Ein Traum vom Glück - Paul Friedl - E-Book

Ein Traum vom Glück E-Book

Paul Friedl

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Beschreibung

Auf dem Weg nach Neukirchen lernen die Hammermüllerin und ihre erblindete Tochter, das Annerl, den fröhlichen Musiker und Zimmerer Thomas Angerer kennen, von dem nun das Mädchen in ihren trüben Stunden daheim im Zellertal träumt. Dort verläuft das Leben mehr schlecht als recht. Es gibt viel Arbeit, seit der Weber-Max aus eigenem Verschulden als Säger entlassen worden ist. Außerdem sorgt Marie, die ältere Schwester, für weiteren Ärger, weil sie allen Burschen, die zur Mühle kommen, schöne Augen macht. Das Annerl muss erst viele harte Schicksalsschläge überstehen, bis sich für sie ein längst vergessener Traum erfüllt.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2006

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Bernd Römmelt, München

eISBN 978-3-475-54696-9 (epub)

Worum geht es im Buch?

Paul Friedl

Ein Traum vom Glück

Auf dem Weg nach Neukirchen lernen die Hammermüllerin und ihre erblindete Tochter, das Annerl, den fröhlichen Musiker und Zimmerer Thomas Angerer kennen, von dem nun das Mädchen in ihren trüben Stunden daheim im Zellertal träumt.

Dort verläuft das Leben mehr schlecht als recht. Es gibt viel Arbeit, seit der Weber-Max aus eigenem Verschulden als Säger entlassen worden ist. Außerdem sorgt Marie, die ältere Schwester, für weiteren Ärger, weil sie allen Burschen, die zur Mühle kommen, schöne Augen macht.

Das Annerl muss erst viele harte Schicksalsschläge überstehen, bis sich für sie ein längst vergessener Traum erfüllt.

Die kalte Aprilnacht hatte noch einmal einen schimmernden und glitzernden Reif über die schneefreien Fluren des Zellertales gehaucht, und mit dem Morgenrot zog ein frischer Wind herein in die Mulden und Hügel, über die Dörfer und Höfe. Auf dem Keitersberg begann in der ersten Tageshelle das letzte Schneefeld des Winters zu leuchten. Der seidenblaue Himmel darüber gehörte schon dem Frühling, der ein wenig verspätet über die Waldberge kam.

Am Bachgrund bei der Hammermühl war es noch dämmrig, als die Müllerin Barbara Tandl mit ihrer Tochter, feiertäglich gewandet, das Haus verließ und, diese an der Hand führend, hinauf zum Dorf und zur Landstraße ging. Hinter ihnen blieb das Rauschen des Baches zurück, und mit jedem Schritt kam ihnen der helle Morgen entgegen. Vorsichtig auf dem zerfahrenen Weg ausschreitend und den Kopf erhoben, als wollte es den Schein des Tages und das Blau des Himmels suchen, schritt das Mädchen neben der Mutter.

»Laß dir nur Zeit«, redete die Müllerin gutmütig. »Wir sind gleich auf der Straße, dann gehst du dich leichter.«

Die Tochter zog das Kopftuch enger um das blasse Gesicht und lächelte: »Macht mir ja nix aus, Mutter. Ich meine, daß wir eh schon beim Kreuz heroben sind.«

»Kennst dich ja gut aus«, lobte die Müllerin. »Grad sind wir am Kreuz vorbei. Die Totenbretter vom Großvater und der Großmutter haben wir im Herbst noch neu herrichten lassen, und der Herrgott ist auch frisch vergoldet worden.«

»Schade, daß ich es net sehen kann«, flüsterte das Mädchen, und als die Müllerin schwieg und die schmale Hand der Tochter tröstend drückte, fuhr diese heiter fort: »Wird schon noch gut werden. Nach der Wallfahrt geh ich wieder in die Klinik, und die haben ja gesagt, daß schon viele nach der Behandlung wieder gesehen haben.«

Und die Müllerin stimmte ermunternd bei: »Das ist recht, Annerl, laß dich net unterkriegen. Wir glauben ja alle daran, daß dir noch zu helfen ist.«

Dann wanderten sie schweigend, bis sie die Landstraße, die durch das Zellertal führte, erreicht hatten und bei den ersten Häusern des Dorfes anlangten. Über dem Wald am Keitersberg lag schon der Schein der Morgensonne und wanderte langsam ins Tal, wo er sich auf dem Kirchturm niederließ, von dem nun die Marienglocke den Tag anläutete.

