Die Lunte glimmt - Edith Parzefall - E-Book

Die Lunte glimmt E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Prag im Mai 1618: Die von Kaiser Matthias versprochene Religionsfreiheit besteht in Böhmen nur mehr auf dem Papier, und Volkes Zorn entlädt sich gewaltsam. Zwei kaiserliche Statthalter werden mitsamt ihrem Sekretär von Aufständischen aus dem Fenster geworfen. Die Geschwister Milana und Simon Zajíc sehen mit eigenen Augen, wie die Gestürzten sich aufrappeln, und wissen: Weder die Heilige Jungfrau Maria noch ein Misthaufen haben ihnen das Leben gerettet. Doch ihr Vater wird als Drucker in die Propagandaschlacht auf dem Papier hineingezogen. Die Rebellen hingegen rüsten sich für eine Schlacht mit Pike, Schwert und Schwarzpulver, während Obrist Wallenstein im benachbarten Mähren erste Gegenmaßnahmen ergreift. Im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und darüber hinaus richten sich bange Blicke gen Böhmen. Nachrichten aus Prag sind hochbegehrt, Zeitungsschreiber und Kundschafter gefragt. Da kommt allen Beteiligten ein Nürnberger Kaufmann auf Reisen sehr gelegen, doch wie soll Floryk Loyal seine Informationen am besten einsetzen, um den Frieden im Reich zu wahren? Neben einem Kometen erhält auch Meister Frantz, der Henker von Nürnberg, einen kurzen Auftritt.

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Impressum
Vorwort
Handelnde Personen
Glossar:
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
Nachwort
Über die Autorin
Leseprobe aus: Der Funke springt über – Druckerschwärze und Schwarzpulver, Band 2
1. Kapitel

 

 

Die Lunte glimmt

 

Druckerschwärze und Schwarzpulver,

Band 1

 

von Edith Parzefall

 

 

 

Impressum

 

Copyright © 2018 Edith Parzefall

Ritter-von-Schuh-Platz 1, 90459 Nürnberg

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Kathrin Brückmann

Umschlag: Kathrin Brückmann

Originalbilder: Komet über Augsburg von Johann Schultes 1618; Fenstersturz aus Theatrum Europaeum, Band 1, hrsg. von Matthäus Merian, Frankfurt am Main 1662.

 

 

Vorwort

 

Herzlichen Dank für Ihr Interesse an diesem Roman.

Die Jahrestage überstürzen sich 2018 geradezu. 400 Jahre sind vergangen, seit der zweite Prager Fenstersturz den Dreißigjährigen Krieg einleitete, und 350 Jahre, seit Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch erschien. Da sich außerdem Frantz Schmidt, der Nachrichter von Nürnberg, im August 1618 offiziell in den Ruhestand begab, hoffe ich, dass mir die Anhänger der Kriminalromane über den Henker von Nürnberg verzeihen, wenn ich die Reihe kurzzeitig unterbreche. Dafür erhält der gealterte Meister Frantz in diesem Buch einen Gastauftritt.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Testleserin Laura Handl bedanken, deren Feedback und Anregungen extrem wertvoll waren. Nun würde ich mich natürlich über Bewertungen freuen. Ich bin sehr gespannt, ob Interesse an einer Fortsetzung besteht.

 

Und nun viel Spaß mit Mila, Simon, Floryk und einem gewissen Wallenstein, von dem noch kaum jemand gehört hat.

 

Nürnberg im Mai 2018,

Edith Parzefall

 

 

 

Handelnde Personen

 

Simon und Milana: Sohn und Tochter des Druckers Wenzel Zajíc. Die Geschwister dürfen allerlei erleben und erlernen.

Floryk Loyal: Kaufmann im Dienste der Nürnberger Familie Imhoff, der das Prager Handelskontor führt und bisher jedem Krieg erfolgreich entgangen ist.

Marika: eine schöne Italienerin, die Floryk viele Rätsel aufgibt.

 

Prominente Akteure

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein oder Wallenstein: ein böhmisch-mährischer Landadeliger, der noch Großes vor sich hat.

Ferdinand: Erzherzog von Innerösterreich, Cousin des Kaisers Matthias und seit einem Jahr König von Böhmen, wo er mit Hilfe von Jesuiten die Rekatholisierung des Landes vorantreibt.

Graf Heinrich Matthias von Thurn: Defensor des protestantischen Glaubens, Mitglied der Ständevertretung, Heerführer der Protestantischen Union und einer der Anführer des Aufstands gegen König Ferdinand.

Die Gestürzten: Burggraf Jaroslav Borsita von Martinitz und Oberstlandrichter Wilhelm Slavata von Chlum und Koschumberg sowie ihr Sekretär Philipp Fabrizius.

Franz Seraph von Dietrichstein: Kardinal und Bischof von Olmütz, der aus einem österreichischen Adelsgeschlecht stammt.

Karl von Žerotín: Schwager von Wallenstein, Diplomat, Großgrundbesitzer und Angehöriger des mährischen Herrenstands.

Polyxena Popel von Lobkowitz (kurz Polyxena von Lobkowitz): Die Gattin des böhmischen Oberstkanzlers Zdeněk Vojtěch Popel von Lobkowitz, der gerade am Hof in Wien weilt, nimmt die gestürzten Statthalter auf.

 

Im Hintergrund

Matthias: Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, der sich in dieser Krise zu sehr auf seinen Kanzler Kardinal Melchior Khlesl stützt, was zu dessen Verhaftung führt. Er und sein Bruder Maximilian sind schon ziemlich alt und kränklich.

Karl Emanuel I. von Savoyen steht auf der Seite Böhmens, schickt den Aufständischen Ernst von Mansfeld, Condottiere im Dienst Savoyens, mit einem Regiment zu Hilfe.

Kurfürst Friedrich von der Pfalz ist möglicher Anwärter auf die böhmische Krone und Anführer der Protestantischen Union, die vor allem auf Betreiben seines Beraters Christian von Anhalt gegründet wurde.

Herzog Maximilian von Bayern gründet die Katholische Liga, von der allerdings auf Wunsch des Kaisers nur noch ein Rumpfbündnis übrig geblieben ist.

Kurfürst Johann Georg von Sachsen ist einer der mächtigsten protestantischen Fürsten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, scheut aber davor zurück, sich dem Aufstand anzuschließen.

Andreas Imhoff: Ratsherr zu Nürnberg und Bruder von Wilhelm Imhoff, dem Leiter des Handelsunternehmens.

 

Familiäre Verflechtungen des Hauses Austria

 

 

Glossar:

Arkebuse oder Hakenbüchse bezeichnet ein kurzes Vorderladergewehr, das im 17. Jahrhundert allmählich von der längeren Muskete abgelöst wurde, die auch größere Kaliber abfeuern konnte. Der Namen gebende Haken diente zum Umhängen, aber auch dazu, den Rückstoß abzufangen, wenn man sie damit an einer Mauer oder einem Ast einhängte.

Böhmische Brüder oder Brüder-Unität wurde die religiöse Gemeinschaft der Anhänger des Reformators Jan Hus genannt. Allerdings spaltete sich diese nach der Hinrichtung ihres Anführers. Im Verlauf der Hussitenkriege bekämpften sich die beiden Hauptrichtungen auch gegenseitig, obwohl es primär gegen Katholiken gehen sollte. Aus dem gemäßigteren Flügel gingen die Utraquisten hervor.

