weltweit als Häuser von gehobenem Stil und Klasse bekannt. Das Angebot, die Leitung der Firmenbuchhaltung zu übernehmen, war – auch nach reiflicher Überlegung – einfach zu gut gewesen, um es auszuschlagen.

Außerdem freute Megan sich unendlich darauf, ihren Bruder wiederzusehen. Genauso, wie sie sich auf den Rest der Familie freute. Und auf The Towers.

Falls sie ein kleines bisschen Nervosität verspürte, so ermahnte sie sich, dass das schlichtweg töricht war. Der Umzug war ein praktischer und nur logischer Schritt. Der neue Titel als »Leiterin der Unternehmensbuchhaltung« versöhnte sie mit enttäuschten Ambitionen. Und auch wenn Geld eigentlich nie das Problem gewesen war, so versetzte das vereinbarte Gehalt ihrem Selbstwertgefühl doch erheblichen Auftrieb.

Endgültig ausschlaggebend jedoch war, dass ihr viel mehr Zeit für Kevin bleiben würde.

Als die Durchsage für den Landeanflug über die Bordlautsprecher erfolgte, strich Megan ihrem Sohn sanft durchs Haar. Er öffnete die dunklen Augen und blinzelte verschlafen.

»Sind wir schon da?«

»Fast. Stell’ deinen Sitz wieder auf. Sieh nur, da unten liegt schon die Bucht.«

»Wir fahren doch bestimmt mal mit dem Schiff raus, oder?« Wäre er richtig wach, hätte er sich daran erinnert, dass er viel zu alt war, um vor Aufregung auf dem Sitz herumzurutschen. Doch jetzt hopste er auf und ab und presste die Nase an die Fensterscheibe. »Dann können wir die Wale sehen. Mit dem Boot von Alex’ neuem Dad.«

Allein bei dem Gedanken an Seegang drehte sich Megans Magen, dennoch lächelte sie, wenn auch etwas kläglich. »Ganz bestimmt.«

»Und wir werden wirklich im Schloss leben?« Begeisterte Erwartung strahlte ihr aus dem Gesicht ihres Jungen entgegen. Ihr wunderschöner Junge mit der goldenen Haut und dem wirren schwarzen Haar.

»Alex’ früheres Zimmer wird jetzt dein Zimmer.«

»Da gibt es Gespenster.« Er schenkte ihr ein spitzbübisches Lächeln und zeigte dabei seine Zahnlücken.

»So wird es behauptet. Aber es sollen freundliche Gespenster sein.«

»Nicht alle.« Das hoffte Kevin zumindest. »Alex sagt, es gibt ganz viele, und sie stöhnen und kreischen. Letztes Jahr ist sogar ein Mann aus dem Turmfenster gefallen und auf die Felsen aufgeschlagen.«

Megan schauderte leicht, denn dieser Teil der Geschichte entsprach der Wahrheit. Die sagenumwobenen Calhoun-Smaragde hatten mehr als nur eine alte romantische Legende aufleben lassen. Sie hatten auch das Interesse eines Diebes und Mörders geweckt.

»Die Gefahr ist jetzt vorbei, Kevin. The Towers ist sicher.«

»Klar.« Doch schließlich war er ein Junge. Und Jungen hofften nun mal auf wenigstens ein bisschen Gefahr und Abenteuer.

Es gab noch einen weiteren Jungen, der sich in der Zwischenzeit die schönsten Abenteuer ausmalte. Ihm schien es, als warte er seit Ewigkeiten hier am Flughafen auf seinen Bruder. Eine Hand in der seiner Mutter, hielt er mit der anderen Jenny. Denn seine Mutter hatte ihm gesagt, er müsse auf seine Schwester aufpassen. Schließlich war er der Älteste. Seine Mutter hielt das Baby auf dem Arm – seinen brandneuen Bruder. Alex konnte es gar nicht erwarten, mit ihm anzugeben.

»Warum sind sie denn noch nicht da?«

»Weil es immer etwas Zeit braucht, bis alle Leute ausgestiegen sind und durch das Gate kommen.«

»Warum sagt man eigentlich ›Gate‹?«, wollte Jenny wissen. »Das sieht doch gar nicht wie ein Tor aus.«

»Vielleicht hatten sie früher einmal Tore an den Flughäfen und nennen es deshalb heute einfach noch immer so.« Es war die beste Erklärung, mit der Suzanna nach einer nervenzermürbenden halben Stunde des Wartens mit drei kleinen Kindern aufwarten konnte. Dann gluckste das Baby fröhlich, und sie musste unwillkürlich lächeln.

»Sieh nur, Mom, da sind sie!«

Bevor Suzanna etwas erwidern konnte, hatte Alex sich von ihrer Hand losgerissen und rannte auf Kevin zu, Jenny im Schlepptau. Suzanna zuckte leicht zusammen, als die beiden fast mit einer wartenden Gruppe zusammengestoßen wären, und hob nur resignierend die Hand, um Megan zuzuwinken.

»Hi!« Alex, bestens instruiert von seiner Mutter, nahm Kevin die Reisetasche ab. »Ich soll das tragen, hat meine Mom gesagt. Weil wir euch abholen.« Dabei stellte er ein wenig verdrießlich fest, dass, obwohl Mom immer behauptete, er wachse wie Unkraut, Kevin größer war als er.

»Hast du das Fort noch?«

»Sogar zwei. Eins beim großen Haus und ein neues beim Cottage. Da wohnen wir nämlich jetzt.«

»Mit unserem Dad«, mischte Jenny sich ein. »Wir haben auch neue Namen. Unser Dad kann alles reparieren. Er hat mein neues Zimmer gebaut.«

»Die Vorhänge sind pink.« Alex grinste abfällig.