Das Dorf wurde wach.

Knarrend schob der Wirt das große Haustor auf und rollte polternd ein Faß im Hausgang. Er sah den beiden kurz nach und verschwand wieder im Dunkel des Hauses.

Beim Muhr standen schon der Bauer und sein Sohn Girgl bei der Zugmaschine, die sie vor den Hof gefahren hatten, und der alte Muhr wünschte einen guten Morgen und fragte:

»Wo aus denn schon so früh?«

»Nach Neukirchen gehen wir«, gab die Hammermüllerin Bescheid und bestätigte auf seine zweite Frage, daß sie wallfahrten wollten. Der Girgl lachte hellauf:

»Wallfahrten? Wer geht denn heut noch wallfahrten? Helfen tut das gar nix!«

Unwillig runzelte die Müllerin die Stirn und sagte verärgert: »Die Jungen glauben halt nix mehr.«

Der Bauer stimmte ihr verdrossen zu: »Maul aufreißen und über die Arbeit schimpfen, das können sie noch, aber sonst.«

Die Müllerin war stehengeblieben: »Was ist es denn nachher mit dem Weber-Max gewesen, he? Hat nimmer gehen können wegen seinem Kriegsleiden! Mit zwei Krucken ist er nach Neukirchen gegangen, hat vier Tag gebraucht, und heimwärts hat er die Krucken auf der Achsel getragen.«

Das Annerl bat leise: »Gehen wir, Mutter, ich kann das net hören.«

»Wünsch euch viel Glück!« Der Muhr wandte sich wieder der Zugmaschine zu und stieß seinen Buben in die Seite, der das Annerl des Hammermüllers anstarrte und, als die beiden gegangen waren, zum Vater meinte:

»Schad um das saubere Dirndl! Das wär die Meinige, wenn sie net stockblind wär. In der Schule ist sie recht gescheit gewesen und recht lustig, bis sie dann diese zuwidere Kränk bekommen hat. Ist jetzt acht Jahr her, und sie ist damals grad zehn Jahr alt gewesen.«

»So einen Lackel, wie du einer bist, möcht sie ja doch net, schon gar net, wenn sie dich sehen könnte«, knurrte der Bauer, und beleidigt schwieg der Girgl.

»Jetzt ist die Sonn da«, sagte das Annerl auf dem Weg aus dem Dorf, »ich spür es.« Und sie nahm das Kopftuch ab. Ihr Haar glänzte wie Stroh und hing ihr strähnig in den Nacken. Mit ihren toten, aber noch immer leuchtendblauen Augen wandte sie sich der Mutter zu: »Ob es für was gut sein wird? Ob die Muttergottes vom Heiligen Blut wirklich helfen kann?«

Auf diese bange Frage wurde die Müllerin energisch: »Was fragst du denn alleweil wieder! Daran glauben muß man, und wenn du das net kannst, dann ist es freilich besser, wenn wir wieder umkehren!«

»So habe ich es ja net gemeint. Ich glaube ja fest, daß es net umsonst ist, und leichter ist mir auch, wenn ich in Neukirchen beten kann.«

Die kleine, rundliche Frau gab sich zufrieden. »In einer Stunde sind wir auf dem Eck. Bis dahin sollten wir ein wenig beten und Gutes denken.«

Schweigend und in sich gekehrt gingen sie durch den Wald, der im Frühling atmete und duftete, die Paßstraße zum Eck hinauf, während die steigende Sonne den Tag und das Land wärmte. Die Tritte ihrer derben Schuhe hallten auf der geteerten Straße, die über den Sattel aus dem Zellertal in den Lamer Winkel führte.

»Jetzt sind wir bald da«, unterbrach das Annerl das Schweigen, und erstaunt blickte die Mutter sie von der Seite an: »Warum meinst du das?«

»Weil ich es höre. Da ist ein Rößl, das herumrennt, und eine Tür hab ich auch gehört.«

Auf den Wiesen um das Gasthaus auf dem Eck lagen die letzten Schneeflecken des Winters.

»Wenn wir schon einen Kaffee haben können, dann halten wir eine Rast. In einem Tag schaffen wir es doch net, also können wir uns Zeit lassen«, entschied die Müllerin.

