Die Holzfäller - Ingrid Seemann - E-Book

Die Holzfäller E-Book

Ingrid Seemann

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Beschreibung

Passt auf sie auf! Die liebenswürdige und hyperaktive Anastassja und ihr vertrauenswürdiger und verlässlicher Zwillingsbruder Aleksej, werden von ihren Eltern in eine Eliteschule für Mädchen und Jungen eingeschrieben. Aber vorerst sind sie von der schrulligen Tante Olga in den russischen Wald eingeladen. Schon am ersten Tag müssen sie schuften! Aleksej muss das Holz schlägern und schichten. und Anastassja muss im Haushalt aushelfen... Ich bin nicht schwul! Der Charmebolzen Florian Jackson ist besonders bei den Mädchen in der Schule beliebt. Bei Olga, wo er mit Freunden seine Ferien verbringt, begegnet er zufällig Justin aus der höheren Klasse. Sie fühlen sich zueinander hingezogen und es entwickelt sich mehr als eine Freundschaft, sehr zum Ärger von Papa Jackson... Als Florian sich vor seinen Eltern outet, rastet sein Dad aus. Das Familiendrama ist perfekt, sehr zur Erheiterung der Schüler vor dem Internat, die sich davon nichts entgehen lassen!

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Inhalt

Passt auf Sie auf!

Die liebenswürdige und hyperaktive Anastassja und ihr vertrauenswürdiger und verlässlicher Zwillingsbruder Aleksej, werden von ihren Eltern in eine Eliteschule für Mädchen und Jungen eingeschrieben. Aber vorerst sind sie von der schrulligen Tante Olga in den russischen Wald eingeladen. Schon am ersten Tag müssen sie schuften! Aleksej muss das Holz schlägern und schichten und Anastassja muss im Haushalt aushelfen…

Ich bin nicht schwul!

Der Charmebolzen Florian Jackson ist besonders bei den Mädchen in der Schule beliebt. Bei Olga, wo er mit Freunden seine Ferien verbring, begegnet er zufällig Justin aus der höheren Klasse. Sie fühlen sich zueinander hingezogen und es entwickelt sich mehr als eine Freundschaft, sehr zum Ärger von Papa Jackson... Als Florian sich vor seinen Eltern outet, rastet sein Dad aus. Das Familiendrama ist perfekt, sehr zur Erheiterung der Schüler vor dem Internat, die sich davon nichts entgehen lassen!

Anastassja

"Nein! Bitte nicht! Mama! Papa! Ich hasse Tante Olga!" Anastassja heult. Ihr feuchter Blick zeigt ihre tiefe Verletztheit. Wie können ihre Eltern ihr das nur antun? Aufgebracht springt sie auf und rennt in ihr Zimmer. Sie ist sehr, sehr wütend. Warum müssen sie und ihr Bruder zu der unheimlichen Hexe? Weil ihre Eltern ihrer überdrüssig sind? Schnaubend vor Frust lässt sie sich auf die Couch in ihrem Zimmer fallen. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt. Es ist sowas von unfair! Hart schlägt sie mit der Faust auf die Matratze. Immer wieder und wieder... Herzhaft weinend ergibt sie sich ihrem Elend.

Aleksej sitzt schweigend auf dem Sofa und guckt verdrossen seiner Zwillingsschwester hinterher. Er ist der ruhige Part der Geschwister und wartet erst einmal ab. Er will aufstehen und zu seiner Schwester. Sein Vater hält ihn fest. „Aleksej, bitte bring deine Schwester zur Vernunft!“ Beschwörend sieht ihn sein Vater an. Aleksej nickt automatisch, obwohl er im Moment nicht direkt weiß, wie er das anstellen soll. Er kennt seine Tante. Sie ist ihnen beiden unheimlich. Sogar seine Eltern fürchten sie. Warum werden sie weggeschickt? Er ist erschöpft. Bald fängt ein neuer Lebensabschnitt für sie beide an. Anastassja mit ihren Allüren… Da brauchen sie sich vorher nicht mit der schrulligen alten Tante in der russischen Einöde abgeben. Oder doch? Er ist sich nicht sicher. Es ist alles so unfair! „Eure Mum braucht ein wenig Pause! Sie hält es mit Anastassja nicht mehr aus. Nur für ein paar Wochen! Tante Olga hat euch eingeladen.“, fügt Papa beschwörend hinzu. „Wir haben uns überlegt, euch ab dem nächsten Schuljahr, wenn ihr sowieso die Schule wechselt, in ein Internat einzuschreiben.“, sinniert er weiter, ohne auf die Reaktion seines Sohnes zu achten.

Entgeistert schaut Aleksej seinen Papa an. „Papa! Das könnt ihr uns nicht antun! Wir sind Zwillinge! Ana braucht mich! Sie dreht durch, wenn sie auf sich alleine gestellt ist!“ Flehentlich hängt er sich am Ärmel seines Vaters fest. „Aleksej, wir haben ein Internat für Mädchen und Jungen gefunden. Es ist sehr schön! Sieh mal!“ Seine Mama zeigt ihm am Laptop Bilder aus dem Internet. Aleksej sieht sich die Bilder an. Er ist noch immer betroffen. Warum wollen die Eltern sie beide loshaben? Wer hat sich immer um Ana gekümmert? Er. Wenn Tobsuchtanfälle über sie gekommen sind, hat er sie immer in ein anderes Zimmer geführt und sie beruhigt. Er hat sie im Schlaf gestreichelt, wenn Anastassja von Albträumen geplagt wurde. Er lernt mit ihr, wenn sie in der Schule mit dem Lernpensum nicht alleine fertig wird. Sie ist hyperaktiv. Ihre Gedanken wechseln von einer Minute zur nächsten, von einem Extrem ins andere, sodass sogar er oft Schwierigkeiten hat, sie zu verstehen. Aber er liebt sie bedingungslos. Sie ist seine Schwester. Sein Ein und Alles. Warum lieben Mama und Papa sie nicht, wie er sie liebt? Sie sind doch ihre Eltern!?

