Meister Frantz gegen Räuberpistolen - Edith Parzefall - E-Book

Meister Frantz gegen Räuberpistolen E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Freie Reichsstadt Nürnberg 1584: Eigentlich läuft alles prächtig für Frantz Schmidt. Frau und Kinder sind wohlauf, ein Drittes ist unterwegs, seine Stellung als Nachrichter von Nürnberg scheint gesichert. Da taucht ein alter Bekannter auf und erzählt ihm eine wahre Räuberpistole. Darf Frantz dem ehemaligen Schützen, den er selbst aus der Stadt ausgestrichen hat, über den Weg trauen? Ist sein Schwager wirklich ein Räuber, der auch noch seine Frau misshandelt? Es wird höchste Zeit, dem Heffner Friedl auf den Zahn zu fühlen und sich um seine Schwester Kunigunda und deren Kinder zu kümmern. Ein Überraschungsbesuch in Hiltpoltstein bringt Vorgänge ins Rollen, die erst unter dem Rad enden.

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Edith Parzefall

Meister Frantz gegen Räuberpistolen

Henker von Nürnberg Band 4

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Karte von Nürnberg

Umgebungskarte

Handelnde Personen

Glossar

Besuch aus der Vergangenheit

Kleine und große Strolche

Familienbesuch

Auf gefährlichen Pfaden

Ausgefeilter Plan?

Auf eigene Faust

Gute Miene

Böses Spiel

Alte Freunde

Im Bann des Schürzenjägers

Brenzliges Unterfangen

Heimkehr

Ein Überfall zu viel

Ein Geständnis

Unterm Rad

Familienbande

Nachwuchs

Liebeswirren

Die Rückkehr des reuigen Sünders

Unverbrauchte Lebensenergie

Ein Galgenvogel

Zum Heffner

Ein zäher Hund

Nachwort

Über die Autorin

Impressum tolino

Karte von Nürnberg

Umgebungskarte

Handelnde Personen

Historische Figuren sind fett gedruckt. Sie werden in diesem Roman fiktional verwendet, obwohl ich mich weitgehend an die historisch überlieferten Fakten gehalten habe. Wie damals üblich tragen alle Nachnamen von Frauen die Endung -in, denn die Anrede Frau und Herr für gewöhnliche Leute war noch nicht üblich. Da es in diesem Band ungewöhnlich viele Nebenfiguren gibt, die meist nur einen kurzen Auftritt haben, allzu häufig am Hochgericht, folgt hier nur eine Liste der wichtigsten Handlungsträger.

Meister Frantz Schmidt, der Nachrichter, also Henker von Nürnberg.

Maria Schmidtin, Frau von Frantz Schmidt, die auch als Henkerin bezeichnet wurde.

Vitus, Margaretha und Jorgen Schmidt, Kinder von Frantz und Maria.

Augustin Ammon, der Löwe, wie man den Henkersknecht nannte.

Katharina (Kathi) Leinfelderin, ein Findelkind und Ehefrau von …

Maximilian Leinfelder, ein Stadtknecht im Dienste der Freien Reichsstadt Nürnberg.

Clara Mülnerin, junge Magd im Dienst des Nachrichters.

Julius Spieß, Goldschmiedgeselle bei Wenzel Jamnitzer und Halbbruder von Clara.

Lienhardt Hertl, ehemaliger Schütze und Bettelrichter, der von Frantz Schmidt aus der Stadt ausgestrichen wurde und ihm doch immer wieder hilft, abgefeimte Räuber und Mörder zu überführen.

Wolf Neubauer, Wirt der Fetten Gans und Chronist, zudem ein großer Bewunderer von Meister Frantz.

Lucas Korber, Schankknecht in der Fetten Gans.

Friedrich Werner (genannt Heffner Friedl), ehemaliger Söldner, Töpfer und Ehemann von …

Kunigunda Wernerin (geb. Schmidtin), Schwester von Frantz Schmidt, Mutter von Magdalena, Barbara, Jobst und Lorenz.

Heinrich Heut, Kumpan vom Heffner Friedl.

Abraham Rosenberg, jüdischer Fuhrmann aus Fürth

Imhoff, Tucher, Stark und Pömer, Stadträte, die als Lochschöffen Ermittlungen im Nürnberger Lochgefängnis leiten.

Willibald Schlüsselfelder, zweiter Losunger und Vorderster Schöffe im Stadtrat.

Eugen Schaller, der Lochhüter, liebevoll auch Lochwirt genannt. Oberster Aufseher im Loch, dem Nürnberger Gefängnis für Untersuchungshaft und Delinquenten, die auf ihre Hinrichtung warten.

Anna Schallerin, Ehefrau von Eugen Schaller und damit Lochwirtin.

Wenzel Jamnitzer, Goldschmied von Kaisern und Königen, im Herzen aber vor allem Geometer und nebenbei Mitglied des Kleinen Rates als Genannter der Handwerke.

Hornbichl: Anschicker in der Peunt, also der städtische Bauhofverwalter.

Ruppert Schiller, Schankwirt in Hiltpoltstein mit Sohn Sebastian (Bastl) und namenlose Ehefrau.

Berthold Stief: Unterpfleger in Hiltpoltstein.

Michel Hasenbart, Reuter: Stadtknechte.

Konrad Rumpler, Meller, Vogt, Lehner: Schützen

Kürschner, der Kinnbartete Schütz und Vater der …

Schützenmarie, eine junge Diebin, die hier stellvertretend für ihre Diebesbande stehen soll.

Hans Schmied, Paul und Georg Ammon, Georg Geier, Räuber und Mörder aus Friedrich Werners Umfeld.

Glossar

Atzung: Geld, das Gefangene für ihre Kost bezahlen mussten.

Garaus: Torschluss.

Keuche: Gefängniszelle

Loch(gefängnis): Verlies unter dem Rathaus, das als Untersuchungsgefängnis diente. Hier wurden auch Delinquenten festgehalten, die auf ihre Hinrichtung warteten.

Lochwirt: Lochhüter, oberster Gefängniswärter im Loch.

Losunger: Der Vorderste Losunger war der mächtigste Mann der Stadt, zuständig für Finanzen und Verteidigung, da er gleichzeitig einer der drei Oberster Hauptleute war. Unterstützt wurde er vom zweiten Losunger und Mitarbeitern in der Losungsstube.

Löwe: Henkersknecht. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie der Henkersknecht zu seinem Spitznamen kam, den es so nur in Nürnberg gab, allerdings überzeugt keine so recht. In Bamberg hieß der Henkersknecht beispielsweise Peinlein.

Nachrichter: Scharfrichter, da dieser nach dem Richter seines Amtes waltete.

Pappenheimer: So wurden in Nürnberg die Straßenreiniger genannt, die auch in regelmäßigen Abständen die Abortgruben leeren mussten, vermutlich weil der Reichsmarschall über Jahrhunderte aus dem Geschlecht der Pappenheimer bestellt wurde. Dieser war unter anderem für die Sauberkeit bei Hofe zuständig. Im Gegensatz zum hoch geachteten Reichsmarschall wurden die Nürnberger Pappenheimer allerdings gemieden.

Peunt: Bauhof unter der Verwaltung des städtischen Baumeisters bzw. seiner rechten Hand, dem Anschicker in der Peunt. Hier wurden auch Fuhrwerke, Pferde und Werkzeuge verwahrt und ausgegeben.

Besuch aus der Vergangenheit

Freitag, 17. Januar 1584

Gespannt stieg Frantz Schmidt hinunter ins Lochgefängnis. Im Brunnenraum wartete schon Schöffe Imhoff auf ihn. Neben dem Ratsherrn stand Henkersknecht Augustin, genannt der Löwe.

»Ihr habt mich rufen lassen?«

Imhoff nickte. »Lienhardt Hertl ist zurück. Hockt im Loch und will nur mit Euch reden, Meister Frantz.«

»Was hat er angestellt?« Er warf einen kurzen Seitenblick zu Augustin, doch der zog nur die Augenbrauen nach oben.

»Na ja, er hat den Bann missachtet, weil er unbedingt mit Euch reden will. Inzwischen wissen wir aber auch, dass er schon elf Meineide geschworen und dafür sieben Jahre auf einer Galeere verbüßt hat. Unglaublich, dass wir so einen zum Schützen gemacht und uns bei der Suche nach Presiglins Mörder auf sein Wort verlassen haben.« Andreas Imhoff schüttelte den Kopf, als hätte ihm das nicht passieren können. Nun, der Mann war auch schon lange Schöffe, damals allerdings nicht zuständig.

