Passt auf sie auf! - Ingrid Seemann - E-Book

Passt auf sie auf! E-Book

Ingrid Seemann

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Beschreibung

"Das gibt es ja gar nicht! Kaum passt man nicht auf, stellt sie schon wieder etwas an!", Aleksej ist aufgesprungen und bahnt sich fordernd einen Weg zu ihr. Er zerrt an der Schulter des wesentlich größeren, muskelbepackten Körper des Mannes. "Hey, nimm die Pfoten von meiner Schwester!" Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, rempelt er ihn scharf an. Der Mann torkelt mit Ana nach vorne und sie rempeln die nächstgelegenen Paare. "Was soll das? Seid Ihr betrunken, oder was?!", verärgerte Kommentare von überall.Der Tanzpartner Anas dreht sich langsam um und sieht Aleksej von oben bis unten an und meint: "Hau ab! Ich bin beschäftigt." ...und küsst das Mädchen in seinem Arm. Aleksej sieht rot. Wie ein Stier rüstet er zum Angriff und rennt mit dem Kopf voran den großen Kerl fast um. ein Schrei folgt. Ana torkelt, wegen der nun abrupt fehlenden Umarmung, zur Seite. Sie beobachtet entsetzt, wie ihr Tanzpartner auf ihren Bruder einschlägt. Äußerst erregt will sie ihrem Bruder, der schon auf dem Boden liegt und sich ächzend, fast schon kraftlos, noch zur Wehr setzt, zu Hilfe eilen und geht dazwischen. Zornig bespringt sie den großen Kerl, trommelt mit ihren Fäusten auf ihn ein und schafft es, dass er die Aufmerksamkeit wieder ihr zuwendet...

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Passt auf Sie auf!

Passt auf Sie auf!InhaltAnastassjaHänsel und GretelVladimirWas ist das für ein Hokuspokus?Hände weg von Ihr!Was geht da vor?Ist schon in Ordnung!Einzug in die neue SchuleNeue FreundeWas macht Sie jetzt schon wieder!Du dumme Nuss!Du schmeckst so süß!Ihr dummen Kühe!VerschwörungDer gestohlene AbendIch will tanzen!SchlafmützeDie RettungsaktionDas DateVersöhnung?AutorinVorschauImpressum

Passt auf Sie auf!

Die dritte Generation

Roman 

1. Teil

Inhalt

"Hallo Brüderchen! Was gibt es?" "Was hast du mit Vladimir? Sag es mir!" Sie guckt ihn verständnislos an. "Was meinst du?" "Du küsst ihn. Ja, du verkriechst Dich ja schon in ihn! Mein Gott, du bist erst fünfzehn! Du bist noch zu jung für so etwas!" Er beobachtet sie mit Argusaugen. Aber sie lacht fröhlich. "Aber Brüderlein! Ich küsse gerne. Vladimir schmeckt so gut. Er gefällt mir so gut. Wenn ich küsse, fliegen tausende Schmetterlinge in meinem Bauch herum. Es ist so aufregend!" Dann fügt sie noch hinzu: "Das musst du unbedingt auch ausprobieren!"

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt!

Anastassja

"Nein! Bitte nicht! Mama! Papa! Ich hasse Tante Olga!" Anastassja heult. aufgebracht springt sie auf und rennt in ihr Zimmer. Sie ist sehr, sehr wütend! Warum müssen sie und ihr Bruder zu der unheimlichen Hexe? Weil ihre Eltern ihrer überdrüssig sind? Schnaubend vor Frust lässt sie sich auf die Couch in ihrem Zimmer fallen. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt. Es ist sowas von unfair! Hart schlägt sie mit der Faust auf die Matratze.

Immer wieder und wieder...

Aleksej sitzt schweigend auf dem Sofa und guckt verdrossen seiner Zwillingsschwester hinterher. Er ist der ruhige Part der Geschwister und wartet erst einmal ab. Er will schon aufstehen und zu seiner Schwester. Sein Vater hält ihn fest. „Aleksej, bitte bring Deine Schwester zur Vernunft!“ Beschwörend sieht ihn sein Vater an. Aleksej nickt automatisch, obwohl er im Moment nicht direkt weiß, wie er das anstellen soll.