Condottiere war die italienische Bezeichnung für Söldnerführer, die nach Bedarf eigenen Heere aufstellten und in den Dienst verschiedener Herrscher stellten. Das Konzept hatte sich unter den italienischen Städterepubliken etabliert und setzte sich allmählich in ganz Europa durch, da bis nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges kein Herrscher ein stehendes Heer unterhielt.

Defensoren waren ein Kollegium, das speziell zum Schutz der nicht katholischen Christen gegründet wurde, nachdem die Gegenreformation immer mehr voranschritt.

Zum Königreich Böhmen gehörten neben Böhmen auch Mähren und Schlesien sowie die Ober- und Niederlausitz. Ab 1526 unterstanden die böhmischen Kronländer dem Hause Habsburg, das damals Casa Austria oder Haus Österreich genannt wurde und über lange Zeit die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation stellte.

Kartaune oder Viertelbüchse bezeichnete ein Vorderladergeschütz, dessen Name sich aus dem italienischen »quartana bombarda« ableitete, da es Kugeln abfeuerte, die nur ein Viertel der hundertpfündigen Hauptbüchsenkugeln wogen.

Knollfink war eine gängige Beschimpfung für einen dummen oder groben, ungeschickten Menschen.

Kürassier nannte man einen Soldaten der schweren Reiterei, der Helm und Eisenrüstung trug, die allerdings wegen der körperlichen Einschränkungen immer unbeliebter wurde.

Pike: Spieß oder Lanze von fünf bis sechs Meter Länge, wobei die Spitze aus ganz unterschiedlichem Material bestehen konnte. Piken wurden vor allem gegen Reiterangriffe sehr wirkungsvoll eingesetzt.

Ständevertretung: Sie bestand aus jeweils zehn Abgeordneten der drei Stände Herren, Ritter und Bürger. Jedes Land der böhmischen Krone hatte als Gegengewicht zur Zentralgewalt des Königs auch parlamentarische Vertreter. Auf Reichsebene entsprach dies dem Reichstag.

 

1. Kapitel

In welchem Simon und Milana seltsame Vögel beobachten, die das Fliegen nie gelernt haben.

 

Prag am Mittwoch, den 23. Mai 1618

 

Früh am Morgen fegte Simon als Erstes den Boden der Druckerei seines Vaters. Staub musste fort, sonst verdarb er den Druck. So viel und mehr wusste er mit seinen zwölf Jahren vom Druckerhandwerk, aber beim Setzen der Buchstaben durfte er nur selten Hand anlegen, obwohl er schon recht gut schreiben konnte – auf Böhmisch und Deutsch! Er ging zum Holzständer, auf dem sich der Druckstock befand. Darauf hatte der Setzer bereits eine halbe Buchseite angelegt, und das Manuskript dazu lag daneben. Er wedelte vorsichtig mit einer Feder über die Lettern.

Sein Vater, der viel gerühmte Wenzel Zajíc, kam herein, musterte ihn kurz, dann ging er zur Tür und öffnete sie. »Heut wird’s was geben.«

Verwundert sah Simon ihn an. »Was denn?«

Vater starrte hinaus auf die Straße, statt zu antworten, also stellte er sich neben ihn. Wie an den letzten beiden Tagen schritten oder ritten viele fein gekleidete Herren Richtung Universität. Die wollten in ihrem Alter sicher nicht mehr studieren. Oder doch? »Was wird’s denn heute geben?«

»Heute endet die Versammlung von Ständevertretern, Defensoren und anderen Reformierten im Auditorium. Der Kaiser hat die Zusammenkunft verboten.«

Für Simon klang das alles sehr rätselhaft. »Wenn’s der Kaiser verboten hat, sind sie dann Verräter?«, fragte er.

»Wie kommst du denn darauf?« Vater winkte ab. »Ach, was red ich mit dir Simpel überhaupt. Halt nur die Goschen.«

»Weil wir auch evangelisch sind?«, fragte Simon, um den Vater mit seinem Scharfsinn doch noch zu beeindrucken. Da fiel ihm etwas ein. »War Mutter vielleicht katholisch, weil du auch für die Jesuiten arbeiten darfst?«

»War sie nicht.« Er starrte ihn voller Unwillen an. »Jetzt schweig, Bub. Davon verstehst du nichts.«

»Mir erklärt ja auch niemand was«, maulte er und stellte den Besen weg. »Ich geh zur Schule.«

»Ja, aber frag bloß nicht den Lehrer irgendwelches dummes Zeug. Und halte dich der Burg fern.«

Simon seufzte. Wenn ihm nicht einmal der Magister etwas erklären durfte, müsste er auf immer ein Simpel bleiben. Die Karlsuniversität lag nur ein paar Schritte entfernt. Vielleicht sollte er rüberlaufen und schauen, was passierte.

»Bei der Universität lässt du dich auch nicht blicken«, brummte Vater, als hätte er seine Gedanken gelesen. Simon stöhnte und wünschte sich wieder einmal, dass Mutter noch lebte. Vielleicht hätte sie ihm mehr erklärt.

 

* * *

 

Etwa hundert Leute hatten sich im Karolinum versammelt, die Mitglieder des Defensorenkollegiums, das zum Schutz aller nicht katholischen Christen eingerichtet worden war, und die protestantischen Ständevertreter. Ihre wenigen katholischen Kollegen zogen es auch heute vor, das Versammlungsverbot von Kaiser Matthias zu achten. Darüber hinaus waren auch am dritten Tag der Versammlung zahlreiche protestantische Adlige und Bürger erschienen. Zufrieden hob Heinrich Graf von Thurn die Hände, um für Ruhe zu sorgen. Als die hitzigen Diskussionen endlich nachließen, rief er: »Die Statthalter des Kaisers haben zugesagt, uns heute zu empfangen.«

Zustimmendes Gemurmel wurde laut, manch ein Teilnehmer schaute allerdings eher kleinmütig drein.

»Wie besprochen, werden wir sie zur Rede stellen, ob sie dem Kaiser dazu geraten haben, eine derart harsche Antwort auf unsere Petition im März zu schicken. Seine Majestät will uns auf irgendwann vertrösten.«

Schmährufe ertönten.

»Das Schreiben, das uns kurz vor dieser verbotenen Versammlung erreichte, war plötzlich viel versöhnlicher verfasst. Und doch ließ es keinerlei Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Derweil sitzen immer noch Bürger von Braunau in Prager Gefängnissen, weil sie weiterhin protestantischen Gottesdienst in ihrer Kirche feierten, obwohl der Abt des dortigen Klosters auf Anweisung König Ferdinands die Schließung angeordnet hatte.«

Die Unmutsbekundungen wurden lauter. Jemand rief: »Und in Klostergrab haben sie die protestantische Kirche einfach abgerissen. Das lassen wir uns nicht länger gefallen!«

Thurn nickte. »Heute fordern wir die uns zugesicherten Rechte ein! Des Kaisers Vertreter in Prag sind ihm schlechte Berater.« Damit deutete er zur Tür und schritt voraus. Genau wie vor neun Jahren, dachte er. Den Kaiser direkt anzugreifen, wäre Hochverrat, jedoch seine schlechten Berater und Statthalter zur Verantwortung zu ziehen, stellte einen Akt der Loyalität dar.