Vorausschauend stellte sich Suzanna zwischen die Geschwister, um den sich offensichtlich anbahnenden Streit von vornherein zu verhindern. »Wie war euer Flug?« Sie beugte sich vor, drückte Kevin einen Kuss auf die Wange und umarmte Megan.

»Gut, danke.« Megan wusste noch immer nicht, wie sie mit Suzannas natürlicher Herzlichkeit umgehen sollte. Am liebsten hätte sie laut herausgeschrien: »So versteh doch, ich habe mit deinem Mann geschlafen, auch wenn ich damals noch nicht wusste, dass er dein Mann war. Aber die Fakten lassen sich nicht ändern.« Doch stattdessen antwortete sie nur: »Eine kleine Verspätung, mehr nicht. Ich hoffe, ihr habt nicht zu lange warten müssen.«

»Stunden!«, behauptete Alex.

»Eine halbe«, korrigierte Suzanna lachend. »Wo sind eure restlichen Sachen?«

»Die kommen per Fracht nach.« Megan klopfte leicht auf ihre Reisetasche. »Das muss für den Moment reichen.« Sie konnte nicht widerstehen und lugte auf das Baby in Suzannas Arm. Ein rosiges Gesichtchen, die typischen dunkelblauen Augen eines Neugeborenen und ein seidiger schwarzer Haarschopf. Über Megans Miene zog das entrückte Lächeln, das jeden Erwachsenen befiel, sobald er ein Baby sah.

»Oh, er ist so hübsch. Und so winzig.«

»Er ist schon drei Wochen alt«, wusste Alex gewichtig zu berichten. »Er heißt Christian.«

»Weil unser Urgroßvater auch so hieß«, ergänzte Jenny. »Wir haben auch zwei neue Cousinen und einen neuen Cousin. Bianca und Cordelia, aber wir nennen sie Delia. Und Ethan.«

Alex schlug die Augen zur Decke auf. »Jeder kriegt hier Babys.«

»Er ist gar nicht übel«, entschied Kevin nach einer genauen Musterung. »Ist er jetzt auch mein Bruder?«

»Natürlich!«, bestätigte Suzanna, bevor Megan überhaupt die Möglichkeit zu einer Antwort hatte. »Ich fürchte, du wirst von nun an ständig eine riesige Familie um dich herum haben.«

Kevin sah schüchtern zu Suzanna auf und berührte vorsichtig mit der Fingerspitze Klein-Christians wedelnde Faust. »Das macht mir nichts.«

Suzanna lächelte Megan an. »Sollen wir tauschen?«

Megan zögerte nur kurz, bevor sie der Versuchung nachgab. »Gern.« Sie nahm das Baby auf den Arm, während Suzanna die Reisetasche hochhob. »Man vergisst so schnell, wie winzig sie sind.« Sie vergrub die Nase in dem feinen Haar und atmete tief ein. »Und wie gut sie riechen. Und du …« Auf dem Weg zum Ausgang betrachtete sie Suzanna von Kopf bis Fuß. »Wie kannst du schon wieder eine so umwerfende Figur haben, wenn du erst vor drei Wochen ein Baby zur Welt gebracht hast?«

»Danke für das Kompliment. Dabei fühle ich mich noch wie ein unförmiger Trampel. Alex, hier wird nicht gerannt!«

»Das Gleiche gilt für dich, Kevin. Wie macht Sloan sich als Vater?«, wollte sie von Suzanna wissen. »Ich wäre wirklich gern zur Geburt von Mandys Baby gekommen, aber mit dem Hausverkauf und der Organisation für den Umzug … Ich hab’s einfach nicht geschafft.«

»Dafür hat jeder Verständnis. Und Sloan ist ein ganz prächtiger Daddy. Wenn Amanda ihn ließe, würde er Delia vierundzwanzig Stunden am Tag mit sich herumtragen. Er hat ein großartiges Spielzimmer für die Babys entworfen – Fenstersitze, Kuschelhöhlen, Einbauschränke für Spielzeug. Delia und Bianca teilen sich den Raum, und wenn C. C. und Trent auch hier sind – was immer häufiger der Fall ist, seit The Retreat offiziell eröffnet wurde – dann ist Ethan auch dort zu finden.«

»Es ist schön, dass sie alle zusammen aufwachsen.« Megan warf einen Blick zu Kevin, Alex und Jenny. An die drei dachte sie ebenso wie an die Babys.

Suzanna folgte dem Blick und verstand. »Ja, das ist es. Ach Megan, ich freue mich so, dass du hier bist. Fast ist es, als hätte ich noch eine Schwester dazubekommen.« Sie sah, wie Megan die Lider senkte. Sie ist noch nicht so weit, dachte sie und wechselte das Thema. »Und es wird eine riesige Erleichterung sein, wenn du endlich die Bücher übernimmst. Nicht nur für The Retreat, sondern auch für den Bootsladen.«

»Ich freue mich auch schon darauf.«

Bei einem neuen Mini-Van blieb Suzanna stehen und entriegelte die Türen. »Hinein mit euch«, ordnete sie an und nahm Megan das Baby aus dem Arm, um es geschickt in den Kindersitz zu schnallen. »Ich kann nur hoffen, dass du das auch noch sagst, nachdem du den ersten Aktenordner durchgearbeitet hast. Ich muss leider sagen, dass Holt nahezu schlampig mit seinen Belegen umgeht. Und Nathaniel …«

