Wenn im Wald die Liebe erblüht - Paul Friedl - E-Book

Wenn im Wald die Liebe erblüht E-Book

Paul Friedl

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Beschreibung

Wenn im Wald die Liebe erblüht, macht sie weder vor der Jugend halt, noch vor dem verwitweten Kleinbauern Schöpf oder der nicht mehr ganz taufrischen Jungfer Berta. Wo derart viel Gefühl ins Werk gesetzt wird, braucht es schon einen, der sich auskennt mit so etwas. Als dieser segensreiche Experte wirkt der Heiratsvermittler, Nachrichtenüberbringer, Veranstaltungsorganisator, Viehheiler und Wunderdoktor, in der Sprache der Einheimischen kurz und bündig ausgedrückt: der "Schmuser" Heidaxl, ein Schlaukopf, der es mit (fast) allen kann und den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte... Dieser etwas andere Heimatroman von Paul Friedl ist eine humorvolle, herzhafte Liebeserklärung an die Menschen im Bayerischen Wald und ihr karges Leben, das sie führten in jener Zeit zwischen "nicht mehr" und "noch nicht".

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2007

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Studio von Sarosdy, Düsseldorf

Bearbeitung, Lektorat und Satz: Nikolaus Hodina, München

eISBN 978-3-475-54703-4 (epub)

Worum geht es im Buch?

Paul Friedl

Wenn im Wald die Liebe erblüht

Wenn im Wald die Liebe erblüht, macht sie weder vor der Jugend halt, noch vor dem verwitweten Kleinbauern Schöpf oder der nicht mehr ganz taufrischen Jungfer Berta. Wo derart viel Gefühl ins Werk gesetzt wird, braucht es schon einen, der sich auskennt mit so etwas. Als dieser segensreiche Experte wirkt der Heiratsvermittler, Nachrichtenüberbringer, Veranstaltungsorganisator, Viehheiler und Wunderdoktor, in der Sprache der Einheimischen kurz und bündig ausgedrückt: der „Schmuser“ Heidaxl, ein Schlaukopf, der es mit (fast) allen kann und den es eigentlich gar nicht geben dürfte…

Dieser etwas andere Heimatroman von Paul Friedl ist eine humorvolle, herzhafte Liebeserklärung an die Menschen im Bayerischen Wald und ihr karges Leben, das sie führten in jener Zeit zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“.

»He!« »Oha!« »Brr!« Waren denn Himmel und Erde verrückt geworden? Die Bauernhäuser, Scheunen und Hütten hüpften auf und nieder, als wollten sie eine Polka tanzen, die Dorfstraße wand sich wie ein Wurm, der Kirchturm sank wunderlich zusammen, duckte und reckte sich wieder.

»Haha, schaut euch den Mond an! Ist ja das reinste Naturwunder!« Auf der bleichen Dorfstraße spannten und bogen sich seine Schatten, rutschten weg und kamen wieder, und er selbst taumelte am dunkelblauen Nachthimmel hin und her, auf und ab, wischte den dreien, die mit nassen Augen des Weges torkelten, über das Gesicht, dass sie meinten, er hätte einen Schweif bekommen wie der Stern von Bethlehem.

»Nach Hause, nach Hause, nach Hause gehn wir nicht ...«, gurgelte einer, und ein jähes Aufstoßen beendete schnell den kaum begonnenen, rauen Gesang. »Hick – langsam!«

Fest aneinander eingehängt, einer am anderen Halt suchend, zockelten sie dahin, schwankten von einer Straßenseite zur anderen, vom Mondlicht in den Häuserschatten, von den Mauern hinüber zu den Zäunen. Sie kamen mit den Füßen überquer, stellten sie einander in den Weg, und es war ein Wunder, dass all die schlenkernden Gliedmaßen zu ihrem jeweiligen Besitzer zurückfanden. Das reichlich genossene Bier hob die drei Zecher von einer Seite zur anderen, der darauf gekippte Schnaps wollte sie nach vorne reißen, und die Flasche Wein, die den Rausch erst rund und schwer gemacht hatte, zog sie abwechselnd nach hinten.

Der Viehhändler Holzapfel hatte wieder seinen guten Tag gehabt. Der Höllgartner-Sepp und der Heidaxl waren ihm als treue Saufkumpane beigesessen. Und nun brachten sie einträchtig, mit viel Müh und Not, unter Johlen und Singen ihre vollgetrunkenen Bäuche und schwindligen Köpfe nach Hause.

Der Heidaxl war bei Zusammenkünften und Geselligkeiten stets gerne dabei, und zwar nicht nur, um eventuell an Freibier zu kommen, sondern gewissermaßen auch von Berufs wegen. Er vermittelte nämlich Geschäfte aller Art, insbesondere Eheschließungen, er überbrachte Nachrichten und Einladungen, insbesondere Hochzeiten und Begräbnisse betreffend, er kümmerte sich um die jeweiligen Zeremonien und Feiern, war darüber hinaus bei allerlei Unpässlichkeiten von Vieh und Mensch mit Rat und Tat zur Stelle, und er hatte auf Anfrage noch diverse andere Dienstleistungen im Angebot – kurzum, er war ein Ausbund dessen, was man von alters her einen Schmuser nannte, und er war stolz darauf.

Der lange, schlaksige, junge Kleinbauer Höllgartner und der kurze, magere, alte Schmuser Heidaxl hätten zusammen noch längst keinen Viehhändler Holzapfel ergeben, und zwar nicht nur hinsichtlich der Mittel, sondern auch der Masse. Sie hatten den Dicken in die Mitte genommen, zerrten und schoben an ihm und waren selber kaum mächtig, auf den Füßen zu stehen. Der Viehhändler, den Hut zurück auf seine prallen Nackenwülste geschoben, ließ sich schwer auf seine Begleiter sinken. In seinem glatten, kugelrunden Mondgesicht glühte eine rote Nase, und eingeengt vom feisten Wangenspeck, zwinkerten und tränten schläfrige Augen. »Lasset uns singen!«, krächzte er gebieterisch.

