Die O'Haras 1. So nah am Paradies - Nora Roberts - E-Book

Die O'Haras 1. So nah am Paradies E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

"Das aufregende Leben und Lieben der faszinierenden O’Haras wird jeden Romance-Fan begeistern!" Romantic Times

Alana O' Hara lebt nach dem Tod ihres Mannes, dem berühmten Rennfahrer Chuck Rockwell, mit ihren beiden Söhnen auf der geliebten Pferderanch. Keiner weiß, dass das Geld knapp ist. Nur um das Gestüt zu retten, sagt sie zu, sich von dem Journalisten Dorian Crosby für eine Biografie über ihren verstorbenen Mann interviewen zu lassen. Keiner von beiden erwartet, dass sie sich immer mehr zueinander hingezogen fühlen. Er spürt, dass sie ihm etwas verschweigt. Wird sie ihm je vertrauen können?

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Nora Roberts

Die O’Haras 1

So nah am Paradies

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anne Pohlmann

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe The Last Honest Woman ist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © 1988 by Nora Roberts Published by Arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by MIRA Taschenbuch in der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von Thinkstock Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN: 978-3-641-12055-9 V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

PROLOG

»Schreien Sie ruhig, Mrs. O’Hara.« Ihre Atemzüge kamen keuchend, und der Schweiß lief ihr die Schläfen hinunter. »Molly O’Hara bringt ihre Kinder nicht schreiend zur Welt.«

Sie war keine große Frau, aber ihre Stimme, selbst bei normaler Lautstärke, füllte den ganzen Raum. Es war eine volltönende, melodische Stimme, selbst jetzt, wo sie nur unter Anstrengung sprechen konnte. Erst vor wenigen Minuten hatte ihr Mann sie Hals über Kopf ins Krankenhaus gebracht.

Für vorbereitende Maßnahmen, beruhigende Worte oder Händchenhalten hatte es keine Zeit mehr gegeben. Der diensthabende Arzt hatte nur einen Blick auf sie werfen müssen und sie, angekleidet wie sie war, in die Entbindungsstation gebracht.

Die meisten Frauen hätten Angst gehabt – in einer fremden Stadt von Fremden umgeben zu sein, in deren Händen die Verantwortung für das eigene Leben und das des Babys lag, das sich seinen Weg in die Welt erkämpfte. Molly O’Hara hatte auch Angst. Aber um nichts in der Welt hätte sie sich das anmerken lassen.

»Sie scheinen eine ganz Zähe zu sein.« Die Entbindungsstation war überheizt, und auch dem Arzt stand der Schweiß auf der Stirn.

»Alle O’Haras sind zäh«, gelang es ihr zu erwidern, obwohl sie am liebsten nur noch schreien würde, nur noch den Schmerz herausschreien würde. Das Baby kam früh, sie betete nur, dass es nicht zu früh sei. Die Wehen folgten jetzt schnell aufeinander und ließen Molly keine Möglichkeit, Kraft für die nächste zu sammeln.

»Wir können nur froh sein, dass Ihr Zug nicht fünf Minuten Verspätung hatte, sonst hätten Sie Ihr Baby dort bekommen. So, und jetzt nicht nachlassen, tief ein- und ausatmen.«

Sie überhäufte ihn mit Verwünschungen, die sie in den sieben Ehejahren mit Frank gelernt hatte, in sieben langen Jahren, in denen sie in unzähligen schäbigen Clubs unzähliger Städte aufgetreten waren.

Der Arzt lachte nur. »So ist es gut. Pressen, Mrs. O’Hara. Wir holen jetzt das Baby mit Elan heraus.«

»Ich werde Ihnen zeigen, was Elan ist«, versprach sie noch, während sie mit der letzten Schmerzwelle presste. Und mit einem lauten Schrei kam das Baby zur Welt.

Mit Tränen in den Augen beobachtete Molly, wie der Arzt den kleinen Körper herumdrehte. »Es ist ein Mädchen.«

Lachend sank sie zurück. Ein Mädchen. Sie hatte es geschafft. Frank würde stolz auf sie sein. Und erschöpft lauschte Molly auf die ersten Lebensschreie ihrer Tochter.

»Ich brauche ihr nicht einmal einen Klaps zu geben. Sie ist nicht gerade übergewichtig, Mrs. O’Hara, aber sie ist wunderschön.«

»Natürlich. Und hören Sie sich diese Lungen an. Sie wird noch das Publikum in der letzten Reihe umwerfen. Etwas Übung und … Oh, Himmel.«

Eine neue Wehe brachte unerwartet neue heftige Schmerzen.

»Halten Sie sie.« Der Arzt reichte das Baby einer Schwester und wies eine andere an, Mollys Schultern zu umfassen. »Sieht aus, als ob Ihre Tochter Gesellschaft bekommt.«

»Um Himmels willen, noch eins?« Molly lachte gepresst. »Verdammt noch mal, Frank. Es gelingt dir doch immer wieder, mich zu überraschen.«

Der Mann im Warteraum ging nervös auf und ab. Doch selbst in dieser Situation war sein Gang elastisch. Er war ein Mann, der ebenso häufig tanzte, wie andere sangen. Aus seinen Augen glänzte ungebrochener Optimismus. Ab und zu strich er einem kleinen Jungen über den Kopf, der auf einem Stuhl immer wieder eindöste.

