Obacht: Bunt - Edith Parzefall - E-Book

Obacht: Bunt E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Mit dem Auftrag von Tandonia hofft Druckereichefin Karo Schenkenberg, aus Papier Gold zu spinnen. Das Großunternehmen bietet auch Karos beiden afrikanischen Schützlingen Yaya und Tapha Arbeit. Doch ist nicht alles Gold, was glänzt. Bald schon fliegen Karos Lebensgefährten Martin die Kugeln um die Ohren. Kriegsveteran Hans kommt bei Tandonias Sicherheitsfirma unter und ermittelt verdeckt im braunen Sumpf der Möchtegern-Rockys, die Yaya und Tapha als Punchingbälle benutzen. Voller Spannung, Witz und Kumpelei vereint der dritte Band der Adventure-Trek-Reihe die schillernden Figuren aus "Obacht: Rutschig" und "Obacht: Nass". "Obacht: Bunt" kann unabhängig gelesen werden, doch dann entgehen dem Leser zwei amüsante und spannende Abenteuer.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung und eine Entschuldigung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Über die Autorin

Obacht: Bunt

Adventure Trek 3

Edith Parzefall

Ursprünglich erschienen unter dem Titel Kumpelstilzchen

Copyright © 2014 Edith Parzefall

Überarbeitete Auflage Copyright © 2016 Edith Parzefall

E-Mail: [email protected]

Ritter-von-Schuh-Platz 1, 90459 Nürnberg, Deutschland

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Kathrin Brückmann

Danksagung und eine Entschuldigung

Ich möchte mich herzlich bei meiner Lektorin Kathrin Brückmann von www.lekto-ratio.de bedanken, die auch den Umschlag für mich gestaltete. Außerdem entschuldige ich mich bei allen Kielschnegeln, die sich vielleicht durch meine Wahl des Firmennamens Tandonia auf den Mantelschild getreten fühlen. Alle Figuren, Ereignisse und Firmen in diesem Roman sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, Firmen oder Lungenschnecken sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

Im großen Festsaal des Schloss-Gasthofs mit seinen Kronleuchtern und dem glänzenden Marmorboden kam sich Karo vor wie in einem Märchen, nur klebte der schleimige Kobold Erwin Meister schon die ganze Zeit an ihr wie ein Fliegenfänger. Glücklicherweise war der Schokoladen-Fabrikant nicht länger ihr wichtigster Kunde – seit Tandonia, der große Online-Händler, vor zwei Wochen ihrer Druckerei den Zuschlag gegeben hatte. Wo blieb deren Geschäftsführer wohl?

Karo freute sich sehr, das fünfzigjährige Bestehen der Schenkenberg GmbH unter so vielversprechenden Vorzeichen feiern zu können. Oft genug hatte sie in den zehn Jahren, die sie das Familienunternehmen leitete, Grund gehabt, sich um das Überleben der Druckerei zu sorgen. Wieder spähte sie zum Eingang, und diesmal entdeckte sie Herrn König. Wie immer in einen legeren, aber teuren Anzug gekleidet, sah er sich mit ausdrucksloser Miene um.

Karo wandte sich an Meister. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick. Bin gleich wieder da.« Sie schritt auf den neuen Gast und Tandonia-Geschäftsführer zu. Hoffentlich folgte ihr der Schokozwerg nicht. Es gab hier genügend andere Frauen, über denen er seinen klebrigen Charme ausschütten konnte. Vage meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Meister würde sie nicht einmal ihrer schlimmsten Feindin an den Hals wünschen. Sie riss sich zusammen.

»Herzlich willkommen, Herr König«, begrüßte sie den Neuankömmling lächelnd.

Er deutete beim Händedruck eine Verbeugung an. »Ah, da ist ja die schöne Gastgeberin. Vielen Dank noch mal für die Einladung.«

Neben ihm stand ein Mann in einem Trachtenanzug, den sie erst jetzt als Lindner, den Chef der Sicherheitsfirma, erkannte. Während sie sich noch über seine Aufmachung wunderte, gab sie auch ihm die Hand. »Freut mich, Sie wiederzusehen, Herr Lindner.« Wenigstens war er nicht wieder in der merkwürdigen Uniform erschienen wie zur Besprechung der logistischen Details. Er hatte ausgesehen wie ein zu dicker SEK-Mann, allerdings unbewaffnet, abgesehen von einem Schlagstock am Gürtel.

Eine Bedienung brachte ein Tablett mit Prosecco. Karo und König griffen zu, aber Lindner schüttelte den Kopf. »Nein danke. Bringen Sie mir lieber ein Bier. Weizen.« Sein dunkler Schnurrbart dehnte sich wie eine Raupe, als er eine Grimasse zog, die wohl ein Lächeln sein sollte.

»Bier gibt’s an der Bar«, antwortete die Kellnerin mit kaum merklichem Akzent und wandte sich dem nächsten Grüppchen ohne Getränke zu.

Lindner schnaubte. »Das ist bestimmt eine Polin.«

König runzelte die Stirn, als er seinem Logistik-Partner einen schnellen Blick zuwarf. Dann hob er sein Glas und sah Karo lächelnd in die Augen.

Sie stieß mit ihm an. »Auf eine erfolgreiche, reibungslose Zusammenarbeit.« Sie nahm einen kleinen Schluck des Blubberwassers. Wenn sie mit jedem der fast hundert Gäste anstoßen wollte, sollte sie lieber auf Mineralwasser umsteigen, aber das würde jeder gleich merken.

Aus dem Augenwinkel sah sie Martin in ihre Richtung schlendern. Was hatte ihn bloß geritten, zu ihrer Firmenfeier einen Smoking auszuleihen? Sah verdammt gut aus, aber viel zu elegant für den Anlass. Außerdem kam er ihr richtig fremd vor. Zwei Gäste hatten schon gefragt, ob er Promi sei. Er grinste sie an, als hätte er ihre Gedanken erraten.

»Darf ich Ihnen Martin Sander vorstellen, meinen …« Sie zögerte. ›Freund‹ klang so unverbindlich in ihrem Alter und ›Partner‹ hörte sich nach Geschäften an.

»Bodyguard«, sagte Martin und schüttelte Königs Hand.

»So, so.« Lindner schürzte die Lippen, wobei sich die Bartraupe halb auf den Rücken legte und die Beinchen ausstreckte.

Feixend hielt ihm Martin die Hand hin, doch Lindner versuchte, ihm einen Schlag in den Magen zu versetzen. Martin packte sein Handgelenk und drehte ihm den Arm auf den Rücken. »In den Kerker mit ihm, Frau Schenkenberg?«, fragte er mit gespielt bedrohlicher Stimme.

