Meister Frantz und der Mosche Jud - Edith Parzefall - E-Book

Meister Frantz und der Mosche Jud E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Freie Reichsstadt Nürnberg 1590: Räuber und Beutelschneider treiben ihr Unwesen auf den Handelswegen. Als Meister Frantz auch noch von Einbrüchen in Herbergen und Judenhäusern im Umland erfährt, beschließt der Stadtrat, Floryk Loyal und den jüdischen Fuhrmann Mosche als heimliche Kundschafter auf das Gelichter anzusetzen. Eigentlich zieht es Floryk nach Italien, um seine Studien fortzusetzen, doch er lässt sich nicht lange bitten. Mosche hingegen setzt als Zuträger des Nürnberger Stadtrats das Vertrauen seiner Glaubensbrüder aufs Spiel. Immerhin wurden die Juden kaum hundert Jahre zuvor aus der Reichsstadt verbannt. Allerdings hat Mosche noch eine offene Rechnung zu begleichen.

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Impressum
Handelnde Personen
Glossar
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Nachwort
Über die Autorin
Leseprobe: Die Lunte glimmt – Schwarzpulver und Druckerschwärze, Band 1, Kapitel 1

 

 

 

Meister Frantz und

der Mosche Jud

 

Henker von Nürnberg, Band 11

 

von Edith Parzefall

 

 

Impressum

 

Copyright © 2020 Edith Parzefall

E-Mail: [email protected]

Ritter-von-Schuh-Platz 1

90459 Nürnberg, Deutschland

 

Lektorat: Marion Voigt, www.folio-lektorat.de

Umschlag und Karten: Kathrin Brückmann

Das Originalbild eines Fuhrmanns stammt aus dem Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung, Band 1. Nürnberg 1426–1549. Stadtbibliothek Nürnberg, Amb. 317.2°.

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Handelnde Personen

 

Historische Figuren sind kursiv gesetzt. Sie werden in diesem Roman fiktional verwendet, obwohl ich mich weitgehend an die überlieferten Fakten halte. Wie damals üblich tragen alle Nachnamen von Frauen die Endung -in. Die Anrede Frau und Herr für gewöhnliche Leute war noch nicht geläufig.

 

Meister Frantz Schmidt: der Nachrichter, also Henker von Nürnberg.

Maria Schmidtin: Ehefrau von Frantz, auch als Henkerin bezeichnet.

Maria, Rosina und Jorgen Schmidt: Kinder von Frantz und Maria.

Augustin Ammon: der ehemalige Löwe, wie man den Henkersknecht in Nürnberg nannte.

Klaus Kohler: Nachwuchslöwe und Sohn von Agnes Kohlerin.

Maximilian (Max) Leinfelder: Stadtknecht und Ehewirt der heimlichen Kundschafterin Katharina (Kathi) Leinfelderin.

Floryk Loyal: Magister der Philosophie, Fuhrmann und Kundschafter.

Mosche Jud: Fuhrmann und Kundschafter der Reichsstadt Nürnberg.

Herold und Barthel: Gastwirte, in deren Herbergen eingebrochen wird.

Abraham Rosenberg: jüdischer Händler in Fürth.

Hieronymus Paumgartner: Vorderster Losunger und Hauptmann der Reichsstadt Nürnberg.

Andreas II. Imhoff: Ratsherr, Schöffe und zweiter Hauptmann sowie Losunger mit Suspens, das heißt, er muss vorläufig nur im Notfall dieser Aufgabe nachkommen und darf weiterhin seine Geschäfte führen.

Bartholomäus Pömer: frisch ernannter dritter Hauptmann und Ratsherr.

Hans Nützel, Christoph Tucher, Martin Haller: Stadträte und Lochschöffen.

Laurenz Dürrenhofer: Lochschreiber.

Eugen Schaller unterstützt von seiner Frau Anna Schallerin: Lochhüter, liebevoll auch Lochwirt genannt; oberster Aufseher im Lochgefängnis.

Benedikt: Lochknecht, also Wächter im Lochgefängnis.

Ernst Haller: Stadtrat und Kriegsherr.

Hans Jakob Haller: Waldamtmann zuständig für den Lorenzer Reichswald.

Georg Wust: Pfleger zu Lauf.

Willibald Huber: Pfleger zu Hersbruck.

Hans Bemer (Rasch), Hans Frühauff (Bemer), Cuntz Wasserkräuter, Hans Ruprecht (Singer), Georg Plemel: Räuber.

Anna Gröschlin (Raschin): Anhang des Hans Bemer alias Rasch.

Hensla Schmied: Beutelschneider.

 

 

Glossar

 

Atzung: Geld, das Gefangene für ihre Kost bezahlen mussten.

Garaus: Torschluss.

Keuche: Gefängniszelle.

Loch(gefängnis): Verlies unter dem Rathaus, das als Untersuchungsgefängnis diente. Hier wurden auch Delinquenten festgehalten, die auf ihre Hinrichtung warteten.

Lochwirt: Lochhüter, oberster Gefängniswärter im Loch.

Losunger: Der Vorderste Losunger war der mächtigste Mann der Stadt, zuständig für Finanzen und Verteidigung, da er gleichzeitig einer der drei obersten Hauptleute war. Unterstützt wurde er vom zweiten Losunger und von Mitarbeitern in der Losungsstube.

Löwe: Henkersknecht. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie der Henkersknecht zu seinem Spitznamen kam, den es so nur in Nürnberg gab, allerdings überzeugt keine so recht. In Bamberg hieß der Henkersknecht beispielsweise Peinlein.

Nachrichter: So wurde der Scharfrichter in Nürnberg und anderen Gebieten genannt, da er nach dem Richter seines Amtes waltete.

