Meister Frantz und der Fluch der Blutrubine - Edith Parzefall - E-Book

Meister Frantz und der Fluch der Blutrubine E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Freie Reichsstadt Nürnberg 1582: Meister Frantz wird von Kathi Leinfelderin zu einem Fall von Notzucht gerufen, jedoch nicht als Henker, sondern als verschwiegener Heiler – eine Situation, die ihm großes Unbehagen bereitet. Clara, die vierzehnjährige Magd eines Bortenwirkers, will keinesfalls Anzeige erstatten. Außerdem steht Ostern vor der Tür, und die Schöffen sind vor allem mit einem beschäftigt: der Wahl des Kleinen Rats. Trotz all dieser Hindernisse kann Frantz nicht zulassen, dass der Täter weiter sein Unwesen treibt. Mit Kathis Hilfe versucht er, die junge Maid zum Sprechen zu bringen und herauszufinden, wen sie schützt. Etwa den Goldschmied, der um die Bortenwirkerei herumschleicht?

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Meister Frantz

und

der Fluch der Blutrubine

 

Henker von Nürnberg Band 3

 

von Edith Parzefall

 

 

 

 

Copyright © 2017 Edith Parzefall

Lektorat: Kathrin Brückmann

www.lekto-ratio.de

Cover und Karten: Kathrin Brückmann

Polyhedra-Illustrationen: Julia Handl

https://www.points-edges.de/

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

Karte von Nürnberg

 

 

Handelnde Personen

 

Historische Figuren sind fett gedruckt. Sie werden in diesem Roman fiktional verwendet, obwohl ich mich weitgehend an die historisch überlieferten Fakten gehalten habe. Wie damals üblich tragen alle Nachnamen von Frauen die Endung -in, da die Anreden Frau und Herr für gewöhnliche Leute noch nicht üblich waren. Zusätzlich füge ich die verkürzten Vornamen in Klammern an.

 

Meister Frantz Schmidt, der Nachrichter, also Henker von Nürnberg.

Maria Schmidtin, Frau von Frantz Schmidt, die auch als Henkerin bezeichnet wurde.

Vitus Schmidt, Sohn von Frantz und Maria.

Augustin Ammon, der Löwe, wie man den Henkersknecht nannte.

Katharina (Kathi) Leinfelderin, ein Findelkind und Ehefrau von …

Maximilian Leinfelder, ein Stadtknecht im Dienste der Freien Reichsstadt Nürnberg.

Sebald Kaiser, wohlhabender Bortenwirker und Ehemann von …

Ambrosia Kaiserin, die seinen Laden meist gut im Griff hat.

Cuntz Kaiser, Lehrling und Sohn des Bortenwirkers.

Clara Mülnerin, ein vierzehnjähriges Mägdlein im Dienst des Kaisers.

Julius Spieß, Goldschmiedgeselle, der Clara besser kennt als alle anderen.

Friedrich Hildebrandt, Goldschmied, für den Julius arbeitet.

Konrad Rumpler, ein Schütze, der gern dumm herumsteht.

Michael (Michel) Hasenbart, ein Stadtknecht in Nürnberg und Freund von Max.

Wenzel Jamnitzer, Goldschmied von Kaisern und Königen, im Herzen aber vor allem Geometer und nebenbei Mitglied des Kleinen Rates als Genannter der Handwerke.

Hans Lencker, Goldschmied und Geometer, dem selten das Grinsen vergeht.

Jorgen Labenwolf, Rotgießer, der mit seinem Brunnenwerk für den dänischen König allmählich in Verzug gerät.

Friedrich Werner (genannt Heffner Friedl), ehemaliger Söldner, der mit der Schwester von Frantz Schmidt verlobt ist.

Kunigunda Lippertin (geb. Schmidtin), bald Wernerin.

Heinrich Heut, Kumpan vom Heffner Friedl.

Georg Götz, der von Frantz Schmidt als Dieb und Hurer ausgestrichen wird.

Wolf Pfeuffer, ein Dieb aus Gräfenberg, der von Frantz Schmidt ausgestrichen wird.

Stadträte Eisvogel und Pömer, die als Lochschöffen Ermittlungen im Nürnberger Lochgefängnis leiten, sowie ein namenloser Schreiber.

Eugen Schaller, der Lochhüter, liebevoll auch Lochwirt genannt. Oberster Aufseher im Loch, dem Nürnberger Gefängnis für Untersuchungshaft und Delinquenten, die auf ihre Hinrichtung warten.

Anna Schallerin, Ehefrau von Eugen Schaller und damit Lochwirtin.

Lienhardt Hertl, ehemaliger Schütze und Bettelrichter, der von Frantz Schmidt aus der Stadt ausgestrichen wurde und ihm doch half, abgefeimte Räuber und Mörder zu überführen.

Wolf Neubauer, Wirt der Fetten Gans und Chronist, zudem ein großer Bewunderer von Meister Frantz.

Lucas Korber, Schankknecht in der Fetten Gans.

Reichelt, Abdecker und Musikant.

Lienhardt Krieg, protestantischer Diakon von Sankt Sebald. Der Priester, an den man sich wendet, wenn es um Angelegenheiten des Lochgefängnisses geht.

 

 

Glossar

 

Atzung: Geld, das Gefangene für ihre Kost bezahlen mussten.

Garaus: Torschluss.

Keuche: Gefängniszelle

Loch(gefängnis): Verlies unter dem Rathaus, das als Untersuchungsgefängnis diente. Hier wurden auch Delinquenten festgehalten, die auf ihre Hinrichtung warteten.

Lochwirt: Lochhüter, oberster Gefängniswärter im Loch.

Losunger: Der Vorderste Losunger war der mächtigste Mann der Stadt, zuständig für Finanzen und Verteidigung, da er gleichzeitig einer der drei Oberster Hauptleute war. Unterstützt wurde er vom zweiten Losunger und Mitarbeitern in der Losungsstube.

Löwe: Henkersknecht. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie der Henkersknecht zu seinem Spitznamen kam, den es so nur in Nürnberg gab, allerdings überzeugt keine so recht. In Bamberg hieß der Henkersknecht beispielsweise Peinlein.

Nachrichter: Scharfrichter, da dieser nach dem Richter seines Amtes waltete.

Pappenheimer: So wurden in Nürnberg die Straßenreiniger genannt, die auch in regelmäßigen Abständen die Abortgruben leeren mussten, vermutlich weil der Reichsmarschall über Jahrhunderte aus dem Geschlecht der Pappenheimer bestellt wurde. Dieser war unter anderem für die Sauberkeit bei Hofe zuständig. Im Gegensatz zum hoch geachteten Reichsmarschall wurden die Nürnberger Pappenheimer allerdings gemieden.

Peunt: Bauhof unter der Verwaltung des städtischen Baumeisters bzw. seiner rechten Hand, dem Anschicker in der Peunt. Hier wurden auch Fuhrwerke, Pferde und Werkzeuge verwahrt und ausgegeben.

Posament: Bordüre, Besatz.

Unschlitt: Rindertalg.

 

 

 

Teil I

 

 

Das Mägdlein

Dienstag, 3. April 1582

 

Kathi Leinfelderin packte ihre Posamenten in den Korb für den Kaiser. Gut, dass der Bortenwirker nur so hieß und keiner war, sonst stünde es schlecht um das Reich. Nach allem, was sie gehört hatte, war er immer viel zu bereitwillig, seinen Schuldnern die Zahlungen zu stunden. Da musste häufig die Kaiserin mahnen. Vor der strengen Frau fürchtete sich Kathi ein wenig, obwohl sie so klein und zierlich war. Vielleicht trat sie gerade deshalb so bestimmt auf, damit sie niemand wegen ihrer Gestalt übervorteilte. Die verkaufte niemand für dumm, das hatte Kathi manches Mal mitbekommen, wenn ein Händler der Kaiserin minderwertiges Material verkaufen wollte. Sie warf einen kritischen Blick auf ihre Handarbeiten. Bestimmt hätte die Frau auch daran wieder einiges herumzumäkeln. Die Kaiserin machte mit ihren feingliedrigen Fingern schließlich die schönsten Spitzen und Stickarbeiten weit und breit, so gut würde Kathi nie werden. Meister Sebald zahlte allerdings immer angemessen, und daran hielt sich auch seine Frau, deshalb arbeitete Kathi sehr gern für die beiden.