»Bitte nicht in den Kerker. Es tut mir leid«, wimmerte Lindner, wobei sein Bauch vor unterdrücktem Lachen zuckte.

Karo verdrehte die Augen, konnte aber selbst kaum noch an sich halten. König beugte sich zu ihr. »Es ist unglaublich schwer, gutes Personal zu bekommen.«

Sie stieß einen Seufzer aus. »Wem sagen Sie das. Sollen wir alle beide in den Kerker sperren lassen?«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Ihr Kerker oder unserer?«

Karo prustete los und brachte kaum die Worte hervor: »Vielleicht können wir sie ja hier im Auge behalten. Aus, Martin!«

Mit einem enttäuschten Stöhnen ließ Martin den Arm des Mannes los.

»Danke, Gnädigste.« Lindner verbeugte sich und reckte sofort den Hals. »Wo gibt’s denn jetzt das Bier?«

Martin schlug ihm auf den Rücken. »Folgen Sie mir unauffällig, ich bringe Sie zur Quelle.«

* * *

Martin setzte sich neben den Trachtler auf einen der Barhocker und bestellte ein Pils. Lindner rümpfte die Nase und verlangte Weizen. Ein komischer Kauz, dachte er, aber ganz amüsant.

»Also, was machen Sie wirklich?«, fragte Lindner. »In den Klamotten schauen Sie aus wie ein Schauspieler.«

Martin lachte. »Stuntman trifft’s eher. Ich leite Adventure Treks, veranstalte Teambuilding-Events, Überlebenstrainings oder auch ganz normale Bergtouren.«

Endlich wurden die Gläser vor sie hingestellt. Sie stießen an und tranken.

Lindner leckte sich den Schaum aus dem buschigen Schnurrbart und schnaubte dann verächtlich. »Immer alles auf Englisch. Gibt doch auch deutsche Wörter dafür.«

»Okay, Abenteuertouren geht auch, aber Tour ist ja wieder kein deutsches Wort. Und wie übersetzen Sie Teambuilding?«

Lindner hob das Kinn und schaute ihn von der Seite an. »Abenteuerwanderungen zur Stärkung des Mannschaftsgeistes oder Zusammengehörigkeitsgefühls. Und, hört sich doch gut an?«

Martin unterdrückte krampfhaft ein Lachen. Meinte der Vogel das ernst? »Respekt, Herr Lindner. Aber Englisch verkauft sich heutzutage einfach besser.«

»Geld ist nicht alles«, grunzte der Deutschtümler. »Ich hab Ihren Prospekt bei Schenkenberg gesehen. Hat mir gut gefallen, dieser Bergsteiger auf dem Gipfel. Sehr heroisch.«

Plötzlich saß Martin ein Kloß im Hals. Vielleicht hatte Karo recht, und sein Logo sah wirklich zu sehr nach Nazi-Propaganda aus. »Freut mich, dass er Ihnen gefällt. Vielleicht wollen Sie ja mal mit auf eine Tour … ähm Wanderung.«

Lindner grinste. »Sie lernen schnell, junger Mann, aber ich glaube, ich bin schon zu alt für so was. Allerdings könnten wir unsere Sicherheitsleute mal auf so ein Überlebens … Training schicken. Sakra, wie kann man denn ›Training‹ auf Deutsch sagen?«

Martin erlaubte sich nur ein Schmunzeln. »Den Fußball-Trainer gibt’s schon seit hundert Jahren, den werden wir nicht mehr los. ›Sacra‹ ist übrigens lateinisch, glaub ich.«

»Schmarrn, des kommt von Sackl Zement.« Lindner lachte, dass die Wampe wackelte.

Martin lächelte, bis der Kerl sich beruhigt hatte, dann wechselte er lieber das Thema. »Wozu braucht Tandonia Sicherheitsleute?«

»In den Auslieferungslagern. Ist ja schon einiges wert, der Krempel. LinSek, meine Firma, ist nur Sub-Unternehmer. Wir kümmern uns um die Lagerhaltung, Versand, Logistik, das alles. Ohne uns wären die nur eine Seite im Netz.«

»Hab noch nie darüber nachgedacht, was passiert, wenn ich im Internet den Bestellknopf drücke.«

Lindner nickte. »Das tun die wenigsten. Kein Wunder, dass der deutsche Einzelhandel ausstirbt. Immer geht’s nur ums Geld, Herr Adventure Trekker.«

»Bin ich jetzt auch noch am Untergang der deutschen Wirtschaft Schuld, nicht nur an der Sprachverwahrlosung?«

Der Dicke schlug ihm lachend auf den Rücken. »Dafür sind Sie ein viel zu kleiner Fisch. Aber man kann sich auch nicht gegen alle Neuerungen sträuben, sonst bleibt man auf der Strecke. Fürs Weihnachtsgeschäft kommen wieder jede Menge Saisonarbeiter aus dem Ausland. Deshalb müssen wir auch unsere Sicherheitsmannschaft aufstocken. Die Neulinge könnten wir dann gleich mit ein paar der alten Hasen auf eine … Obacht!« Er hob den Zeigefinger. »… Abenteuerwanderung zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls schicken. Überlebensübungen, ha ha, kommen dann später.«

»Immer her mit den Frischlingen.« Einen Kommentar, dass ›Saison‹ aus dem Französischen stammte, verkniff Martin sich lieber. Geschäft war Geschäft.

Lindner grinste und reichte ihm eine Visitenkarte. »Erst müssen wir noch ein paar fähige Leute auftreiben, aber ich werd mich bei Ihnen melden. Wie viel Rabatt gibt’s denn?«

Martin schüttelte mit geheucheltem Abscheu den Kopf. »Es geht doch immer nur ums Geld.«

Lindner hob das Glas. »Sag ich doch.«

Ob Tandonia vielleicht Arbeit für Yaya hätte, wenn auch nur bis Jahresende? Aber wollte er den afrikanischen Flüchtling wirklich unter der Fuchtel dieses Deutschtümlers sehen? Der Preis könnte verdammt hoch ausfallen. Trotzdem könnte Karo ja mal bei König anfragen. Er sah sich nach ihr um. Oh je, sie wurde schon wieder von Meister belagert. Kein Wunder, im kurzen Schwarzen und mit dezentem Make-up sah sie umwerfend aus. Er schmunzelte bei dem Gedanken, dass sie den Mann mal schleimige Kröte geschimpft hatte. Er sollte sie wohl besser loseisen, bevor sie den Großkunden erneut vergraulte, sie von hinten umschlingen, das Gesicht in ihren Kastanienlocken vergraben und sehen, wie der Sack darauf reagierte. Aber das konnte gefährlich für ihn werden, wenn er sich nicht vorher zu erkennen gab. Eine derart aufgetakelte Karo konnte man glatt für ein sanftes Weibchen halten. Jeder Trottel, der darauf hereinfiel, sollte sich auf eine Überraschung gefasst machen.

