Meister Frantz und die Rache des Markgrafen - Edith Parzefall - E-Book

Meister Frantz und die Rache des Markgrafen E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Freie Reichsstadt Nürnberg zu Ostern 1588: Vor den Toren der Reichsstadt werden etliche Einwohner Mögeldorfs durch Schergen des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach verschleppt und der Wilderei bezichtigt. Für sie wird die Karwoche tatsächlich zur Marterwoche. Unter ihnen befindet sich auch der Vater von Walburga, auf die der ehemalige markgräfliche Hauptmann Friedrich Reichart ein Auge geworfen hat. Ist sein Ungehorsam gegen den Markgrafen der Grund für all dies, oder liegt der Groll des Fürsten tiefer? Dem Stadtrat sind die Hände gebunden, jedoch bereiten sich die Herren auf einen Angriff vor. Meister Frantz macht sich indes auf die Suche nach den Verleumdern der Mögeldorfer.

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Impressum
Karte von Nürnberg
Umgebungskarte
Handelnde Personen
Glossar:
Kapitel 1: Verschleppt
Kapitel 2: Verhört
Kapitel 3: Verhaftet
Kapitel 4: Verkauft
Kapitel 5: Verlassen
Kapitel 6: Verkundschaftet
Kapitel 7: Ausgegrantelt
Kapitel 8: Aufgestöbert
Kapitel 9: Ausgekundschaftet
Kapitel 10: Verurteilt
Kapitel 11: Gerissen
Kapitel 12: Verwirrt
Kapitel 13: Verstockt
Kapitel 14: Verängstigt
Kapitel 15: Verlobt
Kapitel 16: Vaterlandsverräter
Kapitel 17: Vaterqualen
Kapitel 18: Vaterfreuden
Kapitel 19: Der Wildmeister
Kapitel 20: Durchwacht
Nachwort
Über die Autorin

 

Meister Frantz und

die Rache des Markgrafen

 

Henker von Nürnberg, Band 8

 

von Edith Parzefall

 

 

 

Impressum

Copyright © 2019 Edith Parzefall

 

Verlag: Edith Parzefall

Ritter-von-Schuh-Platz 1,

90459 Nürnberg, Deutschland

E-Mail: [email protected]

 

Lektorat, Umschlag und Karten:

Kathrin Brückmann

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Karte von Nürnberg

 

 

 

 

Umgebungskarte

 

 

Diese Karte soll nur einen groben Überblick über die Territorien der Reichsstadt Nürnberg und ihrer Nachbarn geben, denn trotz der scharf gezogenen Grenzlinien hier, waren viele Gebiete umstritten, allen voran Fürth mit seinen drei Herren. Im Jahre 1007 hatte Kaiser Heinrich II. den Ort Fürth der Dompropstei Bamberg als Pfründgut übereignet. Ab 1200 waren die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach dort als Vögte eingesetzt und übten das Geleitrecht und die weltliche Gerichtsbarkeit aus. Seit 1400 hatte die Reichsstadt Nürnberg das Reichsschultheißenamt inne und erlangte auch dank der Kirchenhoheit und des privaten Grundbesitzes einiger Patrizier größeren Einfluss in dem Städtchen. Über Jahrhunderte stritten die drei Herrscher vor dem Reichskammergericht um die Halsgerichtsbarkeit, allen voran der Markgraf und die Reichsstadt. Doch da es nie zu einer Entscheidung kam, stand ich vor der Wahl, das Gebiet von Fürth gesprenkelt darzustellen oder seinem ursprünglichen Besitzer zuzuordnen.

 

 

Handelnde Personen

 

Historische Figuren sind kursiv gesetzt. Sie werden in diesem Roman fiktional verwendet, obwohl ich mich weitgehend an die überlieferten Fakten gehalten habe. Wie damals üblich tragen alle Nachnamen von Frauen die Endung -in. Die Anrede Frau und Herr für gewöhnliche Leute war noch nicht geläufig.

 

Meister Frantz Schmidt: der Nachrichter, also Henker von Nürnberg.

Maria Schmidtin: Ehefrau von Frantz, die auch als Henkerin bezeichnet wurde.

Maria, Rosina und Jorgen Schmidt: Kinder von Frantz und Maria.

Augustin Ammon: der Löwe, wie man den Henkersknecht in Nürnberg nannte.

Katharina (Kathi) und Maximilian (Max) Leinfelder: heimliche Kundschafterin und Stadtknecht, Eltern von Ursula (Ursel).

Willibald Schlüsselfelder: Vorderster Losunger, Schöffe und Hauptmann im Stadtrat.

Hieronymus Paumgartner: zweiter Losunger und Hauptmann.

Andreas II. Imhoff: Ratsherr, Schöffe und dritter Hauptmann im Triumvirat.

Paul Pfinzing: Kaufmann, Kartograf und Stadtrat.

Martin VI. Haller: Patrizier, Ratsherr, Schöffe und Gatte von Helena.

Hans Jakob Haller: Amtmann des Lorenzer Reichswalds.

Willi Scherer: Amtsknecht in Mögeldorf.

Hans Gaiswurgel: Mögeldorfer Hauptmann.

Abraham Rosenberg: jüdischer Händler und Fuhrmann aus Fürth.

Eugen Schaller unterstützt von seiner Frau Anna: Lochhüter, liebevoll auch Lochwirt genannt. Oberster Aufseher im Lochgefängnis.

Benedikt: Lochknecht, also Wächter im Lochgefängnis.

Friedrich Reichart, Michel Hasenbart: Stadtknechte.

Hans Rambsperger: Drahtzieher und möglicher Kundschafter des Markgrafen.

Christof Scherzer: Hirte zu Mögeldorf.

Jakob Seibold: ein Mögeldorfer, der der Verleumdung verdächtigt wird, mit Frau Helena (Lena).

Anna Simonin: Ehewirtin des der Wilderei verdächtigen Mögeldorfers Caspar Simon.

Margreth Simonin: Frau des verdächtigen Hans Simon.

Hans Völckla/Völklein (Hemmerlein): Wildmeister des Markgrafen zu Röthenbach.

 

Glossar:

Atzung: Geld, das Gefangene für ihre Kost bezahlen mussten.

Chametz: gesäuertes Brot, das während des jüdischen Pessach-Festes nicht gegessen werden durfte, nur dünnes, ungesäuertes Fladenbrot, das Matze genannt wurde.

Einspänniger: Tagelöhner.

Fraisch: Blutgericht, Hochgerichtsbarkeit.

Garaus: Torschluss.

Keuche: Gefängniszelle.

Loch(gefängnis): Verlies unter dem Rathaus, das als Untersuchungsgefängnis diente. Hier wurden auch Delinquenten festgehalten, die auf ihre Hinrichtung warteten.

Lochwirt: Lochhüter, oberster Gefängniswärter im Loch.

Losunger: Der Vorderste Losunger war der mächtigste Mann der Stadt, zuständig für Finanzen und Verteidigung, da er gleichzeitig einer der drei Obersten Hauptleute war. Unterstützt wurde er vom zweiten Losunger und Mitarbeitern in der Losungsstube.

Löwe: Henkersknecht. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie der Henkersknecht zu seinem Spitznamen kam, den es so nur in Nürnberg gab, allerdings überzeugt keine so recht. In Bamberg hieß der Henkersknecht beispielsweise Peinlein.

Nachrichter: So wurde der Scharfrichter in Nürnberg und anderen Gebieten genannt, da er nach dem Richter seines Amtes waltete.

Pessach: eines der bedeutendsten Feste des Judentums zum Gedenken der Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten.

Peunt: Bauhof unter der Verwaltung des städtischen Baumeisters bzw. seiner rechten Hand, dem Anschicker in der Peunt. Hier wurden neben Baumaterial auch Fuhrwerke, Pferde und Werkzeuge verwahrt und ausgegeben.

