Meister Frantz auf Kriegsfuß mit dem Höllenfürsten - Edith Parzefall - E-Book

Meister Frantz auf Kriegsfuß mit dem Höllenfürsten E-Book

Edith Parzefall

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Beschreibung

Freie Reichsstadt Nürnberg 1587: Der markgräfliche Hauptmann Friedrich Reichart wird Zeuge eines Mordes und nimmt die Täterin fest. Doch statt sie den Gerichten des Markgrafen von Ansbach-Brandenburg zu übergeben, liefert er die entstellte Frau der milderen Nürnberger Gerichtsbarkeit aus. Damit bringt er den Stadtrat der Freien Reichsstadt in eine Zwickmühle und erzürnt seinen Dienstherrn. Meister Frantz darf die Mörderin in Nürnberg gnadenhalber mit dem Schwert richten, doch damit ist die Angelegenheit längst nicht ausgestanden, denn nun benötigt der Hauptmann selbst Schutz. Markgraf Georg Friedrich lässt sich nicht gern Delinquenten stehlen, vor allem dann nicht, wenn sie der Hexerei schuldig sein könnten und den Tod durch das Feuer verdienen. Während sich der Nürnberger Rat um einen kaiserlichen Freibrief für den Hauptmann bemüht, hat der Markgraf längst ein Kopfgeld auf Reichart ausgesetzt.

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Impressum
Karte von Nürnberg
Umgebungskarte
Handelnde Personen
Glossar
Blutschande
Der Hauptmann des Markgrafen
Die Mörderin
Rat suchende Räte
Zu Gast beim Henker
Eine Frage des Vertrauens
Unterschlupf
Auf der Flucht
Recht und Gerechtigkeit
Nachricht aus Speyer
Durch finsteren Wald
Auf zum Verhör
Geständnisse
Kalte Zeiten
Weihnacht
Der Garten des Grauens
Verhör
Rad und Wasser
Nachwort
Über die Autorin
Leseprobe: Die Lunte glimmt
Prolog
Kapitel 1:
Mirakulöse Fensterstürze

 

Meister Frantz auf Kriegsfuß

mit dem Höllenfürsten

 

Henker von Nürnberg, Band 7

 

Von Edith Parzefall

 

 

Impressum

 

Copyright © 2018 Edith Parzefall

 

Verlag: Edith Parzefall

Ritter-von-Schuh-Platz 1,

90459 Nürnberg, Deutschland

E-Mail: [email protected]

Lektorat, Umschlag und Karten: Kathrin Brückmann

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Karte von Nürnberg

 

 

 

Umgebungskarte

 

 

Diese Karte soll nur einen groben Überblick über die Territorien der Reichsstadt Nürnberg und ihrer Nachbarn geben, denn trotz der scharf gezogenen Grenzlinien hier, waren viele Gebiete umstritten, allen voran Fürth mit seinen drei Herren. Im Jahre 1007 hatte Kaiser Heinrich II. den Ort Fürth der Dompropstei Bamberg als Pfründgut übereignet. Ab 1200 waren die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach dort als Vögte eingesetzt und übten das Geleitrecht und die weltliche Gerichtsbarkeit aus. Seit 1400 hatte die Reichsstadt Nürnberg das Reichsschultheißenamt inne und erlangte auch dank der Kirchenhoheit und des privaten Grundbesitzes einiger Patrizier größeren Einfluss in dem Städtchen. Über Jahrhunderte stritten die drei Herrscher vor dem Reichskammergericht um die Halsgerichtsbarkeit, allen voran der Markgraf und die Reichsstadt. Doch da es nie zu einer Entscheidung kam, stand ich vor der Wahl, das Gebiet von Fürth gesprenkelt darzustellen oder seinem ursprünglichen Besitzer zuzuordnen.

 

Handelnde Personen

 

Historische Figuren sind kursiv gesetzt. Sie werden in diesem Roman fiktional verwendet, obwohl ich mich weitgehend an die überlieferten Fakten gehalten habe. Wie damals üblich tragen alle Nachnamen von Frauen die Endung -in, denn die Anrede Frau und Herr für gewöhnliche Leute war noch nicht geläufig.

 

Meister Frantz Schmidt: der Nachrichter, also Henker von Nürnberg.

Maria Schmidtin: Ehefrau von Frantz, die auch als Henkerin bezeichnet wurde.

Rosina und Jorgen Schmidt: Kinder von Frantz und Maria.

Augustin Ammon: der Löwe, wie man den Henkersknecht in Nürnberg nannte.

Katharina (Kathi) und Maximilian (Max) Leinfelder: heimliche Kundschafterin und Stadtknecht, Eltern von Ursula (Ursel).

Willibald Schlüsselfelder: Vorderster Losunger, Schöffe und Hauptmann im Stadtrat.

Hieronymus Paumgartner: zweiter Losunger und Hauptmann.

Andreas II. Imhoff: Ratsherr, Schöffe und dritter Hauptmann im Triumvirat.

Paul Pfinzing: Kaufmann und Kartograf, der als Alter Genannter frisch in den Stadtrat gewählt wurde.

Martin VI. Haller: Patrizier und Ratsherr, Schöffe.

Ernst Haller: Pfleger in Lauf.

Hans Jakob Haller: Amtmann des Lorenzer Reichswalds.

Balthasar Paumgartner: Pfleger zu Altdorf.

Jorgen Vischer: Pfleger zu Pyrbaum (Bierbaum oder Birnbaum).

Friedrich Reichart: Hauptmann zu Gebersdorf.

Elisabeth Rößnerin: Tagelöhnerin, Bettlerin, Mörderin.

Margaretha und Georg Hörnlein, Jobst Knau, Georg Mayer, Heinz Baum: Räuber und Mörder.

Eugen Schaller: Lochhüter, liebevoll auch Lochwirt genannt. Oberster Aufseher im Loch, dem Nürnberger Gefängnis für Untersuchungshaft und Delinquenten, die auf ihre Hinrichtung warten.

Michel Hasenbart, Konrad Rumpler: Stadtknechte.

Benedikt: Lochknecht, also Wächter im Lochgefängnis.

Floryk Loyal: ein flämischer Student wider willen.

Clara und Lucas Korber: Wirtsleute in Altdorf.

 

Glossar

Atzung: Geld, das Gefangene für ihre Kost bezahlen mussten.

Fliegenstein: Arsen, das zu Pulver zerrieben in Wasser erhitzt wurde. Der Dampf vertrieb Mücken und Fliegen.

Garaus: Torschluss.

Keuche: Gefängniszelle.

Loch(gefängnis): Verlies unter dem Rathaus, das als Untersuchungsgefängnis diente. Hier wurden auch Delinquenten festgehalten, die auf ihre Hinrichtung warteten.

Lochwirt: Lochhüter, oberster Gefängniswärter im Loch.

Losunger: Der Vorderste Losunger war der mächtigste Mann der Stadt, zuständig für Finanzen und Verteidigung, da er gleichzeitig einer der drei Obersten Hauptleute war. Unterstützt wurde er vom zweiten Losunger und Mitarbeitern in der Losungsstube.

Löwe: Henkersknecht. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie der Henkersknecht zu seinem Spitznamen kam, den es so nur in Nürnberg gab, allerdings überzeugt keine so recht. In Bamberg hieß der Henkersknecht beispielsweise Peinlein.

Mandata de non offendendo: ein kaiserlicher Befehl jemanden nicht zu schädigen. Gewöhnlich wurde dieses Mandat vom Reichskammergericht ausgestellt, wenn ein Kläger die Folgen einer Anzeige fürchten musste.

Nachrichter: So wurde der Scharfrichter in Nürnberg genannt, da er nach dem Richter seines Amtes waltete.

Peunt: Bauhof unter der Verwaltung des städtischen Baumeisters bzw. seiner rechten Hand, dem Anschicker in der Peunt. Hier wurden neben Baumaterial auch Fuhrwerke, Pferde und Werkzeuge verwahrt und ausgegeben.

Prisaun: Gefängnis, meist zur kurzfristigen Verwahrung von Delinquenten. Im närrischen Prisaun wurden Geisteskranke untergebracht, die eine Gefahr für sich und ihre Umwelt darstellten. Dabei versuchten die zuständigen Mediziner im Rahmen ihrer damaligen Möglichkeiten auch schon, Ursachen und Heilungsmöglichkeiten zu erforschen.

Sterbenslauf: Seuche, Epidemie, die viele Menschen dahinraffte und dann ausklang.

Unschlitt: Rindertalg.

Warter(in): Krankenpfleger(in).