Trotzdem widersprach Frantz dem ehrbaren Rat: »Hertl hat uns das Versteck von drei brutalen Dieben und Räubern verraten, und den Mörder der Presiglin hat er uns persönlich zugeführt. Ich denke, der Mann ist nicht verkehrt. Darf ich zu ihm?«

Imhoff furchte die hohe Stirn und sah ihm lange in die Augen, bevor er nickte.

Seltsam. Wusste der Ratsherr mehr, als er verraten wollte? »Was verschweigt Ihr mir?«

»Redet mit ihm. Es muss wichtig genug sein, um sein Fell zu Markte zu tragen. Nützel ist übrigens immer noch überzeugt, dass er damals den Presigl bestohlen hat.«

Frantz zog eine Augenbraue hoch. »Gibt es dafür Zeugen?« Den Einzigen, der es sicher wissen musste, dürfte er vor über zwei Jahren mit dem Schwert gerichtet haben.

»Nein, und natürlich gibt er nichts dergleichen zu.« Imhoff schnaubte. »Außerdem hat der Rat in der gestrigen Sitzung beschlossen, dass Ihr dem Hans Schmied drohen sollt.« Er schaute zur Stiege, die direkt ins Rathaus führte. »Ich werde wieder oben gebraucht.«

»Wir kümmern uns um beides.«

»Gut.« Nach einem kurzen Nicken eilte der Schöffe davon.

Augustin grinste. »Der Hertl ist vielleicht eine G’wandlaus, den werden wir gar nicht mehr los.«

»Und der Kerl will ausgerechnet mit mir reden.« Mit Unbehagen erinnerte er sich an ihre letzte Begegnung auf dem Rückweg von Bamberg. Hatte Hertl ihn damals wirklich vor Räubern geschützt, die ihm sein Schwager auf den Hals gehetzt hatte, oder hatte der Strolch sich einen Spaß mit ihm erlaubt?

»Am Ende bringt er uns wieder Kundschaft«, meinte Augustin.

»Davon haben wir im Moment eigentlich schon genug. Der Hans Schmied wird wahrscheinlich unser nächster Galgenvogel.«

»Gehaltserhöhung hast wieder keine gekriegt?«

Frantz schüttelte den Kopf. »Nur eine kleine Sonderzahlung, außerdem soll endlich das Dach vom Henkerturm erneuert werden, aber das hast du sowieso schon mitgekriegt. Den Wenzel Jamnitzer hat fast der Schlag getroffen, als er das bußwürdige Dachgestell gesehen hat.«

Augustin nickte. »Wenigstens einer, der sich kümmert, aber der Mann ist ja auch Gassenhauptmann, nicht nur Genannter des Rats. Ich hab mit den Zimmerleuten geredet. Die haben auch gemeint, die modrigen Balken könnt der nächste Sturm davonblasen. Das neue Dach wird flacher.«

Frantz nickte vor sich hin, während er nur mit halbem Ohr zuhörte. Viel mehr interessierte ihn, was den Hertl wieder in die Freie Reichsstadt trieb. Er war damals zur Hinrichtung von Anna Presiglins Mörder gekommen, hatte sich aber schnell davongemacht, bevor Ratsherr Nützel ihn festnehmen lassen konnte. Trotzdem war Hertl heute zurückgekommen, um mit ihm zu reden. Als Nachrichter von Nürnberg, Schwager vom Heffner Friedl oder altem Verbündeten?

Augustin merkte wohl, dass er in Gedanken ganz woanders weilte, denn er sagte: »Jetzt geh halt endlich zu ihm. Mich willst nicht dabei haben, oder?«

Frantz grinste den Löwen an. »Bist auch neugierig?«

»Ich? Niemals«, antwortete Augustin und feixte.

»Ist besser, wenn ich allein mit ihm rede. Wo ist er denn?« Er nahm eine Fackel von der Wand.

Der Löwe marschierte voraus zu einer Zelle und entriegelte die Tür für ihn. Lächelnd trat Frantz ein und steckte die Fackel in eine Halterung. Hertl, früher Schütze auf Nürnbergs Mauern, starrte ihn einen Moment an, dann stieß er den Atem aus und sprang von der Pritsche auf. »Meister Frantz. Ich hab schon befürchtet, die lassen mich nie mit Euch reden.«

Frantz schloss die Tür hinter sich und hörte ein unwilliges Grunzen aus dem Gang. Augustin hätte anscheinend gern gelauscht.

»Ich hab gehofft, dich nie wieder in Nürnberg zu sehen«, sagte er.

»Ich auch, aber ich hab’s einfach riskieren müssen.« Hertls Haare wirkten frisch geschnitten, der Bart gestutzt, die schlichte Kleidung gewaschen und geflickt. Bei ihrer letzten Begegnung war er verdreckt und in Wildschweinfelle gehüllt aus dem Unterholz gekrochen.

»Du schaust gar nicht mehr so heruntergekommen aus wie damals im Wald. Dir scheint’s gut ergangen zu sein.« Nur die krumme Nase sollte er ihm wirklich erneut brechen und gerade richten.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Das hab ich Eurer Schwester zu verdanken.«

»Du arbeitest für den Heffner?« Gegen Friedl hatte Frantz nichts in der Hand, aber er fürchtete, sein Schwager war ein Dieb und Räuber, wenn nicht Schlimmeres.

Sie setzten sich einander gegenüber auf die Holzbänke an den Seitenwänden. Hertl schaute zerknirscht drein. »Was man so Arbeiten nennt.«

»Behandelt er Kunigunda und die Kinder anständig?«

»Na ja.« Hertl knetete seine Hände. »Was wisst Ihr über den Friedl?«

»Nicht viel.« Er kratzte sich den Bart, den er im Winter viel länger trug. »Friedrich Werner, Sohn eines Nürnberger Bürgers, Stiefsohn eines angesehenen Töpfers, deswegen nennen ihn die Leute Heffner Friedl.«

»Genau, hört sich alles gut an, aber er war Söldner, und was lernt so einer?«

Sein Magen zog sich zusammen. »Töten und Rauben. Das hast du damals im Wald schon gesagt.«

Hertl starrte ihm unverwandt in die Augen. »Was macht er in Friedenszeiten?«

»Rauben und Töten?« Seine Sorge wuchs, doch der Kerl ließ sich alles aus der Nase ziehen. Frantz brannte darauf, mehr zu erfahren, denn wenn der Verbannte eine heftige Strafe riskierte, nur um mit ihm zu sprechen, mussten die Dinge schlimm stehen.

Nun blinzelte Hertl. »Vielleicht solltet Ihr Eure Schwester mal wieder besuchen.«

»Hat der Schuft ihr was getan?« Kunigunda hatte bei seinem Besuch im letzten Jahr nicht sehr glücklich gewirkt. Frantz hatte gedacht, es wäre ihr peinlich, ihrem Schwiegervater den Henker-Bruder vorzustellen. Vielleicht war die Ursache für ihr Unbehagen ganz woanders zu suchen.

Hertl rieb sich die Arme. »Sie ist zäh, eine Schmidtin halt, aber gut behandelt er sie nicht.«

»Er schlägt sie?«

Hertl atmete tief durch. »Sie beschwert sich ja nie über ihn, aber einmal hat er mir selbst gesagt, dass er ihr hat Bescheid stoßen müssen.«

Hm, seine Schwester war in einer Familie groß geworden, die davon lebte, Unrecht zu sühnen. Wenn sie sich nicht beschwerte, glaubte sie vielleicht, die Schläge verdient zu haben. »Und meine Neffen und Nichten?«

»Denen geht’s gut.«

Ja, Friedl mochte Kinder. Kunigunda hatte ihrem ersten Mann vier Söhne und drei Töchter geboren. Von denen lebten nur noch vier. Frantz dachte an Maria, die nun auch schon mit dem dritten Kindlein schwanger ging. Sie durften sich glücklich schätzen, dass sie noch keines verloren hatten. Mit seinem Sohn Vitus hatte Friedl bei der Heimladung der Brautleute begeistert gespielt.

»Was denkt Ihr?«, fragte Hertl.