Policey: gute Gesellschaftsordnung. Das Wort hatte ursprünglich nichts mit den Ordnungshütern zu tun wie beim heutigen Gebrauch des Wortes Polizei.

Prisaun: Gefängnis, meist zur kurzfristigen Verwahrung von Delinquenten. Im närrischen Prisaun wurden Geisteskranke untergebracht, die eine Gefahr für sich und ihre Umwelt darstellten. Dabei versuchten die zuständigen Mediziner im Rahmen ihrer damaligen Möglichkeiten auch schon, Ursachen und Heilungsmöglichkeiten zu erforschen – nicht immer zum Wohle des Patienten.

Reff: Rückentragekorb, Kraxe.

Sterbenslauf: Seuche, Epidemie, die viele Menschen dahinraffte und dann ausklang.

Unschlitt: Rindertalg.

 

Kapitel 1: Verschleppt

 

Samstag, 30. März 1588

 

Als frisch ernannter Oberhauptmann von Mögeldorf schlenderte Friedrich Reichart eine Runde durch die schmucke Ortschaft. Die Kirche war gleich zwei Heiligen geweiht, Sankt Nikolaus und Sankt Ulrich. Neben dem Gotteshaus stand einer der Herrensitze der Familie Haller, den die Einheimischen nur das Schloss nannten. Noch zwei stattliche Güter gab es in Mögeldorf. Auf dem Giebel des einen prangte die Zahl 1519. Das Gebäude hatte den zweiten Markgrafenkrieg erstaunlich gut überstanden.

So dicht vor den Toren Nürnbergs gelegen, ließ es sich in Mögeldorf angenehm leben. Friedrich wanderte ein Stück flussaufwärts am Ufer der Pegnitz entlang. Das Wasser war hier noch recht sauber, bevor es in die Reichsstadt hineinfloss. Es fühlte sich gut an, mal wieder außerhalb der Stadt Dienst zu tun. Er hatte keinen Moment gezögert, als in der Kriegsstube ein Schütze oder Stadtknecht gesucht wurde, der den Mögeldorfer Oberhauptmann ersetzen sollte. Im Herzen war er eben doch Bauer geblieben. Vielleicht sollte er sich nach einem geeigneten Hof umschauen, jetzt, da ihm der Markgraf von Brandenburg-Ansbach keine Probleme mehr machen durfte. Seine Gnaden Georg Friedrich hatte ihn und seinen Ungehorsam hoffentlich längst vergessen.

Friedrich grüßte die Simon-Brüder, die sich gerade von Caspar Simons Hof in den Wald aufmachten, beide mit Kraxen auf den Rücken. »Ihr geht Brennholz sammeln?«, fragte er.

»Mh«, brummte Hans. »Jetzt war’s mal wieder ein paar Tage trocken. Das müssen wir ausnutzen.«

»Na, bald kommt der Frühling.«

»Zeit wird’s«, antwortete Caspar, der Ältere der beiden.

Friedrich schlenderte am Gürtlerhof vorbei. Die Tochter des Bauern kam heraus und brachte den Schweinen Küchenabfälle. Eine schöne Maid war sie und bestimmt schon versprochen. Als Walburga ihn sah, lächelte sie und winkte. »Gehst spazieren, Friedl?«

»Was sonst?«, rief er zurück. »Nur heißt das bei mir Dienst tun.« Grinsend breitete er die Arme aus und blickte in den wolkenverhangenen Himmel. »Das Wetter könnt freilich etwas besser sein.«

Sie lachte und verschwand im Stall.

Friedrich vermisste seine Frau, und sein Hals wurde eng. Viel zu früh war sie gestorben, bei der Geburt ihres ersten Kindes. Er schluckte mühsam, wanderte weiter und folgte dem Pfad in den Wald, um ungestört seinen Erinnerungen nachzuhängen. Nur ein Vogelfänger kreuzte seinen Weg. Eine halbe Stunde war er bestimmt schon gelaufen, als aufgebrachte Stimmen an sein Ohr drangen. Er blieb stehen und lauschte. Auf Schimpfen folgte Gerangel!

Vorsichtig bewegte er sich in die Richtung und zog das Schwert. Sein Herz schlug schneller, je näher er den Leuten kam. Dann endlich sah er die ersten Gestalten. Sie waren bewaffnet, und mindestens vier von ihnen trugen die Farben des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Die markgräflichen Schergen fesselten einen Mann. Friedrich trat hinter den Stamm einer Eiche. Was ging hier vor? Sein Herz raste wie wild. Wenn er erkannt wurde, nähmen ihn die Kerle vermutlich auch gleich mit, und dann mochte ihm trotz kaiserlichem Schutzbrief etwas zustoßen, das dann eben wie ein Unfall aussehen musste.

Jetzt zogen sie an ihm vorbei. Acht Bewaffnete, vier davon in normaler Kleidung, führten etwa zehn gefesselte Männer ab, darunter die Simon-Brüder. Verflucht! Auch den Vogelfänger erkannte er unter den Gefangenen und den alten Gürtler. Herr im Himmel, hilf! Was konnte er tun? Friedrich blickte auf das Schwert in seiner Hand. Lächerlich! Die anderen hatten Büchsen. Seine Beine wurden weich. Er sank am Stamm entlang in die Hocke, lauschte, verstand aber kaum etwas. Da bemerkte er Bewegung aus der entgegengesetzten Richtung. Ein einzelner Mann, der einen Bienenkorb trug. Ein Zeidler?

Friedrich wollte ihm zurufen, dass er umkehren solle, doch damit würde er die Schurken im Dienste des Markgrafen erst recht auf den Mann aufmerksam machen. Der schien völlig unbeeindruckt von dem Gefangenenzug. Erst, als er Friedrich bemerkte, verharrte er und sah ihn misstrauisch an. Plötzlich rief er: »He, da ist noch einer von den Malefiz-Wilddieben!«

Wilddieb? Er hörte wohl nicht recht. Hinter ihm Stiefeltritte. Verflucht! Friedrich sprang auf und rannte Richtung Mögeldorf. Was war das für ein abgekartetes Spiel? Den Geräuschen nach zu urteilen, verfolgten ihn mindestens zwei Kerle, doch er wagte nicht, sich umzuschauen. Nahm der vermaledeite Wald gar kein Ende? Er rannte immer weiter. Waren die markgräflichen Schergen etwa seinetwegen in Mögeldorf? Wie hatte er so leichtsinnig sein können, diesen Posten zu übernehmen? Er hätte hinter den schützenden Wehrmauern Nürnbergs bleiben sollen, statt das Leben anderer zu gefährden. Ach, was dachte er da! Die Welt drehte sich nicht nur um ihn. Viel wichtiger war, dass er den Leuten hätte helfen müssen, die gerade verschleppt wurden. Er fungierte schließlich als Büttel in Mögeldorf und den dazugehörigen Hauptmannschaften. Doch was hätte er allein gegen acht Bewaffnete ausrichten sollen?

Das Schnauben eines Rosses ganz in der Nähe ließ ihn zusammenfahren. Er starrte in die Richtung. Zuerst sah er die Atemwolken, dann den Pferdekopf, der sich bedächtig näherte. Friedrich wollte weiterrennen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Dann sah er den Reiter: Hans Jakob Haller, Waldamtmann des Lorenzer Reichswalds, in dem sie sich befanden. Er entspannte sich. »Werter Haller, was bin ich froh Euch zu sehen!« Er sah sich nach seinen Verfolgern um, konnte aber niemanden ausmachen.