 

Blutschande

 

Donnerstag, 20. Juli 1587

 

Frantz Schmidt stand auf dem gemauerten Schafott und schwang das Richtschwert durch die Luft. Die Waffe fühlte sich wie ein Teil seines Körpers an, die Verlängerung seines Arms. Gertraudt Schmidtin, glücklicherweise keine Verwandte von ihm, musste nur stillhalten, dann wäre sie schnell erlöst. Die Bauernmaid war erst sechzehn und aus Gnade zum Tod durch das Schwert verurteilt worden, obwohl auf Blutschande Verbrennen bei lebendigem Leib stand. Noch so jung, und doch hatte sie über vier Jahre hinweg mit ihrem Vater und Bruder Unzucht getrieben – vielmehr war mit ihr Unzucht getrieben worden. Einmal mehr wusste Frantz es zu schätzen, dass er für die Freie Reichsstadt Nürnberg arbeitete, sonst müsste er jetzt den Scheiterhaufen vorbereiten.

Die Prozession vom Rathaus näherte sich dem Richtplatz, deshalb steckte Frantz das Schwert wieder in die Scheide an seinem Gürtel und stieg von dem Podest hinunter.

Der armen Sünderin und dem Priester schritten Richter, Schöffen und Räte voran. Am Schafott hielt die kleine Prozession an, wobei die Honoratioren sich in einigem Abstand zur Richtstätte aufstellten. Hinter ihnen drängten die Bewohner Nürnbergs, Beschimpfungen rufend, näher. Das Wort ›Schandhure‹ hörte Frantz am häufigsten. Der neue Kaplan von Sankt Sebald spendete derweil der armen Sünderin das letzte Abendmahl. Frantz betrachtete ihre zierliche, doch schon sehr weibliche Gestalt. Sie hatte sich während der Turmhaft offensichtlich gut von ihrer Krankheit erholt. Die Warterin Lisbeth war eigens für sie abgestellt worden und hatte sie mühevoll gesund gepflegt, nur damit er sie heute hinrichten konnte.

Gertraudt wandte sich von dem Geistlichen ab und blickte ängstlich zum Schafott. Frantz ging zu ihr. »Bereit?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das werde ich nie sein.«

»Dennoch muss es geschehen. Komm mit.«

Sein Knecht Augustin nahm ihr das blaue Mäntelchen ab, und sie ließ sich zur gemauerten Plattform führen. Erst vor den Stufen scheute sie.

»Es hilft nichts, Schmidtin. Ich kann dich auch hinaufzerren und auf einen Stuhl binden. Oder willst du doch lieber brennen?«

»Scheusal«, zischte sie.

Jugendlicher Trotz, dachte Frantz und erinnerte sich an Maria Kürschnerin, auch Schützenmarie genannt, die zu den ersten beiden Frauen gehörte, die er mit dem Strang hatte richten müssen. Sie war sogar noch jünger als Gertraudt gewesen. »Es tut mir wahrlich leid, dich vom Leben zum Tod bringen zu müssen, doch du solltest dankbar für dieses gnädige Urteil sein. Ich bin es.«

Sie verengte die Augen. »Ihr seid ja auch ein Feigling!«

Frantz schloss einen Moment die Lider, dann zog er sie an einem Arm mit sich aufs Schafott. Wenigstens wehrte sie sich nicht. Oben angelangt ließ er sie los und fragte: »Willst du noch etwas zu den Leuten sagen?«

Sie warf den Kopf in den Nacken. »Wozu? Die verachten mich sowieso nur.«

»Natürlich tun sie das. Jeden normalen Menschen graust es vor Inzest.«

Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen. »Ich hab’s doch gar nicht besser gewusst, bis ich älter geworden bin. Und da war’s auch schon egal.«

»Ich weiß, Gertraudt, du kannst am wenigsten dafür, aber Gesetz ist Gesetz.« Vorsorglich hatte ihr niemand erzählt, wie es bald ihrem Vater und Bruder ergehen würde. Die beiden waren auf markgräflichem Territorium festgesetzt worden. Ihnen drohte der Tod durch das Feuer. Die Maid hing trotz allem an den beiden, hatte ihren Vater sogar verteidigt. Nach dem Tod der Mutter sei er so einsam gewesen. Ungeduldige Rufe wurden laut, und Frantz verdrängte die Erinnerungen an ihr Geständnis.

»Willst du stehen, knien oder sitzen?«, fragte er.

»Stehen.«

»Gut.« Er schob sie noch ein Stück an die richtige Stelle. »Halt schön still.«

Die Lochwirtin hatte Gertraudts rotbraune Haare ordentlich hochgesteckt, da sie als Unverheiratete keine Haube tragen durfte. Er schnürte die Bluse des Mägdleins auf und streifte sie ihr über die Schultern herab bis zum Ansatz ihrer vollen Brüste. Ein schönes Weib war sie, doch das war keine Entschuldigung für Vater und Bruder.

»Du hättest mich in der Folterkammer sicher auch gern genommen«, flüsterte sie. »Hättst mir noch andere Instrumente zeigen wollen, die du in der Hose rumträgst, und mir ihre Verwendung vorführen mögen.«

Frantz trat einen Schritt zurück. »Du bist sehr begehrenswert, aber du irrst. Ich hab eine Ehefrau, bei der es mir an nichts mangelt.« Er trat noch etwas zurück und blickte zu Augustin, der wie immer einen Stuhl bereithielt, dann entschloss er sich, das Risiko einzugehen und sie ihrem Wunsch gemäß stehend zu richten. »Möge der Herr sich deiner Seele erbarmen.«

Jeglicher Trotz war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie ihn von der Seite ansah. »Und deiner ebenfalls, Henker. Ich hätt nichts dagegen gehabt, wenn du mich genommen hättest.« Ein Ausdruck von Trauer huschte über ihr Antlitz.

Diese Maid kannte offensichtlich gar keine andere Art der Zuwendung. Etwas ratlos antwortete er: »Ich fühle mich geehrt.« Dann zog er den Beidhänder und holte aus. Sie zitterte am ganzen Leib, wandte den Blick ab. Da schlug er zu. Im Schwung sah er, wie sie sich zur Seite duckte und schreiend die Schulter hochriss. Zu spät! Er schaffte es nur noch, etwas Kraft aus dem Hieb zu nehmen, dann schnitt die Klinge in ihren Oberarm. Gertraudt Schmidtin kreischte auf und ging in die Knie.

Er riss das Schwert zurück. Sein Herz raste. Irgendwann musste es ja passieren! Jetzt ganz ruhig bleiben. Sie hielt sich den verletzten Arm und wimmerte. Schnell holte er von der anderen Seite aus. In dem Moment, da sie sich etwas aufrichtete, um sich nach ihm umzuschauen, führte er den nächsten Hieb aus und traf. Die Klinge durchtrennte ihren Hals. Frantz atmete auf.

Erst jetzt nahm er das Stöhnen und die Rufe der Zuschauer wahr. Er schenkte ihnen keine Beachtung, sondern zog den Körper der Schmidtin an den Armen zum Löwen.

Der starrte ihn nur an, statt das Blut einzufangen. »Du hast mehr als einen Hieb gebraucht!«

»Ich werd’s überleben, sie nicht.« Frantz hob den abgetrennten Kopf auf und meinte, Überraschung in Gertraudts Gesichtszügen zu sehen. Sie hatte bestimmt nicht damit gerechnet, dass er so schnell wieder zuschlagen würde. Er legte das Haupt neben den Körper, wischte das Schwert ab und steckte es in die Scheide, dann erst sah er sich um. Die Ratsherren, die nach wie vor etwas abseits des Schafotts standen, wirkten ebenfalls überrascht von seinem Patzer. Den Zuschauern schien das Ganze wenig auszumachen. Unter ihnen fanden sich viele Leute, die etwas vom Blut der frisch Gerichteten kaufen wollten, um sich damit deren unverbrauchte Lebensenergie einzuverleiben. Frantz stieg von der Plattform.

Neubauer, der Wirt der Fetten Gans, kam auf ihn zu. »Meister Frantz! Ich hab ja nicht mehr erwartet, jemals zu sehen, dass Ihr mehr als einen Hieb braucht!«

Frantz sah ihn bedauernd an. »Tut mir leid, Euch enttäuscht zu haben. Werdet Ihr diese Hinrichtung auch zeichnen?«

»Hm, mal sehen.«

»Der Teufel muss Euch geblendet haben!«, rief ein alter Mann direkt hinter ihm.

Frantz drehte sich um und erkannte einen schwerhörigen Patienten, den er öfter wegen seiner schmerzenden Knie behandeln musste, vorzugsweise mit Menschenfett. »Nichts dergleichen, Seehofer, die arme Sünderin hat einfach zu große Angst bekommen.«

»Ja eben, das hat ihr der Teufel eingesagt, dass sie sich nur ducken muss.«

Frantz unterdrückte einen Seufzer. Mit solchen Ausreden entschuldigten manche seiner Kollegen ihr Versagen, doch er wollte keine höllischen Mächte bemühen, um die Verantwortung für seinen Fehler abzuwälzen. Irgendwie war er auch erleichtert, weil endlich das passiert war, wovor es ihn schon seit seiner Jugend graute. Vor inzwischen … vierzehn Jahren hatte er in Bamberg sein Meisterstück gemacht und seither nicht einmal eine Hinrichtung verpatzt. Bis heute.