* * *

»Ach, Frau Schenkenberg, manchmal glaube ich, Sie nehmen mir immer noch übel, was damals in meinem Porsche passiert ist.« Meister legte seine Hand auf ihren nackten Arm.

Karo unterdrückte ein Stöhnen und ließ ihren Arm so unauffällig wie möglich vom Stehtisch hinabsinken, sodass auch seine feuchtwarme Pfote abrutschte. »Ich suche mir gerne selbst die Männer aus, von denen ich mich begrapschen lasse.«

»Männer? Mehrzahl?« Seine Pupillen weiteten sich, seine Zunge glitt über seine schmalen Lippen.

Sie legte den Kopf schief und betrachtete den Schokoladen-Fabrikanten, der Anfang sechzig sein mochte. Igitt. »Ja, Männer. In zeitlicher Abfolge.«

»Keine flotten Dreier?« Er zog die Augenbrauen hoch.

Der alte Schwerenöter meinte es offensichtlich ernst! Sie wollte ihm gerade eine Beschimpfung an den Kopf schmeißen, als Martin neben ihnen auftauchte und schmunzelte wie ein Schoko-Osterhase aus Meisters Sortiment.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Herr Meister, ich möchte Ihnen Martin Sander vorstellen, meinen –«

»Haremsvorsteher«, warf er ein, obwohl sie diesmal genau gewusst hätte, wie sie ihn bezeichnen sollte, nämlich als ihren Lebensgefährten.

Meister fiel die Kinnlade bis zum Anschlag runter, aber er erholte sich schnell und kicherte. »Und Sie bringen ihr immer einen Lustknaben nach dem anderen?«

Martin fletschte die Zähne in einem wölfischen Grinsen. »Gewöhnlich ist Frau Schenkenberg zu erschöpft, nachdem sie mich vernascht hat.«

Karo drehte sich lieber um und machte, dass sie wegkam, bevor sie sich vor Lachen nicht mehr einkriegte. Nur gut, dass sich Martin nicht an ihre Anweisung hielt, keine dummen Sprüche zu klopfen. Das könnte Meister für den Rest des Abends den Mund stopfen. Trotzdem flüchtete sie sich zu Franz, ihrem Vertriebsleiter, der sich gerade mit ihrem Schwager Ralf unterhielt, und klagte ihm ihr Leid. »Ich ertrage es nicht länger, Franz. Wenn sich Meister noch mal an mich heftet, musst du ihn mir vom Hals schaffen. Operativ entfernen, wenn’s nicht anders geht. Schließlich haben wir es dir zu verdanken, dass er immer noch bei uns bestellt.«

Franz lächelte unsicher. »War das jetzt ein Vorwurf oder nicht?«

»Oder nicht, aber du musst auch die Verantwortung für deine Heldentaten übernehmen.«

»Der Fluch der guten Tat.« Ralf lachte auf. »Keine Sorge, Karo, wir werden einen Schutzwall um dich bilden. Da kommt die schleimige Kröte niemals durch.«

Sie wagte nicht, über die Schulter zu blicken. »Ist Martin immer noch bei ihm?«

Ralf nickte. »Oh ja, und er scheint sich prächtig zu amüsieren.«

»Gut, dann amüsiert sich Meister umso weniger.« Sie atmete auf. »Wo ist dein holdes Weib?«

Ihr Schwager lachte. »Kommt gerade angelaufen. Ich glaube, Jenny hört alles.«

»Ich bin ja wirklich froh, dass deine Mutter doch auf eure drei Racker aufpassen konnte. Mit der kleinen Raphaela hat Oma bestimmt alle Hände voll zu tun.«

»Karo, da bist du ja!« Jenny umarmte sie.

»Schön, dass du’s auch geschafft hast. Wie geht’s den Kindern?«

Jenny atmete tief durch. »Alles paletti. Unter großmütterlicher Aufsicht benehmen sich Tommy und Lina wenigstens mal. Ela schläft hoffentlich schon.«

»Das hört sich doch gut an.« Seit Jenny das Baby hatte, war sie richtig aufgeblüht, schien ganz in ihrem Element.

»Am Wochenende müsst ihr unbedingt mal wieder vorbeikommen.«

»Klasse Idee«, unterstützte Ralf den Vorschlag seiner Frau. »Ich koche uns was Feines. Aber jetzt kümmere dich lieber wieder um deine Gäste. Wir sind ja immer da.«

Karo ließ den Blick schweifen. Sebastian, ihr Stellvertreter bei Schenkenberg, unterhielt sich gerade mit König. Gut so. »Gleich sollte das Essen bereit sein. Es gibt keine Sitzordnung. Passt auf, dass sich Meister nicht neben mich setzt, okay? Sonst verlieren wir ihn doch noch als Kunden.«

Jenny schmunzelte. »Keine Sorge. Falls deine Ritter zu langsam reagieren, werfe ich mich an seine Brust.«

Ralf nahm ihren Arm und zog sie zu sich. »Was willst du machen, du liederliches Weib?«

»Karo schützen und die Firma gleich mit.« Sie zwinkerte ihm zu.

Franz lachte. »Wird Zeit, dass du wieder arbeitest. Ohne dich ist es viel langweiliger.«

»Aber Ela ist doch noch so klein.« Sie sah Franz zerknirscht an.

Karo legte eine Hand auf ihren Rücken. »Lass nur, deine Tochter ist erst mal viel wichtiger.« Klar vermisste auch sie ihre ehemalige Assistentin, aber sie hatte Jenny aus guten Gründen mit Ralf verkuppelt.

* * *

Jenny genoss es, ihre Ex-Kollegen in feierlicher Atmosphäre wiederzusehen. Als Mutter eines acht Monate alten Säuglings und Stiefmutter von Ralfs beiden Kindern aus erster Ehe mit Karos verstorbener Schwester kam sie nicht mehr viel unter Leute – jedenfalls nicht ohne Anhang. Beim Essen saß sie zwischen Franz und Ralf, gegenüber von Karo, die sich angeregt mit König unterhielt. Endlich sah sie den Tandonia-Chef mal in echt, nicht nur ein Foto auf der Webseite. Martin schirmte Karos andere Seite gegen Meister ab und schien bester Laune.

»Wann fängst du wieder an zu arbeiten?«, fragte Franz.