»So?«, brummte der Mann und funkelte ihn an. »Wer bist du und was treibst du hier?«

Er zog den Schlapphut vom Kopf. »Ihr kennt mich. Friedrich Reichart, Stadtknecht zu Nürnberg und neuerdings Oberhauptmann in Mögeldorf.«

»Was? Du? Dann gilt der Einfall der Markgräflichen am Ende gar dir!«

»Ihr habt sie gesehen?«

Der Mann nickte und sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. »Oh ja, sie marschieren Richtung markgräfliches Gebiet. Bestimmt sollen die Leute in Cadolzburg eingesperrt werden.«

Friedrich atmete tief durch. »Dann können wir vermutlich nichts mehr unternehmen, um die Leute zurückzuholen, auch wenn ich ganz schnell die Mögeldorfer Wehr mobilisiere.«

»Versetz sie in Alarmbereitschaft, aber unternehmt nichts, um die Markgräflichen aufzuhalten. Die fackeln bestimmt nicht lange, schießen erst und fragen dann, was ihr wollt. Warne die Leute. Sie sollen wachsam sein. Vielleicht kommt das Gelichter zurück. Vor allem musst du selbst höchste Vorsicht walten lassen. Es kann kein Zufall sein, dass sie die Männer ausgerechnet in Mögeldorf zusammengefangen haben, wenn du hier deinen Dienst verrichtest.«

»Ich fürchte, Ihr habt recht.« Er blickte in Richtung des Orts und merkte, dass sich der Wald etwas lichtete. Weit konnte es nicht mehr sein. »Was macht Ihr jetzt?«

»Was wohl? Ich reite nach Nürnberg und erstatte Bericht. Sobald du weißt, wen sie alles verschleppt haben, schick eine Botschaft an den Rat.«

»Natürlich. Erkannt hab ich die Simon-Brüder und den alten Gürtler. Passt auf, wenn Ihr einen Zeidler mit Bienenkorb entdeckt, der scheint für die zu kundschaften.«

»Zeidler? Ich hab den Hirten von Mögeldorf im Wald herumhuschen sehen. Sonst hab ich nur den Seibold Jakob unter den Verhafteten erkannt.« Haller hob die Hand zum Abschied und trieb das Ross an.

Friedrich sah sich um, ob in seiner unmittelbaren Umgebung jemand lauerte, bemerkte aber nichts Verdächtiges. Er rannte weiter, ließ alsbald den Wald hinter sich, hastete über Felder und Wiesen auf Mögeldorf zu, wo sich einige Leute zusammengerottet hatten und aufgebracht gestikulierten. Er verschnaufte und warf dabei einen Blick über die Schulter. Niemand folgte ihm. Langsam ging er weiter. Inzwischen kamen ihm die Mögeldorfer entgegen, unter ihnen auch Walburga. Friedrich war zum Heulen zumute, doch er musste jetzt stark sein. Für sie.

Der Mögeldorfer Hauptmann Hans Gaiswurgel eilte ihm entgegen und hob hilflos die Arme. »Ich hab nichts tun können, wie sie die zwei Knechte vom Gruber verschleppt haben. Es waren zu viele.«

»Friedl, ist es wahr?«, rief Walburga ihm zu.

»Sprich, Reichart«, rief der hiesige Amtsknecht. »Hast du sie gesehen?«

Friedrich blieb vor ihnen stehen. »Ja, es stimmt. Ich hab sie im Wald gesehen, konnte allein aber auch nichts ausrichten. Im Gegenteil, mich wollten sie ebenso fangen. Ein Kerl mit Bienenkorb hat sie auf mich aufmerksam gemacht und mich einen Wilderer geschimpft. Die Simon-Brüder haben sie weggeführt.« Eine Frau schluchzte auf und fiel einer anderen um den Hals. Friedrich sah Walburga an. »Deinen Vater haben sie auch.«

Gequält schloss sie die Lider, presste die Lippen aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Friedrich musste sich überwinden weiterzusprechen. »Einen Vogelfänger haben sie auch verhaftet. Hab vergessen, wie er heißt.«

Amtsknecht Willi Scherer machte fleißig Notizen. »Gut, sechs Leut wissen wir. Wer fehlt noch?«

Eine Frau mittleren Alters trat vor. »Meinen Mann hab ich seit heut früh nicht mehr gesehen.«

»Jakob Seibold«, murmelte er und schrieb. »Wo wollt er hin?«

Sie senkte den Kopf. »Weiß ich nicht.«

Friedrich wurde wieder die Kehle eng, doch er presste die Worte heraus. »Waldamtmann Haller hat Jakob Seibold unter den Verhafteten erkannt. Haller ist schon unterwegs nach Nürnberg, um den Stadtrat zu informieren.«

Willi trat neben Friedrich und raunte ihm zu. »Der Seibold soll tatsächlich öfter mal wildern. Ist zuletzt bei Veilhof vom Doktor Herel mit Pfeil und Bogen gesehen worden, aber direkt erwischt hat ihn noch niemand.«

Er nickte und wandte sich Hauptmann Gaiswurgel zu. »Gut möglich, dass das Geschmeiß zurückkehrt, um noch mehr Leute zu verschleppen. Stellen wir die Landwehr auf! Etwa sechzig Mann haben wir hier, richtig?«

Hans nickte. »Bis heut früh, jetzt eher fünfzig.«

Daran hätte er auch denken können. »Freilich. Gib das Signal, dann wissen wir bald, wer alles fehlt.«

Willi schaltete sich ein. »Wir sollten die Nachbarortschaften warnen und nachfragen, ob ihnen auch Leut verhaftet worden sind.«

Friedrich sah sich unter den jungen Männern um. »Wen können wir am ehesten entbehren?«

Walburga hatte ihre angespannte Haltung abgelegt. »Ich geh nach Laufamholz«, sagte sie. »Als Weib bin ich vielleicht sicherer, weil sie mich für harmlos halten.«

»Hoffentlich«, sagte eine andere Dorfbewohnerin. »Dann lauf ich mit meinem Buben nach Pürgles.«

Ein älterer Mann trat vor. »Ich reit nach Wetzendorf, dann kann ich gleich schauen, wie’s meiner Tochter und ihrem Mann geht.«

Wetzendorf lag schon fast bei Lauf, am Ende des Gebiets der Mögeldorfer Wehr. Friedrich nickte dankbar. »Auf dem Weg liegen Laufamholz, Schwaig und Röthenbach. Kannst du da auch haltmachen?«

»Schon, die Leut werd ich warnen, aber vielleicht muss ich meiner Familie helfen, dann kann’s dauern, bis ich dir Bescheid geben kann.«

»Na gut.« Friedrich sah Walburga an. »Dann begleite ich dich bis Laufamholz und wandere weiter das Pegnitztal entlang.«

Sie schien froh um seine Gesellschaft.

»Du hast hier alles im Griff mit der Landwehr?«, fragte er den Hauptmann.

Hans sah sich um. »Die Männer bewaffnen und Aussichtsposten aufstellen?«

»Genau. Nach Nürnberg sollen wir einen Bericht schicken, sobald wir die Namen beisammenhaben.«

»Darum kümmere ich mich dann wohl«, sagte Amtsknecht Willi und blickte auf seinen Zettel.