Er kennt seine Tante. Sie ist ihnen beiden unheimlich. Sogar seine Eltern fürchten sie ein wenig. Warum werden sie weggeschickt? Er ist erschöpft. Bald fängt ein neuer Lebensabschnitt für sie beide an. Anastassja mit ihren Allüren… Da brauchen sie nicht vorher auch noch weg. Oder doch? Er ist sich nicht sicher.

„Eure Mum braucht ein wenig Pause! Sie hält es mit Anastassja nicht mehr aus. Nur für ein paar Wochen! Tante Olga hat euch eingeladen.“, fügt Papa beschwörend hinzu. „Wir haben uns auch überlegt, ab dem nächsten Schuljahr, wenn ihr sowieso die Schule wechselt, euch in ein Internat einzuschreiben.“, sinniert er weiter, ohne auf die Reaktion seines Sohnes zu achten.

Entgeistert schaut Aleksej seinen Papa an. „Papa! Das könnt ihr uns nicht antun! Wir sind Zwillinge! Ana braucht mich! Sie dreht durch, wenn sie auf sich alleine gestellt ist!“ Flehentlich hängt er sich am Ärmel seines Vaters fest. „Aleksej, wir haben ein Internat für Mädchen und Jungen gefunden. Es ist sehr schön! Sieh mal!“, seine Mama zeigt ihm am Laptop Bilder aus dem Internet. Aleksej sieht sich die Bilder an. Er ist noch immer betroffen.

Warum wollen die Eltern sie beide loshaben? Wer hat sich immer um Ana gekümmert? Er. Wenn Tobsuchtsanfälle über sie gekommen sind, hat er sie immer in ein anderes Zimmer geführt und sie beruhigt. Er hat sie im Schlaf gestreichelt, wenn Anastassja von Albträumen geplagt wurde. Er lernt mit ihr, wenn sie in der Schule mit dem Lernpensum nicht alleine fertig wird. Sie ist hyperaktiv. Ihre Gedanken wechseln von einer Minute zur nächsten, von einem Extrem ins andere, sodass sogar er oft Schwierigkeiten hat, sie zu verstehen. Aber er liebt sie bedingungslos. Sie ist seine Schwester. Sein Ein und Alles. Warum lieben Mama und Papa sie nicht, wie er sie liebt? Sie beide sind doch ihre Eltern!?

Jetzt sitzt er zwischen seinen erwartungsvollen Eltern, die auf seine Antwort warten. Soll er ihnen sagen, dass die Bilder toll aussehen?! Was soll er sagen? Er will zu seiner Schwester!

Bumm! Klirr! Irgendetwas wurde im oberen Stockwerk soeben zertrümmert. Ist es der Spiegel im Badezimmer? Drei Augenpaare richten sich seufzend nach oben. Aleksej springt auf und entert, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe.

Die Wladimir und Nikita Kaminov sitzen wie gelähmt auf der Couch. Der Mann versichert seiner Frau: „Liebling, das war es vorerst! Aber wir werden uns diesmal durchsetzen und Aleksej wird uns dabei helfen.“ Die Frau nickt vorsichtig. Ihre Liebe zu ihrem Kind schwindet mit jedem verrückten Anfall mehr. Sie hält das nicht mehr aus. Es tut ihr leid, dass sie den Jungen nicht alleine behalten kann. Aber Anastassja braucht ihn. Beruhigend legt Herr Kaminov seiner Frau Nikita den Arm um ihre Schultern: „Aber vorerst haben wir die Einladung von Deiner Schwester!“

Aleksej stürmt vorahnend in das Zimmer seiner Schwester. Sie liegt auf dem Boden und heult sich die Augen aus. Sofort kniet er sich zu ihr und zerrt sie in seine Arme und wiegt sie hin und her…

„Wir beide, du und ich, wir schaffen das! Keiner kann uns etwas antun, nicht einmal Tante Olga! Vertrau mir!“, immer wieder redet er leise auf sie ein, bis sich Anastassja schniefend die Wangen mit ihren Ärmeln abwischt. Sie nickt und steht auf. „Wir werden Tante Olga davonlaufen! Sie kann uns nicht verhexen, oder?“, Anastassja sieht wild aus, wenn sie so spricht. Sie ist auch eine kleine Hexe, so wie sie mit ihren verwuschelten Locken und funkelnden Augen Aleksej taxiert. Er sieht sie lächelnd an. Seine Liebe zu ihr ist bedingungslos…