»Ach ja, richtig, Holt hat ja jetzt einen Partner. Ein alter Freund, wie Sloan mir erzählte.«

»Holt und Nathaniel sind mehr oder weniger zusammen auf der Insel groß geworden. Nathaniel ging dann zur Handelsmarine und ist vor ein paar Monaten wieder zurückgekommen. Na siehst du, jetzt sitzt du sicher, mein süßer Fratz.« Suzanna küsste das Baby auf die Wange und kontrollierte noch einmal, ob die anderen auch alle die Gurte angelegt hatten. Dann kam sie um die Motorhaube herum, während Megan sich auf den Beifahrersitz gleiten ließ. »Nathaniel ist ein echtes Original«, sagte sie leichthin. »Er wird dir bestimmt gefallen.«

Das »Original« hatte soeben eine enorme Portion gebratenes Hühnchen und Kartoffelsalat vertilgt, im Anschluss noch eine dicke Scheibe Zitronenrolle zum Dessert nachgeschoben und lehnte sich jetzt mit einem zufriedenen Seufzer in den Stuhl zurück.

»Darling, was muss ich tun, damit du mich endlich heiratest?«

Seine Gastgeberin errötete kichernd und winkte ab. »Du bist ein unverbesserlicher Schelm, Nate. Mach dich nicht über mich lustig.«

»Wer sagt, dass ich mich lustig mache?« Er griff nach der durch die Luft wedelnden Hand und drückte einen herzhaften Kuss darauf. Ihre Haut duftete immer so weiblich – sanft, üppig, überwältigend. Er blinzelte und knabberte leicht an ihrem Handgelenk. »Du weißt doch … ich bin verrückt nach dir, Coco.«

Cordelia Calhoun McPike ließ ein geschmeicheltes Lachen hören und tätschelte seine Wange. »Verrückt nach meinen Kochkünsten.«

»Danach auch.« Er grinste jungenhaft, als sie ihm ihre Hand entzog und Kaffee einschenkte. Ein ganz formidables Frauenzimmer, dachte er bei sich. Groß, fantastisches Aussehen, natürliche Grazie. Es wunderte ihn immer wieder, dass die Witwe McPike nicht längst vom nächsten Mann weggeschnappt worden war. »Wen muss ich diese Woche verscheuchen?«

»Jetzt, da The Retreat eröffnet ist, habe ich keine Zeit mehr für ein romantisches Intermezzo.« Sie hätte enttäuscht seufzen können, wenn sie nicht so zufrieden mit ihrem Leben wäre. Alle ihre geliebten Mädchen waren glücklich verheiratet und hatten eigene Babys. Und sie … sie hatte Großnichten und -neffen zum Verwöhnen und angeheiratete Neffen zum Schmusen und – die größte Überraschung – eine glänzende neue Karriere als Chefköchin für das St. James Towers Retreat. Sie stellte Nathaniel die Kaffeetasse hin und schnitt eine zweite Scheibe von der Zitronenrolle, denn sie war seinem sehnsüchtigen Blick gefolgt.

»Du liest mir jeden Wunsch von den Augen ab.«

Jetzt seufzte sie tatsächlich leise. Für Coco gab es nichts Erfrischenderes, als einem Mann dabei zuzuschauen, wie er ihr Essen genoss. Und dieser hier war geradezu ein Paradebeispiel von einem Mann. Die Nachricht von Nathaniel Furys Rückkehr hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet. Groß, dunkel und gut aussehend … wer hatte das übersehen können? Vor allem, wenn noch weitere Attribute wie rauchgraue Augen, ein Grübchen im Kinn, markante Wangenknochen und gold getönte Haut hinzukamen. Ganz zu schweigen von dem beträchtlichen Charme.

Das schwarze T-Shirt und die Jeans, die er heute trug, betonten seine athletische Statur und den durchtrainierten Körper – breite Schultern, muskulöse Arme, schmale Hüften. Und dann war da noch diese geheimnisvolle Aura, die ihn umgab. Ein Hauch von Exotik, die tiefer ging als sein Aussehen, auch wenn die wallende mahagonifarbene Mähne an sich schon exotisch wirkte. Es war seine Ausstrahlung, entstanden durch die Erfahrungen, die er in all den Jahren gesammelt hatte, während er um die ganze Welt und von Hafen zu Hafen geschippert war.

Wäre sie zwanzig Jahre jünger … Na, dachte sie und fuhr sich über das volle kastanienbraune Haar, vielleicht sogar nur zehn …

Doch das war sie nun mal nicht, und so hatte sie Nathaniel den Platz in ihrem Herzen vermacht, der dem Sohn zustand, den sie nie geboren hatte. Sie war fest entschlossen, die richtige Frau für Nathaniel zu finden und ihm zu seinem Glück zu verhelfen. So wie sie es schon bei ihren wunderbaren Mädchen getan hatte.

Denn in der festen Überzeugung, persönlich die Beziehungen ihrer Nichten arrangiert zu haben und somit für deren Glück verantwortlich zu sein, war sie zuversichtlich, dass es ihr bei Nathaniel ebenso gelingen würde.

»Ich habe übrigens gestern Abend dein Horoskop erstellt«, erwähnte sie wie nebenbei und schmeckte den Fischeintopf für das Abendmenü ab.

»So?« Nathaniel führte den nächsten Kuchenbissen zum Mund. Himmel, diese Frau konnte kochen!