Jetzt sitzt er zwischen ihnen. Erwartungsvoll schauen sie ihn an und warten gespannt auf seine Antwort. Soll er ihnen sagen, dass die Bilder toll aussehen?! Was soll er sagen? Er will zu seiner Schwester! Bumm! Klirr! Irgendetwas wurde im oberen Stockwerk soeben zertrümmert. Ist es der Spiegel im Badezimmer? Drei Augenpaare richten sich seufzend nach oben. Aleksej springt auf und entert, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe. Die Eltern sitzen wie gelähmt auf der Couch. Der Mann versichert seiner Frau: „Liebling, das war es vorerst! Aber wir werden uns dieses Mal durchsetzen und Aleksej wird uns dabei helfen.“ Die Frau nickt vorsichtig. Sie hält es nicht mehr aus. Ihre Liebe zu ihrem Kind schwindet mit jedem zornigen und jedem verrückten Anfall mehr. Sie hält das nicht mehr aus. Es tut ihr leid, dass sie den Jungen nicht alleine behalten kann. Aber Anastassja braucht ihn. Beruhigend legt Herr Kaminov seiner Frau Nikita den Arm um ihre Schulter. „Aber vorerst haben wir die Einladung von deiner Schwester!“

In dem sicheren Wissen, dass etwas zerbrochen wurde, stürmt Aleksej in das Zimmer seiner Schwester. Sie liegt auf dem Boden und heult sich die Augen aus. Sofort kniet er sich zu ihr, zerrt sie in seine Arme und wiegt sie hin und her. „Wir beide, du und ich, wir schaffen das! Keiner kann uns etwas antun, nicht einmal Tante Olga! Vertrau mir!“ Mit beruhigend leiser Stimme redet er auf sie ein, bis sich Anastassja schniefend die Wangen mit ihren Ärmeln abwischt. Sie nickt und steht auf. „Wir werden Tante Olga davonlaufen! Sie kann uns nicht verhexen, oder?“ Anastassja sieht glühend und wild aus, wenn sie so spricht. Sie ist auch eine kleine Hexe, so wie sie mit ihren verwuschelten Locken und funkelnden Augen Aleksej taxiert. Er sieht sie lächelnd an. Seine Liebe zu ihr ist grenzenlos. Er nimmt sich den Laptop seiner Schwester und setzt sich gemütlich, mit dem Rücken zur Wand, hin. Er will sich die Bilder vom Internat ansehen. Es ist ein exklusives Haus. Hier kommt nur die Elite hinein. Seine Eltern können es sich leisten! Es gefällt ihm sogar. Ein modernes Haus mit viel Wiesen und Wald rundherum. Hier kann er sich mit Anastassja zurückziehen, wenn es notwendig wird. Die Innenausstattung ist hell und großzügig. Lichtdurchflutete Räume sind vorherrschend. Viele Grünpflanzen zieren die Räume. Die Bilder sind sehr vielversprechend.

„Was guckst du da?“ Anastassja lässt sich neugierig neben ihn fallen. Sie hat Tante Olga schon wieder verdrängt. „Was denkst du? Gefällt es dir?“ Aleksej zeigt auf die Bilder und scrollt sie langsam durch. „Sieht gut aus. Wieso?“ „Was würdest du sagen, wenn wir beide dort zur Schule gingen?“ Er wendet sich zu ihr und lacht sie an. Sie lacht zurück, nicht wirklich ahnend, was er meint. „Spielen wir ‚Mensch ärgere dich nicht‘?“ Anastassja hat genug von Internet Bildern. Ihre Geduld, sich länger auf ein Thema zu konzentrieren, ist sehr gering. Aleksej seufzt. Er wird es noch ein paar Mal versuchen müssen, um in dieser Angelegenheit zu ihr durchdringen zu können und beugt sich vor, um die Spielsteine für das ‚Mensch ärgere dich nicht‘ aufzustellen. Mitten im Spiel stößt sie das Brett willkürlich um. Aleksej hat ihre rote Figur aus dem Spiel getrickst. Sie kann nicht verlieren. Dabei ist es die erste Figur, die er hinausgeworfen hat. Er hat durch sie schon alle seine Figuren an den Start zurücklegen müssen. Das Spiel ist beendet. Sie springt auf und überlässt es ihrem Bruder, Ordnung zu machen. Sie läuft aus dem Zimmer, weil sie Hunger und Durst hat. Aleksej wartet ab.