Jenny lächelte ihn an, obwohl ihr der Gedanke gar nicht gefiel. »Vielleicht in ein paar Monaten, sobald Ela in die Kita kann.«

»Ich freu mich schon, wenn ich wieder beim Betreten der Firma als Erstes dein Gesicht sehe.«

Jetzt schaltete sich Ralf ein. »Muss ich mir Sorgen machen wegen diesem Casanova?«

Franz legte das Besteck beiseite und hob beide Hände. »War rein freundschaftlich gemeint, Ralf.«

Jenny grinste und lehnte sich zu ihrem Mann. »Das sagt er nur, weil du dich sonst bei seiner Chefin beschwerst.«

»Und dir gefällt’s, wenn ich eifersüchtig werde.«

»Klar, warum sonst würdest du Franz verdächtigen?«

»Natürlich nur, um dich glücklich zu machen.« Ralf nahm ihre Hand und küsste sie.

Franz stöhnte. »Hört auf, da tropft schon das Schmalz auf den Boden. Am Ende rutscht noch jemand aus.«

»Na, wenn das ein Vertriebler sagt, muss es wirklich schlimm sein.« Ralf wandte sich wieder seinem Teller zu. »Ihr dürft weiterflirten.«

»Wie großmütig, mein Göttergatte.« Eigentlich war Ralf kein eifersüchtiger Typ, bis auf … Hatte er damals auf Teneriffa wirklich geglaubt, dass etwas zwischen ihr und Martin gewesen war? Heute stritt er natürlich alles ab. Sie lächelte und blinzelte ihm zu.

»Hör auf deinen Mann und flirte mit mir, Jenny. Ich werde auch nicht jünger. Da kommt so was nicht mehr so oft vor.«

Sie wandte sich an Ralf. »Muss ich später auch noch mit ihm tanzen, mein Herr und Meister?«

Ralf schob sich genüsslich eine Garnele in den Mund. »Das erspare ich dir, wenn du schön brav bist.«

»Was ist mit mir?«, rief der Schokoladenmann von der gegenüberliegenden Seite des Tisches.

Oh je, an den hatte sie nicht gedacht, als sie Ralf ihren Meister nannte. »Ich meinte gerade, dass Sie unser liebster Kunde sind.« Ihr Blick huschte zu Karo, die sich mühsam ein Grinsen zu verkneifen schien. Jenny plapperte weiter: »Da wird sich Tandonia anstrengen müssen, genauso viel Aufmerksamkeit zu bekommen.« Ach du Schande, gleich redete sie sich um Kopf und Kragen.

König wischte sich mit der dicken Stoffserviette über den Mund, lehnte sich zurück und sah sie an. »Ich bin mir sicher, wir werden uns ausreichend Aufmerksamkeit verschaffen können.«

Jennys Wangen glühten, aber der Mann schien nicht verärgert, nur unheimlich selbstgefällig.

Karo strich sich eine Locke hinters Ohr. »Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Wir werden schuften und knechten müssen, um alle Bestellungen zu bewältigen.«

Übertrieb Karo, oder würde es tatsächlich heftig werden? Vielleicht sollte sie doch früher wieder anfangen zu arbeiten, aber wer kümmerte sich dann um Ela? Fremde Menschen? Jenny schauderte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Ralf.

Sie strahlte ihn an. »Natürlich, ich werde ja nicht schuften und knechten müssen.«

»Reib’s uns nur rein«, murmelte Franz.

* * *

Karo atmete tief durch, als sie nach der Feier mit Martin ins Freie trat. Der Hof war mit Girlanden, Lampions und Schenkenberg-Plakaten geschmückt. Der Anblick erfüllte sie wieder mit Stolz. Ein wirklich schöner Abend, aber nun war sie völlig erledigt. Meister war kaum noch auf zwei Meter an sie herangekommen, und beim Essen hatte sie ganz entspannt König besser kennenlernen können. Ein angenehmer Mensch. Sie hätte sich den Chef von Tandonia arroganter vorgestellt.

Sie küsste Martin auf die schon wieder leicht stoppelige Wange. »Danke, dass du mir mit deinen dummen Sprüchen Meister vom Hals gehalten hast.«

Er lächelte sie an und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Gut, dass niemand weiß, dass ich in Wirklichkeit dein Hofnarr bin.«

Lachend drückte sie sich an ihn. »Bring mich nach Hause, du Narr.«

Martin strich sich mit den Fingern durch seinen ungewohnt eleganten Kurzhaarschnitt. »Ich bin eine Simulation, weiß aber nicht genau, wovon.«

»Such’s dir aus, James Bond, FBI-Agent, Man in Black.«

Er grinste. »Cool, lass uns Außerirdische jagen. Aber in deinem kurzen Schwarzen hast du ein ziemliches Handicap. Ich bring dich erst mal nach Hause.« Er legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie in Richtung der drei Taxis, die vor dem Eingang auf die letzten Gäste warteten. Gleich durfte sie alle viere von sich strecken. Zwei Fahrer standen im Freien und unterhielten sich. Einer rauchte. Die schlaksige Gestalt des anderen mit den schulterlangen schwarzen Haaren kam ihr bekannt vor. Ihre Schritte wurden langsamer. Martin sah sie an. »Was ist?«

»Der Taxifahrer da …«

Er folgte ihrem Blick. »Hey, das ist doch … der Apache auf Kriegspfad.«

»Nicht mehr, hoffe ich.« Sie ging nun schneller und blieb ein paar Meter vor Hans stehen. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, drehte sich wieder zu seinem Kollegen und erstarrte. Dann wirbelte er herum. »Karo?«

»Ja. Schön, dich zu sehen, Hans.«

Er strahlte sie an. Dann wanderte sein Blick weiter, und seine Gesichtszüge froren ein. »Und Martin. Hallo.«

»Hallo, großer Krieger, wie geht’s deiner Squaw?«, fragte Martin mit süffisantem Unterton.

Hans’ Nüstern blähten sich auf. »Immer noch gut, seit sie dich los ist.«

Karo stöhnte auf. »Ganz ruhig, Jungs. Das haben wir ja wohl alles vor zwei Jahren geklärt. Fährst du uns nach Hause oder lieber nicht?«

Hans zuckte mit den Schultern. »Fahrgast ist Fahrgast.« Er winkte seinem Kollegen zu und öffnete die Tür zum Fond des Mercedes. Karo stieg ein. Zu ihrer Überraschung setzte sich auch Martin auf den Rücksitz, obwohl er sonst den Beifahrersitz bevorzugte, ganz so, als wolle er Abstand zum Ehemann seiner Ex-Freundin wahren oder ihn besser im Auge behalten.