Sogleich folgte der Höllgartner diesem Befehl, riss großmächtig den Mund auf und hob stiermäßig an zu brüllen. Schweinemäßig grunzend, fiel der Viehhändler ein, und der spindeldürre Heidaxl quietschte dazu mit seiner rostigen Fistelstimme wie ein hungriges Ferkel. Heulend und bellend fuhr das Echo dieses Missklangs von den Häusern und Scheunen zurück.

»Jetzt fällt mir mei’ Hausschlüssel ei’, ich kann ihn nicht finden, oh mei’, und mei’ Alte lässt mich nicht nei’ ...«

Da blieb der Holzapfel stehen. Mit größter Anstrengung bäumte er sich auf, er kniff die Äuglein zusammen, presste die Arme seiner Begleiter, dass ihnen das Hören und Singen verging, und schmetterte mit aller Gewalt, um die höchsten Töne des Liedes zu erklimmen: »... lässt mich nicht nei’ ...«

Dieses herkulische Bemühen warf ihn endgültig aus dem Gleichgewicht. Im Fallen, quer über die Straße taumelnd, riss er seine beiden, mit den Armen bei ihm eingequetschten Kumpane mit sich, und die drei schlugen mit lautem Rums an den Gartenzaun des Poldlbauern. Dabei stemmte der Holzapfel, Halt suchend, zu seinem Gewicht auch noch die Wucht des Sturzes auf seine Begleiter und stieß diese mit den Köpfen gegen die Zaunlatten, dass ihnen das Feuer vor den Augen tanzte. Infolge dieses Aufpralls legte sich das Zaungatter um und sank, unter der Last ächzend, in den Grasgarten. Fauchend fuhr die schwarze Katze den Kirschbaum hinauf, und erschrocken rumpelte der Poldlbauer-Hund, der das Gejaule genossen und nach Kräften mitgetan hatte, in die Hütte.

Nächtliche Stille war wieder im Dorf. Der Mond stellte seinen Tanz unverzüglich ein und schielte über das Scheunendach auf das Kreuz und Quer im Gras. Zweimal schlug die Uhr vom Turm.

Nach einer Weile begann sich der Menschenhaufen zu bewegen. Zuerst rappelte sich der Heidaxl auf. Storchbeinig schwankend, stand er wie verloren da und fingerte, vorsichtig prüfend, an der dicken Beule herum, die ihm auf der Stirn wuchs. »Schnell was Kaltes«, murmelte er. Umständlich beugte er sich nieder und drückte die schmerzende Wölbung gegen das verbogene, eiserne Scharnier des Zaungatters.

Langsam kam nun der Höllgartner-Sepp hoch, betastete seine Arme und Beine und blinzelte etwas betreten nach dem stocknüchternen Mond. Ein dünner Blutfaden rann dem Burschen übers Gesicht und staute sich an seinem kecken Schnurrbärtchen. »Verdammter Mistzaun, damischer!«, fluchte er und wischte sich mit der Hand das Blut im Gesicht auseinander.

»Jetzt haben wir es«, seufzte der Heidaxl kläglich und presste seine tobende Stirn an einen anderen Teil des kühlenden Scharniers.

»Was tun wir? Lassen wir den Holzapfel da liegen, und hauen wir ab? Ich zahl jedenfalls nichts für den depperten Zaun!«, knurrte der Sepp.

Diese Rede hatte freilich auch der Viehhändler vernommen, der sich gerade auf die Seite drehen wollte, um an Ort und Stelle seinen Rausch auszuschlafen. Nun aber mühte er sich, wenn auch vergeblich, mit dem massigen Hinterteil voran aus dem Gras zu kommen. Er grunzte unverständliche Protestlaute, bis sich die beiden anderen doch bemüßigt fühlten, ihn mit vielen Schwierigkeiten auf die wackligen Beine zu stellen. Prustend, schnaufend und schwankend, mit verkratztem Gesicht und hängenden Knien, ließ er sich dann von ihnen einigermaßen aufrecht halten. Durch den unverhofften Fall hatte er jegliche Bierseligkeit und Sangesfreude verloren, und ein unbändiger, vom Alkohol angeheizter Grant stieg in ihm auf.

»Habt ihr mich da reingeworfen, ha?!«, geiferte er. »Ist das Freundschaft?!«

»Du hast uns reingerissen!«, drehte der Heidaxl auf. »Wenn mir das Horn am Kopf bleibt, dann verklag ich dich wegen Verschandelung! Meinst du vielleicht, ich lass mich zu dem Unglück, das du mir angetan hast, auch noch anmaulen von dir? Da kannst du allein heimgehen – falls du heimfindest!«

»Alle drei miteinander sind wir hingefallen«, beschwichtigte der Höllgartner-Sepp, gab dem Schmuser Heidaxl einen heimlichen Knuff in die Seite und blinzelte ihm zu. Darauf griffen die beiden wieder, so fest es halt ging, unter die Arme des schweren Viehhändlers, und verdrossen brummend wankten sie weiter.

»Liegen lassen hättet ihr mich!«, gab der Holzapfel keine Ruhe.

»Gleich kannst du allein heimgehen!«, drohte der Heidaxl erneut.

»Ach, wir werden doch nicht streiten«, wehrte der Sepp ab.

Wie havarierte Piraten bei schwerem Seegang trollten sie die Dorfstraße hinunter – ein sonderbares Dreigespann: mit fast geschlossenen Augen und hängender Unterlippe der dicke Viehhändler in der Mitte, mit blutverschmiertem Gesicht der lange Höllgartner auf der einen und mit einer apfelgroßen Beule am Kopf der kleine Heidaxl auf der anderen Seite.

»Mein Geld versaufen, das könnt ihr!«, knurrte der Holzapfel weiter.

Worauf der Heidaxl zischte: »Du hast es uns ja angeschafft!«

»Notschnapper, nichtsnutzige!«, giftete der Viehhändler zurück.