Dummerweise hatte der schwerhörige Alte so laut gesprochen, dass nun das Gerede vom Teufel um sich griff. Aus allen Richtungen hörte er die Worte: ›Luzifer‹, ›Höllenfürst‹, ›Dämon‹ oder ›Teufel‹. Frantz ging mit weit ausholenden Schritten zum Stadtrichter. »Verzeiht, ich habe meinen Auftrag schlecht ausgeführt.«

Ratsherr Imhoff gesellte sich zu ihnen. »Wir sind noch ganz erschrocken, Meister Frantz.« Er schaute allerdings eher verschmitzt drein. »Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass unter den Schützen Wetten laufen, vielmehr gelaufen sind, wann Ihr zum ersten Mal patzt.«

Frantz sah sich um. Tatsächlich war am Rande des Richtplatzes ein Grüppchen Schützen zusammengelaufen. Ob Geld den Besitzer wechselte, konnte er auf die Entfernung allerdings nicht erkennen.

»Scheint zu stimmen«, befand der Richter, dessen Blick seinem gefolgt war.

Frantz wandte sich wieder den hohen Herren zu. »Es gibt da ein anderes Problem. Die Leute reden davon, der Teufel hätte eingegriffen. Ist es Euch recht, wenn ich auf die Plattform steige und mich für mein Versagen entschuldige? Ich hab die Angst der armen Sünderin unterschätzt, hätte sie auf einen Stuhl binden müssen.«

Imhoff wiegte den Kopf hin und her. »Ihr lasst die Sache besser auf sich beruhen, Meister Frantz. Wenn Euch jemand fragt, sagt, wie es war. Alle haben doch gesehen, dass die Frau zusammengezuckt ist.«

Frantz nickte. »Ihr habt recht, wenn ich jetzt das Wirken des Teufels in Abrede stelle, bekommt der Fürst der Hölle nur noch mehr Aufmerksamkeit.«

Imhoff lächelte versonnen. »Ja, dem Leibhaftigen wird vieles angelastet. Denkt nur an den Heinz Zitzmann.«

Da schnaubte Frantz. Der elende Dieb hatte es sich zunutze machen wollen, dass die Stadt Nürnberg zauberisches Handeln nur im Falle echten Schadens verfolgte. Als er innerhalb der Stadtmauern verhaftet worden war, hatte er einfach frech behauptet, seine Diebesbeute sei ein Geschenk des Teufels. Doch der Rat hatte schnell herausgefunden, wen er bestohlen hatte.

Auch der Richter lächelte jetzt. »Anfang des Jahres war das. Seither haben wir nichts mehr von dem Lumpen gehört oder gesehen. Ihr habt ihm den Teufel mit der Rute erfolgreich ausgetrieben, möchte ich meinen.«

»Oder er traut sich nicht noch einmal, solchen Unfug zu erzählen«, meinte Imhoff. »In anderen Herrschaftsgebieten könnte es ihn auf den Scheiterhaufen bringen.«

Frantz gefiel die Vorstellung, zusammen mit dem Zitzmann auch den Teufel aus Nürnberg verjagt zu haben. Dann wurde ihm etwas anderes bewusst. Zaghaft fragte er: »Ich darf hoffentlich weiterhin Frauen mit dem Schwert richten, statt sie zu ertränken?«

Imhoff sah den Richter an. Der nickte langsam. »Ich denke schon. Zumindest bis die Nächste sich erblödet zu zucken.«

»Danke.«

»Allein, um den Markgrafen zu ärgern«, sagte Imhoff und holte ein Blatt Papier aus seinem Wams hervor und faltete es auseinander. »Seine Gnaden Georg Friedrich hat heute bei uns diese Flugblätter verteilen lassen, damit jeder mitkriegt, dass Vater und Bruder der Gertraudt Schmidtin nächste Woche in Langenzenn verbrannt werden. Der lässt gern die Scheiterhaufen lodern und meint, uns auch noch für unsere Milde verhöhnen zu müssen. Dabei sollte er uns dankbar sein. Schließlich haben wir Vater und Sohn zur Anzeige gebracht und dem markgräflichen Gericht die Urgicht der Gertraudt Schmidtin übermittelt, damit sie dieses abscheuliche Gelichter überhaupt verhaften konnten.«

Der Richter betrachtete das Flugblatt und schnaubte. »Sieht ihm ähnlich, sich ausgerechnet hier und heute seiner Gnadenlosigkeit zu brüsten.«

Frantz ging zurück zu Augustin und bemerkte ein paar hämische Gesichter unter den Leuten, die noch herumstanden.

»Na, Schelte gekriegt?«, fragte einer.

Frantz ignorierte ihn. Der Körper der Schmidtin war anscheinend schon gut ausgeblutet. Augustin packte bereits die Schüssel und den Schöpflöffel ein. »Frag mich nicht, warum, aber heut waren die Leut besonders versessen auf das Blut«, brummelte der Löwe.

»Bestimmt wegen ihrer Jugend. Sehr viel unverbrauchte Lebensenergie, die man sich einverleiben kann.«

»Freilich, daran hab ich gar nicht gedacht.«

Stadtknecht Rumpler schlenderte mit einer Frau heran. Als Warterin hatte sie ihn einst im Pestlazarett gepflegt, in den letzten Wochen auch die Schmidtin. Frantz bereitete sich auf weiteren Spott vor, doch Rumpler maulte: »Ihr habt mich gerade einen Batzen gekostet.«

Die Frau schlug ihm mit der Faust gegen den Arm. »Konrad, du Esel, sollst doch nicht wetten, auf so was schon gar nicht!«

»Autsch, hör auf Lisbeth, wie schaut denn das aus, wenn du einen Stadtknecht schlägst?«

Sie schmunzelte. »Du meinst bestimmt: Wie sieht das aus, wenn ein Stadtknecht sich von einem Weib schlagen lässt?«

»Das auch.« Rumpler grinste.

»Du hast also gewettet«, sagte Frantz und schlug nun selbst einen spöttischen Ton an.

»Freilich. Ihr hättet dem Weib mehr Wein geben sollen, dann hätt sie stillgehalten.«

Frantz blickte zu dem Leichnam, der jetzt von Totengräbern auf eine Bahre gelegt wurde. »Vielleicht, aber ihr hat’s vor allem an Gottvertrauen gemangelt. Woher hätt sie es auch haben sollen? Hat in jungen Jahren die Mutter verloren, und dann hat der Vater sie in sein Bett geholt.«

Lisbeth seufzte: »Ja, sie konnte kaum verstehen, dass sie deswegen angezeigt worden ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Mensch, dem sie am meisten vertraut hat, macht so was und lässt ihren Bruder auch noch ran. In die Kirche ist sie allenfalls zu Weihnachten und Ostern gekommen. Da durft sie hören, dass man Vater und Mutter ehren muss.«

Frantz fasste sich an den linken Arm. »Mir tut’s wirklich leid, dass ich ausgerechnet bei ihr gepatzt hab. In der Folterkammer hat es gereicht, ihr zu drohen. Nicht einen Finger musste ich ihr brechen. Allerdings wollt sie mir an den Hosenlatz und hat geglaubt, dass ich sie dann freilasse. Was anderes hat sie daheim wohl nicht gelernt.«

Lisbeth sah ihn merkwürdig an. »Ich hoffe, Ihr konntet widerstehen?«

»Was für eine Frage, unverschämtes Weib!«, sagte er mit bedrohlich tiefer Stimme. Niemand durfte seine Ehre anzweifeln, auch wenn er ein Unehrlicher war.

Die Warterin zog den Kopf ein, selbst Rumpler verging das Grinsen.

»Ich muss jetzt Augustin helfen, den Richtplatz zu putzen. Als Strafe für meine schlampige Arbeit.«

»Entschuldigt bitte«, murmelte Lisbeth.

»Schon gut, ich weiß ja, mit was für Leuten du sonst so verkehrst.« Damit warf er Rumpler einen spöttischen Blick zu. Der Stadtknecht entspannte sich und feixte wieder.

 

Der Hauptmann des Markgrafen

 

Freitag, 4. August 1587

 

Friedrich Reichart schritt seine Äcker ab und genoss den Anblick der in der Sonne golden leuchtenden Ähren. Endlich mal wieder eine gute Ernte, Babette würde … Unwillkürlich biss er sich auf die Zunge. Was dachte er da? Sie war tot. Jegliche Freude verflog. Was nutzte ihm eine gut gefüllte Scheune, wenn sein Haus nicht mit Leben erfüllt war?

Er blickte in den wolkenlosen Himmel und stapfte weiter entlang der Felder seines Nachbarn bis zu einem Wäldchen, in dem sie Vögel und Kleinwild fangen durften. Das Wildbret freilich blieb den markgräflichen Jägern vorbehalten.