Das Geld konnten Max und sie dringend brauchen, besonders, falls tatsächlich ein Kind unterwegs war. Kathi strich sich über den Bauch. Nun war ihre Monatsblutung schon gut eine Woche überfällig. Das war allerdings in den bald zwei Jahren Ehe schon öfter vorgekommen, und jedes Mal hatte sie vergeblich gehofft, es wäre endlich so weit. Sie legte sich den Lodenumhang um die Schultern, den ihr Max zu Weihnachten geschenkt hatte, und setzte die Haube auf. Den Korb in der Ellenbeuge verließ sie die kleine Wohnung in einem der Wehrtürme. Ein Stück lief sie den Wehrgang auf der Stadtmauer entlang, bevor sie eine Holztreppe hinunterstieg und durch die geschäftigen Gassen zum Bortenwirker eilte. Der Mann konnte sich ein recht großes Haus in der Nähe des Milchmarktes leisten. Das untere Stockwerk war wie bei den meisten aus Sandsteinquadern gebaut, erst darüber begann das leichter entflammbare Fachwerk. Der dritte Stock sah aus, als wäre er erst nachträglich draufgebaut worden, denn die Steine waren kleiner und hatten eine andere Farbe. Solche Anbauten konnte man in Nürnberg immer häufiger sehen. Es gab einfach nicht genug Platz innerhalb der Stadtumwallung.

Sie trat durch das Tor in die Werkstatt, die zugleich als Laden diente. Barbara saß am Tisch nahe dem Eingang, den Kopf tief über ihre Arbeit gebeugt. Das Knarren der Tür ließ sie aufblicken. »Oh, du bist es. Grüß dich.« Kein Lächeln zeigte sich im Gesicht der Magd. Stattdessen sah sie sich wie gehetzt im Raum um.

Eigenartig, außer ihnen beiden schien niemand hier zu sein, nicht einmal der Lehrling Cuntz. »Grüß dich, Barbara. Ist die Kaiserin nicht da?« Nun schalt sie sich, weil sie nicht einfach nach Meister Sebald gefragt hatte, der so viel leichter zufriedenzustellen war.

Barbara schnaubte, dann machte sie wieder ein ernstes Gesicht. »Nein, die Herrin ist im Wildbad mit ihrer Mutter, der es gar nicht gut geht. Und der Kaiserin tun die heißen Quellen auch immer wohl.«

Heiße Quellen? »Ach, dann ist sie nicht im Wildbad auf der Insel Schütt?«

»Nein, sie sind für eine Woche weggefahren, zu den warmen Schwefelquellen in Bad Gögging. Die sollen sehr heilsam wirken.«

Kathi freute sich. Keine kritischen Blicke und Bemerkungen heute! »Und der Meister?« Sie hob ihren Korb an. »Ich hab alles fertig, was er bestellt hat.«

»Der ist zu den Drahtziehern gegangen.«

»Barbara!«, rief Traudel von der Treppe. »Der Clara geht’s gar nicht gut. Wir sollten –« Da fiel ihr Blick auf Kathi, und die Frau verstummte.

Clara war die jüngste Magd im Dienst der Kaisers. »Was fehlt ihr denn?«, fragte Kathi besorgt und wunderte sich über die Geheimnistuerei der Frau. Wollte sie Claras Krankheit vor dem Meister verheimlichen, damit die nicht hinausgeworfen wurde? Das konnte sie sich kaum vorstellen, denn zu seinen Mägden war Meister Sebald immer sehr nett und zur jungen Clara geradezu väterlich.

»Ach nichts«, rief Barbara sofort, senkte aber den Blick. Traudel dagegen starrte sie nur an und schüttelte den Kopf. Blass wirkte sie plötzlich.

Hier stimmte doch was nicht. Kathi stellte den Korb auf den Tisch und ging mit festen Schritten zur Treppe. »Lass mich zu ihr.«

Traudels Gesicht bekam wieder Farbe. »Vielleicht besser so«, flüsterte sie und lief voraus.

Kathi eilte hinter ihr her die Treppen hinauf und kam ins Schnaufen, bis sie im obersten Stockwerk angelangt waren.

»Hier lang.« Traudel öffnete die Tür zu einer kleinen Kammer, in der ein Bett und eine Truhe standen, dazu ein kleines Tischchen mit einem Stuhl. Über das Bett gebeugt stand Cuntz, der Lehrling. »Du musst aber«, sprach er beschwörend auf Clara ein.

Eine zierliche Hand schlug nach ihm. »Lass mich!«

»Kathi ist hier«, sagte Traudel schnell.

Der Lehrbub trat einen Schritt zurück. Da sah Kathi die junge Magd: das dunkelblonde Haar zerzaust, ihr Gesicht von Schlägen entstellt, die Lippen aufgeplatzt, das linke Auge dunkelviolett verfärbt und zugeschwollen. Kathi stieß Cuntz beiseite. »Hast du ihr das angetan, du Schuft?« Wütend funkelte sie ihn an.

Er wurde unter ihrem Blick immer kleiner und schlang beide Arme um seinen Oberkörper. »Ich doch nicht«, keuchte er und drehte den Kopf zur Seite, schielte aber mit seinen wachen, dunklen Augen zu ihr herüber.

Nein, der Junge von vielleicht fünfzehn Jahren hatte das bestimmt nicht getan. Andererseits waren auch seine Haare ganz zerzaust. Kathi wandte sich Clara zu und ging vor der Bettstatt in die Hocke. »Was ist dir geschehen, Clara? Hat dich jemand überfallen, beraubt oder gar …« Sie schluckte, wollte das Unsägliche nicht aussprechen.

Clara blinzelte kurz mit dem rechten Auge, bevor sie den Kopf abwandte.

»Sie redet nicht«, sagte Traudel.

Aber mit Cuntz hatte sie anscheinend gesprochen. Der Bursche wusste bestimmt mehr. Kathi erhob sich und sah ihn an. »Mit dir redet sie schon, oder?«

Er senkte den Kopf. »Nur ganz wenig. Sie hat gesagt, dass niemand davon erfahren darf, sonst hätten wir längst einen Heiler kommen lassen.«

Meister Frantz! Natürlich, den würde sie holen. Der wusste bestimmt, was zu tun war, nicht nur gegen die Wundschmerzen. »Ist der Bortenwirker tatsächlich bei den Drahtziehern?«

Cuntz nickte. »Ist schon früh weg.« Seine Stimme kiekste. Er räusperte sich. »Er hat gemeint, er kommt erst um die Mittagszeit zurück.«

Gut, dann würde er vielleicht gar nicht mitbekommen, dass der Henker von Nürnberg seine Werkstatt betreten hatte. »Ich hol Hilfe.«

Da krallten sich klamme Finger um ihr Handgelenk. Clara starrte sie mit dem einen Auge an. »Nein«, keuchte sie. »Kein Wort zu niemandem.«

»Der, den ich hole, wird dir helfen, auch wenn du ihm nichts erzählst.«

Der Griff lockerte sich, und Kathi eilte los.