»Geh, bitt schön, Schwiegervater ...«, wollte der Höllgartner beruhigen.

Schlagartig verweigerte der Holzapfel die einträchtige Fortbewegung. »Schwiegervater?!«, schnaubte er. »Ich mag nimmer! Und überhaupt ist es meiner Frau nicht recht! Unsere Tochter – und so ein gescherter Mistkratzer, wie du einer bist? Nein, sag ich, nein ...« Der übermächtige Rausch ließ jedoch keine weiteren Erläuterungen mehr zu.

Sie schoben und zogen ihn also erneut vorwärts, eine Höhe hinauf über die taufeuchte Wiese, um den Weg abzukürzen, und lehnten ihn, endlich beim Holzapfelhaus angelangt, an die Haustür. Dort wurde der Viehhändler wieder ein bisschen wacher, und ein Auge aufhaltend, fragte er: »Sind wir schon daheim?«

Da wurde hinter ihm mit einem Ruck die Tür aufgerissen, und wie ein Sack Ochsenhörner fiel er unter lautem Poltern rücklings in den Hausflur. Sein Schreck steigerte sich ins Unermessliche, als in dem vernebelten Blickfeld über ihm ein bitterböses Gesicht auftauchte, mit funkelnden Augen und einer bedrohlichen Hexennase. Ein Rachegespenst ging um – die wutentbrannte Holzapfelin in einem riesigen Nachthemd, ausgerüstet mit einer kräftigen Peitsche!

»Lauf!«, schrie der lebenskluge Schmuser Heidaxl dem verdutzten Kleinbauern Höllgartner zu und hüpfte ein wenig zurück, gerade genug, um der pfeifenden Peitschenschnur auszuweichen.

Das Hinterteil schnell einziehend, verschwand der Höllgartner flugs um die Hausecke, und mit ein paar heuschreckenartigen Sprüngen brachte sich der Heidaxl weiter in Sicherheit. Wie das aufgeregte Kläffen eines zähnefletschenden Wadenbeißers gellte das Gezeter der Holzapfelin hinter den beiden her. Dann flog die Haustür mit einem Schwung ins Schloss, dass es über das nächtliche Dorf hin knallte wie ein unzeitiger Böller aus der Veteranenkanone.

Beim Kirschbaum am Weg trafen sich die zwei Fliehenden wieder. »Der kriegt jetzt sein Heu«, bedauerte der Heidaxl den Holzapfel. »Eigentlich schadet es ihm gar nicht«, rülpste der von jenem so verschmähte Höllgartner-Sepp.

Gemeinsam trabten sie im blassgelben Mondlicht den Fahrweg hinunter. Sie stießen seitlich zusammen, stolperten auseinander und kamen sich gleich wieder in die Quere. Vor ihnen auf dem steinigen Weg machten ihre Schatten bizarre Sprünge.

Der Heidaxl blieb stehen und feixte: »Hättest du vielleicht genug Schneid für die Schwiegermutter?«

Mit dem Übermut des Alkohols prahlte der Sepp: »Ich schon! Und wie ich gesagt hab: Du brauchst bloß ein bissel vermitteln! Wenn’s was wird, kannst du dir bei mir einen Zwanziger abholen, bar auf die Hand.«

»Zwanzig auf die Hand!«, repetierte der Schmuser. Schweigend tapste er dann weiter und heftete den Blick auf die kindskopfgroßen Steine, die auf dem ausgeschwemmten Weg lagen. Die nächtliche Brise frischte etwas auf, und die lästig gewordene Betrunkenheit nahm allmählich eine mildere Form an. Etwas Saudummes, so ein Rausch!, grübelte er. Als wär einem ein Brett vors Hirn genagelt, das einen nimmer zu den eigenen Gedanken hineinlässt! Und dann die Gurgel? Wie ein ausgebranntes Ofenrohr! Gott sei Dank funktionierte wenigstens das Kalkulieren schon wieder ein bissel: Ja, für bares Geld wollte er sich durchaus bemühen und dem Holzapfel gut vorreden! Und der Holzapfelin? Oh je, da konnte er sich ohne weiteres eine Antwort mit dem Besen oder dem Peitschenstiel einfangen. Keine Frage – da hatte er wieder einmal ein Meisterstück vor sich!

»Er geht ja – aber sie! Mein Lieber, die möcht ich nicht als Schwiegermutter! Ich krieg schon eine Gänsehaut, wenn ich mit der reden muss! Ich sag dir’s ...« Der Schmuser schwatzte auf den Höllgartner ein und schüttelte sich, bis er aufsah und merkte, dass von diesem weit und breit nichts mehr zu sehen war. Verwundert drehte er sich um die eigene Achse. »Hat jetzt den der Teufel geholt?«

Regungslos lagen die feuchten Wiesen im Mondlicht. Auf den Grasspitzen schimmerte feiner Glanz. Unter einem Feldstein sägte eine Grille. Und weit und breit kein Höllgartner. So finster war es doch gar nicht! Der Heidaxl wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und schaute noch einmal angestrengt zurück auf den Weg, ob der Sepp nicht doch irgendwo auszumachen war. Er spähte hinauf zum Holzapfelhaus, dessen saubere, weiße Wand unter den dunklen Baumkronen hervorleuchtete. Immer nüchterner glaubte er zu werden in der freien, weiten Nacht. Wo war jetzt der Sepp hingekommen? War doch gerade noch neben ihm hergestiefelt...

Da zischte am Holzapfelhaus unter den Bäumen heraus ein spitzer Pfiff!

»Ah!« Ein wissendes Grinsen huschte über das faltige Gesicht des alten Schmusers. »Schau einer diesen Gecken an!« Ließ der ihn einfach weitertrotten und empfahl sich stillschweigend, um der Holzapfel-Marie ans Fenster zu gehen!

Unschlüssig verharrte der Heidaxl eine kleine Weile, machte dann kehrt und schlich quer über die Wiese zurück. Wenn er schon in so einem schwierigen Fall zur Hochzeit verhelfen sollte, dann musste er schließlich auch wissen, wie die beiden Hauptpersonen zueinander standen.