Prisaun: Gefängnis, meist zur kurzfristigen Verwahrung von Delinquenten. Im Närrischen Prisaun wurden Geisteskranke verwahrt, die für sich oder ihre Umwelt eine Gefahr darstellten.

Reff: Rückentragekorb, Kraxe.

Reffträger: Sie lieferten zumeist Waren in kleineren Mengen in einer Kraxe zu Fuß in die Stadt.

Schmuser: Vermittler von Geschäften.

Tropfhäusler: Die Bewohner eines kleinen Hauses auf einem Grundstück, das nur bis zur Dachrinne reicht. Daher leitet sich auch der Ausdruck armer Tropf ab.

Urgicht: Geständnis.

Die Himmelsrichtungen wurden damals nach Sonnenstand bezeichnet, was sich bis heute in Namen wie Morgenland und Abendland erhalten hat:

Mitternacht: Norden.

Morgen: Osten.

Mittag: Süden.

Abend: Westen.

Kalender alten Stils: Julianischer Kalender, der in protestantischen Gebieten weiter verwendet wurde, nachdem Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 den neuen Kalender eingeführt hatte.

 

Kapitel 1

 

Nürnberg am Dienstag, den 28. Juli 1590

 

Floryk Loyal warf einen letzten Blick auf den Leichnam des frisch gerichteten Friedrich Stigler, der so gern auf Hexenjagd gegangen wäre und nun seinen Kopf nicht mehr auf den Schultern trug. Schließlich folgte er Andreas Imhoff und Hans Jakob Haller. Ein paar Minuten hatten die beiden sich ausgebeten.

Der Waldamtmann Haller und Andreas hockten auf einer geschnitzten Bank im Hof des Weiherschlosses, das beinah ganz von Wasser umgeben war.

»Die Herren genießen den Sonnenschein?«, rief er ihnen zu.

»Oh ja«, antwortete Haller und lächelte. Andreas hingegen wirkte besorgt.

»Also, was kann ich tun?«

»Die Räuber …« Andreas wischte sich die Stirn. »Sie werden immer dreister, und du hast zwei von ihnen gesehen, nein, drei.«

»Drei?« Verwirrt blickte er von einem zum anderen. »Den Mosche Jud haben nur zwei überfallen, die es dann gleich noch auf mich und Meister Frantz abgesehen hatten.«

»Ja, nur haben wir eben erfahren, dass auch Georg Plemel zu der Bande gehört.«

»Was? Der Schäfer, den ich in Altdorf beim Stehlen einer Nürnberger Uhr erwischt hab?«

»Genau der.« Andreas seufzte. »Und wir haben ihn nur ausstreichen lassen, statt alles aus ihm herauszuholen, was er über die Bande weiß.«

Haller nickte. »So geht es, wenn Ihr Euch vor allem als Losunger und Hauptmann betätigen müsst, statt als Schöffe aktiv zu sein, werter Imhoff.«

Andreas winkte ab. »Das wäre mir als Lochschöffe auch passiert. Es gab keinen Grund, ihn für mehr als einen Gelegenheitsdieb zu halten.«

Floryk war sogar noch erleichtert gewesen, weil man den Schäfer nicht seinetwegen zum Tod durch den Strang verurteilt hatte. »Was machen wir jetzt?«

Andreas stand auf und lief ein paar Schritte von ihnen weg, machte kehrt, zog den Hut vom Kopf und hielt das Gesicht in die Sonne, bevor er Floryk ernst ansah. »Es gefällt mir zwar überhaupt nicht, aber du kannst die Räuber identifizieren.«

Er nickte. »Wenn wir sie erst gefangen haben.«

»Wir haben uns überlegt, du könntest künftig vor allem auf den kleinen Strecken abseits der großen Fernstraßen Waren für deinen Vater ausliefern.«

»Auf denen es keinen Geleitschutz gibt … Und dabei als Köder dienen?«

Sein väterlicher Freund verzog das Gesicht. »Genau das.«

Floryk wandte sich an Haller. »Und wie kommt Ihr ins Spiel?«

»Als Kontaktmann eines Kundschafters, der die Reichsstadt nicht einfach betreten darf.«

Floryk klappte der Mund auf. »Ein Jude? Warum tut der das, also für Nürnberg kundschaften, obwohl die Reichsstadt seine Glaubensbrüder verbannt hat?«

»Neben der stattlichen Bezahlung hat er noch einen persönlichen Grund. Du kennst den Mann.«

»Der Mosche? Ha, natürlich ist ihm daran gelegen, dass das Gelichter verhaftet wird, das ihn überfallen hat.«

Andreas nickte. »Er hat uns schon zuvor gelegentlich wertvolle Informationen zukommen lassen, aber nun wird er gezielt nach den Schurken Ausschau halten. Du sollst das ebenfalls tun.«

»Hat Mosche gesagt, dass Plemel zur Räuberbande gehört?«

»Richtig. Er hat den Hans Walter gekannt, den Haupträdelsführer beim Überfall auf die Bernthalmühle. Und er hat ihn mit dem Plemel zusammen in Betzenstein gesehen.«

Verwirrt rief Floryk: »Aber der Hans Walter ist doch im Frühjahr gehenkt worden!«

Andreas schnaubte. »Natürlich vor seiner Hinrichtung.«

Das entlockte ihm ein Schmunzeln. »Dann bin ich ja beruhigt, nicht dass der immer noch umgeht.«

»Mosche hat den Plemel erst erkannt, als Meister Frantz ihn ausgestrichen hat. Aber weil sich offenbar einige junge Nürnberger recht aufsässig benommen haben, konnte der Jude nichts tun, ohne preiszugeben, wer und was er ist.«

Haller sprach es aus: »Jüdischer Kundschafter im Dienst der Reichsstadt. Damit kann er sicher schnell den Respekt seiner Leute verlieren und sich womöglich noch Prügel von Nürnbergern einhandeln.«

»Richtig«, stimmte Andreas zu. »Mosche riskiert viel, indem er für uns arbeitet, obwohl wir immer noch den Bann aufrechterhalten.«

»Wieso hebt ihr den nicht auf?«, fragte Floryk, da er es sich nicht recht erklären konnte.