Die große Gaststube war noch kalt. Die Wirtin kam aus der Küche und wunderte sich über die frühen Gäste. Als sie von deren Vorhaben erfuhr, meinte sie:

»Ist nimmer modern, das Wallfahrten, aber schaden kann es nie. Wenn man das Dirndl so anschaut, möchte man gar net meinen, daß es net sehen kann.«

In der warmen Küche gab sie den beiden Kaffee und kräftiges Landbrot und fragte, wie es im Tal drunten zugehe und wie man den Winter überstanden habe. Antwort gab nur die Müllerin, während ihre Tochter still dabeisaß und aufmerksam zuhörte. Als aber die Wirtin leise der Hammermüllerin zuraunte, daß das Annerl ein sehr hübsches Mädel wäre und ob es denn da gar keine Hilfe gäbe, stand die Blinde auf und drängte zum Gehen. Vor dem Haus sagte sie unwillig zu ihrer Mutter:

»Ich mag das Gerede net! Was geht es die Wirtin an, ob ich sehen kann oder net! Die kann mir ja auch net helfen!«

Die Mutter redete ihr zu: »Mußt net alleweil so stützig sein. Die Leut haben halt auch ein Herz und ein Erbarmen. Und die Eckerwirtin kennen wir ja gut, ist ja kein fremdes Leut.«

Hinter dem Berggasthaus bogen sie in den Wald ein und wanderten über die Einöde Hintereschelseigen ins Tal zum Dorf Arrach. Hier war schon der Auswärts eingezogen, und die Luft war lau und lind. Eine Amsel pfiff ihnen entgegen, und Hähne krähten in den sonnigen Vormittag.

»Wennst wieder einmal rasten willst, brauchst es nur zu sagen«, meinte es die Müllerin gut, doch das Annerl schüttelte nur den Kopf.

»Ich sag es schon, wenn ich müde bin.«

»Wir bleiben auf der Straße und nehmen keine Abkürzung, damit du dich leichter gehst.«

Das Annerl sagte nichts mehr und schwieg auch, als sie über Hohenwarth und Andorf gingen. Auf der gewundenen Straße überquerten sie den Hohen Bogen, und während die Mutter lautlos und nur den Mund bewegend vor sich hin betete und die Tochter führte, ging es schon gegen den Mittag. Im Wald am Berg schlug ein Fink seine quirlende Melodie, und aus einer Wiese bei einem Einödhof stieg trillernd eine Lerche auf. Erst als sie auf der anderen Seite des Berges gegen das Dorf Mais kamen, sagte das Annerl:

»Da muß schon alles grün sein, und sicher blühen auch Buschwindröserl.«

Froh darüber, daß das Dirndl das lange Schweigen gebrochen hatte, bestätigte es die Mutter und fügte gutmeinend hinzu: »Die sind halt doch ein ganzes Stück weiter als bei uns. Die Schmalzblüml kommen schon und die Palmkatzl. Alles ist grün. — Hungert dich noch net?«

»Halt es bis Neukirchen leicht aus.«

Da bremste ein Auto, und ein älterer Herr fragte, ob sie ein Stück mitfahren wollten. Ehe aber die Mutter antworten konnte, lehnte das Annerl schon ab.

Außerhalb Mais holte sie ein junger Mann ein, wünschte einen guten Tag und blieb an ihrer Seite. Nachdem er sich erkundigt hatte, wohin die beiden gingen, schaute er das Annerl interessiert an und erklärte, daß er dasselbe Ziel hätte und zu einer Hochzeit müßte. Wieder musterte er das Mädel und blickte dann fragend auf die Müllerin. Diese bedeutete ihm mit einer Geste, daß ihre Begleiterin nichts sähe, worauf er verständnisvoll nickte.

»Bist ein Musikant?« meinte das Annerl plötzlich. »Hast eine Zither im Rucksack?« und fuhr dann freimütig fort: »Sehen kann ich es net, das wirst du vielleicht schon bemerkt haben, aber ich hör die Zithersaiten klingen, wenn du deinen Rucksack rührst. Bist du von da?«

Der junge Mann plauderte eifrig, und sie erfuhren, daß er ein Zimmerer wäre, und weil es keine Arbeit gäbe, schlage er sich mit der Musik und dem Singen durch und spiele eben heute mit anderen zusammen bei einer Hochzeit auf.

Und heiter berichtete er weiter, wie man als Musikant allerhand erleben könnte. Einmal wäre er auf dem Heimweg von der Lam her noch mal eingekehrt und hätte sich zu den wenigen Leuten im Wirtshaus an den Tisch gesetzt. Gleich hieß es, er sollte sich gefälligst einen anderen Platz suchen, weil man nicht mit jedem Dahergelaufenen zusammensitzen wollte.