Er duckte sich hinter eine Feldsteinmauer, lauschte und beobachtete. Richtig, im Mondschatten der Bäume stand der Sepp, bückte sich immer wieder und warf Hände voll Sand an das Fenster über dem Vorbau, bis sich dieses öffnete und der zerzauste Kopf der Marie, der einzigen Tochter des Viehhändlers, zum Vorschein kam. Eine leise, trauliche Zwiesprache wurde gehalten, aber der Schmuser war zu weit weg, um die Worte verstehen zu können.

»Na also«, brummte er dennoch zufrieden. Was die zwei da miteinander zu beflüstern hatten, konnte er sich ja denken. Er durfte sich getrost auf den Heimweg machen.

Trotz seines immer noch ziemlich vernagelten Kopfes wog er die Geschäfte hin und her. Es war allerhöchste Zeit, dass wieder einmal eine Heirat anfiel, bei der wirklich etwas heraussprang! Das konnte er schon brauchen – zuerst das Vermittlergeld und dann den Hochzeitsladerverdienst. Bei einer gescheiten Hochzeit gehörte der Schmuser und Lader zu den Hauptpersonen, und in den sechs Walddörfern im Umkreis war das unangefochten er, der Heidaxl. Der Holzapfel als gut eingesäumter, nobler Brautvater würde ihm am Freudentag seiner Einzigen wohl einen größeren Schein zustecken, und vielleicht würde auch noch aus der Hochzeitsgesellschaft und vom Wirt eine kleine Aufmerksamkeit kommen. Wenn er das zu dem rechnete, was der Höllgartner fürs Verkuppeln zu blechen haben würde, ergab sich eine nette Summe, die er auf alle Fälle lieber in Schweigen hüllte.

Andererseits drohte es eine ganz harte Nuss zu werden, diese einträgliche Hochzeit zustande zu bringen. Eigentlich hätte da erst einmal die Holzapfelin der Schlag treffen müssen. Und auch der vermeintliche Brautvater war auf den Heiratskandidaten nicht gar so gut zu sprechen. Erst vor ein paar Stunden am Biertisch hatte er ihn einen Flohhüttenprinzen und Eierdieb geheißen, ganz zu schweigen von der Beschimpfung auf dem Heimweg! Gut, das war im Rausch gewesen und wohl nicht das letzte Wort. Allerdings – mit seinem windschiefen Gütchen in der Göll, in dem Steinloch, wo ewig nichts wachsen wollte, durfte der Sepp tatsächlich keine großen Sprüche machen.

Aber ... – und das war beim Heidaxl immer der Teufel, dass er an jeder Sache auch eine zweite oder gar dritte Seite suchte und nicht eher davon abließ, bis er sie gefunden und in seine Gedankenwelt eingepasst hatte. Aber – vielleicht war das ja auch ein Segen.

Das erste Aber also in dieser Sache war, dass die beiden jungen Leute sich anscheinend gern mochten. Das allein wäre es eigentlich schon wert gewesen, die widerborstigen Eltern der Marie herumzukriegen. Und das zweite Aber: Sollten der Josef Höllgartner und die Maria Holzapfel nicht heiraten dürfen, bloß weil er aus der steinigen Göll und sie aus einem geldigen Haus stammte? Gerade ein armer Schlucker sollte doch reich heiraten dürfen! Das wäre der gerechte Ausgleich. Heiratete nicht immer Geld wieder zu Geld und Not zu Not? Nein, das war nicht in Ordnung! Darum – und das war nun für ihn das Ausschlaggebende – war es ein gutes, ja wahrhaft gottbefohlenes Werk, wenn er nachhalf, auf dass die beiden zusammenkamen. Eine gute Sache ist es!, warf er sich in die Brust. Und eine einträgliche Sache wird es!, lachte sein Inneres.

Was die Marie anbelangte – schön war die nicht. Scheckig, als wäre sie in einen Dotterregen geraten, Haare, die weder blond noch braun, noch lilablassblau waren, eine Gestalt, die ein bissel an einen Mehlsack erinnerte ..., aber – Herrschaft, die ganze Welt bestand aus lauter Aber – ein lieber, guter Mensch war sie! Und Geld hatte sie auch!

Es galt also, sich anzustrengen und mit der ganzen Kunst eines erstklassigen Schmusers zu arbeiten. Es war sowieso gerade eine magere Zeit für ihn, so dass er seine eiserne Reserve unterm Stubenboden schon hatte angreifen müssen. Weit und breit wurde kein Vieh mehr krank, und auch unter den Leuten fehlte niemandem was, nichts gab es mehr zu kurieren. Es war, als wollten sie alle ewig und drei Tage auf dieser Erde weilen, das Zeitliche segnen wollte überhaupt keiner mehr. Durch das Einsagen zur Beerdigung hätte er sich wenigstens ein paar Groschen verdienen können – aber so?

Da fiel ihm ein, dass er sich als Bub eine Zeit lang für seinen Vater gefürchtet hatte, wenn dieser zum Einsagen gegangen war, weil er gemeint hatte, es hieße: Einsargen. Besonders zart besaitet war er zwar nie gewesen, und er hätte auch eine solche Verdienstmöglichkeit nicht gescheut, wenn er nicht irgendwo gehört gehabt hätte, dass nicht nur die Güte, sondern auch die Boshaftigkeit eines Menschen über dessen irdischen Tod hinaus weiterlebte – hätte es da zum Beispiel nicht sein können, dass einem ein boshafter Verblichener eine Watsche gab? Als man dem Buben freilich erklärt hatte, dass es nicht Einsargen, sondern Einsagen hieß und so viel bedeutete wie: von einem Familienereignis benachrichtigen und zur Feier einladen – da war für ihn auch in diesem Punkt die Welt wieder in Ordnung.