»Warum riskierst du deinen Hals, um mit mir zu reden, und dann machst du doch nicht recht das Maul auf?«

»Weil der Hans Schmied hier im Loch verhaftet ist.«

»Was?« Frantz sah ihn verwirrt an, dann fasste er sich. »Was hast du mit dem Dieb zu tun?« Der Mann hatte zwar noch nicht gestanden, aber an seiner Schuld bestand kaum Zweifel.

Hertl senkte die Stimme zu einem Raunen. »Fragt ihn lieber nicht nach seinen Kumpanen oder wem er sein Zeug verkauft.«

Frantz öffnete den Mund, wusste aber nicht recht, was er dazu sagen sollte. Diese Warnung konnte nur eines bedeuten. »Friedl?«, rutschte ihm heraus.

Hertl nickte. »Ich wollt auch fragen, ob ich wieder für die Stadt Nürnberg tätig sein darf. Als Schütze.«

Erneut lenkte der Kerl von wichtigeren Dingen ab. »Darüber hab ich nicht zu entscheiden, das weißt du genau.«

»Schon, aber wenn man Euch fragt, ob ich vertrauenswürdig bin …«

Tja, wenn Frantz das wüsste. »Ich werd mich für dich einsetzen, vor allem dafür, dass sie dich wieder freilassen.«

»Das wär schon mal was.« Hertl sah ihn erwartungsvoll an.

Frantz hütete sich, ihm Hoffnung zu machen. Stattdessen fragte er: »Weiß Kuni, was ihr Mann treibt?«

Hertl zuckte die Schultern. »Ahnen wird sie was, weil er oft länger weg ist. Aber was kann sie groß machen?«

Mit den Kindern nach Bamberg zum Großvater ziehen, dachte Frantz. »Warum hat er ausgerechnet sie geheiratet, wenn er damals schon ein Räuber war?«

Hertl schnaubte. »Der wollte unbedingt die Schwester des Nürnberger Nachrichters und Tochter des Bamberger Henkers zum Weib haben.«

Frantz wurde übel. Ein Verbrecher, der hoffte, durch familiäre Bindungen leichter mit seinen Übeltaten durchzukommen? »Ich werd sie besuchen. Wohnen sie immer noch beim alten Heffner in der Nähe von Hiltpoltstein?«

»Nein, der Friedl ist jetzt mit Kuni und den Kindern in den Ort gezogen. Kann er sich inzwischen leisten.«

»Hiltpoltstein … gehört zur Reichsstadt Nürnberg«, murmelte Frantz. »Da hab ich schon manche Leib- und Lebensstrafe ausgeführt.«

Der ehemalige Schütze wusste das natürlich und nickte. »Vielleicht zählt er darauf, dass Ihr ihm zur Flucht verhelft, falls er doch erwischt wird.«

»Eher drehe ich ihm mit bloßen Händen den Hals um«, knurrte Frantz.

Nach einer kurzen Pause fragte Hertl: »Denkt Ihr, der Rat lässt mich hier wieder arbeiten?« Leiser fügte er hinzu: »Ich will nicht von Euch gerichtet werden müssen.« Die Augen funkelten im Fackelschein. »Na ja, wenn’s sein soll, dann lieber von Euch als von irgendeinem dahergelaufenen Säufer.«

»Vorstellen kann ich’s mir nicht, aber ich werd mich für dich verwenden.« Frantz stand auf und merkte, dass er etwas wackelig auf den Beinen war. »Weiß Friedl, dass du hergekommen bist?«

»Er hat mich geschickt, im Vertrauen, Ihr werdet dafür sorgen, dass ich wieder rauskomme.«

Frantz starrte ihn an. »Geschickt, um was zu tun?«

Da grinste der Kerl. »Ich soll mit dem Schmied reden und ihn warnen, nicht das Maul aufzumachen.«

»Das wird ihn wenig kümmern, wenn ihm die Tortur droht. Der hat nicht mehr viel zu verlieren.«

»Er nicht, aber seine Familie. Was er angestellt hat, darf er gern gestehen, aber sonst soll er das Maul halten.«

Moment, das ergab alles keinen Sinn. »Der Friedl weiß doch bestimmt, dass du die Stadt nicht betreten darfst.«

Hertl grinste noch breiter. »Ja, der hat gedacht, so komm ich am leichtesten ins Loch zum Hans. Der Friedl war ja noch nie hier, hat keine Ahnung, dass nicht alle Gefangenen in einem großen Verlies hocken oder man sich nicht einfach durch Gitterstäbe mit den anderen Häftlingen unterhalten kann.«

Frantz atmete tief durch. »Aber du hast es besser gewusst. Trotzdem bist du gekommen und hast dich drauf verlassen, dass ich dich wieder hier raushole?«

Nun schaute Hertl reumütig drein. Der Friedl war wirklich ein verschlagener Hund. Oder der Mann ihm gegenüber war einer, falls er geplant hatte, dass Frantz für ihn einen Zeugen zum Schweigen brachte. »Du gehst mit ihm auf Raubzüge?«, fragte er.

Hertl sah ihm in die Augen und schwieg.

War wohl auch besser so. Da fiel ihm wieder der andere Schütze ein, den er ausgestrichen hatte, weil dieser für Claras Bruder die Rubine aus der ausgebrannten Werkstatt hatte holen wollen. »Hat der Georg Götz auch zu eurer Bande gehört?«

Hertl lächelte. »Den habt Ihr letztes Jahr gerichtet, oder?«

»Genau. Er hat einen Karrenmann ausgeraubt und erschlagen.« Wollte aber nichts mit dem Heffner zu tun gehabt haben – hätte Frantz sich mal nur nicht drauf verlassen.

»Einige Zeit war er dabei, aber der Friedl hat befürchtet, dass er immer was von der Beute für sich behält, ohne zu teilen. Deswegen hat er ihn davongejagt. Der Fuhrmann, den er überfallen hat, war einer von Friedls Hehlern. Bestimmt kein Zufall. Mich wundert’s, dass er den Heffner nicht verraten hat. War die Gelegenheit, ihm eins auszuwischen.«

»Hm, um ihn zu belasten, hätte er noch weitere Verbrechen gestehen müssen, die er mit dem Friedl zusammen begangen hat. In dem Fall wär’s wohl nichts mit einer Begnadigung zum Tod durch das Schwert geworden. Der Mann hat sich damals recht reumütig gegeben. Aus schierer Verzweiflung wollte er den Krämer überfallen haben; der hat sich gewehrt … Nun, der Stadtrat gibt nicht gern zu, dass hier Schützen beschäftigt werden, die eigentlich üble Verbrecher sind …«

Hertls Adamsapfel hüpfte auf und ab. »Mich meint Ihr damit jetzt aber nicht, oder?«

Frantz grinste. »Die Meineide hast du mit der Galeerenstrafe abgegolten?«

Er nickte. »Ja, hab ein paar Kumpel decken wollen, obwohl sie’s nicht verdient hatten.« Nun klang der Kerl ganz kleinlaut.

»Dann geht’s heute nur um den Bann?«

»Vorerst schon.« Er senkte den Blick.

Offensichtlich war Hertl tief in die Schurkereien vom Friedl verwickelt, und doch wollte er Kunigunda helfen, indem er ihn, den Nachrichter von Nürnberg, über dessen Machenschaften in Kenntnis setzte. War der Mann noch bei Verstand? So oder so, Frantz musste sich für ihn einsetzen. »Mach dir keine Sorgen, im schlimmsten Fall werd ich dich noch mal ausstreichen müssen.«

Hertls Schultern sanken herab. »Ihr schlagt zu wie ein Weib. Da hab ich schon ganz andere Dresche gekriegt.«

Frantz schürzte die Lippen und nickte. Das war auch im Januar gewesen, und ein bitterkalter Tag vor … drei Jahren. »Wenn du dich auch immer im Winter erwischen lässt! Bei der Saukälte will ich’s gern schnell hinter mir haben. Aber ich versprech dir, dass ich mich nächstes Mal mehr anstrengen werd.« Da fiel ihm etwas ein. »Du hast nicht zufällig dem Schwestermörder die Hand abgeschnitten und die Stricke geklaut, mit denen sein Leichnam aufs Rad gebunden war?«

Hertls Mundwinkel zuckten, als wüsste er nicht, ob er lachen oder wimmern sollte.