»Ein kleines Brüderchen oder Schwesterchen für dich, Terence. Sie werden jeden Moment kommen, um es uns zu verraten.«

»Ich bin müde, Dad.«

»Müde?« Lachend nahm der Mann den Jungen in die Arme. »Jetzt ist keine Zeit zum Schlafen, Junge. Jetzt ist ein großartiger Augenblick. Ein weiterer O’Hara wird geboren. Das ist eine Erstaufführung.«

Terence ließ den Kopf an die Schulter seines Vaters sinken. »Aber nicht im Theater.«

»Dafür haben wir andere Abende.« Nur ganz kurz bedauerte Frank die abgesagte Show. Doch es würde selbst hier, in Duluth, Clubs geben. Und er würde schon eine oder zwei Vorstellungen abmachen können, bevor sie weiterreisen könnten.

Er war der geborene Entertainer, der singend und tanzend durchs Leben zog, und er dankte seinem Glücksstern, dass seine Molly aus gleichem Holz geschnitzt war. Sicher, bisher hatten sie zweitklassige Clubs und verräucherte Säle abgeklappert, aber ihre Zeit war noch nicht vorbei. Der große Durchbruch stand immer mit dem nächsten Auftritt bevor. »Du wirst sehen, wir kommen groß als ›die Vier O’Haras‹ heraus. Nichts wird uns aufhalten können.«

»Nichts«, murmelte der Junge müde, der das schon x-mal gehört hatte.

»Mr. O’Hara?«

»Ja.« Franks Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. »Molly. Ist alles in Ordnung mit Molly?«

Lächelnd rieb sich der Arzt übers Kinn. »Sie haben wirklich eine Prachtfrau.«

Die Erleichterung überwältigte Frank, und überschwänglich küsste er seinen Sohn. »Hast du das gehört, Junge? Deine Mommy ist eine Prachtfrau. Und das Baby? Ich weiß, dass es zu früh gekommen ist, aber ist es gesund?«

»Kräftig und schön«, entgegnete der Arzt. »Jedes einzelne.«

»Kräftig und schön.« Außer sich vor Freude verfiel Frank in einen Tanzschritt. »Meine Molly versteht sich auf Babys. Sie kann ihr Stichwort verpassen, aber …« Er brach ab und starrte in das lächelnde Gesicht des Arztes. »Jedes einzelne?«

»Ist das Ihr Sohn?«

»Ja, das ist Terence. Was meinen Sie mit jedes einzelne?«

»Mr. O’Hara, Ihr Sohn hat drei Schwestern.«

»Drei.« Mit Terence auf dem Arm, sank Frank auf den Stuhl. Seine trainierten Beine waren plötzlich ganz weich. »Drei. Auf einmal?«

»Im Abstand von ein paar Minuten.«

Benommen blieb er einen Moment sitzen. Drei. Er hatte nicht einmal gewusst, wie er einen weiteren Magen satt bekommen sollte. Drei. Alles Mädchen. Als er die Neuigkeit verarbeitet hatte, begann er zu lachen. Francis O’Hara war nicht der Mann, der mit seinem Schicksal haderte, er nahm es immer freudig an.

»Hast du das gehört, Junge? Deine Mommy hat Drillinge bekommen! Drei zum Preis von einem! Welch günstiger Handel!« Er sprang hoch, ergriff die Hand des Arztes und drückte sie. »Ich danke Ihnen. Wenn es einen Mann gibt, der heute Abend glücklicher als Francis Xavier O’Hara ist, dann will ich verdammt sein.«

»Herzlichen Glückwunsch.«

»Haben Sie eine Frau?«

»Ja.«

»Wie heißt sie?«

»Alana.«

»Dann heißt eine von ihnen Alana. Wann kann ich zu meiner Familie?«

»Sofort. Eine der Schwestern wird sich währenddessen um Ihren Sohn kümmern.«

»O nein.« Frank ergriff die Hand von Terence. »Er kommt mit. Es geschieht nicht jeden Tag, dass ein Junge drei Schwestern bekommt.«

Der Arzt wollte an die Vorschriften erinnern, unterließ es dann aber. »Sind Sie ebenso eigensinnig wie Ihre Frau, Mr. O’Hara?«

»Sie hat bei mir Stunden genommen.«

»Dann folgen Sie mir.«

Durch die Scheibe warf er einen ersten Blick auf die winzigen Körper. Zwei schliefen, während die dritte schrie. »Sie will sich der ganzen Welt ankündigen. Das sind deine Schwestern, Terence.«

Plötzlich hellwach, betrachtete Terence sie kritisch. »Ziemlich runzelig.«

»So, wie du warst, kleines Äffchen«, sagte Frank zu seinem Sohn. Und dann kamen die Tränen. Frank war zu sehr Ire, um sich darüber zu schämen. »Ich werde für euch mein Bestes tun. Für jede von euch.« Er hoffte, es würde irgendwie reichen.

1. KAPITEL

Es war kein normaler Tag. Doch jetzt, wo die Entscheidung gefallen war, würde es wahrscheinlich lang dauern, bis sich wieder so etwas wie Normalität einstellte. Alana konnte nur hoffen, sich richtig entschieden zu haben.

Alana sattelte ihr Pferd. Dem Tag eine Stunde zu stehlen, weg vom Haus, weg von allen Verpflichtungen, erschien ihr zwar wie ein unglaublicher Luxus, wo noch so viel Arbeit auf sie wartete, doch sie brauchte das jetzt einfach.