Ein bissel musste da der alte Heidaxl schon schmunzeln, aber gleich gewann wieder seine missliche Gegenwart die Oberhand. »Von was soll ich vielleicht noch leben? Sag mir das einmal!«, redete er einen morschen Pfosten am Wegrand an, der länger ausgehalten hatte als der zugehörige, zu Boden gefaulte Zaun. Mit gespreizten Beinen baute er sich vor dem geduldigen Zuhörer auf, schwankte ein wenig hin und her und predigte voll des Ernstes, mit den Händen dazu gestikulierend: »Von was soll ich bitt schön existieren, du saudummer Pfosten? Soll ich den Bauern Nägel unters Futter tun, damit es wieder ein krankes Vieh gibt? Oder soll ich, weil sich die Jungen nimmer trauen, in meinen alten Tagen noch das Raufen anfangen, damit ich wieder was zum Verarzten und Verbinden hab? Oder soll ich gleich einen erschlagen, damit eine Beerdigung herausspringt?«

Der Zaunpfahl schien nachdenklich zuzuhören und zu nicken. Aber mit einer großspurig ausholenden Armbewegung lehnte der Heidaxl ab: »So was tu ich nicht! Ich bin ein ehrlicher Mann! Lieber verding ich mich dem Erlbauern als Kuhdompteur und Mistgabelakrobat!«

Bocksteif stand der Zaunpfahl. »Jawohl!«, schrie ihn der Heidaxl an und bekräftigte seine Rede: »Gell, da schaust!«

Und wenn der Poldlbauer meinte, als Bürgermeister ihm raten zu müssen, er, der Heidaxl, sollte die ganze Vermittlerei und Kurpfuscherei endlich bleiben lassen und lieber Sozialgeld beantragen, nachdem er leider so gut wie nichts in die Rentenkasse gezahlt habe, dann hatte der Gescheitmeier sich aber gehörig gebrannt! Der Heidaxl aß kein Gnadenbrot! Er brachte sich selber weiter, solange er konnte, ehrlich und recht! Was wusste denn der Bürgermeister? Gar nix! War ein guter Schmuser für die Leute oft nicht mehr wert als so ein Großkopferter, der nichts konnte außer dumm reden? Zweiundsiebzig rechtschaffene Jahre war er jetzt alt, und über fünfzig Jahre war er schon der Schmuser Heidaxl, der für jeden da war, immer einen Rat wusste und schon vielen ins Eheglück verholfen hatte. Jawohl, das war ein Verdienst, wie es keiner im Dorf vorzuweisen hatte, und wenn sie den Heidaxl nicht gehabt hätten, dann hätte es ein Durcheinander gegeben, dass es ein Grausen gewesen wäre! Wo war denn einer, der die Hochzeiten so kunstvoll und fein einfädeln konnte wie er? Wo war einer, der so würdig und wohlgesetzt zu den Leichenbegängnissen einsagte? Und wo war einer, der ...

»Hoppla! Verdammte Sauerei!« Da hätte sich einer zu Tod fallen können auf diesen Bauernwegen. Dass die einmal zusammengeholfen und den Weg gerichtet hätten? Das gab es nicht! Bis sich einer die Haxen gebrochen hatte – und dann wollte kein Mensch in der Gemeinde dafür aufkommen.

»Etwas Saudummes, so ein Rausch, etwas Damisches! Richtig vernagelt bist du da!« Aufgebracht vor Ärger über sich und die Welt, mit brummendem Kopf, rappelte er sich wieder hoch. Mit den Armen fuchtelnd, ruderte er dem Dorf zu.

Dieses ruhte im hellen Mondschein. Ein fahles Gelb lag auf den Dächern und blitzte aus den Fenstern zurück. Ab und zu knackte es in einem der alten Häuser, wenn sich das Holz dehnte und streckte in der Kühle der Nacht. Ein feines Singen schien in der Luft zu liegen. Ein leichter Windhauch brachte von den Bergen herunter das leise Rauschen des Waldes und aus dem Talgrund herauf das Murmeln des Baches.

Dösend seinen klappernden Schritten nachfallend, stolperte der Heidaxl durch ein ausgefahrenes und ausgeschwemmtes Gässchen zur Dorfstraße hinab, vorbei am Heustadel des Häuslers Schöpf. Der Hall seiner Schritte pochte an die verwitterte Holzwand.

»Oha!« Der Heidaxl stoppte, überlegte, ging etliche Schritte zurück, schaute an dem alten Stadel empor und wiegte nachdenklich den Kopf. Hatte ihn da nicht gerade etwas geblendet? Er bewegte den Kopf hin und her und fixierte forschend die knorrigen Bretter.

Richtig! Da brannte ein Licht im Stadel! Durch einen Spalt in der nachtschwarzen Holzwand glühte es heraus wie das Auge eines lauernden Tieres.

Sonderbar!, dachte er. Was der Schöpf wohl um drei in der Früh mit einem Licht im Heustadel zu tun haben konnte? Neugierig trat er an die Holzwand heran und spähte durch den Spalt. Da zuckte er erschrocken zurück, schaute wieder hinein und noch einmal. Kopfschüttelnd trat er von einem Fuß auf den anderen, kratzte sich am Hinterkopf und lugte wieder in den Stadel. Vor Staunen riss er den Mund weit auf.

»Ja, gibt’s denn das auch?«, raunte er, als er wieder Worte fand. Wie gebannt drückte er ein Auge auf die Lücke im Holz, den pochenden Schmerz vergessend, den seine Beule dabei verursachte. »Schau einmal den Gauner an! Schau dir nur diesen Lumpen an!«

Kaum einen halben Meter von der Stadelwand entfernt stand im dürren Heu eine Kerze und flackerte lustig. Kaum zwei Finger breit ragte sie noch aus ihrer höchst feuergefährdeten Umgebung. Eine knappe Viertelstunde vielleicht, dann würde die jetzt noch so stille, mondhelle Nacht erfüllt sein vom Schrecken des Feuers, vom Hasten der Menschen und vom Brüllen des Viehs, ein Dach würde prasselnd und krachend zusammenstürzen in den fressenden Flammen, und in der Früh würde das alte Gütchen ein Haufen sein aus Asche und Trümmern. Und der Schöpf würde theatralisch die Hände zusammenschlagen überm Kopf und mit tränenverschleierten Augen stammeln: Wer hat mir das angetan? Mei’, was ist passiert? Mein liebes, ererbtes Häusel ist abgebrannt! Oh schlechte Welt!

