Die O'Haras 2. Tanz der Sehnsucht - Nora Roberts - E-Book

Die O'Haras 2. Tanz der Sehnsucht E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

"Das aufregende Leben und Lieben der faszinierenden O’Haras wird jeden Romance-Fan begeistern!" Romantic Times

Mit so viel Talent ist Maddy O' Hara die perfekte Besetzung für das neue Broadway-Stück. Sie hat hart an sich und an ihrem großen Traum gearbeitet. Nun steht sie am Höhepunkt ihrer Karriere und vor der größten Herausforderung. Aber ist sie auch so erfolgreich in der Liebe? Der vermögende Geschäftsmann und Sponsor des Musicals Roy Valentine ist begeistert von der jungen Schauspielerin - und sie von ihm. Aber die beiden sind wie Feuer und Wasser.

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Nora Roberts

Die O’Haras 2

Tanz der Sehnsucht

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Anne Pohlmann

Wilhelm Heyne Verlag München

Die Originalausgabe Dance to the Piperist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 München.Copyright © 1988 by Nora RobertsPublished by Arrangement with Eleanor WilderCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by MIRA Taschenbuchin der Cora Verlag GmbH & Co. KG, HamburgUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/yamixSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-12056-6V003

www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

PROLOG

Während der Mittagspause war der Club leer. Die Farbe an den Wänden war vom Zigarettenrauch stumpf geworden, und die Böden waren abgenutzt, doch einigermaßen sauber. Es gab den für solche Orte so typischen Geruch – eine Mischung aus altem Alkohol, schlechten Parfumdünsten und abgestandenem Kaffee. Gewisse Menschen mochten sich hier zu Hause fühlen. Die O’Haras waren zu Hause, wo immer sich ein Publikum versammelte.

Wenn nachmittags die Menge hereinströmte und die Beleuchtung schummrig wurde, dann würde es nicht mehr so schäbig aussehen. Jetzt aber schien grelles Sonnenlicht durch die zwei kleinen Fenster und zeigte unbarmherzig den Staub und jede abgewetzte und abgeschlagene Stelle. Der Spiegel hinter der Bar warf das Licht auf die kleine Bühne in der Mitte des Raumes.

Frank O’Hara führte seinen fünfjährigen Drillingen die Schritte für eine kleine Tanzeinlage vor, die er abends in die Show einfügen wollte. Den drei kleinen Mädchen würden die Herzen des Publikums bestimmt sofort zufliegen.

»Hoffentlich lässt du mir mit deinen Ideen nächstes Mal mehr Zeit.« Molly, seine Frau, die eigentlich Mary Margaret hieß, saß an einem Ecktisch und beeilte sich, Schleifen an die weißen Kleider zu nähen, die ihre Töchter in wenigen Stunden tragen sollten. »Ich bin nämlich keine verdammte Näherin.«

»Du bist Mitglied einer Truppe, Molly, meine Liebe, und das Beste, was Frank O’Hara je geschehen konnte.«

»Nichts ist wahrer als das, mein Lieber«, entgegnete sie halblaut, aber lächelnd.

»Also, meine Lieblinge, versuchen wir es noch einmal.« Er lächelte den drei kleinen Engeln zu.

Caroline, mit dem Kosenamen Carrie, war schon jetzt eine Schönheit mit ihrem ovalen Gesichtchen und den dunkelblauen Augen. Er zwinkerte ihr zu und wusste genau, dass sie mehr an den Schleifen auf dem Kleid als an der Vorstellung interessiert war. Alana war die unkompliziert Freundliche. Sie tanzte, weil ihr Dad es wollte und weil es Spaß machen würde, mit ihren Schwestern auf der Bühne zu sein. Madeline, kurz Maddy genannt, mit ihrem Koboltgesicht und dem Haar, das schon eine Spur ins Rötliche ging, ließ ihren Vater nicht eine Sekunde aus den Augen und ahmte seine Bewegung perfekt nach. Franks Herz schwoll vor Liebe für die drei über.

Er legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. »Gib uns eine zweitaktige Vorgabe, Terence. Etwas Flottes, Lebendiges.«

Terences Finger liefen über die Tasten. Frank bedauerte es immer wieder, dass er sich keinen Unterricht für den Jungen leisten konnte. Alles, was sein Sohn am Instrument konnte, hatte er sich durch Nachmachen und Heraushören selbst beigebracht.

»Wie findest du das, Dad?«

»Du bist Spitze.« Frank strich Terence über den Kopf. »Okay, Mädchen, zeigt, was ihr könnt.«

Er arbeitete mit ihnen geduldig noch eine Viertelstunde und brachte sie über ihre Fehler zum Kichern. Die kleine Tanzeinlage würde alles andere als perfekt sein, doch Frank besaß genügend Erfahrung, um den Charme der Darbietung zu erkennen. Er würde die Nummer langsam ausbauen. Die Saison war bald vorbei, doch wenn es ihnen gelang, sich eine gewisse unverwechselbare Note zu erarbeiten, wäre damit ein neuer Vertrag gesichert. Das Leben bestand für Frank aus Auftritten und Verträgen. Und für ihn gab es keinen Grund zu glauben, warum seine Familie nicht der gleichen Meinung sein sollte.

Doch kaum bemerkte er Carries nachlassendes Interesse, brach er ab, da er wusste, bei ihren Schwestern würde es auch gleich so weit sein.