Mit einem grimmigen Lächeln im Gesicht trat er hinaus in den Hof der Universität, wo die Pferde bereitstanden, und wartete einige Momente, bis die meisten Defensoren und Ständevertreter ebenfalls herausgekommen waren. Frühwein, der sie juristisch beriet und die Rechtfertigung ihres Vorgehens verfasst hatte, war heute nicht erschienen. Als Thurn gestern zu ihm gesagt hatte, dass sie vielleicht in guter alter Tradition mal wieder ein paar Leute aus dem Fenster werfen müssten, hatte er noch gelacht. Heute erging es Frühwein wohl wie ihm: Er fürchtete, dass die Situation tatsächlich eskalieren könnte. Die Vorstellung eines neuerlichen Fenstersturzes war gar nicht mehr so abwegig und wenig erheiternd. Graf Schlick und Ruppa nickten ihm zu. Sie hatten des Öfteren mit dem Kaiser verhandelt und waren nun bereit, bis zum Äußersten zu gehen.

Thurn schwang sich in den Sattel. »Auf geht’s, hinauf zum Hradschin!« Viele seiner Gefährten taten es ihm nach, und weitere schlossen sich zu Fuß an. Manch einer wollte vielleicht auch nicht allzu früh die Burg erreichen, um später nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.

 

* * *

 

Bereit für die Schule trat Simon hinaus auf die Straße und wäre beinahe über den Haufen geritten worden. Durch das Tor der Universität strömten mit grimmigen Mienen die fein gekleideten Herren zu Pferde. Ihnen folgte eine Schar zu Fuß, viele jung genug, um Studenten zu sein. Er stieß die Tür zur Druckerei wieder auf. »Vater! Ich glaub, jetzt wird’s was geben.«

Vater schaute heraus. »Herr im Himmel, hilf«, murmelte er. »Geh rein und pass auf deine Schwester auf. Schule fällt heute aus.«

»Ach, davon hat der Lehrer gar nichts gesagt.« Simon feixte. Er lernte zwar gern, doch was heute geschah, sah viel aufregender aus. Der an der Spitze, den Kopf hoch erhoben, das musste Graf Heinrich Matthias von Thurn sein. In diesem Moment kamen die Patres aus dem Jesuitenkolleg Clementinum ein Stück die Straße hinauf gelaufen. Sie stellten sich an den Häuserwänden auf und beobachteten die Vorgänge eher missmutig. Einige der Schüler folgten den Mönchen, und manch einer stahl sich davon, um zu sehen, was es heute geben würde.

Simon wollte es ihnen gleichtun, doch der Vater schaute allzu finster drein. Jetzt blaffte er ihn an: »Geh rein, und sperr zu. Ich bin bald zurück.«

Oh, sogar der Vater wollte mit zum Hradschin ziehen, aber er sollte in der Stube hocken bleiben wie ein kleines Kind? Enttäuscht schlich Simon zurück in die väterliche Offizin und schob den Riegel vor. Dann eilte er in die Küche und fragte die Magd, die Bohnen aus dem letzten Jahr auslas: »Wo ist Mila?«

»Sie ist schon zur Schule. Die trödelt nicht so herum wie du.«

»Ich hab ja auch noch fegen müssen.«

»Ja, ja, und sie hat schon die Betten ausgeschüttelt. Jetzt steh nicht dumm rum, ab in die Schule mit dir.«

Ha, da bot sich doch ein Ausweg. Der Vater sagte immer, Simon müsse der Magd gehorchen und außerdem auf seine Schwester aufpassen. Er huschte zur Tür hinaus in den Hinterhof.

Auf dem Weg zur Schule kamen ihm immer mehr Menschen entgegen, die alle der Burg auf der anderen Seite der Moldau zustrebten. Vor der Schule sah Simon den Lehrer stehen, bei ihm ein Häufchen neugieriger Kinder, die ihre Hälse reckten. Der Magister schaute unter buschigen Augenbrauen finster die Straße auf und ab.

Mit ihren flachsblonden langen Zöpfen stach Mila heraus. Simon rannte zu der Gruppe. »Ich soll Milana heimbringen.«

Der Lehrer nickte. »Tu das. Ich hoffe, die anderen Kinder werden auch bald abgeholt.«

Seine Schwester machte große Augen. »Was ist denn los?«

»Heut wird’s was geben«, flüsterte er ihr zu.

»Was denn?«

»Weiß ich auch noch nicht.« Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich fort.

Sie war eineinhalb Jahre jünger als er, trotzdem zerrte sie ihn zurück, als er sich der Prozession anschließen wollte. »Du sollst mich doch heimbringen.«

»Schon, aber willst du nicht auch wissen, was es heute geben wird?«

»Freilich.«

»Dann komm.«

Da lief Mila auch schon los.

 

* * *

 

Heute ragten die trutzigen Mauern der Burg auf der anderen Seite der Moldau besonders bedrohlich auf. Thurn fragte sich, wie die Statthalter auf ihren Protest reagieren würden. Bestimmt erwarteten sie nur ein Antwortschreiben an Seine Majestät, keine Reihe von Anklagen und Beschwerden. Die Reaktion des Kaisers war ebenfalls schwer abzuschätzen. Vor zehn Jahren hatten sie dessen Bruder und Vorgänger Rudolf Zugeständnisse abgerungen, die Kaiser Matthias ihnen jetzt immer häufiger versagte. So konnte es nicht weitergehen.

Bitterkalt war es an diesem Morgen, besonders auf der Steinbrücke über den Fluss. Sein edles Pferd stieß Dampfwolken aus. Morgen würde Christi Himmelfahrt gefeiert, und sowie die Glocken des Veitsdoms verklangen, stimmten die Menschen in der Prozession Hymnen an, deren erhabener Klang Thurns aufgewühltes Gemüt besänftigte. Auf dem letzten, steiler werdenden Stück zur Burg hinauf befielen ihn noch einmal Zweifel. Er hatte gegen die Osmanen in Ungarn gekämpft, wusste, welch Unglück ein Krieg mit sich brachte, doch Freiheit war wichtiger. Vor dem Tor der Festungsanlage warf er einen Blick zurück und sah, wie viele gewöhnliche Bewohner Prags sich ihnen angeschlossen hatten. Dabei konnten sie nicht einmal wissen, was Defensorenkollegium und Ständevertretung genau forderten. Reine Neugier oder Hoffnung, dass sich heute endlich etwas zum Besseren wandte?

Aufmerksam musterte Thurn die trutzigen Wehrmauern. Die Wachen schienen verdoppelt worden zu sein, doch da sie angemeldet waren, ließ man sie ungehindert passieren. Der Hauptmann, ein braver Katholik, nickte, als wollte er ihm Glück wünschen.

Im Innenhof zogen die hoch aufstrebenden Türme des Veitsdoms unwillkürlich seinen Blick an. Dort lagen die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs bestattet, und letztes Jahr war Ferdinand im Dom zum König der böhmischen Länder gekrönt worden. Kaiser Rudolf hatte die Burg noch wesentlich erweitern und einen neuen Königspalast bauen lassen.