Das Entsetzen wuchs in dem Beobachter, je mehr das Flämmchen sich neigte und züngelte. Ein jäher Zorn kam ihn an. Mochte man denn so etwas für möglich halten? Ein bissel durchgedreht war der Schöpf ja immer schon gewesen, aber das, was er da anstiften wollte, war doch ein zu arges Lumpenstück, als dass es dafür in der Erinnerung des Heidaxl einen Vergleich gegeben hätte! Gebannt starrte er auf das zuckende Lichtlein, und die Gedanken galoppierten wild durcheinander in seinem angesäuselten Hirn. Nicht nur die Beule, sondern sein ganzer Kopf tat ihm jetzt weh.

»Heidaxl, kannst du gut pusten?«, flüsterte er sich zu, und ein raues Fürchten rann ihm eiskalt den Rücken hinunter. Er spitzte den Mund und drückte ihn an die Lücke im Holz, dass ihn die Bartstoppeln stachen wie ein Wespenschwarm. Aber sosehr er auch blies und sich mühte, er konnte das Flämmchen nicht zum Verlöschen bringen. Näher und näher sank das weiche Wachs der Kerze dem Heu. Er presste und pustete und fluchte, bis sich alles um ihn drehte und er sich erschöpft an die Holzwand lehnen musste. Heiliger Florian! Und kein Mensch weit und breit!

Mit letzter Kraft setzte er noch einmal an und pustete, dass er meinte, das pochende Herz müsste es ihm aus der Brust treiben. Diesmal duckte sich das Flämmchen ganz tief – und stand nicht wieder auf. Im Heustadel war es dunkel geworden. Benommen sank der Heidaxl in das spärliche Gras zwischen der Holzwand und dem Weg. Er hielt sich den brummenden Kopf, und unter seinen morschen Rippen schienen Brennnesseln zu sprießen. »So ein Bazi!«, keuchte er.

Von der Höhe kamen Schritte heran, und als er aufblickte, stand der Höllgartner-Sepp vor ihm. »Was ist denn? Ist dir schlecht?«, fragte dieser.

»Ich hab bloß gewartet, weil ich wissen wollt, wie lang euer Rendezvous dauert.« Der Schmuser nahm sich zusammen und grinste gezwungen. »Ich muss ja schließlich wissen, ob ihr meine Kunst wert seid!« Sein Faltengesicht zuckte dazu wie unter Schmerzen.

»Hast halt zu tief in den Maßkrug geschaut, du alter Krauterer!«, lachte der Sepp und stellte den Heidaxl schwungvoll auf die wackligen Beine.

»Die Welt ist schlecht«, seufzte dieser entkräftet und schlurfte neben dem Höllgartner her durchs Dorf. Bei den letzten Häusern gingen sie auseinander – der Sepp in die Göll, das vom Dorf abzweigende Seitental, und der Heidaxl zwischen zwei Bauernhöfen hindurch aufwärts zur Höhe am Birkenberg.

»Gut Nacht, Heidaxl, und vergiss nicht das Vermitteln!«

Doch der Angesprochene hörte nicht hin, sondern schlich kopfschüttelnd und vor sich hinbrummend den Weg hinauf.

»Wird schon alt und wunderlich«, sagte der Sepp zu sich und wanderte pfeifend davon in die einsame Nacht.

Langsam und nachdenklich zockelte der Heidaxl neben einem Haselrain aufwärts bis zu einem unansehnlichen, windschiefen kleinen Haus, das inmitten eines mondhellen Wiesenflecks am Birkenberg stand. Das war sein ererbtes Häusel, seine kleine Heimat, die er um nichts in der Welt weggegeben oder gar niedergebrannt hätte.

Wenn er vor vielen, vielen Jahren in später Nacht heimgekommen war, dann hatte hinter dem Fenster, in dem sich jetzt matt der Mond spiegelte, der alte Vater längst geschlafen, und wenn er dann in die Diele schlich, schlug ihm der warme Atem des Zuhauses entgegen. Heute aber wurde das Häusel nimmer heimelig warm, es blieb trotz Einheizens unfreundlich und innerlich ausgekühlt, als wäre es überhaupt nicht bewohnt, denn der Heidaxl verbrachte darin so wenige Stunden, dass die Winkel und Wände seinen Atem und sein Leben nicht mehr annahmen. Zu ebener Erde besaß das kleine Haus Stube und Kammer und darüber, unter dem Dach, einen engen Bodenraum. Neben der Diele war noch der Stall, in dem einst zwei Ziegen gestanden hatten, der aber heute nur mehr von einigen Hühnern bewohnt war. Um diesen das Hinaus- und Hineinschlüpfen zu ermöglichen, wenn er unterwegs war, hatte er in der Haustür ein Schlupfloch ausgeschnitten.

Durch dieses griff er nun und zog an einem an der Innenseite der Tür herabhängenden Strick. Der Riegel klappte hoch, und die Tür ließ sich öffnen. Dank dieser eigenen Erfindung trat er ein ohne Hausschlüssel. Er tappte durch den finsteren Flur zur Stubentür. Hinter ihm fiel der Holzriegel mit einem lauten Schlag selbsttätig wieder zu.

In die Stube leuchtete durch das kleine, halbblinde Fenster der blassgelbe Mond so hell, dass der Spätheimkehrer die wenigen Gegenstände unterscheiden konnte, ohne die Funzel anzumachen. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf das alte Kanapee plumpsen, so dass eine Sprungfeder knarrend protestierte und sich erbost durch den mürben Überzug zwängte. Von der Wand schimmerte im fahlen Mondlicht das Bild des heiligen Florian.