Andreas stöhnte. »Schwieriges Thema. Erklär ich dir ein andermal.«

»Finanzielle Interessen«, antwortete Haller mit leicht verächtlicher Miene. »Wird der Bann aufgehoben, können jüdische Händler und Handwerker zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Nürnberger werden. Welcher Bürger hier in der Reichsstadt wünscht sich nicht, das gute Fürther Glas – aus jüdischen Werkstätten – günstig zu kaufen, um nur eine Möglichkeit zu nennen.« Er warf einen kurzen Blick zu Andreas. »Unsere erfolgreichsten Kaufleute haben vor ein paar Jahrhunderten den Fernhandel von Juden gelernt und sie dann nach und nach aus dem Geschäft gedrängt.«

Überrascht sah Floryk seinen väterlichen Freund an, der zu den erfolgreichsten Nürnberger Kaufleuten gehörte.

Der schürzte die Lippen, widersprach nicht, dann zog er eine Nürnberger Uhr aus seinem Beutel. »Die könnte dir dienlich sein.«

»So eine wollte ich schon immer haben!«

»Freu dich nicht zu früh«, warnte Haller und grinste.

Andreas nickte. »Sie geht nicht mehr, aber das sieht man ihr nicht an. Wir vermuten, dass die Räuber sich in den einschlägigen Herbergen herumtreiben, um geeignete Opfer zu finden, bei denen sich ein Überfall lohnt … Du, als in Ungnade gefallener Sohn eines wohlhabenden Neumarkter Tuchhändlers, solltest ihnen gerade recht kommen, vor allem wenn du so eine Kostbarkeit mit dir herumträgst. Jung, naiv und großmäulig …« Jetzt schmunzelte Andreas.

»Ja, das sieht mir gleich, aber was mach ich, wenn sie mich überfallen? Wie soll ich zwei oder drei Kerle allein abwehren oder gar überwältigen?«

»Das versuchst du gar nicht erst, außer es ergibt sich eine günstige Gelegenheit, bei der die Gefahr gering ist. Ansonsten gibst du im nächsten Pflegamt Bescheid. Außerdem haben wir allen Uhrmachern in der Umgebung eine hübsche Belohnung versprochen, wenn sie uns Bescheid geben, sobald diese Uhr zu ihnen in Reparatur gebracht wird.« Er drehte sie um, sodass Floryk die Gravur im Boden der Dose sehen konnte. Es sah aus wie ein Datum.

»Die hat mir mein Vater geschenkt, als er mir endgültig die Geschäfte übergeben hat.« Er lächelte. »Wahrscheinlich sollte sie mich zur Pünktlichkeit anhalten. Ich wollte sie schon reparieren lassen, doch weil der Plemel so dreist versucht hat, beim Korberwirt in Altdorf genau so eine zu stehlen, hab ich mir gedacht, ich warte noch damit.«

»Sehr kluger Plan.« Floryk kratzte sich den immer noch recht spärlichen Bart. »Vater hat dem Ganzen zugestimmt?«

Andreas fuhr sich durch die langen Haare. »Nur unter dem Vorbehalt, dass wir gut für deine Sicherheit sorgen.«

Floryk schnaubte ein Lachen. »Und wie wollt ihr das tun?«

Haller erhob sich und deutete zum Tor. »Wir geben dir jemanden mit. Einen verhutzelten alten Mann, der dich hoffentlich schützen kann, wenn’s brenzlig wird.«

Floryk wandte sich um und sah einen drahtigen Kerl mit struppigen dunklen Haaren, die schon reichlich mit Silberfäden durchzogen waren, genau wie der lange Bart. Ganz allein zog er einen dicken Baumstamm in den Hof.

»Ihr meint doch wohl nicht diesen bärenstarken Mann?«

»Doch.« Grinsend rief Haller: »He, Stoffel, komm her und lern deinen Reisegefährten kennen.«

»Augenblick.« Er schleifte den Stamm noch bis zu einer Scheune, vor der ein Holzblock mit einer Axt und einer Säge zu sehen war. Als er sich ihnen näherte und die Hände an seiner schmal geschnittenen Kniehose abwischte, verstand Floryk, was der Waldamtmann gemeint hatte. Stoffels Stirn und die Haut um seine Augen herum waren ungemein faltig, wie vom Wetter gegerbt. Wenn er nicht so kraftvoll ausgeschritten wäre, hätte man ihn für siebzig halten können. Stoffel musterte ihn eingehend, bevor er die runzlige, aber kräftige Hand ausstreckte. »Du bist also das reiche Herrensöhnchen?«

Floryk lachte und schlug ein. »Und du das verhutzelte alte Manderl?«

Stoffel brach ihm fast die Fingerknöchel.

»Aua, hör auf, ich nehm’s zurück.«

»Gut, dann ist das auch geklärt. Wo ist mein Gehstock?«

Lachend reichte ihm Haller einen Stock, und schon verwandelte sich Stoffel in einen gebrechlichen Alten, der sein Gewicht nur mühsam von einem Bein aufs andere verlagern konnte. Floryk prustete los. »Man könnt meinen, du wirst bald hundert. Aber sag, wie alt bist du wirklich?«

»Noch nicht ganz fünfzig, also im besten Mannesalter, würde ich sagen.«

»Trotzdem seid ihr zwei schön vorsichtig«, ermahnte Andreas.