Ein Keifen ließ ihn herumfahren. Er brauchte einen Moment, bis er die zwei Frauen auf dem Erbsenacker ausmachte – offensichtlich Tagelöhnerinnen, die mit kleinen Hacken zugange waren. Die eine redete auf die kleinere Gebückte ein, dem Tonfall nach höhnisch schimpfend. Nun richtete sie sich gerade auf und schwang einen Lederbeutel, was die Gebückte zu weiterem Keifen anstachelte. Friedrich ging langsam in ihre Richtung. Vielleicht konnte er schlichten, dann hätte er heute wenigstens eine gute Tat vollbracht. Besondere Eile legte er aber nicht an den Tag. Bei seinem Glück wandten sich die beiden zankenden Weiber am Ende gegen ihn und kratzten ihm die Augen aus.

»Waldschrat, grausliger!«, rief die Große. »Das Geld haben die Leut mir gegeben!«

»Ich kann doch nichts dafür«, lamentierte die andere und richtete sich auf. Den Kopf hielt sie zur Seite geneigt. Die Haltung kam Friedrich bekannt vor. Konnte das die Liesl sein?

»Kein Wunder, dass ich fast jede Nacht so einen Albdruck hab«, höhnte die hochgewachsene Frau und feixte. »Wenn ich neben dir im Heu lieg.« Sie versteckte den Beutel hinterm Rücken. »Zeig mich doch an, dann erzähl ich, dass du eine Drud bist.«

Nun konnte Friedrich deutlich das schmerzverzerrte Gesicht der Krummen sehen. Ja, das war die Liesl! »Du bist so ein Mistvieh, Kuni!«, schrie sie, holte mit der Hacke aus und schlug auf die andere ein. Allmächtiger! Kuni schrie auf, entwand ihr das Werkzeug und schüttelte sie. Dabei gelang es Liesl, ihr den Beutel zu entreißen. Sie rangen und stürzten zu Boden. Jetzt rannte Friedrich, so schnell er konnte, stolperte über eine Ackerfurche, fing sich und hastete weiter. »Halt! Aufhören.«

Liesl hockte auf Kuni und drückte den Stiel der Hacke auf den Hals der unter ihr Liegenden. »Sollst auch einen krummen Hals kriegen!«, keuchte sie.

Fast hatte er die beiden erreicht und schrie: »Hör auf, Liesl! Mach dich nicht unglücklich!«

Ihr Kopf fuhr herum. Sie sah ihn verständnislos an, die Schultern sanken herab. Dann kam sie zu Sinnen, schleuderte die Hacke von sich. »Kuni! Herr im Himmel, hilf! Kuni.« Sie schüttelte die Reglose. »Was hab ich getan?«, murmelte sie. Erneut blickte sie sich nach ihm um. Plötzlich blinzelte sie und hauchte: »Friedl?«

Friedrich schubste sie beiseite und fiel neben dem Opfer auf die Knie. Mit zitternden Fingern fühlte er nach einem Herzschlag. Nichts. Wütend funkelte er die Mörderin an, die er von klein auf kannte. Der verkrümmte Nacken, die Brandnarbe am Hals. »Liesl, bist du’s wirklich?«, fragte er dennoch, denn die Maid, mit der er aufgewachsen war, hätte so eine Tat nie begangen.

Langsam nickte sie, dann sah sie auf ihre Hände und schließlich zur Leiche. »Lebt sie noch?«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast sie erdrosselt. Ich hab alles gesehen.«

Schluchzend rollte Liesl sich auf dem Boden zusammen. »Das wollt ich nicht, wirklich.«

Vielleicht nicht, dachte Friedrich, doch sie hatte es vor seinen Augen getan. Er war Hauptmann in Gebersdorf und damit ein Ordnungshüter, auch wenn er sich vor allem um Brandschutz kümmern musste. Feuer war die größte Gefahr für die Landbevölkerung. Es konnte ganze Existenzen vernichten. Feuer … Für den Landesherrn war es das probate Mittel, um die Agenten des Teufels auf Erden in die Hölle zu schicken. Er legte einen Finger unter das Kinn der Frau. Nur wenige Jahre jünger als er war sie in seinem Dorf aufgewachsen und schließlich verschwunden, nachdem ihr Vater für den Mord an ihrer Mutter gerichtet worden war. »Schau mich an, Liesl.«

Schniefend richtete sie sich halb auf und wischte sich über Mund und Nase. »Ich bin immer noch so hässlich wie früher.«

Friedrich schüttelte den Kopf. »Du wärst eine hübsche Maid geworden, wenn dich deine Mutter nicht so übel misshandelt hätt.« Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Seine Hände hatten diese Narbe einst berühren dürfen, seine Lippen die ihren. Allerdings hatte er ihr nie gestanden, dass es eine Mutprobe gewesen war. Die anderen Burschen hatten ihn herausgefordert.

»Du warst schon immer ein bisserl seltsam.«

Unwillkürlich musste er lächeln, dann riss er sich zusammen. »Du hast einen Menschen auf dem Gewissen.«

Ihre Mundwinkel zuckten, als könnte sie ein neuerliches Schluchzen kaum zurückhalten. Die Augen glitzerten feucht. »Die Kuni war so garstig zu mir, wollt mir nichts vom Geld abgeben, dabei bin ich es, die das Mitleid der Leut erregt, wenn wir um Almosen oder Arbeit betteln. Aber die Münzen geben sie lieber ihr.« Ihre Hand wanderte zu der Narbe an ihrem Hals, ein Winseln drang aus ihrer Kehle. »Brennen werde ich dafür, und nicht nur in der Hölle.«

»Na, na. Du wirst nicht gleich auf dem Scheiterhaufen landen, aber verantworten musst du dich für deine Tat.«

»Mit der Narbe und so krumm und bucklig, wie ich bin, schimpfen mich die Leut doch eh oft genug eine Hexe. Und jetzt, wo ich die Kunigunda umgebracht hab, werden sie’s erst recht tun. Das Luder wollt mich als Drud anzeigen, wenn ich mich beim Büttel beschwer.«

»Davon erzählst du niemanden. Ich auch nicht.« Die Angst vor Zauberei und dem Teufel griff immer mehr um sich. Da konnte so eine Verleumdung grausame Folgen haben.

»Aber unter der Folter werd ich bestimmt alles sagen.«

Er ließ den Blick über die Felder wandern. In der Ferne machte er die Türme der Freien Reichsstadt Nürnberg aus, ein Hort der Vernunft und Gnade. Solange er denken konnte, war dort niemand lebendig verbrannt worden, allenfalls die Leichen von üblen Verbrechern nach deren Hinrichtung. Sein Entschluss stand fest. »Die Büttel des Markgrafen werden dich nicht in ihre Finger bekommen.«

»Du willst mich laufen lassen?«, fragte sie ungläubig.

»Das kann ich unmöglich tun.«

 

*

 

Samstag, 5. August 1587

 

Max Leinfelder begab sich wie befohlen nach der Ratssitzung in die Kriegsstube. Zu seiner Überraschung erwartete ihn dort hinter dem Schreibtisch sitzend der ehrbare Rat Andreas Imhoff und blickte düster drein. Verwirrt sah Max sich um, entdeckte aber sonst niemanden. »Ihr wollt mich sprechen?«, fragte er zögerlich.

»Setzt dich, Leinfelder. Es geht um eine verzwickte Angelegenheit.«

Max hockte sich auf den Stuhl vor dem Tisch. »Hab’s befürchtet, sowie ich Euch gesehen hab.«

Nun stahl sich doch ein Lächeln auf das Gesicht des Ratsherrn. »Das hast du nun davon, dass du dich als äußerst vertrauenswürdiger Stadtknecht erwiesen hast.«

Versöhnt mit seinem Schicksal schmunzelte Max. »Erzählt. Was kann ich tun?«

»Geh nach Gostenhof. Nimm den Hasenbart oder den Rumpler mit, die können das Maul halten, hoffe ich.«

Max nickte und wurde immer neugieriger, doch er übte sich in Geduld.

Imhoff blickte ihm in die Augen. »Dort hat der Pfleger eine vermutliche Mörderin in Gewahrsam – und einen Hauptmann aus Gebersdorf, der sie angezeigt hat.«

»Gebersdorf?« Max kratzte sich die Stirn. »Gehört der Ort nicht …«

»Zum Gebiet des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, ganz recht.«

»Trotzdem hat der Hauptmann sie nach Gostenhof gebracht?«

Der Rat erhob sich und lief in dem kleinen Vorzimmer auf und ab. »Wir haben den Mann noch nicht befragt, aber nach allem, was Pfleger Fütterer berichtet, wollte der Hauptmann sie davor bewahren, in Langenzenn als Hexe verbrannt zu werden.« Imhoff blieb stehen und sah ihn wieder an.

»Dann bringen wir beide ins Loch?«

»Genau. Paul Pfinzing und ich werden bei der Befragung durch die Lochschöffen dabei sein.«

»Sehr wohl.« Max stand auf.