»Danke.« Er lächelte Walburga aufmunternd zu. »Hast du alles bei dir, was du brauchst?«

Sie nickte. »Ist ja nicht weit, keine halbe Stunde. Bis Röthenbach wirst du allerdings eher zwei brauchen. Du weißt, dass es dort einen Wildmeister des Markgrafen gibt?«

»Ja.« Ob der den Einfall organisiert hatte? Schweigend gingen sie zum Fahrweg. Dann platzte er heraus: »Es tut mir so furchtbar leid, Walburga. Für deinen Vater und die anderen.«

Sie blieb stehen und legte eine Hand auf seinen Arm. »Du kannst doch nichts dafür, Friedl.«

»Vielleicht doch. Könnt sein, dass die Sauhunde meinetwegen in Mögeldorfer Gebiet eingefallen sind.«

»Was?« Sie zog ihre Hand weg. »Wieso sagst du so was?«

Friedrich schluckte mühsam. »Ich war bis letzten Sommer Hauptmann in Gebersdorf, im Dienst des Markgrafen, doch dann hab ich eine Mörderin auf frischer Tat erwischt und sie lieber in Nürnberg verhaften lassen, statt sie nach Cadolzburg zu bringen.«

Der Blick aus Walburgas Veilchenaugen schien ihn zu durchdringen. »Du hast sie gekannt?«

Er nickte. »Die Liesl Rößnerin war kein böses Weib, aber arg entstellt. Der Markgraf hätt sie womöglich gleich noch wegen Hexerei angeklagt.«

Schmerzlich verzog die Bauerntochter ihr Gesicht. »Du hast das Richtige getan.«

Friedrich entfuhr ein Schnauben. »Vielleicht, aber was, wenn jetzt dein Vater und die anderen dafür büßen müssen?«

Ihre Miene verschloss sich. »Dann wird hoffentlich der Markgraf noch viel schlimmer für seine Verbrechen büßen. Wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten.«

Erleichtert nahm er ihre Hand und drückte sie. »Danke.«

»Wofür?«

»Dass du mir keine Vorwürfe machst. Ich werd alles daran setzen, deinen Vater und die anderen wieder freizubekommen.«

»Bestimmt werden sie bald ausgelassen. Die sind doch alle unschuldig, außer der Jackl vielleicht.« Sie ging weiter, hielt aber immer noch seine Hand fest. »Der Markgraf will der Reichsstadt nur eins auswischen, den Rat erschrecken. An Krieg kann ihm doch nichts liegen.«

Friedrich nickte, obwohl er sich da nicht so sicher war. »Hast du jemanden, der dir auf dem Hof helfen kann?«

»Nur den Knecht, aber das ist ein recht junger Bursch. Hinter dem muss man immer her sein.«

»Ich werd dir bei der Arbeit zur Hand gehen, wann immer ich kann.«

Sie gluckste. »Du verstehst was von Viechern?«

Friedrich lächelte sie an. »Ich hab einen Hof in Gebersdorf gehabt, aber den hab ich verkauft.«

»Ach?« Nun sah sie ihn interessiert an. »Dann darfst du mir gern helfen.«

Ihm wurde warm ums Herz, und für einen Moment vergaß er die Probleme, die er womöglich verursacht hatte.

Noch bevor sie Laufamholz erreichten, kam ihnen ein einzelner Mann entgegengeeilt. Friedrich erkannte ihn nicht, also keiner der sechs Hauptleute, denen er vorstand. Die hatte er allesamt kennengelernt, als er den Posten des Oberhauptmanns übernommen hatte. »Kommst du aus Laufamholz?«, fragte er den Gehetzten.

»Nein, aus Schwaig.« Er hielt sie wohl für Städter, die hier spazieren gingen, wie es viele gern taten, denn er eilte weiter.

»Warte! Sind bei euch auch Markgräfliche eingefallen?«, rief Friedrich ihm hinterher.

Abrupt blieb der Mann stehen, wirbelte herum und starrte ihn an. »Woher weißt du?«

»Ich bin der neue Oberhauptmann von Mögeldorf. Bei uns haben sie einige Leut verschleppt, von sieben wissen wir sicher. Weggeführt haben sie eher zehn.«

»Zwei von unseren Leuten, die im Wald Bruchholz gesammelt haben, sind einfach verhaftet worden. Dabei ist das doch nicht verboten! Einen aus Laufamholz haben sie auch festgenommen. Allen wird Wilderei vorgeworfen.«

»Hat das einer gehört?«

»Das Mädel vom Brauer hat’s gesehen und die Vorwürfe mitgekriegt. Alle haben geleugnet, aber geholfen hat’s nichts.«

Friedrich schnaubte. »Mich haben sie auch gleich einen Wilderer geheißen, dabei bin ich ohne irgendwelche Waffen durch den Wald spaziert.« Er sah Walburga an. »Dann können wir gleich wieder umkehren. Ich sollt nach Nürnberg laufen und Anweisungen einholen.«

»Dann brauch ich die Mögeldorfer gar nicht mehr zu warnen?«, fragte der Schwaiger.

Friedrich nickte grimmig. »Zu spät. Sag mir die Namen der Verhafteten.«

 

* * *

 

Hans Jakob Haller blaffte den ersten Amtmann an, der ihm im Rathaus über den Weg lief: »Jetzt geht’s los, Wichert. Der Markgraf verschleppt unsere Leute!«

»Was? Aber …«, stammelte er.

»Nichts aber. Trommle alle Räte zusammen, die du finden kannst.«

Der Mann schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. »Die Herren tagen gerade.«

»Noch besser, bring mich zu ihnen!«

»Das geht doch nicht, werter Haller.«

»Und ob das geht. Frag die Herren, wenn du mir nicht glaubst.«

Wichert zögerte noch einen Moment, dann eilte er voraus. Hans Jakob folgte gemessenen Schritts zum kleinen Sitzungssaal und wartete vor der Tür, während der Amtmann verhalten klopfte und eintrat. Gedämpfte Stimmen drangen aus dem Raum. Schließlich kam Wichert heraus. »Der Rat empfängt Euch sofort«, sagte er verblüfft.

»Das will ich meinen«, brummte Hans Jakob und trat in den Raum.

Die um den riesigen Tisch sitzenden Herren starrten ihn an. Hans Jakob konzentrierte sich auf den Vordersten Losunger und Obersten Hauptmann Willibald Schlüsselfelder und hob an: »Die Schergen des Markgrafen sind in der Oberhauptmannschaft Mögeldorf eingefallen und haben etwa ein Dutzend Männer verschleppt. Diese werden der Wilderei bezichtigt.«

Sein Vetter Martin empörte sich: »Wie? Vor meiner Haustür?«

Richtig, seine Frau Helena hatte ja das Hallerschloss zu Mögeldorf mit in die Ehe gebracht. Hans Jakob nickte nur. Ihm war das Weiherhaus lieber, das er seiner Polyxena zu verdanken hatte.

»Wart Ihr vor Ort?«, fragte Andreas Imhoff.

»Nicht direkt. Ich war im Wald bei Laufamholz unterwegs, da sind sie mir entgegengekommen. Bewaffnete Schergen des Markgrafen, mit etwa einem Dutzend Gefangenen, unter ihnen der Seibold Jackl aus Mögeldorf. Ich hab den Hauptmann angehalten und gefragt, was vorgeht. Der hat mich ganz komisch angeschaut. Ich hab ihn nicht erkannt, aber ich glaub, der hat genau gewusst, wer ich bin, Waldamtmann im Dienste der Freien Reichsstadt. Er hat nur gezischt, sie hätten Wilderer verhaftet, aber das ginge mich nichts an. Der markgräfliche Wildmeister von Röthenbach hat den Trupp begleitet und gesagt: ›Das ist Hans Jakob Haller, der wildert nicht.‹ Ganz finster dreingeschaut hat er dabei, als würd ihm das alles gar nicht gefallen. Ich schätze, die sind aus Schönberg angerückt, haben sich gegriffen, wen sie erwischen konnten, und sind jetzt unterwegs nach Cadolzburg.«

Schlüsselfelder, der ranghöchste Ratsherr, fragte: »Habt Ihr schon mit dem Mögeldorfer Hauptmann gesprochen?«

Er schnaubte. »Nein, aber mit dem Nürnberger Oberhauptmann zu Mögeldorf.«

Imhoff verzog schmerzlich das Gesicht; alle anderen wirkten gelangweilt, als kennten sie kaum den Unterschied in Rang und Aufgabe.

»Ja und?«, fragte Schlüsselfelder ungehalten.

»Friedrich Reichart«, antwortete er schlicht.

