Die Höfe im Dobl - Paul Friedl - E-Book

Die Höfe im Dobl E-Book

Paul Friedl

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Beschreibung

Im Dobl, wie ein stilles Tal im Bayerischen Wald genannt wird, liegen zwei Höfe, deren Bewohner seit Jahren miteinander verfeindet sind. Einer der Bauern stirbt kinderlos, und so kommt als Erbe sein Neffe aus der Stadt auf den Hof. Wie nach einiger Verwirrung wieder Frieden zwischen den Bauern im Dobl einkehrt, erzählt Paul Friedl in seiner brillanten Art.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2008

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Michael Wolf, München

eISBN 978-3-475-54682-2 (epub)

Worum geht es im Buch?

Paul Friedl

Die Höfe im Dobl

Der Dobl, das ist ein stilles Tal im Bayerischen Wald. Dort liegen zwei Höfe, deren Bewohner seit Jahren miteinander verfeindet sind. Einer der Bauern stirbt kinderlos, und so kommt als Erbe sein Neffe aus der Stadt auf den Hof.

Wie nach einiger Verwirrung wieder Frieden zwischen den Bauern im Dobl einkehrt, erzählt Paul Friedl in seiner brillanten Art.

Unter dem Fuchsberg sah es aus, als hätte ein Waldriese ein Loch in den Höhenzug graben wollen, und dieses enge Seitental, umsäumt vom Wald, nannten sie im Dorf den nassen Dobl. Er gab gerade soviel freien Platz, daß sich auf beiden Seiten des Fuchsbächleins je ein mageres Waldbauernhöfel hatte ansiedeln können. Der kleine Bach kam vom Berg und teilte die steindürren Felder und nassen Grundwiesen der beiden Höfe als natürliche Grenze.

Die beiden Doblbauern, der Wurzer und der Kerndl, hatten es zu keiner Zeit zu Reichtümern gebracht, und während sich drunten das Dorf wandelte, neue, ziegelgemauerte Häuser und Höfe vom Wohlstand zeugten, blieb es im Dobl bei den alten, mit groben Feldsteinsockeln untersetzten Holzhäusern und den angebauten altersgrauen Ställen und Stadeln. Knorrige Kirschbäume und buschige Hollerstauden stellten sich schützend um die wetterbraunen Balkenwände mit den winzigen Fenstern, zu denen die roten Ziegeldächer gar nicht recht passen wollten. Vor Jahren hatte der Wurzer, der die bessere Talseite hatte, aufgestockt und über der Haustür eine Altane mit gedrechselten Säulen angebracht, von der aus man drunten das Dorf liegen sah, während der einschichtig lebende Kerndl sich mit seinem niederen Wohnhaus zufrieden gab und dafür einen neuen hohen Stadel anbaute.

Zwischen den beiden Doblhöfen hatte es nie eine gute Nachbarschaft gegeben, und solange der alte Kerndl noch lebte, hatten sie sich oft die gegenseitige Abneigung über das Fuchsbachl hinweg zugeschrien, bis sie heiser wurden. Diese Feindschaft, deren Anlaß und Ursache keiner der beiden mehr kannte, weil sie schon durch drei Generationen andauerte, brachte die Doblbauern auch im Dorf in Verruf und hatte sie sonderlich gemacht.

Als im nassen Dobl der letzte Schnee verging, schlief auch der alte Kerndl ein und erwachte nicht mehr. Man trug ihn aus dem Haus, in dem er als Achtzigjähriger zuletzt nur noch mit seiner Hauserin, der Nanndl, und zwei Kühen gewirtschaftet und sich abgerackert hatte, legte ihn auf den klappernden Heuwagen und fuhr ihn ins Dorf. Es gab nicht viele Leidtragende, und als letzte folgten dem traurigen Leichenzug der alte Wurzer mit Sohn und Schwiegertochter. Sie spritzten rasch einige Tropfen Weihwasser in das offene Grab und gingen in den Dobl zurück.

Beim Wurzer wurde nicht viel geredet, aber sie hatten doch stets die gleichen Gedanken, die sich mit einem Wort zusammenschalten ließen. Als sie durch den Birkenberg zum Dobl hinaufstiegen, maulte, nach dem langen Schweigen, der junge Wurzer:

„Jetzt wenn wir Geld hätten …“

Der alte Bauer und die junge Bäuerin dachten den Satz zu Ende: Dann könnte man das Zeug des verstorbenen Nachbarn kaufen, und im Dobl gäb es nur mehr einen einzigen Bauern.

Sie gingen viele Schritte, bis der Alte aus dem zahnlosen Mund im faltigen und verwitterten Gesicht seine Meinung gab:

„Hättest eine mit Geld geheiratet und net so eine arme Bauerndirn …“

Der jungen Bäuerin lief die Röte ins Gesicht.

„Wenn es eine so Dumme gegeben hätte! Ihr habt ja einen Trampel gebraucht, der wie ein Ochs arbeitet“ , antwortete sie spitzig.

Dieses Gespräch reichte für den Rest des Vormittags. Sie überließen sich wieder ihren gärenden Gedanken und begannen erst nach dem Mittagessen wieder zu reden.

„Ist gar kein Verwandtes bei der Beerdigung gewesen.“

Damit hatte die Bäuerin, eine große und kräftige Frau mit einem energischen, aber hübschen Gesicht, wieder das getroffen, was sie alle gerade dachten.

„Von seiner Schwester muß noch ein Bub da sein, aber net einmal der ist da gewesen“ , meinte der alte Wurzer und wackelte mit dem grauen Kopf.

Und der junge Bauer zahnte: „Ist ja wenigstens die Nanndl als tieftrauernd Hinterbliebene dagewesen, aber hast es gesehen? Net ein einziger Tropfen ist ihr aus den Augen gekommen, und vor dem Grab ist sie gestanden, als wär sie die Kerndlbäuerin gewesen!“

„Vielleicht erbt sie“ , muffelte der alte Wurzer. „Hat ihm ja ihr Lebtag die Arbeit getan und hat genug aushalten müssen bei dem alten Grobian und Geizkragen. Lohn wird sie net viel bekommen haben. Kann schon sein, daß er ihr dafür das abgewirtschaftete Gütl überlassen hat.“

„Was will sie denn damit?“ regte sich die Marie auf: „Ist ja auch schon im Sechziger!“

Langsam und bedächtig legten sie den Löffel hin und versuchten, einander die Gedanken von den Augen abzulesen.