»Da hab ich mir den ersten hergenommen und auch dem Wirt und den anderen Prügel versprochen, wenn sie sich rühren sollten; doch die sind ohnehin sofort auf und davon. Mein ganzer Wochenlohn hat damals net für die Strafe ausgereicht, die ich hab bezahlen müssen.«

Das Annerl lachte belustigt auf: »Wer bist du denn?«

»Bin der Angerer-Thomas; da herum kennen sie mich alle. Und ihr?«

Die Antwort übernahm die Müllerin, und der Begleiter erfuhr, daß sie aus dem Zellertal waren und dort ein kleines Sägewerk und eine Mühle besaßen; diese wurde aber nur noch selten betrieben, weil die Bauern ihr Brotgetreide nicht mehr mahlen ließen und das Hausbrotbacken aufgehört hatte.

Dann flüsterte sie dem Angerer-Thomas noch zu: »So hat sie schon lange nimmer gelacht.«

Der Mittag war vorüber, als sie in Neukirchen ankamen.

»Beim Späth, gleich bei der Pfarrkirche, gibt es sicher noch was zu essen. Ich geh auch hin, weil ich vor dem Abend net zur Hochzeit brauche.«

Schnell entschied das Annerl: »Da gehen wir mit!«

Die drei waren auf dem Weg so gut miteinander bekannt geworden, daß sie sich hier an einem Tisch zusammensetzten. Der Thomas besorgte die Unterhaltung, und als er dann die Zither auspackte und mit der Wirtin und ihren Töchtern sang, saß das Annerl mit geröteten Wangen dabei und war trotz der Mahnung der Mutter, daß man nun doch nach Heiligen Blut hinausgehen müßte, nicht wegzubringen.

»Jetzt noch net, Mutter, jetzt freut mich die ganze Wallfahrt erst richtig!«

Auch die andern bedrängten die Hammermüllerin, noch eine Weile zu bleiben.

»In Gottes Namen!« gab sie zu. »Das Dirndl hat eh so wenig Freud, und wenn es ihm gefällt, dann bleiben wir halt noch.«

Beim Singen und Erzählen und den Späßen des Angerer-Thomas verging fast der ganze Nachmittag, und die Müllerin wurde unruhig, war aber doch froh darüber, daß ihre Tochter so auflebte und mitmachte.

»So hab ich sie schon sehr lange nimmer gesehen«, vertraute sie der Wirtin an.

Plötzlich wandte sich das Annerl an den neben ihr sitzenden Musikanten und sagte leise: »Tät gern wissen, wie du ausschaust. Darf ich dein Gesicht anrühren?«

»Wenn du willst, warum denn net.«

Mit ihren kleinen Händen tastete sie seine Stirne, Wangen, Kinn und Nase ab und lachte: »So hab ich dich mir vorgestellt.«

»Annerl, was tust du denn!« entrüstete sich die Mutter. »Jetzt müssen wir aber gehen!«

Rasch flüsterte das Dirndl dem Thomas zu: »Könntest einmal zu uns ins Zellertal kommen. Dich kann ich gut leiden.«

Sie ließ sich von der Mutter von der Bank ziehen und aus dem Haus führen. Verschlossen erreichte sie mit dieser die Wallfahrtskirche am Ortsende. Dort knieten beide nebeneinander im Betstuhl, bis es dunkel wurde. Erst auf dem Rückweg zum Gasthaus Späth, wo sie auch übernachten wollten, fing das Annerl wieder zu reden an:

»Ich tät mir jetzt schon recht stark wünschen, daß ich wieder sehen könnte.«

»Das möchten wir ja alle«, seufzte die Müllerin. »Die Muttergottes wenn halt helfen könnte!«

»Hat mich net gereut, daß wir so weit gegangen sind. Mir ist viel leichter. Weißt, ich möcht doch auch so sein wie die andern jungen Mädel.«

»Da hilft nur hoffen und beten«, tröstete die Mutter.