Der Ratsherr bekam einen Hustenanfall und lief dabei puterrot an. Der zweite Losunger Paumgartner dagegen wurde blass. Hans Jakobs Blick wanderte zu Imhoff, dem drittmächtigsten Mann der Reichsstadt, der im Moment gar nicht so wirkte. Vetter Martin stand auf und starrte ihn an. »Dann waren sie hinter Reichart her?«

»Vielleicht.«

»Warum hab nicht einmal ich davon erfahren, dass der Mann dort Dienst tut?«

Imhoff atmete tief durch. »Wozu es an die große Glocke hängen? Wir alle wissen, dass im Rathaus mehr getratscht wird als in einer Waschküche.«

Schlüsselfelder hatte sich erholt und wischte sich den Mund mit einem Schnäuztüchlein ab. »Hast du den Reichart nach Mögeldorf geschickt, Andreas?«

Imhoff kratzte sich die hohe Stirn. »Nun, der Mann hat sich freiwillig gemeldet, für den Schützen Loderer zu übernehmen. Der muss sich um seinen siechen Vater und dessen Hof irgendwo bei Neumarkt kümmern, und Reichart war begierig darauf, wieder Landluft zu schnuppern. In der Kriegsstube haben sie um mein Einverständnis gebeten, und ich hab keinen Grund gesehen, den Mann weiter wie einen Gefangenen zu behandeln. Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut.«

Unwillkürlich nickte Hans Jakob. Er könnte auch nicht mitten in der Stadt leben, bei all dem Lärm und Gestank aus Schmieden und anderen Werkstätten. »Reichart mobilisiert die Landwehr. Bald sollten wir auch Bericht erhalten, wer alles verschleppt worden ist.«

Schlüsselfelder strich sich über den Bart. »Mögeldorf liegt sehr nah an Nürnberg. Das war ein gewagtes Unterfangen. Und dann gleich so viele Männer fortzuführen, statt sich gezielt den einen herauszupicken, um den es ihnen vermutlich geht? So recht verstehen kann ich es nicht.«

Hans Jakob antwortete: »Aus Wöhrd und Mögeldorf werden tatsächlich gelegentlich Fälle von Wilderei berichtet. Beim Gut des Doktor Herel in Veilhof hat sich doch letztens auch einer mit Pfeil und Bogen herumgedrückt. Der Seibold Jakob, glaub ich. In seinem Fall hat es wohl nicht den Falschen getroffen.«

Imhoff räusperte sich. »Ja, das könnte einen akzeptablen Anlass geliefert haben. Ich fürchte, der Markgraf will eher uns, dem Rat der Freien Reichsstadt, eins auswischen, weil wir den abtrünnigen Reichart beschützt haben, nicht unbedingt ihm schaden.«

Vetter Martin sagte: »Stellt sich die Frage, wie weit Georg Friedrich gehen wird.«

»Genau.« Imhoff fuhr sich erneut durchs schüttere, aber lange Haar. »Das gilt es herauszufinden. Dieser Seibold, hat er eine Frau, die ihn im Gefängnis in Cadolzburg besuchen kann?«

Hans Jakob nickte. »Ja, und Reichart nannte mir noch die Simon-Brüder. Beide ebenfalls verheiratet.«

»Sehr gut. Wenn sie sich vom größten Schrecken erholt haben, könnten die Frauen doch nach ihren Männern schauen und in Erfahrung bringen, wie schlimm es steht, welche Beweise oder Zeugen es gibt, wenn überhaupt welche.« Imhoff blickte sich im Raum um. »Aber mit den Einzelheiten müssen wir nicht den gesamten Inneren Rat beschäftigen. Es gilt ja auch noch die Wahl an Ostern vorzubereiten. Nur noch eine gute Woche, bis es so weit ist.«

»Ganz recht.« Schlüsselfelder wandte sich an Hans Jakob. »Kommt nach dem Mittagsmahl in der Kriegsstube vorbei, werter Haller. Versucht bis dahin, möglichst viel in Erfahrung zu bringen. Wichert soll einen Stadtknecht nach Mögeldorf schicken, um die Leute zu befragen.«

»Hm.« Imhoff rieb sich das Kinn. »Ich könnt mir vorstellen, das aufgebrachte Weibsvolk redet lieber mit einer Frau.«

Schlüsselfelder sah ihn überrascht an. »Du meinst am Ende gar die Ehewirtin eines gewissen Stadtknechts?«

»Du hast mich durchschaut, aber das kann bis morgen warten.« Imhoff lächelte verschmitzt, wurde aber schnell wieder ernst und fuhr fort: »Wir sollten gleich zwei Rechtsgutachten in Auftrag geben, um herauszufinden, wie wir unseren Untertanen helfen können. Dass sie alle schuldig sind, glaube ich keinesfalls.«

»Gut, dann machen wir jetzt mit der Sitzung weiter.« Schlüsselfelder nickte ihm zu. »Habt Dank, Haller. Ihr könnt gehen.«

»Jawohl.« Als Hans Jakob die Tür hinter sich geschlossen hatte, starrte er eine Weile blicklos auf die weiße Wand im Korridor. Schreckliche Bilder von gemarterten Leibern und brennenden Scheiterhaufen stiegen in ihm auf.

 

Kapitel 2: Verhört

 

Sonntag, 30. März 1588

 

Kathi packte erst ihre Tochter warm ein, dann sich selbst, während ihr Mann Max schon ungeduldig in der Turmkammer herumlief. »So, wir sind bereit«, sagte sie und stülpte Ursel zu guter Letzt die gestrickte Mütze über den Kopf.

»Na endlich. Sonst kannst du es gar nicht erwarten, hinaus in die Natur zu kommen.«

Kathi seufzte. »Ich bin nicht gerade erpicht darauf, mich mit den verzweifelten Frauen der Verschleppten zu unterhalten.«

»Niemand eignet sich dafür besser als du. Mir würden sie doch nicht viel erzählen, schon gar nicht, falls ihre Männer tatsächlich gewildert haben.«

»Wenn’s jemand genauer wissen will, werd ich aber ehrlich sagen, dass ich die Frau eines Stadtknechts bin.« Meist trauten die Leute ihr dann trotzdem noch über den Weg, vor allem, wenn sie sie erst ein wenig kennengelernt hatten.

»Lügen musst du wirklich nicht. Vor allem braucht der Rat Informationen, und das kann nur im Sinne der Leute sein.«

Sie verließen die Turmwohnung. Draußen auf der Wehrmauer pfiff ihnen sofort der kalte Wind um die Ohren. Kathi zog schnell die Fäustlinge an und folgte Max, der sich Ursel auf die Schultern hob, bevor sie die Stufen hinunter in die Stadt nahmen. Sie liefen auf der Lorenzer Seite den Fluss entlang.

Max setzte Ursel ab. »Du wirst ganz schön schwer, meine Süße.«

»Bin schon fünf!«, rief sie voller Stolz.

Das merkt man, dachte Kathi mit leiser Wehmut. Ihre Kleine wollte auch nicht mehr gern an der Hand gehalten werden. Ihr Weg führte sie vorbei am Findelhaus, in dem Kathi aufgewachsen war. Ihre Eltern kannte sie nicht, denn sie war als Neugeborenes in einem Körbchen im Ufergestrüpp der Pegnitz bei der Insel Schütt gefunden worden. Direkt vor der Findel, ganz so, als hätte Gott gewollt, dass sie möglichst schnell in gute Hände gelangte. Nun nahm sie doch Ursels Hand und die ihres Mannes ebenfalls. »Was bin ich doch gesegnet.«

Max lachte und küsste sie. Sie schritten durch das Frauentor vorbei an den Holzstößen und dem Rabenstein, wo Meister Frantz arme Sünder mit dem Schwert richtete. Auf dem Weg zur Hadernmühle passierten sie hübsche Gärten. An der Mühle blieb Kathi stehen, beugte sich zu ihrer Tochter und deutete über den Fluss Richtung Stadt. »Dort drüben ist der Findelgarten, wo ich als Kind spielen durfte. Unsere Kühe haben da auch geweidet.«

In der Ferne sahen sie schon Mögeldorf. Mit Bangen dachte sie an die Verschleppten und ihre Frauen. Wie grausam es für alle sein musste, nicht zu wissen, was mit ihnen geschah. Sie folgten der Pegnitz weiter gen Osten.