„Wird sie halt verkaufen müssen.“

Dazu schüttelte die Marie den Kopf und listete ihren Mann hintergründig an: „Sie kann ja auch heiraten.“ Der Seitenblick, den sie dabei auf den Alten warf, sagte dem jungen Bauern, was sie meinte.

Der alte Wurzer hatte diesen Blick auch bemerkt, und in seinem Gesicht zuckten die Falten. Nun dachten sie alle drei wieder das gleiche und schwiegen eine Weile.

Draußen war ein verschleierter Spätmärzentag. Aus dem Wald und den nassen Wiesen dunstete es, und die Sonne stand wie hinter einem seidenen Vorhang.

„Meinst du mich?“ knarrte der Alte endlich.

„Freilich!“

Die Marie erhob sich und begann den Tisch abzuräumen, und der Sepp kratzte in seiner Stummelpfeife.

„Kaufen könnt ihr das Gütl net, aber heiraten könntest die Nanndl alleweil noch.“ Die Marie stieß das Geschirr klappernd in das Spülschaff und stichelte weiter: „Lang wird sie es auch nimmer machen, und die paar Jährlein wirst du es mit ihr schon aushalten können. Dann kommt die Kerndlsache auf billige Weise zu unserm Hof.“

„Ei, ei, ei“ , zweifelte der Alte. „Du bist eine ganz Schlaue!“ Das graue Haar stand ihm wirr vom Kopf, und erschrocken stöhnte er: „Tut mir das net an!“

„Die Marie hat recht“ , meinte der Sepp trocken. „Wenn du überlegst, Vater, dann ist das wirklich das Beste.“

„Vater, das tust! Gar so übel ist die Nanndl auch net“ , schürte die Marie vom Ofen her.

„Freilich — freilich wär das eine Sache“ , ächzte der alte Bauer und wand sich, als hätte er Bauchschmerzen, „aber warum soll ich —“

Doch der Sepp malte schon die Zukunft aus: „Die Äcker und Wiesen wären net schlecht, und das alte Haus tät ich wegreißen lassen. Dann wär ich erst ein richtiger Bauer und könnt noch vier oder fünf Kühe einstellen, so aber bin ich ein Fretter.“

„Ei, ei, ei“ , wunderte sich der alte Bauer wieder über diesen Einfall. Überlegend sich den Kopf kratzend, trat er ans Fenster. Auf dem Weg vom Dorf her kam gerade die Hauserin des verstorbenen Nachbarn, stapfte mit flatterndem Kittel dem kleinen Holzbrückl zu, das über den Fuchsbach zum Kerndlhof hinüberführte, sah zum Wurzerhof herauf und spuckte in weitem Bogen auf die Wiese.

„Die Nanndl wird halt net wollen“ , bangte er und dachte dabei, daß ihm dann wohl vieles erspart bliebe. Hin- und hergerissen sah er der dicken Hauserin nach, die schon recht mühselig die kleine Anhöhe hinaufstieg. Billiger konnte man die Kerndlsach nicht haben. Wenn er in diese Erbschaft hineinheiratete, fiel sie einmal dem Wurzerhof zu, ohne daß man dafür einen Pfennig Geld ausgeben mußte. War doch gut gewesen, man hätte sich, wenigstens in der letzten Zeit, mit dem Kerndl und seiner Hauserin besser gestellt. So aber war zeitlebens die Feindschaft zwischen den Nachbarn gewesen, und er konnte sich kaum erinnern, jemals mit der Nanndl ein freundliches Wort gewechselt zu haben. Wenn der Kerndl seinen Zorn über das Fuchsbachl herüberschimpfte, dann war ja immer die Hauserin dabeigewesen und hatte aus dem Hinterhalt mitgebelfert.

Das würde dumm aussehen, wenn er jetzt sich drüben bei der Hauserin anbiedern und ihr gar einen Heiratsantrag machen müßte. Dunnerkeil! Wenn man aber einen Hof geschenkt bekommen konnte, dann mußte man eben die Nanndl als Dreingab mitnehmen.

Gar so dumm hatten sich das der Sepp und die Marie gar nicht ausgedacht. Sie brauchten ja mit der Nanndl nicht zusammenzuleben!

Da stand das alte Kerndlhaus drüben auf der Höhe, braun und geduckt, mit dem großen Stadel, der das Haus weit überragte. Die Kirschbäume setzten schon die Knospen an, und der Hahn führte seine Hühnerschar über die Hauswiese. Und dahinter stieg der Wald zum Fuchsberg auf, ein Wald, der, durch Generationen geschont, einen prächtigen Bestand hatte.

„Tät mir das gar net lang überlegen, Vater“ , hetzte die Marie vom Ofen her, und, den Blicken seines Vaters folgend, gab der Sepp dazu: „Schon allein der Wald! Alles schlagbar! Der bringt einen Haufen Geld! Die nassen Wiesen könnt ich drainieren lassen. Oder ich kauf mir Maschinen. Die Schinderei mag ich dann nimmer. Zu den großen Bauern im Dorf könnten wir uns zählen, so aber sind wir und bleiben wir ewig notige Kleinbauern.“

„Ist ja alles recht“ , wehrte sich der Alte, „aber wie soll ich denn das machen? Die Nanndl springt mir ins Gesicht, wenn ich hinübergehe und ihr sage, daß ich sie heiraten möchte. Heilige Kummernus!“

Da hakte wieder die Marie ein: „Dann wäre der leidige Streit um die Kummernuskapelle auch abgetan. Müssen früher sowieso einmal eins gewesen sein, die zwei Höfe, weil die Kapelle noch zu beiden gehört. Und die heilige Kummernus wird dir schon helfen, wenn du ihr versprichst, daß du die Kapelle neu herrichten läßt.“

„Meinst?“

„Freilich!“ tat sie eifrig. „Wir müssen uns halt ein wenig nett zur Nanndl stellen. Jetzt ist sie ja allein und wird eine Hilfe brauchen.“

„Da hast du recht. Auf diese Weise könnt es gehen“ , war der Alte überrascht. „Du bist eine ganz Raffinierte!“

„Ich, an deiner Stelle, tät gleich heut noch hinübergehen und mit ihr reden. Sonst überlegt sie es sich anders und verkauft schließlich doch. Dann haben wir das Nachsehen.“

Die junge Bäuerin gab dem Sepp einen Deuter, und sie verließen die Stube zur Stallarbeit.