Stoffel entblößte mit seinem Lächeln mehrere Zahnlücken und krümmte den starken Rücken. »Selbstverständlich, werter Herr Imhoff.«

 

* * *

 

Nürnberg am Mittwoch, den 29. Juli 1590

 

Frantz wanderte in der Stadt herum, um die Stimmung nach der Hinrichtung des Hexenjägers abzuschätzen und den Leuten die Möglichkeit zu geben, ihm Fragen zu stellen. Überwiegend freundliche Gesichter musterten ihn neugierig, doch niemand sprach ihn an. Er schlenderte durchs Spittlertor hinaus auf den Plärrer, wo sich eher zwielichtiges Gesindel herumtrieb, Huren sowie Branntweinverkäufer und andere Händler, die keine Lizenz hatten, ihre Waren in der Stadt zu verkaufen. Alles wirkte wie immer. Er spazierte zwischen den verschiedenen Karren hindurch und entdeckte einen alten Bekannten, der ihn lächelnd beobachtete. Der jüdische Fuhrmann aus Fürth war mit seinem buschigen Bart und Haupthaar nicht zu verkennen.

Frantz hob die Hand zum Gruß. »Wie geht’s dir, Abraham?«

»Meister Frantz, schön Euch hier zu begegnen. Das kommt nicht oft vor. Braucht Ihr wieder eine Mitfahrgelegenheit?«

»Nein, danke. Ich will nur ein wenig aufschnappen, worüber die Leute so reden. Hoffentlich nicht über Hexen und Unholdinnen.«

»Fürwahr, ich war froh, als ich erfuhr, dass Friedrich Stigler keinen Unfrieden mehr stiften kann.« Der Fuhrmann atmete tief durch. »Es trifft sich ganz gut, Euch zu sprechen.«

»Gibt es weitere Raubüberfälle?«, fragte er sogleich. »Die Kumpane des Hans Walter aus Betzenstein sind immer noch nicht gefangen worden. Und ein jüdischer Fuhrmann ist kürzlich überfallen worden. Der Mosche. Mich und einen guten … Bekannten wollten die Schurken ebenfalls berauben.« Er scheute immer noch davor zurück, seine Freunde als solche zu bezeichnen, damit der Ruch des Henkers nicht auf sie abfärbte.

»So ähnlich, doch geht es um etwas anderes: Einbruchdiebstähle in den Herbergen an den Handelsstraßen. Es passiert immer öfter.«

Das auch noch. Frantz stöhnte. »Gut, ich werde im Rathaus Bescheid geben und mich umhören. Bist du auch schon bestohlen worden?«

»Ja, in Rückersdorf vor einer Woche beim Heroldwirt. Das ist eine der wenigen Herbergen, in der auch Juden absteigen dürfen. Der Grund gehört den Ganerben der Veste Rothenberg.«

»Ganerben?«

»Einige Ritter haben sich zusammengetan, gemeinsam Land gekauft, die Veste ausgebaut und erlauben auch Juden, sich dort anzusiedeln. Deshalb hat Schnaittach eine ungewöhnlich große jüdische Gemeinde in der Umgebung von Nürnberg.«

Frantz nickte. So verarmten Rittern waren die Juden sicher als Kaufleute und Handwerker nützlich. »Ausgerechnet beim Herold wurde eingebrochen? Bei ihm haben wir nach dem Überfall den Mosche untergebracht. Ein fürsorglicher Mann. Er hat den Verletzten in einer eigenen Kammer untergebracht, und ich durfte bei ihm auf einer Pritsche übernachten, ohne etwas dafür zu bezahlen.«

»Ja, er ist gutherzig und kümmert sich um seine Gäste. Umso schlimmer, dass es gerade dort passiert ist.«

»Du hast keine Anzeige erstattet?«

»Natürlich habe ich das, bei allen drei Herrschaften in Fürth, aber wen interessiert’s, wenn ein Jude bestohlen wird?«

Frantz nickte. »Vielleicht sucht sich der Dieb deshalb Juden aus.«

»Oder es ist einer, der meint, es sei keine Sünde, von einem der Unsrigen zu stehlen. Na, wenigstens bringt er uns nicht gleich um. Verzeiht, ich will nicht bitter klingen. Außerdem sind auch Christen bestohlen worden.«

»Schon gut, ich verstehe deinen Unmut.« Wieder fühlte sich Frantz mit dem Mann auf seltsame Weise verbunden. Beide waren sie aus der ehrbaren Gesellschaft Verstoßene, und doch wurden sie dringend gebraucht.

Abraham Rosenberg lächelte jetzt wieder. »Am Ende ist es mir lieber, im Schlaf bestohlen als unterwegs von bewaffneten Räubern überfallen zu werden. Da muss man doch jedes Mal um sein Leben fürchten.«

Frantz nickte. »Solange es nicht im eigenen Haus passiert.« Eine grausige Vorstellung, leider kam auch das viel zu oft vor. Dann wurden die Bewohner meist noch gemartert, bis sie alle Verstecke preisgaben. »Ich weiß, wo ich dich finde, falls sich etwas ergibt.« Er wollte sich schon abwenden, da fiel ihm noch etwas anderes ein. »Kennst du den Mosche Jud?«

»Schmuser und Hopfenhändler aus Ermreuth?«

»Woher er stammt, weiß ich gar nicht, aber ja, er hatte Hopfen geladen. Was macht denn ein Schmuser?«

»Geschäfte vermitteln, er braucht ja auch Arbeit in der Zeit, wenn es keinen Hopfen gibt. In Ermreuth wird auch viel Obstbau betrieben. Für die Obstbauern nimmt er unterwegs Bestellungen der Wirtschaften auf, an denen er vorbeikommt.«