Thurn strebte mit seinen Gefolgsleuten dem ehemaligen Königspalast zu, in dem die Kanzlei untergebracht war. Sie saßen ab und überließen die Rösser den Stallknechten. Vor dem Stiegenhaus wurde Thurn flau. Er blickte zu Albrecht Smiřický, in dessen Heim er gestern Abend mit den engsten Vertrauten lange über ihr weiteres Vorgehen beratschlagt und alle Eventualitäten – einschließlich gewaltsamer Ausschreitungen – in Gedanken durchgespielt hatte.

Sein Freund sagte: »Es gibt kein Zurück. Die Statthalter des Kaisers werden zur Verantwortung gezogen.«

»Alsdann.« Thurn brachte ein grimmiges Lächeln zustande und stieg vorweg die Steinstufen hinauf. Wie angewiesen versammelten sich die Vertreter im viel zu kleinen Ratssaal, in dem sie vier der königlichen Statthalter und der Sekretär erwarteten. Diese hatten offenbar nur mit einer Delegation von wenigen Leuten gerechnet. Bald drängten sich die Leiber eng aneinander, bis jemand rief: »Bleibt draußen, hier ist es voll.«

Ein anderer rief: »Wir wollen die Herren schließlich nicht erdrücken!«

Die vier anwesenden Statthalter wirkten ziemlich erschrocken über diesen Ansturm. Eigentlich gab es zehn, doch einer war krank und fünf angeblich nicht in Prag, darunter auch die drei protestantischen Statthalter.

Vor ihnen standen der alternde Diepold Lobkowitz und der altgediente Adam Sternberg, zwei ehrenwerte Männer, sowie Oberstlandrichter Wilhelm Slavata und Jaroslav Borsita von Martinitz, der an Thurns Stelle zum Burggrafen der Karlsburg ernannt worden war, nachdem er es letztes Jahr gewagt hatte, bei der Wahl des böhmischen Königs gegen Ferdinand zu stimmen.

»Was wird das hier?«, rief Slavata.

Říčan trat vor und verlas das Dokument, in dem sie ihren Protest gegen den kaiserlichen Brief vom März formuliert hatten. Dann fragte er die Statthalter: »Habt Ihr von dem verwerflichen Inhalt des Briefs gewusst, gar dazu geraten oder ihn abgesegnet?«

Sternberg schüttelte den Kopf und antwortete: »Bevor wir dazu Stellung nehmen können, müssen wir mit unserem kranken Amtsbruder sprechen. Da morgen Feiertag ist, erhaltet Ihr erst in zwei Tagen eine offizielle Antwort.«

Thurn übertönte die Proteste der anderen: »Das kommt überhaupt nicht infrage. Ihr werdet ja wohl wissen, was Ihr getan und geraten habt.«

Die vier steckten die Köpfe zusammen und berieten sich mit gedämpften Stimmen, dann sagte Martinitz: »Als königlich-kaiserliche Räte können wir unmöglich Auskunft geben, wer wem wozu geraten hat. Derlei Angelegenheiten müssen vertraulich behandelt werden.«

Hinter Thurn taten die Leute ihren Unmut kund. Er sagte mit gemessener Stimme: »Diese Antwort ist inakzeptabel. Wir werden nicht gehen, bis wir eine bessere bekommen.«

Entsetzen spiegelte sich in den Gesichtern der Männer. Wieso das? Thurn sah sich um. Schräg hinter ihm fuchtelte Říčan mit einer Pistole herum und richtete sie immer wieder auf den einen oder anderen Statthalter. Dieser Tor! Steck das Ding weg, wollte er schreien. In dem Moment feuerte der Kerl die Waffe ab, dass Thurn die Ohren klingelten. Die Kugel schlug zwischen den Fenstern in die Wand.

Er warf Říčan einen vorwurfsvollen Blick zu, doch der grinste nur. Die Statthalter steckten wieder die Köpfe zusammen, und endlich lenkte Sternberg ein: »Da wir uns derart bedroht sehen, sind wir gezwungen, unseren Eid zu brechen. Wir hatten keinerlei Einfluss auf den Brief des Kaisers, dessen Schärfe uns nicht minder überrascht und besorgt hat.«

Jetzt setzte das Geschrei richtig ein. Verletzung des Majestätsbriefs und Verrat an den Protestanten, Heuchelei und Hinterhältigkeit warfen die Leute den Statthaltern vor. Thurn trennte Lobkowitz und Sternberg von den anderen beiden. »Wir wissen, dass Ihr anständige, kaisertreue Männer seid, die uns Reformierten nichts Böses wollen. Slavata und Martinitz haben Euch vom rechten Weg abgebracht.« Er schob sie Richtung Ausgang, und seine Männer gaben bereitwillig den Weg frei. Dann wandte er sich den Besagten zu. »Ihr seid unsere wahren Feinde, wollt uns um unsere Rechte bringen, die uns im Majestätsbrief zugesichert wurden.«

Wortreich stritten die beiden alles ab. Die Stimmung wurde immer feindseliger. Thurn konnte kaum noch die Rufe verstehen, doch er spürte die Erregung. Sein Blick traf auf Slavatas. Der Statthalter sah ihn beinah flehend an, als er rief: »Tut nichts Unüberlegtes. Bringt Eure Beschwerden auf dem üblichen Rechtsweg vor, dann wird alles geklärt!«

Da holte Ruppa ein weiteres Dokument hervor, das einer Anklageschrift gleichkam. Er beschuldigte die beiden Statthalter, schon immer Feinde der Protestanten gewesen zu sein. »Das hat sich bereits gezeigt, als Ihr Euch im Jahre des Herrn 1609 geweigert habt, den Majestätsbrief mitzuunterzeichnen. Danach habt Ihr alles daran gesetzt, die uns gewährten Rechte zu unterlaufen. Ihr habt dem Kaiser geraten, Ständeversammlungen zu verbieten!«

Thurns Herz schlug schneller. Es würde passieren. Und allmählich spiegelte sich die Erkenntnis auch in den Gesichtern der Beschuldigten wider. Slavata sah sich entsetzt um, Martinitz wirkte wie erstarrt.

Ruppa fuhr fort: »Wir erklären Euch zu unseren Feinden, zu Feinden des Landes und zu Zerstörern unserer Rechte und des Friedens.« Er ließ die Worte einsinken. Im Raum herrschte plötzlich eine unheimliche Stille. Alle erwarteten das Urteil, und Ruppa tat ihnen den Gefallen: »Wir werden Euch sofort die gebührende Strafe angedeihen lassen.« Wie diese ausfallen würde, konnte sich jeder denken.

Anfeuerungsrufe ertönten, doch Ruppa wollte es genau wissen. »Stimmt Ihr alle zu?«, rief er. »Dann sprecht es aus.«

»Strafe muss sein«, rief Thurn und viele taten es ihm nach. Er sah sich um. Nicht einmal Slavatas Bruder erhob Einspruch.

Die Beschuldigten brachten erneute Rechtfertigungen vor, baten um Respekt vor den ehrwürdigen Hallen des Hradschin. »Wir sind Statthalter des Kaisers, Ihr könnt nicht einfach Gewalt gegen uns anwenden!«, rief Slavata schließlich.