Wenn man schon etwas stiehlt, dann kann es auch gleich etwas Luxuriöses sein. Sie lachte, denn dieser Gedanke hätte gut und gern von ihrem Vater stammen können.

Zwei der Katzen umschnupperten sie und machten es sich dann wieder im Heu bequem, als Alana den rotscheckigen Wallach aus dem Stall führte. Er stieß seinen Atem wie eine Rauchwolke aus, während Alana noch einmal seinen Sattelgurt überprüfte. »Los geht’s, Jay.« Mit der Geschicklichkeit langer Erfahrung schwang sie sich in den Sattel und lenkte das Pferd nach Süden.

Ein schneller Ritt war hier nicht möglich, dazu war der Boden zu schlammig. Die Luft war kalt und nebelig feucht, doch Alana spürte in sich eine gespannte Erwartung, die sich auf etwas richtete, was immer unerreichbar zu sein schien: Freiheit.

Vielleicht hatte ihre Zustimmung, für das Buch interviewt zu werden, sie diesem Ziel ein wenig näher gebracht. Sie hoffte es, obwohl ihre Zweifel nie ganz verstummt waren.

Der Schnee auf den Weiden war schon fast geschmolzen. Noch einen Monat, dachte sie, dann können die Fohlen im jungen Gras spielen. Dieses Jahr – hoffentlich dieses Jahr – würden ihre Bücher aus den roten Zahlen kommen.

Chuck hätte sich keine Sorgen darüber gemacht. Er hatte sich nie Gedanken über das Morgen gemacht, nur über den Augenblick und sein nächstes Autorennen. Alana wusste, warum er im tiefsten Virginia Land gekauft hatte. Doch damals hatte sie die Geste seines Schuldgefühls als Zeichen von Hoffnung eingeschätzt. Diese Fähigkeit, überall auch noch so dünne Hoffnungsfädchen zu sehen, hatte sie die letzten acht Jahre überstehen lassen.

Chuck hatte zwar das Land gekauft, aber nur wenig Zeit hier verbracht. Er war zu unruhig gewesen, um still das Wachsen der Natur zu beobachten. Unruhig, sorglos und selbstbezogen, so war Chuck. Das hatte sie schon gewusst, bevor sie ihn geheiratet hatte, denn er hatte sich nie zu verstellen versucht. Es war einfach so gewesen, dass sie damals nur gesehen hatte, was sie sehen wollte. Er war wie ein Irrlicht – das er auch gewesen war – in ihr Leben getreten, und sie war ihm, blind vor Bewunderung, gefolgt.

Die achtzehnjährige Alana O’Hara war von dem aufregenden Chuck Rockwell wie verzaubert gewesen. Sein Name und seine Rennerfolge hatten die Titelseiten der Zeitungen beherrscht. Doch sein Name und seine Eroberungen unter den Frauenherzen hatten auch alle Klatschspalten gefüllt. Die junge Alana hatte diese Boulevardblätter nicht gelesen. Sein Charme hatte sie betört. Und er schien ihr ein aufregendes Leben und die Freiheit von verantwortungsvollen Verpflichtungen zu bieten. So hatte sie ihn geheiratet, bevor sie überhaupt richtig Luft holen konnte.

Obwohl ein leichter Nieselregen einsetzte, hielt Alana ihr Pferd an. Sie genoss es, einfach nur allein zu sein. In sanften Hügeln erstreckte sich vor ihr das Land. Hier und da zeigte sich noch ein Fleckchen Schnee, und über allem lag der Nebel. Als Jay ungeduldig mit den Hufen scharrte, tätschelte sie seinen Hals, bis er wieder ganz ruhig war. Wie schön war es hier. Sie war in Monte Carlo, London, Paris und Rom gewesen, doch selbst nach den fünf Jahren, die sie hier gelebt und gearbeitet hatte, erschien es ihr immer noch als das schönste Fleckchen der Welt.

Der Regen platschte zu Boden und versprach, die Wege, die über Alanas Land führten, unbenutzbar zu machen. Falls das Thermometer in der Nacht sinken würde, würden sie zudem gefährlich vereisen. Und doch, wie schön war es. Dafür schuldete sie Chuck Dank. Und für noch so viel mehr. Er war ihr Mann gewesen. Nun war sie seine Witwe. Bevor er in den Flammen umgekommen war, hatte er sie innerlich fast ausgebrannt. Aber er hatte ihr die zwei wichtigsten Bestandteile ihres Lebens hinterlassen: ihre Söhne.

Und nur wegen ihnen hatte sie schließlich dem Besuch des Schriftstellers zugestimmt. Seit mehr als vier Jahren hatte sie Angebote von Verlagen abgewehrt. Doch das hatte die wilden Geschichten über Chuck Rockwell, wie sie immer wieder einmal in Zeitungen erschienen waren, nicht unterbinden können. Und so hatte sich Alana zu dem Entschluss durchgerungen, mit einem Schriftsteller – einem guten Schriftsteller – zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise zumindest einen gewissen Einfluss auf das fertige Werk ausüben zu können.

Dorian Crosby war ein sehr guter Schriftsteller. Alana war sich dessen bewusst, dass dies für sie ein Vorteil, aber auch ein Nachteil war. Denn er würde in Themen herumstochern, die sie fest entschlossen war, auszuklammern.