Sie nannte Hans ihre Adresse und fragte dann: »Und, wie geht’s dir so?«

»Wie soll es mir schon gehen? Ich fahre immer noch Taxi. Die Bezahlung ist ganz in Ordnung, vor allem heute Nacht, wenn man haufenweise reiche Säcke einsammeln kann, die großzügig Trinkgeld springen lassen. Irgendwie kam mir der Name Schenkenberg die ganze Zeit schon bekannt vor, aber auf dich bin ich nicht gekommen.«

»Würdest du denn lieber was anderes machen?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon aus seinem Tonfall herausgehört hatte.

Er bog rechts ab und blickte kurz zu Martin, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Ich verplempere meine Zeit, aber für einen ehemaligen Bundeswehrler gibt’s nicht so viele Jobs.«

Martin räusperte sich. »Ich kenn da eine Sicherheitsfirma, die noch Leute sucht. Vielleicht wär das was für dich.«

Hans schwieg. Überrascht sah Karo Martin an. Sie hätte nicht erwartet, dass er Hans Hilfe anbieten würde, nachdem dieser ihn damals von der Straße abgedrängt hatte, um vor Martin zu seiner Frau zu gelangen.

Als er vor ihrem Haus hielt, drehte sich Hans im Sitz herum und sah Martin an. »Meinst du das ernst?«

»Klar.«

»Trotz allem …?«

Martin schnaubte. »He, du hast Jo immer noch nicht abgemurkst, also kannst du gar nicht so irre sein.«

»Wir sollten mal zu viert essen gehen, dann kannst du dich davon überzeugen, dass Jo noch lebt.« Die Worte waren Karo herausgerutscht, bevor ihr bewusst wurde, wie bizarr die ganze Situation war. Martin hatte damals eine Affäre mit Hans’ Frau, die sich zu der Zeit noch von ihm scheiden lassen wollte. »Vielleicht lassen wir das doch lieber.«

Schmunzelnd legte Martin eine Hand auf ihren Schenkel. Mit der anderen reichte er Hans eine Visitenkarte. »Wenn du interessiert bist, ruf da an und verlange, einen Herrn Lindner zu sprechen. Sag ihm einen schönen Gruß von mir.«

Hans nahm die Karte. »Und du bist sicher, dass er nicht gleich den Hörer aufknallt, wenn ich deinen Namen erwähne?«

Martin lachte. »Könnte passieren.«

Kapitel 2

Hans konnte es kaum fassen. Ein Clown wie Martin verschaffte ihm doch tatsächlich einen besseren Job.

Lindner erhob sich und streckte die Hand aus. »Sind wir uns einig?«

Auch Hans stand auf und schlug ein. »Wann soll’s losgehen?«

»Zum 1. Oktober, wenn’s recht ist. Den Vertrag schicken wir spätestens morgen raus.«

»Kein Problem.« Noch gut zwei Wochen.

»Sehr schön, dann zeig ich Ihnen mal alles.« Der Mann schritt voraus, und Hans fragte sich, ob er auch so eine dämliche Uniform tragen müsste. Die Dinger sahen so aus, als hätten sie die aus Restbeständen einer Kostümschneiderei fürs Fernsehen billig erworben und dann den Firmennamen aufgenäht. An Lindners Gürtel hingen Schlagstock, Taschenlampe und Handschellen, die klapperten, als sie den finsteren Korridor entlangschritten. Der kam sich bestimmt sehr mächtig vor. Nach allem, was er gehört hatte, würde er zum Glück nicht viel mit dem Popanz zu tun haben. Er konnte sich auf geregelte Arbeitszeiten und ein anständiges Gehalt freuen. Jo war völlig aus dem Häuschen gewesen, hatte gleich Martin anrufen und sich bedanken wollen, als man ihn zum Vorstellungsgespräch einlud. Er dagegen hatte noch Zweifel gehabt, ob er die Stelle tatsächlich bekommen würde.

Sie betraten eine Art Aufenthaltsraum, dessen eine Wand komplett aus Glas bestand. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine kleine Küchenzeile. Durch die Scheibe konnte man die Lagerhalle überblicken. Erst als Hans näher ans Fenster trat, wurden ihm die Dimensionen des Komplexes klar.

Ein junger Kerl erhob sich von seinem Beobachtungsposten und nickte ihnen zackig zu. Fehlte nur noch, dass er die Hacken zusammenschlug.

Lindner nickte zurück und verkündete: »Das ist Hans Moosburger. Er wird nächsten Monat bei uns anfangen.«

Hans reichte seinem künftigen Kollegen die Hand.

»Schmiedl. Freut mich, dass wir so schnell Verstärkung kriegen.«

Lindner seufzte. »Ich weiß, ich weiß. Ich hab euch schon früher mehr Personal versprochen, aber es ist nicht einfach, gute Leute zu finden. Wenn wir mehr Kandidaten wie ihn hätten …« Er zeigte mit dem Daumen auf Hans. »Der Mann war bei der Bundeswehr. Im Kriegseinsatz!«

Schmiedl zog die Augenbrauen hoch. »Afghanistan?«

Hans nickte knapp. Darüber wollte er mit diesen Leuten nur ungern sprechen.

»War bestimmt heftig. Da wird die Arbeit hier vergleichsweise eintönig werden.«

Er wagte ein Lächeln. »Soll mir recht sein.«

Lindner gluckste. »Kein Mann kann immer ein Held sein.«

Hans öffnete den Mund, verkniff sich aber gerade rechtzeitig eine Bemerkung, die seinem zukünftigen Chef sicher nicht gefiele. Heldentaten hatte er keine vollbracht. Aber vielleicht fand der Dicke es ja bewundernswert, halbe Kinder zu erschießen, wie er es hatte tun müssen.

Schmiedl drehte sich weg, als wolle er sich seine Reaktion nicht ansehen lassen. »Von hier aus hat man einen guten Überblick, sieht aber nicht wirklich, was da unten abgeht. Also, wenn sich einer von denen einen neuen Rasierer greift oder einen Laptop mitgehen lässt.«

»Klapprechner«, unterbrach Lindner.