»Und Leinfelder: kein Wort zu niemandem!«

Er nickte und verließ das Kriegsamt mit einem flauen Gefühl im Bauch. In der Schützenstube fand er Konrad Rumpler, der trotz seiner Beförderung zum Stadtknecht immer noch gern bei seinen ehemaligen Kollegen herumlungerte. »He, Konrad, gibt Arbeit.«

»Was denn?«, rief der sogleich und gürtete sein Schwert um. Drei weitere neugierige Gesichter wandten sich ihm zu.

Max feixte. »Darf ich nicht verraten.«

»Pah«, stieß Schütze Lehner hervor. »Wer so wichtig tut, muss wahrscheinlich die Abortgrubenleerung beaufsichtigen.«

Alle lachten, auch Max. »Was ähnlich Aufregendes.«

Unwillig vor sich hinbrummelnd folgte ihm Konrad hinaus auf die Straße. »Jetzt sag, was los ist. Geht’s wirklich um die Abortgruben?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.

Max beugte sich nah zu ihm und raunte: »Dummbartel, dafür braucht’s keine Stadtknechte. Du darfst niemandem was davon erzählen.« Erst als Konrad ernst nickte, fuhr er fort: »Wir sollen zwei Personen aus Gostenhof ins Loch führen.«

Die Züge seines Kumpels hellten sich auf. »Das klingt schon interessanter. Was haben die denn angestellt?«

Sie marschierten los, doch Max wollte lieber nicht zu viel verraten. »Musst du nicht wissen, ist verzwickt.«

»Verzwickt?«

Er nickte. »Hat der Rat Imhoff gesagt und will selbst bei der Befragung dabei sein.«

»Na dann, bringen wir ihm das Gelichter. Ich werd mir schon nicht gleich wieder die Pestilenz einfangen.«

An die Zeit erinnerte Max sich nicht gern. Vorletztes Jahr hatten sie zwei Verdächtige aus Almoshof nach Nürnberg bringen müssen, und einer von denen hatte Konrad die Pest angehängt. »Wann heiratest du denn jetzt deine Krankenpflegerin?«

Wie meist lief sein Kumpel bei der Erwähnung von Lisbeth rot an. »Wenn ich sie heirate, dann kriegen wir auch bald Kinder, und dafür verdien ich nicht genug.«

»Du Feigling hast das Haus deiner Mutter geerbt, da kannst du dir schon Weib und Kinder leisten. Ich glaub, du traust dich einfach nicht.«

Konrad ließ den Kopf hängen. »Wenn sie mich erst richtig kennenlernt, dann mag mich die Lisbeth vielleicht nicht mehr.«

Er unterdrückte ein Lachen. »Du weißt doch, die Kathi hat dich nie leiden können, bis sie dich im Pestlazarett besser kennengelernt hat.«

Nun grinste sein Kumpel. »Das ist was anderes. Dein Weib hab ich ja zu gern geärgert, seit wir sie damals wegen Mordverdacht verhaftet haben.«

»Stimmt.« Diese Erinnerung rief trotz der damaligen widrigen Umstände ein Lächeln bei ihm hervor. Wer konnte schon behaupten, heimlich im Untersuchungsgefängnis getraut worden zu sein? Sie erreichten das Stadttor. Der Wächter war in ein Gespräch mit einer hübschen jungen Frau vertieft, die keine Haube trug, also noch unverheiratet war. Er stieß Konrad an. »Vielleicht heiratet der vor dir.«

»Niemals. Den will doch kein so fesches Weib.« Er sah sich nach der Frau um und schürzte die Lippen.

Max schlug ihm auf den Rücken. »Du wirst auch nicht mehr gescheiter.« Sie überquerten den Plärrer und erreichten das Pflegamt von Gostenhof. Pfleger Korbinian Fütterer stand mit dem Eisenmeister vor dem Gebäude. Beide blickten in Richtung Freie Reichsstadt, als könnten sie es gar nicht erwarten, ihre Gefangenen loszuwerden. Fütterer kam sogar ein paar Schritte auf sie zu. »Na endlich. Zwar ist uns angekündigt worden, dass die zwei heute ins Loch gebracht werden sollen, aber nicht wann. Den ganzen Tag warten wir schon.«

Konrad antwortete mit ernster Miene: »Das muss eine ziemliche Mühsal gewesen sein.«

Ein Schnauben entfuhr Max, doch wenigstens prustete er nicht los. Der Pfleger sah Rumpler missbilligend an. »Auf der Hut mussten wir sein.« Er warf den Kopf in den Nacken und schritt voran zum kleinen Kerker. An der Tür blieb er stehen und ließ den Eisenmeister aufschließen. Der führte sie hinunter, während der Pfleger oben wartete. Zuletzt hatte Max hier den Lienhardt Hertl abgeholt. Irgendwie schade, dass Meister Frantz den Schelm hatte hinrichten müssen.

Hier gab es insgesamt nur vier Zellen, von denen der Mann zwei entriegelte. Wie, wunderte sich Max, der Hauptmann ist auch eingesperrt worden? Nun, seine Aussage brauchte der Rat, und wenn er die Frau verleumdete, verdiente der Kerl die Haft allemal. Der Eisenmeister leuchtete in die Keuche. Der Insasse stand aufrecht da und strich sich das Hemd glatt. »Ist es so weit, werden wir nach Nürnberg gebracht?«

»Ja, freust dich schon?«, fragte Konrad.

Der Mann sah ihn verächtlich an. »Ich will’s nur hinter mich bringen. Friedrich Reichart heiß ich und bin Hauptmann zu Gebersdorf.«

»Aber …«, begann Konrad und warf Max einen fragenden Blick zu.

Er begnügte sich mit einem: »Genau.«

Aus der anderen Keuche führte der Eisenmeister ein krummes Weib in einem fadenscheinigen Kleid heraus. Sie schien den Kopf nicht gerade halten zu können. Sofort dauerte sie Max.

»Das ist Elisabeth Rößnerin. Sie wird des Mordes an ihrer Freundin bezichtigt.« Der Eisenmeister warf dem Hauptmann einen schwer zu deutenden Blick zu. Vorwurf schien darin zu liegen, doch gegen wen sich dieser richtete und warum, konnte Max nicht erkennen.

»Liesl«, murmelte das Weib. »Nennt mich Liesl.«

»Gut, Liesl, dann gehen wir jetzt alle nach Nürnberg.« Max bemerkte die Ketten an ihren Handgelenken. So würden sie auffallen und Fragen nicht ausbleiben. Reichart dagegen trug keine. Max fragte ihn: »Braucht sie die Fesseln?«

Der Hauptmann kratzte sich die Wange und fragte die Frau: »Du kommst freiwillig mit?«

Tränen glitzerten in ihren Augen. »Ihr erwischt mich ja doch, wenn ich davonlaufe, und dann schleifst du mich am Ende nach Langenzenn.«

»Richtig.«

Max nickte dem Eisenmeister zu, und der nahm die Schellen von ihren Handgelenken.

Draußen im Sonnenschein musterte Max die Verdächtige genauer. Liesl sah erbärmlich aus, der krumme Nacken zwang sie in eine schiefe Haltung, wenn sie jemanden direkt anschauen wollte. Am Hals hatte sie einen roten Fleck, der wie ein Brandmal aussah. Sie musste seinen Blick bemerkt haben, denn ihre Finger berührten die Stelle. »Bin als Kind mit heißem Wasser verbrüht worden.«

Reichart trat neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Böse Leut könnten das auch für ein Teufelsmal halten.«

Jetzt verstand Max, warum der Hauptmann sie nicht bei seinem Dienstherrn angezeigt hatte, obwohl sie nur eine Mörderin war. In der Markgrafschaft erging es Menschen, die der Hexerei verdächtigt wurden, grausig. Eine Anzeige bedeutete Folter bis zum Geständnis, das unweigerlich den qualvollen Feuertod brachte. Im Gegensatz zu Liesl wirkte Reichart äußerst ehrbar. Groß und kräftig, dichtes, schulterlanges, dunkelblondes Haar und hellbraune Augen, der Vollbart kurz gestutzt.

»Gehen wir«, sagte Max. »In Nürnberg fürchtet man sich nicht vor dir, nur weil du einen schiefen Hals und eine Brandnarbe hast.«

Liesl brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande. Max und Reichart flankierten sie, Konrad ging hinter ihnen. Mit ihren schwarzroten Pluderhosen zogen sie natürlich trotzdem viele Blicke an, doch wer Liesl genauer betrachtete, hielt sie bestimmt für eine Bettlerin, die ohne Erlaubnis in Gostenhof Almosen erfleht hatte.