Sie würde sich sehr geschickt verhalten müssen. Das Problem war nur, dass ihr diese Art von Geschicklichkeit eigentlich nicht lag, ganz im Gegensatz zu Carrie. Ihre ältere Schwester – zweieinhalb Minuten älter – war schon immer gut im Planen und Beeinflussen der Geschehnisse gewesen. Maddy dagegen, ihre zwei Minuten und zehn Sekunden jüngere Schwester, zog den direkten Weg vor, den, der sich durch Tatkraft und Willensstärke auszeichnete.

Doch sie war eben Alana, die mittlere der Drillinge. Die ruhige. Die verantwortungsbewusste. Diese Etiketten ließen sie immer noch zusammenzucken.

Doch jetzt bestand ihr Problem nicht in solchen Etikettierungen. Jetzt war ihr Problem Dorian Crosby, ein ehemaliger Reporter, der heute Biografien schrieb. Früheren Untersuchungen von ihm war es zu verdanken gewesen, dass eine der größten Mafia-Familien der Westküste zerschlagen werden konnte. Und er hatte die Karriere eines Senators abrupt beendet, durch Aufdeckung dessen Schweizer Bankkontos und ehrgeiziger Bestrebungen nach höheren Ämtern. Nun musste sich Alana ihm gegenüber behaupten.

Und sie würde es auch. Sie würde ihn mit Informationen füttern. Aber die Geheimnisse, die sie geheim halten wollte, würden tief in ihr verschlossen sein. Und nur sie besaß den Schlüssel dazu.

Als Tochter von herumziehenden Unterhaltungskünstlern hatte sie zumindest gelernt zu spielen. Sie musste Dorian Crosby nichts weiter als eine gelungene Vorstellung liefern.

Sag nie die ganze Wahrheit, Mädchen. Die will doch niemand hören. Das hätte ihr Vater dazu gesagt. Und genau daran, dachte Alana lächelnd, werde ich mich die nächsten Monate halten.

Dorian verfluchte den Regen, als er wieder den Arm hinausstrecken musste, um mit einem schon nassen Lappen über die Windschutzscheibe zu wischen. Der Scheibenwischer auf einer Seite arbeitete nur noch mit einem gelegentlichen Rucken, der auf der anderen Seite rührte sich schon gar nicht mehr. Eiskaltes Regenwasser lief ihm in den Ärmel. Und wieder stieß Dorian einen Fluch aus.

Es gibt Schlimmeres, redete er sich ein, obwohl ihm eigentlich nichts dazu einfiel. Aber immerhin war er im Begriff, sich in ein Projekt zu stürzen, hinter dem er schon seit drei Jahren her war. Alana O’Hara Rockwell hatte sich offensichtlich dazu entschlossen, so viel Geld wie möglich aus dem Verlag herauszupressen.

Eine gerissene kleine Lady. Sie hatte sich einen der begehrtesten und reichsten Rennfahrer geangelt, obwohl sie selbst noch fast ein Kind gewesen war. Nicht einmal neunzehn Jahre alt, hatte sie sich schon, mit Nerzen und Diamanten überladen, im Kasino von Monte Carlo amüsiert. Es gehörte nie viel Anstrengung dazu, das Geld eines anderen auszugeben. Das hatte ihm seine Exfrau in ihrer – zum Glück nur achtzehn Monate dauernden – Ehe gezeigt.

Aber so waren Frauen eben: äußerlich hilflose, verletzbare Wesen, bis sie erst ihre Krallen ausgestreckt hatten. Um sich dann wieder von ihnen zu befreien, musste man schon etwas bluten. Und wenn man klug war, erinnerte man sich dann von Zeit zu Zeit an diese Narben, um sich nie mehr etwas vormachen zu lassen.

Erneut fluchte Dorian über den Regen. Wieso hatte sich Chuck Rockwell nur in dieser verlassenen Gegend Virginias niedergelassen? Aber wahrscheinlich hatte ihn seine kleine Lady zu diesem Kauf überredet.

Was für eine Frau war sie? Um eine Biografie über den Mann schreiben zu können, musste er auch die Frau verstehen. Das ganze erste Jahr über nach ihrer Hochzeit hatte sie Rockwell wie eine Klette auf jedes Rennen begleitet, und dann hatte sie sich einfach nicht mehr sehen lassen. Wahrscheinlich hatte sie keine Lust auf den Geruch von Benzin und rauchende Reifen gehabt, und so hatte sie sich weder bei den Siegen noch Niederlagen ihres Mannes auf den Tribünen gezeigt. Vor allem aber war sie nicht bei seinem letzten Rennen gewesen. Das, bei dem er den Tod fand. Dorian hatte gehört, dass sie erst drei Tage später auf der Beerdigung aufgetaucht sei und nicht ein Wort gesagt habe. Und sie habe nicht einmal eine Träne verloren.

Sie hatte eine Goldader geheiratet und hatte seine Untreue hingenommen. Geld, das war die einzige Erklärung. Und nun, als seine Witwe, brauchte sie in ihrem ganzen Leben keinen Finger mehr zu rühren. Nicht schlecht für eine kleine Sängerin, die es nie weiter als bis zu Hotelhallen und zweitklassigen Clubs geschafft hatte.