»Dann kennst du den Mosche gut?«

»Eher flüchtig, wenn es derselbe ist. Mosche oder Moses ist ein beliebter Name.«

»Natürlich.«

»Der Ermreuther Mosche scheint mir jedenfalls ein zuverlässiger und rechtschaffener Mann, der gut für seine Frau und Kinder sorgt, doch viel hab ich noch nicht mit ihm gesprochen. In Ermreuth wird es wohl auch nur zwei oder drei Judenhäuser geben.«

»Die meisten Juden leben in Schnaittach?«

Rosenberg wiegte die gespreizte Hand hin und her. »Bin mir nicht sicher. In Baiersdorf, wo wir alle unsere Toten auf dem jüdischen Friedhof bestatten, und in Bruck gibt es ähnlich große Gemeinden.« Er hielt inne und blickte in die Ferne. »Das erinnert mich … In Bruck wurden einige Juden bestohlen, in ihren Häusern, nicht in der Herberge, in die auch schon zweimal eingebrochen wurde.«

»Sag, gibt es viele Herbergen in der Umgebung von Nürnberg, die auch Juden aufnehmen?«

»Nein, zumeist übernachten wir unterwegs bei Glaubensbrüdern. Einander zu helfen ist für uns eine Selbstverständlichkeit.« Rosenberg strich sich über den Bart. »Umso befremdlicher, wenn dann etwas wegkommt.«

»Du meinst, der Dieb könnte ein Jude sein?«

»Soweit mir berichtet wurde, gab es an den Türen und Fenstern keine Einbruchsspuren.«

»Dank dir. Ich sag den Räten Bescheid, allerdings gehört Bruck zum Fürstbistum Bamberg, da können sich die Stadträte nicht einmischen.«

Rosenberg sog die Lippen zwischen die Zähne und schien zu überlegen, wie viel er verraten durfte.

»Du fürchtest dich vor dem Schaden, den euer Ruf nehmen könnte, wenn ein Jude hinter den Diebstählen steckt?«, fragte er vorsichtig.

Langsam nickte der Fuhrmann. »Wir Juden haben es nirgends leicht. Umso wichtiger ist uns Redlichkeit. Doch gibt es überall schwarze Schafe.«

Das verstand Frantz nur allzu gut. Auch ihm war sein Ruf besonders wichtig. »Danke, dass du mir trotzdem davon erzählt hast.«

In Abrahams Gesicht zeigte sich ein zaghaftes Lächeln. »Die Brucker Juden haben keine Anzeige erstattet, eben deswegen, aber ich dachte mir, Ihr solltet es wissen.«

 

* * *

 

Lauf am Mittwoch, den 29. Juli 1590

 

Floryk fühlte sich immer unbehaglicher, als er neben Stoffel auf dem Kutschbock dieselbe Straße nach Lauf entlangfuhr, auf der er beinah schon einmal überfallen worden wäre. Als er den Birkenhain ausmachen konnte, warnte er seinen Beschützer lieber: »Halt die Waffen bereit, ja?«

»Freilich. Gibt’s einen besonderen Grund, dass du das eigens sagst?«

»Hier haben die Schufte schon mal einen Fuhrmann niedergeschlagen und beraubt. Gleich da vorn bei den Birken.«

»Hoppla. Du beobachtest deine Seite, ich die meine.«

Auf Floryks Seite gab es nur Felder und etliche Sträucher, hinter denen sich Räuber allerdings gut verstecken konnten. Er zog die Faustbüchse aus dem Stoffbeutel zwischen ihnen und legte sie auf seinen Schoß.

»Du willst die Räuber gleich erschießen, falls sie Waffen ziehen?«

»Nur wenn es so ausschaut, als wollten sie uns an die Gurgel gehen. Ob sie uns umbringen oder nicht, kann ihnen auch schon egal sein, denn mit dem Tod werden sie so oder so bestraft, wenn sie sich erwischen lassen. Aber bisher haben sie meines Wissens noch niemanden ermordet.«

Stoffel brummte etwas Unverständliches.

»Das gefällt dir nicht?«

»Nein. Die Hinrichtungen werden immer mehr, aber die Verbrechen nicht weniger. So viele Todesurteile wie in den letzten zehn Jahren hat’s davor nicht gegeben.«

»Wirklich?«

»Ja, sonst müsst ich mich schon sehr täuschen.«

Sie erreichten jetzt die ersten Birken, und Floryk spähte ebenfalls zwischen die silbrig leuchtenden Stämme.

»Da rührt sich nichts.«

»Trotzdem wachsam bleiben. Ich hab vergessen, den Mosche zu fragen, wie’s passiert ist. Wir sind erst dazugekommen, als er schon bewusstlos war.«

Natürlich blieb alles ruhig, und sie erreichten bald Lauf. Floryk fiel sogleich auf, dass die Mühlen und Hammerwerke, die es hier reichlich gab, stillstanden. Es wurde wirklich Zeit, dass es regnete. Der Torwächter hielt sie auf. »Was habt ihr geladen, woher und für wen?«

»Tuch aus Neumarkt für den hiesigen Händler Gerstacker.«

Er winkte sie durch, und sie rumpelten über Kopfsteinpflaster vorbei am stattlichen Rathaus. Auf dem Markt war einiges los. Ob sie sich hier etwas zu essen suchen oder doch lieber in eine Wirtschaft gehen sollten? Da fiel ihm wieder seine Aufgabe ein, Räuber anzulocken. Also Wirtschaft.

Der Tuchhändler wartete schon ungeduldig auf die Lieferung. Sowie ihr Wagen in den Hof rollte, sprang er aus dem Haus. »Na endlich! Ich hab euch schon gestern erwartet.«

»Sind aufgehalten worden«, brummte Stoffel nur.