Tatsächlich zog der Torwächter die Augenbrauen hoch, fragte aber nicht weiter. Auf dem Weg zum Rathaus erspähte Max zwischen den geschäftigen Gassen den Henkerturm auf der Pegnitzinsel. Müsste Meister Frantz das Weib an seiner Seite richten? Obwohl es nicht seine Aufgabe war, fragte Max: »Hast du wirklich deine Freundin umgebracht?«

Liesl verdrehte den Kopf, um ihn anzuschauen. »Ich sag nichts.«

»Ich hab’s gesehen«, sagte Reichart. »Gestritten haben sie auf einem Feld bei Gebersdorf. Dann ist die Liesl der anderen an die Gurgel gegangen.«

Max seufzte. »Erzähl’s lieber den Lochschöffen. Scheint kompliziert zu werden.«

»Freilich.«

Liesl schniefte. »Sterben werd ich.«

»Nur, wenn du schuldig bist«, antwortete Max. »Und als Hexe wirst du nicht verbrannt.«

Sie presste die Lippen aufeinander. »Bei meinem Glück liefert mich der Rat an den Markgrafen aus. Dann brenn ich bestimmt.«

Max verstand die politische Lage zu wenig, um etwas Sinnvolles zu antworten.

Am Eingang zum Lochgefängnis erwartete sie Eugen Schaller, der Lochhüter. Bei ihm stand ein Mann, den Max nur vom Sehen kannte: ein fein gekleideter Patrizier mit Halskrause, samtenem Wams und Pluderhose aus sehr dünnem Stoff. Das war sicherlich der junge Pfinzing, den Imhoff angekündigt hatte. Die Haare trug er ungewöhnlich kurz, im Gesicht auch nur einen Schnurr- und Spitzbart. Max schätzte ihn auf Mitte dreißig. Als sie die beiden erreichten, sagte er vorsichtig: »Ehrbarer Pfinzing, nehme ich an?«

»Ganz recht, du musst der Leinfelder sein, und das sind unsere … besonderen Gäste.«

»Richtig, Elisabeth Rößnerin und Friedrich Reichart, Hauptmann zu Gebersdorf.«

Pfinzing nickte. »Etwa eine Stunde zu Fuß von dort nach Gostenhof.«

»Ihr kennt Euch in der Gegend aus?«, fragte Reichart.

»Neben meiner kaufmännischen Tätigkeit und seit Kurzem auch noch als Ratsherr bleibt mir zwar nicht viel freie Zeit, aber die nutze ich gern, um die Umgebung von Nürnberg zu kartografieren. Wo hast du die Rößnerin aufgegriffen?«

Reichart verzog das Gesicht und murmelte: »Zwischen Gebersdorf und Großreuth.«

»Auf markgräflichem Gebiet also. Gehen wir nach unten. Was wir zu bereden haben, muss niemand hören.«

»Braucht Ihr mich?«, fragte Max.

Pfinzing überlegte kurz. »Komm mit, ich hab nämlich keine Ahnung, was ich hier tue, bin erst seit Ostern im Inneren Rat, und das auch nur als Alter Genannter, also in Warteposition, bis ein Bürgermeisteramt frei wird.«

»Ah, verstehe.« Max erinnerte sich daran, wie Goldschmied Wenzel Jamnitzer ihm vor ein paar Jahren erklärt hatte, dass der Rat aus dreizehn älteren und dreizehn jüngeren Bürgermeistern bestand, von denen wiederum jeweils dreizehn als Schöffen und dreizehn als Räte fungierten. Dazu gab es acht Genannte der Handwerke und acht Alte Genannte, die allenfalls ein Mitspracherecht hatten, aber keine Funktion ausübten.

Er folgte Pfinzing, Schaller und den ›besonderen Gästen‹. Konrad blieb zurück, hatte lieber gar nicht erst gefragt, ob er mitkommen sollte, der alte Feigling. Wie die meisten Leute wollte auch der Schütze nicht mit den Dingen, die im Loch geschahen, in Verbindung gebracht werden. Hier wurden verstockte Verdächtige der Tortur unterzogen, wenn es hinreichend Beweise oder Zeugen ihrer Schuld gab.

Schaller führte sie in die kleine Verhörkammer, in der Max selbst schon einmal befragt worden war. Hier erwartete sie bereits Andreas Imhoff mit dem derzeitigen Lochschöffen Christoph Tucher. Letzterer wies Schaller an, die Verdächtige in eine Keuche zu bringen. »Zunächst wollen wir die Bezichtigung hören.«

Zum ersten Mal wirkte Reichart unsicher, als er sich den Herren gegenübersetzte. Pfinzing ließ sich auf dem Stuhl neben der Tür nieder, auf dem sonst der Gerichtsschreiber saß. Max fragte: »Wünschen die Herren meine Anwesenheit?«

Imhoff nickte und deutete zu einem Schemel in der Ecke am anderen Ende der Wand. »Es macht dir doch nichts aus, dort zu sitzen, wo gelegentlich Meister Frantz hockt?«

Lächelnd schüttelte Max den Kopf. Um dorthin zu gelangen, musste er sich allerdings hinter Reichart vorbeizwängen. Wie sehr es wohl Delinquenten einschüchterte, wenn der Nachrichter von Nürnberg das tat?

Imhoff, der inzwischen Mitglied des Triumvirats und damit drittwichtigster Mann der Freien Reichsstadt war, leitete die Befragung. »Friedrich Reichart, Hauptmann zu Gebersdorf, richtig?«

»Richtig.«

»Was willst du hier in Nürnberg zur Anzeige bringen?«

Reichart räusperte sich. »Vorab, ich weiß, dass ich mit meinem Handeln meinen Herrn, Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, erzürnen werde, doch ich hab es nicht über mich gebracht, die Mörderin Liesl Rößnerin seiner Gerichtsbarkeit zu übergeben.«

Imhoffs Kiefer mahlten, dann sprach er: »Ich würde nur zu gern sagen, dass ich dein Handeln lobenswert finde, jedoch bringst du uns in eine schwierige Situation.«

Wieder räusperte sich der Hauptmann. »Nicht so eine schwierige Situation wie die der Rößnerin, die zwar eine Mörderin ist, aber es nicht verdient hat, so lange gefoltert zu werden, bis sie Teufelsbuhlerei und Hexenwerk gesteht.«

Imhoff sah den Mann unverwandt an. »Und was wird mit dir geschehen?«

Reichart senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Ich weiß es nicht. Wenn jemand davon erfährt, werde ich vielleicht wegen Verrats angeklagt.«

Imhoff wechselte einen Blick mit Pfinzing, nicht etwa mit dem Schöffen Tucher, der für den Fall zuständig war. »Was denkst du, Paul?«

»Schwer zu sagen. Ich verstehe mich ganz gut mit Georg Friedrich, aber ich kenne den Markgrafen nicht wirklich. Während meines Aufenthalts in Konstantinopel hatten wir einen regen Briefwechsel, seit meiner Rückkehr schreiben wir uns jedoch kaum noch.« Pfinzing lächelte. »Nun, da ich im Stadtrat sitze, könnte sich das alsbald wieder ändern.«

Erst jetzt wandte sich Imhoff an Tucher. »Was sagst du, Christoph?«

»Konzentrieren wir uns zunächst auf das Verbrechen. Lassen wir den Schreiber holen und machen es offiziell. Der Zeuge bleibt bei uns in Gewahrsam, bis die Frau gestanden hat. Auch zu seinem eigenen Schutz.«

»Hört sich vernünftig an.«

»Aber ich muss mich um meinen Hof kümmern«, wandte Reichart ein.

»Du hast doch bestimmt einen Knecht?«

»Schon, aber er und die Magd schaffen die Arbeit nur ein paar Tage allein, falls überhaupt, und sie werden sich Sorgen um mich machen, womöglich gar auf dem Amt nachfragen.«

Imhoff verzog das Gesicht. »Trotzdem, bis Montag bleibst du hier. Wir müssen uns erst einmal mit dem Stadtrat abstimmen.«

»Der wird begeistert sein«, murmelte Tucher missmutig. »Nun erzähl, was hat Elisabeth Rößnerin verbrochen?«

Reichart rieb sich die Nase. »Ich kenn die Liesl schon von klein auf. Ihre Mutter hat gesoffen wie ein Loch, sie geschlagen, dass die Maid ganz krumm geworden ist. Einmal hat sie ihrer Tochter im Rausch heißes Wasser über den Hals gekippt, weil ihr der Anblick der Verkrüppelung so zuwider war. Mit ihrem Mann hat das Weib sich ständig gestritten und oft genug geprügelt … bis der sie eines Tages erschlagen hat. Natürlich ist er hingerichtet worden, und die Tochter hat sich fortan bettelnd und als Tagelöhnerin durchgeschlagen. Ich hab sie gelegentlich gesehen, meist mit anderen Vaganten, dann länger nicht mehr. Dank ihrer erbarmungswürdigen Erscheinung hat sie wohl meist was erbetteln können.«

»Ich habe nach dem Verbrechen gefragt«, drängte Tucher.

»Verzeihung. Als Tagelöhnerin auf einem Erbsacker hat sie mit ihrer Freundin Streit bekommen und ihr dann den Hals abgedrückt. Ich bin nicht schnell genug hingelangt, um die beiden zu trennen.«

»Und die Tat wurde auf markgräflichem Gebiet begangen?« Der Schöffe sah ihn finster an.