»Du wirst in eine neue Lebensphase eintreten, Nate.«

Er hatte zu viel gesehen und erlebt, um Astrologie – oder irgendetwas anderes – als schlichten Humbug abzutun. Also lächelte er. »Da kann ich dir nur voll und ganz zustimmen, Coco. Ich besitze jetzt ein Haus an Land, bin Partner in einem Geschäft und habe meinen Seesack im Schrank verstaut.«

»Nein, das hier ist mehr persönlicher Natur.« Sie hob eine sorgsam gezupfte Augenbraue. »Venus kommt ins Spiel.«

Er grinste breit. »Also heiratest du mich endlich?«

Sie wedelte mahnend mit dem Zeigefinger. »Genau diese Worte wirst du zu einer Frau sagen, und zwar noch bevor der Sommer vorüber ist. Um genau zu sein, ich habe gesehen, dass du dich zweimal verliebst. Ich bin mir nicht ganz sicher, was das bedeutet.« Sie runzelte die Stirn. »Dabei sah es mir nicht so aus, als würdest du vor eine Wahl gestellt, auch wenn es da reichlich Widerstände und Schwierigkeiten zu überwinden gab. Vielleicht sogar Gefahr.«

»Wenn ein Mann sich mit zwei Frauen einlässt, dann bettelt er geradezu um Schwierigkeiten.« Nathaniel war es im Moment durchaus recht, sein Leben nicht durch Frauen zu verkomplizieren. Frauen erwarteten grundsätzlich bestimmte Dinge von einem Mann, und für die nächste Zeit stand auf seinem Plan nur die Erfüllung der eigenen Erwartungen. »Und da mein Herz allein dir gehört …« Er stand auf und ging zum Herd, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.

Der Tornado traf die Küche ohne Vorwarnung. Die Tür flog auf, und drei kleine Wirbelwinde stürmten herein.

»Tante Coco! Sie sind da!«

»Ach du meine Güte!« Coco presste eine Hand auf das erschreckt in ihrer Brust klopfende Herz. »Alex, du hast mich gerade mindestens ein Jahr meines Lebens gekostet!« Doch sie lächelte und blickte auf den dunkeläugigen Jungen neben Alex. »Bist das wirklich du, Kevin? Du bist ja mindestens einen Kopf größer geworden. Gibst du deiner Tante Coco keinen Kuss zur Begrüßung?«

»Doch, Ma’am.« Gehorsam trat Kevin vor, auch wenn er sich alles andere als sicher fühlte. Er wurde von weichen Armen umfangen und an eine wohlriechende Brust gedrückt. Es beruhigte die aufgeregt hüpfenden Frösche in seinem Magen etwas.

»Es ist so schön, dass ihr endlich da seid.« Ein feuchter Schimmer trat in Cocos Augen. »Jetzt lebt die ganze Familie unter einem Dach. Kevin, das ist Mr Fury. Nate, mein Großneffe.«

Nathaniel wusste Bescheid darüber, wie dieser Widerling Baxter Dumont ein naives Mädchen schwanger hatte sitzen lassen, kurz vor der Hochzeit mit Suzanna. Und so, wie der Junge ihn beäugte, kannte der Kleine die Geschichte auch – oder zumindest einen Teil davon.

»Willkommen in Bar Harbor.« Er bot dem Jungen die Hand.

»Nate und meinem Dad gehört gemeinsam der Bootsladen.« Die aufregende Neuigkeit, bei jeder Gelegenheit »mein Dad« sagen zu können, würde sich bei Alex vorerst wohl nicht so schnell abnutzen. »Kevin will Wale sehen«, sagte er zu Nathaniel. »Er kommt aus Oklahoma, da gibt es nämlich keine. Die haben da kaum Wasser.«

»Natürlich haben wir Wasser«, verteidigte Kevin seine Heimat sofort. »Und Cowboys.« Damit konnte Alex bestimmt nicht mithalten! »Die habt ihr hier nicht.«

»Doch!« Das kam von Jenny. »Ich habe ein richtiges Cowboy-Kostüm.«

»Cowgirl-Kostüm«, verbesserte Alex altklug. »Weil du ein Mädchen bist.«

»Nein, es ist ein Cowboy-Kostüm.«

»Ist es nicht!«

Jenny kniff drohend die Augen zusammen. »Ist es wohl!«

»Na, wie ich sehe, ist alles beim Alten geblieben.« Suzanna trat ein und warf ihren beiden Kindern einen warnenden Blick zu. »Hallo, Nate. Dich hätte ich nicht hier erwartet.«

»Das Glück meinte es gut mit mir.« Nathaniel legte Coco den Arm um die Schultern. »Mein Liebling hat mir eine ganze Stunde ihrer Zeit gewährt.«

»Flirtest du schon wieder mit Tante Coco?« Doch da sah sie, wie sein Blick schon weiter zu Megan glitt. Sie erinnerte sich noch gut an seinen durchdringenden Blick bei ihrer eigenen ersten Begegnung. Die grauen Augen musterten, wägten ab, schätzten ein. Unwillkürlich legte sie Megan die Hand auf den Arm. »Megan O’Riley«, stellte sie vor. »Nathaniel Fury, Holts Partner – und Tante Cocos neueste Eroberung.«

»Angenehm.« Megan musste wohl doch müder sein als angenommen. Denn warum sonst sollte dieser klare, ruhige Blick aus den grauen Augen ihr einen Schauer über den Rücken jagen? Hastiger, als es die Höflichkeit erlaubte, wandte sie sich Coco zu. »Du siehst großartig aus, Coco.«

»Oh, und dabei stehe ich hier in meiner Schürze. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit, mich etwas frisch zu machen.« Coco umarmte Megan zur Begrüßung. »Komm, ich bereite schnell etwas für euch zu. Ihr müsst nach dem Flug hungrig sein.«

»Ein wenig, ja.«

»Die Koffer haben wir bereits nach oben gebracht, und Christian liegt schon in seinem Bettchen.«

Während Suzanna die Kinder an den Tisch setzte und munter plauderte, nutzte Nathaniel den Moment, um sich Megan O’Riley genauer anzusehen.