Er nimmt sich den Laptop seiner Schwester und setzt sich gemütlich, mit dem Rücken zur Wand. Er will sich die Bilder vom Internat ansehen. Es ist ein exklusives Haus. Hier kommt nur die Elite hinein. Na, seine Eltern können es sich leisten! Es gefällt ihm sogar. Ein modernes Haus mit viel Wiesen und Wald rundherum. Hier kann er sich mit Anastassja zurückziehen, wenn es notwendig wird. Die Innenausstattung ist hell und großzügig. Lichtdurchflutete Räume sind vorherrschend. Viele Grünpflanzen zieren die Räume.

„Was guckst du da?“ Anastassja lässt sich neugierig neben ihn fallen. Sie hat Tante Olga schon wieder verdrängt. „Was denkst du? Gefällt es dir?“ Aleksej zeigt auf die Bilder und scrollt sie langsam durch. „Sieht gut aus. Wieso?“ „Was würdest du sagen, wenn wir beide dort zur Schule gingen?“ Er wendet sich zu ihr und lacht sie an. Sie lacht zurück.

„Spielen wir ‚Mensch ärgere dich nicht‘?“ Anastassja hat genug von Internet Bildern. Ihre Geduld, sich auf ein Thema länger zu konzentrieren, ist sehr gering. Aleksej seufzt. Er wird es noch ein paar Mal versuchen müssen, um in dieser Angelegenheit zu ihr durchdringen zu können und beugt sich vor, um die Spielsteine für das „Mensch ärgere dich nicht“ aufzustellen. Mitten im Spiel stößt sie das Brett willkürlich um. Aleksej hat ihre rote Figur aus dem Spiel getrickst. Sie kann nicht verlieren. Dabei ist es die erste Figur, die er ausgetrickst hat. Er hat schon alle seine Figuren durch sie, an den Start zurücklegen müssen. Das Spiel ist beendet. Sie springt auf und überlässt es ihrem Bruder, Ordnung zu machen. Sie läuft aus dem Zimmer, weil sie Hunger und Durst hat. Aleksej wartet ab.

Kawumm! Der Kühlschrank fällt mit einem lauten Knall zu. „Musst du die Kühlschranktür mit so einer Wucht zuknallen!“, rügt Papa Anastassja. Sie schreit auf. Ihr Papa hat sie, um sich Gehör zu verschaffen, am Arm festgehalten. Sie wehrt sich mit aller Kraft gegen den Griff und er lässt sie augenblicklich los, um sie nicht noch mehr aufzuregen. Anastassja funkelt ihren Vater an: „Lass mich!“ Hilflos geht der Mann zu seiner Frau ins Wohnzimmer und setzt sich seufzend neben sie. „Ich bin froh, wenn Ruhe einkehrt.“ 

„Aaarrrrgh!“, schreiend steht seine Tochter hinter ihm. Erschrocken springen die beiden Erwachsenen auf und stehen wie angewurzelt gegenüber dem Mädchen. Sie fühlen sich ertappt. Sie wissen nicht mehr, wie sie mit diesem Energiebündel umgehen sollen.

Aleksej geht in sein Zimmer, legt sich auf das Bett und denkt über die Zukunft nach. Sollen sich jetzt ihre Eltern alleine mit Ana befassen.

Er und Anastassja sind jetzt fünfzehn Jahre alt. Dieses Jahr müssen sie die Schule wechseln. Es wird Stress pur für seine Schwester und anstrengend für ihn werden. Er seufzt. Es wird alles ein bisschen viel für ihn. Er hat das Gefühl, als läuft sein Leben neben ihm vorbei. Seine Eltern wälzen schon seit Jahren die Verantwortung für Anastassja auf ihn ab.

„Alek! Wo bist du? Willst du eine Banane?“, Ana steht vor ihm und hält ihm die geschälte Banane an seine Lippen. Er öffnet seinen Mund, um keine Diskussionen aufzuwerfen, und beißt hinein. „Mhmh. Sehr gut! Danke!“ Sofort steckt sie ihm den Rest hinterher und hüpft gut gelaunt davon. Er bleibt liegen und vertieft sich wieder in die Zukunft. Bald schläft er ein.