Kawumm! Der Kühlschrank fällt mit einem lauten Knall zu. „Musst du die Kühlschranktür mit so einer Wucht zuschlagen!“, rügt Papa Anastassja. Sie schreit auf. Ihr Papa hat sie, um sich Gehör zu verschaffen, an ihren Arm festgehalten. Sie wehrt sich mit aller Kraft gegen den Griff und er lässt sie augenblicklich los, um sie nicht noch mehr aufzuregen. Anastassja funkelt ihren Vater an: „Lass mich!“ Hilflos geht der Mann zu seiner Frau ins Wohnzimmer und setzt sich seufzend neben sie. „Ich bin froh, wenn Ruhe einkehrt.“ „Aaarrrrgh!“, schreiend steht seine Tochter hinter ihm. Erschrocken springen die beiden Erwachsenen auf und stehen wie angewurzelt gegenüber dem Mädchen. Sie fühlen sich ertappt. Sie wissen nicht mehr, wie sie mit diesem unkontrollierbaren Energiebündel umgehen sollen. Hilflos und mit schlechtem Gewissen starren sie ihre Tochter an. Aleksej schlendert in sein Zimmer, schmeißt sich auf das Bett und denkt über die Zukunft nach. Sollen sich jetzt ihre Eltern alleine mit Ana befassen. Er und Anastassja sind jetzt fünfzehn Jahre alt. Dieses Jahr müssen sie die Schule wechseln. Es wird Stress pur für seine Schwester und anstrengend für ihn werden. Er seufzt. Es wird alles ein bisschen viel für ihn. Er hat das Gefühl, als läuft sein Leben neben ihm vorbei. Seine Eltern wälzen schon seit Jahren die Verantwortung für Anastassja auf ihn ab.

„Alek! Wo bist du? Willst du eine Banane?“ Ana steht vor ihm und hält ihm die geschälte Banane an seine Lippen. Er öffnet seinen Mund, um keine Diskussionen aufzuwerfen, und beißt hinein. „Mhmh. Sehr gut! Danke!“ Sofort steckt sie ihm den Rest hinterher und hüpft gutgelaunt und summend davon. Er bleibt liegen und vertieft sich wieder in die Zukunft. Bald schläft er ein.

„Nein! nein! Lass mich!“, der schrille Schrei weckt Aleksej auf. Es ist stockfinster. Er hat den ganzen Nachmittag verschlafen! Anastassja! Er springt auf und torkelt, noch vom Schlaf gefangen, ins Nebenzimmer. Anastassja hat einen ihrer furchtbaren Albträume! Sie schmeißt ihren Körper hin und her. Ihre Arme schlagen auf etwas ein, als möchte sie etwas abwehren. Ihre Augen starren tränennass und schreckgeweitet ins Leere. Aleksej kriecht zu ihr ins Bett und versucht, sie mit dem Rücken fest an sich zu drücken. „Sch… sch… Ich bin ja da. Es passiert dir nichts! Ich halte dich.“ Er streichelt ihr über Kopf und Arme, bis sie ruhiger wird und schläft wieder ein.

Hänsel und Gretel

Die Koffer der Geschwister sind gepackt und im Auto verstaut. Aleksej schaut zu seiner Schwester. Sie nimmt diese Fahrt als Ausflug wahr. Sie hat den Aufenthalt bei Tante Olga schon lange aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Sie summt gut gelaunt vor sich hin. „Wir machen einen Ausflug. Wer weiß wohin…? La…la…la…“, trällert sie leise. Nikita Kaminov sieht fragend zu ihrem Sohn auf die Rückbank. Er schüttelt auf ihre stumme Frage hin, den Kopf. Nein, er hat sich nicht mehr die Mühe gemacht und Ana eingeweiht. Die Eltern sehen sich stillschweigend, fragend an. Ob das gut geht?

Das Haus der Tante Olga steht wirklich in der Pampa… inmitten von dicht stehenden Nadelbäumen in einer kleinen Lichtung! Die Gegend ist trostlos. Aleksej kennt das noch vom letzten Mal. Er und Ana sind noch klein gewesen und ihre Tante ist ihnen furchterregend erschienen. Aber jetzt sind sie größer. Vielleicht wird es nicht mehr so schlimm…

Die Eltern haben sie in der Nähe des Hauses von Tante Olga abgesetzt und sind gleich wieder weggefahren. Aleksej fühlt sich wie aus dem Märchen Hänsel und Gretel. Anastassjas große tränenerfüllte Augen sehen ihren Eltern nach, als diese sie einfach auf dem Weg stehen gelassen und sich nicht richtig von ihnen verabschiedet haben. Sie haben einen dringenden Termin, entschuldigen sie sich überstürzt. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Das Mädchen ist still in sich gekehrt und sagt kein Wort mehr. Fest in Aleksejs Hand gekrallt, lässt sie seither nicht mehr locker. Sie ist verwirrt und hat Angst…

Betont langsam gehen sie zum Haus, als wären sie auf dem Weg zum Schafott. Der schmale, festgetretene Pfad wird von hochgewachsenen Tannenbäumen gesäumt. Aleksej schwitzt. Seine Muskulatur ist für einen Fünfzehnjährigen noch nicht kräftig genug, als dass er das schwere Gepäck, in der einen Hand und das Mädchen, das sich schwer an die andere Hand hängt, mit Leichtigkeit bewältigen könnte. Aber er beißt die Zähne zusammen und sie erreichen irgendwann das Haus. Es ist kein Lebkuchenhaus. Es sieht sehr alt und verwittert aus. Vereinzelt fehlen Ziegel auf dem Dach. Der Putz an den Wänden blättert ab. Die Fensterläden hängen gerade so in den Angeln. Da ist schon lange nichts mehr gemacht worden. Eine alte gebeugte Frau, auf einem Stock gestützt, kommt ihnen entgegen. „Hallo Tante Olga! Mama und Papa haben einen Termin. Sie sind gleich weitergefahren!“, versucht Aleksej die Situation zu erklären. Tante Olga sieht die beiden Kinder schweigend an. Sie spürt, dass sie Angst haben und lächelt, was keine gute Idee ist. Denn sie hat große Zahnlücken. Die restlichen Zähne sehen auch verfault aus. Außerdem steht sie mit bunten Lumpen und ungekämmten langen, grauen und verfilzten Haaren vor ihnen… wie eine Hexe aus dem Märchenbuch! Aleksej zieht seine Schwester schützend hinter sich. Die Hexe ist ihm nicht geheuer. „Was ist los mit euch! Steht nicht so herum und kommt rein in die gute Stube!“ Olga dreht sich um und humpelt voran. Aleksej stakst vorsichtig mit Anastassja hinter ihr her. Argwöhnisch betreten sie das Häuschen.