Dorian musste auf Schritttempo hinunterschalten, als er in den schlammig aufgeweichten Weg einbog, der durch einen abgenutzten Briefkasten mit der Aufschrift »Rockwell« markiert war. Offensichtlich verschwendete die Lady ihr Geld nicht mit der Wartung ihres Anwesens. Wieder wischte er über die Windschutzscheibe. Der Wagen holperte nur so über die Löcher und Furchen des Weges. Als Dorian seinen Auspuff über die Erde schrammen hörte, verfluchte er nicht mehr den Regen, sondern Alana. Ihr Schrank war voll mit Pelzen und Seide, aber für eine einfache Straßeninstandsetzung rückte sie keinen Pfennig heraus.

Vor ihm tauchte das Haus auf. Doch es war nicht der eindrucksvolle, imposante Landsitz, den er erwartet hatte. Es wirkte im Gegenteil gemütlich und einladend, so wie der Schaukelstuhl vorn auf der Veranda. Die Fensterläden waren blau gestrichen und hoben sich freundlich von den weißen Rahmen ab. Auch wenn das Haus einen neuen Anstrich nötig hatte, so wirkte es doch nicht heruntergekommen. Aus dem Kamin stieg eine Rauchfahne, und unter dem Dachvorsprung stand ein Kinderfahrrad. Das dunkle Bellen eines Hundes vervollkommnete die Szene.

Dorian hatte oft daran gedacht, sich einen Platz wie diesen zu suchen: abgeschieden von Hektik und Lärm, wo er sich ganz auf sein Schreiben konzentrieren konnte. Es erinnerte ihn an das Zuhause seiner Kindheit, wo Geborgenheit und harte Arbeit vorgeherrscht hatten.

Als der Auspuff wieder über den Boden ratschte, verflog Dorians Entzücken augenblicklich. Als er dann das Fenster hochgedreht hatte und die Tür öffnete, sprang ihn eine Unmasse feuchten Fells an.

Der Hund war riesig. Vielleicht war es von ihm als freundliche Begrüßung gemeint, aber in seinem augenblicklich durchnässten Zustand wirkte das Tier nicht unbedingt vertrauenerweckend. Während Dorian seine Gestalt noch mit der eines kleinen Flusspferdes verglich, kratzten die mit Schlamm beschmutzten Pfoten über die Autoscheibe, und der Hund bellte.

»Sigmund!«

Der Hund wie auch Dorian sahen zum Haus hinüber. Dorian hatte genügend Bilder von ihr gesehen, um Alana sofort zu erkennen. Die blühende Unschuld auf der Tribüne des Rennplatzes, die bezaubernde Dame von Welt in London und Chicago, die kühle, beherrschte Witwe am Grab ihres Mannes. Und doch entsprach sie überhaupt nicht seinen Erwartungen.

Ihr honigblondes Haar fiel ihr in Ponyfransen in die Stirn und lose über die Schultern. Sie war sehr schlank und bequem mit Jeans, Stiefeln und einem übergroßen Pullover gekleidet, der ihr weit über die Hüften fiel. Sie hatte ein blasses und fein geschnittenes Gesicht. Die Farbe ihrer Augen konnte Dorian nicht erkennen, aber er sah ihren Mund, einen vollen, ungeschminkten Mund.

»Sigmund, Platz!«

Der Hund bellte noch einmal und gehorchte dann. Vorsichtig stieg Dorian aus.

»Mrs. Rockwell?«

»Ja. Tut mir leid wegen des Hundes. Er beißt nicht – meistens.«

»Gut zu wissen«, entgegnete Dorian halblaut.

Mit angespannten Nerven beobachtete Alana, wie er sein Gepäck auslud. Es war ein Fremder, den sie in ihr Haus, in ihr Leben ließ. Vielleicht konnte sie alles noch rückgängig machen, sofort, bevor er einen weiteren Schritt unternehmen konnte.

In diesem Augenblick drehte er sich um und sah sie an. Regen tropfte aus seinem dunklen Haar, das an seinem Kopf klebte. Nicht unbedingt ein freundliches Gesicht, dachte Alana. Dazu spiegelte es zu viel Lebenserfahrung, zu viel Wissen wider. Eine Frau musste verrückt sein, wenn sie einen solchen Mann in ihr Leben ließ. Dann bemerkte sie die durchnässte Kleidung des Mannes.

»Sie scheinen einen Kaffee gut gebrauchen zu können.«

»Ja.« Dorian warf dem Hund, der ihn beschnüffelte, einen letzten Blick zu. »Ihr Zufahrtsweg ist eine Zumutung.«

»Ich weiß.« Sie schenkte ihm ein kleines entschuldigendes Lächeln. »Wir hatten einen harten Winter.«

Er machte keine Anstalten, näher zu treten. Er stand einfach im Regen und betrachtete sie. Er schätzt mich ein, dachte Alana und steckte nervös die Hände in die Taschen. Sie durfte sich jetzt keine Unsicherheit anmerken lassen, wenn sie erreichen wollte, was sie vorhatte.

Ihre Augen waren von einem dunklen, weichen Grün, und wenn Dorian es nicht besser gewusst hätte, hätte er glauben können, dass sie Furcht zeigten. Alana Rockwell hatte wirklich ein fein geschnittenes Gesicht, mit hohen Wangenknochen und einem kleinen Kinn. Ihr Teint war blass und ihre Wimpern schwarz. Entweder musste sie äußerst geschickt im Umgang mit Kosmetika sein, oder sie war tatsächlich ungeschminkt. Sie roch nach Regen und Kaminfeuer.