„Nein!...nein...lass mich!“ Der schrille Schrei nebenan weckt Aleksej auf. Es ist stockfinster. Er hat den ganzen Nachmittag verschlafen! Anastassja! Er springt auf und torkelt, noch vom Schlaf gefangen, ins Nebenzimmer. Anastassja hat einen ihrer furchtbaren Albträume! Sie schmeißt ihren Körper hin und her. Ihre Arme schlagen auf etwas ein, als möchte sie etwas abwehren. Ihre Augen starren tränennass und schreckgeweitet ins Leere. Aleksej kriecht zu ihr ins Bett und versucht, sie mit dem Rücken fest an sich zu drücken. „Sch… sch…Ich bin ja da. Es passiert dir nichts! Ich halte dich.“ Er streichelt ihr über Kopf und Arme, bis sie ruhiger wird. Er schläft bald selbst wieder ein.

Hänsel und Gretel

Heute ist es soweit. Die Koffer der Geschwister sind gepackt und im Auto verstaut. Aleksej schaut zu seiner Schwester. Sie nimmt diese Fahrt als Ausflug wahr. Sie hat den Aufenthalt bei Tante Olga schon lange aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Sie summt gut gelaunt vor sich hin. „Wir machen einen Ausflug. Wer weiß wohin…? La…la…la…“, trällert sie leise.

Nikita Kaminov sieht fragend zu ihrem Sohn auf die Rückbank. Er schüttelt auf ihre stumme Frage hin, den Kopf. Nein, er hat sich nicht mehr die Mühe gemacht und Ana eingeweiht. Die Eltern sehen sich stillschweigend, fragend an.

Ob das gut geht...        

Das Haus der Tante Olga steht wirklich in der Pampa! Kein anderes Haus ist weit und breit zu sehen. Die Gegend ist trostlos. Aleksej kennt das noch vom letzten Mal. Er und Ana sind noch klein gewesen und ihre Tante ist ihnen furchterregend erschienen. Aber jetzt sind sie größer.

Vielleicht wird es nicht mehr so schlimm…

Die Eltern haben sie in der Nähe des Hauses von Tante Olga abgesetzt und sind gleich wieder weggefahren. Aleksej fühlt sich wie aus dem Märchen Hänsel und Gretel. Anastassja Augen sind mit Tränen gefüllt, die bald als dicke Kullertropfen hervorbrechen werden.  Ihre Eltern haben ihre Kinder einfach auf dem Weg stehen gelassen und sich nicht richtig von ihnen verabschiedet! Sie haben einen dringenden Termin, entschuldigen sie sich überstürzt. Sie haben ein schlechtes Gewissen.

Das Mädchen ist still in sich gekehrt und sagt kein Wort mehr. Sie hat sich fest in Aleksejs Hand gekrallt und lässt seither nicht mehr locker.

Sie ist verwirrt und hat Angst…

Betont langsam gehen sie zum Haus. Der schmale, fest getretene Pfad wird von hochgewachsenen Tannenbäumen gesäumt. Aleksej schwitzt. Seine Muskulatur ist für einen Fünfzehnjährigen noch nicht kräftig genug, als dass er das schwere Gepäck, in der einen Hand und das Mädchen, das sich schwer an die andere Hand hängt, bewältigen kann. Aber er beißt die Zähne zusammen und sie erreichen irgendwann das Haus.

Es ist alles andere als ein Lebkuchenhaus. Es sieht sehr alt und verwittert aus. Ziegel fehlen auf dem Dach. Der Putz an den Wänden blättert ab. Die Fensterläden hängen gerade so an den Fenstern. Da ist schon lange nichts mehr gemacht worden!

Eine alte gebeugte Frau, auf einem Stock gestützt, kommt ihnen entgegen. „Hallo Tante Olga! Mama und Papa haben einen Termin. Sie sind gleich weitergefahren!“, versucht Aleksej die Situation zu erklären.

Tante Olga sieht die beiden Kinder schweigend an. Sie spürt, dass sie Angst haben und lächelt, was keine gute Idee ist. Denn sie hat große Zahnlücken. Die restlichen Zähne sehen auch verfault aus. Außerdem steht sie mit bunten Lumpen und ungekämmten langen, grauen und verfilzten Haaren vor ihnen – wie die Hexe aus dem Märchenbuch!