Sie suchten gleich ihr Zimmer auf, und bevor sie einschliefen, fragte das Annerl plötzlich noch:

»Was sagst du zum Thomas, Mutter? Ist doch ein netter Bursche? Und wie der singen und spielen kann! Dem könnt ich Tag und Nacht zuhören.«

Bekümmert und ein wenig zurechtweisend murrte die Müllerin: »Annerl, das sind für uns fremde Leut, und morgen gehen wir wieder heim und werden sie vergessen.«

Trotzig erwiderte die Tochter: »Er hat mir versprochen, daß er einmal zu uns kommt!«

»Du bist halt noch jung und dumm«, beendete die Müllerin das Gespräch. »Schlaf jetzt endlich ein!«

Die untergehende Sonne zog ihre letzten Strahlen aus dem Mühlgrund im Zellertal zurück und hinterließ die Hammermühl dem Dämmern. Sie verweilte noch auf den Häusern des Dorfes oben an der Straße und spiegelte sich am anderen Bachhang in den Fenstern des Häuslers Weber. Dann versank sie hinter dem Wald.

In der Hammermühl scharrten und schnarrten die stählernen Sägeblätter des einzigen Gatters das letzte Stück durch das Langholzbloch, dann stellte der Weber-Max, der sehnige, hochaufgeschossene Säger, das Gatter und die Turbine ab. Das Poltern und Kreischen der Tagesarbeit verstummte, und leise huschend und hauchend rannen die Wasser im Mühlbach ihren Weg das Tal hinunter. Der Weber-Max klopfte sich den hellen Sägestaub von der Joppe und wollte gerade den offenen Sägeschuppen verlassen, als drüben aus dem Wohnhaus die wuchtige Gestalt des Müllers erschien und ihn grob anrief:

»Wer hat dir gesagt, daß du abstellen sollst?«

Etwas verlegen und doch aufmuckend murrte der Max: »Ist ja längst Feierabend.«

Herrisch wies ihn der Müller an: »Jetzt wird jeden Tag eine Stunde nachgeschnitten! Der Muhr will sein Bauholz haben!«

Unschlüssig stand der junge Säger, zuckte die Achseln und mäkelte: »Ich fang ja eh schon eine Stunde früher an, der Mensch ist ja keine Maschine!«

Der Müller kam herüber, deutete mit seinem Stock auf drei bereitliegende Langholzstämme und sagte ungerührt: »Die drei werden noch durchgeschnitten, und wenn dir das net paßt, brauchst du morgen nimmer zu kommen.« Dann wandte er sich ab und ging den Weg zum Dorf hinauf davon.

Das hagere Gesicht des Sägers hatte sich gerötet, und die großen Fäuste geballt, fluchte er hinter seinem Arbeitgeber her: »Wenn ich könnte, wie ich möchte, dann hätte ich dich jetzt zusammengeschlagen, du Schinder!«

Dann kehrte er langsam zum Sägegatter zurück, spannte den geschnittenen Balken aus und warf ihn mit den Schwartlingen zur Seite. Mit seiner Bärenkraft wuchtete er das nächste Bloch auf einen Rollwagen, brachte es in den Sägeschuppen und rückte es in das Gatter ein. Dann ließ er Turbine und Gatter anlaufen und setzte sich grübelnd auf das gegen die kreischenden Stahlzähne wandernde Holz. Er sah erst auf, als plötzlich die ältere Tochter des Hammermüllers vor ihm stand und ihm eine Flasche Bier reichte.

„Da, nimm! Ist er wieder grob gewesen? Es pressiert halt, und ein Stünderl macht dir doch nix aus?«

»Er soll halt die Überstunden auch bezahlen, dann sag ich ja eh nix!«

»Hast ja einen festen Wochenlohn, und im Sommer wird es ja wieder leichter, wenn das Wasser weniger wird«, wollte sie ihn trösten. »Heut muß man ja froh sein, wenn man überhaupt eine Arbeit hat.«

Unwillig erwiderte er: »Wochenlohn? Freilich, damit ich besser ausgenützt werden kann. Weiß wirklich net, warum ich net schon längst aufgekündigt habe. Wegen deinem Alten tät ich bestimmt net länger bleiben. Keine Stunde.«

Forschend sah sie ihn an, und ein zufriedenes Lächeln zuckte um ihren Mund: »Wirst wohl net wegen mir bleiben?«

Er wich ihrem Blick aus: »Kann sein, kann aber auch net sein.« Und seinen Groll vergessend, fragte er: »Wo ist er denn hin?«

»In die Gemeinderatssitzung.«

»Dann wird es spät, und die Müllerin und das Annerl sind auch net da?«

»Wallfahrten sind sie, kommen erst morgen wieder.«

Lauernd und lässig bemerkte nun der Max: »Bist also allein, Marie? Fürchtest du dich da net?«