Thurn packte seinen Arm. »Wenn’s nach dir geht, können und dürfen wir überhaupt gar nichts.« Er stieß ihn zum Fenster. Schlick griff sich dessen andere Seite. Kurz blickten sie einander in die Augen, nickten beide. Es musste sein, doch zu zweit würden sie ihre liebe Mühe haben. Er schaute sich um. Fünf seiner engsten Vertrauten knöpften sich Martinitz vor. Kinsky packte ihn am Revers des dicken Mantels – die Stube war ungeheizt – und schüttelte ihn. »Du nennst uns Ketzer, so wie es schon der weise Jan Hus erleben musste. Willst uns am Ende gleichsam auf dem Scheiterhaufen brennen sehen? Nun, seine Anhänger haben die verantwortlichen Räte aus den Fenstern des Neustädter Rathauses geworfen.«

Smiřický öffnete das Fenster. Kinsky packte Martinitz im Nacken und drückte ihn mit dem Kopf hindurch. »Na los, sträub dich nicht lange, das macht’s nur schlimmer.«

»Bitte lasst mich wenigstens vorher beichten«, rief der Mann voller Angst.

Kinsky blaffte: »Heuchler! Der Sünden hast du genug vorzuweisen, aber den Herrgott kümmert es wenig, wenn dir dein Beichtvater die Absolution erteilt. Der Allmächtige schaut dir einfach in die schwarze Seele.«

»Aufhören!«, brüllte der Sekretär. »Das könnt ihr nicht machen!«

»So ein treuer Diener will bestimmt seiner Herrschaft folgen«, rief jemand weiter hinten.

»Hast recht!«, rief Kinsky. »Aber einer nach dem anderen.« Da packten zwei Männer Martinitz’ Beine. Der Statthalter trug ein Rapier am Gürtel, aber das half ihm jetzt auch nichts mehr. Während Thurn immer noch den vor Schreck starren Slavata festhielt, bugsierten die anderen den jammernden Martinitz unter Anfeuerungsrufen aus dem Fenster.

Der rief noch: »Heilige Maria, hilf!« Dann folgte ein markerschütternder Schrei.

Nun gab es wahrlich kein Zurück mehr. Thurn blickte Slavata in die weit aufgerissenen Augen und drehte ihn zum Fenster.

»Himmel!«, rief Kinsky. »Der Mistkerl lebt. Hat ihn seine Jungfrau Maria tatsächlich aufgefangen?«

Slavata rief: »Ein Wunder!«

 

* * *

 

Vor der Burgmauer kamen Simon und Mila nicht weiter. Die Wächter ließen niemanden mehr rein, mochten die Prager auch noch so gegen das Tor anbranden. Simon zog seine Schwester etwas abseits, damit das Mädchen ihm im Gedränge nicht entrissen wurde.

»Was passiert denn jetzt?«, fragte Mila.

»Wenn ich das wüsste.« Er zupfte den rothaarigen Mann neben sich am Ärmel und fragte auf Böhmisch: »Was geht hier vor?«

»Woher soll ich das wissen?«, antwortete der. Er sprach die Worte seltsam aus. Vermutlich stammte er aus deutschen Landen. »Sie werden den Statthaltern ihre Beschwerden vortragen und dann wieder davonziehen, wie sie’s immer machen. Bringen wird’s nichts.«

Wie langweilig. Simons Blick fiel auf den die Burganlage umgebenden Graben. »Klettern wir runter und schauen, ob wir was Interessantes finden?«, fragte er an seine Schwester gewandt. Einmal hatte er da unten ein Buch aus dem Dreck gezogen, eine böhmische Bibel, gedruckt von den Kralitzer Brüdern, wie ihm der Vater erklärt hatte, bevor er sie sorgsam reinigte und versteckte. Bestimmt hatte die ein Katholik aus dem Fenster geworfen.

»Oh ja«, rief sie begeistert.

Lachend sprang Simon voraus. Er kannte eine Stelle, wo auch Mila leicht über die äußere Mauer am Graben klettern konnte, ohne gleich hinunterzustürzen. Allerdings rutschten sie mehr, als dass sie hinunterstiegen. Hinter ihm quiekte Mila vergnügt. »Du solltest mich öfter mitnehmen.«

»Du behauptest doch immer, Buben sind blöd.«

»Wenn sie mich ärgern. Aber ihr erlebt mehr!«

»Stimmt. Du bist aber auch erst elf geworden, da kannst du noch nicht so viel wie meine Freunde und ich.«

»Pah, ich kann viel mehr, als du denkst!«

Er blickte den Hang hoch. »Hoffentlich kommen wir da wieder rauf.«

»Ich schaff das schon«, sagte sie, schaute aber doch etwas unbehaglich zum ausgetretenen, vielmehr ausgerutschten Pfad.

»Komm, lass uns auf Schatzsuche gehen. Soll ich dir zeigen, wo ich das Buch gefunden hab?«

»Ja, vielleicht gibt’s da noch mehr.«

Sie trotteten den Graben entlang, in dem nach dem langen Winter nun Gräser und Blumen, Hasel- und andere Sträucher wuchsen, auch Beeren, die allerdings noch nicht reif waren. Er hielt die Augen suchend auf den Boden gerichtet, bis aufgebrachte Stimmen ihn zum leicht hervorkragenden Seitenflügel des alten Königspalastes hochblicken ließen. Oh, da hing einer aus dem Fenster und schrie erbärmlich! Simon hielt Mila zurück. »Da kommt schon wieder was geflogen.«

»Aber kein Buch«, hauchte Mila. Sie kauerten sich hinter einen Hagebuttenstrauch. »Können wir nichts tun?«, fragte sie dann. »Das ist doch nicht recht.«

Simon sah sie an. »Heute wird’s was geben, hat der Vater gesagt, aber nicht, ob es recht sein wird.«

»Da!«, schrie sie und streckte den Arm aus.

Wie die Flügel eines riesigen schwarzen Vogels flatterte der Umhang, doch es half nichts. Der Mann fiel und schlug am Rand des Burggrabens auf, der ebenfalls von allerlei Gestrüpp bewachsen war. Zu seinem Erstaunen rappelte der Gestürzte sich auf, schaute angstvoll nach oben und stolperte ein Stück beiseite. Simon folgte seinem Blick. Oh je, nun wurde noch einer in die Fensterlaibung geschoben, doch der hielt sich an allem fest, das er zu fassen kriegte. Als auch noch seine Beine herausgedrückt worden waren, schaffte er es, sich mit den Händen am Sims festzuklammern.

Mila packte mit beiden Händen Simons Arm, als müsste auch sie sich festhalten. Da schlug jemand mit dem Griff eines Dolchs auf die Hände ein, bis sie abrutschten. Schreiend schlitterte der Mann die angeschrägte Wand entlang. Sein Kopf schlug gegen das Sims des darunterliegenden Fensters, und er verstummte. Der samtene Umhang umflatterte ihn jetzt, doch das bremste den Fall kaum. Er stürzte tiefer in den Graben als sein Vorgänger.

Der erste Vogel eilte zu seinem Fluggefährten. Jetzt erkannte Simon diesen. »Das ist Graf Martinitz, einer der Statthalter des Königs!«, zischte er.

»Was machen wir nun?«, flüsterte Mila und krallte ihre Finger tiefer in seinen Arm.