*

Frantz Schmidt führte seinen Sohn an der Hand durch die lange, schmale Brückenwohnung, von der guten Stube bis in sein Behandlungszimmer. Ein Jahr war das Bürschlein schon alt und plapperte bereits allzu gern vor sich hin, nur Worte waren dabei selten zu erkennen. Vielleicht wollte Vitus einmal Wanderprediger werden? Laufen hatte er jedenfalls schon im Alter von zehn Monaten gelernt. Das Lächeln verging Frantz. Nein, der Sohn eines Henkers konnte kein Prediger werden. Nicht mal ein Flickschuster würde dem Buben eine Lehrstelle geben.

Dieses Jahr hatte Frantz erst eine Person richten müssen: Katharina Bürkhlin, auch die Welsche genannt, eine üble Diebin und Räuberin, die gemeinsam mit sechzehn Diebsgesellen nachts bei den Leuten eingestiegen war, sie gemartert und ihnen das Geld abgepresst hatte. Das schändliche Weibsstück mit dem Schwert zu richten, hatte ihm keinen Schlaf geraubt. Dabei hatte die Frau ihre Hinrichtung noch Wochen hinausgezögert, indem sie vorgab, schwanger zu sein. Ob sich herumgesprochen hatte, dass Kathi Leinfelderin diese List auf seinen Rat hin angewendet hatte, um der Folter zu entgehen? Er hoffte nicht. Das konnte seinem Ruf ziemlich abträglich sein.

Er drückte die Tür zur Küche auf, wo Maria bereits das Mittagsmahl vorbereitete. Hier war es schön warm. »Vitus hat mal wieder viel zu erzählen. Verstehst du ihn?«, fragte er seine Frau.

Maria lachte. »Selten, aber das kommt schon noch, und dann sehnst du dich nach diesen Tagen zurück.«

Frantz küsste sie auf die Wange und legte seine freie Hand auf ihren gewölbten Bauch. Vielleicht noch vier Monate, dann würde sie mit ihrem zweiten Kindlein niederkommen. »Da strampelt noch nichts.«

»Vielleicht wird es ein Mädchen, die sind sowieso braver.« Sie schenkte ihm ein neckisches Lächeln, und Frantz hätte sie am liebsten mit sich ins Schlafzimmer gezerrt. In diesem Moment pochte es an der Tür.

Maria sah ihn fragend an. »Erwartest du einen Patienten?«

»Eigentlich nicht.« Vielleicht rief man ihn ins Rathaus.

Maria legte das Messer weg und nahm Vitus auf die Arme, als wollte sie ihn vor der Arbeit seines Vaters schützen. Die Heilkunde, der seine Leidenschaft gehörte, übte er ja nur nebenher aus, musste im Auftrag des Rates seinen Mitmenschen meist Schmerz statt Linderung verschaffen. Der Hals wurde ihm eng, während er durch die Zimmerflucht zur Tür im Henkerturm lief. »Ich komme«, rief er und hoffte, einen Kranken und keinen Stadtknecht vor der Tür zu finden. Der Anblick der jungen Frau überraschte ihn dennoch. »Kathi? Geht’s dir nicht gut?«

Sie sah bedrückt aus, doch ihre Wangen waren gerötet, als wäre sie gerannt. »Ich … Ihr …«

»Was ist denn?« So verhuscht war sie ihm schon lange nicht mehr gegenübergetreten. »Komm rein.«

»Nein, ich brauche Eure Hilfe. Das heißt, die Magd eines Bortenwirkers braucht einen Heiler.«

»Gut, was fehlt ihr?«, fragte er, während er sich schon umwandte, um seine Tasche mit Arzneien zu holen.

Kathi rief: »Sie ist geschlagen worden und … vielleicht Schlimmeres.«

Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. »Das muss sich ein vereidigter Stadtarzt anschauen, zusammen mit einer geschworenen Frau. Max soll gleich die Anzeige aufnehmen. Warum hast du …?« Nein, die Frage brauchte er gar nicht zu stellen. »Sie will nicht?«

Kathi schüttelte den Kopf und warf ihm einen flehenden Blick zu. »Helft Ihr dem Mädel trotzdem? Sie ist erst vierzehn.«

Frantz wurde übel. »Natürlich«, presste er hervor und packte im angrenzenden Zimmer die Medizin zusammen.

Maria kam aus der Küche. »Du musst weg?« Ihr Blick fiel auf die Tasche. »Zu einem Patienten?«

»Ja.« Er küsste sie auf die Wange. »Kann etwas dauern. Warte nicht mit dem Essen auf mich.«

»Wer ist es denn?«

»Die Magd eines Bortenwirkers. Mehr weiß ich nicht.« Jedenfalls wollte er seiner Frau noch nicht mehr verraten. Er hastete zurück zu Kathi, die sofort zur Tür hinausschlüpfte und die Turmtreppe hinunterrannte. Draußen war es bestimmt noch bitterkalt. Schnell setzte er seinen breitkrempigen Hut auf und legte den Umhang um, bevor er der jungen Frau nacheilte und ins Freie trat.

Vor ihm erstreckte sich das geschäftige Treiben des Säumarkts, und er schaute sich suchend um. Kathi wartete am Pegnitzufer. Sowie sie ihn erblickte, schlängelte sie sich zwischen den Schweinepferchen durch. Frantz holte sie mit seinen langen Beinen schnell ein und fragte: »Du arbeitest auch für den Bortenwirker?«

»Ja, manchmal, wenn er nicht genug fleißige Hände hat.« Sie rieb sich die Arme. »Und jetzt ist seine Frau auch noch weggefahren, in ein Wildbad. Unseres auf der Insel Schütt war ihr vielleicht nicht wild genug.«

Frantz unterdrückte ein Lachen. Die Situation war zu ernst. »Denkst du, der Bortenwirker könnte es gewesen sein?«

Sie seufzte. »Ich kann’s mir wirklich nicht vorstellen, weil er immer so freundlich ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich trau ich’s ihm nicht zu, aber viele kommen nicht infrage.«

»Es ist im Haus des Bortenwirkers passiert?«

Kathi zog die Schultern hoch. »Weiß nicht. Sie sagt ja nichts, aber wo sonst sollte es geschehen sein? Bei der Hundskälte bleibt man schön daheim, wenn man kann.«

»Wer wohnt dort alles?«

»Außer der Clara noch zwei Mägde, der Lehrling und der Geselle, und natürlich Sebald Kaiser und seine Frau.«

»Clara heißt sie also. Und die Maid ist erst vierzehn?«

Kathi nickte und sah ihn von der Seite an. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Sie sieht auch nicht älter aus. Kaum Busen und Hintern.« Nun errötete sie.

Frantz mahlte mit den Zähnen. »Und Clara will nicht, dass jemand davon erfährt, damit sie nicht in Verruf gerät?«

»Falls sie zur Notzucht gezwungen wurde …«, sagte Kathi stockend. »Das wäre jedenfalls eine Erklärung. Wenn es ihr Herr gewesen ist, und sie verrät ihn, könnte sie um ihre Arbeitsstelle fürchten.«

Wieder einmal überraschte es Frantz, wie viel das ehemalige Findelkind Kathi inzwischen über das Leben und die Menschen wusste. Vorletztes Jahr hatte er sie kennengelernt. Da war sie des Mordes an ihrer Herrin verdächtigt worden und noch so naiv und unschuldig gewesen. Doch schon ein Jahr später hatte sie ihrem Mann geholfen, einen Mörder zu überführen. »Max weiß noch nichts davon?«

»Nein, aber dem werde ich’s bestimmt erzählen. Als Stadtknecht weiß er hoffentlich, was wir unternehmen können, ohne …«

»Wenn er einen Funken Verstand hat, wird er dir sagen, dass so ein Verbrechen sofort angezeigt werden muss.«

»Ich weiß, wenn sie es sich später anders überlegt, glaubt ihr niemand mehr. Vielleicht könnt Ihr sie zur Vernunft bringen?«