Kühl wie eine atlantische Brise, entschied er. Ein wenig gereizt und mitgenommen von der Reise, aber nicht willens, es sich anmerken zu lassen. Dieser Pfirsichteint und das rotblonde lange Haar waren eine wirklich augenfällige Kombination.

Normalerweise bevorzugte Nathaniel bei Frauen den dunklen, lasziven Typ, doch all dieses Rosé und Gold hatte durchaus seine Reize, wie er zugeben musste. Sie hatte blaue Augen, blau wie das Meer bei Morgengrauen. Und einen sturen Zug um den Mund, wie er bemerkte. Aber die Lippen verzogen sich weich, wurden sanft, wenn sie ihren Sohn anlächelte. Etwas zu dünn vielleicht, dachte er, als er den letzten Schluck aus der Tasse trank. Sie konnte gut ein paar von Cocos Mahlzeiten vertragen, dann würde sie schon Fleisch auf die Rippen bekommen.

Megan zwang sich, die Unterhaltung mit Coco und den anderen aufrechtzuerhalten, auch wenn sie sich der genauen Musterung bewusst war. Schon vor Jahren hatte sie sich an diese Blicke gewöhnen müssen, als sie noch sehr viel jünger, ledig und schwanger von einem verheirateten Mann gewesen war. Als ledige Mutter war sie in den Augen mancher Männer Freiwild, eine leichte Beute. Eine, die leicht herumzukriegen war. Und sie wusste, wie sie diese irrige Annahme im Keim ersticken konnte.

Megan hob den Blick und sah Nathaniel direkt in die Augen. Eisig, herausfordernd. Die meisten Männer wandten dann ertappt sofort das Gesicht ab. Nathaniel nicht. Er hielt ihrem Blick stand, bis sie still die Zähne zusammenbiss.

Nicht schlecht, dachte er. Sie mochte mager sein, aber sie hatte Mumm. Grinsend hob er seine Tasse zu einem stillen Toast, dann sagte er zu Coco: »Ich muss los. Da wartet eine Tour auf mich. Danke für den Lunch, Coco.«

»Vergiss das Abendessen nicht. Die ganze Familie kommt zusammen. Um acht.«

Er sah zu Megan. »Das werde ich um nichts auf der Welt verpassen.«

Coco sah auf ihre Armbanduhr und schloss entnervt die Augen. »Wo bleibt dieser Mann nur wieder?«

»Der Holländer?«

»Natürlich, wer sonst. Vor zwei Stunden habe ich ihn zum Metzger geschickt.«

Nathaniel zuckte die Schultern. Sein früherer Schiffskamerad und jetziger Zweiter Koch des Hotels hatte schon immer nach seinem eigenen Zeitplan gelebt. »Wenn ich ihn unten bei den Docks sehe, schicke ich ihn zurück.«

»Ich will einen Abschiedskuss«, verlangte Jenny und jubelte auf, als Nathaniel sie schwungvoll auf den Arm hob.

»Du bist der hübscheste Cowboy auf der ganzen Insel«, flüsterte er an ihrem Ohr. Was Jenny dazu veranlasste, ihrem Bruder einen triumphierenden Blick zuzuwerfen, sobald sie wieder auf dem Boden stand. »Lass mich wissen, wann du in See stechen willst«, sagte Nathaniel zu Kevin, und in Megans Richtung: »War nett, Sie kennenzulernen, Miss O’Riley.«

Kaum dass er zur Tür hinaus war, ließ Jenny sich vernehmen: »Nate ist ein Seemann. Er hat schon alles gesehen und alles erlebt.«

Daran zweifelte Megan keine Sekunde.

Vieles hatte sich auf The Towers verändert, aber die Räumlichkeiten für die Familie in den ersten beiden Etagen im Ostflügel waren die gleichen geblieben. Trent St. James und Megans Bruder Sloan als Architekt hatten sich mit den Plänen für das Hotel auf die zehn Suiten im Westflügel, den neuen Speisesaal für die Gäste und den Westturm konzentriert.

Die Anstrengungen und Investitionen waren nicht umsonst gewesen, wie die schnelle Besichtigungstour, die Megan bekam, ihr bewies. Sloan war es gelungen, bei der Modernisierung den burgähnlichen Charakter des Hauses mit den gewundenen Treppen und hohen Räumen zu erhalten. Die alten Kamine funktionierten wieder, Bleiglasfenster waren originalgetreu ersetzt worden, hohe Flügeltüren führten auf Terrassen, Balkone und Brüstungen hinaus.

Die Lobby war mit erlesenen Antiquitäten möbliert und verfügte über gemütliche Sitzecken, die die Gäste einluden, an einem kalten Wintertag von hier aus den überwältigenden Blick auf die See und die Klippen zu genießen. Oder sie lockten zu einem kleinen Spaziergang durch die üppigen Gärten, die Suzanna mit viel Arbeit und noch mehr Liebe zum Detail angelegt hatte.