»Autsch, lass los.«

Erschrocken nahm sie ihre Hände weg. Beide blickten sie voller Unbehagen zum Fenster hinauf, aus dem sich gerade Graf Thurn herauslehnte. Hoffentlich warfen sie den nicht auch runter! Nein, er zog den Kopf zurück. Simon entspannte sich. Der Spuk war vorbei. »Schauen wir nach den beiden. Zumindest einer hat den Sturz überlebt.« Sie erhoben sich in dem Moment, als doch noch jemand durch das Fenster bugsiert wurde. »Das hört gar nicht mehr auf!«

Der Dritte schlug etwas geschickter auf und rollte nur ein kleines Stück in den Graben, bevor er auf die Füße kam und zu den anderen eilte. Simon zog seine Schwester mit sich. »Komm, vielleicht brauchen sie Hilfe.«

Da knallte es, und sie sprangen wieder hinter den Busch.

»Wer hat da geschossen?«, flüsterte Mila.

»Ich weiß es nicht.« Vorsichtig sah er sich um, doch es fielen keine weiteren Schüsse. Er sah seine Schwester an. »Verschwinden wir! Besser, wenn uns niemand sieht.«

»Willst du nicht wissen, ob sie davonkommen?«

»Schon, aber …« Gerade mit ihr war es ihm hier viel zu gefährlich. Da sah er zwei Männer aus einer Pforte am Fuß der Burg kommend zu den Gefallenen eilen. Wollten sie ihnen den Garaus machen? Die Neugier siegte wieder. »Folgen wir ihnen«, beschloss Simon. »Laufen wir an der Burg entlang, dann sehen sie uns von oben nicht so leicht.«

»Gut.« Doch sie hielt ihn am Arm fest. »Und wenn sie noch einen rauswerfen, und der fällt uns auf den Kopf?«

Unbehaglich blickte er nach oben. »Ich behalt das Fenster im Auge.«

Geduckt eilten sie auf die andere Seite des Grabens und schlichen an die Burgwand gedrückt vorwärts. Der dritte Vogel stützte den humpelnden Martinitz, während die herbeigeeilten Diener den zweiten trugen. Simon blickte zurück zum alten Palast. An den Fenstern rührte sich nichts mehr. Mila und Simon schlichen näher und kauerten sich hinter einen weiteren Strauch.

Martinitz sagte: »Ich bring Slavata in Sicherheit. Ihr müsst sofort nach Wien aufbrechen, Fabrizius. Wenn sie uns erwischen, könnt wenigstens Ihr dem Kaiser berichten, was hier vorgefallen ist.«

Dann war der Verletzte der oberste Richter Slavata? Die Aufständischen trauten sich was!

Martinitz sprach weiter: »Seine Majestät muss erfahren, was diese Unholde getan haben. Überzeugt ihn. Kaiser Matthias muss Truppen schicken, sonst ist Böhmen an diese Ketzer verloren.«

Simon reckte den Hals, um zwischen den Zweigen hindurchzuspähen. Der Fabrizius Genannte nickte grimmig. »Wir müssen uns beeilen. Der Pöbel und seine Anführer werden bald hier sein. Doch wohin könnt Ihr mit Slavata gehen?«

»Zum Haus von Zdeněk von Lobkowitz. Der Oberstkanzler des Königs ist ein treuer Gefolgsmann und ein gottesfürchtiger Katholik.« Sie hatten die Pforte in der Burgmauer erreicht, aus der die Diener herausgekommen waren, doch Fabrizius ging nicht mit rein, sondern rannte den Graben entlang, um auf der anderen Seite der Burganlage rauszuklettern.

Simon zog seine Schwester zurück. »Verschwinden wir.« In die Burg konnten sie sowieso nicht folgen. Vielleicht lauerten dort schon die Rebellen.

»Genau. Wir wissen ja, wohin sie wollen.« Das palastartige Haus von Lobkowitz lag nicht weit weg.

Als sich Simon mit Mila dem Pfad näherte, der aus dem Graben führte, sah er einige Häscher herunterschlittern. Wieder zog er seine Schwester hinter ein Gebüsch, denn mit den Rebellen war sicher nicht zu spaßen, und er wollte die seltsamen Vögel nicht ans Messer liefern, in dem er verriet, welchen Weg sie genommen hatten und wohin sie unterwegs waren. Erst als alle Verfolger vorbei waren, hastete er mit seiner Schwester geduckt zum Pfad, der nun noch glatter war. Immer wieder rutschten ihm die Füße weg. Mila rief von unten: »Hilf mir!«

Als er sich umblickte, fiel er auf die Schnauze. »Verflucht«, keuchte er.

»Ihr müsst krabbeln«, raunte eine Stimme von oben.

Erschrocken blickte Simon den Hang hinauf. Der Rothaarige, den er vor dem Burgtor angesprochen hatte, stand dort oben! Wieder sah Simon sich nach seiner Schwester um, die bereits den Rat des Fremden befolgte. Ihm tat es um seine neue Kniebundhose leid, die sogar gebauscht war, also richtig teuer, doch auch er sah keinen anderen Weg, um hinaufzugelangen. Auf allen vieren krochen sie die Böschung hinauf. Oben packte der Rothaarige jeweils einen ihrer Arme und zog sie auf die Beine. »Und, was stellt ihr jetzt mit eurem Wissen an?«

Simon zuckte die Schultern, traute dem Mann nicht, auch wenn er ihnen geholfen hatte. »Nichts.«

»Wissen ist Macht, Junge.« Er sah Mila an. »Was sagst du?«

Sie schüttelte den Kopf, und der Mann lachte. »Ich bin Floryk Loyal, und ihr seid ziemlich gewiefte Kinder.«

Simon fragte ihn auf Deutsch: »Woher kommt Ihr?«

»Von überall. Lasst uns ein Stück gehen.«

»Zum Lobkowitz!«, rutschte Mila heraus, und Simon stieß sie an.

Loyal reagierte sofort und fragte: »Warum?«

Sie sah Simon an. Nun war es auch schon egal, also nickte er. Mila senkte die Stimme. »Dort verstecken sie sich.«

»Gehen wir.« Schon eilte der Mann los. Er war offensichtlich genauso neugierig wie sie.

Kurz wechselte Simon einen Blick mit seiner Schwester, dann rannten sie ihm hinterher. »Wer seid Ihr?«, fragte er.

»Hab ich doch gesagt. Floryk Loyal.«

»Was seid Ihr?«, fragte Mila.

Der Kerl lachte. »Eine sehr gute Frage.« Dann schüttelte er den Kopf. »Nur ein Kaufmann im Dienst der Nürnberger Familie Imhoff.«

Simon fragte sich, was der Mann verbarg. »Womit handelt die?«

»Allerlei, vor allem mit Safran, Gold, Silber, Kupfer und … Informationen.« Er warf ihnen einen Seitenblick zu, als erwartete er eine Reaktion.

»Was für Informationen?«, fragte Simon deshalb.

»Und an wen verkauft Ihr sie?«, wollte Mila wissen.

Loyal presste die Lippen zusammen, dann antwortete er: »Ihr stellt zu viele Fragen, außerdem sind wir gleich da.«

Vor ihnen hastete ein Mann mit schwerer Ledertasche auf das schlossartige Gebäude zu. »Das ist ein Wundarzt«, stellte Simon fest. »Der soll sich bestimmt um die Verletzungen kümmern.«

Loyal nickte. »Dann haben sie es vor uns hierher geschafft.« Er deutete zu einer Weide. »Von dort können wir das Haus beobachten.«

»Gute Idee.« Die hängenden Äste boten Sichtschutz.