»Das nicht unbedingt, aber ich kann ein glaubwürdiger Zeuge sein, wenn sie ihre Meinung ändert. Und du ebenso.«

Kathi atmete tief durch. »Auch deswegen habe ich Euch geholt und keine Hebamme, was Clara vielleicht lieber gewesen wäre. Ihr kennt Euch mit dem Recht aus.«

Er nickte seine Zustimmung, auch wenn ihm davor graute, das Opfer einer Notzucht zu untersuchen. Im Vergleich dazu war die Entbindung von Elsas Kind letztes Jahr ein Leichtes gewesen, dabei hatte ihn die heimliche Geburt bereits sehr an seine Grenzen gebracht. Bei Clara konnte er sogar die seelischen Wunden verschlimmern …

Kathi führte ihn über den Milchmarkt und weiter den Berg hinauf in Richtung Burg, vorbei an Schmieden, Kandelgießereien, Korbmachern und anderen Werkstätten. Vor einem schmalen, dreistöckigen Haus blieb sie stehen und sah ihn an. »Kaiser wird erst gegen Mittag zurückkehren. Da sollte noch genug Zeit sein, um ihm nicht zu begegnen, es sei denn, er kommt früher zurück.«

Jetzt lächelte Frantz. »Der darf ruhig früher zurückkehren, dann kann ich mir gleich ein Bild von dem Mann machen.«

Sie nickte und ging voraus in die Werkstatt. Eine ältere Magd blickte von ihrer Arbeit auf, ihre Augen groß vor Überraschung und Schreck. »M-meister Frantz?«

»Genau«, sprach Kathi. »Er wird Clara helfen.« Hoch erhobenen Hauptes schritt sie an Tischen mit allerlei Kram vorbei zu einer Treppe. Die Magd wollte ihnen folgen, doch Frantz bedeutete ihr, zurückzubleiben. Als sie im obersten Stockwerk angelangt waren, streckte ein junger Bursche den dunklen Schopf zu einer Tür heraus. Auch seine Augen weiteten sich, aber er wirkte mehr erleichtert als entsetzt. »Meister Frantz! Schnell, Ihr könnt Clara bestimmt helfen.« Eifrig winkte er ihn heran.

Frantz trat in die Stube. Das Mädchen lag auf der Seite, den Rücken an die Wand gedrückt, die Arme vor der Brust verschränkt, wie er unter der Wolldecke erahnen konnte. Der Ausdruck in ihrem Gesicht schmerzte ihn beinah mehr als der Anblick ihrer Wunden – sie wollte ihn keinesfalls in ihrer Nähe wissen, ob nun als Henker oder Heiler, er war immer noch ein Mann und ein Fremder. Er stellte seine Tasche auf den Boden neben ihrem Bett.

Eine andere Magd kam herein. »Werdet Ihr Clara verraten, Meister Frantz?«

Er musterte die Frau, die etwas mehr als achtzehn Jahre zählen mochte. »Gibt’s denn etwas zu verraten?«

Schnell schüttelte sie den Kopf und huschte hinaus. Das Bürschchen, vermutlich der Lehrling, stellte sich in den Türrahmen und beobachtete alles gespannt.

»Raus hier und Tür zu«, raunzte Frantz ihn an. Zu seiner Überraschung lief auch Kathi zur Tür, deshalb sagte er in freundlicherem Ton: »Du nicht, du musst mir helfen.«

Sie drückte die Tür von innen zu und näherte sich langsam. »Aber ich verstehe doch nichts von der Heilkunst.«

»Nein, aber du verstehst bestimmt, dass Clara nicht allein mit einem erwachsenen Mann sein will, und wenn’s nur der Henker ist.« Er lächelte das Mädel an, deren Haltung sich dadurch kein bisschen entspannte. Mit dem einen Auge funkelte sie ihn jetzt zornig an, nicht länger ängstlich. Verblüfft fragte er: »Du bist wütend, weil ich hier bin, obwohl du Schmerzen hast?«

Sie nickte.

Er zog den Stuhl heran und setzte sich. »Ich kann mir nur zwei Gründe dafür vorstellen. Du schämst dich, oder du fürchtest dich vor dem, der dich so zugerichtet hat.«

Sie presste die Augen zu und stöhnte vor Schmerzen. Das linke war so geschwollen, dass sie es wohl gar nicht mehr öffnen konnte.

»Hör zu, ich bin gekommen, um dir zu helfen, nicht um dich zu irgendetwas zu drängen.« Er wandte sich an Kathi. »Die Magd ist bestimmt noch draußen im Gang. Frag sie nach heißem Wasser, damit ich die Wunden reinigen kann, und einem Becher, um eine Tinktur anzurühren.«

Kathi sprang sofort zur Tür und richtete Traudel die Wünsche aus.

Frantz wandte sich wieder seiner Patientin zu. »Darf ich deine Wunden versorgen?«, fragte er sanft.

Claras Schultern schienen sich ein wenig zu entspannen. Sie nickte und drehte sich auf den Rücken.

»Gut.« Langsam, damit sie genau sah, was er tat, griff er nach der Decke und zog sie ein Stück herunter. Ihr Nachthemd wies am Ausschnitt einige Risse auf, aber nur wenige Blutstropfen waren auf dem groben Leinen zu sehen. Als er die Decke ganz zurückschlug, zog Clara sofort ihr Hemd nach unten, das fast bis zu ihrer Scham hochgerutscht war. Doch er hatte gesehen, dass die Schenkel des Mädchens mit Blut verschmiert waren. Ihre Unschuld hatte man ihr geraubt, so viel war klar, und dass es für sie keine lustvolle Vereinigung gewesen war, bewies ihr zerschundenes Gesicht.

Clara presste die Beine zusammen und legte die Hände über ihre Scham, während sie ihm einen verzweifelten Blick zuwarf.

Frantz sagte: »Kathi, kannst du …?« Ja, was?

Aber seine Helferin beugte sich auch ohne seine Anweisung über die Patientin, schob sanft ihre Hände beiseite und das Nachthemd nach oben. Und wieder überraschte ihn Kathi, als sie genauso sanft die Schenkel des Mädchens spreizte und mit einem Tüchlein zwischen ihren Beinen Blut und Schleim aufwischte. Clara entfuhr ein Schluchzen.

»Ist schon vorbei«, flüsterte Kathi und reichte ihm das Tüchlein.

Er roch daran. Eindeutig der Samen eines Mannes vermischt mit etwas Blut.

Da ging die Tür auf, und Kathi zog flugs das Nachthemd wieder herunter. Die Magd schaute unsicher drein, als sie einen Krug dampfenden Wassers und einen Becher auf den Tisch stellte.

»Danke«, sagte er. »Clara wird später baden wollen. Kannst du einen Zuber vorbereiten?« Danach wäre es natürlich zu spät für die Untersuchung durch einen vereidigten Arzt oder eine geschworene Frau, aber das war nicht zu ändern.

Die Magd nickte und ging hinaus.

Frantz gab getrocknete Kamillenblüten in das Wasser und holte ein frisches Tuch aus seiner Tasche. Während er vorsichtig Claras Gesicht mit dem Kräuterwasser abtupfte, biss sie die Zähne zusammen und gab kaum einen Mucks von sich. Hatte sie so auch die Handlungen des Kerls über sich ergehen lassen, nachdem er ihr ins Gesicht geschlagen hatte? Vermutlich mit der Faust einmal aufs Auge, dann mit dem Handrücken über den Mund. Vorsichtig gab er Ringelblumensalbe auf das geschwollene Lid und einen Tupfer auf die Lippe. »Willst du etwas gegen die Schmerzen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich will sie spüren«, keuchte sie.