Gerstacker betrachtete den Knecht eingehender. »Was bist denn du für einer? Doch nicht der Vater vom Loyal?«

Dafür war seine Kleidung zu schlicht und robust. Floryk lächelte. »Mein Großvater.«

Stoffel schlug ihm hart mit der Faust auf den Arm.

»Hör auf, du Grobian.« Er rieb sich die schmerzende Stelle. »Nein, der hilft mir in der nächsten Zeit.«

»So? Dann fangt endlich mit dem Abladen an.«

»Ja, ja, du bist schlimmer als mein Vater.«

Die zehn Ballen Barchent hatten sie schnell abgeladen, und Gerstacker drückte ihm die Münzen für den Stoff in die Hand.

»Den Karren dürfen wir in deinem Hof stehen lassen, bis wir was gegessen haben?«

Kurz sah sich der Tuchhändler um. »Ja, passt schon, aber Wasser müsst ihr den Rössern selber herschleppen. Da hinten ist der Brunnen. Hafer habt ihr hoffentlich.«

»Freilich.«

Stoffel nahm die zwei Eimer von der Ladefläche. »Ich hol das Wasser, gibst du ihnen was zu fressen.«

Floryk band den Pferden die Hafersäcke um. Es war doch angenehm, dass ihm ein kräftiger Kerl wie der Stoffel zur Hand ging, auch wenn er wenig redete. Als er mit den Eimern zurückkehrte, nahm Floryk die Futtersäcke ab.

Stoffel holte den Stock vom Kutschbock und übte sich im schlurfenden Humpeln. Floryk schlenderte gemütlich neben ihm her durch das Städtchen mit den vielen niedrigen Sandsteinhäusern. Wenige waren höher als zwei Stockwerke, viele nur einstöckig.

»Wo essen wir denn?«, fragte Stoffel.

»Beim Himpelwirt, der hat gute und günstige Mahlzeiten. Da gehen auch einheimische Handwerker hin und vielleicht sogar Räuber.«

»Oha. Dann machst auf verwöhntes Bürschla?«

»Ja, darfst dich nicht wundern, wenn ich ein bisserl laut werd und komisches Zeug red.«

»Wie immer halt.«

»Was? Du kennst mich doch erst seit gestern!«

Stoffel grinste nur. Dann betraten sie die einfache Wirtschaft, die brechend voll war. Sicher aßen hier auch einige der Händler, die ihre Waren auf dem Markt feilboten.

Floryk ging zu einem Tisch, an dem noch zwei Stühle frei waren. »Sitzt da schon wer?«

Die drei Männer und eine junge Maid sahen sich nach ihnen um. Der Älteste machte eine einladende Handbewegung. »Hockt euch her zu uns.«

Bei dem Trubel würde es Floryk schwerfallen, Aufmerksamkeit zu erregen. Auf gut Glück fischte er die Nürnberger Uhr aus dem Beutel, stellte sie auf den Tisch und öffnete den Deckel. Mit einem stolzen Lächeln betrachtete er sie. »Heut kommen wir schon noch rechtzeitig zurück«, verkündete er etwas lauter als nötig und ließ die Dose zuschnappen. Zumindest die Leute am Tisch waren aufmerksam geworden. Eine überhebliche Miene zur Schau tragend steckte Floryk den Köder ein.

»Das ist aber ein kostbares Stück«, meinte der älteste Mann, möglicherweise Vater der beiden jüngeren. Die Maid schlug aus der Art, sie war vielleicht mit einem der Burschen verheiratet.

»Ja, die hat mir mein Vater geschenkt, weil ich diesen Sommer aushelf, bevor ich weiterstudiere.«

Alle Blicke richteten sich auf Stoffel. Der schüttelte den Kopf, beugte sich zu dem jüngeren Kerl neben ihm und raunte gut hörbar: »Sein Vater ist Tuchhändler. Der hat genug Geld.«

Der junge Mann schnaubte. »Na dann.«

Floryk hörte auf mit der Angeberei. Die vier waren sicher keine Räuber, und sonst achtete vermutlich niemand auf sie. Trotzdem schaute er sich um und bemerkte nichts Auffälliges.

Wie nicht anders zu erwarten gab es Eintopf und Brot. Das Essen war auch schon recht kühl, sodass sie schnell ihre Schüsseln ausgelöffelt und die Bierkrüge geleert hatten.

Als sie wieder draußen auf der Straße waren, sagte Stoffel: »Das ist ja schon ein Schmarrn, wenn du irgendwelchen Leuten die Uhr unter die Nase hältst.«

Floryk seufzte. »Das hab ich mir dann auch gedacht. Schauen wir noch zum Markt? Weit müssen wir heut nicht mehr.«

»Von mir aus. Ich soll ja nur auf dich aufpassen.«

Floryk war zwei Schritte voraus und sah sich nach ihm um. Wahrlich eine beeindruckende Verwandlung. Er grinste Stoffel an, doch da sah er eine Gestalt über die Gasse huschen, das Gesicht ihnen zugewandt. Hatte doch jemand den Köder geschluckt?

Floryk blickte wieder nach vorn und wartete, bis Stoffel zu ihm aufgeholt hatte.

»Es ist ein Kreuz mit den Knien«, lamentierte er. »Und sehen tu ich auch nicht mehr recht.«

»Ich hoffe, doch. Schaut nämlich ganz so aus, als würd uns jemand nachschleichen.«

»Oha.«

»Pass auf, beim Markt schauen wir, ob du dich irgendwo hinsetzen kannst, alt und gebrechlich wie du bist, und ich lauf ganz in der Nähe an ein paar Ständen vorbei. Wenn ich ihn wieder seh, nehm ich den Hut ab und wisch mir die Stirn.«

Stoffel nickte. »War aber keiner von unserem Tisch, oder?«

»Nein, trägt ein dunkelrotes, ziemlich verschossenes Hemd.«

»So eins hat direkt hinter dir einer angehabt.«

»Mal sehen, ob er für die Räuber auskundschaftet, wo unser Fuhrwerk steht und wohin wir wollen.«

»Ja, aber pass gut auf deinen Beutel auf«, mahnte Stoffel.