Er sieht sich um. Welches Durcheinander! Alte Möbel… bunt durcheinandergewürfelt, als wären sie vom Flohmarkt erstanden… uralt und verbraucht, wie Olga selbst. „Macht es euch gemütlich!“, zwitschert sie. „Ihr habt sicher Hunger! Ich habe schon gekocht. Setzt euch!“ Sie rührt in dem Kessel über der offenen Feuerstelle um und schöpft den Kindern je einen Schöpflöffel voll von der undefinierbaren Brühe auf ihre Teller. „Mahlzeit! Lasst es euch schmecken!“ Tante Olga nimmt einen Bissen zu sich, um zu zeigen, dass es essbar ist und deutet wortlos den Kinder an, es auch zu probieren. Zumindest riecht es gut. Vorsichtig kostet Aleksej.

Es schmeckt sogar sehr gut! „Wirklich gut Tante Olga! Anastassja, iss!“, fordert er sie auf. Sie lässt ihn endlich los und macht es ihm nach. Die Teller sind bald leer und werden wohlwollend nachgefüllt. Gesättigt und froh, dass es bis jetzt nicht so schlimm bei Tante Olga ist, lehnen sie sich zurück und warten ab. Tante Olga redet die ganze Zeit, ohne eine Antwort zu erwarten. Irgendwann werden sie auftauen, denkt sie sich. „Anastassja, ich habe junge Kätzchen. Willst du sie sehen? Sie sind hinten im Schuppen!“ Anastassja nickt und springt auf. Der Sessel fällt auf den Boden. „Ts…ts… nicht so stürmisch! Der Sessel muss noch eine Weile halten!“, meint sie kopfschüttelnd. Sofort ist Anastassja wieder auf Tauchstation hinter Aleksej. Sie hat Angst. Die Tante ist ihr nicht geheuer. „Kommt!“, fordert die alte Frau sie auf und geht gichtgeplagt voraus. Aleksej folgt ihr, mit Anastassja an der Hand und mit etwas Abstand zur Tante, zum Schuppen.

Als seine Schwester jedoch die kleinen Kätzchen sieht, reißt sie sich endgültig von ihrem Bruder los und kniet entzückt vor den niedlichen Tieren nieder. Hingerissen von den flauschigen Wollknäueln, sieht sie glückselig zu Aleksej auf. „Schau! Aleksej! Sind die nicht süß?“ Ich möchte auch so ein Kätzchen!“ Sie hält ein flauschiges weiß-schwarzes Kätzchen in die Höhe und fängt an mit dem Tierchen zu schmusen. Sie blendet ihre Umgebung komplett aus. Aleksej schmunzelt. Die Kätzchen werden den Aufenthalt bei Tante Olga retten. „Gefallen sie dir? Du kannst sie versorgen, derweil ihr hier seid. Sie haben ihre Mutter bei der Geburt verloren und müssen gefüttert werden. Wenn du willst zeig ich dir wie es geht.“ Tante Olga weiß, dass diese Aufgabe dem Mädchen gefallen wird. Anastassja nickt begeistert. Sie will die kleinen Lebewesen gar nicht mehr verlassen und setzt sich ganz nah an den Korb und streichelt eins nach dem anderen. Vergessen ist der Kummer wegen der Eltern… vergessen die Angst vor ihrer Tante.

Olga wendet sich Aleksej zu. „Für dich habe ich auch eine wichtige Aufgabe. Ich habe hinter dem Haus einen Haufen Holz. Es muss gestapelt werden. Glaubst du, dass du das hinbekommst?“ Aleksej nickt. Klar. Er ist stark. Olga begleitet ihn zu dem wilden Holzhaufen auf der hinteren Seite des Hauses. Zuerst muss er schlucken. Da liegen ja sehr viele Scheite herum! Er steht vor einem überdimensional hohen Holzberg. Olga zeigt ihm, wie sie es sich vorstellt und meint: „Na ja, es schaut sehr viel aus. Aber fang erst einmal an. Es ist nicht so wichtig, wenn du damit nicht fertig wirst. Aber ich bin froh, wenn ich nicht mehr alles alleine machen muss. Ich bin schon alt und die Gicht tut schon sauber weh!“, klagt sie und hält sich ächzend die Hand auf das Kreuz und versucht sich gerade aufzurichten, was ihr nicht ganz gelingt.

„Tante Olga! Schau! Die Kätzchen klettern auf mir herum!“ Anastassja liegt im Gras und lacht. Die Kätzchen liegen auf ihr und neben ihr. Ein seidenweiches Schwänzchen schlägt ihr ins Gesicht. Anastassja fühlt sich glücklich. Olga gackert. Die Einladung der Hexe scheint nicht so schlimm zu sein, wie erwartet. Aleksej hat seine Schwester, seit ihrer Ankunft, vor ein paar Tagen, immer wieder beobachtet. Seit sie hier sind, ist sie ausgeglichener, als zu Hause. Die Tante ist toll. Sie hat immer für sie Zeit. Sie zeigt ihnen alles. Sie erklärt ihnen alles und sie sagt nie, dass sie zu jung für etwas sind. Er versteht gar nicht mehr, warum sie sich gefürchtet haben. Er seufzt. Am liebsten würde er für immer mit Ana hier bleiben. Eine Woche bleibt ihnen noch. Dann müssen sie wieder nach Hause und dann in die neue Schule. Ihm graut davor, seiner Schwester klarzumachen, dass sie nach den großen Ferien in ein Internat ziehen müssen.