„O du liebe Zeit, das ist eine zuwidere Sache!“ redete der zurückgebliebene Alte mit sich selber und rieb sich das lange Kinn. „Aber ich bin auch erst siebzig und noch gut beisammen! Und die Nanndl? Ei, ei, ei, ist das eine Geschichte! Aber warum auch nicht? Die Äcker und die Wiesen sind net schlecht, ein wenig vernachlässigt, aber das wär zu richten — und der Wald? Das ist allein schon ein Vermögen! Den Nachbarn hat ja jedes Bäuml gereut.“

Wie ein Wurm bohrten die Wünsche und die Bedenken in ihm. Der Schweiß perlte auf seiner zerfurchten Stirn, und er wandte sich vom bachseitigen Fenster ab, ging zu der talseitigen Stubenwand und öffnete dort eines der kleinen Fenster, denn die bachseitigen, durch die man zum Kerndl hinüberschauen konnte, waren seit urdenklichen Zeiten nicht mehr aufgemacht worden. Uber dem Birkenweg unter den nassen Wiesen ragte gerade noch die Kirchturmspitze, und die lenkte seine Überlegungen wieder auf eine andere Seite.

Wenn es im Dobl nur mehr einen Bauern gäbe, den Wurzer, der, den Kerndlhof eingerechnet, sich mit jedem Dorfbauern messen könnte? Immer hatten sie da drunten die Kleinbauern aus dem nassen Dobl von oben herab angesehen und sich über sie lustig gemacht! Dann könnte man sich hinstellen beim Kirchgang und sich am Ärger der anderen freuen!

O heilige Kummernus, war das eine Geschichte!

Da mußte er sich schon arg zusammennehmen, um das gut zu überstehen. Die Jungen hatten leicht reden!

Teixl, Teixl!

Probieren würde er es müssen, sonst konnte er es im eigenen Haus nimmer aushalten, wenn drüben wirklich ein anderer sich einkaufen oder gar einheiraten sollte!

Er und die Nanndl! Da drüben miteinander wirtschaften?

Wie ein schwaches Lichtlein glomm in seinem tiefsten Innern die Hoffnung, daß die Nanndl ihn wohl gar nicht nehmen würde. Er riß sich zusammen.

Probieren mußte er es — und das schon heute!

Als wäre es schon zum Abschiednehmen, so sah er sich in der alten Stube um, drehte die Augen zur kohlschwarzen Balkendecke, gegen die der Suppendampf von Generationen gestiegen war und der Pfeifenrauch von mehr als zweihundert Jahren, von der mehr Seufzen und Weinen als Lachen und Singen aufgefangen worden war. Tisch und Bank waren abgewetzt und angebitzelt, und die himmelblau gekalkten Wände trugen den Spiegel, das Hochzeitsbild, den Herrgott im Tischeck und die buntleuchtenden Hinterglasbilder der Gottesmutter und des heiligen Josef.

Was würde sein verstorbenes Weib sagen? Wenn er daran dachte, war ihm nicht wohl, denn seine Selige hatte zu ihren Lebzeiten die Nanndl nie leiden können und mit ihr manches Wortgefecht über das Fuchsbachl hinweg ausgetragen. Damals konnte man freilich noch nicht ahnen, daß es einmal von der Nanndl abhängen würde, wie sich die Besitzverhältnisse im Dobl gestalteten. Wäre der Kerndl nicht ein so schrulliger lediger Kauz gewesen, dann könnten dort drüben sowieso leibliche Nachkommen sein.

Ruhelos tappte der alte Bauer in der Stube hin und her, gebeugt und seufzend, als hätte er einen inwendigen Schmerz.

Der Gang nach drüben blieb ihm also nicht erspart, und so wollte er es auch bald hinter sich bringen. Dazu aber brauchte er eine leibliche und seelische Stärkung. Er war gerade dabei, aus dem Wandschränkchen die Wacholderschnapsflasche zu holen und einen kräftigen Schluck zu nehmen, als die Marie in die Stube kam.

„Geh nur gleich, Vater“ , redete sie ihm gut zu. „Hast noch das Sonntagsgewand an, und heut ist gerade der richtige Tag.“

Sie zog ihm die Schuhe an, steckte ihn in die Feiertagsjoppe und band ihm das Halstuch. Dann setzte sie ihm den Hut auf und schob ihn zur Tür. Der Alte wehrte sich nicht, machte aber ein Gesicht, als wäre er an diesem Tage zum zweitenmal auf dem Wege zu einer Beerdigung.

„In Gottesnamen“ , seufzte er, „entweder lacht sie mich aus, oder sie zerkratzt mir das Gesicht, an etwas anderes glaube ich net.“

Er tupfte den Finger in das Weihwasserglas am Türstock, bekreuzte sich und verließ das Haus.

Der weißliche Dunst war zur Donau gezogen, und nun wärmte die Sonne von einem blauseidenen Himmel in den Dobel. Der Anblick des kleinen Talwinkels heiterte den Wurzer auf, und seine immer noch hellsichtigen Augen betrachteten mit Wohlgefallen die Wiesen und Äcker der beiden Höfe, die ringsum der Wald säumte.

Wenn das zu einem Besitz zusammenkäme!

Die seelische Stärkung brauchte er noch, damit auch wirklich alles getan war, was helfen konnte, dann wollte er es wagen.

So stieg er hinter dem Hof bergan, wo droben unterm Fuchsbergwald eine Kapelle stand, flankiert von zwei Vogelbeerbäumen. Dort stieß das Fuchsbächlein, aus dem Walde kommend, gegen einen großen Stein, teilte sich, umfing ein stubengroßes Wiesenflecklein und fand sich dann wieder zu einem Wasserlauf zusammen, um gluckernd zwischen den Doblhöfen ins Tal zu eilen.