Da griff Frantz kurzerhand nach dessen Hals, konnte aber kein Seil spüren.

Hertl zuckte zurück, doch dann entspannte er sich und grinste. »Verkauft. Hat mir kein Glück gebracht.«

Frantz nickte. »Überrascht mich nicht wirklich.« Er stand auf. »Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.« Er nahm die Fackel und verließ die Keuche. Draußen im düsteren Gang begegnete er der Lochwirtin, die in einer Hand eine Pfanne und in der anderen den dazugehörigen Stiel trug. »Das vermaledeite Ding ist kaputt. Die Magd hat sich schlimm verbrannt.«

Frantz trat aus dem Weg. »Soll ich nach ihr schauen?«

»Lasst nur, ich hab ihre Wunden mit Brandsalbe eingeschmiert. Mit der von Euch natürlich.« Sie drehte sich noch einmal zu ihm um und lächelte ihn an. »Habt Ihr endlich mit dem Hertl reden dürfen? Der war ganz unleidig, weil die Schöffen nicht nach Euch gerufen haben.«

Er nickte. »Ja, nur hat mir gar nicht gefallen, was er erzählt hat.«

»Oh.« Die Schallerin blickte betreten drein.

Er schüttelte den Kopf. »Nichts Schlimmes. Kümmert Euch gut um den Kerl, er hat der Reichsstadt Nürnberg manch wertvollen Dienst geleistet.«

Nun lächelte sie. »Sowieso, er ist ja ein ganz Netter. Wenn der einen mit seinen himmelblauen Augen anschaut, kann man ihm nichts abschlagen.«

Er schnaubte ein Lachen. »Vorsicht, wenn Euer Mann das mitkriegt …«

»Was darf ich nicht mitkriegen?«, ertönte die Stimme von Eugen Schaller aus der anderen Richtung.

Frantz drehte sich um. »Dass Eure Frau Pfannen kaputt schlägt. Dann fürchtet Ihr Euch vielleicht.«

Schaller brummte etwas Unverständliches.

»Kann ich mit dem Hans Schmied reden? Der Rat hat binden und drohen angeordnet, da will ich ihm gleich ein wenig Angst machen, wenn ich schon hier bin.«

»Freilich«, sagte der Lochhüter und ging voraus. »Da ist er drin.«

Frantz schritt zu ihm und sah sich um. »Wo treibt sich eigentlich der Löwe rum?«

»Gerade war er noch da. Womöglich stibitzt er was in der Küche.« Schaller öffnete die Tür für ihn.

Der Verdächtige hockte auf der Pritsche an der gegenüberliegenden Wand und sah ihn träge an. »Wer bist’n du?«

Er schloss die Tür hinter sich und steckte die Fackel in die Wandhalterung. »Frantz Schmidt, Nachrichter zu Nürnberg.«

Auch wenn er sich ein wenig straffte, schaute der Kerl noch finsterer drein. »Was willst’n jetzt schon von mir, Henker?«

»Dich haben sie aus Hersbruck gebracht, oder?« Frantz setzte sich auf die Holzbank an der Seitenwand.

»Ja.«

»Kennst du den Heffner Friedl?«

Der Mann bleckte die Zähne. »Deinen Schwager? Freilich kenn ich den.«

»Den Lienhardt Hertl auch?«

»Schon.« Nun wirkte er doch etwas verunsichert.

»Der Dummbartel wollt dich besuchen und hockt jetzt ein paar Keuchen weiter.«

Schmied sprang auf. »Mich besuchen?« Die Vorstellung gefiel ihm offensichtlich gar nicht.

»Weil er nicht zu dir darf, hat er mir ein paar wilde Geschichten erzählt.« Noch war Frantz unschlüssig, ob er dem Kerl Friedls Drohung übermitteln sollte. Wenn der sich tatsächlich an der Familie des Mannes rächte, falls dieser ihn verriet, dann wäre Frantz mit dafür verantwortlich. Und wer konnte sagen, was der Hurensohn Kuni und den Kindern antun mochte.

Schmied starrte ihn nur an.

»Stimmt das, was er so erzählt?«

Der Gefangene stieß ein Schnauben aus. »Ich weiß doch nicht, was der für einen Mist daherredet.«

Frantz konnte nicht anders. »Er sagt, der Friedl tut deiner Familie was an, wenn du ihn verrätst.«

Schmied sank auf die Pritsche und vergrub sein Gesicht in den Händen. »Verfluchte Ausgeburt der Hölle«, murmelte er.

»Meinst du mich?«, fragte Frantz, obwohl er nicht davon ausging.

Schmied zuckte zusammen. »Den Heffner mein ich«, sagte er schnell. »Dem trau ich’s zu, rein aus Rachgier. Und warum sagst mir das? Du musst mich ja doch foltern, bis ich alles gesteh.«

Innerlich zerrissen zwischen Pflicht zur Strafe und Schutz von Unschuldigen, wog Frantz seine Möglichkeiten ab. Viele gab es nicht. »Du hast die Diebstähle begangen?«

Schmied nickte.

»Dann leg morgen ein Geständnis ab. Du hast es allein getan.«

»Und dann?«

Frantz glaubte, Tränen in den Augenwinkeln des Mannes zu sehen. »Dann werd ich dich bald richten, aber deiner Familie passiert nichts. Den Heffner erwischen wir schon noch, jetzt da ich weiß, was das für einer ist.«

»Und was passiert mit Kunigunda?«

»Hoffentlich gar nichts.«

Schmied nickte. »Versprichst mir, dass du den Friedl, die Missgeburt, fangen lässt und richtest?«

Wie konnte er das versprechen? »Ich werd jedenfalls mein Bestes geben.«

»Mehr kann ich nicht verlangen.« Er legte sich auf die Pritsche. »Lass mich allein.«

Frantz ging hinaus und hätte beinah vergessen, die Fackel wieder mitzunehmen. Manch ein Häftling hatte versucht, seinen Aufenthalt hier unten zu verkürzen, indem er sich in Brand steckte.

Er kehrte zu Hertls Zelle zurück. Der sah ihn überrascht an.

»Du hast dem Schmied Friedls Botschaft überbracht. Mein Schwager muss sich nicht sorgen.«

Hertl stieß gedämpfte Laute aus, die Lachen oder Stöhnen sein konnten. »Ich hätt nicht erwartet, dass Ihr das wirklich macht.«

»Für Schmieds Familie und Kuni. Doch lang wird der Friedl sein Unwesen nicht mehr treiben.«

Hertl nickte. »Jetzt müsst Ihr mich nur noch hier rausholen.«

Frantz zuckte zurück. Ließ er sich gerade von einem ausgemachten Schurken zum Narren halten und für üble Zwecke missbrauchen?

»Und wenn Ihr mir dann noch meinen Posten als Schütze –«

»Vergiss es«, fiel Frantz ihm ins Wort. Missmutig verließ er die Keuche und verriegelte sie geräuschvoll. Er stieg die Stufen hinauf. Hatte er eben einen großen Fehler begangen? Er trat in die eisige Kälte hinaus. Eigentlich vertraute er Hertl, und eben hatte Hans Schmied dessen Anschuldigungen gegen den Heffner bestätigt – als hätte es dessen noch bedurft.