»Tragen!«, rief Ursel und klammerte sich ans Bein ihres Vaters.

Max hob sie stöhnend hoch. »Ei, bist du schwer. Da brech ich bald zusammen.«

»Macht nix«, rief ihr Töchterlein.

Kathi lachte. »Sehr fürsorglich von dir, mein Schatz.«

Max erklärte: »Da vorn neben der Kirche ist ein Herrensitz, der dem Rat Martin Haller gehört. Da können wir Bericht erstatten, bevor wir zurückgehen.«

Viel rührte sich nicht auf den Straßen. Bestimmt saßen die Dörfler beim Mittagsmahl. »Wie sollen wir mit den Leuten ins Gespräch kommen?«

»Im Wirtshaus«, antwortete Max. »Nach so einem Überfall ist bestimmt der ganze Ort dort versammelt, und sie reden über nichts anderes. Es gibt hier eine Nürnberger Wirtschaft, einst der Rote Ochse genannt, und außerdem zwei markgräfliche Gasthäuser.«

»Was?« Verdutzt sah Kathi ihren Mann an. »Der darf hier Wirtschaften betreiben?«

Max setzte Ursel ab und nickte. »Ja, die bestehen schon seit über hundert Jahren, deshalb kann der Rat sie nicht einfach schließen lassen. So irgendwie muss es sein, aber ich bin auch nicht ganz schlau aus Imhoffs Erklärung geworden. Nürnberger Bürgern ist es untersagt, im Ritter Sankt Georg oder im Schwarzen Adler einzukehren, aber die Leute geben bestimmt nicht viel drauf. Ansonsten kommen hier viele Reisende und Händler durch.«

»Die Einheimischen werden sich heute bestimmt im Nürnberger Wirtshaus versammeln. Die markgräflichen Wirte dürften nach dem Einfall nicht wohlgelitten sein.«

»Da hast du sicher recht.« Maxens Magen gurgelte.

»Ich krieg auch Hunger. Wollen wir gleich einkehren?«

»Ja.« Max schritt voran an Kirche und Herrenhaus vorbei, dann sahen sie schon einige Leute vor dem Wirtshaus ratschen. »Gibt’s keinen Platz mehr?«, rief Max ihnen zu. »Zum Adler oder Sankt Georg wollen wir nicht gehen.«

Ein alter Mann winkte sie heran. »Kommt nur, gibt noch Platz. In die anderen Wirtschaften will heut niemand.«

Kathi fragte: »Und warum steht ihr hier draußen rum?«

Der Mann grinste. »Drin sitzt der Haller, also der Stadtrat Martin Haller, und versucht, die Leut zu beruhigen. Wir wollen uns aber aufregen.«

Max lachte. »Vielleicht komm ich auch gleich wieder raus zu euch.«

»Seid ihr aus Nürnberg?«

»Freilich, aber das lässt keinen Städter kalt, wenn ihr überfallen werdet. Das ist wirklich dreist vom Markgrafen.« Max öffnete die schwere Tür für sie und Ursel, ging dann aber wieder voran in die Gaststube und steuerte nach kurzem Zögern auf einen nur halb besetzten Tisch zu, an dem drei Frauen und ein junger Mann saßen.

Kathi blickte sich um und entdeckte vornehm gekleidete Herrschaften an einem Tisch am anderen Ende des Raums. Max wollte wohl nicht zu nah beim Ratsherrn sitzen. Hier hinten sprachen die Leute vermutlich freier.

»Ist bei euch noch Platz?«, fragte er auch schon die Frauen.

Ein Weib mittleren Alters nickte finster und sagte: »Unsere Männer gehen nicht so bald wieder ins Wirtshaus.«

Kathi legte unwillkürlich eine Hand über den Mund. »Verhaftet?«, murmelte sie und rutschte mit Ursel auf die Bank.

Die Frau nickte. »Dabei hat mein Jackl doch höchstens Vögel oder einen Hasen gefangen, und um die schert sich der Markgraf eh nicht.«

Max bestellte zwei Bier und Brotzeit, dann ging er zum Ausgang. Kathi bemerkte, dass ihm ein Mann am Herrschaftstisch zunickte. Das war wohl Martin Haller, denn er schaute nun zu ihr, schloss kurz die Augen und redete dann auf einen Mann ein, der wie ein Pfarrer gekleidet war. Sie wandte sich wieder an die Frauen. »Habt ihr schon was Offizielles erfahren?«

Die zwei Jüngeren schüttelten die Köpfe.

»Eure Mannsbilder haben sie auch erwischt?«

»Ja«, keuchte die eine. »Zwei Brüder. Wer soll denn jetzt die Arbeit machen?«

»Ich helf euch, so gut es geht, Anna«, antwortete der Mann am Tisch, der bestimmt noch keine zwanzig Jahre zählte.

»Dank dir, Vetter, aber du kannst auch nicht die Arbeit von zwei Männern zusätzlich zu deiner eigenen übernehmen.«

Er sah die andere an, die bisher noch nichts gesagt hatte. »Kann dir vielleicht einer deiner Brüder helfen, Margreth?«

»Ein bisserl, aber der eine schuftet ja schon den ganzen Tag in der Schmiede, und der andere muss sich um den Hof kümmern.«

Kathi wurde das Herz schwer. Wie gern würde sie helfen, doch von der Arbeit auf einem Bauernhof verstand sie nichts.

Der Schankknecht stellte einen Humpen Bier und ein Brotzeitbrett vor sie hin. »Zum Wohl.«

»Danke.« Sie legte die Münzen auf den Tisch und nahm einen großen Schluck, dann half sie Ursel, am Bier zu nippen.

Da flog die Tür auf und einer der Männer, die draußen geredet hatten, stürmte gefolgt von Max an den Tisch. Die Stimme allerdings senkte er: »Lena, dein Jackl ist wieder da. Als Einziger. Ich soll dir Bescheid sagen, dass er bei euch daheim ist. Hier traut er sich heut nicht rein.«

»Aber er muss doch erzählen, was passiert ist«, platzte Kathi heraus, doch Max legte seine Hand auf ihre, und sie verstummte.

Lena nickte vor sich hin. »Du hast schon recht. Ich red mit ihm.«

Kathi rutschte mit Ursel von der Holzbank und ließ sie aufstehen. Die anderen beiden Frauen sahen ihr missmutig nach. Anna sagte: »Warum haben die nur ihren Ehewirt wieder freigelassen? Der wildert doch öfter mal, auch wenn sie es nicht zugibt. Jetzt erzähl, Scherzer, ist der Seibold einfach dahergelatscht?«

»Ja, in Fürth haben’s ihn ausgelassen. Warum, wollt er nicht sagen. Auch nicht, wo er die Nacht verbracht hat.«

Annas Blick wanderte zu Hallers Tisch. »Wir sollten dem Rat Bescheid sagen.«

Kathi nickte. »Der Jackl muss auf jeden Fall was wissen.« Ohne Appetit biss sie in den dick mit geräuchertem Schinken belegten Brotkanten und schälte ein hart gekochtes Ei für Ursel.