Floryk nickte, dann hatten sie auch schon den Markt beim Rathaus erreicht. »Da am Brunnen kannst dich hinsetzen.«

»Genau, da seh ich dich und den Lumpen. Er könnt auch einfach ein Beutelschneider sein.«

»Das wär mir eigentlich lieber als ein Überfall«, gestand Floryk. Er stützte Stoffel beim Hinsetzen am Ellenbogen und spähte dabei zur Gasse, aus der sie gekommen waren. »Noch seh ich nichts.«

»Dann ist er jedenfalls nicht blöd oder doch nur zufällig in dieselbe Richtung gegangen.«

»Mal sehen.« Floryk schlenderte zu den ersten Gemüseständen, hob einen Kohlrabi auf und roch daran, wobei er unter der Hutkrempe hervor zur Gasse linste. Da war der Schelm! Er legte das Gemüse weg.

»Ist ganz frisch!«, rief der Händler.

Doch Floryk musste sich erst die Stirn wischen. »Glaub ich dir, aber ob der morgen auch noch so fest ist? Vorher kriegt ihn mein Weib nicht zum Kochen. Obst hast du keins?«

Der Händler lächelte. »Du schickst sonst dein Weib zum Einkaufen, oder?«

»Freilich.«

»Merkt man.«

»Wieso?«

»Gemüsehändler verkaufen selten Obst. Da drüben beim Moser kriegst saftiges Obst aus Ermreuth.«

»Dank schön.« Floryk ging weiter und merkte, dass Stoffel nicht mehr beim Brunnen saß. Na, so was. Er blickte sich um und sah gerade noch, wie der verhutzelte Alte einem jungen Mann den Gehstock zwischen die Beine warf, ihn zu Fall brachte und sich auf ihn stürzte. Floryk griff er nach seinem Beutel. Verflucht! Dabei hatte er gar nichts gemerkt. Er lief hin. »Tu ihm nicht so arg weh«, rief er. »Wir müssen ihn auch noch befragen können.«

Stoffel drehte ihn herum. Das vom Straßendreck schmutzige Gesicht wirkte zornig. Kein Wunder. Er war vielleicht fünfundzwanzig und auf alle Fälle ein sehr geschickter Dieb.

»Wie heißt du?«, fragte Floryk.

»Geht dich nichts an.«

»Mich vielleicht nicht, aber den Pfleger.« Er sah sich nach Ordnungshütern um, entdeckte aber keine, also rief er: »He, hat jemand einen Schützen oder Stadtknecht gesehen?«

Ein paar Leute schüttelten den Kopf, andere kriegten gar nichts mit. Der Gemüsehändler kam allerdings zu ihnen. »Hat der dir bei mir am Stand den Beutel abgeschnitten und wir haben es nicht mitgekriegt?«

»Schaut ganz so aus. Durchsuch ihn, Stoffel.« An den Gemüsehändler gewandt fügte er hinzu: »Und du bist Zeuge.«

Tatsächlich hatte der Schelm sich den Beutel unters Hemd gesteckt.

»Gott sei Dank! Das hätt Ärger gegeben, wenn das Geld für die Ladung weg wär.« Er öffnete den Beutel und sah vorsichtshalber nach. Schien nichts zu fehlen, auch die Uhr war noch da. »Bringen wir ihn ins Pflegschloss.«

»Ich muss mich um meine Waren kümmern!«, warf der Gemüsehändler ein.

»Ja, ja, du kannst hierbleiben. Wir kommen womöglich mit einem Stadtknecht zurück.«

Der Mann nickte. »Braucht ihr einen Strick?«

»Gern.« Stoffel zog den Dieb auf die Beine. Prompt wollte der sich losreißen, aber da hatte er seinen Häscher unterschätzt. Aus dem Griff konnte er sich nicht lösen. Augenblicke später band ihm Floryk mit einem Seil die Handgelenke hinter dem Rücken zusammen. »Auf geht’s.«

»Wohin?«, fragte der Dieb.

»Du bist nicht von hier?«

»Nein, aus Weigenhofen.«

»Au, verreck, du bist ein Markgräflicher?«, fragte der Gemüsehändler.

»Schon. Der Hensla Schmied bin ich«, gestand der Dieb nun. »Macht das einen Unterschied, woher ich komm?«

»Ich fürcht schon«, erklärte der Laufer. »Aber der Pfleger ist doch ein vernünftiger Mann.«

Floryk fragte sich, ob ein Untertan des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach tatsächlich härter bestraft werden mochte, nachdem der Fürst eine ganze Reihe Mögeldorfer willkürlich wegen Wilderei hatte verhaften und vierteilen lassen. Hoffentlich nicht. »Jetzt komm.«

Es war ein ziemliches Stück zu laufen, bis sie über die lange Holzbrücke zum Wenzelschloss auf der Pegnitzinsel gelangten. Das ehemalige Kaiserschloss wirkte äußerst wehrhaft.

Die beiden Torwächter musterten sie eindringlich. »Was wollt ihr?«

Floryk antwortete: »Der Schurke hat mir den Beutel geklaut. Zum Glück hat’s mein Knecht gemerkt und ihn aufgehalten.«

»Stimmt das?«, fragte der eine den Stoffel.

»Ja, aber der da ist der Dieb, nicht ich.« Er deutete zum Hensla Schmied.

»Ach, und du hast ihn aufgehalten?«, fragte er ungläubig.

Stoffel grinste. »Ja.«

»Dann kommt mit.« Er führte sie in den Hof des herrschaftlichen Anwesens, natürlich aus Sandstein, die Mauern teilweise von Ruß geschwärzt.