Verdutzt betrachtete Hans den Mann. »Einen was?«

»Einen Klapprechner. Warum nicht deutsche Wörter benutzen?«

»Natürlich, Chef.« Schmiedls Mundwinkel zuckten. Hans konnte nicht abschätzen, ob der Mann lachen oder weinen wollte. Vielleicht wusste er es selbst nicht, denn er sprach schnell weiter: »Dann zeig ich Ihnen mal unsere Überwachungszentrale.«

»Tun Sie das, Schmiedl, und ich werde mich wieder an die Arbeit machen. Wir sehen uns am Ersten, Herr Moosburger. Rufen Sie mich an, wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben.«

»Vielen Dank.« Erleichtert ließ Hans den komischen Vogel stehen und folgte Schmiedl. Wahrscheinlich hatte Martin Sander sich ins Fäustchen gelacht, als er ihm den Tipp gab, sich hier zu bewerben. Trotzdem, einen Versuch war’s wert. Plötzlich schmetterten die Töne einer Arie durch den Gang. Schmiedl bleckte die Zähne. »Er ist Wagner-Fan. Hat seine arme Tochter sogar Kriemhild getauft.« Sowie sie um die nächste Ecke gebogen waren, verlangsamte Schmiedl seine Schritte und grinste ihn an. »Der Alte ist etwas komisch, aber harmlos.«

Hans lachte. »Das beruhigt mich.«

»Trotzdem solltest du dich schon mal drauf einstellen, dass er dich über den Krieg ausfragen wird. Je grausiger die Geschichten, desto besser.«

Da verging Hans das Lachen. »Er hätte ja selbst in den Krieg ziehen können.«

»Nee, zu jung für den Zweiten Weltkrieg, und beim Bund war zu seiner Zeit noch nix mit Kriegseinsatz.«

»Echt tragisch.«

Schmiedl schlug ihm auf den Rücken. »Ich seh schon, wir werden uns gut verstehen. Gehst du zum Fußball? Ich meine ins Stadion, nicht nur in die nächste Sportsbar, ähm Sportschaukneipe.« Er feixte.

Hans schüttelte den Kopf. »Da ist mir meistens zu viel Krawall.«

»Das macht’s doch erst interessant.«

Das konnte ja heiter werden. Ein Chef mit Faible für Krieg und ein Fußballrowdy, der sich darüber lustig machte. Wenigstens trugen die Kerle keine Schusswaffen.

* * *

Martin freute sich, wieder auf Teneriffa zu sein. Die Insel würde für ihn immer ein besonderer Ort sein – im Guten wie im Schlechten. Schade, dass Karo sich nicht von der Firma hatte loseisen können, aber wenigstens würde er Yaya wiedersehen. Doch erst musste er sich um das Paar kümmern, das vielleicht die Finca mieten wollte. Gerade kamen sie aus dem Garten zurück ins Wohnzimmer. Die Frau sprach ihn an: »Toll, wie verwildert der Garten ist.«

Martin wollte gerade eine Entschuldigung für seine Nachlässigkeit vorbringen, als er merkte, dass sie strahlte, es also offensichtlich ernst meinte. Er lächelte zurück. »Ja, man kommt sich beinah wie in freier Natur vor, allerdings mit Whirlpool statt Tümpel.« Er führte das deutsche Paar die Treppe hoch und zeigte ihnen die Zimmer im ersten Stock. Die Finca hatte er von seinem Vater geerbt. Martin schnaubte, wie meist, wenn er an den Mann dachte. Den Saftsack konnte man eigentlich nur seinen Erzeuger nennen, nachdem er sich aus dem Staub gemacht und seine Familie im Stich gelassen hatte. Bei einer Bergtour in Nepal war einer seiner Kletterkumpanen tödlich verunglückt, woraufhin Väterchen die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und dessen Identität angenommen hatte. Zwei Fliegen mit einer Klappe für Conrado Santos: Martins Mutter glaubte ihren Mann tot, und der Alte konnte den Besitz des Verunglückten übernehmen, eben diese Finca. Es war wohl verspätete Reue, dass der feige Hund ihm das Haus nun vererbt hatte. Egal. Martin wandte sich wieder seinen Gästen zu.

Die Frau trat auf den Balkon des großen Schlafzimmers. »Ist wirklich wunderschön hier. Wir wollen auf der Insel des ewigen Frühlings überwintern.«

»Kann ich nur empfehlen.« Er lächelte. Für ihn war das Sommergeschäft hier sowieso bald vorbei. Ab November würde die Skisaison langsam losgehen, und da spielte die Musik in den Alpen. Umso besser, wenn das Haus nicht leer stand und er sich nicht regelmäßig darum kümmern musste. Dazu noch die Kohle – zwei Fliegen mit einer Klappe auch für ihn. Sie wurden sich schnell über den Mietpreis für Haus und Wagen einig, und Martin überreichte ihnen die Zweitschlüssel.

Er fuhr hinunter zur Küste nach Puerto de la Cruz. Inzwischen verirrte er sich trotz all der Einbahnstraßen kaum noch. Als er auf den Hof des Autoverleihs bog, wusch Yaya gerade einen Wagen. Der junge Senegalese beachtete ihn nicht, bis er aus seinem Suzuki Geländewagen stieg und die Tür zuschlug. Da blickte Yaya auf und kam angelaufen. »Holá, Martin!«

Er umarmte ihn und stellte zu seiner Überraschung fest, dass der Bursche schon fast so groß war wie er selbst. »Hallo, Kumpel. Wie geht’s?«

»’Allo Kumpel. Wie geht’s?«, wiederholte Yaya mit französischem Akzent. »Kumpel gut, ja?«

»Ja, Kumpel ist fast so gut wie Freund.« Martin zwinkerte ihm zu. »Ich werde mal mit deiner Chefin reden.«

Yaya runzelte die Stirn. Sein Deutsch ließ noch zu wünschen übrig, obwohl er seit seiner Ankunft auf der Insel vor über einem Jahr nicht nur Spanisch-, sondern auch Deutschkurse besuchte. »Probleme?«, fragte er. »Ich? Mich?«

Martin lächelte. »Nein, ich will nur Celia besuchen.«

Yaya nickte. »Besuchen gut.« Er lief zurück zum Auto.

Als Martin das Büro betrat, hing Celia mal wieder an der Strippe, verabschiedete sich aber schnell von einer Freundin und sprang auf. »Martin! Schön, dass du wieder da bist.«

Sie umarmte ihn, und er küsste sie pflichtschuldig auf beide Wangen.

»Wie geht’s dir? Und wie läuft’s mit Yaya? Was machen die Geschäfte?«

Sie zog die Mundwinkel nach unten. »Das Geschäft läuft nicht so toll. Im September lässt es zwar immer nach, aber dieses Jahr ist es echt übel. Die Luxus-Autos gehen fast gar nicht mehr, kosten aber ordentlich Unterhalt.« Sie trat an die Scheibe und blickte in den Hof zu Yaya. »Ich weiß nicht, wie lange ich den Jungen noch beschäftigen kann. Er hat ja bei seiner Mechaniker-Lehre in Dakar nicht wirklich viel gelernt, wobei er sehr geschickt darin ist, alles irgendwie zu flicken, aber das genügt europäischen Sicherheitsvorschriften nun mal nicht.«

»Verstehe.« Es wunderte ihn nicht wirklich. Vielleicht sollte Karo doch bei Tandonia wegen Arbeit für Yaya anfragen.