»Wunderbar.« Er gab jeder von ihnen einen schallenden Kuss. »Wir werden sie heute von ihren Stühlen reißen.«

»Wird unser Name auf dem Plakat stehen?«, erkundigte sich Carrie, was Frank zu schallendem Gelächter veranlasste.

»Schielst schon nach der Reklame, meine kleine Taube, nicht wahr? Hast du das gehört, Molly?«

»Es überrascht mich nicht.« Sie legte ihre Näharbeit weg, um den Fingern eine Ruhepause zu gönnen.

»Ich will dir etwas verraten, Carrie. Du bekommst deine Reklame, wenn du das kannst.« Er begann eine langsame Steppeinlage und streckte seiner Frau eine Hand hin. Lächelnd erhob sich Molly. Die vielen Jahre gemeinsamen Tanzens wirkten sich in aufeinander abgestimmten Bewegungen vom ersten Schritt an aus.

Alana setzte sich neben Terence auf die Klavierbank. Er improvisierte eine witzige kleine Melodie.

»Carrie wird es üben, bis sie es kann«, bemerkte ihr Bruder halblaut.

Alana lächelte ihn an. »Dann stehen alle unsere Namen auf dem Plakat.« Sie lehnte sich an ihn. Ihre Eltern lachten, und ihre Füße schlugen im Rhythmus auf den hölzernen Bühnenboden. Alana schien es, als würden ihre Eltern immer lachen. Selbst wenn ihre Mutter diesen verärgerten Blick bekam, konnte Dad sie zum Lachen bringen.

Carrie beobachtete die Bewegungen der Eltern mit verbissener Miene, probierte es selbst, bekam es aber nicht ganz hin. Es würde sie wahnsinnig ärgern, das wusste Alana.

»Ich will es machen«, sagte Maddy vom Rand der Bühne. »Ich kann es.« Und mit einem eigensinnigen Gesichtsausdruck begann sie, mit den Füßen zu schlagen – Ferse, Spitze, Spitze, Ferse …

Verblüfft verharrte Frank mitten in der Bewegung, und Molly prallte gegen ihn. »Sieh dir das an, Molly.«

Molly strich sich die Haare aus der Stirn und beobachtete, wie sich ihre jüngste Tochter um die Grundfähigkeiten zum Stepptanz bemühte – und es schaffte. Sie empfand dabei Stolz und Bedauern, eine Mischung, wie sie nur eine Mutter verstehen kann. »Wir müssen wohl noch ein Paar Steppschuhe kaufen, Frank.«

Frank empfand Stolz und überhaupt kein Bedauern. »Versuche das jetzt.« Er zeigte die Bewegungen langsam. Sprung, Schleifschritt, Aufschlag. Kick, Schritt, Kick, Schritt und Schritt zur Seite. Er ergriff Maddys Hand und begann erneut, wobei er sich vorsichtig ihren kleineren Schritten anpasste. Sie machte seine Bewegungen genau nach.

»Jetzt das.« Seine Erregung wuchs, und er sah zu seinem Sohn hinüber. »Gib uns den Rhythmus. Achte auf den Takt, Maddy. Eins und zwei und drei und vier. Schlag. Das Körpergewicht nicht verlagern. Zehen nach vorn, dann zurück. Jetzt eine Wiederholung.« Wieder machte er es vor, und wieder ahmte sie seine Schritte nach.

»Jetzt alles zusammen, und wir hören mit einem Gleitschritt auf, die Arme so, pass auf.« Schnell stieß er die Arme zur Seite und zwinkerte Maddy dann zu, die vor Konzentration die Stirn runzelte.

»Zähl ein, Terence.« Frank nahm wieder Maddys Hand, und die Freude stieg in ihm auf, als seine Tochter sich im Einklang mit ihm bewegte. »Wir haben hier eine Tänzerin, Molly.« Frank hob Maddy hoch und warf sie in die Luft. Sie schrie auf, aber nicht weil sie Angst hatte, er würde sie nicht auffangen.

Das Erlebnis, hochgeworfen zu werden, war ebenso prickelnd, wie es das Tanzen vorher gewesen war. Sie wollte mehr davon.

1. KAPITEL

Fünf, sechs, sieben, acht! Vierundzwanzig Füße schlugen gleichzeitig auf den Holzboden. Zwölf Körper drehten und beugten sich und schnellten wie ein einziger nach vorn. Spiegel warfen ihre Abbilder zu ihnen zurück. Arme flogen, Beine streckten sich hoch, Köpfe neigten, drehten sich und sanken zurück.

Schweiß floss. Es war der Geruch von Theater.

Das Klavier hämmerte rhythmische Linien, und die Melodie hallte auf der alten Probebühne wider. Hier hatte es schon immer den Widerhall von Musik gegeben, schon immer hatten sich danach Füße bewegt und Pulsschläge gerast und Muskeln geschmerzt. Und so würde es weiterhin sein, Jahr auf Jahr, solange das Gebäude stand.

Hier hatten viele Stars geprobt und viele Legenden aus dem Showbusiness ihren letzten Schliff bekommen. Unzählige unbekannte und vergessene Corpstänzer hatten hier gearbeitet, bis ihre Muskeln vor Erschöpfung hart und zäh geworden waren. Das war der Broadway, wie ihn das zahlende Publikum kaum zu Gesicht bekam.