Aleksej zieht seine Schwester schützend hinter sich. Die Hexe ist ihm nicht geheuer. „Was ist los mit euch? Steht nicht so herum! Kommt rein in die gute Stube!“ Olga dreht sich um und humpelt voran. Aleksej stakst vorsichtig mit Anastassja hinter ihr her. Argwöhnisch betreten sie das Häuschen.

Er sieht sich um. Welches Durcheinander! Alte Möbel - bunt durcheinander gewürfelt, als wären sie vom Flohmarkt erstanden - uralt und kaputt wie Olga selbst.

„Macht es euch gemütlich!“, zwitschert sie. „Ihr habt sicher Hunger. Ich habe schon gekocht. Setzt euch!“ Sie rührt in dem Kessel, über der offenen Feuerstelle, um und schöpft den Kindern je einen Löffel voll von der undefinierbaren Brühe auf ihre Teller.

„Mahlzeit! Lasst es euch schmecken!“ Tante Olga nimmt einen Bissen zu sich, um zu zeigen, dass es essbar ist und deutet die Kinder, es auch zu probieren. Zumindest riecht es gut. Vorsichtig kostet Aleksej.

Es schmeckt sogar sehr gut! „Wirklich gut Tante Olga! Anastassja, iss!“, fordert er sie auf. Sie lässt ihn endlich los und macht es ihm nach. Die Teller sind bald leer und werden wohlwollend nachgefüllt. Gesättigt und froh, dass es bis jetzt nicht so schlimm bei Tante Olga ist, lehnen sie sich zurück und warten ab.

Tante Olga redet die ganze Zeit, ohne eine Antwort zu erwarten. Irgendwann werden sie auftauen, denkt sie sich. „Anastassja ich habe junge Kätzchen. Willst du sie sehen? Sie sind hinten im Schuppen!“ Anastassja nickt und springt auf. Der Sessel fällt scheppernd auf den Boden.

„Ts…ts…nicht so stürmisch! Der Sessel muss noch eine Weile halten!“, meint sie kopfschüttelnd. Sofort ist Anastassja wieder auf Tauchstation hinter Aleksej. Sie hat Angst. Die Tante ist ihr nicht geheuer.

„Kommt!“, fordert die alte Frau sie auf und geht Gicht geplagt voraus. Aleksej folgt ihr, mit Anastassja an der Hand und mit etwas Abstand zur Tante, zum Schuppen.

Als seine Schwester die kleinen Kätzchen sieht, reißt sie sich endgültig von ihrem Bruder los und kniet sich entzückt vor den niedlichen Tieren nieder. Hingerissen von den flauschigen Wollknäueln, sieht sie hingerissen zu Aleksej auf. „Schau! Aleksej! Sind die nicht süß?“ Ich möchte auch so ein Kätzchen!“ Sie hält ein weiß-schwarzes Tier in die Höhe und fängt an, mit dem Tierchen zu schmusen. Sie blendet ihre Umgebung komplett aus.

Aleksej schmunzelt. Die Kätzchen werden den Aufenthalt bei Tante Olga retten. „Gefallen sie dir? Du kannst sie versorgen, derweil ihr hier seid. Sie haben ihre Mutter bei der Geburt verloren und müssen gefüttert werden. Wenn du willst, zeig ich dir wie es geht.“ Tante Olga weiß, dass diese Aufgabe dem Mädchen gefallen wird. Anastassja nickt begeistert. Sie will die kleinen Lebewesen gar nicht mehr verlassen und setzt sich ganz nah an den Korb und streichelt eins nach dem anderen. Vergessen ist der Kummer wegen der Eltern. Vergessen die Angst vor ihrer Tante.

Olga wendet sich Aleksej zu: „Für dich habe ich auch eine Aufgabe. Ich habe hinter dem Haus einen Haufen Holz. Es muss gestapelt werden. Glaubst du, dass du das hin bekommst?“ Aleksej nickt. Klar. Er ist stark. Olga begleitet ihn zu dem wilden Holzhaufen auf der hinteren Seite des Hauses.