Die kleine, vom Bergwasser umschlossene Insel war zu Urgroßvaters Zeiten der Zankapfel zwischen dem Kerndlbauern und dem Wurzerhof gewesen, und der über ein Jahrzehnt dauernde Prozeß hatte erst mit einem Vergleich geendet, als die Doblbauern nichts mehr besaßen, was sie noch zum Advokaten oder zum Gericht tragen konnten. Bei diesem Vergleich wurde die Kapelle, die schon seit urdenklichen Zeiten auf dieser Insel stand, beiden Höfen zugesprochen, und die Vorfahren hatten sich verpflichtet, sie gemeinsam zu unterhalten. Zwar hatte der letzte Kerndl dazu nichts mehr getan, aber die Wurzerischen ließen das aus Feldsteinen gemauerte Häuschen mit dem verschindelten Türmchen nicht verkommen und trugen dafür auch ihre Sorge zu der seltsamen Heiligen, die an der Rückwand im Innern vor zwei knarzenden und wackelnden Betstühlen angebracht war.

Die heilige Kummernus.

Ihr Name stand nicht im Kalender, und doch gab es sie. Der alte Dorfpfarrer hatte ihre Geschichte gekannt und bei den Bittgängen im Monat Mai in die Heiligenlitanei auch die heilige Kummernus eingeschaltet. Wenn er diese anrief, dann antworteten die Dörfler und besonders die Doblbauern mit einem besonders lauten und inbrünstigen „Bitt für uns!“

Daß der verstorbene Kerndl sich oft in der Abenddämmerung oder am frühesten Morgen zur Kapelle geschlichen hatte, obwohl er für die Erhaltung der Kapelle keinen Pfennig ausgeben wollte, weil er sie nicht brauchte, das wußten die Wurzerleute wohl.

Wenn also die beiden Anwesen zusammengehörten, dann war auch der Unfrieden um die alte Kapelle aus der Welt geschafft.

Wenn er aber an die Nanndl dachte, dann lag ihm das Herz wie ein Stein in der Brust und seine Schritte wurden langsamer.

Vom Waldrand herüber nickten ihm die ersten Buschwindröschen zu. Er nahm es für ein gutes Zeichen. In den Vogelbeerbäumen sangen die Meisen, und auch das stimmte ihn versöhnlicher.

Bedächtig öffnete er die knarrende Tür der Kapelle und schnupperte die muffige Winterluft ein, die noch aus dem Boden und den feuchten Wänden kam. Zwei Feldmäuse huschten hinter das altersschwache Altärchen, und durch die Buntglasscheibe des winzigen runden Seitenfensters zeichnete die Sonne einen rotflimmernden Kreis an die Wand. Es wurde ihm kalt, als er auf der Betbank saß und zu der wunderlichen Kapellenheiligen aufsah. An dem Kreuz an der Wand war eine seltsame Figur festgenagelt, eine Heilige mit einem ausgesprochen mädchenhaften Gesicht, aber einem kräftigen Bart am Kinn. Ein dunkelblaues Gewand, mit goldenen Sternchen übersät, verhüllte die Gestalt, die mit den Füßen auf einem Sockel stand und goldene Schuhe trug. Unter der gewölbten Decke stand in großen Buchstaben mit alten Schnörkeln: „O heilige Kummernus, hilf uns!“

Verstaubte Votivbilder erzählten Bauernschicksale, und das letzte hatte im Jahre 1904 der Dorfschreiner mit grober Hand bemalt. Zwei Männer standen sich mit erhobenen Prügeln gegenüber und schienen aufeinander einschlagen zu wollen. Zu erkennen waren die beiden Doblhöfe und das Bächlein in der Mitte. Darunter stand geschrieben: „Ex voto 1904. Barbara Kerndl.“

Hatte eine einsichtige Doblbäuerin durch diese Darstellung der Heiligen ihren Kummer über die Feindschaft der Nachbarn klagen wollen?

Die grüngläsernen Kerzenleuchter auf dem Altärchen waren ohne Kerzen. Die Wurzerischen hatten es aufgegeben, Lichter in die Leuchter zu stecken, da die teuren Kerzen immer wieder verschwanden. Das rechneten sie dem Nachbarn an, der noch kein Elektrisches hatte und zu geizig war, die Petroleumlampe zu brennen.

Graue Spinnweben an den Decken und Staub auf allen Gegenständen machten das düstere Innere der Kapelle nicht freundlicher.

Lautlos die Lippen bewegend, beschwor der alte Bauer die Heilige, ihm bei seinem Vorhaben beizustehen und es ihm nicht übelzunehmen, daß er noch im hohen Alter auf die Freite gehen wollte. Dabei suchte er alles zusammen, was zu seiner Entschuldigung und zu seiner Entlastung gelten konnte, versicherte, daß er es ehrlich meine und mit der Nanndl so gut wie nur möglich hausen wolle, und versprach endlich auch noch, die Kapelle innen und außen mit Kalk weißeln und, wenn alles gut ging, etwa gar ein Glöckl in den Turm hängen zu lassen. Dazwischen hinein überlegte er, mit welchen Worten er sich am besten bei der Nanndl einführen könnte, und erschrak, als über ihm auf dem Kapellendach zwei Krähen kreischend zu streiten begannen.