Der Klang ihres zarten Stimmchens gab ihm Hoffnung, ihre Einstellung allerdings weniger. »Hör zu, Clara, wenn ich dich jetzt deine Scham mit dem Kamillenwasser waschen lasse – du willst wahrscheinlich nicht, dass ich oder Kathi das tun – dann wird es für dich schwierig, noch Anzeige zu erstatten.«

»Ich kann nicht.«

Sich waschen oder den Schänder dem Gericht ausliefern? »Was kannst du nicht? Hast du noch andere Verletzungen?«

»Ihn anzeigen. Dann ist alles dahin.«

»Was ist dahin?«

Sie drehte den Kopf weg.

War es am Ende doch der Bortenwirker gewesen? Auf Vergewaltigung stand der Tod, und allein konnte seine Witwe den Laden nicht führen. Noch während des Trauerjahrs müsste sie die Werkstatt schließen. Der Lehrling würde sich einen neuen Meister suchen müssen und vermutlich nicht mal sein Lehrgeld zurückbekommen, der gesamte Haushalt würde sich auflösen. Nein, er durfte sie nicht zu diesem Schritt drängen, denn verantwortlich für das Schicksal der anderen schien sie sich schon jetzt zu fühlen. »Wenn du dich waschen willst, geh ich vor die Tür.«

Sie nahm einen stockenden Atemzug und sprach: »Wieso straft der Herr uns Frauen so?«

Frantz schloss die Augen und biss die Zähne zusammen. Schließlich zwang er sich, das Maidlein anzuschauen, und antwortete: »Das tut er nicht. Was dir widerfahren ist, hat nichts mit dem zu tun, was Mann und Frau im Ehebett erleben sollten.«

Kathi kniete sich vor sie und nahm ihre Hand. »Es stimmt. Wirklich. Mit einem liebenden Mann kann es sehr schön sein. Soll ich dir beim Waschen helfen?«

Clara nickte.

Frantz trat hinaus in den düsteren Korridor, wo immer noch der Jüngling herumlungerte.

»Wie geht es ihr?«, fragte der auch prompt.

»Die Wunden an ihrem Körper werden bald verheilen. Die an ihrer Seele werden länger brauchen.«

Das Bürschlein reichte ihm gerade mal bis zur Schulter. Als er nun auch noch den Kopf senkte, wirkte er wie ein Kind. Unwahrscheinlich, dass er Clara so zugerichtet hatte.

*

Vorsichtig wusch Kathi das Mädchen. Sie war noch so jung, erst wenige blonde Haare sprossen auf dem Hügelchen zwischen ihren Beinen. Umso abstoßender wirkte der Anblick ihrer wunden Scham auf Kathi. Nachdem sie das Blut von den Schenkeln gewaschen hatte, zeigten sich blaue Flecke, die grobe Finger auf ihren dünnen Beinen hinterlassen hatten.

»Danke«, flüsterte Clara.

»Mach ich doch gern«, antwortete Kathi, obwohl es sie anwiderte, was sich im Kamillenwasser und im Lappen sammelte. Sie erinnerte sich an die Grobheit der Hebamme im Lochgefängnis, die feststellen sollte, ob sie tatsächlich schwanger war, wie sie vorgegeben hatte. Umso sachter ging sie selbst jetzt vor.

Clara hielt ihr die Finger der linken Hand hin. Unter den Nägeln konnte Kathi Blut und noch etwas erkennen. »Du hast ihn gekratzt?«

Sie nickte.

Mit den entsprechenden Wunden konnte der Mann überführt werden!

»Wäscht du sie mir?«

Kathi schüttelte den Kopf. »Die zeigen wir vorher Meister Frantz, falls du den Schuft doch noch anzeigen willst.« Sie nahm die kleinen Hände in ihre. »Du weißt, dass er es wieder tun wird, wenn du nichts sagst. Mit dir oder einer anderen.«

Tränen quollen selbst unter dem verschwollenen Lid hervor.

 

 

Der Lehrbub

 

»Wie heißt du?«, fragte Frantz.

»Cuntz«, murmelte der Bursche.

»Weißt du, wer ihr das angetan hat?«

Er schluckte hörbar. »Nein, sie wollte es mir nicht verraten.«

»Einen Gesellen gibt’s hier auch, richtig?«

»Ja, der Barthel arbeitet für meinen Vater, aber der ist unterwegs mit Waren.«

Überrascht fragte Frantz: »Sebald Kaiser ist dein Vater?« Warum hatte Kathi ihm das nicht erzählt?

»Freilich, ist billiger, als bei einem anderen in die Lehre zu gehen, und das Geschäft soll ich eh mal übernehmen. Aber er tut immer so, als wär ich ein ganz gewöhnlicher Lehrbub, damit ich mein Zeug auch ordentlich mache. Bei einem anderen Meister tät’s mir wahrscheinlich besser gehen.«

Dann konnte die Frau die Geschäfte fortführen, bis ihr Sohn erwachsen war, falls ihr Mann für die Untat an der Maid gerichtet wurde. Da musste nur der Geselle was taugen.

»Was ist?«, fragte der Junge. »Ihr schaut so komisch.«

Frantz entspannte seine Gesichtsmuskeln. »Clara mag dich, sonst hätte sie dich in ihrer Kammer bestimmt nicht gelitten.«

Er nickte. »Wir sind schnell Freunde geworden, und vielleicht darf ich sie ja mal heiraten.«

»Du denkst schon ans Heiraten?« Trotz seines erwachenden Misstrauens zwang Frantz sich zu einem Lächeln. »Wie alt bist du?«

»Bald sechzehn!«

Gefährliches Alter voller verwirrender Empfindungen. Frantz wollte sich lieber nicht an seine eigene Jugend erinnern. Konnte der Bursche es doch getan haben? Clara hätte sich vielleicht nicht getraut, den Sohn ihres Herren zu beschuldigen. Schuldgefühle mochten den Jüngling in solch ein Häufchen Elend verwandelt haben. »Der Geselle wohnt im Haus?«

»Freilich, auch hier oben. Hat eine eigene Kammer gleich neben der von Clara. Die Traudel und die Barbara teilen sich die dort drüben.« Er deutete den Gang hinunter.

»Die zwei anderen Mägde?«

»Genau.« Plötzlich verdüsterten sich seine wachen Augen. »Hätt mal lieber eine von ihnen die Kammer mit Clara geteilt.«

»Für solche Überlegungen ist es jetzt zu spät.« Den Gesellen, der nur ein paar Schritte von Clara entfernt schlief, würde er sich zu gern genauer anschauen. »Und dein Vater?«

Der Junge strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Der schläft natürlich bei meiner Mutter … wenn sie da ist. Die ist auf Kur im Wildbad in Gögging.«

»Behandelt Meister Sebald die Mägde gut?«

Cuntz zog langsam die Schultern hoch, hielt aber seinem fragenden Blick stand. »Meist besser als mich.«

Die Tür zur Kammer öffnete sich, und Kathi schaute heraus. »Wir brauchen Euch noch mal, Meister Frantz.«

Er nickte ihr zu und wandte sich an den Burschen. »Denkst du, du kannst durch eines der Dachfenster etwas Schnee holen?«

»Ja.« Zögerlich ging der Bursche den Gang entlang.

Frantz kehrte zurück in die Kammer. Clara lag unter der Decke zusammengerollt, wirkte aber entspannter als zuvor. »Cuntz wird dir Schnee für dein Auge bringen, dann schwillt es hoffentlich ab.«

Kathi hob eine Hand des Mädchens. »Sie hat ihn gekratzt. So können wir den Schuldigen finden.«

Frantz zog eine Augenbraue hoch. »Wir?«

Kathi lächelte zaghaft. »Ihr braucht vielleicht Hilfe.«

»Bestimmt.« Wenn das Mädel das Verbrechen nicht zur Anzeige brachte, gab es keine Ermittlung durch die offiziellen Ordnungshüter. Da konnte nur er selbst versuchen, den Delinquenten zur Strecke zu bringen. Wieder einmal. Er legte den Kopf schief und betrachtete Clara. »Hast du ihn am Rücken gekratzt?«

Sie nickte nur, fuhr sich dann mit den Nägeln über ihren linken Oberarm.