Reichart nickte. »Zwischen Gebersdorf und Großreuth.«

»Wie heißt das Opfer?«

»Ich kenn nur den Vornamen: Kunigunda.«

»Wo ist die Leiche jetzt?«

»Der Pfleger von Gostenhof wollt sie holen lassen. Ob er’s schon getan hat und wohin sie gebracht worden ist, müsst Ihr ihn fragen.«

Imhoff fragte: »Wie genau sieht deine Aufgabe als Hauptmann zu Gebersdorf aus?«

Reichart zuckte die Schultern. »Ich muss nur darauf achten, dass die Gemeindeordnung eingehalten wird, insbesondere die Brandschutzbestimmungen, und mich, falls doch mal ein Feuer ausbricht, um die Löscharbeiten kümmern.«

Ähnlich wie die Nürnberger Gassenhauptmänner, dachte Max.

»Im Kriegsfall müsste ich die Bürgerwehr unseres Orts aufstellen, Pflugschar und Mistgabel gegen Eisenhelm und Schwert eintauschen.«

Imhoff lächelte gequält. »Hoffen wir, dass dieser Fall zu unseren Lebzeiten nicht mehr eintritt. Wir müssen alles daran setzen, mit unserem Vorgehen in dieser Sache keinen Krieg zu provozieren.«

Max konnte sich nicht vorstellen, dass der Markgraf eine neuerliche bewaffnete Auseinandersetzung mit Nürnberg wünschte.

Doch Reichart nickte. »Seine fürstliche Gnaden würde die Liesl bestimmt als Hexe auf dem Scheiterhaufen brennen sehen wollen. Die Gefahr der Zauberei und Teufelsbuhlschaft ist für ihn nur allzu gegenwärtig.«

Pfinzing zog eine Grimasse. »Nein, der Markgraf würde sicherlich nicht davor zurückschrecken. Der nachsichtige Umgang mit vermeintlichen Hexereidelikten in Nürnberg ist ihm schon lange ein Dorn im Auge.«

Tucher klatschte mit einer Hand auf den Tisch. »Dann hole ich jetzt den Schreiber und den Welser. Der ist zurzeit zweiter Lochschöffe. Ich wollte nur erst Klarheit über die Glaubwürdigkeit und Entschlossenheit des Zeugen gewinnen, bevor wir in die Gerichtsbarkeit des Markgrafen eingreifen. Im Anschluss verhören wir die Beschuldigte ganz formell und lassen die Aussage von Friedrich Reichart aufnehmen.«

»Meister Frantz soll ich nicht holen?«, fragte Max.

»Nein, wir brauchen einen Ratsbeschluss, selbst wenn der Nachrichter ihr nur seine Folterinstrumente zeigen soll.«

Imhoff senkte den Kopf, doch Max meinte, ein leichtes Lächeln auf seinen Zügen wahrzunehmen. Bestimmt erinnerte der Ratsherr sich an den einen oder anderen Fall, bei dem der Henker auch ohne Ratsbeschluss hinzugezogen worden war.

Als sie die Kammer verließen, stand der Lochhüter im Gang bereit, und Tucher wies ihn an, die Gefangene zu bringen.

Imhoff sagte an Tucher gewandt: »Wir warten mit Reichart im Henkersstüberl.«

»Gut, ich lass gleich Erkundigungen einholen, wo die Leiche ist und ob sie schon von einem vereidigten Stadtarzt beschaut wurde.«

Als sie den einzigen Raum im Lochgefängnis betraten, der ein Fenster hatte, sah sich der Gebersdorfer Hauptmann neugierig um. »Hier wohnt der Henker?«, fragte er verwundert.

Max gluckste. »Nein, der ist nur selten da, doch die armen Sünder bekommen hier ihre letzte Mahlzeit, bevor es zum Gericht geht. Meister Frantz lebt auf einer Brücke über der Pegnitz.«

Reichart nickte. »Ich würde den Mann gern kennenlernen. Sein Ansehen und seine Fähigkeiten sind weit über die Grenzen Nürnbergs bekannt.«

»Das wirst du schon bald«, versprach Imhoff.

Plötzlich sah Reichart unbehaglich drein. »Ich hoffe, ich werde ihm dann nicht als armer Sünder gegenüberstehen.«

Pfinzing setzte sich an den Tisch. »Wie kommst du darauf? Hast du uns etwas zu gestehen?«

Max wollte lachen, doch der Rat schien es völlig ernst zu meinen.

Reichart schüttelte den Kopf. »Nein. War nur Gerede.«

Pfinzing fragte: »Dann hat dich nicht der Markgraf geschickt, um uns zu einer Dummheit zu verleiten?«

»Das traust du ihm zu?«, wollte Imhoff wissen.

»Natürlich. Wenn wir in seine Gerichtsbarkeit eingreifen, kann er Beschwerde beim Kaiser einlegen, wovon er sich eine hübsche Entschädigung erhoffen mag, eventuell ein größeres Stück des Reichswalds.«

»Oh verflucht!«, stieß der Hauptmann hervor und blickte von einem Ratsherrn zum anderen. »Das will ich wirklich nicht. Nur etwas Gerechtigkeit für eine gewöhnliche Mörderin. Und ich hab mich schon gewundert, warum der Schöffe Tucher gar so mürrisch war. Wenn die Herren es wünschen, werde ich auf die Anzeige verzichten und sie nach Cadolzburg bringen oder … laufen lassen.«

Die Worte hingen lange in der Luft, bevor Imhoff sagte: »Nein, auch wir wollen für Recht und Ordnung eintreten. Koste es, was es wolle.« Dann wandte er sich an Pfinzing. »Du wirst, falls nötig, unser Verbindungsmann zum Markgrafen sein? Mit einem Freiherrn redet er bestimmt lieber als mit dem gewöhnlichen Pöbel im Stadtrat.«

Der Rat grinste breit. »Die Imhoff und die Tucher haben es anscheinend immer noch nicht verwunden, dass nur wir Pfinzing in den Freiherrnstand erhoben wurden. Anders als mein kämpferischer Großvater haben sich eure Ahnen eben nicht mit Inbrunst für den Kaiser in jeden Krieg gestürzt.«

»Oh, dann muss ich Euch Euer Gnaden nennen?«, fragte Max und bereute es, sowie er das Grinsen der beiden Ratsherren sah.

Imhoff hob die Nase etwas höher. »Welcher Kaufmann von Ehre will schon mit diesem nichtsnutzigen Adelsgesindel gleichgesetzt werden?«

»Neidhammel«, zischte Pfinzing, schmunzelte dabei aber.

Da klopfte ein Lochknecht und trat sogleich ein. »Der ehrbare Herr Tucher schickt mich. Die Verdächtige redet nicht. Gar nicht.«

Sie alle erhoben sich. Imhoff sagte: »Am Montag beantragen wir in der Ratssitzung, dass Meister Frantz sie binden und bedrohen darf. Mehr wird hoffentlich nicht nötig sein.« Er wandte sich an Max: »Sagst du dem Nachrichter Bescheid?«

»Natürlich.«

Reichart seufzte: »Und ich soll bis dahin hier im Loch bleiben?«

Gespannt erwartete Max die Antwort. Jetzt würde es sich zeigen, ob die Stadträte dem markgräflichen Hauptmann tatsächlich vertrauten.

Pfinzing wollte offenbar schon abwinken, doch Imhoff nickte langsam. »Ich fürchte ja, denn du bist unser einziger Zeuge. Falls du die Frau allerdings verleumdet hast, geht es dir an den Kragen, das ist dir hoffentlich klar. Lochknecht, bring ihn in eine Keuche, aber sag der Schallerin, dass sie ihm den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich machen soll.«

Erstaunlicherweise zeigte sich Reichart überhaupt nicht empört, folgte dem Wächter klaglos hinaus.

 

Die Mörderin

 

Montag, 7. August 1587

 

Frantz starrte aus dem Fenster der guten Stube seiner Brückenwohnung, die sich über den nördlichen Flussarm der Pegnitz erstreckte, und hielt nach einem Boten vom Rat Ausschau. Wenn die hohen Herren es so beschlossen hatten, und davon ging er aus, sollte er heute im Lochgefängnis einer verkrüppelten Tagelöhnerin Angst machen.

Die neue Magd erledigte in der Küche lärmend den Abwasch. Hin und wieder quietschte sein Sohn auf und übertönte das Geklapper. Mit seinen gut drei Jahren spielte Jorgen nur allzu gern in der Küche und liebte es, wenn Lena ihn mit Wasser bespritzte.

Maria kam herein, seine Jüngste sacht wiegend. »Frantz, kannst du dich kurz um Rosina kümmern. Gestillt hab ich sie schon, aber bei dem Lärm wird sie nicht so bald einschlafen.«

Lächelnd nahm er das Würmchen in die Arme. »Natürlich.«

Seine Frau musterte ihn aufmerksam. »Dich beschäftigt die Bettlerin?«

Er nickte. »So ist das immer, wenn ich die Verdächtigen noch gar nicht kenne, mich nicht darauf einstellen kann, wie ich am besten mit ihnen umgehe.«

Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du wirst das Richtige tun, so viel ist gewiss.« Mit diesen Worten eilte sie in die Küche.