Scherzer verzog das Gesicht und sah dann Max an. »Ich bin hier der Viehhirte. Wenn die Leut mitkriegen, dass ich zu viel mit der Obrigkeit red, dann bin ich die Arbeit los. Magst du hingehen? Dich kennt keiner.«

Max nickte und stand auf. Zu gern wollte Kathi ihm folgen, aber das wäre unklug. Noch wusste schließlich keiner, dass sie im Auftrag des Rats unterwegs war. Sie atmete tief durch und sah Anna an. »Hoffentlich wird alles gut, und eure Männer kommen heut auch noch heim.«

Beide Frauen nickten, doch keine schien recht daran zu glauben. Die Jüngere, Margreth, reckte den Hals und sah sich um. »Ich frag mich, warum die Walburga nicht gekommen ist.«

Anna erklärte Kathi: »Ihr Vater ist auch fortgeführt worden. Die muss den Gürtlerhof jetzt mit dem Knecht allein bewirtschaften.«

Ihre Schwägerin gluckste. »Nicht ganz. Der Oberhauptmann ist heut nach der Messe mit ihr gegangen. Der wird ihr wohl zur Hand gehen.«

Das musste Friedrich Reichart sein. Den wollten sie sowieso noch aufsuchen.

»Der soll mal lieber seine Hände bei sich behalten!«, blaffte Anna.

»Na, immer noch besser, als wenn der Knecht sich einbildet, er könnt Bauer werden.«

Kathi fragte: »Die Walburga ist nicht verheiratet?«

»Nein, dabei ist sie schon über zwanzig.« Sie rümpfte die Nase.

Das Scharren von Stühlen am Hallertisch ließ sie alle in die Richtung schauen. Max warf ihr einen unschlüssigen Blick zu und ging dann nach draußen, dicht gefolgt von drei weiteren Männern.

»Wo geht dein Mann denn jetzt mit den Herrschaften hin?«, fragte Anna.

»Wenn ich das wüsst. Aber wahrscheinlich zum Jackl. Meinst, ich kann ihnen einfach nachgehen und schauen?«

»Mei, warum nicht?« Anna zwinkerte ihr zu. »Deine Tochter will bestimmt rumlaufen, nachdem sie so lang brav dagesessen ist.«

»Genau, wo ist denn der Gürtlerhof?«

Überraschte Blicke richteten sich auf sie. »Warum willst ausgerechnet da hin?«, fragte Anna.

»Der Oberhauptmann, heißt der Friedrich Reichart?«

»Du kennst den?«, fragte Margreth.

»Ja, der hat mir in Nürnberg schon mal geholfen.« Wobei nur? Ach, das mussten die Leute nicht wissen.

»So?«

»Ja, aber das geht niemanden was an«, sagte Kathi und hob das Kinn höher.

Margreth schmunzelte. »Dir ist er also auch schon … zur Hand gegangen. Gut schaut er ja aus.«

Anna stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Hör auf mit deinen Schweinigeleien.«

»Ganz recht! Ich bin eine anständige Frau.« Kathi nahm Ursels Hand. »Also, verratet ihr mir, wo der Hof ist, oder nicht?«

Anna erbarmte sich ihrer. »Die Straße nach Lauf noch ein Stück weiter, der dritte Hof auf der linken Seite. Aber vorher solltest du schauen, was dein Mann treibt.«

»Sowieso.« Kathi verließ mit Ursel die Wirtschaft, sah sich nach ihrem Gemahl um und entdeckte ihn mit den Herren vor der Kirche stehend. Langsam, damit die Männer sie rechtzeitig bemerken konnten, ging sie in die Richtung. Sie wollte schließlich nicht lauschen, wusste auch nicht recht, ob sie sich einfach zu ihnen gesellen sollte.

Der Herr, der sie vorhin in der Wirtschaft kurz gemustert hatte, entdeckte sie zuerst, sagte etwas zu Max und nickte ihr dann zu. Er trug ein sehr feines blaues Wams aus mit Samt verbrämtem Barchent. Die langen blonden Locken ließen ihn jung aussehen, doch die Lachfältchen um seine Augen deuteten eher darauf hin, dass er auf die vierzig zuging.

Ursel zerrte an ihrem Arm. »Guck mal, Mama!« Ah, sie hatte Hühner entdeckt, und jetzt versuchte sie, die Tierlaute nachzuahmen. »Ga-gack. Gack-gack.«

Lächelnd strich Kathi ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Die antworten dir nicht, weil sie dich für ein ganz komisches Huhn halten.«

Ursel überlegte kurz, dann flatterte sie mit beiden Armen. »Gack-gack.«

Der feine Herr lachte. »Ich glaube, heute Abend kommt dein Töchterlein in die Suppe.«

»Nichts da, die ist noch zu jung, muss erst noch etwas gemästet werden«, gab Kathi zurück und gesellte sich zu ihnen.

»Leinfelderin, ich bin Martin Haller«, sagte der Rat jetzt leise.

Sie nickte. »Ihr geht den Jackl befragen?«

Max sah sie besorgt an. »Ja. Nur den Reichart können wir nicht finden.«

»Der ist auf dem Gürtlerhof, da wollte ich jetzt hin. Der alte Gürtler ist auch fortgeschafft worden.«

»Mach das«, antwortete Haller. »Und schick Reichart zum Schuster Jakob Seibold, falls du ihn dort antriffst.«

»Gern.« Sie schlenderte mit Ursel zum Fluss. Endlich brach die Sonne durch die Wolken.

»Da!«, rief Ursel und riss sich los. »Gänse!« Tatsächlich gründelten einige der großen Vögel im Uferschlamm.

Kathi fing sie lieber wieder ein, bevor sie in den eiskalten Fluss plumpste oder die Gänse sie anzischten. »Du bleibst schön bei mir. Auf dem Land kann es nämlich gefährlich sein, besonders für so ein Stadtmäuschen wie dich.«

»Aber Stadtratz bin ich keiner.«

»Nein, natürlich nicht. Eine süße Maus bist du.« Wobei Mäuse auch eine ziemliche Plage waren.

Kathi stimmte ein Liedlein an, und ihre Tochter jaulte mit: »Eija popeija, was raschelt im Stroh? Die Gänschen gehn barfuß und hab’n keine Schuh.« Lachend zog sie die Kleine an einem der blonden Zöpfe. »Du hast die Begabung deines Vaters.«

»Ja!«

Kathi richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Weg. Zwei Gehöfte hatten sie schon passiert. Das Nächste musste der Gürtlerhof sein. Eine junge Frau stand vor dem Holzstoß an der Hauswand und schichtete Scheite in einen Korb. Das war bestimmt Walburga, doch Kathi wollte sie nicht einfach so ansprechen. Sie ließ Ursels Hand los und deutete auf die Hühner, die vor dem Bauernhaus im Dreck scharrten und pickten.

»Gack, gack-gack!«, rief die Kleine ganz wie gehofft und hüpfte mit den Armen flatternd in den Hof.

Lachend folgte Kathi ihr. Natürlich hatte die Bauerntochter sie gehört und lächelte ihnen entgegen.

»Ursel ist ganz begeistert von den Hühnern«, rief Kathi. »Ein Stadtkind halt.«

»Macht nichts, das Federvieh haut schon ab, wenn sie zu nahe kommt.«

»Bei euch hier draußen ist es wirklich schön, so friedlich und leise und doch nicht weit in die Stadt.«

Die Frau seufzte. »Ja, nur leider ist der Markgraf auch nicht weit.«

»Dir haben sie auch jemanden weggeführt?«

»Meinen Vater haben’s verhaftet.«

»Das tut mir wirklich leid. Kathi heiß ich.«

»Walburga.«

»Hat er denn gewildert?«

Walburga winkte ab. »Ach hör mir auf, einmal hat er eine verletzte Rehkuh geschossen. Das Fleisch haben wir mit den Nachbarn geteilt.« Ihre Augen glitzerten feucht. »Wenn sie ihn foltern, gesteht er das bestimmt. Und dann …« Sie schluckte schwer und schüttelte den Kopf.