Amanda als Hotelmanagerin führte Megan herum und erklärte ihr, dass jede Suite individuell gestaltet war. In den Abstellräumen von The Towers hatten sich wahre Schätze gefunden, von Möbeln über Antiquitäten bis hin zu Gemälden. Was nicht verkauft worden war, bevor die Investition der St.-James-Kette die Renovierung ermöglicht hatte, zierte nun die Gästezimmer.

Und in allen Räumen ließ sich natürlich die Legende der Calhoun-Smaragde und der Frau, der sie einst gehört hatten, nachempfinden.

Das Smaragdcollier selbst, das nach einer langen und gefährlichen Suche endlich gefunden worden war – manche behaupteten, mit der Hilfe der Geister von Bianca Calhoun und Christian Bradford, des Künstlers, der sie geliebt hatte –, war nun in einer Glasvitrine in der Lobby ausgestellt. Über der Vitrine hing ein Gemälde von Bianca, von Christian vor über achtzig Jahren gemalt.

»Es ist unglaublich schön«, flüsterte Megan ehrfurchtsvoll, als sie das Collier bewunderte. Die grünen Steine, eingefasst von wertvollen Diamanten, pulsierten voller Leben hinter dem Sicherheitsglas.

»Manchmal nehme ich mir eine Minute, bleibe stehen und betrachte es. Und dann muss ich daran denken, was wir alle durchgemacht haben, um die Kette zu finden. Und wie Bianca sie damals benutzen wollte, um mit ihren Kindern zu Christian zu fliehen. Eigentlich sollte es mich traurig stimmen, doch die Kette hier unter ihrem Porträt liegen zu haben, scheint mir irgendwie richtig.«

»Ja, das ist es.« Selbst durch das dicke Glas übten die Steine eine magische Faszination aus. »Aber ist es nicht zu riskant, sie so öffentlich zugänglich zu zeigen?«

»Holt hat sich um die Sicherheitsvorkehrungen gekümmert. Wenn man einen ehemaligen Cop in der Familie hat, bleibt nichts dem Zufall überlassen. Kugelsicheres Panzerglas.« Amanda tippte mit dem Finger dagegen. »Und die modernsten Sensoren.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. Eine Viertelstunde blieb ihr noch, bevor sie ihren Pflichten als Hotelmanagerin nachgehen musste. »Ich hoffe, eure Zimmer gefallen euch. Mit der Renovierung des Familienflügels sind wir noch nicht sehr weit gekommen.«

»Oh nein, alles bestens.« Ehrlich gesagt, die Risse im Putz und die zerschrammten Holzbohlen beruhigten Megan sogar. Das war nicht so einschüchternd. »Kevin ist im siebten Himmel. Er ist draußen mit Alex und Jenny. Sie spielen mit dem Welpen.«

Lachend warf Amanda das lange Haar zurück. »Unser Fred und Holts Sadie sind die stolzen Eltern. Acht Junge in einem Wurf.«

»Ganz, wie Alex gesagt hat – jeder kriegt Babys. Und eure Delia ist wundervoll.«

»Ja, das ist sie, nicht wahr?« Amandas Augen leuchteten vor Stolz auf. »Kaum zu glauben, wie sehr sie schon gewachsen ist. Du hättest uns vor sechs Monaten sehen müssen. Alle vier Schwestern die dicken Bäuche vor sich herschiebend und die Männer stolzierend wie die Gockel. Die haben doch tatsächlich Wetten abgeschlossen, wer zuerst niederkommt, Lilah oder ich. Lilah hat mich um zwei Tage geschlagen.« Und da sie zwanzig Dollar auf sich selbst gesetzt hatte, war Amanda immer noch ein wenig verstimmt darüber. »Es ist das erste Mal, dass sie bei etwas Eile hatte.«

»Ihre Bianca ist auch wunderschön. Sie war wach und verlangte lautstark nach Aufmerksamkeit, als ich im Kinderzimmer war. Euer Kindermädchen hat bestimmt alle Hände voll zu tun.«

»Mrs Billows schafft das schon.«

»Ich dachte eigentlich weniger an Bianca, sondern an Max.« Megan lächelte vielsagend, als sie sich daran erinnerte, wie hektisch Biancas Dad in das Zimmer gestürmt war, um seine Tochter auf den Arm zu nehmen.

»Sie hat ihn schon jetzt völlig um den kleinen Finger gewickelt.«

»Wer hat wen um den kleinen Finger gewickelt?« Sloan kam hinzu und hob seine Schwester mit Schwung in die Luft.

»Dich bestimmt nicht, O’Riley«, murmelte Amanda und sah lächelnd zu, wie er strahlend seine Wange an die seiner Schwester drückte.

»Du bist hier!« Er wirbelte mit Megan im Kreis. »Ich bin so froh, dass ihr endlich da seid!«

»Ich auch.« Sie spürte Tränen in den Augen brennen und drückte ihren Bruder fest. »Daddy!«

Lachend setzte er sie ab und schlang seiner Frau den Arm um die Taille. »Hast du sie schon gesehen?«

»Wen?«, fragte Megan gespielt ahnungslos.

»Mein Mädchen, meine Delia.«

»Oh, sie.« Megan zuckte scheinbar desinteressiert mit den Schultern. Doch dann musste sie über Sloans entsetztes Gesicht lachen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich habe sie nicht nur gesehen, ich habe sie gehalten und mit ihr geschmust. Und ich gedenke, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ganz schrecklich zu verwöhnen. Sie ist einfach wunderbar, Sloan. Sie sieht aus wie Amanda.«

»Ja, nicht wahr?« Er küsste seine Frau zärtlich. »Aber das Kinn, das hat sie von mir.«

»Das ist definitiv ein Calhoun-Kinn«, protestierte Amanda.