Dorian folgte ihr ins Haus und fand seine Erwartungen erneut enttäuscht. Die Holzdiele wirkte leicht abgenutzt. Auf einem Tisch neben der Treppe entdeckte er eine Papierblume, die ganz offensichtlich von einem Kind gemacht worden war. Auf dem Weg zur Küche hob Alana zwei Plastikastronauten vom Boden auf. Die Küche selbst blitzte vor Sauberkeit, ohne dadurch den Eindruck von Unbewohntheit zu erwecken. Die Kühlschranktür war über und über mit kleinen Bildchen bedeckt. Auf der Frühstücksbar lag ein noch unfertiges Puzzle. Dreieinhalb Paar Kinderturnschuhe waren achtlos vor die Hintertür geworfen worden. Es brannte ein Feuer in einem Kamin, und über allem lag der Duft von Kaffee.

Wenn er kein Interesse hat, mit mir ins Gespräch zu kommen, werden wir nicht weit kommen, dachte Alana. Erneut betrachtete sie ihn. Nein, freundlich war sein Gesicht nicht, aber anziehend. Seine Brauen waren so schwarz wie sein Haar und betonten seine graugrünen Augen. Eindringliche Augen. Chucks Augen waren braun gewesen, doch ihr Ausdruck war der Gleiche gewesen: Ich bekomme, was ich will, denn mir ist es verdammt egal, mit welchen Mitteln ich mein Ziel erreiche.

War sie im Begriff, ihr Leben derselben Art von Mann zu öffnen? Ich bin älter geworden, beruhigte sie sich. Und weiser. Außerdem war sie in diesem Fall nicht verliebt.

»Geben Sie mir Ihren Mantel.« Sie wartete, bis Dorian ihn ausgezogen hatte. Zum ersten Mal seit Jahren ertappte sie sich dabei, auf den Körper eines Mannes zu achten. Er war groß und eindrucksvoll, und ganz unmerklich hatte ihr Körper auf ihn reagiert. Kaum wurde sich Alana dessen bewusst, gebot sie sich selbst Einhalt. Sie nahm den Mantel und hängte ihn auf. »Wie wollen Sie Ihren Kaffee?«

»Schwarz.«

Alana wusste, Nervosität ließ sich am besten durch Beschäftigtsein in den Griff bekommen. Sie wählte für Dorian einen großen Becher, für sich selbst einen viel kleineren. »Wie lang waren Sie hierher unterwegs?«

»Ich bin die Nacht durchgefahren.«

Sie warf ihm einen Blick zu, als er an der Frühstücksbar Platz nahm. »Sie müssen erschöpft sein.« Doch er wirkte nicht so, er schien im Gegenteil überaus wachsam zu sein.

»Ich habe meinen toten Punkt überwunden.« Er stellte fest, dass sie an ihren schlanken Fingern keinen Ring trug. Als er wieder aufsah, zeigte sich ein zynischer Zug in seinem Blick. »Sie kennen das sicher.«

Sie zog eine Braue hoch und nahm ihm gegenüber Platz. Als Mutter kannte sie natürlich durchwachte Nächte. »Sicher.« Da ein höfliches Gespräch offensichtlich nicht seinem Interesse entsprach, konnte sie auch gleich zur Sache kommen. »Ich habe Ihr Buch über Millicent Driscoll gelesen, Mr. Crosby. Es war direkt, aber äußerst wahrheitsgetreu.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Haben Sie sie persönlich gekannt?«

»Nein, ich musste mir nach ihrem Selbstmord durch Recherchen ein Bild über sie machen, um das Buch schreiben zu können.«

»Sie war eine aufregende Schauspielerin, eine aufregende Frau. Doch sie hatte kein leichtes Leben gehabt. Ich kannte sie über meine Schwester.«

»Caroline O’Hara, eine ebenfalls aufregende Schauspielerin.«

Alana lächelte weich. »Ja, das ist sie. Sie haben sie kennengelernt, als Sie über Millicent recherchiert haben?«

»Flüchtig. Offensichtlich hat sich jeder der O’Hara-Drillinge seinen Namen gemacht – auf die eine oder andere Art.«

Ruhig begegnete sie seinem Blick. »Sie sagen es, auf die eine oder andere Art.«

»Wie fühlt man sich, Schwestern zu haben, die so viel Aufsehen erregen?«

»Ich bin stolz auf sie.« Die Antwort kam ganz spontan, ohne die leiseste Andeutung eines Untertons.

»Sie selbst haben keine Absichten, wieder ins Showgeschäft einzusteigen?«

Sie hätte gelacht, wenn sie nicht den Zynismus aus seiner Stimme herausgehört hätte. »Nein. Haben Sie Maddy schon am Broadway gesehen?«

»Ein paar Mal.« Er trank einen Schluck. Der Kaffee konnte die letzten nervenaufreibenden Kilometer der Fahrt vergessen lassen. »Sie sehen ihr gar nicht ähnlich.«

Der unausweichliche Vergleich … sie war daran gewöhnt. »Nein. Mein Vater hat immer geglaubt, wir wären die Sensation gewesen, wenn wir uns zum Verwechseln ähnlich gesehen hätten. Noch Kaffee, Mr. Crosby?«

»Nein, danke. Es heißt, Chuck Rockwell sei zufällig in den Club gekommen, in dem Sie und Ihre Familie aufgetreten sind, und habe Ihre Schwestern kaum angesehen. Nur Sie.«

»So wird die Geschichte erzählt?« Alana schob ihren Becher zur Seite und erhob sich.