Kathi rieb ihr den Rücken. »Aber deswegen werden sie ihn doch nicht gleich hinrichten.«

»Da kennst du den Markgrafen schlecht. Außerdem geht’s ihm gar nicht um die Wilderei. Der will am liebsten wieder Burggraf zu Nürnberg sein, wie einst seine Vorfahren.«

»Meinst du?«, fragte Kathi verblüfft, doch dann nickte sie. »Ja, so benimmt er sich.«

Walburga schniefte. »Ihr zwei seid aus Nürnberg?«

»Ja.« Einen Moment lang beobachteten sie Ursel bei der Hühnerjagd.

»Das hab ich als Kind auch gern gemacht, aber meine Mutter – Gott hab sie selig – hat immer geschimpft und behauptet, dass die Viecher dann keine Eier mehr legen.« Sie lächelte. »Trotzdem hat’s in der Früh doch wieder Eier gegeben.«

Die Mutter war tot? Betroffen fragte Kathi: »Dann bist du jetzt ganz allein hier?«

»Ja.« Ihre Lippen zitterten. Als im Stall etwas schepperte, wandte sie sich halb um und wischte sich die Tränen ab. »Allerdings hab ich Hilfe.«

Wie aufs Stichwort kam Friedrich Reichart aus dem Stall und wischte sich die Hände an einer groben Leinenhose ab. Die gehörte vermutlich nicht ihm, denn er hatte sie über den Knien binden müssen. »Leinfelderin?«, rief er sofort und kam heran.

»Grüß dich, Friedl. Dich such ich. Max und der Herr Haller sind zum Seibold. Der ist nämlich in Fürth freigelassen worden.«

»Was?« Walburga starrte sie verwirrt an. »Den haben sie doch auch fortgeführt. Woher weißt du?«

»Der Jackl ist vorhin im Dorf aufgetaucht. Er wollt sich aber nicht sehen lassen, ist gleich heim. Der Hirte hat’s erzählt.«

»Was ist mit den anderen? Hat er nichts gesagt?«

»Weiß ich nicht, aber jetzt soll er gerade befragt werden.«

Reichart sah Walburga an. »Den Stall hab ich ausgemistet. Wo wohnt denn der Seibold? Vielleicht kann ich was über den Verbleib deines Vaters herausfinden.«

Sie nickte und deutete zurück zum Dorf. »Am anderen Ende von Mögeldorf, direkt am Fluss, hat er eine Schusterwerkstatt.«

Erst jetzt bemerkte Reichart Ursel, die herangeflattert kam. »He, dich kenne ich doch.« Er stibitzte ihr die Mütze und versteckte sie hinter seinem Rücken.

Mit ihren kurzen Armen kam Ursel nicht ran. »Böser Bube!«, schalt sie ihn.

Walburga lachte, entriss ihm die Mütze und setzte sie der Kleinen wieder auf. »Wir Weiber müssen zusammenhalten.«

Lächelnd ließ Reichart den Blick über sie alle drei schweifen. »Dann mach ich mich jetzt lieber davon. Ihr seid in der Überzahl.« Mit langen Schritten eilte er fort.

Kathi seufzte. »Tut mir leid, dass ich keine besseren Neuigkeiten habe.«

»Wollt ihr reinkommen? Dann mach ich uns Milch warm.«

»Das wär lieb.«

In der großen Küche setzte Walburga sogleich einen Topf mit Milch auf den Holzofen und lud ihre Gäste ein, am Esstisch Platz zu nehmen. »Sag an, Kathi, warum bist du hier? Erzähl mir nicht, dass es euch zufällig nach Mögeldorf verschlagen hat.«

»Wir wollen mehr über die Verschleppten herausfinden und euch helfen, wenn’s irgend möglich ist. Aber keine Sorge, von mir erfährt niemand, dass dein Vater die Rehkuh geschossen hat. Darum geht’s nicht. Was mit ihm passiert, das möchten wir herausfinden. Mein Mann ist Stadtknecht, ich helf nur ein wenig.«

Die Bauerntochter schenkte zwei Becher voll, stellte sie auf den Tisch und setzte sich zu ihnen. »Ihr teilt euch einen, ja? Ist auch noch mehr Milch da.«

»Freilich.« Dankbar nahm sie einen Schluck. »Mmh, so gut wie in der Findel.«

»Du bis im Findelhaus aufgewachsen?«

Kathi lächelte und ließ Ursel trinken. »Ja, und es hat mir nicht geschadet. Am besten hat’s mir gefallen, die Milch in der Stadt zu verkaufen.«

»Dann kannst du sogar melken?«

»Ja, das schon, aber sonst weiß ich nicht viel von der Arbeit auf einem Bauernhof.«

Walburga schmunzelte. »Kannst gleich dableiben, bis es Zeit fürs Melken wird. Wer weiß, wann sich der Friedl wieder blicken lässt.«

»Ist aber schön, dass er dir hilft.«

»Ja.« Walburga strahlte. »Der war selber mal Bauer, und ich glaub, er vermisst seinen Hof. Der Vater würd ihn bestimmt auch mögen.«

»Dann hängt er seine Stadtknechtstracht vielleicht bald an den Nagel?«

»Ach nein, ich red Unsinn.« Nun errötete die Maid gar.

Kathi freute sich für Friedl. Es wäre zu schön, wenn er wieder eine Frau finden würde. »Er ist ein guter Kerl«, sagte sie deshalb.

Walburga nickte versonnen. »Er gibt sich die Schuld am Einfall der Markgräflichen. Wenn der Vater nicht freikommt …« Wieder glitzerten Tränen in ihren Augen. »Ach Kathi, was können wir denn machen?«

»Magst du morgen mit mir nach Cadolzburg wandern und ihn besuchen? Vielleicht kommen die zwei Schwägerinnen auch mit, Anna und Margreth?«

»Die Ehewirtinnen der Simon-Brüder?« Sie verzog das Gesicht. »Na, vielleicht. Und du meinst, der Rat hat nichts dagegen, wenn wir das machen?«

»Im Gegenteil, die Herren wollen doch auch wissen, was los ist, ob der Markgraf vielleicht bald mit Söldnern anrückt und noch einmal versucht, Nürnberg zu erobern.«

»Oh, das wäre wirklich schlimm. Dann hör ich mich im Dorf um, wer noch mitkommt. Und du willst dir das wirklich antun?«

»Ja«, antwortete Kathi bestimmt, auch wenn es ihr davor graute, ein markgräfliches Gefängnis zu betreten.

»Dann geben wir dich als meine Base aus, die gekommen ist, um mir zu helfen. An einem Tag schaffen wir das aber wahrscheinlich nicht hin und zurück.«

Kathi nickte. »Ich werd mich erkundigen, wo wir sicher übernachten können und welchen Weg wir am besten nehmen. Vielleicht darf mein Mann mitkommen.«

Walburga holte tief Atem. »Ja, etwas Geleitschutz wär beruhigend.«

 

* * *

 

Auf dem Weg zum Haus des Schusters Seibold weilten Friedrichs Gedanken noch bei Walburga. Wenn er doch nur mehr für sie tun könnte. Bei Kathi wusste er sie allerdings in guten Händen, und gleich erführe er mehr darüber, wie es um den alten Gürtler bestellt war. Er hämmerte an die Tür der Werkstatt, doch nichts rührte sich. Schließlich wurde im oberen Stock ein Fensterladen aufgeklappt, und Seibold schaute heraus. »Was willst?«

»Sind der Herr Haller und der Stadtknecht noch bei dir?«

»Ja, mein Weib macht dir auf.«

Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Tür, und eine verbittert dreinschauende Frau ließ ihn ein. »Die Treppe rauf, Hauptmann.«

Sie folgte ihm nicht nach oben, wie er bemerkte. Vielleicht sollte sie bei dem Verhör nicht dabei sein.

---ENDE DER LESEPROBE---