Der Assistent des Choreografen schlug ununterbrochen den Takt, die Brillengläser schon beschlagen von Hitze und Schweiß. Der Choreograf neben ihm, der Mann also, der den Tanz entworfen und gestaltet hatte, beobachtete die Tänzer mit seinen dunklen und wachsamen Augen.

»Halt!«

Das Klavier verstummte. Die Bewegungen erstarben. Die Tänzer sanken erschöpft und erleichtert in sich zusammen.

»Es schleppt hier.«

Schleppt? Die Tänzer verdrehten die Augen und bemühten sich, ihre schmerzenden Muskeln zu vergessen. Der Choreograf musterte sie und gab dann das Zeichen für eine kleine Pause. Zwölf Körper ließen sich gegen die Wand fallen. Waden wurden massiert, Füße gestreckt, entspannt und wieder gestreckt. Sie sprachen wenig. Atem war wichtig, man musste sparsam mit ihm umgehen. Der abgenutzte Boden war voller Klebebandstreifen, die als Markierungen in anderen Shows gedient hatten. Aber jetzt zählte nur eine Show: diese.

»Willst du einen Bissen?«

Madeline O’Hara hob den Kopf und betrachtete den Schokoladenriegel. Sie überlegte, zögerte und schüttelte den Kopf. Ein Biss würde doch nicht reichen. »Nein, danke. Zucker steigt mir beim Tanzen immer zu Kopf.«

»Ich brauche das jetzt.« Die Frau, mit einer Haut so dunkel wie Schokolade, biss herzhaft in den Riegel. »Und der, der braucht nichts weiter als eine Peitsche und eine Kette.«

Madeline – von allen nur Maddy genannt, warf dem Choreografen, der sich gerade zum Pianisten hinunterbeugte, einen Blick zu. »Er ist hart. Aber wir werden noch froh sein, ihn zu haben.«

»Ja, aber im Augenblick könnte ich ihn …«

»Mit einer Klavierseite erwürgen?«, schlug Maddy vor und erntete ein kehliges Lachen.

Ihre Energie kam zurück, und die Hitze wich langsam aus ihrem Körper. Es roch nach Schweiß und den fruchtduftenden Sprays, mit denen viele Tänzer den Schweißgeruch bekämpften.

»Ich habe dich beim Vortanzen gesehen«, fuhr Maddy fort. »Du warst wirklich gut.«

»Danke.« Die Frau wickelte den Rest des Riegels ein und verstaute ihn in ihrem Tanzbeutel. »Wanda Starre – mit zwei R und einem E.«

»Maddy O’Hara.«

»Ja, ich weiß.« In Theaterkreisen war Maddys Name nicht mehr unbekannt. Die Zigeuner – also die ungebundenen Tänzer, die von Show zu Show, Engagement zu Engagement wanderten – kannten sie als eine der Ihren … die es geschafft hatte. »Es ist mein erster Vertrag«, vertraute Wanda ihr mit einem besonderen Unterton an.

»Ehrlich?« Weiße Verträge waren für Solisten, pinkfarbene für Chorustänzer. Doch es ging dabei um viel, viel mehr als Farbunterschiede. Überrascht betrachtete Maddy die Frau genauer. Sie hatte ein markantes, exotisches Gesicht und den langen, schlanken Hals und die kräftigen Schultern einer Tänzerin. Sie war größer als Maddy, bestimmt dreizehn Zentimeter.

»Ja.« Wanda musterte die anderen Tänzer, die sich entspannten und sammelten. »Und ich habe eine Riesenangst.«

Maddy fuhr sich mit dem Handtuch übers Gesicht. »Ich auch.«

»Nun hör aber auf, Maddy. Du hast doch schon einmal in einer Starnummer geglänzt.«

»Aber in dieser habe ich noch nicht geglänzt. Und ich habe noch nicht mit Myron gearbeitet.« Sie sah zu dem mit seinen sechzig Jahren immer noch drahtigen Choreografen hinüber. »Es geht weiter«, fügte sie halblaut hinzu. Die Tänzer erhoben sich und lauschten den nächsten Instruktionen.

Weitere zwei Stunden tanzten sie konzentriert, kämpften und feilten jede Bewegung aus. Als die anderen entlassen wurden, bekam Maddy eine zehnminütige Pause zugestanden, bevor sie ihr Solo probieren musste. Eine Solotänzerin musste sich für die Aufführung wie ein Athlet für seinen Marathonlauf vorbereiten. Probe, Disziplin und wieder Probe. Jede Bewegung musste ihrem Körper, ihren Muskeln und Gliedern im Schlaf verfügbar sein. Und alles musste im Einklang von Rhythmus und Takt stehen.

»Versuche es jetzt mit ausgestreckten Armen, auf Schulterhöhe. Besser«, meinte Myron, nachdem Maddy all ihre Energie in die Schrittfolge gelegt hatte. Doch von Myron war das ein echtes Lob. »Und jetzt die Schultern lockern. Die Bewegungen müssen eher hart und schneidend sein. Zieh sie nicht weich durch, schneide sie ab. Du bist Stripperin, keine Ballerina.«

Sie lächelte, denn während seiner Kritik massierte er ihr gleichzeitig die müden Schultermuskeln. Myron hatte den Ruf, ein gnadenlos harter Lehrer zu sein, aber er hatte ein mitfühlendes Herz für einen Tänzer.