»Nein, auf keinen Fall. Zweifelsfrei ein O’Riley-Kinn. Da wir gerade von den O’Rileys sprechen … wo ist denn Kevin?«

»Draußen. Ich sollte ihn hereinrufen. Wir haben noch nicht einmal ausgepackt.«

»Lass uns zusammen gehen«, schlug Sloan vor.

»Geht ihr nur. Ich habe gleich Dienst.« Amanda hatte den Satz noch nicht zu Ende gebracht, als das Telefon an der Rezeption zu klingeln begann. »Meine Pause ist vorbei. Wir sehen uns dann beim Dinner, Megan.« Sie hob das Gesicht und küsste ihren Mann zärtlich. »Dich sehe ich hoffentlich früher, O’Riley.«

»Mmh …« Mit einem zufriedenen Seufzer sah Sloan seiner Frau nach. »Ich liebe den Gang dieser Frau.«

»Du siehst sie immer noch mit dem gleichen Blick an wie vor einem Jahr bei eurer Hochzeit.« Megan hängte sich bei ihm ein, als sie Seite an Seite auf die Terrasse hinausgingen. »Das ist schön.«

»Sie ist …« Er suchte nach dem passenden Wort und entschied sich für die schlichte Wahrheit. »… alles für mich. Ich wünsche mir, dass du genauso glücklich wirst.«

»Ich bin glücklich.« Eine leichte Brise spielte mit ihrem Haar und trug Kinderlachen heran. »Dieser Laut macht mich glücklich. Hier zu sein macht mich glücklich.« Sie traten von der Terrasse herunter und wandten sich in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. »Ich muss zugeben, ein bisschen nervös bin ich schon. Es ist ein so großer Schritt.« Sie blickte zu ihrem Sohn, der hoch oben auf dem Fort stand und die Arme in Siegerpose in die Luft reckte. »Aber für ihn ist es gut.«

»Und für dich?«

»Für mich auch.« Sie schmiegte sich an ihren Bruder. »Natürlich werde ich Mom und Dad vermissen, aber die beiden haben schon gesagt, dass sie jetzt zwei Gründe haben, zu Besuch zu kommen.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Kevin soll die Familie kennenlernen. Und ich … ich brauchte eine Veränderung, eine neue Herausforderung.« Sie sah zu Sloan hoch. »Ich hatte Amanda gebeten, mich einzuweisen.«

»Und sie hat dir sicher gesagt, dass du deine Bleistifte eine Woche lang nicht anrühren sollst, oder?«

»So etwas Ähnliches, ja.«

»Wir haben nämlich auf der letzten Familiensitzung beschlossen, dass du dir erst einmal Zeit lassen sollst, um dich einzugewöhnen. Eine Woche, bevor du anfängst, Zahlen in die Rechenmaschine einzutippen.«

»Ich brauche keine Woche, ich …«

»Ja, ich weiß, ich weiß. Was Effizienz angeht, könntest du Amanda glatt den Rang ablaufen. Aber die Anweisung lautet nun mal, dass du dir eine Woche Urlaub nimmst.«

Sie hob skeptisch eine Augenbraue. »Und wer gibt hier die Anweisungen?«

»Alle.« Sloan grinste. »Das macht es ja so außerordentlich interessant.«

Gedankenversunken ließ sie den Blick auf das Meer hinauswandern. Der Himmel war klar und wolkenlos, der leichte Wind kündete vom herannahenden Sommer. Von der Stelle, an der sie jetzt standen, konnte Megan im kristallklaren Wasser eine Inselgruppe am Horizont ausmachen.

Eine völlig andere Welt als die endlos weite Prärie zu Hause, dachte sie. Und vielleicht auch ein anderes Leben, für sie und ihren Sohn.

Eine Woche. Um zu entspannen, um sich in Ruhe einzugewöhnen, um Zeit mit Kevin zu verbringen und mit ihm auf Entdeckungsreise zu gehen. Verlockend, oh ja. Aber alles andere als verantwortungsbewusst. »Ich will nicht untätig hier herumsitzen, sondern etwas beisteuern.«

»Das wirst du noch früh genug, glaub mir.« Als ein Schiffshorn ertönte, wandte Sloan das Gesicht zum Meer. »Das ist eines von Holts und Nates Booten.« Er zeigte auf die große Yacht, die majestätisch durchs Wasser pflügte. »Die ›Mariner‹. Sie bringen die Touristen hinaus, um Wale zu sichten.«

Die Kinder standen jetzt alle oben auf dem Fort und winkten rufend dem Boot zu.

»Nate wirst du beim Dinner kennenlernen«, meinte Sloan.

»Ich habe ihn schon getroffen.«

»Hat er sich wieder eine Mahlzeit von Coco erschmeichelt?«

»Sah ganz danach aus.«

Sloan schüttelte den Kopf. »Ich sage dir, was der Mann verdrücken kann … Und, welchen Eindruck hast du von ihm?«

»Ich habe ihn ja kaum gesehen. Er schien mir auf den ersten Blick ein wenig rau und dreist.«

»Du gewöhnst dich schon an ihn. Er gehört jetzt zur Familie.«

Megan gab nur einen unverständlichen Laut von sich. Nathaniel Fury mochte zur Familie gehören, aber das bedeutete nicht automatisch, dass sie ihn sympathisch finden musste.