Zu seiner Überraschung stand Nützel von Sündersbühl vor dem Rathaus herum. Er trat zu ihm, obwohl er lieber in Ruhe darüber nachgedacht hätte, was er tun sollte. Wenn der Ratsherr aber dem Hertl an den Kragen wollte, weil er dem Presigl angeblich – na ja, vermutlich – acht Gulden gestohlen hatte, sollte Frantz lieber gleich ein gutes Wort für den Mann einlegen. »Werter Rat, Ihr seht aus, als erwartet Ihr jemanden.«

Nützel nickte, ging ein paar Schritte und blieb stehen, bis Frantz ihm folgte. Sehr merkwürdig. Als er den Ratsherrn eingeholt hatte, fragte dieser: »Was will der Hertl von Euch?«

Er atmete tief durch. »Mich warnen. Meine Schwester hat anscheinend einen argen Schurken geheiratet.«

Nützels Kopf ruckte hoch. »Ihr sprecht doch hoffentlich nicht von Kunigunda Lippertin, der Witwe Eures Vorgängers?«

»Doch. Ich werd sie bald besuchen und mir ihren zweiten Mann genauer anschauen. Außerdem möcht ich Euch bitten, den Hertl laufen zu lassen. Sicher, er hat zweimal trotz Bann Nürnberg betreten, aber einmal, um uns das Versteck von schändlichem Räubergesindel zu verraten und nun, um mir einen persönlichen Gefallen zu tun. Aber das ist es nicht allein.« Die nächsten Worte fielen ihm schwer, denn es ging um seinen guten Ruf. »Wenn der Schwager des Nürnberger Nachrichters unter die Mörder und Räuber gegangen ist, dann muss auch die Freie Reichsstadt froh über derlei Informationen sein.«

Nützel nickte vor sich hin. »Am Ende machen wir den Hertl tatsächlich zum Kundschafter, wenn er solche Spießgesellen kennt.«

Ja, dass er Zuträger des Rats sei, hatten sie damals Anna Presiglins Mörder vorgegaukelt, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Die Erinnerung ließ ihn lächeln. »Vielleicht ist er dafür doch etwas unzuverlässig. Redet Ihr mit Imhoff wegen Hertl, oder soll ich?«

Nützel kratzte sich die bärtige Wange. »Ich mach das. Den seh ich gleich noch auf dem Herrenmarkt.«

»Danke.« Verlegen rieb sich Frantz über den Mund. »Ich werd möglichst bald meine Schwester besuchen, um herauszufinden, ob an der Geschichte überhaupt etwas dran ist. Bis dahin würde ich es zu schätzen wissen, wenn Ihr die Information noch vertraulich behandelt.«

»Hm.« Nützel legte den Kopf schief und musterte ihn.

»Ihr vertraut mir doch, oder?«

Der Ratsherr zögerte mit der Antwort. »Eigentlich schon, aber wenn’s um Eure Familie geht …«

»Ich hab der Freien Reichsstadt Loyalität geschworen. Ich decke keinen Räuber, selbst wenn er mein Schwager ist«, sprach er mit Bestimmtheit, obwohl er gerade Hertl deckte.

»Gut, haltet mich auf dem Laufenden.«

»Selbstverständlich.« Tief in Gedanken versunken schlenderte Frantz zur Sebalduskirche, wo Augustin zu ihm stieß.

»Du hast dich ja schnell davongemacht. Was wollt denn jetzt der Hertl?«

»Komm mit heim.«

»Und der Schmied? Den sollen wir doch binden und bedrohen.«

»Der wird gestehen«, sagte er nur. Schweigend stapften sie durch Schnee und Unrat bis zum Säumarkt auf der Pegnitzinsel, während Frantz grübelte. Er sollte besser nicht bei Kunigunda und Friedl auftauchen, bevor Schmied gerichtet wäre, sonst könnte sein Schwager den Verdacht hegen, der Mann hätte ihn doch verraten.

Sowie sie die Treppe im Henkerturm hinaufgestiegen waren, öffnete sich die Tür zur Wohnung über dem nördlichen Flussarm. Maria, die nun im vierten oder fünften Monat schwanger war, schaute sie verwundert an. »Ihr seid aber schnell wieder zurück.« Die kleine Margaretha trug sie auf dem Arm, und Vitus hing an ihrem Rockzipfel.

»Ja.« Er winkte Augustin herein und nahm die Hand seines fast vierjährigen Sohnes. Frantz setzte sich auf einen Stuhl und zog den Buben auf den Schoß. Allmählich wurde er alt genug, um eine Ahnung davon zu bekommen, welchem Beruf sein Vater nachging. Die Vorstellung, ihn eines Tages in die Lehre nehmen zu müssen, jagte ihm einen Schauder über den Rücken.

»Was ist los?«, fragte seine Frau und setzte sich mit der kleinen Greta auf die Bank. Ihr Bauch war schon merklich gewölbt. Im Mai oder Juni würde sie niederkommen.

Frantz sprach mit sanfter Stimme. »Lienhardt Hertl hat trotz Bann die Stadt betreten, um mir zu erzählen, dass mein Schwager nichts taugt.«

»Hat Friedl was angestellt?« Maria drückte Greta enger an sich.

Augustin, der in der Stube auf und ab gegangen war, hockte sich auf einen Stuhl und schaute ihn gespannt an.

»Angeblich ist er unter die Räuber gegangen.«

Maria fuhr sich über die Stirn, sah Vitus an, dann schmiegte sie ihr Gesicht an das ihrer Tochter. »Wie geht’s deiner Schwester und den Kindern?«

Er zuckte die Schultern. »Sie kriegt angeblich nicht viel mit von dem, was er treibt, und fragen tut sie lieber nicht. Hertl hat nur Andeutungen gemacht, dass er sie nicht gut behandelt.«

Maria seufzte. »Dabei hat er keinen so schlechten Eindruck gemacht. Ein Großmaul, aber die Kuni hat er doch gern gehabt.«

Frantz nickte. So ungefähr hatte er die Situation damals auch eingeschätzt.

Augustin brummte etwas Unverständliches, das nach einer Verwünschung klang.

»Was ist ein Räuber?«, fragte Vitus.

»Jemand, der einem anderen was wegnimmt.«

»Ein Dieb.« Der Bub lächelte stolz.

»Ja, aber einer, der dir nicht heimlich was klaut, sondern gleich grob wird, wenn du ihm nicht gibst, was er will.«

»Und du wirst dann auch grob?« Aus großen blauen Augen sah Vitus ihn unverwandt an.

Frantz schluckte. Was meinte der Bub? Hatte ihm jemand erzählt, dass er Räuber folterte und vom Leben zum Tod brachte, wenn sie gestanden? Er nickte. »Ja, so ungefähr.«

Greta rutschte vom Schoß ihrer Mutter und hüpfte auf und ab. »Gob!« Die Kleine war erst ein gutes Jahr alt, aber sehr gewieft.

Vitus gluckste. »Grobe Gretel.«

Da kam Clara, ihre junge Magd, aus dem Nebenzimmer und blickte verdutzt in die Runde. »Die Mahlzeit ist noch nicht fertig.«

Maria sagte: »Wir reden nur, Clara. Essen hat Zeit, aber du könntest die Kinder mitnehmen.«

Das Mädel hob Greta auf den Arm und packte Vitus am Ohr. Der Racker quiekte erbärmlich, lief jedoch grinsend neben ihr her. Sie konnte gut mit Kindern umgehen. Inzwischen kochte sie auch schmackhaft. Erst jetzt bemerkte er, dass Augustin ihr versonnen nachschaute. »Du wirst uns Clara doch nicht abspenstig machen?«

Sein Knecht grinste. »G’schmarri. Ist nur schön anzuschauen, wie gut sie sich davon erholt hat, was ihr der Sebald Kaiser angetan hat.«

Wenigstens wirkt sie so, dachte Frantz.

»Jetzt erzähl weiter«, forderte Augustin.

»Das war’s schon. Der Hertl meint, Friedl lebt immer noch vom Morden und Rauben, weil er als Söldner nichts anderes gelernt hat.« Dass Frantz seinetwegen einen Zeugen zum Schweigen gebracht hatte, behielt er lieber für sich.

Maria strich sich über den Bauch. »Die arme Kunigunda muss vor allem an die Kinder denken. Aber was kannst du gegen Friedl unternehmen, wenn Hertl oder deine Schwester ihn nicht anzeigen?«

Frantz atmete tief durch. »Erst muss ich mehr herausfinden. Womöglich übertreibt der Hertl ja auch. Oder er lügt.«

Augustin brummte: »Genau, der könnt mal wieder zu viel Bilsenkraut erwischt haben.«

Er schnaubte. »Nach allem, was der im Rausch erlebt hat, lässt er bestimmt die Finger davon. Wenn Hans Schmied gerichtet ist, will ich nach Hiltpoltstein reiten.«

»Denkst du, der Rat bewilligt dir ein Ross?«, fragte Maria skeptisch.

»Wenn nicht, nimmt mich vielleicht ein Karrenmann mit.«

Seiner Frau entfuhr ein Japser. Erschrocken blickte Frantz sie an. »Was ist?«

Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Das Kindlein bewegt sich.«

Augustin lachte. »Wirfst noch einen Grobian?«

»Werfen?« Maria schlug ihm mit der Faust auf den Arm. »Keins meiner Kinder ist so grob wie du, Löwe.«

»Du dafür umso mehr.« Demonstrativ rieb er sich die Stelle und setzte eine wehleidige Miene auf.