»Oh Flori, heut hast du es wieder gesehen, was für schlechte Leute es gibt! Gell, wenn wir zwei nicht gewesen wären, dann tät das Schöpfhäusel jetzt in Schutt und Asche liegen!«

Grunzend und gähnend legte er sich zurecht und polterte die Füße auf den wackligen Tisch, der diese ungehobelte Behandlung mit einem Ächzen quittierte und sich ein wenig zur Seite neigte. Wenn dem Heidaxl jetzt jemand ein Dutzend einträgliche Hochzeiten dafür versprochen hätte, wäre er auch nicht mehr mächtig gewesen, sich auszuziehen und seine Liegestatt in der Kammer aufzusuchen.

Oh mei’, der alte Schöpf!, ging es ihm wieder durch den Kopf. Was war bloß in den spinnerten Häusler gefahren, dass der seine Existenz abbrennen wollte? Früher hatte der wohl einmal gesagt, dass er am liebsten die alte Hütte abreißen und etwas Besseres hinstellen würde. Na ja, mit Zündholz und Kerze brach man ein Haus schon schneller und rentierlicher ab als mit Hacke und Säge! Andererseits hatte der Schöpf niemals den Eindruck gemacht, dass er das ernst meinen könnte ... – oder war der verhinderte Brandstifter etwa sein Sohn, der Girgl? Was aber hätte der damit bezwecken wollen?

Die ganze Zeit schon hatte der Heidaxl darüber nachgrübeln müssen. Er hatte gar nicht mehr gehört, was der Höllgartner auf dem Heimweg alles an ihn hingebrabbelt hatte.

Und plötzlich ging ihm jetzt ein Licht auf. Da herinnen war er doch gesessen, der alte Schöpf, und hatte nachgefragt, ob er ihm nicht eine passende Hochzeiterin wüsste! Die Schöpfin war vor vier Jahren gestorben, und nun hoffte der rostige Einspänner, sich noch einmal Einlass in den Ehehimmel verschaffen zu können. Ja, wenn er ein schöneres Häusel hätte, hatte da der Heidaxl dem Schöpf Bescheid gegeben, wäre vielleicht etwas zu deichseln – aber in seine abgewirtschaftete Hütte würde eine Frau, die für ihn in Frage kommen könnte, nur ungern ziehen.

So war es gewesen. Und das hatte sich der Schöpf, dieser wurmstichige Holzkopf, derart zu Herzen genommen, dass er kurzerhand sein Häusel niederbrennen wollte, um einen zweiten Frühling zu erzwingen! Wie ein alter Gockel bloß so verbohrt und hirnlos werden konnte vor lauter Weibsnarrheit?

Was aber hatte er, der Zeuge und Verhinderer der Tat, nun in der Sache weiter zu tun? Gleich in der Früh zur Polizei gehen und alles haarklein erzählen? Das hätte sich eigentlich gehört bei so einem Frevel! Aber – das hätte er gleich tun müssen! Denn am Tag würde kein Beweis mehr zu finden sein, und einen zweiten Zeugen gab es nicht. Und abgesehen davon – so einfach wäre das auch nicht gewesen, wo er doch den Schöpf schon so lang und so gut kannte! Den musste er also selber einmal ins Gebet nehmen. Und wenn der Bazi dann aufrichtige Reue zeigte und verspräche, nie mehr einen brennenden Kerzenstummel ins Heu zu stellen und in Heiratssachen dem wohlverstandenen Rat des Fachmanns zu folgen – gegen gutes Geld natürlich –, dann würde er ihm diese Geschichte ja auch nachsehen können. Und ein nicht zu verachtendes Resultat davon würde auch sein, dass der Schöpf von da an einen Mordsrespekt vor ihm haben musste!

Ja, was er, der Heidaxl, schon alles gerichtet und geschlichtet hatte und welches Ansehen ihm dafür zugewachsen war, das ging in alle Heustadel des Dorfes nicht mehr hinein! Jawohl, Pfarrer hätte man ihn werden lassen sollen, oder Bischof! Aber stattdessen wollte ihm jetzt der Bürgermeister das segensreiche Wirken sogar verbieten! Was verstand denn der davon? Gar nix verstand der! So ein siebengescheiter Erdäpfelbaron ...

Über dem Sinnieren überkam ihn unerbittlich die Bierschwere. Die Gedanken trudelten ineinander und schwammen kreisend davon. Ein Kerzenlicht tanzte verwegen um einen Heuhaufen, und das bitterböse Gesicht der Holzapfelin näherte sich bedenklich dem seinen. Drei Betrunkene stritten sich sinnlos in seinem Kopf, und auf der Stirn wuchs ihm ein lila Horn. Dabei fing er zu schnarchen an.

Der Mond warf ein mild leuchtendes Viereck mit dem Schatten des Fensterkreuzes an die dunkle Wand und schob es langsam und geräuschlos durch die Stube. Über eine ausgestopfte Eule, deren Glasaugen tiefgründig aufglühten, huschte das Licht zum Ofen, ruhte wohlgefällig auf den grünen Kacheln, rutschte leise weiter in die Ecke und beschien die farbigen Bänder am Hochzeitsladerstecken, setzte funkelnde Lichter in etliche Fläschchen auf einem Wandregal und streifte das Bild des heiligen Florian, so dass das brennende Haus, das zu seinen Füßen hingemalt war, feurig gloste und glühte.

Unermüdlich schnarchte der Heidaxl, rasselte tief wie eine Baumsäge, schnurrte hoch wie eine Hummel, schnaubte wie ein Kettenhund und machte nur Pausen, um unter gurgelndem Schlucken den Mund zu- und wieder aufzumachen.

Weiter wanderte das Viereck des Mondes und rückte sacht in das Gesicht des Schlafenden. Grau und eingefallen lag es in dem bleichen Licht. Die tiefen Falten der Mühsal und des Alters, die sich um Augen und Mund zogen, hatten sich allmählich zu einem friedlichen Lächeln vereint. Struppige, graue Haare bedeckten den Schädel. Und darüber breitete sich der Schatten des Fensterkreuzes.