„Fleißig! Fleißig Aleksej! Wenn du so weitermachst, habe ich nichts mehr zu tun. Komm! Du hast dir ein kräftiges Abendessen verdient!“ Mit Anastassja an der Hand, geht Olga in die gute Stube voran. Aleksej folgt ihnen. Die körperliche Arbeit und die frische Luft tun ihm gut. Seine Muskeln sind erstarkt und sein T-Shirt spannt über den trainierten Armmuskeln. Anfangs hat er über unerträglichen Muskelkater geklagt. Aber jetzt fühlt er sich stark und frei.

Frei…? Ja, frei…

Er hat dementsprechend einen riesigen und nachvollziehbaren Heißhunger und langt kräftig zu. Auch seine Schwester isst mit Appetit. Ihre Wangen haben eine gesunde und nicht mehr die blasse Farbe. Ihr Gesicht spiegelt Zufriedenheit wider. Die Versorgung der jungen Tiere macht ihr Spaß. Sie nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. Er kennt seine Schwester so nicht. Ihre Aufmerksamkeit war in der Vergangenheit sehr beschränkt. Aber hier? Sie ist wie ausgewechselt. „Schmeckt es dir?“, fragt Olga. Der Junge nickt mit vollem Mund. „Deine Schwester hat mir geholfen!“

„Ja, Olga hat mich das Gemüse schneiden lassen. Das war toll! Dann habe ich den Teig für das Brot geknetet! So etwas habe ich noch nie gemacht! Zu Hause probiere ich das auch! Es gefällt mir! Olga wird mir die Anleitung diktieren.“ Anastassja hat Gefallen an ihren neu entdeckten Kochkünsten gefunden. Sie lacht.

Aleksej freut sich für sie. Seit sie hier sind, kann er durchatmen. Er muss sich nicht um sie kümmern, wenn sie wieder ihre Anfälle hat. Sie hat hier keine. Er merkt selbst, dass es ihm hier gefällt. Olga hat zwar immer wieder schweißtreibende Arbeit für ihn. Aber es macht ihm nichts mehr aus.

„Anastassja! Heute müssen wir die Betten wechseln! Machst du das? Wir müssen auch die Wäsche waschen. Du hilfst mir heute. Du weißt ja, meine Glieder tun schrecklich weh!“ Immer wieder schiebt Olga ihr Gebrechen vor. Aleksej glaubt ihr nicht mehr. Aber solange Anastassja glücklich ist, ist er zufrieden. „Natürlich, ich fang schon an!“ Das junge Mädchen springt hilfsbereit auf und eilt in das Schlafzimmer, das sie sich mit ihrem Bruder teilt.

„Aleksej, ich muss mit dir sprechen!“, Tante Olga sieht ihn stirnrunzelnd an. Ihr Gesicht bekommt dabei noch mehr Falten, als sie schon im Normalzustand hat. „Deine Schwester hat Albträume? Hat sie Probleme zu Hause?“ „Sie hat sie jede Nacht. Wenn es schlimm wird, lege ich mich zu ihr ins Bett und drücke sie ganz fest an mich. Das hilft einigermaßen.“ „Was sagen deine Mutter und dein Vater dazu?“ „Sie wissen es wahrscheinlich nicht, weil ich sie immer beruhige. Sie kommen mit ihr nicht klar. Wenn sie was von ihr wollen, muss ich es ihr beibringen.“ Olga sieht ihn lange schweigend an. Ihre Augenbrauen sind fast zusammengedrückt. Ein steile Falte auf ihrer Stirn zeigt ihren Unmut. Sie hat gemerkt, dass er anfangs nicht von der Seite seiner Schwester gewichen ist. Er hat sie immer beschwichtigt und abgelenkt, wenn ihr etwas nicht gefallen hat. Der Junge wird komplett von seiner Schwester vereinnahmt, sodass er kein eigenes Leben hat! Nachdenklich folgt sie Anastassja ins Schlafzimmer, um sie weiter anzuleiten.

Vladimir

„Hallo Tante Olga, ich bin’s!“ Ein junger Mann kommt zur Tür herein und wirft seine schwere Tasche in die Ecke. „Vladimir! Komm rein! Was für eine Freude! Nimm dir einen Teller und iss mit uns!“ Vladimir setzt sich an den Tisch und salutiert lässig in Richtung der Zwillinge. Anastassja ist mit ihrer Arbeit fertig und hat sich wieder zu ihrem Bruder gesellt. „Vladimir, das sind Anastassja und Aleksej.“ Stumm nicken sich alle zu und essen weiter. Unauffällig beobachtet der junge Mann das Mädchen.