»Wie lange?«, fragte Mila, der anscheinend jetzt schon langweilig wurde.

Loyal zuckte die Schultern. »Kommt darauf an, was passiert. Vielleicht kommen sie bald heraus, und wir können ihnen folgen.«

Simon maulte: »Ich will niemanden verraten.«

Zu seiner Überraschung sagte der Mann: »Ich auch nicht, aber womöglich verhindern wir damit Schlimmeres.«

»Du bist seltsam«, sagte Mila. »Verzeihung. Ich meine natürlich, Ihr seid seltsam.«

Loyal schmunzelte. »Wie heißt ihr zwei Frechdachse?«

Simon überlegte noch, ob sie ihm ihre Namen verraten sollten, als Mila herausplatzte: »Simon und Milana Zajícova, also mein Bruder heißt natürlich Zajíc, ist ja auch ein Bub.«

Wenn sie wieder zu Hause waren, müsste er ihr dringend erklären, dass sie nicht jedem alles verraten durfte.

Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Ist euer Vater am Ende der Drucker Wenzel Zajíc?« Als sie nickten, lachte er. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

Hoffentlich erzählte er Vater nichts von ihrem Abenteuer. Simon wurde immer unbehaglicher zumute. Sie sollten schleunigst nach Hause. »Wir gehen jetzt. Es rührt sich nichts mehr. Der Arzt braucht sicher noch eine Weile.«

»Passt auf euch auf«, sagte Loyal.

Sie hatten erst ein paar Schritte in Richtung Brücke über die Moldau getan, da hörte Simon Frauenstimmen hinter der Gartenmauer des Anwesens und verharrte.

»Er hat sich wohl beim Sturz in die Hosen gemacht. Stinkt wie ein ganzer Misthaufen, hat die Herrin gesagt.«

Ein Glucksen, dann: »Wenn er in einen Misthaufen gefallen wär, könnt das erklären, warum er sich nicht den Hals gebrochen hat.«

Alle beide gackerten. Da rief ein Mann: »He, Weib. Bring der Herrin ein frisches Gewand von mir.«

»Was? Wieso denn das? Warum keins von unserem Herrn?«

»Frag nicht so blöd, mach’s einfach.«

Nun flüsterte sie gerade noch laut genug, dass Simon es verstehen konnte: »Pah, Stallknecht ist er und führt sich auf wie ein Hofmeister.«

»Geh lieber«, sagte die andere. »Vielleicht braucht der Martinitz das Gewand, damit er sich unerkannt davonschleichen kann.«

Simon grinste seine Schwester an, dann schlenderten sie weiter. Nur kurze Zeit später kam ihnen ein Priester entgegen und fragte: »Kommt ihr vom Haus der Lobkowitz?«

»Ähm, nein«, antwortete Simon.

»Doch«, sagte Mila. »Der Arzt ist noch bei den Verletzten.«

Der katholische Priester seufzte. »Man hat mich zur Letzten Ölung gerufen.«

»Für wen?«, fragte Simon mit frisch erwachter Neugier.

»Beide«, schnaufte der Pfaffe und setzte eine Leidensmiene auf, die irgendwie falsch wirkte. Und warum erzählte er so etwas zwei Kindern auf der Straße? Er kannte sie nicht einmal.

»Der Herr hab sie selig«, flötete Mila und eilte weiter.

Simon hastete ihr nach. »Wie kann das sein? Der Burggraf wirkte doch noch ganz munter?«

Sie zuckte die Schultern. »Was weiß ich. He, denkst du, wir können auch Informationen verkaufen?«

Eine Gruppe bewaffneter Männer ritt ihnen entgegen. »Ich fürchte, unser Wissen ist nichts mehr wert. Bleiben wir lieber stehen«, sagte Simon. Sie drückten sich an die Hausmauer und ließen die Reiter vorbei – unter ihnen Graf Thurn. »Vielleicht sollten wir doch bleiben und zuschauen.«

Mila nickte ernst. Sie mischten sich unter das neugierig gaffende Fußvolk, das den Berittenen hinterherlief. Die hatten schon das Anwesen erreicht, schwangen sich aus den Sätteln und drängten sich vor dem Eingang.

»Von hier aus sehen wir nichts«, maulte Mila.

Leider hatte sie recht. Auch Simon konnte nicht zwischen den breiten Rücken vor ihnen hindurchspähen und schon gar nicht über die Schultern, obwohl er einen Kopf größer als seine Schwester war. Er entdeckte einen Brunnen in der Nähe. Von der Umfassungsmauer war die Sicht bestimmt gut, aber wenn ihm Mila reinplumpste, würde ihm Vater den Kopf abreißen. Da kam Bewegung in die Menge. Die Kerle drängten zurück und gaben den Blick frei auf die selbstbewusste, stattliche Polyxena von Lobkowitz. Von der Türschwelle ihres Hauses rief sie: »Was führt Euch zu mir? Ihr wisst, dass mein Gemahl in Wien weilt.«

Simon erkannte, dass Graf von Thurn und weitere Herren von Stand nicht zurückgewichen waren. Der Aufrührer antwortete: »Gebt Martinitz und Slavata heraus. Wir wissen, dass sie sich bei Euch verkrochen haben.«

Die Frau hob das Kinn höher. »Von Verkriechen kann keine Rede sein. Die Opfer Eurer schändlichen Gewalttaten erhalten gerade die Letzte Ölung.«

Schweigen senkte sich über die Menge, dann setzte verhaltenes Murmeln und Wispern ein. Schließlich wandten sich die ersten Männer ab. »Es ist vorbei«, sagte einer.

»Viel zu einfach«, meinte ein anderer.

Wenn sie sich da nicht irren, dachte Simon.

»Gehen wir«, flüsterte Mila und zog an seinem Arm.

»Moment noch.« Er wollte unbedingt wissen, wie Graf Thurn darauf reagieren würde, doch aus dessen Rücken konnte er nichts schließen. Erst als der Mann sich abwandte, sah Simon das zufriedene Lächeln im Gesicht des Grafen, der beide Hände hochreckte. »Ziehen wir ab. Der König ist entmachtet, und es gibt viel zu tun. Wir wählen einen Direktorenrat, dann suchen wir uns einen würdigen Nachfolger für die Krone der böhmischen Länder!«

Jubel brandete auf. Als er verebbte, fragte Mila: »Was ist ein Direktorenrat?«

Simon zuckte die Schultern. »Da musst du Vater fragen.« Der Vater! Sie schauten sich an und rannten gleichzeitig los. Bestimmt gab es Prügel, weil sie sich so lange herumgetrieben hatten – zumindest für ihn. Schließlich war er der Ältere und für seine Schwester verantwortlich. Aber vielleicht war Vater ebenfalls noch nicht wieder zurück.