Zuerst muss er schlucken. Da liegen ja sehr viele Scheite herum! Er steht vor einem überdimensional hohen Holzberg. Olga zeigt ihm, wie sie es sich vorstellt und meint: „Na ja, es schaut sehr viel aus. Aber fang erst einmal an. Es ist nicht so wichtig, wenn du nicht fertig wirst. Aber ich bin froh, wenn ich nicht mehr alles alleine machen muss. Ich bin schon alt und die Gicht tun schon sauber weh!“, klagt sie und hält sich ächzend die Hand auf das Kreuz und versucht sich aufzurichten, was ihr nicht ganz gelingt.

„Tante Olga! Schau! Die Kätzchen klettern auf mir herum!“ Anastassja liegt im Gras und lacht. Die Kätzchen liegen auf ihr und neben ihr. Ein seidenweiches Schwänzchen schlägt ihr ins Gesicht. Anastassja fühlt sich glücklich. Olga gackert mit.

Aleksej hat seine Schwester, seit ihrer Ankunft, vor ein paar Tagen, immer wieder beobachtet. Seit sie hier sind, ist sie ausgeglichener, als zu Hause. Die Tante ist toll. Sie hat immer für sie Zeit. Sie zeigt ihnen alles. Sie erklärt ihnen alles und sie sagt nie, dass sie zu jung für etwas sind. Er versteht gar nicht mehr, warum sie sich vor ihr gefürchtet haben. Er seufzt. Am liebsten würde er für immer mit Ana hier bleiben. Eine Woche bleibt ihnen noch. Dann müssen sie wieder nach Hause und dann in die neue Schule. Ihm graut davor, seiner Schwester klar zu machen, dass sie nach den großen Ferien in ein Internat ziehen müssen.

„Fleißig! Fleißig Aleksej! Wenn du so weitermachst, habe ich nichts mehr zu tun. Komm! Du hast dir ein kräftiges Abendessen verdient!“ Mit Anastassja an der Hand, geht Olga in die gute Stube voran. Aleksej folgt ihnen. Die körperliche Arbeit und die frische Luft tun ihm gut. Seine Muskeln sind erstarkt und sein T-Shirt spannt über den trainierten Armmuskeln. Anfangs hat er über unerträglichen Muskelkater geklagt.  Aber jetzt fühlt er sich stark und frei.

Frei…? Ja, frei…!  Er lacht einfach so...

Immer hat er einen riesigen und nachvollziehbaren Heißhunger und langt kräftig zu. Auch seine Schwester isst mit Appetit. Ihre Wangen haben eine gesunde Farbe. Ihr blasser, ungesunder Teint ist weg. Ihr Gesicht spiegelt Zufriedenheit wieder. Die Versorgung der jungen Tiere macht ihr Spaß. Sie nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. Er kennt seine Schwester so nicht. Ihre Aufmerksamkeit war in der Vergangenheit sehr beschränkt. Aber hier? Sie ist wie ausgewechselt.

„Schmeckt es dir?“, fragt Olga. Der Junge nickt mit vollem Mund. „Deine Schwester hat mir geholfen!“ „Ja, Olga hat mich das Gemüse schneiden lassen. Das war toll! Dann habe ich den Teig für das Brot geknetet! So etwas habe ich noch nie gemacht! Zu Hause probiere ich das auch! Es gefällt mir! Olga wird mir die Anleitung diktieren.“ Anastassja hat Gefallen an ihren neu entdeckten Kochkünsten gefunden.

Sie lacht immer öfter...

Aleksej freut sich für sie. Seit sie hier sind, kann er durchatmen. Er muss sich nicht um sie kümmern, wenn sie wieder ihre Anfälle hat. Sie hat hier keine. Er merkt selbst, dass es ihm hier gefällt. Olga hat zwar immer wieder schweißtreibende Arbeit für ihn. Aber es macht ihm nichts mehr aus.

„Anastassja! Heute müssen wir die Betten wechseln! Machst du das? Wir müssen auch die Wäsche waschen. Du hilfst mir heute. Du weißt ja, meine Glieder tun schrecklich weh!“ Immer wieder schiebt Olga ihr Gebrechen vor. Aleksej glaubt ihr nicht mehr. Aber solange Anastassja glücklich ist, ist er zufrieden. „Natürlich, ich fang schon an!“ Das junge Mädchen springt hilfsbereit auf und eilt in das Schlafzimmer, das sie sich mit ihrem Bruder teilt.