Der Assistent gab den Takt vor, und Maddy überließ ihrem Körper das Denken. Schneidend, hart, scharf. Das verlangte die Rolle, also musste sie so sein. Allein mit ihrer Stimme konnte sie diese Rolle nicht überzeugend gestalten, sie musste ihren ganzen Körper einsetzen. Die Beine hoben sich, schnellten in einer Serie von ruckartigen Kicks vor. Ihre Arme streckten sich zur Seite, umfassten ihren Körper wie zur Umarmung und flogen wieder hoch, während ihre Füße sich wie von selbst im Takt bewegten.

Ihr langes, rotblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, und das Schweißband war schon durchnässt. Sie würde später ihr Haar in schulterlangen wilden Locken für diese Nummer tragen müssen, doch jetzt dachte sie einfach nicht daran. Ihr Gesicht glänzte feucht, doch sie ließ sich die Anstrengung nicht anmerken. Sie wusste, wie sie mit ihrem Gesicht Ausdruck, Gefühl vermitteln musste. Im Theater war es oft nötig, den Ausdruck zu übertreiben. Über ihre weich geschwungene Oberlippe perlten Schweißtropfen, doch sie lächelte, blickte verschmitzt, lachte und schnitt Grimassen, je nachdem, wie es die Stimmung des Tanzes verlangte.

Ohne Make-up war ihr Gesicht anziehend – oder niedlich, wie Maddy es selbst eher akzeptierte –, mit seinem leicht herzförmigen Schnitt, den kobolthaften Zügen und den großen, goldbraunen Augen. Für die Rolle der Mary Howard alias der Fröhlichen Witwe würde sich Maddy ganz auf das Geschick des Maskenbildners verlassen müssen, um sich etwas Raffiniertes, sinnlich Glutvolles zu geben. Doch jetzt war sie ganz von ihren eigenen Ausdrucks- und Bewegungsmöglichkeiten abhängig, um überzeugend den Charakter einer erfahrenen Stripperin vermitteln zu können.

In einer gewissen Weise, dachte sie, habe ich mich mein ganzes Leben auf diese Rolle vorbereitet, mein ganzes Leben in Zügen und Bussen, unterwegs von einer Stadt zur nächsten, von einem Club zum nächsten, um das Publikum für einen Apfel und ein Ei zu unterhalten.

Mit fünf war sie schon in der Lage gewesen, ein Publikum einzuschätzen. War es abweisend, war es entspannt, war es aufnahmebereit? Denn die Stimmung des Publikums konnte über Erfolg oder Misserfolg des ganzen Auftritts entscheiden. Und schon früh hatte Maddy gelernt, wie winzige Veränderungen im Ablauf die bestmögliche Wirkung erzielen konnten. Seit sie laufen konnte, hatte sich ihr Leben auf der Bühne abgespielt. Und mit ihren sechsundzwanzig Jahren hatte sie nicht eine Sekunde davon bedauert.

Sie war eine geborene Zigeunerin. Sie und ihre zwei Schwestern waren zur Welt gekommen, als ihre Eltern unterwegs zu einer Vorstellung gewesen waren. Und so war es fast unvermeidlich gewesen, dass sie eine Broadway-Zigeunerin geworden war. Sie hatte vorgetanzt, war durchgefallen und hatte die Enttäuschung verarbeiten müssen. Sie hatte vorgetanzt, Erfolg gehabt und hatte die Angst vor der Premiere verarbeiten müssen. Doch aufgrund ihres Wesens und ihrer Geschichte hatte sie nie ein mangelndes Selbstvertrauen verarbeiten müssen.

Seit sechs Jahren kämpfte sie sich allein durch, ohne den Rückhalt ihrer Eltern, ihres Bruders und ihrer Schwestern. Sie hatte als Chorustänzerin getanzt und Unterricht genommen. Nebenher hatte sie als Kellnerin gejobbt, um den Unterricht, der bei Tänzern nie endete, und die Tanzschuhe, die immer viel zu schnell verschlissen waren, bezahlen zu können. Und sie hatte den Durchbruch zur Solotänzerin geschafft …

Ihre größte Rolle war der Hauptpart in »Suzanna’s Park« gewesen, eine wahre »Rosine«, die sie aufgegeben hatte, als sie das Gefühl bekam, nichts mehr aus ihr herausholen zu können. Die Kündigung war ein Risiko gewesen, doch sie war Zigeunerin genug, um die Veränderung als Abenteuer anzunehmen.

Und nun studierte sie die Rolle der Mary, die härter, vielfältiger und fordernder als alles Bisherige war.

Die Musik endete, und Maddy stand mitten auf der Probebühne, die Hände auf den Hüften und schwer atmend. Ihr Körper schrie förmlich danach, zusammenbrechen zu dürfen, doch wenn Myron ein Zeichen gegeben hätte, hätte sie sich aufgerafft und weitergemacht.

»Nicht schlecht, Kleines.« Er warf ihr das Handtuch zu.

Mit einem schwachen Auflachen verbarg Maddy das Gesicht in dem Handtuch. Es war schon nicht mehr frisch, aber es saugte den Schweiß noch auf. »Nicht schlecht? Du weißt verdammt gut, dass es großartig war.«

»Es war gut.« Myrons Lippen zuckten. Maddy wusste, das war bei ihm so viel wie ein Lachen. »Ich kann eingebildete Tänzer nicht ausstehen.« Doch sein Blick drückte Freude und Dankbarkeit dafür aus, dass sie ein solches Energiebündel war. Sie war sein Werkzeug, sein Kunstwerk. Sein Erfolg hing ebenso von ihren Fähigkeiten ab wie ihrer von seinen.