»Da auch?«

»Ja«, hauchte sie.

Da brachte Cuntz zwei Hände voll Schnee in einem Tuch. Der war zwar vom Ruß in der Stadt schon grau, aber wenigstens gab es noch welchen. Auf seine Anweisung hin legte der Junge das Bündel auf Claras Auge. Sie zuckte zusammen, legte aber ihre Hand auf seine.

Cuntz sah ihn an. »Soll ich noch mehr holen? Für … sonst noch wo?«, fragte er und schaute verlegen drein.

Das Bürschlein wusste also, was mit ihr passiert war. »Nein, nur fürs Auge.« Er wandte sich an Clara: »Bestimmt ist das Bad gleich bereit, danach wirst du dich sauberer fühlen. Doch was der Mann dir angetan hat, kannst du nicht mit Wasser abwaschen.« Er ließ seine Worte einsinken und setze sich auf den Stuhl. »Es könnte sein, dass er dir ein Kind gemacht hat.«

Sie riss das gute Auge auf. »Könnt Ihr nichts dagegen tun?«

Er schüttelte den Kopf. »Davon verstehe ich nichts.«

Kathi nahm die Hand der Maid und begann, sie zu waschen. »Falls du tatsächlich schwanger geworden bist, was beim ersten Mal sehr unwahrscheinlich ist, dann kannst du das Kleine im Findelhaus abgeben.«

Unweigerlich musste Frantz an all die Kindsmörderinnen denken, die er schon hatte richten müssen. Mit fester Stimme sagte er: »Bring es bloß nicht um, sonst schlage ich dir den Kopf ab.«

Sie blinzelte, schluckte mühsam. »Nein. Natürlich. Ich meine …«

»Warum willst du den Kerl schützen?«, bohrte er nun doch nach und beobachtete aus dem Augenwinkel den jungen Cuntz, doch dessen Miene war schwer zu deuten. Sorge stand darin, aber ob um Clara oder sich selbst, konnte Frantz nicht erkennen.

Gerade jetzt kam die Magd herein, die das Badewasser bereiten sollte. Kathi hatte sie Traudel genannt. »Tu’s nicht«, sagte sie. »Er hat es nicht verdient. So was darf er nicht machen!«

Neugierig betrachtete Frantz sie. »Wer?«

»Das verfluchte Schwein, das … sie so zugerichtet hat.« Verschämt blickte sie zur Seite. »So einen darf sie nicht schützen.«

Von unten ertönte eine aufgebrachte Stimme.

»Der Meister!«, hauchte Traudel.

»Am besten nimmt Clara jetzt ein Bad«, sagte Frantz und stand auf. Traudel nickte ihm zu und fasste Claras Arm.

Zusammen mit Cuntz schritt er zur Treppe und nahm zwei Stufen auf einmal. Am Fuß der Stiege verharrte er, warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Kathi ihnen auf Zehenspitzen folgte. Am liebsten hätte er sie zurückgescheucht, aber eine weitere Zeugin konnte nie schaden, und er vertraute Kathis Gespür für Menschen.

»Was weiß denn ich, was die treibt?«, brummte eine Männerstimme ungehalten.

Frantz wünschte, sein Richtschwert zu tragen, um den Kerl ordentlich zu erschrecken. Meist wirkte allerdings sein bloßes Erscheinen furchterregend genug auf die Menschen. Er ließ seinen Blick suchend durch den Raum im Erdgeschoss schweifen. Wo war der Kerl? Nahe dem Eingang lagen die Waren aus, die der Bortenwirker feilbot, doch er selbst war nicht zu sehen. Weiter hinten befanden sich die Arbeitstische des Gesindes. Unweit davon lagerten Materialien in Holzkisten, und in diese sah er einen großen Mann Rollen unterschiedlicher Drahtsorten einräumen. Die ältere Magd stand händeringend neben ihm.

»Bestimmt war’s der Bursche, der sich öfter vor der Werkstatt herumdrückt«, sprach der Bortenwirker.

Noch hatte der Mann sie nicht bemerkt, und Frantz interessierte, was er zu sagen hatte. Auch Cuntz verharrte still.

»Der Goldschmiedgeselle? Aber der sieht doch so harmlos aus.«

»Ha, harmlos schauen sie fast alle aus«, blaffte der Bortenwirker.

»Da ist noch was«, sagte Barbara.

»Was denn?« Kaiser legte die letzte Rolle in eine Kiste und drehte sich zu ihr um. »Mach’s Maul auf!«

»Wir haben jemanden geholt. Für Clara.« Die Magd zog den Kopf ein und mied den Blick ihres Herrn. »Die Kathi hat’s getan.«

»Was?«, blaffte Kaiser. »Die blöde Gans!«

Da stieg Frantz die letzte Stufe hinunter und trat zu den beiden. »Ich helfe doch gern«, sagte er mit möglichst tragender Stimme.

Kaiser erstarrte. »Ihr! Aber …« Dem Bortenwirker blieb der Mund offen.

Frantz wartete ab. Von Kathi oder Cuntz hörte er nichts. Bestimmt lauschten die beiden auf der Treppe.

Jetzt hatte Kaiser sich wieder gefasst. »Wie geht’s der Kleinen, Meister Frantz?«

»Schlecht. Ich hab ihre Wunden versorgt, und gleich wird sie ein Bad nehmen.«

Die Mundwinkel seines Gegenübers zuckten, als müsste er ein Lächeln unterdrücken. Bestimmt war ihm sofort klar geworden, was das bedeutete: Das Mädchen wollte keine Anzeige erstatten.

Frantz fuhr fort: »Meine Behandlung wird helfen, trotzdem ist sie in einem üblen Zustand. Eigentlich gehört sie ins Spital.«

Kaiser kratzte sich unter einem Auge und rieb sich dann übers ganze Gesicht, dass der dunkle Bart knisterte. »Ich kann ihr ein paar Tage freigeben. Traudel und Barbara sollen sich hier um sie kümmern. Das Spital ist teuer, und da holt sie sich vielleicht noch irgendeine Seuche, die aus der neuen Welt eingeschleppt worden ist.«

Frantz hatte nicht erwartet, dass der Mann die Maid aus den Augen lassen würde. Er verbarg etwas, doch ob er sich selbst oder jemand anderen schützen wollte, war schwer einzuschätzen. Falls er seinen Sohn verdächtigte, wäre das eine Erklärung. Er blickte sich nach Cuntz um, doch der war nicht mehr zu sehen. Kathi dagegen hockte auf der Treppe.

Kaisers Blick musste seinem gefolgt sein, denn er rief: »Kathi, komm her! Ich will dir danken, dass du dich um Clara gekümmert und Meister Frantz geholt hast.« Seine Wangen röteten sich etwas. »Vielleicht kannst du in den nächsten Tagen gelegentlich nach ihr sehen?«

Kathi erhob sich und kam langsam näher, einen misstrauischen Ausdruck im Gesicht.

»Wenn Ihr nichts dagegen habt«, sagte Frantz, »werde ich ebenfalls täglich vorbeischauen.«

Kaiser schien nur mühsam zu schlucken, bevor er antwortete: »Natürlich, wenn Ihr es für angebracht haltet. Ich dachte nur, mit einer Frau fühlt sich Clara bestimmt wohler.«

»Bestimmt.« Frantz nickte und musterte den Mann. Seine unwirsche Reaktion auf das, was Barbara ihm erzählt hatte, passte nicht recht zu dem freundlichen Mann, von dem Kathi gesprochen hatte.