Verstehend zwinkerte sie: »Kann schon sein, daß ich mich fürcht. Ist schon öfter jemand ums Haus herumgeschlichen.«

»Ich könnte ja auf ein Stünderl herüberkommen.«

Sie wandte sich zum Gehen und sagte gedehnt und scheinbar gleichgültig: »Wenn du meinst. Muß aber net sein. Wird mich schon niemand fressen.«

Der Weber-Max war seine schlechte Laune losgeworden und pfiff lustig vor sich hin, während er die letzten Bauholzstämme durch das Gatter laufen ließ, das Werk abstellte und das Licht abschaltete. Es war Nacht geworden. Nun hatte er es eilig, und das Klappern seiner Holzschuhe auf den Bohlen der Brücke, die über den Mühlbach führte, verhallte im Dunkel.

Im Weberhäusl hoch auf dem Hang über der Hammermühle wartete sein Vater im Finstern und brummte ihm entgegen:

»Ist jetzt endlich Feierabend? Kannst dir die Suppe selber aufwärmen.«

Der junge Bursche machte Licht, holte wortlos den Suppentopf aus der Ofenröhre und trug ihn zum Tisch. Dann nahm er den Löffel aus der Schublade und fing zu essen an, während sich sein Vater von der Bank, auf der er gelegen hatte, erhob, nach zwei Gehstöcken griff und in der kleinen Stube hin und her humpelte.

»Ich kann die Stallarbeit nimmer allein machen, das weißt du. Und der Müller könnte das auch wissen.«

»Ist schon gut, Vater«, beruhigte ihn der Max und erzählte, daß eben der Muhr das Bauholz bräuchte, und da wäre es halt später geworden. Er verschwieg auch nicht, daß ihm der Müller ohnedies auch wieder einmal mit der Kündigung gedroht hatte.

»Möchte es mir net ganz verderben, man kann ja net wissen, wie es noch kommt.«

Doch der alte Weber polterte: »Bildest dir alleweil noch die Marie ein? Wenn dir nur da net der Schnabel sauber bleibt! Ich, wenn ich jung wär, ich hätte das Weibsbild schon längst geschnappt. Aber du stellst dich ja an wie ein Depp.«

Der Max nahm das nicht übel und meinte nur überlegen: »Laß dir nur Zeit, Vater. Ich kann es erwarten. Wir haben die Wiesen und den Wald oberhalb der Mühl, und darauf ist der Müller scharf. Mit der Marie mache ich mir das schon noch aus. Überstürzen kann man da nix. Wenn der Müller so weiter macht, dann trifft ihn sowieso bald der Schlag.«

Mit den Gehstöcken mißmütig auf den Boden stoßend, grantelte der Alte weiter: »Ich alter Kriegskrüppel kann das nimmer lang machen. Wenn sich net bald was ändert, verkauf ich die Kühe.«

Den Löffel klappernd in den leeren Suppentopf werfend und diesen zum gemauerten Herd tragend, bemerkte der Max: »Ich geh noch einmal weg.« Und als er das fragende Gesicht des Vaters sah, fügte er hinzu: »Zur Marie!«

Ohne die Meinung des Vater abzuwarten, setzte er den Hut auf und verließ grußlos das Häusl.

Beim Dorfwirt machte man heute ein gutes Geschäft, weil im Nebenzimmer der Gemeinderat tagte und das auch etliche Besucher in die Gaststube brachte. Diese horchten auf, wenn nebenan die Debatte allzu laut wurde und der Bürgermeister Muhr mit seinem rauhen Baß zur sachlichen Diskussion mahnte. Über zwei Stunden hatte das Palaver nun gedauert, und der Muhr dachte schon daran, die Sitzung zu schließen, als der Gemeinderat Josef Tandl, der Hammermüller, Bürgermeister und Räte davon unterrichtete, daß er die Bohlenbrücke bei seiner Mühle durch einen Fußgängersteig ersetzen wollte. Die Gründe dafür brauchte er erst gar nicht anzuführen, da sie in der Gemeinde zu gut bekannt waren: Die Holzbrücke, die der Müller vor Jahren gebaut hatte, um das Heu seiner großen Mühlwiese über den Bach bringen zu können, benutzte auch der Häusler und Kriegsversehrte Max Weber als kurzen Weg zum Dorf und fuhr dabei mit seinem Kuhgespann einfach quer über die Mühlwiese. Mehrmals hatte ihm das der Müller bereits untersagt, hatte die Wiese durch einen Stangenzaun abgesperrt, der aber immer wieder eingerissen wurde.