»Ja. Die Menschen neigen zum Romantischen.«

»Aber Sie nicht.« Sie machte sich am Herd zu schaffen.

»Was machen Sie?«

»Essen vorbereiten. Sie mögen hoffentlich Chili con Carne?«

Alana Rockwell kochte also auch. Vielmehr, sie kochte heute Abend, vielleicht um ihn zu beeindrucken. »Ich schreibe keine Romanze, Mrs. Rockwell. Falls der Verleger Ihnen das Grundsätzliche noch nicht klargemacht haben sollte, werde ich es tun. Erstens, ich schreibe das Buch. Dafür werde ich bezahlt. Und Sie sind für Ihre Mithilfe bezahlt worden.«

Alana schien ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt. »Gibt es weitere Grundsätzlichkeiten?«

Sie gab sich so beherrscht, wie man es ihr nachsagte. Beherrscht, viele meinten sogar, gefühllos. »Das Buch handelt von Chuck Rockwell, und Sie sind ein Teil seines Lebens. Alles, was ich über Sie herausfinde, sei es noch so persönlich, verwende ich nach meinem Gutdünken. Sie haben Ihr Privatleben aufgegeben, als Sie den Vertrag unterschrieben haben.«

»Ich habe mein Privatleben aufgegeben, als ich Chuck geheiratet habe, Mr. Crosby.« Sie rührte im Topf und gab einen Schuss Wein hinzu. »Irre ich mich, oder haben Sie Vorbehalte wegen des Buches?«

»Nicht wegen des Buches, wegen Ihnen.«

Sie drehte sich zu ihm um. Nur kurz hatte sich ein Zug von Überraschung in ihrem Blick gezeigt. Dorian Crosby wäre nicht der Erste, der annahm, sie habe Chuck wegen seines Geldes geheiratet. »Ich verstehe. Das war deutlich genug. Aber es ist für Sie auch nicht notwendig, mich zu mögen.«

»Nein. Ich will in erster Linie ehrlich zu Ihnen sein. Nur so kann ich meine Arbeit erfolgreich beenden.«

Sie setzte einen Deckel auf den Topf und kehrte mit der Kaffeekanne zur Frühstücksbar zurück. »Ich bin nicht so leicht zu verärgern. Man sagt mir sogar nach, ich sei – gleichgültig.«

»Sie werden früher verärgert sein, als Sie denken.«

Sie goss sich Kaffee nach. »Klingt, als strebten Sie danach.«

»Ich bin nicht für seichtes Geplätscher.«

Dieses Mal lachte sie kurz, fast bedauernd, und hob ihren Becher. »Sagen Sie: Haben Sie Chuck je kennengelernt?«

»Nein.«

»Sie hätten sich wunderbar verstanden. Er war ein Mensch, der nur ein Ziel kannte: zu gewinnen. Und er führte den Kampf auf seine Art oder gar nicht. Da gab es wenig Beweglichkeit.«

»Und bei Ihnen?«

Er hatte die Frage fast beiläufig gestellt, und Alana nahm sie wörtlich. »Eins meiner größten Probleme war, dass ich mich gebeugt habe, wenn es von mir verlangt wurde. Aber ich habe dazugelernt.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer.«

Sie ging voraus. In der Halle ergriff sie wie selbstverständlich einen seiner Koffer. Dorian wusste, dass er schwer war. Doch während er den Rest seines Gepäcks ergriff, sah er Alana schon mühelos damit die Treppe hinaufsteigen. Sie ist kräftiger, als es den Anschein hat, dachte er. Es war ein weiterer Grund, nichts, was mit ihr zusammenhing, als selbstverständlich vorauszusetzen.

»Das Bad ist am Ende des Ganges.« Alana öffnete eine Tür und stellte den Koffer neben dem Bett ab. »Ich habe einen Schreibtisch hineingestellt. Ich dachte mir, das sei bequemer.«

Es war eine mehr als angenehme Überraschung, so wie das Zimmer insgesamt. Dorian, der Antiquitäten liebte, erkannte sofort in dem Kopfteil des Bettes eine Chippendale-Arbeit und in den Rasierutensilien museumsreife Qualitäten. Die Vorhänge waren zur Seite gezogen und gaben den Blick auf sanfte, zum Teil noch schneebedeckte Hügel frei und auf einen Stall.

»Es ist schön hier.«

»Danke.« Auch Alana sah hinaus. »Sie hätten es sehen sollen, als wir es gekauft haben. Das Dach hat an mindestens fünf Stellen gleichzeitig geleckt, und die Installationsanlagen waren eher eine Wunschvorstellung als Wirklichkeit. Aber als ich es das erste Mal gesehen habe, habe ich es sofort ins Herz geschlossen.«

»Sie haben es ausgesucht?« Er trug seine Schreibmaschine zum Schreibtisch hinüber.