Er hatte kein gutes Gewissen, als er die Kapelle verließ und die knarrende Tür zudrückte. Auf der anderen Seite des Fuchsbachls wanderte er zögernd abwärts zum Kerndlhof, dessen Dach auf der Hangseite fast bis zum Wiesenboden reichte. Horchend blieb er hinter dem alten Kirschbaum stehen, schlich sich ans Haus und drückte sich an der Wand entlang zum Stubenfenster, das noch nie durch einen Vorhang verdeckt war, spähte hinein und sah die Nanndl am Tisch sitzen. Mit der Rechten löffelte sie aus einer großen Schüssel Milch, und die Linke hielt ein Schreiben dicht an die Augen. Noch nie hatte der Wurzer einen Schritt in das Haus des Nachbarn getan, und nur vom Postboten und vom Kaminkehrer wußte man auf dem Wurzerhof, daß beim Kerndl die Stubenwände seit Generationen nicht mehr geweißelt waren und das Haus innen aussah wie eine Selche oder eine Rumpelkammer. Die Hühnersteige war unter der Stubenbank, die Mäuse scherzten am hellichten Tag auf dem Fußboden, im Sommer nisteten die Mistfliegen in Schwärmen im Haus, und der Bodenstiege fehlten einige Stufen. Der Postbote hatte sich einmal auf den wurmstichigen Tisch gestützt und war mit ihm zusammengebrochen, und der Kaminkehrer behauptete, daß der Dachboden ein einziges Spinnennetz sei.

Wie hätte das bei dem alten Sonderling auch anders sein können? Und die Nanndl? Sie mußte schon vom gleichen Schlage sein, sonst hätte sie es nicht solange bei dem schrulligen Kleinbauern ausgehalten, bei dem sie Hauserin und Ochsenknecht, Kuhdirn und Hütermadl zugleich war. Dazu konnte sie auch nicht noch einen sauberen Haushalt haben. Wie sie so am Tisch saß, dick und breit und den Rücken etwas krumm, die spärlichen grauen Haare glatt zurückgekämmt und zu einem winzigen Knoten gedreht, um das Kinn einen leichten Bart, bot sie kein ermunterndes Bild, und dem Wurzer wurde angst. Er kam sich vor wie ein kleiner Feldhase, der in einen Fuchsbau kriechen mußte.

Tief atmete er ein und sprach sich selber Mut zu:

„Hinein muß ich, und fressen wird sie mich schon net!“ Durch die Haustür, vor urdenklichen Zeiten einmal aus dicken Holzbohlen gezimmert und mit einem Holzriegel versehen, kam er in einen finsteren Hausgang, rumpelte mit den Schienbeinen an ein Backtroggestell, verbiß einen Wehlaut, tastete sich zur Stubentür weiter und klopfte an.

Nur ein unwilliges Gebrumm hörte er. Er betrachtete es als Aufforderung zum Eintritt und stolperte über die abgetretene Schwelle, stapfte auch gleich in ein Loch des faulenden Fußbodens und wäre beinahe der Nanndl vor die Füße gefallen. Aufgescheucht kreischte eine Henne, die sich auf dem Fensterbrett in der Sonne wärmte, und eine andere fuhr mit gackerndem Geschrei aus einem Loch in der Stubenwand ins Freie. Die Nanndl war über den Besuch so überrascht, daß sie sprachlos und wie versteinert stand, und da der Wurzer auch nicht mehr wußte, wie er seine Rede einleiten sollte, standen sie sich eine lange Weile gegenüber und starrten sich an. Dem alten Bauern wollte in der muffigen Luft, einem Gemisch vom Gestank des Hühnermistes, gestandener Milch und ranzigem Fett, alten Kleidern und faulendem Holz, übel werden, und auch der Anblick der Hauserin war nicht erfreulich. Über dem Gesicht, das einem runzeligen und vertrockneten Lederapfel glich, waren nur wenige schüttere graue Haare, im erstaunt offenstehenden Mund kein Zahn mehr, und sie steckte in einem Gewand, das um die Jahrhundertwende vielleicht einmal eine Kerndlbäuerin als Sonntagsstaat getragen hatte. Über dem Bauch wölbte sich eine graue Schürze, und Joppe und Rock hatten ein undefinierbares Grau.

Schließlich faßte sich die Nanndl und würgte heraus: „Was willst denn du?“

Der Wurzer räusperte sich: „Also — Nanndl. Wir haben uns das durch den Kopf gehen lassen — ich meine, wir können dich net so allein hängen lassen, allein mit der Arbeit, und wenn du eine Hilfe brauchst — deswegen wollt ich nachfragen — schließlich sind wir Nachbarsleute und die Christenpflicht —“

„Jetzt so was!“ schnaufte die Hauserin ratlos und ließ sich auf die Wandbank fallen, daß diese krachte und eine weitere Henne erschrocken aus der Steige fuhr und durch das Loch in der Wand ins Freie flüchtete. Der Wurzer angelte sich den einzigen Stuhl, als sei er zu einem längeren Diskurs gekommen. Abwehrend hob die Nanndl die Hände:

„Dir trau ich net! Ist mir lieber, wenn du gleich wieder gehst. Fang mit den Wurzerischen nix an, hat der Kerndl noch gesagt, ehe er das Schnaufen aufgegeben hat. Solang ich jetzt da bin, ist eine Feindschaft gewesen, und jetzt kämst du daher!“

Energisch schnufte sie auf und sah ihn unfreundlich an.

„Ich tu dir nix. Du kannst doch net allein weiterhampern. Wie soll es denn hier nun weitergehen? Oder ist schon was ausgemacht? Hab aber am Grab kein Verwandtes gesehen, also wirst du allein weiterwirtschaften müssen, wenn nix Testamentarisches da ist. Soll vielleicht verkauft werden? Etwas muß der Kerndl doch gemacht haben?“

„Was geht das dich an?“

„Ich meine ja nur. Hast dich deiner Lebtag da hergehängt —“

„Wird schon was ausgemacht sein, aber dem Kerndl trau ich auch net!“ Trotz aller Abneigung gegen den Nachbarn machte der Groll sie nun doch redselig. „Mein Leben lang hat er mich gefuchst, und schinden hab ich mich müssen wie ein Bauernroß! Alles gegen ein lumpiges Taschengeld! Kriegst deinen Teil schon noch, hat er alleweil gesagt, und jetzt werd ich halt schauen können, wie ich zu meinem Lohn komme.“

Nun, da das Gespräch in Fluß gekommen war, wurde der Wurzer eifrig: „Er wird dir halt das ganze Zeugl hinterlassen haben. Hast denn gar nix in der Hand?“