Auf der Brücke gab es ein elendes Schieben und Drängeln. Jeder wollte irgendwo anders hin. Mit gesenktem Kopf, für den Fall, dass sie Vater begegneten, bahnte er einen Weg für sie beide. Als sie die Druckerei erreichten, war die Tür nicht mehr verriegelt. Vater saß bei der Arbeit, allein. Von Gesellen und Lehrbuben war nichts zu sehen. Simon machte ein zerknirschtes Gesicht, doch der Alte warf ihnen nur einen flüchtigen Blick zu. »Gut, dass ihr daheim seid. Mila, hilf der Magd. Simon, du gehst mir beim Papieranfeuchten zur Hand.«

»Gern.« Er sah sich um. »Wo sind die anderen?«

»Hab alle heimgeschickt. Besser so in diesen unruhigen Zeiten.«

»Warum feuchten wir dann Papier an? Morgen ist Feiertag, da wird nichts gedruckt.«

»Das denkst du.«

 

* * *

 

Um nicht aufzufallen, wich Floryk Loyal mit den verunsicherten Männern zurück. Polyxena von Lobkowitz besaß eine wahrlich gebieterische Ausstrahlung, obwohl sie um die fünfzig Jahre alt sein musste. Oder gerade deswegen? Graf Thurn würde sicher nicht gegen ihren Willen den Palast stürmen lassen und die Statthalter herauszerren. Die Familie Lobkowitz genoss hohes Ansehen, auch wenn sie katholisch war. Ob er mit dem Grafen sprechen sollte? Nein, erst abwarten. Im Moment war die Stimmung noch viel zu aufgeheizt, allerdings wandten sich bereits einige Männer ab. Floryk tat es ihnen nach. Es handelte sich wohl um Leute, aus der unmittelbaren Umgebung, die den Reitern gefolgt waren. Am besten verhielt er sich genau wie sie, dann müsste er keine unangenehmen Fragen beantworten. Vor allem durfte er seine Dienstherren nicht in den Ruch einer irgendwie gearteten Beteiligung an einem Aufstand gegen den Kaiser bringen. Als sie ein Stück gegangen waren, trabten die berittenen Rebellen an ihnen vorbei.

»Alles wird gut!«, rief ihnen Thurn zu und erntete zustimmendes Gemurmel. Floryk verlangsamte seine Schritte. Als sich die Menge an der nächsten Weggabelung zerstreute, wandte er sich um und schlenderte zurück. Thurn hatte zwei bewaffnete Männer abgestellt, um Haus und Grundstück zu beobachten. An den Stamm der Weide gelehnt ließ Floryk sich nieder, um zu schauen, was weiter geschah, denn an einem Lagebericht wären die Familie Imhoff und der Stadtrat von Nürnberg sehr interessiert.

Vor sieben Jahren, nachdem Erzherzog Matthias seinem Bruder Kaiser Rudolf die böhmische Krone streitig gemacht hatte, war Floryk nach Prag gekommen, und nun zettelten die Ständevertreter einen Aufstand an. Natürlich war er auf ihrer Seite, aber er fürchtete, was kommen würde. Als Calvinist war er von Geburt an wegen seines Glaubens verfolgt oder verjagt worden, stets auf der Flucht. Bisher war er dem Krieg erfolgreich ausgewichen. War nun die Zeit gekommen, dem Ungeheuer ins hässliche Antlitz zu blicken?

Es dämmerte bereits, als ein Diener aus dem Schlösschen trat, in alle Richtungen blickte und schließlich Floryk fixierte. Thurns Wachposten an den Grundstücksecken zur Straße hin hatte er wohl nicht bemerkt. Der Ausdruck seines Gesichts wechselte zwischen Furcht und Verachtung. Floryk winkte ihm zu.

Kopfschüttelnd kam der Mann zu ihm, also erhob er sich, um nicht gar so sehr nach einem Tagedieb auszusehen.

»Bist du ein Späher der Aufständischen?«, blaffte der Diener.

Floryk klopfte sich den Schmutz vom Hosenboden. »Ich spähe nur für mich selbst.«

Der Mann grunzte, weil ihm anscheinend keine Worte dazu einfielen.

Grinsend fügte er hinzu: »Martinitz sollte lieber noch nicht herauskommen. An beiden Enden des Grundstücks lauert jeweils einer von Thurns Männern.«

Angestrengt kniff der Diener die Augen zusammen und sah sich noch einmal genauer um, schien die Kerle aber nicht zu entdecken. »Wirklich?« Dann ruckte er zu Floryk herum. »Woher weißt du, dass der Statthalter nicht im Sterben liegt?«

»Ich hab ihn nach dem Sturz gesehen. Er war noch recht munter, und ich nehme nicht an, dass ihn deine Herrin gemeuchelt hat.«

»Ha, das wäre ja noch schöner!« Schnaubend wandte er sich ab und kehrte zurück ins Gebäude.

Da Floryk schon stand, bewegte er sich einige Schritte weiter und stellte sich an eine Hausecke, von wo aus er auch einen der Wachtposten im Blick hatte. Erst als es bereits ziemlich dunkel war, öffnete sich das Tor wieder. Derselbe Diener führte im Schein einer Fackel zwei Männer heraus, den Wundarzt und … einen Knecht? In gewöhnlicher, dunkler Kleidung mit glatt rasiertem Gesicht. Der war ihm bislang nicht aufgefallen. In einigem Abstand folgte er den Männern, vorbei am zweiten Wachtposten, der den Wundarzt fragte: »Und, haben sie’s hinter sich?«

»Ich kann jedenfalls nichts mehr tun.«

Der Wächter nickte und beäugte dann Floryk misstrauisch. Er zog den Hut, und seine roten Haare ließen den Mann sofort jedes Interesse verlieren.

Ein paar Straßen weiter stand ein Mann mit Ross bereit. Der vermeintliche Gehilfe verabschiedete sich vom Wundarzt, griff gebieterisch nach den Zügeln, saß auf und bewegte sich im Schritttempo immer näher auf die Stelle zu, an der Floryk im Schatten einer Hausmauer wartete. Den Kopf gesenkt schlenderte er jetzt über die Straße und blickte auf, als sich der Hufschlag näherte, ganz so, als wäre er ein gewöhnlicher Passant auf dem Weg nach Hause. »Gute Reise, werter Martinitz«, sagte er und tippte sich an den Hut.

Der Statthalter riss so arg an den Zügeln, dass sich das Pferd auf die Hinterbeine stellte. Floryk verfluchte seine Dummheit. Noch einen Sturz wollte er dem Mann heute nicht bereiten. Aber nein, er hielt sich im Sattel, sprach beruhigend auf das Tier ein und strich ihm über den Hals. Ohne Floryk anzusehen, zischte er: »Wer bist du, Schelm?«

»Nur ein Kaufmann, der nicht glücklich darüber ist, was heute geschah.«

Martinitz schnaubte und musterte ihn von der Seite. »Was soll ich da sagen?«

»Reitet Ihr direkt nach Wien?«

»Geht dich nichts an«, brummte er.

»Stimmt.«

Nun wandte sich der Statthalter des Kaisers ganz zu ihm um und sah ihn eindringlich an. »Wer zur Hölle bist du?«

»Floryk Loyal.«

»Nie gehört. Ja, ich reite direkt zum Hof nach Wien.« Er trieb das Ross an.

Eine klare Lüge, denn es wäre leichtsinnig, einem Unbekannten sein Ziel zu verraten. Der Statthalter war vieles, nur nicht dumm. Bestimmt suchte er erst Zuflucht bei Herzog Maximilian von Bayern, einem finanzstarken, kaisertreuen Katholiken.

 

 

2. Kapitel

In welchem Direktoren die Macht übernehmen, während Simon und Milana allerlei lernen dürfen.

---ENDE DER LESEPROBE---