Maddy schlang sich das Handtuch um den Nacken. »Kann ich dich etwas fragen, Myron?«

»Schieß los.« Er holte eine Zigarette hervor, eine Angewohnheit, die Maddy mit leichtem Mitleid betrachtete.

»Wie viele Musicals hast du schon gemacht? Insgesamt, meine ich, als Tänzer und Choreograf?«

»Zu zählen wäre vergebliche Mühe. Sagen wir einfach, viele.«

»Okay.« Sie ging bereitwillig darauf ein, obwohl sie ihre besten Steppschuhe darauf setzen würde, dass er die Anzahl der Stücke genau kannte. »Wie schätzt du unsere Chancen bei diesem ein?«

»Nervös?«

»Nein. Verunsichert.«

Er nahm zwei kurze Züge. »Das ist gut für dich, für den Erfolg.«

»Ich kann nicht schlafen, wenn ich verunsichert bin. Ich brauche meinen Schlaf.«

Seine Lippen zuckten wieder. »Du hast den Besten – mich. Du hast gute Musik und einen packenden Text. Was willst du?«

»Nur Klarheit.« Sie dankte dem Assistenten für das Glas Wasser und nahm einen kleinen Schluck.

Myron antwortete, weil er sie achtete. Und das lag nicht an ihrer Leistung in »Suzanna’s Park«, er achtete sie und alle anderen wegen ihrer Leistungen jeden Tag. »Du weißt, wer uns finanziert?«

Sie nickte und nahm noch einen Schluck. »Valentine Records.«

»Schon einmal darüber nachgedacht, warum eine Schallplattenfirma ein Musical finanziert?«

»Exklusivrechte, um das Album herauszubringen.«

»Du hast es erfasst.« Er drückte die Zigarette aus und spürte sofort das Bedürfnis nach einer weiteren. Wenn keine Musik spielte – auf dem Klavier oder in seinem Kopf –, dachte er nur an Zigaretten. Zum Glück für seine Lungen war das nicht oft. »Roy Valentine ist unser Geldgeber. So ein hohes Tier ist nicht an uns interessiert, Schätzchen. Er ist nur daran interessiert, Profit zu machen.«

»Okay«, entschied Maddy. »Ich wünsche ihm den Profit.« Sie lächelte verschmitzt. »Einen großen.«

»Guter Gedanke. Und jetzt ab unter die Dusche.«

Die Wasserrohre klopften, und der Wasserstrahl kam nur mit Unterbrechungen, aber er war kalt und erfrischend. Maddy hatte heute früh Ballettunterricht gehabt und war von dort direkt zur Probe gekommen. Zuerst war sie mit dem Komponisten zwei Songs durchgegangen. Der Gesang machte ihr keine Mühe, sie hatte eine klare Stimme, einen guten Tonumfang und eine ausgezeichnete Intonation. Vor allem aber war sie laut. Zarte Stimmchen waren am Theater fehl am Platz.

Ihre Stimme hatte sich in den Jahren der O’Hara-Drillinge ausgebildet. Wenn man in Bars und Clubs mit schlechter Akustik und unzureichender Anlage singen muss, dann lernt man, seine Lungen großzügig einzusetzen.

Doch ihr Herz gehörte dem Tanz, weniger der schauspielerischen Darstellung. Die wahre Schauspielerin in der Familie war Carrie, Alana hatte die ausdrucksfähigste Stimme. Der Tanz hatte Maddy mit Leib und Seele gefangen von dem ersten Augenblick an, als ihr Vater ihr die ersten Steppschritte in dem schäbigen, kleinen Club in Pennsylvania beigebracht hatte.

Sieh mich jetzt an, Dad, dachte sie, als sie sich schnell abtrocknete und anzog, jetzt bin ich am Broadway.

Der große Bühnenraum hallte wider von all den Geräuschen. Der Komponist und der Texter nahmen kleinere Veränderungen an ihren Songs vor. Morgen würden Maddy und die anderen sie lernen müssen. Das war nichts Neues. Myron würde noch viele feine Veränderungen an den schon einstudierten Tanznummern vornehmen. Auch das war nichts Neues.

Mit Schwung hängte sich Maddy ihren Tanzbeutel über die Schultern. Nur ein Gedanke beherrschte sie, als sie die Treppen zum Eingang hinunterstieg: Essen. Die Kraft und die Kalorien, die ein Tag voller Proben gekostet hatten, mussten ergänzt werden – aber kontrolliert. Sie hatte sich schon vor langer Zeit dazu erzogen, einen Becher Joghurt mit gleicher Begeisterung wie einen Bananensplit zu sehen. Heute Abend würde es Joghurt sein, garniert mit frischem Obst und ergänzt von einem Teller Gerstensuppe und einem Spinatsalat.

Bei der Tür lauschte sie noch einmal auf die Geräusche: ein Sänger, der die Tonleitern durchging, Klavierlinien, die nur noch dünn bis hier durchdrangen, rhythmisches Aufschlagen von Füßen auf dem Tanzboden. Diese Geräusche gehörten ebenso zu ihr wie ihr eigener Herzschlag.