„Da!“ Sie hielt ihm den Brief hin, den sie vorhin so angestrengt studiert hatte: „Ein Testament ist da, schreibt der Advokat, und er ist als Vollstrecker bestimmt. Morgen ist die Testamentseröffnung auf der Gemeinde! Wenn es recht zugeht, dann gehört mir das ganze Gelump schon lange! Ich weiß gar nimmer, wieviel Lohn ich zu kriegen hätt.“

Mitfühlend nickte der Wurzer und heuchelte: „Der hätte dich leicht heiraten können, dann wär jetzt alles geregelt.“

„Das hab ich auch gemeint“ , gestand sie, „aber der ist ja weibsscheu gewesen.“

Die Rede ging nun gerade so, wie der Wurzer es sich nicht besser wünschen konnte, und er bohrte weiter: „Wärst eine gute und stramme Bäuerin gewesen. Na ja, das bist du jetzt auch noch, aber die Arbeit, Nanndl, die Arbeit — und das alleinige Hausen! Dienstbot ist keiner zu haben, das weißt du ja. Wirst halt doch noch heiraten müssen.“

Nun wischte sie sich gar eine Träne aus dem Auge, und dem Wurzer wurde unter ihrem fragenden Blick ein wenig ungut. Die dicke Luft legte sich ihm auf die Brust, und aufstehend meinte er:

„Kann man da net ein Fenster aufmachen?“ Eine dicke Winterfliege schoß ihm ins Gesicht, als er sich mühte, den eingerosteten Fensterreiber zu drehen, und dann hielt er das aus den Scharnieren gleitende Fenster in der Hand, und fast wäre es ihm entglitten und auf die Bank gefallen.

„Ist ja alles bei uns so ein Glump, daß man net einmal ein Fenster aufmachen kann“ , seufzte sie, und verlegen lehnte er den herausgerissenen Fensterflügel an die Wand.

„Ja ja, da fehlt es weit“ , stimmte er zu. „Da gehört ein Mannsbild ins Haus!“

„Hast leicht reden!“ schnufzte die Nanndl.

Er setzte sich wieder und schob den wackligen Stuhl nahe an sie heran. Durch das offengebliebene Fenster sahen seine noch guten Augen drüben hinter den Fenstern des Wurzerhofes die Gesichter des Sepp und der Marie, und ein kalter Schauer lief ihm über den Buckel. Da lauerten sie, was der alte Vater ausrichten würde, damit sie einmal den Kerndlhof einstecken konnten. Und er? Er war im Begriff, etwas zu tun, was ihm selber vielleicht einmal recht leid sein könnte. Er sollte sich für die alten Tage noch so ein Weibsstück aufhängen, damit die zwei da drüben einmal lachen konnten und ohne einen Pfennig Geld die Liegenschaft des alten Kerndl einsteckten. Dann schweifte sein Blick zum Kirchturm hinunter.

Was sie im Dorf sagen würden! Maul und Augen würden sie aufreißen! Und im Dobl gäb es nur mehr einen Bauern!

Das feuerte ihn wieder an.

„Bin zwar nur herübergekommen, um nachzusehen, ob wir dir helfen können. Aber — hm — wie es halt so ist — und eigentlich bist du noch ganz stramm beinander — ist mir das eingefallen, daß vielleicht mit uns zwei was werden könnte. Was meinst du dazu?“

Mißtrauisch funkelten ihre noch recht frischen Augen ihn an, musterten ihn vom Kopf bis zum Fuß. Dann aber nahm sie plötzlich die Schürze vor das Gesicht und schien weinen zu wollen.

„Ein armes Leut bin ich!“ Mit der Schürze putzte sie sich die Nase. „Was soll ich alleinigs tun? Allein bleib ich net, da renn ich auf und davon!“

„Dann überlege es dir“ , drängte er. „Wir zwei können ganz gut weiterschaffen. Der Sepp und die Marie müssen uns einen Teil der Feldarbeit abnehmen.“

„Das kommt halt so überraschend“ , jammerte sie, doch ihre Augen fingen nun zu leuchten an, als sähen sie den Weihnachtsmann, und erwartungsvoll wetzte sie auf der Bank hin und her.

„Ist halt so eine Meinung von mir gewesen und muß ja net sein“ , tat er hinterfotzig. „Aber jetzt glaub ich selber, daß wir zwei zusammenpassen täten. Und ich bin ja auch so allein“ , fügte er mit einem scheinheiligen Seufzer hinzu. Er rieb sich das lange Kinn, daß der Stoppelbart rauschte.

„Wahr ist es!“ bekräftigte die Nanndl, und da hielt der Wurzer ihr rasch die Hand hin. Wie es beim Viehhandel üblich war, schlugen sie dreimal ein, und sie sahen sich an, als hätte jedes das andere hereingelegt, und freuten sich darüber.

„Eine Bedingung hab ich“ , rückte die Nanndl nun heraus.

„Dann sag es nur lieber gleich.“

„Du siehst ja, wie alt das Haus ist, und gesetzt den Fall, es tät sich was ändern, daß ich da nimmer wohnen könnt, oder ich überleb dich, dann möcht ich es geschrieben haben, daß ich auf dem Wurzerhof zeitlebens Wohnung und Nahrung habe.“

„Wenn es sonst nix ist!“ atmete der Wurzer erleichtert auf.

„Ich möchte das aber gleich jetzt schriftlich!“ Flink erhob sie sich, lächelte ihn an, als hätte sie eben aus der Essigflasche getrunken, kramte aus der alten Kommode Papier und Schreibzeug, legte es vor ihm auf den Tisch und begann zu diktieren:

„Der Anna Obermeier verspreche ich die Heirat und daß sie, wenn das nötig sein sollte und ich ableben sollte und sie auf dem Kerndlhof nicht bleiben kann, im Wurzerhof die Wohnung und die Nahrung haben soll, so wie es als Ausgeding meinem Weibe zustehen täte. So — jetzt unterschreibst, und dein Sepp und die Marie sollen es noch bestätigen, dann stimmt es.“

„Stimmen tut es auf alle Fälle!“ versicherte er. „Ich laß es heut noch unterschreiben und bring es dir herüber, und nach der Testamentseröffnung können wir sofort das Aufgebot machen. Heiraten können wir meinetwegen gleich nach Ostern.“

Wie eine Junge schusselte sie durch die Stube, nestelte vor dem blinden Spiegel an den wenigen grauen Haaren und legte allen Schmelz in die Stimme:

„Kochen kann ich und Flicken auch, und wenn ich will, dann kann ich recht lustig sein. Da kennst du mich noch net. Einmal hab ich dem Kerndl vorgesungen und vorgetanzt, aber das ist ja ein alter grantiger Nickel gewesen und hat nur geschimpft.“ Mit einem verheißungsvollen Lächeln kam sie auf ihn zu, und erschrocken und abwehrend hob er die Hände.