Der Bortenwirker seufzte. »Ihr fragt Euch natürlich, wer ihr das angetan hat.«

»Das tu ich.«

»Für meinen Sohn lege ich die Hand ins Feuer! Und der Barthel, mein Geselle, der ist ein anständiger Kerl. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der einer Frau was tut.« Er blickte zu Barbara. »Dich hat er nie belästigt, oder?«

Sie schüttelte nur den Kopf. »Die Traudel auch nicht.«

»Und was ist das für ein Goldschmied, von dem Ihr gesprochen habt?«

»Was? Oh.« Kaiser kratzte sich an der Schläfe. »Ein Geselle. Bei welchem Meister er arbeitet, kann ich nicht sagen. Seinen Namen weiß ich auch nicht. Aber er treibt sich öfter mal hier rum, und wenn Clara im Laden ist, kommt er manchmal sogar rein, flüstert mit ihr. Sie kennt ihn jedenfalls.«

Bestimmt badete Clara bereits. Frantz schaute nach oben zur Decke, welche die Ladenwerkstatt vom ersten Stock trennte, in dem sich die Küche befinden musste. Hier unten konnte er nur eine offene Tür zu einem Nebenraum sehen, offensichtlich ein Kontor, den Papierstapeln auf dem Tisch nach zu urteilen. Er wandte sich zu Kathi um. »Magst du Clara nach dem jungen Mann fragen?«

Sie nickte, stellte zunächst jedoch einen Korb mit allerlei Posamenten vor den Meister. »Eure Bestellung. Das Geld würde ich dann auch gleich mitnehmen, wenn’s recht ist.« Das klang sehr fordernd. Schon eilte sie zur Treppe, als hätte sie ihre eigene Forschheit erschreckt.

Frantz musste unwillkürlich lächeln. Bestimmt hatte sie gehört, wie ihr Arbeitgeber sie eine dumme Gans gescholten hatte.

*

In den oberen Geschossen des Hauses kannte Kathi sich gar nicht aus. Sie klopfte an einer geschlossenen Tür im ersten Stock, hinter der sie Wasser plätschern hörte. »Ich bin’s, Kathi. Darf ich rein?«

»Komm nur«, rief Traudel.

Beim Eintreten sah sie Clara mit angewinkelten Beinen in einem kleinen hölzernen Trog sitzen. Traudel wusch ihren Rücken mit einem Lappen. »Das wird schon alles wieder«, sprach sie dabei sanft und beruhigend auf sie ein.

Kathi fühlte sich wie ein Eindringling, der Clara nicht einmal diesen Moment der Ruhe und des Friedens gönnte, doch sie wollte den Nachrichter nicht enttäuschen. Also ließ sie sich auf einem Hocker neben dem Trog nieder und sah sich um. Bei diesem Raum schien es sich um die Waschküche zu handeln. Eine Durchgangstür führte zur Küche. Das war praktisch, die Feuerstelle gleich bei der Hand. Das Wasser musste wohl die Treppe hinaufgeschleppt werden, außer es gab vor einem der Fenster eine Seilwinde. Sie konzentrierte sich wieder auf Clara. »Meister Sebald hat von einem Goldschmiedgesellen erzählt, der mit dir recht vertrauten Umgang hat …«

Bevor sie weiterfragen konnte, riss Clara Traudel den Lappen aus der Hand und schleuderte ihn Kathi ins Gesicht. »Lasst ihn zufrieden!«, schrie sie.

Zu überrascht von dieser heftigen Reaktion hatte sich Kathi nicht mal geduckt oder den Lappen aufgefangen, der nun in ihrem Schoß lag. Sie reichte ihn Clara. »Da frage ich mich natürlich, ob er es war, denn du willst den Täter ja offensichtlich schützen.«

Das Gesicht des Mädchens verzerrte sich vor Wut, aber der Lappen flog nicht noch einmal. »Nein!«, zischte sie.

Kathi seufzte. Es war hoffnungslos. Sie sah Traudel an, die nur den Kopf schüttelte. Bedeutete das, Kathi sollte nicht weiter fragen, oder dass sie auch nichts über den Goldschmied wusste? Wer so einen angesehenen Beruf ausübte, hatte es sicher nicht nötig, eine Frau zu zwingen. Der konnte sich seine Braut aussuchen oder sich eine Dirne leisten.

Clara senkte den Kopf und wusch ihre winzigen Brüste, die gerade erst zu knospen begannen, langsam und bedächtig. Sie sah so verletzlich aus, dass Kathi sich fragte, ob sie die Maid wirklich in diesem Haus lassen durften, in dem ihr so etwas angetan wurde. Sie sagte: »Wir könnten dich ins Spital bringen, dann wärst du erst mal hier raus.«

Clara reagierte nicht, wusch sich immer weiter.

»Dein Meister ist auch nicht begeistert von der Idee.«

Nun blickte sie doch auf und verengte ihr heiles Auge. »Der wird schon wissen, warum. Verschwinde jetzt. Lass mich in Ruhe.«

»Na gut.« Kathi stand auf und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte. »Aber du sollst wissen, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn du was brauchst.«

Clara nickte. Eine Träne lief ihr über die unversehrte Wange. »Danke.«

Bedrückt ging Kathi wieder nach unten, wo die beiden Meister sie bereits erwarteten. So verschieden ihre Handwerke, so unterschiedlich ihre Mienen: die von Meister Frantz neugierig, Meister Sebalds misstrauisch. »Sie redet nicht.«

»Dieses dumme Ding!«, rief der Bortenwirker und schüttelte missbilligend den Kopf.

Meister Frantzens Nasenflügel bebten, doch sonst ließ er sich nichts anmerken. »Steck dein Geld ein, Kathi, wir gehen.« Er wies auf die Münzen, die Meister Sebald auf den Arbeitstisch gelegt hatte. Dann sah er den Mann von der Seite an. »Hier können wir vorerst nichts mehr tun.«

Vorerst? Oh, dann hatte er vielleicht einen Plan, wie sie den Schurken, der Clara das angetan hatte, dingfest machen könnten. Schon etwas zuversichtlicher ließ sie sich die drei Groschen geben und neues Material in den Korb packen.

»Bring so bald wie möglich noch mal so viele Bordüren und Kordeln«, verlangte Kaiser barsch.

»Gern.«

*

Frantz hatte den Mann die ganze Zeit sehr genau beobachtet, fand es aber schwer, ihn einzuschätzen. Als Kathi sich artig bedankte, lobte Kaiser sie noch einmal dafür, den Nachrichter geholt zu haben. Das glaubte Frantz ihm sogar; er war dem Mann bestimmt lieber als ein Stadtarzt oder eine geschworene Frau. Allerdings hätte der Bortenwirker es vermutlich vorgezogen, wenn niemand etwas von dem Vorfall mitbekommen hätte. Auch falls er nichts damit zu tun hatte, schadete es seinem Ruf, wenn unter seinem Dach ein derartiges Verbrechen verübt wurde. Doch auch Frantz hatte einen Eid geleistet, der Stadt Nürnberg zu dienen, und war verpflichtet, dieses Verbrechen zu melden. Heute war er allerdings vor allem als Heiler hier, auch wenn sich der Nachrichter in ihm immer stärker regte.

Zusammen mit Kathi verließ er die Ladenwerkstatt. »Wie geht es Clara jetzt?«

Sie zuckte die Schultern. »Schwer einzuschätzen. Ich verstehe nicht, warum sie uns nicht sagt, wer’s war. Offensichtlich kennt sie den Mann.«

»Angst«, sinnierte er. »Vor ihm oder um ihre Zukunft. Irgendwas in dieser Art. Scham allein kann es nicht sein. Immerhin wissen die meisten Leute in ihrer direkten Umgebung Bescheid.«

»Vielleicht soll ihre Familie nichts erfahren?«, schlug Kathi vor.