2. KAPITEL

Cocos fester Überzeugung nach war Niels van Horne ein höchst unerfreulicher Zeitgenosse. Er scherte sich keinen Deut um das, was sie ihm sagte – weder um konstruktive Kritik noch um vorsichtig an ihn herangetragene Ratschläge. Und Coco gab sich wirklich alle Mühe, höflich zu bleiben, der Himmel war ihr Zeuge! Denn erstens war der Mann ein Mitglied des Teams im The Towers und zweitens ein guter Freund von Nathaniel.

Doch er saß ihr wie ein stechender Dorn in der Seite, er war das lästige Sandkorn im ansonsten makellos funktionierenden Getriebe ihrer Zufriedenheit.

Es fing schon damit an, dass er schlicht und ergreifend zu groß war. Die Küche des Hotels war perfekt organisiert, um den reibungslosen Ablauf aller Handgriffe zu garantieren. Sloan und Coco hatten bei der Planung eng zusammengearbeitet, hatten die Kücheneinrichtung auf Cocos Wünsche zugeschnitten. Coco war begeistert von den professionellen Herden aus blinkendem rostfreien Stahl, den weißen Arbeitsplatten und der kaum hörbaren großen Spülmaschine. Sie liebte es, wenn die Küche sich mit den köstlichen Kochdüften füllte, wenn die Abzugshauben summten und der Fliesenboden blitzblank schimmerte.

Und dann kam van Horne – Dutch, wie er sich nannte. Der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, mit Schultern wie ein Schrank und tätowierten Armen wie Baumstämmen. Er weigerte sich strikt, eine von den weißen Schürzen mit dem eingestickten blauen Namenszug des Hotels zu tragen, bestand auf aufgerollten Hemdsärmeln und seiner verblichenen Jeans, die weiß Gott bessere Tage gesehen hatte.

Das graue Haar hielt er im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammen, und sein Gesicht – meist in grimmige Falten gelegt – war genauso groß wie der Rest von ihm. Hellgrüne Augen blitzten über der krummen Nase, krumm, weil sie in früheren Schlägereien, mit denen er so gern prahlte, immer wieder gebrochen worden war. Seine Haut war wettergegerbt und braun wie Leder. Und was seine Ausdrucksweise anging … Coco hielt sich keineswegs für prüde, aber sie war eine Lady – was den Mann scheinbar nicht interessierte.

Doch kochen konnte er wie ein junger Gott. Nur das ließ sie ihn überhaupt ertragen.

Während Dutch jetzt am Herd stand, beaufsichtigte sie die beiden Unterköche. Als Spezialität des Tages stand heute ihr Fischeintopf und gefüllte Forelle à la française auf der Karte. Bisher lief alles wie am Schnürchen.

»Mr van Horne«, setzte sie mit diesem Tonfall an, bei dem sich unweigerlich seine Nackenhärchen aufrichteten. »Sie übernehmen, solange ich unten bin. Ich erwarte keine Probleme. Sollten jedoch welche auftauchen, so finden Sie mich im Familienesszimmer.«

Er warf ihr einen verächtlichen Blick über die Schulter zurück zu. Die Frau hatte sich herausgeputzt wie ein Pfau, so als würde sie in die Oper wollen. Ganz in roter Seide und mit Perlen. Er hätte ja gern verächtlich geschnaubt, aber dann wäre ihm nur ihr Parfüm in die Nase gestiegen, und das würde ihm die Freude am Duft seines Curry-Reises nehmen.

»Ich hab für dreihundert Männer gekocht«, brummte er. »Da werde ich sicher mit einem Dutzend milchgesichtiger Touristen fertig.«

»Mit Sicherheit verfügen unsere Gäste über einen ausgewählteren Geschmack als dreihundert auf einem halb verrosteten Kahn eingepferchte Matrosen«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

Einer der Kellner kam durch die Schwingtür, die Arme voll abgeräumter Teller. Dutchs Blick blieb auf einer nur halb gegessenen Vorspeise haften. Auf seinem Schiff war niemals etwas auf den Tellern liegen geblieben. »Diese Gäste sind wohl nicht besonders hungrig, was?«

»Mr van Horne, Sie werden sich unter keinen Umständen außerhalb dieser Küche sehen lassen. Ich erlaube nicht, dass Sie noch einmal in den Speisesaal marschieren und unseren Gästen eine Standpauke über deren Essgewohnheiten halten. Und etwas mehr Garnierung auf die Salate, bitte«, instruierte sie einen der Unterköche noch, bevor sie zur Tür hinausschwebte.

»Ich kann dieses eingebildete Frauenzimmer nicht ausstehen«, knurrte Dutch unter angehaltenem Atem. Wenn Nate nicht wäre … Dutch van Horne würde sich niemals etwas von einer Frau sagen lassen!

Nathaniel hatte keine solchen Probleme mit der holden Weiblichkeit. Im Gegenteil, er liebte die Frauen, ausnahmslos. Er erfreute sich an ihrem Aussehen, ihrem Duft, ihrem Lachen. Äußerst zufrieden darüber, seine Zeit in der Gesellschaft von sechs der bestaussehenden Frauen verbringen zu können, die er je getroffen hatte, saß er im Familienesszimmer am Tisch.

Die Calhoun-Frauen entzückten ihn immer wieder aufs Neue – Suzanna mit ihren sanften Augen, Lilahs träge Sinnlichkeit, Amandas patente Art, C.C.s kesses Lächeln, ganz zu schweigen schließlich von Cocos femininer Eleganz.

Für ihn war The Towers sein ganz eigenes Paradies auf Erden.