Kleine und große Strolche

Donnerstag, 30. Januar 1584

Frantz stand neben Hans Schmied im großen Rathaussaal vor dem Stadtrichter und den zwölf Schöffen. Der Gerichtsschreiber verlas das Geständnis des armen Sünders. Mit einer gewissen Unruhe wartete Frantz auf die Urgicht, in welcher der Dieb bestätigte, dass dies der Wahrheit entsprach. Ein Teil von ihm wünschte sich allerdings, der Mann würde doch noch den Heffner bezichtigen. Dann könnte dieser festgenommen werden. Doch Friedl war während der Haft seines Kumpans bestimmt besonders wachsam, mochte den Häschern entwischen und sich tatsächlich an Schmieds Familie rächen.

»Ja, dies ist mein Geständnis«, sprach der Delinquent.

Der Stadtrichter ließ einen Schöffen nach dem anderen schwören, dass das Urteil nach dem Rechte des Heiligen Römischen Reichs abgefasst sei, dann verkündete er das Verdikt: Tod durch den Strang. Schmied ließ den Kopf hängen und schwieg. Hatte er etwas anderes erwartet?

Nun befahl der Stadtrichter, den armen Sünder zur Richtstätte zu bringen und das Urteil zu vollstrecken. Frantz fasste Schmied am Arm und führte ihn hinaus. Die Geistlichen folgten, um dem Mann auf dem Weg hinaus zum Galgen Beistand zu leisten. Bevor Frantz ihn an den Löwen übergab, raunte er dem armen Sünder zu: »In ein paar Tagen werde ich nach deiner Familie sehen.«

Da hellte sich das Gesicht des Mannes ein wenig auf. »Wirklich?«

Er nickte. »Ich will sowieso meine Schwester besuchen. Wo leben deine Leute?«

»In Affalterthal, bei Egloffstein.«

»Gut.« Er überlegte kurz, wollte nicht zu viel versprechen. »Vielleicht schicke ich lieber jemand anders hin, der weniger auffällt.«

Hans Schmied nickte. Sogar ein Lächeln umspielte dessen Mundwinkel. »Ist wohl besser so, sonst trifft meinen alten Vater der Schlag.«

Er überließ den armen Sünder dem Löwen und machte sich allein auf den Weg zur Richtstätte. Vor dem Rathaus hatten sich nicht viele Menschen versammelt. Schließlich war erst vor zwei Wochen einer gehenkt worden, und den Mann hier oder seine Opfer kannte kaum jemand. Doch unter den Schaulustigen entdeckte er wie immer Clara, seine Magd. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte das junge Ding. Seit der Hinrichtung des Mannes, der Notzucht mit ihr getrieben hatte, war sie bei jeder Exekution zur Stelle. Ob sich das je legte? Ein wenig sorgte er sich um sie, da sie keine Familie hatte außer einem Halbbruder, der als Goldschmied in der Werkstatt von Wenzel Jamnitzer arbeitete. Würde sie je Vertrauen zu einem anderen Mann fassen können, eine eigene Familie haben? Er wünschte es ihr.

*

Clara schritt in der Prozession hinter dem armen Sünder hinaus zum Hochgericht. Es erfüllte sie immer noch mit einem Gefühl von Sicherheit und Genugtuung, wenn ein Verbrecher seine Strafe erhielt. Allerdings schaute sie ungern armen Sündern beim Todeskampf am Galgen zu. Da meinte sie oft, selbst keine Luft mehr zu bekommen. Sebald Kaiser hatte Meister Frantz mit dem Schwert gerichtet. Sie war so erleichtert gewesen, ihm nie mehr begegnen zu müssen, dabei hatte der Mann sie noch nach seinem Tod ins Unglück gestürzt, oder vielmehr dessen Frau, diese scheinheilige Hexe. Nur Cuntz, den Sohn des Bortenwirkers, vermisste sie. Er hatte seine Lehre bei einem anderen Meister in Augsburg beendet und war nun auf Wanderschaft, aber in Nürnberg hatte er sich nicht mehr blicken lassen. Dabei hatte er noch groß davon geredet, sie eines Tages zu heiraten, denn auch er war ein Bastard wie sie. Heiraten? Unvorstellbar, aber Cuntz hätte sie vielleicht genug vertrauen können.

Sie schalt sich für ihre unziemlichen Gedanken. Ein Dieb würde bald vor den himmlischen Richter treten, da sollte sie lieber für seine Seele beten. Das hätte Jesus getan. Für Sebald Kaiser hatte sie es nicht über sich gebracht.

»Wen haben wir denn da?«, fragte ein Mann neben ihr.

Sie blickte zu ihm hinüber. Er meinte tatsächlich sie. »Oh, Friedl.« Kunigundas Mann?

»Leibhaftig.«

»Was machst du denn hier?«, fragte sie verwundert. Schließlich lebte der Mann eine halbe Tagesreise entfernt. »Kennst du den armen Sünder?«

Friedl lächelte. »Hab mal mit ihm zu tun gehabt, und wie ich erfahren hab, dass er gerichtet werden soll, bin ich vorbeigekommen. Ich muss eh was in der Nähe erledigen.«

»Wie geht’s Kunigunda? Kommt sie uns irgendwann besuchen?«

Er sah sie merkwürdig an. »Uns? Arbeitest du immer noch als Magd für den Henker?«

Sie nickte trotzig. »Warum nicht? Maria erwartet ihr drittes Kind. Zu tun gibt’s genug für mich.«

»Wenn du mal nicht mehr für den Nachrichter arbeiten und einen anständigen Mann finden willst, dann komm zu uns nach Hiltpoltstein.«

Einen anständigen Mann? Gab es so was überhaupt? Doch natürlich, ihr Bruder Julius war ein guter Kerl, und Meister Frantz erst recht. Trotzdem … Auch wenn sie einen aufrechten Anwärter fände, wollte sie nicht noch einmal so geschunden werden, von keinem Mann. Tränen verschleierten ihren Blick, und sie musste blinzeln.

»Wie geht’s deinem Bruder?«, fragte Friedl. »Kommt er zur Hinrichtung?«

Sie hielt den Blick gesenkt, sonst müsste sie sich die Augen wischen. »Glaub nicht, Julius hat viel Arbeit, und die macht er sehr gern.«

»Ihr könntet alle beide mal bei uns vorbeischauen. Vielleicht über die Osterfeiertage. Da werden sich die Schmidts schon selber um ihre Kinder und ihr Essen kümmern können.«

»Ja, vielleicht«, sagte sie schnell, weil sie den Mann endlich loswerden wollte, aber er ging weiterhin neben ihr her, durchs Frauentor hinaus, den Galgen schon in Sichtweite. Der Schnee auf der Holzbrücke über den Stadtgraben war festgetreten und umso rutschiger.

Als sie die andere Seite erreichten, sprach Friedl: »Mich wundert’s ja immer, dass dem Frantz noch keiner von der Leiter gesprungen ist, bevor er ihm die Schlinge um den Hals hat legen können.«

»Wozu?«, fragte Clara. »Dann würden sie ihn mit dem Strick raufziehen.«

Friedl lachte, dabei war das gar nicht lustig.

Da ihre Tränen inzwischen versiegt waren, wagte sie es, ihn von der Seite anzuschauen. Er wirkte tatsächlich belustigt. Seltsamer Vogel. Vor ihnen löste sich die Prozession allmählich auf, da die Menschen sich um den Galgen herum verteilten. »Kommst du nachher noch im Henkerhaus vorbei?«, fragte Clara, denn dann sollte sie besser Maria vorwarnen.

Friedl schüttelte den Kopf. »Nein, ich werd nur hinterher kurz mit dem Frantz reden.«

»Ja, sonst wär er bestimmt enttäuscht, wenn ich ihm sag, dass du hier warst, dich aber nicht bei ihm hast blicken lassen.« Enttäuscht nicht unbedingt, aber sein Misstrauen würde dadurch sicher geweckt werden.

»Vielleicht kann ich ihn auch überreden, uns zu besuchen. Voriges Jahr ist er einmal vorbeigekommen, weil er einen in der Nähe hat richten müssen.«

Clara sah sich um. Die Priester spendeten dem armen Sünder das letzte Abendmahl, dann brachte Meister Frantz ihn zum Galgen.

»Gleich ist es so weit«, sagte sie.