„Wie ist jetzt das mit dem Testament? Laß mich das Schreiben einmal lesen.“

Sie zog es aus dem Halsausschnitt ihrer Bluse und reichte es ihm hin. Entschuldigend meinte sie:

„Tu mich mit dem Lesen ein wenig hart, und hab mich net recht ausgekannt. Da, lies es!“

„Rechtsanwalt und Notar Kaspar Schnigel“ , buchstabierte er und las weiter: „Von dem Erblasser Xaver Kerndl mit der Vollstreckung seines Letzten Willens beauftragt und im Besitze seiner letztwilligen Verfügung, habe ich die Eröffnung des Testaments für Freitag, den dreißigsten März, angesetzt. Sie wird in der Gemeindekanzlei stattfinden. Da anschließend eine lokale Übergabe notwendig sein wird, ersuche ich Sie, an diesem Tag auf dem Kerndlhof gegen zehn Uhr vormittags anwesend zu sein.“

Mit gekrauster Stirn verdaute er das Geschriebene und erklärte ihr dann: „Du brauchst nur anwesend zu sein, da auf dem Hof, mehr will er net von dir, wegen der Übergabe. Da steht es: Wegen der Übergabe. Also hat er dir den Hof vermacht.“

„Wenn er es net getan hätte, dann tät ich ihm nix Gutes wünschen, denn was ich mit diesem närrischen Mannsbild hab aushalten müssen, das ist schon so ein windiges Kleinbauernhöfl wert!“ bekundete sie und tat schon großspurig. Wieder mit dem sauren Lächeln trat sie nun ganz nahe an ihn heran, und er wurde blaß.

„Und jetzt?“ fragte sie.

„Was jetzt?“ stotterte er unsicher.

„Ich meine, daß der Schrieb da soviel wie ein Verspruch ist. Also gehören wir zwei jetzt zusammen, und —“ verschämt ließ sie die pergamentenen Lider über die Augen fallen, „wenn wir auch keine jungen Liebesleute mehr sind, aber —“

„Das kommt alles noch, Nanndl!“ Nun hatte er es eilig, versicherte, daß er gleich die anderen unterschreiben lassen und heute noch den Schrieb wiederbringen wolle. Mit zwei langen Schritten war er bei der Tür und wischte hinaus. Das Stücklein Weg zum Brückl hinab rannte er, dann blieb er stehen, trocknete sich den Schweiß ab und tat einen Stoßseufzer: „O heilige Kummernus!“

Der Fuchsbach murmelte kichernd und warnend über das Gestein. Aber der laue Frühlingswind und die lachende Sonne schienen ihm wiederum zuzureden und ihn anzufeuern. So vergaß er alle Bangnis und stampfte wie ein Sieger, das Papier, auf dem sein Versprechen stand, schwingend, in die Stube. Voller Spannung hatten die jungen Wurzerleute ihn erwartet, und als er den Vertrag auf den Tisch klatschte, triumphierte die Marie:

„Er hat es geschafft! So ein Glück, Vater, so ein Glück!“

„Da müßt ihr noch unterschreiben, weil die Nanndl gar net so dumm ist, wie sie herschaut“ , stöhnte er erschöpft und sank auf das alte Kanapee.

Hastig las die Marie, noch ehe der Sepp nach dem Papier greifen konnte.

„Das können wir leicht unterschreiben! Solang lebt die Nanndl auch nimmer, und so billig kriegt man keinen Hof!“

„Aber ich!“ lamentierte der Alte: „Ich muß sie haben! Die alte Trommel geht ja noch auf wie eine Junge! Mir ist gar net gut!“

Schnell hatte die Marie Tinte und Feder herbeigeschafft, ihren Namen hingekritzelt und ihren Mann zum Unterschreiben gebracht. Dann drückte sie das Papier dem Alten in die Hand, zog ihn vom Kanapee hoch und schob ihn zur Tür:

„Geh nur gleich wieder hinüber, wir brauchen dich heut net zur Arbeit. Geh nur schnell, damit nix mehr dazwischen kommen kann.“

Also machte der alte Wurzer, der in seinem Leben nie zum feindlichen Nachbarn hinübergekommen war, an dessen Begräbnistag den Weg gleich zweimal. Als er aus dem Haus trat, stutzte er und stand wie festgenagelt.

Drüben beim Kerndl stand die Stalltür offen, und ein rauher Weibsgesang klang herüber.

„Da legst dich nieder!“ schnaufte der Wurzer. Solange er denken konnte, hatte man beim Kerndl nicht gesungen. Nur Schimpfen und Streiten hatte man zu hören bekommen — und jetzt?

Die Nanndl sang! Wild und lärmend, und im Stallgewölbe hallte es. Heute, am Begräbnistag des Kerndl, und nachdem dieser erst ein paar Stunden unter der Erde lag!

Jedes Haar spürte er auf dem Kopf, der ganze Dobl kam ihm wie verhext vor. Wie eine altersgraue Mausefalle erschien ihm der Kerndlhof, und das offene Heustadeltor war wie ein Maul, das auf ihn wartete, um ihn zu verschlucken.

„Teixl, Teixl!“

Aber es half nichts, und so redete er sich selber zu: „Wer A sagt, muß auch B sagen.“

Im Kuhstall fand er die Nanndl, die bei seinem Erscheinen mitten im Lied von der holden Gärtnersfrau abbrach. Sie werkte mit der Mistgabel um zwei magere Kühe herum.