»Das kann gut sein. Von denen lebt wohl niemand in der Stadt, sonst würde sie bestimmt zu Hause wohnen.«

»Außer es ist zu eng geworden. Vielleicht musste sie raus, weil ein Bruder geheiratet hat und die Frau eingezogen ist, oder es sind weitere Kinder gekommen.«

Unzufrieden mit der ganzen Situation rieb sich Frantz den Nacken. »Keine Ahnung, was wir tun können.«

Sie stieß ihn mit dem Ellenbogen an. »Schaut Euch mal ganz unauffällig den Kerl auf der anderen Straßenseite an, der immer wieder zum zweiten Stockwerk des Kaiserhauses hochschielt.«

Wie zufällig hob Frantz den Kopf und ließ den Blick über die Gasse schweifen. Ja, da war ein Kerl, der herumlungerte und immer wieder zu den oberen Fenstern schaute, als hoffte er, dort jemanden zu erblicken. »Du meinst, das könnte unser Goldschmied sein?«

»Vielleicht.«

Der Bursche wurde immer langsamer, blieb aber nicht stehen. Den sollten sie lieber nicht aus den Augen lassen. »Ich errege so viel Aufsehen wie ein zweiköpfiges Kalb. Willst du versuchen, ihm zu folgen?«

Kathi kaute auf der Unterlippe. »Wenn er das Haus schon länger beobachtet, hat er mich vermutlich dort ein- und ausgehen sehen, aber ich will’s versuchen.«

»Sei vorsichtig. Falls er der Täter ist …«

Sie presste die Lippen zusammen, dann nickte sie. »Ich werd Abstand halten.«

Besorgt sah Frantz ihr nach. Als er sich umwandte, stellte er fest, dass Kaiser ihn von der Tür her beobachtete. Er ging zu ihm. »War das der Kerl, den Ihr hier schon öfter gesehen habt?«

Der Bortenwirker nickte. »Ja, ich weiß nicht, was den immer wieder hierher treibt.«

Frantz marschierte ein Stück den Burgberg hinauf, um dann in die Zisselgasse zu biegen, in der viele Goldschmiede lebten. Vielleicht lief der Kerl ihm gleich in die Arme?

Sein Schritt verlangsamte sich vor dem Haus von Wenzel Jamnitzer, Goldschmied von Kaisern und Königen, Ratsfreund und Geometer. Frantz kannte den Mann flüchtig. Wenn der Geselle in dessen Werkstatt arbeitete, dürfte er ihn sicherlich befragen, auch ohne eine Anzeige durch Clara. Er zog den Umhang enger um seinen Leib. Ein eisiger Wind pfiff ihm um die Ohren, als er gemächlich den Berg hinunter in Richtung Weißgerbergasse und Fluss schritt. Keine Spur von Kathi oder dem Gesellen. Hoffentlich hatte der Kerl sie nicht bemerkt.

 

 

Der Geselle

Nachdem sie anfangs nicht langsam genug gehen konnte, ohne dem Burschen auf die Fersen zu treten, musste sich Kathi jetzt anstrengen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er bahnte sich recht grob einen Weg über den Milchmarkt und hätte beinah eine Kanne umgestoßen, doch statt nach rechts in Richtung Zisselgasse abzubiegen, wandte er sich nach links und wieder den Berg hinauf, vorbei an Kandelgießern, Korbmachern und anderen Werkstätten. Mit seinen langen Beinen tat er sich leicht. Nun bog er nach links ab, ein Weg, der zurück Richtung Kaiserhaus führte. Wollte er noch einmal nach Clara Ausschau halten? Bestimmt! Da sich nur wenige Menschen in der Gasse aufhielten, blieb Kathi zurück, bis er deren Ende erreicht hatte. Dort verharrte der junge Mann, schien zu überlegen, wohin er sich wenden sollte, dann ging er tatsächlich Richtung Bortenwirkerei. Sie eilte ihm nach und blieb an derselben Ecke stehen, lugte um die grob gehauenen Sandsteine herum und sah ihn wie vorhin ganz langsam an Kaisers Haus vorbeigehen. Den Kopf senkte er diesmal nicht mehr, sondern starrte wie gebannt zu den oberen Fenstern, bis er das offene Tor zur Werkstatt erreichte und frech hineinlugte. Doch stehen zu bleiben, traute er sich nicht.

Langsam folgte Kathi ihm. Fast war auch sie schon am Eingang angelangt, als sie Barthel, den Bortenwirkergesellen, zwischen den hin- und hereilenden Menschen auf sich zukommen sah. Missmutig dreinblickend schenkte er ihr keine Beachtung, stapfte einfach in die Werkstatt hinein. Herr im Himmel, was sollte sie jetzt nur tun? Weiter dem Goldschmied folgen oder hierbleiben und lauschen, wie Barthel auf die Neuigkeiten reagierte – falls es für ihn welche waren? Der hatte die beste Gelegenheit gehabt, über Clara herzufallen. Sie entschied sich dagegen, denn Barthel lief ihr nicht weg. Den Goldschmiedgesellen aber kannte niemand mit Namen. Wenn sie ihn jetzt aus den Augen verlor, fanden sie ihn womöglich so schnell nicht wieder. Sie wollte schon loshasten, doch da sah sie den Burschen in eine Seitengasse schlüpfen und aus dem Schatten weiter auf Meister Sebalds Haus spähen. Sie sollte ihn einfach ansprechen, sehen, wie er reagierte. Aber … sie hatte Meister Frantz versprochen, Abstand zu halten. Nun, sie konnte sich schlecht hier auf die Straße stellen und ihn dabei beobachten, wie er das Haus beobachtete. Als wollte ihr der liebe Gott einen Schubs geben, kam ein Kohlenkarren herangerattert. Schnell trat sie aus dem Weg – auf die Straßenseite, wo der Geselle sich verbarg –, und ging langsam auf sein Versteck zu. Als sie die Abzweigung erreichte, wagte sie allerdings nicht, in seine Richtung zu schauen. Da packte sie jemand und zerrte sie in die finstere Gasse. Kathi japste. Sofort legte sich eine Hand über ihren Mund.

*

Frantz hatte das Ende der Zisselgasse erreicht, ohne den Burschen zu sehen. Sollte er einfach über den Weinmarkt in Richtung Pegnitzbrücke laufen und zu Hause abwarten, bis er von Kathi hörte? Dazu fehlte ihm die innere Ruhe. Am Weinmarkt hielt er stattdessen auf die Sebalduskirche zu. Konnte der Goldschmied Kathi bemerkt und sie abgeschüttelt haben? Hoffentlich hatte sie seinen Rat befolgt und war ihm nicht zu nahe gekommen. Bevor er zurück zum Milchmarkt gehen konnte, lief ihm Ratsherr Eisvogel über den Weg.

»Meister Frantz, was treibt Euch zum Rathaus? Hab ich was verpasst?«

»Keineswegs, ehrbarer Rat, ich will nur Milch kaufen.«

»Ah, dann bin ich ja beruhigt, einen neuen Mord können wir im Moment gar nicht brauchen. Ostern steht bevor, das ist immer eine betriebsame Zeit.«

Verwirrt musterte Frantz den Mann. Das Fest der Auferstehung des Herrn war doch die größte Freudenzeit eines jeden Christen.

Eisvogel hob beide Hände. »Ihr wisst doch, dass jedes Jahr zu Ostern der Stadtrat neu gewählt wird. Das hält uns alle auf Trab. Sind ja keine zwei Wochen mehr.«

Natürlich wusste Frantz das, hatte aber bisher nie den Eindruck gewonnen, dass sich die Besetzung des Inneren Rates je merklich änderte. Allerdings lebte und arbeitete er auch erst seit ein paar Jahren in Nürnberg.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Edith Parzefall Ritter-von-Schuh-Platz 1, 90459 Nürnberg, [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Edith Parzefall

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-0268-0