Rosina quäkte, wie immer, wenn sie die mütterliche Nähe entbehren musste. Meist konnten sie die Kleine erst hinlegen, wenn sie bereits eingeschlafen war. Nun fing sie an zu weinen. Er knöpfte sein Hemd auf, schob auch ihr Hemdchen hoch und lehnte ihren nackten Oberkörper gegen seine bloße Brust. Der Hautkontakt ließ sie sofort verstummen.

»Ja, das gefällt dir.«

Rosina krallte ihre kleinen, aber kräftigen Finger in seine Brusthaare und zog.

»Autsch. Wenn du nicht brav bist, zieh ich dich auch an den Haaren.« Er fuhr ihr durch die hellen Löckchen und zupfte sanft. Rosina kam sehr nach ihm, hatte seine blauen Augen und das gleiche Grübchen im Kinn, nur war seines unter dem dunkelblonden Bart nicht zu sehen.

Rosina streckte sich und strampelte. Frantz legte sie auf den Boden. Die Kleine konnte sich schon umdrehen und auf dem Bauch herumrutschen. Bald würde sie krabbeln und die ganze Wohnung unsicher machen. Er beobachtete sie und freute sich, dass sein Töchterlein so gesund und munter war. Zwei Kinder hatten sie an die Pest verloren; hoffentlich ließ der Herrgott ihnen Jorgen und Rosina.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Max Leinfelder stand im Turm. »Meister Frantz, Ihr werdet gebraucht.«

»Die Rößnerin?«

»Ja, sonst ist alles ruhig in der Stadt. Na, wen haben wir denn da?« Max hob Rosina auf und herzte sie. »Du bist ja eine ganz Süße, wirst manchem Kerl den Kopf verdrehen oder gar das Herz brechen.«

»Mir graut jetzt schon davor«, murmelte Frantz, nahm ihm die Kleine ab und trug sie durch das Behandlungszimmer in die Küche. »Ich muss los«, teilte er Maria mit.

»Nun schläft sie vielleicht, der größte Lärm ist vorbei.« Sie brachte das Kindlein ins angrenzende Schlafzimmer.

Die Magd warf ihm verstohlene Blicke zu. Lena arbeitete jetzt fünf Wochen für ihn, aber geheuer war ihr die Anstellung im Henkerhaus immer noch nicht. Frantz strich seinem Sohn über den Kopf. »Kümmer dich um deine Schwester, kleiner Mann.«

Sofort eilte Jorgen ins Schlafgemach und streckte die Arme nach Rosina aus, doch Maria schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist dir doch viel zu schwer.«

»Rosi!«, rief der Bub und sprang auf und ab. Da wandte die Kleine den Kopf zu ihm und streckte ebenfalls die Hände aus.

Jorgen krabbelte aufs Bett und ließ sich den Säugling in die Arme legen.

»Sei schön vorsichtig«, ermahnte Maria mit sanfter Stimme.

Frantz küsste sie zum Abschied und stieg mit Max die Treppe im finsteren Turm hinunter. »Wie geht’s Kathi und Ursel?«

»Gut, aber mein Weib will sich wieder Arbeit suchen. Unser Töchterlein ist inzwischen leichter zu haben.«

»Das halbe Jahr, das sie älter als Jorgen ist, merkt man doch sehr.«

Max nickte. »Von dem Moment an, da sie laufen können, möchte man sie nur noch festbinden.«

Frantz lachte. »Fürwahr.«

Sie schritten über die kleine, im Sommerlicht fast verlassen daliegende Pegnitzinsel zur Brücke. Auf der Sankt Sebalder Seite der Stadt liefen sie an Schlachthof und Fleischhaus vorbei über den Weinmarkt zum Rathaus. Frantz fragte: »Die Schöffen erwarten mich unten?«

»Vermutlich, mir haben sie allerdings nur gesagt, dass es Zeit wird, Euch zu holen. Tucher und Welser sind als Lochschöffen dran.«

»Gut. Wir sprechen uns später.« Frantz ging um das wuchtige Sandsteingebäude herum zum Eingang des Lochgefängnisses und hämmerte an die schwere Holztür.

Lochknecht Benedikt öffnete. »Ihr werdet schon ungeduldig erwartet, Meister Frantz.«

»Wohl nicht von der Verdächtigen.«

Glucksend ließ der Wächter ihn vorbei und verriegelte wieder die Tür. »Bei der würd mich gar nichts wundern.«

»Hm.« Bedächtig stieg er die schmalen, ausgetretenen Steinstufen hinunter. Auch Max hatte das Weib als eine seltsame Person beschrieben. Allmählich wich seine Unruhe gespannter Neugier. Im Brunnenraum erwarteten ihn die beiden Lochschöffen zusammen mit einem Unbekannten, der schlicht, aber gut gekleidet war.

Tucher begrüßte ihn und stellte den Mann vor. »Meister Frantz, das ist unser Zeuge, Friedrich Reichart, Hauptmann zu Gebersdorf.«

»Im Dienste des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach«, ergänzte Frantz.

Reichart brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Genau.«

Sebald Welser fragte: »Leinfelder hat Euch über den Fall informiert?«

»In groben Zügen. Ihr habt die Rößnerin in die Kapelle bringen lassen?«

»Kapelle?«, platzte Reichart überrascht dazwischen. »Ich weiß gar nicht, ob die Liesl je wirklich beten gelernt hat.«

Frantz konnte sich nicht verkneifen, den alten Spruch abzusondern: »In der Kapelle lernt jeder beten. So nennen wir die Folterkammer wegen ihres Deckengewölbes.«

»Oh.« Der Hauptmann blickte auf seine Schuhe.

Welser sagte: »Ja, das Bettelweib wartet bereits auf Euch. Wir dachten uns, sie könnte sich schon einmal selbst Gedanken über Eure Werkzeuge machen. Das erspart Euch vielleicht manche Erklärung.« Er schmunzelte kurz. »Der Leichnam des Opfers befindet sich im üblichen Felsenkeller. Der Frau wurde eindeutig ein harter Gegenstand auf den Hals gedrückt, bis sie erstickt ist. Der Schlag mit der Hacke auf den Oberarm, den der Zeuge beobachtet hat, hat nur eine leichte Schramme verursacht.«

Frantz fragte: »Und die Verdächtige will nicht gestehen?«

»Sie sagt überhaupt nichts. Nicht einmal ihren Namen.«

»Irgendwelche besonderen Anweisungen?«, fragte Frantz und blickte zum erfahreneren Christoph Tucher, doch der schüttelte den Kopf.

Da legte Reichart eine Hand auf Frantzens Arm, ohne jegliche Scheu, einen Henker zu berühren. »Bitte, Meister Frantz, fragt sie nichts, das irgendeinen Verdacht auf Hexerei aufwerfen könnte. Noch ist sie nicht vor den Bütteln des Markgrafen sicher.«

Frantz verstand. Wie auch im Fürstbistum Bamberg nahmen in der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach die Anklagen wegen Hexerei zu. Dabei spielte es kaum noch eine Rolle, ob der Tatbestand eines Schadzaubers nachgewiesen werden konnte. Vorsichtshalber ließ er sich die Bitte von beiden Schöffen bestätigen. Erst als sie nickten, betrat er die Folterkammer, in der Augustin und ein Lochknecht die Verdächtige bewachten. Die etwa zwanzigjährige Frau saß gesenkten Hauptes auf dem Hocker vor den Daumenschrauben. Ob sie sich den Platz selbst ausgesucht hatte?

Frantz fiel auf, dass Augustin nicht gesund aussah. Er wurde doch etwas alt für diese Arbeit, die er schon mindestens so lange ausführte, wie die Rößnerin alt war. »Grüß dich Löwe, wen hast du da für mich?«, fragte er, da die Frau allen Beschreibungen zufolge etwas einfältig sein musste.

Augustin antwortete mit überraschend weicher Stimme: »Eine Mörderin soll sie sein.«

Sowie Frantz den Weg freigab, verließ der Lochknecht hurtig die Kapelle.

»Elisabeth Rößnerin heißt sie und soll ihre Freundin mit einem Stecken erdrosselt haben.«

»Liesl«, flüsterte die Frau da. »Nennt mich Liesl.« Den Kopf hielt sie immer noch gesenkt.

»Du kannst also doch reden?«, fragte Frantz. »Mir hat man erzählt, du sagst kein Wort.«

»Freilich kann ich reden.« Sie stand langsam auf. »Bist du der Henker?« Sie verdrehte den Hals, um ihn anzusehen.

Frantz nickte. »Nachrichter nennt man mein Amt in Nürnberg.

---ENDE DER LESEPROBE---