»Ist halt so eine Sache«, gab der Muhr zu bedenken. »Der Weber ist schwerbeschädigt, und der Weg über die untere Brücke ist fast um ein Stündl weiter. Ich tät doch noch einmal mit dem Weber im guten verhandeln. Laß ihm die Fahrt, und er soll dir dafür einen Streifen von seiner angrenzenden Wiese abtreten.«

Selbstbewußt blies sich der Müller auf, während sein feistes Gesicht rot anlief: »Das ist mein Brückl, und das kann ich wegreißen, wann ich will. Der Weber tut mir das mit Absicht, weil er weiß, daß ich keinen Prozeß mag. In der Woche dreimal fährt er mit dem Kuhwagen drüber, und wenn er nur einen Sack Salz und andere Kleinigkeiten heimbringt. Die kann er auf dem Buckel heimtragen. Das Gehrecht verweigere ich ihm eh net. Da sind seine Alten schon gegangen.«.

Der Landmaschinenhändler Hofer warf dazu ein: »Tragen kann er nix, braucht ja zwei Stecken, nur damit er gehen kann. Müßt halt sein Bub das Zeug holen. Will aber wahrscheinlich net.«

Worauf der Josef Tandl bissig hinwarf: »Das will der Alte net. Der Bub ist in Ordnung. Könnt keinen besseren Sagschneider haben.«

»Jaja, ist eine gute und billige Kraft!« entfuhr es da dem Wegmacher.

»Das geht niemanden was an«, keuchte der Müller, doch der Bürgermeister schlichtete mit dem Hinweis, daß die Gemeinde keine Rechtsmöglichkeit hätte, dem Hammermüller den Abbruch seiner Holzbrücke zu untersagen. Da aber einige der Gemeinderäte an diesem Geplänkel Gefallen fanden und dem Müller gerne noch etwas zusetzen wollten, regten sie an, daß man ja den Gemeindeweg über die Brücke hinweg bis hinauf zum Weber fortsetzen könnte. Das verlängerte die Sitzung um eine weitere Stunde, und die Lauscher in der Gaststube bekamen noch manch lauten und kräftigen Redebrocken zu hören.

Unter den Wirtshausbesuchern befand sich auch der jüngere Sohn des Bürgermeisters Muhr, und als er bemerkte, daß die Sitzung heute noch länger dauern würde, packte den Girgl plötzlich ein Gedanke, und er hatte es eilig, zu zahlen.

Da drinnen wird es spät, überlegte er, die Müllerin und das Annerl waren wallfahrten gegangen, also mußte die Marie allein in der Mühle sein. Schade, daß ihm das nicht schon eher eingefallen war. Denn seit dem Winter war ihm das Mädchen nicht mehr aus dem Sinn gekommen. Er war der Jüngere, und wenn der Hans, sein Bruder, einmal heiratete und den väterlichen Hof übernahm, dann mußte er für seine eigene Zukunft vorgesorgt haben. Die Mühle war eine gute Sache zum Einheiraten, und sie würde ja der Marie verbleiben, weil das blinde Annerl ja wohl kaum einen Mann nehmen oder finden könnte. Deshalb wollte er die heutige Gelegenheit nutzen, bei der Marie einmal anzuklopfen.

In der stockfinstern Nacht tappte er den Weg zur Mühle hinunter und bekreuzigte sich, als er an den Totenbrettern vorbeiging.

In der Wohnstube der Mühle brannte Licht. Maria war also noch nicht schlafen gegangen und würde ihn sicher auf einen kleinen Plausch ins Haus lassen. Die beste Gelegenheit, um ihr seine Absichten anzudeuten. Leise pirschte er sich an die erleuchteten Stubenfenster heran und stutzte, als er drinnen eine Männerstimme hörte.

»Verflucht! Wer kann das sein?« zischte er. »Hat das Luder einen Kerl im Haus?«

Die zugezogenen Vorhänge verwehrten ihm den Blick in die Stube, und um über das leise Rauschen des Baches hinweg etwas von dem Gespräch drinnen zu hören, drückte er das Ohr an das Fenster und stellte grimmig fest, daß er den Besucher kannte. Der junge Weber-Max war es, der Säger.

Hatten die beiden etwas miteinander?