Anastassja ist ein auffällig hübsches Mädchen. Sie hat dichte, kastanienbraune Locken, die ihr ungezähmt über die Schultern fallen. Rehbraune Augen blicken in seine. Sofort senkt sie ihren Blick wieder auf den Teller. Ihre Wangen sind gerötet. Sie gefällt Vladimir. Warum guckt er mich so an? Anastassja ist verwirrt. Seine blauen Augen schauen wissend in ihre. Schnell senkt sie sie wieder auf ihren Eintopf. Er macht sie nervös. Klirr! Auch das noch! Ihr Löffel ist ihr aus der Hand gefallen. Wie peinlich! Schnell nimmt sie ihn wieder in ihre zitternde Hand. Sie wird hibbelig. Sie kann nicht mehr ruhig sitzen. „Tante Olga, ich bin fertig! Darf ich aufstehen?“ Olga nickt. Sofort ist Anastassja zur Tür hinaus. Sie braucht Luft. Aleksej macht sich Sorgen. Er erkennt die Vorboten, wenn sich seine Schwester einem Anfall nähert. „Darf ich auch aufstehen?“ Er wartet nicht auf das bejahendes Zeichen von seiner Tante, sondern springt auf und eilt seiner Schwester besorgt hinterher.

Er findet sie im Schuppen bei den Katzen. „Was war das eben?“ Aleksej nähert sich ihr und setzt sich auf die andere Seite des Katzenkorbes. „Hast du gesehen, wie Vladimir mich angesehen hat? Es hat mich nervös gemacht. Ich habe es nicht ausgehalten. Ich musste raus!“, Anastassja hat keine Scheu mit ihrem Bruder über ihre Gefühle zu sprechen. „Mein Körper hat angefangen zu kribbeln. Hier!“, sie zeigt ihm die Stelle, wo es kribbelt: „Es war so komisch. Es hat mich verlegen gemacht.“ Sie krabbelt zu ihrem Bruder und kuschelt sich in seine Armbeuge. Dort fühlt sie sich sicher und beschützt.

Plötzlich kommt Vladimir in den Stall. Er sieht Aleksej vorsichtig an. Das Mädchen klammert sich an den Burschen, als müsste der Junge sie beschützen. Es irritiert Vladimir. Es sind doch Geschwister? Oder nicht? „Hi. Darf ich mich zu euch setzen?“ Die Zwillinge nicken. Er nimmt sich ein Kätzchen und es schmiegt sich an seine breite Brust. Aleksej mustert ihn. Vladimir ist älter als sie beide. Vielleicht neunzehn, vielleicht zwanzig, oder älter? Seine Statur ist von Natur aus begünstigt. Breite Schultern, schmale Hüften. Groß. Dunkle, fast schwarze Haare, die kurz geschnitten sind, aber vorne immer wieder in die Stirn fallen. Blaue Augen, die seine Schwester intensiv mustern. Es gefällt Aleksej nicht. Sein angeborener Beschützerinstinkt lässt ihn seine Arme noch fester um die schlanke Gestalt seiner Schwester schlingen. Vladimir sieht Aleksej in die Augen. Keiner gibt nach. Bis Vladimir seufzend wegsieht.

„Wie lange seid ihr schon hier?“ „Lange genug!“ Plötzlich springt Anastassja auf. „Hey, spielen wir verstecken!“ Vladimir sieht sie verständnislos an. „Kommt schon! Ihr versteckt euch und ich suche euch!“ Vladimir grinst. „Ja, komm Aleksej, spielen wir! Anastassja dreh dich um. Nicht gucken!“ Vladimir sucht sich ein Versteck. Das kann ja nett werden, denkt er sich. Aleksej steht träge auf. Seine Schwester mit ihren Gedankensprüngen! Er will sich in der Nähe verstecken. Er muss ein Auge auf Vladimir haben. Der Mann ist scharf auf seine Schwester! Ana hat keine Ahnung, auf was sie sich da einlässt. „Zehn! Ich komme! Wo seid ihr?“ Aleksej macht absichtlich ein Geräusch. „Ah, habe ich dich! Alek, ich habe dich!“ Aleksej kommt hinter dem Strohballen hervor, der nicht weit von ihr entfernt ist. „Vladi, jetzt suche ich dich! Wo bist du!“ Er wird es ihr nicht so leicht machen wie ich, ahnt Aleksej. Vielleicht verliert sie vorher auch die Lust am Spiel, hofft er.

Vladimir läuft den Schuppen hinaus und steht nun hinter dem Karren. Er beobachtet belustigt, wie Anastassja aus dem Tor herausläuft. Das Kätzchen, das er noch immer im Arm hat, miaut. „Jetzt habe ich dich!“ Anastassja sieht die Beine von Vladimir und läuft um den Karren herum. Sofort umschlingt er sie mit einem Arm und hält sie fest. „Ich habe dich!“ Sie hat sich furchtbar erschrocken. Der Fremde hält sie fest. Sie kann sich nicht rühren. Sie ängstigt sich. Diese Geste des Begehrens ist für sie völlig neu und sie ist überfordert. Sie kämpft mit Leibeskräften in den muskelbepackten Armen und fährt die Krallen aus. Sie kratzt und beißt ihn und wehrt sich wie eine Katze. Sie schreit laut und schrill. „Lass sie sofort los… Dreckskerl!“ Aleksej steht da und holt seine Schwester aus der festen Umschlingung Vladimirs. Wie nicht anders zu erwarten, erholt sich Anastassja schnell von dieser Schrecksituation. Sie befreit sich augenblicklich, indem sie kräftig gegen die Brust des Mannes drückt. „Lasst uns zum Bach gehen und einen Damm bauen!“ Sie hüpft trällernd davon.