„Bist schon wieder da?“

Stumm reichte er ihr das Papier hin, und sie schob es in den Brustausschnitt. Mit einem aufmunternden Blick wies sie nach der Mistkarre: „Könntest leicht den Mist ausfahren. Bin heut mit der Arbeit spät daran, hast mich so aufgehalten.“

„Hab noch das Feiertagsgewand an“ , wendete er ein, aber sie lachte nur:

„So genau ist das bei uns noch nie gegangen. Mußt halt ein wenig aufpassen!“

Da kniff er die Lippen zusammen und karrte mit dem Mist aus dem Stall zum Misthaufen. Drüben schlug die Marie sich kreischend auf die Schenkel. „Sepp, schau nur grad! Der Vater tut sich bei der Nanndl schon einarbeiten!“

Am Abend kam der alte Wurzer müde und niedergeschlagen zum Hof zurück, setzte sich krumm und mit gesenktem Kopf auf das Kanapee und blieb stumm. Die Jungen sahen sich an und fragten nicht. Nach einer langen Weile murrte der Alte:

„Das ist eine! In der, meine ich, haben wir uns alle getäuscht! Den Mist von vier Wochen hab ich ausgefahren, die zaundürren Kühe hab ich gefüttert und das Futter für drei Tag gehäckselt. Das ist eine. Zum Nachtessen hat sie mich heimgeschickt. Zur Nacht soll ich wieder hinüberkommen, weil sie sich fürchtet. Der alte Kerndl geht noch im Tod um, sagt sie. Er schleicht in der Nacht durch das Haus und klopft. Das — das wird mir zuviel!“

Nach der Abendsuppe verschwand er wortlos und suchte sein Bett auf. Der Sepp und die Marie lachten nur vergnügt über den Alten und saßen an diesem Abend noch eine Weile beisammen, um auszurechnen, was der Kerndlhof einbringen würde.

Siebzehn Tagwerk Wiesen und Ackerland, dann noch die nasse Au im unteren Dobl, die man nur zu entwässern brauchte, um weiteres Grünland zu bekommen, und der Wald, der um ein Vieles größer war als die Landwirtschaft und bis zur Höhe des Fuchsbergs auf der einen Seite und auf der anderen bis an die Gründe der Dorfbauern hinunter reichte. Er war allein mehr wert als die beiden Kleinbauernhöfe im nassen Dobl.

„Gut, daß der Kerndl den Wald so geschont hat!“ freute sich der Sepp händereibend.

Dann gingen auch sie schlafen.

Vergeblich und verzagend wartete die Hauserin auf dem Kerndlhof auf ihren künftigen Ehegatten. Als beim Wurzer das Licht schon eine Weile verlöscht war und sie, angestrengt in die helle Frühlingsnacht starrend, niemanden gegen das Haus kommen sah, gab sie es auf und seufzte:

„Er traut sich net, der alte Zitterer! Der fürchtet den Geist des alten Kerndl!“ Mit der Kerze leuchtete sie noch in die Kammer und auf das Bett, in dem der Kerndl mit achtzig Jahren seinen letzten Schnaufer getan hatte, nachdem er sie vorher noch angeknurrt und eine Schlampen nannte. Dann suchte sie das Stübl unterm Dach auf, das sie seit vierzig Jahren bewohnte, warf sich in die alte Bettstatt, daß diese ächzte und knarrte, und zweifelte an dem späten Glück, an das sie den ganzen Tag geglaubt hatte.

Im nassen Dobl war die Nacht voll vom leisen Leben der erwachenden Natur. Es war, als käme das junge Gras flüsternd aus dem kargen Wiesenboden und als knisterten die aufbrechenden Knospen an den Bäumen. Der Fuchsbach rauschte still und verträumt zwischen den Höfen zu Tal. Uber das Brückl wechselte ein Igelpaar von der Kerndlseite zu den wurzerischen Gründen hinüber, und droben bei der Kummernuskapelle verließ ein Hase den Wald und labte sich an der frischen Brunnenkresse.

Im Wurzerhof verbrachte der alte Bauer von bösen Träumen geängstigt die Nacht, und unter dem Dach des Kerndlhofes war die Nanndl wach, horchte auf das Knarzen der alten Balkenwände und das Getrappel der Hausmäuse und beschwor den verstorbenen Kerndl, ihr nicht zu erscheinen und sie in Ruhe zu lassen.

Im nassen Dobl hatte am frühen Morgen am Fuchsbach das erste Schmalzblüml seinen goldgelben Stern aufgetan und sah neugierig in die Gegend. Unterm Dach des Wurzerhofes gurrten die Tauben, und vom Misthaufen beim Kerndl krähte der Gockel. Die ersten Stare stritten sich um den alten Kobel unterm Stadelfirst beim Wurzer. Die Morgensonne wärmte in das kleine Tal und glänzte von den mattsilbernen Weidenkätzchen am Waldrand. Schon früh war der alte Wurzer zur Nanndl hinübergestapft und hatte ihr versichert, daß er am Abend vor Müdigkeit eingeschlafen und eben erst aufgewacht wäre. Sie glaubte ihm, und da sie gerade dabei war, in der Stube ein wenig aufzuräumen, übertrug sie ihm gleich die morgendliche Stallarbeit. Dann meinte sie, daß es wohl besser sei, wenn er bei der Ankunft des Advokaten nicht anwesend wäre, damit man im Dorfe vorerst nichts von der geplanten Heirat erführe, und schickte ihn weg.

Der halbe Vormittag verging. Die beiden Höfe im Dobl lagen wie ausgestorben, nur vier Paar Augen beobachteten hinter den Fenstern des Wurzerhofes und seines Nachbarn den Weg, der vom Dorf herauf durch den Birkenwald führte. Die Spannung stieg mit jeder Minute, bis die Marie, die die besten Augen hatte, verwundert ausrief:

„Da kommen sie, ein Haufen Leut!“

Beim Kerndl stellte die Nanndl bald das gleiche fest und wurde ganz verwirrt. Was wollten diese Leute? Wozu brauchte der Advokat eine solche Begleitung? Sie ahnte, daß der alte Kerndl sich für seinen Tod noch einen besonderen Streich ausgedacht hatte, und spürte, wie ihr die Füße kalt und der Kopf heiß wurden.

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