»Ja.«

»Warum?«

Sie stand immer noch, den Rücken ihm zugewandt, am Fenster, und er glaubte einen leisen Seufzer zu hören. »Irgendwann muss sich jeder irgendwo niederlassen – zumindest die meisten.«

Er packte seinen Kassettenrekorder aus und stellte ihn neben die Schreibmaschine. »Ein weiter Weg von der Rennbahn.«

Sie drehte sich um. »Haben Sie alles, was Sie brauchen?«

»Ja. Noch eine Frage, Mrs. Rockwell. Warum jetzt? Warum haben Sie jetzt doch noch einer Biografie über Ihren Mann zugestimmt?«

Es gab zwei sehr wesentliche Gründe, doch sie glaubte nicht, dass er sie verstehen würde. »Sagen wir einfach, ich war vorher noch nicht so weit. Chuck ist jetzt seit fast fünf Jahren tot.«

Und nach fünf Jahren könnte das Geld knapp geworden sein. »Ich bin sicher, der Vertrag war sehr lukrativ.« Als sie nicht antwortete, warf er ihr einen Blick zu. Er konnte in ihren Augen keinen Ärger entdecken, doch er hätte ihn dem kühlen, undeutbaren Ausdruck vorgezogen.

»Das Essen ist um sechs fertig.«

»Mrs. Rockwell, ich bin es gewöhnt, zurückgetreten zu werden, wenn ich beleidigend geworden bin.«

Sie lächelte zum ersten Mal. Ihr Blick wurde weich, und ihr Gesicht bekam einen offenen Ausdruck von Verletzlichkeit. Ganz unerwartet löste das in Dorian sowohl ein Schuldgefühl als auch Anziehung aus.

»Ich bin nicht gut im Kämpfen. Darum lasse ich es normalerweise.« Draußen ertönte ein Knall, doch sie zuckte nicht einmal zusammen. Es folgte ein gellendes Geschrei, das jedem Indianertrupp bei der Kaperung eines Trecks zur Ehre gereicht hätte. Der Hund stimmte ein ohrenbetäubendes Bellen an, und kurz darauf schlug etwas auf der Veranda auf, das ohne Weiteres ein Elefantenbein hätte sein können.

»Im Bad sind frische Handtücher.«

»Danke. Darf ich fragen, was das ist?«

»Was?«

Zum ersten Mal entdeckte er echten Humor in ihren Augen. Die Verletzlichkeit war verschwunden. Er sah eine Frau, die wusste, wer sie war und was sie wollte. »Es klang wie ein feindlicher Überfall.«

»Ein Überfall, genau das ist es.« Sie durchquerte den Raum, hielt inne, als die Tür unten aufgerissen und wieder zugeworfen wurde, was die Bilder an den Wänden erzittern ließ.

»Mom! Wir sind da!«

»Meine Kinder meinen immer, sie müssten sich ankündigen. Der Himmel weiß, warum. Sie entschuldigen mich, ich muss den Teppich im Wohnzimmer retten.«

Und damit ließ Alana Dorian mit seinen Gedanken allein.

2. KAPITEL

Alana folgte den Wasserspuren vom Eingang zur Küche. »Hi, Mom.« Beide Jungen strahlten sie an. Die Schule war vorbei und die Welt wieder in Ordnung.

»Hi, ihr zwei.« Ein paar feuchte Bücher lagen auf der Frühstücksbar. Vor dem Kühlschrank, wo die zwei Jungen standen, hatte sich schon eine kleine Pfütze gebildet. Die Kühlschranktür stand sperrangelweit offen, und die kalte Luft wetteiferte mit der Hitze vom Feuer. Alana überblickte den Schaden und stufte ihn als gering ein. »Chris, das da auf dem Boden, das sieht aus wie dein Mantel.«

Scheinbar überrascht blickte der Jüngste hin. »Tommy Harding hat wieder Ärger im Bus gekriegt.« Er hob seinen Mantel auf und hängte ihn auf einen Kleiderhaken bei der Hintertür. »Er muss zwei Wochen lang vorn sitzen.«

»Er hat Angela angespuckt«, verkündete Ben beifällig. »Direkt ins Haar.«

»Na wunderbar.« Im Vorbeigehen hob Alana Chris’ nasse Handschuhe auf und gab sie ihm. »Ich nehme an, du hast nichts damit zu tun.«

Ben goss sich Saft in ein Glas, was nicht ohne Kleckerei ablief. »Ich habe nur gesagt, dass sie hässlich ist.«

Chris, sonst immer aufseiten der Unterdrückten, mühte sich mit seinen Stiefeln ab. »Klein und hässlich.«

»Ekelhaftes Gesicht«, fügte Ben noch hinzu. »Chris und ich haben einen Wettlauf vom Bus aus gemacht. Ich habe ihm einen Vorsprung gegeben, aber ich habe doch gewonnen.«

»Glückwunsch.«

»Ich hätte fast gewonnen.« Chris kämpfte mit dem zweiten Stiefel. »Und ich habe schrecklichen Hunger.«

»Nimm ein Plätzchen.«

»Ich habe gesagt, schrecklich hungrig.«

Mit seinem runden, blassen Gesicht sah Chris wie ein kleiner Engel aus. Sein blondes Haar lockte sich bis fast über die Ohren, und mit seinen haselnussbraunen Augen strahlte er zu Alana hoch. Seufzend gab sie nach. »Zwei.« Er war einfach ein Herzensbrecher.