»Macht’s dir gar nichts aus, jemandem beim langsamen Verrecken zuzuschauen?«

Überrascht sah sie auf, diesmal direkt in seine Augen. »Schon, aber ich will trotzdem hier sein. Meister Frantz bringt ihn schließlich für uns alle vom Leben zum Tod.«

Friedl schmunzelte. »Da hast du natürlich recht.«

»Dir macht’s auch nichts aus, oder?«

Er schüttelte den Kopf und grinste breit. »Da müsst schon einer gerädert werden, aber das kommt in Nürnberg selten vor.«

»Zum Glück ist so was nicht oft nötig.«

*

Beim Querbalken des Galgengevierts angelangt blickte Frantz dem armen Sünder in die Augen. »Willst du noch letzte Worte an die Menschen richten, Hans Schmied?«

Der Adamsapfel des Diebes hüpfte auf und ab, dann wandte der Mann sich der Zuschauermenge zu, deren Raunen fast verstummte. »Ich kenn hier niemanden.«

Frantz legte ihm die Schlinge um den Hals. »Möge Gott deiner Seele gnädig sein. Verzeih mir.«

Schmied schloss kurz die Augen und nickte. »Ich vergebe Euch. Denkt an Euer Versprechen.«

»Das werd ich.« Er stieß ihn von der Doppelleiter. Die Hände auf den Rücken gebunden, konnte der Delinquent nur mit den Beinen strampeln, bis er ohnmächtig wurde. Frantz atmete tief durch, bevor er hinunterstieg.

Sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, blickte er zu Hans Schmied hinauf, der immer noch zappelte und sich wand. Der Mann hatte bis zum bitteren Ende Fassung bewahrt, aber das Sterben fiel ihm nicht leicht. Er betete für dessen Seele und für seine eigene.

»Der braucht ganz schön lang«, sagte da eine schaurig-vertraute Stimme.

Langsam wandte sich Frantz zu seinem Schwager um. »Friedl. Was machst du hier?« Schnell sah er sich um. Keiner der Ratsherren schenkte ihnen Beachtung. Gut so, schließlich hatte er Nützel erzählt, dass sein Schwager vermutlich ein Schurke war. Nur Augustin starrte sie beide an. Frantz deutete ein Nicken an und wandte sich wieder Friedl zu.

»Ich war in der Nähe und hab das Flugblatt gesehen. Da hab ich mir gedacht, ich schau dir bei der Arbeit zu.«

»Die Kuni hast nicht dabei?« Das würde hoffentlich seinen suchenden Blick erklären.

»Nein, die ist bei den Kindern.«

Er nickte. »Freilich, aber die werden auch schon langsam groß.«

»Du solltest uns unbedingt mal wieder besuchen. Am besten bringst deine Frau und die Kinder mit. Und die Clara, die kann dann auf sie aufpassen und auf unsere Gören obendrein.« Er feixte.

»Du erinnerst dich noch an Clara?«

»Bin ihr grad begegnet. Hübsch ist sie geworden, aber ob die Maid einen Mann abkriegt, wenn sie bei dir arbeitet …«

Wieder nickte er. »Wird nicht leicht werden, aber noch scheint sie keiner zu interessieren.«

»Kommt schon noch.« Friedl schaute hinauf zum Schmied. »Jetzt hat er’s überstanden.«

»Hast du ihn gekannt?« Hoffentlich sah ihm der Heffner nicht an, dass er mehr wusste, als er zugab.

»Flüchtig. Hab in Egloffstein mit ihm zu tun gehabt. Ich hätt nicht gedacht, dass ausgerechnet der am Galgen endet. Hat immer einen sehr rechtschaffenen Eindruck gemacht.«

»Ja, so kann man sich täuschen«, brummte Frantz und wünschte sich, dass der Kerl verschwand, bevor einer der Räte sich zu ihnen gesellte. Oft hatten sie ihm nach Hinrichtungen noch etwas aufzutragen. Doch nur Augustin gesellte sich zu ihnen. »Da schau her, der Heffner, ich hab’s gar nicht glauben wollen.«

Friedl grinste. »Der Löwe. Grüß dich. Wie geht’s dir? Lässt dich der Frantz recht hart arbeiten?«

»Nur wenn’s viel zu tun gibt.«

»Kommst du noch mit ins Henkerhaus?«, fragte Frantz nun doch, denn alles andere wäre sehr unfreundlich von ihm.

Zum Glück schüttelte der Mann den Kopf. »Ich muss weiter, aber grüß die Maria von mir.«

»Mach ich.« Frantz reichte ihm die Hand, und Friedl versuchte diesmal nicht, sie zu zerquetschen. »Und du grüß mir die Kuni und die Kinder.«

Friedl nickte und schlenderte davon, ganz nah am Vordersten Losunger vorbei. Frantz ertappte sich dabei, wie er seines Schwagers Hände beobachtete. Falls er den mächtigsten Mann Nürnbergs beklaute, könnte er ihn nächste Woche aufknüpfen.

»He, ist das nicht die Schützenmarie?«, fragte Augustin.

Frantz trat einen Schritt näher zu ihm und folgte dessen Blick. »Stimmt, das ist sie.« Friedl sprach mit dem Mädchen, das Frantz vor etwa einem Jahr aus der Stadt ausgestrichen hatte. Dabei hatten sich so viele Menschen durchs Frauentor gedrängt, dass ein paar von ihnen niedergetrampelt worden waren. Im September hatte er ihr dann auch noch die Ohren abschneiden müssen, weil sie erneut mit ihren Freunden gestohlen hatte. »Was mag der Friedl von ihr wollen?«

»Vielleicht einen Teil ihrer Beute, falls sie immer noch räubert?«, raunte Augustin.

»Herr im Himmel. Denkst du wirklich?« Frantz warf ihm einen kurzen Blick zu, konzentrierte sich aber sofort wieder auf die beiden.

»Womöglich macht er ihr ein Angebot, weil er die Ohren gesehen hat. Also, dass sie keine mehr hat, mein ich.«

Frantz nickte. Das Gespräch zwischen den beiden würde er nur allzu gern belauschen.

Nun gesellte sich Stadtknecht Max Leinfelder zu ihnen. »War das der Heffner Friedl?«, fragte er.

»Ja, mein zwielichtiger Schwager. Der wird uns noch Ärger machen.« Er schaute wieder zu Hans Schmied hinauf. Vielleicht hätte er dem Mann doch zuraten sollen, all seine Komplizen zu benennen. Der Stadtrat hätte ein paar Leute zum Schutz von dessen Familie losschicken können. Zu spät. An Max gewandt sagte er: »Ich werd demnächst meine Schwester besuchen.«

Nun huschte hinter dem Leinfelder auch noch Clara hervor. »Das solltet Ihr unbedingt tun.«

»Mit dir hat der Friedl auch geredet?«, fragte er missmutig.

Sie nickte. »Er will immer noch, dass ich als Magd für ihn arbeite.«

Frantz schnaubte. Dieser Lump wollte ihm die Magd abspenstig machen?

»Er meint, ich krieg dann eher einen Mann, als wenn ich für den Nachrichter arbeite.«

»Da hat er möglicherweise sogar recht, aber ich glaube nicht, dass für den noch lange jemand arbeitet.«

»Ich will sowieso nicht heiraten!«, rief Clara aus und eilte davon.

»So was«, sagte Augustin und schüttelte den Kopf. »Da wär sie aber die Erste.«

Frantz atmete tief durch. »Sie weiß halt noch nicht, wie schön es sein kann … aber zum Heffner lass ich sie auf keinen Fall gehen.« Verflucht, der Kerl machte ihm nur Ärger! Langsam schritt er auf seinen Schwager und die Schützenmarie zu. Als hätte Friedl es gespürt, winkte er der Maid zu und machte sich in Richtung Birkenhain davon. Jetzt noch vorsichtiger, um sie nicht zu verjagen, näherte Frantz sich der Tochter des Kinnbarteten Schützen, wie alle den Kürschner nannten. »Marie«, sagte er sanft, sobald er nahe genug stand, um sie notfalls zu packen.

Ihr Kopf schnellte herum. Als sie ihn erkannte, weiteten sich ihre Augen. »Mmmh.« Mehr brachte sie nicht heraus, sah sich panisch um.

Er zeigte ihr beide Handflächen. So könnte er sie auch schneller greifen. »Ich will dir nichts Böses.«

Sie gab einen verächtlichen Laut von sich.