Der Himmel segne Roy Valentine, entschied sie und trat endgültig in die einbrechende Dämmerung hinaus.

Sie hatte kaum zwei Schritte gemacht, als ein heftiges Reißen an ihrem Tanzbeutel sie herumwirbeln ließ.

Er war noch fast ein Kind – vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt –, aber der harte, verzweifelte Blick war unmissverständlich.

Maddy machte den Eindruck eines leicht zu überwältigenden Opfers: ein Fliegengewicht, das leicht weggestoßen werden konnte, während er ihren Beutel an sich riss und floh. Ihre Kraft, mit der sie sich zur Wehr setzte, überraschte ihn, machte ihn aber nur noch entschlossener, sich zu nehmen, was sie an Bargeld und Kreditkarten in ihrem Beutel haben mochte. Niemand nahm Notiz von dem Kampf im Halbdunkel neben dem alten Gebäude. Beim Gedanken an die Jugend ihres Angreifers versuchte Maddy es mit Überzeugungskraft. Man hatte ihr zwar schon dargelegt, dass nicht unbedingt jeder sich ändern wollte, aber das hielt sie nicht von einem Versuch ab.

»Weißt du überhaupt, was da drin ist?«, fragte sie, während sie beide an ihrem Beutel rissen. Er war schon atemloser als sie. »Verschwitzte Trikots und ein Handtuch, das schon ganz muffig ist. Und meine Ballettschuhe.«

Der Gedanke an die Ballettschuhe ließ sie ihren Beutel nur noch entschlossener verteidigen. Der Junge beschimpfte sie, doch sie achtete nicht darauf. »Die Schuhe sind noch fast neu, aber für dich völlig unbrauchbar. Ich brauche sie dringender als du«, fuhr sie in ihrem vernünftigen Tonfall fort. Doch als sie mit der Ferse gegen das eiserne Geländer knallte, fluchte sie. Sie konnte es sich leisten, ein paar Dollar zu verlieren, aber sie konnte sich keine Verletzung leisten. Da er sich offensichtlich nicht ändern lassen wollte, ging er vielleicht auf einen Vergleich ein.

»Hör zu, wenn du mich in Ruhe lässt, gebe ich dir die Hälfte von meinem Bargeld. Ich habe keine Zeit, mir neue Schuhe zu besorgen, und ich brauche sie morgen. Das gesamte Bargeld«, entschied sie dann, als sie hörte, wie die Nähte ihres Beutels zu reißen begannen. »Ich habe ungefähr dreißig Dollar.«

Er versetzte Maddy nur einen kräftigen Schlag, der sie vorwärtsstolpern ließ. Ein Ruf ertönte, und sofort ließ er los. Wie ein Stein fiel der Beutel herunter, sein Inhalt verstreute sich auf dem Boden. Und wie der Blitz rannte der Junge die Straße hinunter und verschwand um die nächste Ecke. Leise fluchend bückte sich Maddy, um ihre Sachen wieder einzusammeln.

»Alles in Ordnung?«

Maddy griff nach ihren ramponierten Wadenwärmern und sah ein Paar auf Hochglanz polierte italienische Schuhe. Als Tänzerin achtete sie besonders darauf, was Leute an den Füßen trugen. Schuhe verrieten häufig die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein von Menschen. Polierte italienische Schuhe bedeuteten Reichtum und Wertschätzung dessen, was Reichtum ermöglichte. Über dem teuren Leder kamen erstklassig geschnittene hellgraue Hosen. Während Maddy das herausgefallene Kleingeld aufsammelte, blickte sie höher zu schmalen Hüften und einem dünnen Gürtel mit einer kleinen, geschmackvoll gearbeiteten goldenen Schnalle. Stilvoll, aber nicht übertrieben modebetont, entschied sie.

Das Jackett war offen und zeigte eine schlanke Taille, darüber ein weiches, hellblaues Hemd und eine dunklere Krawatte. Alles Seide. Maddy liebte Seide auf der Haut. Luxusartikel waren nur dann Luxus, wenn sie genossen werden konnten.

Sie betrachtete die Hand, die sich ihr hilfreich entgegenstreckte. Sie war gebräunt und hatte lange Finger. Am Handgelenk war eine goldene Uhr, die sowohl teuer als auch praktisch aussah. Sie ergriff die Hand und spürte Wärme, Kraft und, wie sie glaubte, Ungeduld.

»Danke.« Sie sagte das, bevor sie ihm ins Gesicht sah. Der Mann war groß und schlank, nicht in der Art eines Tänzers, aber in der Art eines Mannes, der diszipliniert mit seinem Körper umging, ohne in die Extreme des Verzichts zu verfallen. Mit dem gleichen Interesse, wie sie ihn von den Zehen bis zu den Schultern gemustert hatte, betrachtete sie nun sein Gesicht.

Es war glatt rasiert. Seine Wangenknochen standen leicht vor, was seinem festen, ernsten Blick eine künstlerische Note gab. Eine strenge Linie um seinen Mund schien Missbilligung oder Ärger zu signalisieren, während sein Kinn eine leichte, nur eine ganz leichte Einkerbung zeigte. Seine Nase war gerade, irgendwie aristokratisch. Die Augen waren ein dunkles, hartes Grau, und sie drückten so deutlich, wie Worte es vermocht hätten, aus, dass er seine Zeit nicht mit in Schwierigkeiten geratenen Mädchen verschwenden wollte.