Als ihm der Mondstrahl unter die verklebten Wimpern stach, wurde der Schlafende unruhig. Noch einmal huschte der Schrecken über seine Züge, und er spitzte den Mund und blähte die Backen, als wollte er gegen den vorwitzigen Himmelskörper anpusten. »Hilfe, brennen tut’s«, seufzte er und drehte sich auf die andere Seite.

Drüben im Hühnerstall krähte der Gockel, und mit ihm sprangen die Hennen von den Nachtsitzen und schlüpften plusternd und gackernd durch das Türloch in den grauenden Morgen.

Auch in der Hühnersteige unter der Bank in der Stube des Häuslers Schöpf krähte der Gockel. So tat er es jeden Morgen, sobald das geringste Tageslicht hereindrang. Ein zweites Mal krähte er, ein drittes Mal und äugte dann, verwundert den Kopf durch die Latten streckend, in die Stube. Auch die Hennen pluderten von der Stange und gackerten durch das Gitter. Heute war etwas nicht wie alle Tage, stellte das Federvieh beunruhigt fest. Gaa – gack!, schimpfte der Hühnerhäuptling und hackte nach seinen neugierigen Weibern. Tagtäglich, solange die gefiederten Stubengenossen denken konnten, hatte ihnen der Schöpf mit dem ersten Hahnenschrei das Gatter geöffnet und sie aus dem Haus gelassen. Und heute? Gleich war es helllichter Tag, und nichts rührte sich!

Ein bisschen Wärme und ein schwacher, abgestandener Geruch von Pfeifenrauch waren noch in der Stube. Am vergangenen Abend war der Hausherr ungewöhnlich lange hier auf der Bank gesessen. Kalt und untätig stand nun der schiefe Kachelofen der betriebsamen Hühnersteige gegenüber. Etliche Kakerlaken verließen ihn im Eilmarsch und wanderten über die Wand hinter den Spiegel. Hell fiepte eine Maus in der Ofenhöhle und raschelte im Reisig, spähte prüfend zu den glotzenden Hühnern und schlüpfte flugs durch ein Loch in der morschen Türschwelle hinaus.

Der Schöpf lag oben in seiner Kammer, schwitzend und mit rotem Kopf.

Er hatte kein Auge zugetan die ganze Nacht, hatte, in der zu kurzen Bettstatt kauernd, gewartet und in die alten Wände des Häusels hineingehorcht. Wenn er sich umgedreht und unter ihm das Bettstroh geknistert hatte, war er jedes Mal bis ins Mark erschrocken, und immer noch angestrengter hatte er in die Nacht gelauert.

So war seit dem Zubettgehen Stunde um Stunde vergangen. Jeder Laut, auch der geringste und gewöhnlichste, hatte ihn in höchste Aufregung versetzt. Wenn es knackte im Holz, wenn im Dorf ein Hund bellte, wenn draußen ein paar Blätter im Wind raschelten – immer fuhr er hoch und griff nach der alten Zigarrenschachtel auf dem Schemel neben seinem Bett.

Einmal, so gegen drei Uhr, hatte er gehört, wie eine und etwas später eine zweite Person auf der Straße gegangen und eine Weile vor seinem Häusel stehen geblieben waren. Den Atem hatte er angehalten, dass er bald erstickt wäre. Warum waren die stehen geblieben, was redeten sie? Hatten sie es schon rot aufgehen sehen überm Stadel? Das Blut hatte gegen seine Schläfen gehämmert und in seinen Ohren gerauscht. Aber weiter waren die nächtlichen Wanderer schließlich gegangen, ohne den Feuerschrei auszustoßen, und schweißgebadet war der Schöpf wieder in die feuchten Kissen zurückgesunken.

Jetzt jedoch musste es jeden Augenblick lichterloh aufgehen im Haus! Jetzt endlich musste doch das Feuer zu hören sein, wie es sich brummend und prasselnd ins Heu fraß! Jeden Moment musste er jetzt schleunigst aus diesem alten Holzkasten heraus, denn der würde nur eine kurze Lohe sein für die Feuersgewalt!

Griffbereit stand die Zigarrenschachtel mit der Versicherungspolice und dem baren Geld. Sein wichtigstes Gewand hatte er ein wenig schmutzig gemacht und zur Brandlin gebracht, die ihm seit dem Tod seiner Frau für ein paar Eier und ein wenig Milch flickte und wusch. Bei einem Witwer fiel das kein bissel auf, und das Gewand war in Sicherheit. Er brauchte, wenn es aufflammte, nur den Girgl zu wecken, die Hühner hinauszuscheuchen, aus dem Haus zu rennen und den Stall aufzumachen. Das klappte aber nur, wenn das Feuer noch nicht zu sehr um sich gegriffen hatte!

Schier eine Ewigkeit verstrich, und unruhig wälzte er sich auf seiner Liegestatt. Diese saudummen Gedanken, die marterten und zwickten ihn, dass es ihm schon überall wehtat! So barsch er sie auch niederdrückte und an die Tagesarbeit, an die Leute im Dorf und an Gott und die Welt dachte, immer wieder gaukelten in sein kreisendes Hirn die Heiratspläne hinein, die in den letzten Wochen seinen Kopf so ganz eingenommen hatten und ihn nicht mehr räumen wollten. Und auf diesem Umweg quirlten jetzt auch immer wieder die folternden Rufe des Gewissens hoch.

Bleich vor Schreck war er in die Höhe gefahren, als das plötzliche Rasseln des Weckers die drückende, unheilschwangere Stille durchschnitten hatte. Hätte er da aufstehen sollen? Unverdächtiger war es, im Bett zu liegen, wenn es zündete! Oder machte er sich gerade verdächtig, wenn er länger als gewöhnlich im Bett blieb? Er konnte schon nicht mehr richtig denken. Die Welt war ihm unberechenbar geworden!

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