»Was wollte der Friedl von dir?«

Sie nickte Richtung Birkenhain. »Der da?«

Sein Schwager war schon nicht mehr zu sehen, trotzdem bejahte er.

»Hat sich über mich lustig gemacht und gesagt, dass ich mir den Hans Schmied gut anschauen soll, weil ich wohl auch so enden werd, wenn ich mich beim Stehlen so blöd anstell. Dann hat er auf meine Ohren gezeigt und gegrinst.«

Frantz atmete tief durch. »Du bist nicht zu blöd, aber erwischen tun wir früher oder später jeden. Deshalb hoffe ich sehr, dass du dir anständige Arbeit suchst.«

Sie legte ihre Hände über die Ohren. »So? Wer nimmt mich denn? Da habt Ihr saubere Arbeit geleistet, Meister Frantz.« Ihre Augen funkelten vor Wut. »Eines Tages hol ich sie mir vom Ohrenstock zurück!«

»Schütze Kürschner«, rief jemand im Befehlston. Sie sahen sich beide um. Willibald Schlüsselfelder, einer der obersten drei Hauptleute, zweiter Losunger und Vorderster Schöffe, deutete in ihre Richtung und rief: »Jag deine Tochter davon. Der Bann gilt auch hier draußen.«

»Verflucht.« Das Mädchen seufzte. »Darf ich ihn denn nicht wenigstens kurz sehen, mit ihm reden?«

Weil sie davonlaufen wollte, hielt Frantz sie nun wirklich fest. »Vielleicht hat der Ratsherr gerade deswegen deinen Vater losgeschickt, um dich zu verjagen. Warte auf ihn.«

Sie erwiderte sein Lächeln, dann ließ sie den Blick auf seine Hand sinken. »Bringt kein Glück, wenn Ihr mich anfasst, oder?«

Er ließ sie los. »Weiß ich nicht, aber ich wünsch dir recht viel davon, wenn du dich anständig benimmst.«

Tränen stiegen ihr in die Augen, als ihr Vater sie erreichte.

»Maria, du darfst doch nicht einfach herkommen, Kind!«

»Lasst euch ruhig etwas Zeit beim Ausschimpfen«, raunte Frantz und ging zu Willibald Schlüsselfelder.

Der zweitmächtigste Mann Nürnbergs nickte ihm zu. »Ich hätte die Maid gar nicht bemerkt, wenn Ihr nicht zu ihr gegangen wärt.«

»Ich hab sie an den fehlenden Ohren gleich erkannt und wollte ihr noch ein wenig ins Gewissen reden.«

»Tragisch, wenn schon Kinder zu Verbrechern werden. Falls sie mit ihrer Bande noch einmal beim Stehlen erwischt wird, geht’s den Strolchen ans Leben. Wir haben alle Mittel ausgeschöpft.«

Frantz sah sich nach dem Mädchen um. Ihr Vater begleitete sie zum Birkenhain, ganz so, als wollte er sicherstellen, dass sie wirklich verschwand. So hatten sie noch etwas mehr Zeit.

»Der Kürschner dient uns weiterhin gewissenhaft.« Schlüsselfelder schüttelte den Kopf. »Vor dem Mann hab ich großen Respekt und will mir gar nicht vorstellen, wie er leidet.«

Verwundert musterte Frantz den Ratsherrn. Als dieser seinen forschenden Blick bemerkte, lächelte er. »Meine Tochter ist im selben Alter und kaum zu ertragen. Ihr habt ebenfalls eine Tochter, richtig?«

Nun lächelte auch Frantz. »Ja, allerdings ist Margaretha erst gut ein Jahr alt, da sind sie noch leicht zu bändigen.« Wieder schaute er zum Birkenhain und dachte an Kunigundas Töchter. »Ich weiß, Ihr müsst Euch um wichtigere Dinge kümmern, aber ich würde gern meine Schwester in Hiltpoltstein besuchen. Denkt Ihr, ich kann mir Samstag freinehmen?«

Schlüsselfelder zog die Augenbrauen hoch. »Kunigunda?«

Frantz nickte, nicht wirklich überrascht, dass der vorderste Schöffe sich noch an sie erinnerte. Seine Schwester und ihr erster Mann hatten sich dafür eingesetzt, dass Frantz seinen siechen Schwager vertreten durfte. Sonst hätte er vielleicht nie die gute Stellung in Nürnberg bekommen.

»Ich denke, es spricht nichts dagegen, aber fragt lieber die amtierenden Lochschöffen.«

*

Samstag, 1. Februar 1584

Max Leinfelder hielt vor dem Bauhof Ausschau nach dem Nachrichter, während sein Kollege Michel Hasenbart zum Henkerhaus rannte, falls der Mann noch dort war. Heute wollte Meister Frantz nach Hiltpoltstein reiten und seine Schwester besuchen, aber das kam jetzt nicht mehr infrage. Letzte Nacht waren Jugendliche in einige Bürgerhäuser eingebrochen und hatten so viel gestohlen, dass sie allein wegen ihrer schweren Bündel aufgefallen und ertappt worden waren. Da konnte der Nachrichter unmöglich einen Tag freinehmen. Ein Ross hatte er noch nicht aus der Peunt geholt, also sollte Max ihn hier abfangen, außer Michel hatte ihn längst ins Rathaus gebracht und ihm nicht Bescheid gesagt. Fluchend ging er noch einmal zum Anschicker, der sich um die anfallenden Arbeiten kümmerte. »He, Hornbichl!«

»Was willst’n schon wieder?« Der Mann überprüfte gerade die Fachwerkbalken, die im Hof gestapelt lagen.

»Wenn der Nachrichter kommt, sag ihm, dass er im Rathaus erwartet wird. Nach Hiltpoltstein braucht er heute nicht mehr zu reiten.«

»Gut, dann sag ich im Stall auch Bescheid, nicht dass ich den Henker überseh und ihm der Knecht doch ein Ross gibt.«

»Vielen Dank!« Max eilte zum Rathaus. Sein ehemaliger Schützenkumpel Konrad Rumpler stand mal wieder Schildwache, also fragte er ihn: »Ist der Nachrichter schon da?«

Konrad schnaubte. »Jetzt fängst du auch noch an. Bist mindestens der Fünfte heut, der nach ihm fragt.«

»Und?«

»Hab ihn noch nicht gesehen.«

»Mist.« Max seufzte. Er sollte sich beruhigen, schließlich hatte Meister Frantz noch kein Pferd geholt und würde auch keins mehr kriegen.

»Das Gesindel sitzt doch im Loch, also reg dich nicht auf. Ob sich der Nachrichter das Gelichter eine Stunde früher oder später vornimmt, spielt keine Rolle.«

»Hast ja recht.« Er marschierte zum Eingang des Lochgefängnisses. Vor allem wollte er fragen, ob er anstelle von Meister Frantz nach Hiltpoltstein reiten sollte, um bei dessen Schwester nach dem Rechten zu schauen. Der Mann hatte seit der Hinrichtung von Hans Schmied arg unruhig gewirkt und es kaum erwarten können, Kunigunda zu besuchen.

Da entdeckte er Meister Frantz. Mit Michel im Gefolge schlenderte er um die Sebalduskirche herum, und Max eilte zu ihnen. Der Nachrichter schien mit den Kiefern zu mahlen. Seine Barthaare sträubten sich mal hier, mal da.

»Gott zum Gruß. Kann ich irgendwas für Euch tun?«, fragte Max.

Meister Frantz schüttelte den Kopf. »Nein, reite ich eben ein andermal nach Hiltpoltstein. Mein Schwager läuft bestimmt nicht weg. Noch hat er keinen Grund.«

Michel blieb mit Max zurück. Schulter an Schulter sahen sie dem Mann nach, der wohl bald die halben Kinder richten müsste, die sie verhaftet hatten. Sein Kumpel raunte: »Ich möcht ja nicht in seiner Haut stecken.«

Max wollte es sich gar nicht erst vorstellen. »Wie viele sind letzte Nacht erwischt worden?«

»Die zwei Mädel und drei der Buben, aber ein paar sind uns davongekommen.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Edith Parzefall Ritter-von-Schuh-Platz 1, 90459 Nürnberg, [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Edith Parzefall, Design: Kathrin Brückmann

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-1378-5