Die Tatsache, dass er nicht wollte und es doch getan hatte, erwärmte Maddy für ihn.

Er fuhr sich durch sein braunes Haar, erwiderte ihren Blick und fragte sich, ob sie einen Schock erlitten habe. Dann lächelte sie, und erst jetzt bemerkte er, dass sie weder errötet noch erblasst war und aus ihren Augen auch keine Furcht sprach. Sie entsprach so gar nicht seiner Vorstellung von einer Frau, die gerade beinahe beraubt worden war.

»Ich bin froh, dass Sie gerade vorbeikamen. Dem Jungen war einfach nicht mit Vernunft beizukommen.« Sie beugte sich wieder vor, um ihre Sachen einzusammeln.

Er sagte sich, dass er gehen und es ihr überlassen sollte, ihre verstreuten Habseligkeiten allein aufzuheben, doch stattdessen warf er einen Blick auf seine Uhr und bückte sich dann, um ihr zu helfen. »Versuchen Sie immer, vernünftig zu Räubern zu reden?«

»Räuber im ersten Lehrjahr, würde ich sagen.« Sie fand ihren Schlüsselbund in einem Loch im Gehweg. »Und ich habe versucht, mit ihm zu handeln.«

Er hob Maddys älteste Strumpfhose hoch, die von den vielen Proben schon ganz dünn an den Knien war. »Meinen Sie wirklich, das war eine Verhandlung wert?«

»Aber sicher.« Sie nahm sie ihm aus der Hand, rollte sie zusammen und stopfte sie in ihren Beutel.

»Er hätte Sie verletzen können.«

»Er hätte meine Schuhe bekommen können.« Maddy strich über deren weiches Leder. »Ich habe sie erst vor drei Wochen gekauft, und er hätte nichts damit anfangen können. Würden Sie mir bitte das Stirnband geben?«

Er hob es vorsichtig hoch und verzog das Gesicht. Mit spitzen Fingern reichte er es ihr. »Haben Sie damit geduscht?«

Lachend ergriff sie es und verstaute es mit dem Rest ihrer Trainingssachen. »Nein, es ist nur Schweiß. Entschuldigung.« Doch ihr Blick verriet keine Bitte um Vergebung, nur Humor. »Doch so, wie Sie angezogen sind, sehen Sie nicht aus, als ob Sie die Substanz erkennen würden.«

»Ich trage sie normalerweise nicht in einem Beutel mit mir herum.« Er fragte sich, warum er nicht einfach weiterging. Er hatte schon fünf Minuten Verspätung, doch irgendetwas in der Art, wie sie ihn weiterhin offen und humorvoll betrachtete, hielt ihn zurück. »Sie verhalten sich gar nicht wie eine Frau, die beinahe eine Strumpfhose, ein altes Trikot, ein schäbiges Handtuch, zwei Paar Schuhe und fünf Pfund Schlüssel verloren hat.«

»So schäbig ist das Handtuch nun auch nicht.« Zufrieden, alles wiedergefunden zu haben, zog Maddy ihren Beutel zu. »Außerdem habe ich es nicht verloren.«

»Die meisten Frauen, die ich kenne, würden nicht mit einem Räuber verhandeln.«

Interessiert musterte sie ihn wieder. Er wirkte wie ein Mann, der Dutzende von Frauen kannte, alle elegant und intelligent. »Was würden die tun?«

»Schreien, denke ich.«

»Wenn ich das getan hätte, hätte er meinen Beutel, und ich wäre außer Atem.« Sie tat die Idee mit einem Schulterzucken ab. »Trotzdem, danke.« Sie reichte ihm ihre schlanke, schmucklose Hand. »Ritter in goldener Rüstung sind schon etwas Wunderbares.«

Sie war zierlich und vollkommen allein, und es wurde von Minute zu Minute dunkler. »Sie sollten in dieser Gegend nicht im Dunkeln herumlaufen.«

Sie lachte wieder, ein helles, volles, amüsiertes Lachen. »Das ist meine Gegend. Ich wohne nur vier Blocks weiter. Und wie gesagt, der Junge war ein blutiger Anfänger. Kein Straßenräuber mit etwas Selbstachtung würde Tänzer auch nur eines Blickes würdigen. Sie wissen, dass Tänzer normalerweise pleite sind. Aber Sie …« Sie trat zurück und musterte ihn erneut. Er war es schon wert, eines zweiten Blickes gewürdigt zu werden. »Bei Ihnen ist das anders. So wie Sie gekleidet sind, sollten Sie Ihre Uhr und Brieftasche besser in den Shorts verstecken.«

»Ich werde es mir merken.«

Eine gute Tat sollte mit einer weiteren erwidert werden. »Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen? Sie machen nicht den Eindruck, als ob Sie sich in dieser Gegend auskennen.«

»Nein, danke. Ich muss nur hier herein.«

»Hier?« Maddy warf einen Blick zurück auf das renovierungsbedürftige Gebäude, in dem die Probebühne untergebracht war, und betrachtete wieder ihr Gegenüber. »Sie sind kein Tänzer.« Sie sagte es überzeugt. Nicht, dass er sich nicht gut bewegte, er war einfach kein Tänzer. »Und auch kein Schauspieler«, entschied sie nach kurzer innerer Debatte. »Und ich wette, Sie sind auch kein Musiker, obwohl Sie schöne Hände haben.«