Gerade lachte die Marie auf und sagte: »Wirst wohl net glauben, daß ich keinen andern haben kann! Da kenne ich etliche, denen ich nur ein schönes Gesicht zu machen brauche, und sie beißen an. Daß in der Hammermühle Geld da ist, weiß man überall.«

»Geld, pah!« hörte er nur die Männerstimme. »Als ob es nur um das Geld ginge! Man muß sich doch auch gern haben, wenn man ein ganzes Leben lang beisammen sein will — und ich, ich hab dich gern.«

Und die Marie lachte wieder: »Kann schon sein, aber einmal Müller zu werden, wär halt auch net schlecht.«

»Da tust du mir unrecht. Kann sein, daß andere so spekulieren, ich nicht.«

»Bleib, wo du bist, und geh mir net zu nahe!« erklang nach einer kurzen Pause warnend und ein wenig aufgeregt die Stimme des Mädchens, und der Muhr-Girgl ballte vor dem Fenster die Fäuste. Sollte er jetzt ans Fenster klopfen oder einfach durch die Haustüre gehen? Vielleicht war die Marie froh, wenn er jetzt auftauchte.

Zur Haustüre schleichend, stieß er dort an ein abgestelltes Paar Holzschuhe, und er erschrak über das klappernde Geräusch. Hatten es die drinnen auch gehört? Ein boshafter plötzlicher Einfall ließ ihn die Schuhe aufnehmen, und mit einem Schwung warf er sie gegen den Bach, hörte das Aufklatschen im Wasser und rannte davon. Bei den Wegstauden blieb er stehen und warf einen Blick auf das Haus zurück. Dort öffnete sich die Türe, und der Weber-Max kam heraus, während die Marie im Rahmen stehenblieb.

»Kruzitürken, meine Holzschuhe sind weg! Ist also doch jemand dagewesen!« hörte er den Säger fluchen und lachte still in sich hinein. Und die Marie drängte:

»Hau ab, jeden Augenblick kann der Vater kommen!«

Gebückt tastete der Max noch auf dem Boden herum, die Marie schloß die Haustüre, und dann sah der Girgl, wie der junge Säger ohne Holzschuhe in der Dunkelheit verschwand. Zufrieden wanderte auch er wieder ins Dorf zurück und kam dort an, als gerade der Hammermüller das Dorfwirtshaus verließ und sich ein wenig angeheitert auf den Heimweg machte.

»Gute Nacht, Müller!«

»Ah, der Girgl?« tat der Müller leutselig. »Kannst morgen schon mit dem Bauholzabfahren anfangen, hab es deinem Vater schon gesagt.«

»Ist recht, Müller. Möchte mich eh öfter einmal bei euch sehen lassen — wenn es recht ist.«

Der schwerfällige Mann blieb stehen und fragte wohlwollend: »Warum?«

Da wurde der Girgl verlegen und wich aus: »Einfach so. Man weiß ja oft net, wie man am Abend die Zeit vertreiben soll.«

»Meinetwegen.«

Sie trennten sich, und zufrieden stellt der Girgl für sich fest, daß der Tandl von der Mühle wohl so gescheit wäre, um zu erraten, warum der Muhrbauernsohn zur gelegentlichen Sitzweile kommen wollte und er nichts dagegen hatte.

Schon vor Tagbeginn weckte das kreischende Auf und Ab des Gatters im Sägeschuppen den Hammermüller, und verwundert nahm er zur Kenntnis, daß der Säger mit den Überstunden schon vor dem regulären Arbeitsbeginn anfing. Das trieb auch ihn aus den Federn und ebenso die Marie, die zwar zunächst über die gestörte Nachtruhe ungehalten war, dann aber doch gleich aufstand, um die vier Kühe im Stall zu versorgen. Beim Gang vom Haus zum Stall hinüber winkte sie den Weber-Max heran:

»Hat dir der Vater angeschafft, daß du schon um vier Uhr anfangen sollst?«

»Hat er net, ich hab halt noch mal nach meinen Holzschuhen gesucht. Wenn ich den wissen tät, der sie mir heut nacht weggenommen hat, der könnte was erleben!« Dazu zeigte er seine großen Hände. »Aber ich bring es schon noch heraus!«

Als sie nur lachte, brummte er gereizt, ob sie etwa glaubte, daß es ein Vergnügen gewesen wäre, in Socken über die nasse Mühlwiese heimzurennen. Doch da war sie schon im Stall verschwunden.

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