»Was er hier verdient, reicht auch kaum zum Leben, aber wenigstens darf er durch die Arbeit in Europa bleiben, jetzt, da er volljährig ist.«

Martin schlug sich an die Stirn. »Oh verdammt, ich hab seinen Geburtstag vergessen.«

»Du schon, aber Jenny nicht.« Celia strahlte. »Yaya hat sich sehr gefreut.«

»Na, der Bursche hat schließlich Jenny aus dem Meer – oder vielmehr aus einem kaputten Boot – gefischt, da ist eine Karte zum Geburtstag ja wohl das Mindeste.«

»Von wegen Karte. Sie und Karo haben ihm die Fahrschule spendiert.«

»Fahrschule? Hier? Hat er die Prüfung schon abgelegt?«

»Nächste Woche. Was guckst du denn so betreten?«

Martin schnaubte. »Ich hab mir gerade überlegt, ihm Arbeit in Deutschland zu besorgen, aber mit dem spanischen Inselführerschein befindet er sich auf unseren Straßen in Lebensgefahr – und nicht nur er.«

Celia lachte und boxte ihn in die Schulter. »Du machst doch Survival-Training, also stell dich nicht so an.«

Er blies die Backen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen. »Wenn du das sagst … Kann ich ihn für ’ne Stunde entführen, mit ihm was essen gehen?«

»Aber sicher. Geht spielen, ihr zwei.«

Martin trat nach draußen, konnte Yaya aber nicht sehen, also pfiff er auf zwei Fingern. Mit lässigen Bewegungen kam das Bürschchen angeschlendert. »’Allo, Kumpel.«

»Gehen wir was essen.«

»Mir geht’s gut.«

Martin lachte. »Gehst du überhaupt in den Deutschunterricht?«

»Einmal Woche. Nicht viel.«

»Dann reden wir eben Spanisch, Faulpelz. Hättest du Lust, ein paar Monate in Deutschland zu arbeiten?«

Yaya ballte die Hände zu Fäusten und streckte beide Daumen hoch. »Jetzt?«

»Noch nicht, aber hoffentlich bald. Lass uns was essen.«

»Ich weiß wo. Ein Restaurant, da arbeitet Tapha in der Küche. Darf der auch mit nach Deutschland?«

Martin atmete tief durch. »Nur, wenn er keinen Führerschein hat.«

Yaya grinste. »Nein, aber ich ganz bald. Danke, Jenny. Ma sœur, hermana, sister, Schwester.«

»Gib nicht so an mit deinen vielen Fremdsprachen. Lern erst mal eine richtig.«

Ein Schwall Französisch ergoss sich über ihn. Typisch. Die Sprache, die er selbst nicht konnte, beherrschte der Frechdachs wie seine Muttersprache. Na ja, wenn er auf Arabisch oder Wolof loslegte, könnte Martin nicht mal mehr raten. Er boxte ihn leicht in den Magen. Yaya sprang auf seinen Rücken und nahm ihn in den Würgegriff. »Danga doff.«

Martin packte den dünnen Arm und torkelte grunzend zum Grünstreifen neben dem Parkplatz, während Yaya irgendwas plapperte, das nicht mehr nach Französisch klang. Er beugte sich vor und warf den Rotzlöffel schwungvoll ins Gras. Der lachte nur und rollte sich auf den Rücken. Martin stellte seinen Fuß auf die Brust des Jungen. »Sprichst du jetzt Deutsch mit mir?«

Glucksend schüttelte Yaya den Kopf.

»Na warte, Bürschchen. In Deutschland versteht keine alte Sau Französisch oder dein Molotow.«

»Wolof.«

»Wuff, Wuff?« Martin zog ihn auf die Beine, obwohl der Junge sich schon wieder vor Lachen krümmte. »Na los, besuchen wir deinen Kumpel.«

»Karo parles Français.«

»Klugscheißer. Ich werd ihr nicht erlauben, mit dir Französisch zu sprechen.«

»Klugscheißer? Was das?«

Na klar, ein Schimpfwort merkte er sich sofort. »Verrat ich nicht.«

»Danga doff.«

»Ich bin nicht doof.«

Yaya warf ihm einen entsetzten Blick zu. »Du verstehst Wolof?«

Jetzt lachte Martin. »Nö, hab nur gut geraten, Rotzlöffel.«

Der Bengel murmelte etwas, das sich anhörte wie: »Danga am nen tschesa bop.«

»Soll das ›Leck mich am Arsch‹ heißen?«, fragte er.

Yaya runzelte die Stirn, schien angestrengt nachzudenken, dann klopfte er sich an den Kopf und flatterte mit angewinkelten Armen.

»Ah, verstehe. Du glaubst, ich hab ’nen Vogel. Wenn du wüsstest, wie groß meiner ist.«

Jetzt flatterte Yaya mit ausgebreiteten Armen, gackerte wie ein Huhn und hüpfte von einem Bein aufs andere.

Mitten im nächsten Sprung stieß Martin ihn an, sodass er wieder ins Gras plumpste. »Nix Huhn, Adler! Wenn schon, denn schon.«

* * *

Yaya lief neben Martin her und konnte kaum glauben, dass sein großer Freund es ernst meinte. Deutschland! Dann könnte er vielleicht wirklich Autos bauen. Allerdings müsste er alles zurücklassen, schon wieder. Kaum konnte er sich einigermaßen auf Spanisch verständigen, musste er besser Deutsch lernen. Und Tapha? Er war der Einzige vom Flüchtlingsboot, den er noch regelmäßig sah. Die anderen Jungs, mit denen er die gefährliche Überfahrt unternommen hatte, waren überall auf den Kanaren und dem Festland verstreut oder zurückgeschickt worden.

Er stieß Martin an und mühte sich auf Deutsch ab. »Tapha ist Krieger, aber gut.«

»Hä, Krieger?« Martins Stirn furchte sich und erinnerte Yaya an seinen Stammesältesten. »Ach so, du meinst, er war im Krieg, ist aber trotzdem ein guter Junge?«

Hörte sich richtig an, also nickte er. »Mit nach Deutschland gehen?«

»Mal schauen. Bei dir ist es ja auch noch nicht sicher.«

Überrascht starrte Yaya ihn an. »Deutschland gefährlich? Tapha mit.« Er formte mit der Hand eine Pistole. »Peng, peng, peng.« Zeichensprache kapierte sein großer Bruder am schnellsten. Jetzt grinste Martin. Mist, hatte er schon wieder einen Fehler gemacht?