„Anastassja! Du wolltest mir beim Wäsche waschen helfen!“, ruft Olga nach ihr. Anastassja macht sofort kehrt. „Ich komme Tante Olga!“ Sie hat den Damm augenblicklich vergessen. Vladimir ist perplex. „Ist sie immer so?“ „Wie?“ „Na ja, einmal das… dann wieder das. Sie hüpft von einer Idee zur Anderen?“ „Ja.“ Vladimir schüttelt den Kopf. Sie beobachten wie Olga und Anastassja die Wäsche in Körben zum Bach hinunter tragen. Olga hat keinen Strom und deshalb auch keine Waschmaschine.

Aleksej arbeitet an dem Aufschichten der Holzstücke weiter. Er ist fast fertig. Vladimir hat den Auftrag bekommen, die größeren Stücke in kleinere Klötze zu zerhacken. Aleksej beobachtet Vladimir bei der schweißtreibenden Arbeit. Die Muskeln des Älteren sind sehr ausgeprägt. Nicht nur am Oberkörper, auch an den Beinen.

„Wie trainierst du deinen Körper, Vladimir?“ „Gar nicht besonders. Ich komme oft hierher und helfe Olga. Ich mache alles, was sie nicht mehr tun kann. Der Stoß, den du wegschlichtest, ist von mir schon kleingehackt worden. Sie bekommt laufend ganze Stämme geliefert, die ich das Jahr über zerkleinere. Alles aus eigener Muskelkraft! Es gibt keinen Strom, wie du selbst schon mitbekommen hast.“ Vladimir streift mit einer Hand über seine schweißnasse Stirn. „Wahnsinn! Was machst du, wenn du Olga nicht zur Hand gehst?“ „Ich arbeite für einen Bauingenieur als Assistent. Gerade wegen der Ausbildung, die ich zusätzlich mache, habe ich nur begrenzt Zeit. Ich spare mir die Fahrtkosten und laufe hierher. Dafür brauche ich eine Stunde. Je nachdem wie schnell ich laufe.“ „Wie oft bist du da?“ „Na ja, ich versuche, jedes zweite Wochenende herzukommen. Da hacke ich bis zum Umfallen, übernachte hier und laufe wieder nach Hause.“ Vladimir keucht. Er hat während seiner Erklärungen ohne Unterlass weiter geschuftet. Sein ganzer Körper ist schweißnass. Auch Aleksej schwitzt. Der Haufen ist weg. Jetzt kommen die bearbeiteten Holzklötze von Vladimir dazu.

„Hi.“, Anastassja taucht plötzlich auf. Sie gafft Vladimir mit offenen Mund an. Es gefällt ihr, was sie da sieht. Es macht ganz komische Sachen mit ihr. Ein nackter, schweißüberströmter Männerkörper. Die Muskeln bewegen sich mit der Arbeit. „Wow!“, flüstert sie. „Darf ich mal?“ Ohne weiter zu fragen, geht sie einen Schritt auf Vladimir zu. Sie greift auf seine muskulösen Oberarme und tastet sie bewundernd ab. Dann gleitet ihre schmale Hand zu seinem Sixpack hinunter und fährt die einzelnen Muskelstränge entlang. Vladimir hält die Luft an. Er ist irritiert. Anastassja überrascht ihn wieder einmal. Aber was sie da macht, törnt ihn maßlos an. Er sieht in ihre glänzenden braunen Augen, die von langen schwarzen, dichten Wimpern fast verdeckt sind. Sie konzentriert sich ganz auf seinen Körper. Er steht unter Strom. Er wagt es nicht, sich zu rühren. Er lässt sie gewähren. Aber sein Penis führt ein Eigenleben. Er ist prall in seiner Jeanshose. Die kleine Hand ist jetzt bei den unteren Partien angelangt und hält bei seinem schmalen Haarstreifen kurz an. Sie will doch nicht…? Seine Hand hält ihre fest. Fragend schaut sie in seine blauen Augen hinein. „Du hast ganz dunkle Augen heute! Wieso? Gestern waren sie noch richtig blau!“, bemerkt Anastassja. Vladimir stöhnt laut auf. Sie hat keine Ahnung, was sie mit ihm anstellt! Er schiebt sie entschlossen von sich weg und schnappt nach Luft.

„Aleksej, Vladimir! Kommt essen! Es ist angerichtet!“, Anastassja schwenkt augenblicklich auf ihr eigentliches Vorhaben, Olga zu helfen, zurück. Die Jungs beobachten, wie sie nun fröhlich davonhüpft. „Ich hoffe, du siehst das nicht als Aufforderung für mehr! Sie ist zu jung für so etwas! Sie weiß ja nicht einmal, was sie da tut!“ Aleksej will nur sicher gehen. Er hat den gierigen Blick des Älteren gesehen. Vladimir gibt ein Schnaufen von sich. Langsam folgen sie ihr ins Haus.

„Ich habe heute die Wäsche im Bach gewaschen! Das war anstrengend, aber lustig. Olga hat mir Geschichten erzählt. Es war sooo schön!“ Das Mädchen schnattert ohne Unterlass. Olga gackert bei einigen Übertreibungen laut auf. Seit die Kinder hier sind, geht es ihr gut. ‚Ich werde sie jeden Sommer einladen. Vielleicht auch in den Winterferien?‘, nimmt sie sich still vor. Olga macht sich dennoch Sorgen um das Mädchen. Ana hat Albträume. In ihrem Haus kann sie Abhilfe schaffen. Jede Nacht sitzt sie aufmerksam neben Anastassja, spricht heilende Worte und legt ihre Hände auf ihren Kopf, um sie zu beruhigen. Es tut auch Aleksej gut. Er kann schlafen und sieht gesünder aus, als an dem Tag, als sie beide von den Eltern hier abgeladen wurden.