Immer, wenn er endlich seinen Weg fortsetzen wollte, zog sie ihn wieder zurück. »Warum nicht?«

»Zu konservativ«, erwiderte sie spontan, aber ohne Wertschätzung. »Einfach zu ordentlich. Sie sind eher wie ein Bankier oder ein Rechtsanwalt gekleidet oder …« Und plötzlich ging ihr ein Licht auf. »Oder ein Finanzier. Ein Finanzier«, wiederholte sie und strahlte ihn an. »Von Valentine Records?«

Wieder bot Maddy ihm ihre Hand, und er ergriff sie. »Das stimmt. Roy Valentine.«

»Ich bin die Fröhliche Witwe.«

Er runzelte die Stirn. »Wie bitte?«

»Die Stripperin.« Sie beobachtete, wie sich seine Augen verengten. Sie hätte es dabei bewenden lassen können, aber immerhin hatte er ihr geholfen. »Von ›Take It Off‹, die Show, die Sie finanzieren.« Und erfreut legte Maddy ihre freie Hand auf seine. »Madeline O’Hara.«

Das war Madeline O’Hara? Diese kleine Range mit dem frechen Pferdeschwanz sollte das mitreißende Erlebnis aus »Suzanna’s Park« sein? Sie hatte eine lange, blonde Perücke getragen, einen Alice-im-Wunderland-Blick gehabt und Kostüme vom Ende des 19. Jahrhunderts, aber … Ihre kraftvolle Stimme hatte den letzten Winkel des Theaters ausgefüllt, und sie hatte mit einer rasenden, geballten Energie getanzt, die ihn, der schwer zu beeindrucken war, fast ehrfürchtig ergriffen hatte.

Einer der Gründe, warum er diese Show finanzieren wollte, war Madeline O’Hara gewesen. Nun stand er ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber und spürte Zweifel.

»Madeline O’Hara?«

»So steht es im Vertrag.«

»Ich habe Sie auf der Bühne gesehen, Miss O’Hara. Ich hätte Sie nicht erkannt.«

»Beleuchtung, Kostüme, Maske.« Sie tat es mit einer Handbewegung ab. Außerhalb des Rampenlichts zog Maddy Anonymität und ihr individuelles Aussehen vor. Sie war als eine von dreien zur Welt gekommen – Carrie hatte die überwältigende Schönheit, Alana die warme Herzlichkeit mitbekommen und sie eben das verschmitzt Niedliche. Es gab sicher berechtigte Gründe dafür, aber über Roys zweifelnden Blick musste sie einfach amüsiert lächeln. »Und jetzt sind Sie enttäuscht.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Natürlich nicht. Dazu sind Sie zu höflich. Aber keine Sorge, Mr. ›Valentine Records‹, ich werde Sie nicht enttäuschen. Jeder O’Hara ist eine kluge Investition.« Sie lachte über ihren eigenen familiären Spaß.

Die Straßenbeleuchtung hinter ihnen ging an, ein deutliches Zeichen, dass endgültig die Nacht einbrach. »Ich vermute, Sie haben drinnen eine Verabredung.«

»Vor zehn Minuten.«

»Zeit ist nur wichtig, wenn man abhängig ist. Sie haben das Scheckbuch, Captain, also bestimmen Sie.« Freundschaftlich schlug sie ihm auf den Arm. »Wenn Sie wieder einmal hier in der Nähe sind, kommen Sie doch einfach zur Probe.« Sie machte einige Schritte rückwärts und lächelte ihn schelmisch an. »Dann können Sie mich in voller Aktion bewundern. Ich bin gut, Mr. ›Valentine Records‹, wirklich gut.« Mit einer Pirouette drehte sie sich um und eilte in leichtem Laufschritt die Straße entlang.

Trotz seines Hangs zur Pünktlichkeit sah Roy ihr nach, bis sie um die Ecke verschwand. Kopfschüttelnd ging er auf den Eingang zu, als er eine runde Haarbürste bemerkte. Die Versuchung, sie einfach liegen zu lassen, war groß. Doch die Neugier war größer. Als Roy sie aufhob, bemerkte er einen ganz leichten Shampoo-Geruch – etwas zitronig Frisches. Er widerstand dem Drang, an ihr zu riechen, und steckte sie in die Jackentasche. Ob eine Frau wie sie überhaupt eine Haarbürste vermisste? Doch sofort schob er den Gedanken zur Seite. Er würde sie ihr auf alle Fälle zurückgeben.

Eine weitere gute Tat würde nicht schaden. Er war also verpflichtet, Madeline O’Hara wiederzusehen.

2. KAPITEL

Fast eine Woche verging, bevor Roy Zeit fand, erneut bei der Probebühne vorbeizuschauen. Er konnte den Besuch sogar rein geschäftlich begründen. Eigentlich hatte er sich nicht um die Show selbst kümmern wollen. Gespräche mit dem Produzenten und Konferenzen mit den Finanzberatern hätten gereicht, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Roy verstand sich auf Bilanzen, Zahlenreihen und Geschäftsunterlagen besser als auf die Geräusche und Gerüche in dem heruntergekommenen Gebäude. Aber schließlich schadete es nie, die Zügel bei einer Investition fest in der Hand zu behalten – selbst wenn diese Investition eine kapriziöse Frau mit einem strahlenden Lächeln einschloss.