»Nicht gefährlich.« Sein Freund kratzte über die Borsten an seinem Kinn und erklärte auf Spanisch: »Du darfst vielleicht nach Deutschland, aber das ist noch nicht gewiss. Ich muss erst ein paar Leute fragen.«

Yaya atmete auf. »Und für Tapha fragst du auch?«

»Mach ich, aber ich kann noch nichts versprechen.«

Aufgeregt zog Yaya Martin ins Restaurant und musste sich beherrschen, nicht laut nach Tapha zu rufen. Stattdessen grüßte er höflich den Wirt, stellte seinen weißen Freund vor und fragte, ob sich Tapha ein paar Minuten zu ihnen setzen dürfe.

Der Wirt sah Martin fragend an. Der lächelte und sagte: »Ich lade ihn auch zum Essen ein.«

»Essen kriegt er hier umsonst.«

»Trotzdem, als Entschädigung für den Arbeitsausfall.«

Der Wirt rieb sich erfreut die Hände und rief nach Tapha. Sein Freund drückte die Schwingtür zur Küche ein Stück auf und steckte den Kopf heraus. Wie immer hatte er die lustige weiße Mütze auf und den komischen weißen Anzug an.

»Besuch. Kannst Pause machen«, blaffte der Wirt und winkte ihn heran.

Tapha grinste bei Yayas Anblick, doch dann entdeckte er Martin und beäugte ihn misstrauisch. Kein Wunder, er hatte ihn ja nur einmal nachts auf der Jacht gesehen, wenn überhaupt.

»Keine Sorge, das ist ein Freund von mir und Jenny.«

Wie immer, wenn er Tapha gegenüber Jenny erwähnte, lächelte der spöttisch. »Wie geht’s denn deiner Ersatzschwester?«

Yaya schlug ihm mit der flachen Hand vor die Brust. »Mach dich nicht dauernd darüber lustig! Ich bin sicher, dass Aisa Jenny zu uns geschickt hat.« Wie immer, wenn er an die Schrecken ihrer Überfahrt zurückdachte, schnürte es ihm die Kehle zu. Das überfüllte kleine Boot, der endlose Ozean, der Wassermangel … Der Erste, der es nicht überlebt hatte, war sein kleiner Neffe gewesen, und seine Schwester Aisa war ihrem Baby bald gefolgt. Dann kam der Sturm …

»Ich hätte schon längst aufgehört, dich damit aufzuziehen, wenn du dich nicht jedes Mal so schön aufregen würdest.«

Yaya schnaubte frustriert und sah dann zu Martin, der zwei Schritte weg stand. Hoffentlich überlegte er es sich jetzt nicht anders und ließ Tapha trotz der kleinen Kabbelei mitkommen.

»Dein Kumpel hat recht«, sagte Martin. »Wenn du dich nicht ärgerst, wird’s schnell langweilig. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ist eines meiner Hobbys, andere Leute auf die Palme zu bringen.«

Tapha musterte ihn jetzt eingehend, dann fragte er: »Wer bist du, und was willst du von uns?«

Martin lachte und deutete zum Tisch in der hinteren Ecke. Sie setzten sich.

Bis jetzt hatten sie Spanisch gesprochen, doch nun wechselte Martin in seine Muttersprache: »Sprichst du Deutsch?«

Tapha antwortete: »Einen Bissen.«

Martins Mundwinkel zuckten. »Ein bisschen.«

Das fand Yaya interessant. Er fragte: »Ein bisschen Deutsch ist wenig und ein Bissen viel?«

Martin kratzte sich am Kopf. »Kluges Bürschchen. Irgendwie schon, aber das versteht keine alte Sau.«

Schon wieder ›alte Sau‹ und ›Kluges Bürschchen‹, nicht Klugscheißer. Das war bestimmt besser. Ob er diese komplizierte Sprache je begreifen würde? Zu Yayas Erleichterung schaltete Martin wieder auf Spanisch um, als er zu Tapha sagte: »Erzähl mir von dir. Wo kommst du her, was willst du mal machen?«

Kapitel 3

Karo fand eine Parklücke vor dem Restaurant in der Nähe des Tandonia-Auslieferungslagers, das ihr König nach dem Mittagessen zeigen wollte, bevor sie mit Lindner die Details ihrer Zusammenarbeit besprechen würde. Hoffentlich konnte man dort Yaya beschäftigen. Sie hatte keine Ahnung, ob ihm sonst doch noch die Auslieferung drohte, jetzt, da er volljährig war und vielleicht bald keinen Job mehr haben würde. Martin machte sich jedenfalls Sorgen wegen Celias finanzieller Lage und wollte ihr den Jungen nicht länger aufbürden.

König saß schon an einem der Tische, erhob sich bei ihrem Eintreten und reichte ihr die Hand. Dann wartete er, bis sie sich gesetzt hatte, bevor er wieder auf seinen Stuhl sank. Ganz alte Schule.

»Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen.«

Karo stockte der Atem. Doch keine Zusammenarbeit? Sie hatte schon bei anderen Druckereien zusätzliche Kapazitäten gebucht!

Der Kerl weidete sich sichtlich an ihrem Schrecken und lächelte wie ein Märchenonkel. »Ich kann Ihnen leider nicht selbst das Lager zeigen, aber Lindner übernimmt diese Aufgabe bestimmt sehr gern. Ich muss nach dem Essen sofort zu einer wichtigen Besprechung.«

Von wegen Kavalier der alten Schule, du Schweinepriester! »Das ist natürlich sehr bedauerlich, aber vielleicht kennt sich Lindner im Labyrinth der Lagerhallen sogar besser aus als Sie.«

Er schmunzelte. »Touché. Lindner mag es sowieso nicht, wenn ihm jemand von Tandonia auf die Finger schaut.«

»Wirklich? Obwohl seine Firma für Tandonia arbeitet?«

Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht glaubt er, dass wir zu viel von ihm lernen und ihn ersetzen könnten.«

Karo öffnete die Speisekarte, beobachtete den Mann aber sehr genau. »Und, haben Sie das vor?«

Er stieß Luft durch die Nase aus. »Aber sicher, und dann legen wir uns eigene Speditionen zu und natürlich Druckereien …« Er winkte grinsend ab, als er ihren schockierten Blick bemerkte. »Wozu sollten wir uns das alles aufhalsen? Ohne den ganzen Ballast bleiben wir flexibel.

---ENDE DER LESEPROBE---