Sie sind nicht mehr blass. Aleksey ist die Last seiner Sorge um die Schwester abgenommen und er entwickelt sich zu einem entspannten jungen Mann. Sie freut sich für sie beide. Das Mädchen ist nicht mehr so sprunghaft wie an den ersten Tagen ihrer Anreise. Sie hat Aufgaben, die sie halbwegs bei der Sache halten. Sie versorgt die Kätzchen, die wunderbar unter ihren zärtlichen Händen gedeihen. Sie kocht gerne und lässt sich auch anleiten. Sie hat die Wäsche mit Freude gewaschen. Sie ist ein liebes Mädel!

Zufrieden sieht sie in die Runde. Sie liebt diese zusammengewürfelten jungen Menschen. Vladimir ist wie ein Sohn zu ihr. Er ist immer da, wenn sie ihn braucht. Aber sie hat auch beobachtet, dass er zu intensiv auf das Mädchen schaut, als gut für ihn ist. Sie hat die jungen Leute beim Versteckspiel beobachtet. Sie hat gesehen, dass Anastassja ohne Scheu seinen Körper abgetastet hat. Armer Vladimir! Er musste sich so zurückhalten. Aber sie hat auch mitbekommen, dass Aleksej ein beschützendes Auge auf seine Schwester hat. Da muss sie sich keine Sorgen machen und braucht selbst nicht einzugreifen.

„Ich wasche ab! Olga du musst heute nichts tun!“ Olga wird abrupt aus ihren Gedanken gerissen. Die Burschen sitzen Olga gegenüber und schauen, jeder seinen Gedanken nachhängend, Anastassja bei ihrem Tun zu. Anastassja werkelt fröhlich summend herum. Das Geschirr scheppert und sie lacht. Überschwänglich küsst sie Olga auf der Wange. Olga kichert. Dann läuft Anastassja auf Aleksej zu und schmatzt ebenso auf seine Backe. Dann nähert sie sich Vladimir.

Er fängt sie ab und dreht seinen Kopf, bevor sie seine Wange erwischt und küsst sie auf die Lippen, wobei er sie eine Sekunde zu lange festhält. Sie kostet ihn neugierig. Er schmeckt ihr. Sie leckt naschend über seine Lippen. Er öffnet sie und zieht stöhnend ihre vorwitzige Zunge in sich hinein. Sie vergisst ihre Umgebung. Im ganzen Körper kribbelt es. Ihre Zehen ziehen sich unwillkürlich zusammen. Schmetterlinge flattern wild in ihrem Bauch herum. Scheu erwidert sie den Zungenkuss. Vladimir fällt es schwer, den biegsamen Körper des wunderschönen Mädchens, nicht an sich zu reißen. Irgendjemand räuspert sich. Es ist Aleksej. Vladimir lässt sie augenblicklich los und sie richtet sich langsam auf. Ihre Hände sind auf seinen Schultern gestützt. Ihr ist es nicht peinlich. Sie lacht fröhlich auf. Olga sieht sich das Ganze interessiert an und schaut Vladimir lange in die Augen. Er wendet als Erster den Blick ab. „Vladimir, kann ich dich unter vier Augen sprechen?“, Olga winkt ihn in ihr Schlafzimmer, wo sie ungestört sind. Vladimir steht auf und folgt ihr.

„Ist da etwas, was ich wissen muss? Du weißt, Anastassja ist fünfzehn. Ich habe für sie die Verantwortung während der Zeit, in der die Zwillinge hier sind.“ Vladimir schweigt. „Junge! Ich sehe doch, dass sie dich nicht kalt lässt! Sprich mit mir!“ Der junge Mann ringt einige Zeit mit sich. Immer wieder nimmt er Anlauf, dann endlich. „Ich bin scharf auf sie! Nur weil ich weiß, dass sie noch sehr jung ist, versuche ich ihr nicht alleine zu begegnen. Sie geht mir unter die Haut! Mann! Es ist reinste Folter, sie nicht haben zu können.“ „Ich habe es schon gespürt, dass du Gefühle für sie hast. Aber nimm dich zusammen. Sonst muss ich dich von meinem Haus verbannen, solange sie hier sind.“ Er nickt und geht niedergeschlagen aus dem Zimmer. So etwas ist ihm noch nie passiert. Gibt es das… Liebe auf den ersten Blick? Es scheint so. Aleksej sitzt noch immer stocksauer in der Stube. Vladimir ist ein nicht einkalkuliertes Problem. Warum muss er gerade jetzt bei seiner Tante zu Besuch sein? Hat er nicht genug damit zu tun, dass es seiner Schwester gut geht? Muss da noch jemand mitmischen?

Anastassja richtet gerade die Fläschchen für ihre Kätzchen her. „Hey Vladimir, willst du mir heute mit den Tieren helfen? Bitte!“, Anastassja schaut Vladimir treuherzig an. Vladimir nickt. Er kann es ihr nicht ausschlagen. Er tritt an ihre Seite, um ihr beim Zubereiten der Mahlzeit für die Kätzchen zuzuschauen. Er hat seine Hände in die Hosentaschen gesteckt, damit sie nicht ihre eigenen Wege gehen.

Aleksey geht schulterzuckend hinaus und setzt sich in die Nähe des Schuppens. Er muss auf die beiden achtgeben, um im schlimmsten Fall seine Schwester von dem Mann loszureißen. Der Kuss zu Mittag hat ihn in Alarmbereitschaft gesetzt.

Was ist das für ein Hokuspokus?