»Da drin ist das Pflegamt.« Er nickte zu einem offen stehenden Tor. »Ich muss zurück auf meinen Posten.«

»Dank dir.«

Nachdem sie auch noch einem Diener berichtet hatten, was vorgefallen war, wurden sie in die Amtsstube des Pflegers Wust gebracht.

Dessen Miene verhärtete sich immer mehr, während er ihnen zuhörte und ein Schreiber mit Papier und Tinte alles notierte. Dann fragte Wust: »Bist du der Sohn vom Hans Schmied aus Weigenhofen?«

»Ja, kennt Ihr meinen Vater?«

»Sicher. Ein anständiger Mann. Und du machst ihm so eine Schande.«

Hensla Schmied antwortete nicht, senkte nur beschämt den Kopf.

»Bist du wenigstens geständig?«

Schmied nickte. »Ja, gibt genug Zeugen, da erspar ich mir die Tortur.«

»Gut, dann müssen wir dich wohl nicht nach Nürnberg ins Lochgefängnis schaffen lassen.«

 

Kapitel 2

 

Nürnberg am Donnerstag, den 30. Juli 1590

 

Max Leinfelder wunderte sich, den Nachrichter in der Kriegsstube anzutreffen. »Meister Frantz, Ihr habt also auch schon erfahren, dass Floryk sich den Beutel hat stehlen lassen?«

Der Henker nickte. »Ja, ohne Floryks Knecht wär der Schuft mit einem schönen Batzen entkommen.«

Da holte sie der Schreiber Dürrenhofer zur Besprechung mit den Lochschöffen ab.

»Welche der Ratsherren sind denn zurzeit dran?«, fragte Max.

»Christoph Tucher und Hans Nützel«, antwortete der Schreiber und öffnete ihnen die Tür zu einer Beratungskammer.

Die Schöffen nickten ihnen zu. »Wird nicht lange dauern«, verkündete Tucher.

Sie setzten sich, und Dürrenhofer holte Papier, Tinte und Feder heraus. »Der Mann ist geständig?«

»Ja, es gibt einige Zeugen, da hilft leugnen wenig«, antwortete Tucher.

Der Nachrichter fragte: »Welche Strafe erwartet den Mann?«

Nützel zog die Augenbrauen zusammen. »Der Hensla Schmied stammt aus Weigenhofen und ist Untertan des Markgrafen, deshalb werden wir die volle Härte des Gesetzes walten lassen. Tod durch den Strang.«

Frantz nickte und versuchte, sich den Galgen in Lauf in Erinnerung zu rufen, doch es war zu lange her. »Wird er zur Hinrichtung nach Nürnberg gebracht?«

Tucher schüttelte den Kopf. »Da er das Verbrechen in Lauf begangen hat und dort erwischt wurde, dürfen die Laufer die Hinrichtung miterleben. Könnt Ihr am Montag hinreiten, ihn am Dienstagmorgen richten und am selben Tag noch zurückkehren?«

»Natürlich.«

»Gut. Dann kommen wir jetzt zu dir, Leinfelder. Du wirst den Nachrichter begleiten und dafür sorgen, dass hinreichend Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.«

Verblüfft fragte Max: »Glaubt Ihr, die Schergen des Markgrafen werden etwas unternehmen wollen?«

»Wir halten es jedenfalls nicht für ausgeschlossen.«

»Ist recht.«

»Gut, das war’s auch schon.« Die Herren erhoben sich.

In dem Moment ging die Tür auf, und Andreas Imhoff trat ein. »Schon fertig?«

Tucher nickte. »Ist ein klarer Fall.«

»Dann gewährt mir bitte noch etwas Zeit. Wenigstens diese kleine Runde sollte Bescheid wissen, welche Rolle Floryk Loyal genau spielt.«

Die Schöffen setzten sich wieder. Was sie dann alle zu hören bekamen, fand Max doch sehr gewagt. Floryk als Köder, nur mit einem alternden Waldarbeiter zu seinem Schutz?

Meister Frantz räusperte sich. »Dann hat er den Dieb dazu verlockt, ihm den Beutel zu stehlen?«

»Mehr oder weniger, doch das ist keine Entschuldigung. Allerdings hat der Pfleger von Schönberg bereits eine Fürbitte vorgebracht, dem Schmied einen gnädigeren Tod mit dem Schwert zu gewähren.«

Meister Frantz nickte kaum merklich. Das schien ihm wohl auch angemessener.

»In der morgigen Sitzung werden wir darüber beraten, doch gerade weil Schönberg und Weigenhofen dem Markgrafen gehören, werden wir das Gesuch freundlich ablehnen.«

Der junge Nützel bekräftigte: »Wär ja noch schöner, ausgerechnet einem Markgräflichen irgendeine Gnade zu erweisen!«

Natürlich verstand Max, dass der Rat immer noch zornig war, weil der Röthenbacher Wildmeister im Dienste des Markgrafen vor zwei Jahren Nürnberger Bürger aus Mögeldorf verschleppt hatte. Äußerst grausam wurden die Leute hingerichtet. Doch sollte deswegen ein markgräflicher Dieb so viel härter bestraft werden als ein Georg Plemel, der für den Diebstahl einer Nürnberger Uhr nur ausgestrichen wurde? Nun, es war nicht seine Entscheidung. Plemel erinnerte ihn allerdings an etwas anderes. »Können wir sicher sein, dass dieser Schmied nicht auch mit den Räubern im Bund ist wie der Schäfer?«

»Gute Frage.« Imhoff schaute die Lochschöffen an.

Tucher antwortete: »Nein, nicht sicher, aber …« Er wandte sich an Meister Frantz.

---ENDE DER LESEPROBE---