Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 472 - Ina von Hochried - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 472 E-Book

Ina von Hochried

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Beschreibung

Wo du einst die Herrin warst
Eine Frau geht tapfer ihren Schicksalsweg

Wie eine Diebin huscht Delia Komtess von Rhede mitten in der Nacht durch die dunklen Gänge des Schlosses, wo sie einst Herrin war. Sie kennt hier jeden Winkel, und der Schlüssel zur alten Berghütte ist schnell gefunden. Nur allein diese Hütte ist ihr geblieben, denn nach dem Tod ihres hoch verschuldeten Vaters kam der gesamte Besitz unter den Hammer.
Delias Versuch, in der Stadt Fuß zu fassen, ist kläglich gescheitet. Sie war gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, und wurde beschimpft, beleidigt und gedemütigt. Nun will sich die schöne Komtess für immer in der einsamen Berghütte vor der Welt zurückziehen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Wo du einst die Herrin warst

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: sergiophoto / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8681-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wo du einst die Herrin warst

Eine Frau geht tapfer ihren Schicksalsweg

Wie eine Diebin huscht Delia Komtess von Rhede mitten in der Nacht durch die dunklen Gänge des Schlosses, wo sie einst Herrin war. Sie kennt hier jeden Winkel, und der Schlüssel zur alten Berghütte ist schnell gefunden. Nur allein diese Hütte ist ihr geblieben, denn nach dem Tod ihres hoch verschuldeten Vaters kam der gesamte Besitz unter den Hammer.

Delias Versuch, in der Stadt Fuß zu fassen, ist kläglich gescheitert. Sie war gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, und wurde beschimpft, beleidigt und gedemütigt. Nun will sich die schöne Komtess für immer in der einsamen Berghütte vor der Welt zurückziehen …

Delias dunkle verschleierte Augen wanderten über den Kamin zu dem großen Bild ihres Vaters empor. Graf von Rhede hatte eine Hand auf den Schreibtisch gestützt, sein Blick schien in die Unendlichkeit zu gehen. Das Gesicht mit der scharfen Nase verriet Würde, Energie und Tradition.

Delia, die Tochter dieses Mannes, wusste seit ein paar Minuten, dass der Ausdruck dieses Männergesichtes nichts als Schein war, Werk eines Malers, idealisierte Wirklichkeit.

Man hätte den Ausdruck der Mädchenaugen in diesem Moment nicht deuten können. Klagten sie den Vater an? Machten sie ihm Vorwürfe? Vergaben sie ihm, weil sein Tod vor zwei Monaten alle Schuld, alles Versagen ausgelöscht hatte?

Das Antlitz auf dem Bilde verschwamm vor den Augen des Mädchens. Die Konturen begannen zu verfließen, sie lösten sich auf.

Die Blicke des Mädchens wanderten zurück und blieben an dem besorgten Gesicht jenes Mannes hängen, aus dessen Mund Komtess Delia eben alles erfahren hatte. Sein kahler Kopf war gesenkt, das Monokel baumelte an seinem Rockaufschlag.

„Und was wird nun, Baron Zagau?“, fragte Delia.

Der Baron erschrak ein bisschen und fuhr aus seiner Versunkenheit empor. Er suchte mit fahriger Hand nach dem Monokel und klemmte es ins Auge.

„Tja, gnädigste Komtess, ich als Ihr Vermögensverwalter wäre mehr als glücklich, wenn ich Ihnen etwas anderes sagen könnte, aber die Dinge liegen nun einmal so, wie ich sie soeben angedeutet habe.“

„Und was soll ich tun?“

Der Baron neigte sich über die Papiere, die er bei seinem Kommen ausgebreitet hatte.

„Sie brauchen mich nicht zu schonen, Baron.“

Der Baron glaubte in diesem Augenblick, in den Augen des Mädchens den gleichen Ausdruck sehen zu können, den er aus den Augen des Grafen in Erinnerung hatte. Es war eine merkwürdige Mischung aus Stolz, Wärme, aufrechter Haltung und leisem Spott. Spott der ganzen Welt gegenüber, die man nicht fortleugnen konnte, die man aber auch nicht ernst genug nahm.

Zagau verneigte sich in seinem Sessel.

„Sie sind Ihres Namens würdig, Komtess von Rhede! Deshalb bin ich sicher, dass die Umstände Sie nicht aus der Fassung bringen werden.“

Das Mädchen senkte für einen Augenblick die Augenlider. Wenn diese Szene doch nur schon vorüber wäre!

„Wie ich Ihnen eben schon auseinandersetzte, Komtess, sind nach all den geschilderten Vorgängen die Schulden Ihres seligen Herrn Vaters so hoch angewachsen, dass deren Deckung aus den vorhandenen Barmitteln und aus den für die nächsten Jahre zu erwartenden Einkünften nicht mehr erfolgen kann.“

„Die Schulden müssen aber bezahlt werden, nicht wahr?“

„Ja.“

„Das muss ich tun?“

„Sie sind, da Ihre Frau Mutter nicht mehr ist und andere direkte Erben nicht vorhanden sind, als Alleinerbin Rechtsnachfolgerin für den Grafen. Das gilt für seine Ansprüche, das gilt aber auch für seine Verpflichtungen.“

Delia nickte. Ihr schönes ebenmäßiges Gesicht, in dem sich der Adel kostbaren Blutes und die Frische der blühenden Jugend zu einem hinreißenden Bild zusammenfügten, war blass.

„Selbstverständlich werde ich alles daransetzen, die Schulden so bald wie möglich zu bezahlen. Sagen Sie das bitte den Gläubigern, Baron.“

„Die Gläubiger haben sich bereits zusammengetan und ganz präzise Forderungen erhoben. Aus diesem Grunde bin ich hier.“

„Welche Forderungen?“

„Sie verlangen Begleichung der Schulden binnen Monatsfrist.“

„Steht dem etwas entgegen, Baron?“

„Leider, Komtess. Die Forderungen übersteigen die vorhandenen Mittel um ein Mehrfaches.“

„Haben Sie das den Gläubigern gesagt?“

„Selbstverständlich. Ich habe den Herren gesagt, dass nach dem Tode des Grafen eine besondere Situation entstanden ist, die gewisse Rücksichten erfordert.“

„Rücksichten?“

„Auf Sie, Komtess.“

Die Lippen des Mädchens wurden schmal.

„Ich will nicht, dass man auf mich Rücksicht nimmt. Ich will, dass diese Schulden beglichen werden.“

„In diesem Punkte, Komtess, treffen sich Ihre Absichten mit denen der Gläubiger.“ Er zog ein Blatt Papier heraus. „Ich habe mir erlaubt, bereits eine entsprechende Berechnung aufzustellen, Komtess.“

„Bitte, Baron …“

Er holte tief Luft.

„Ich fürchte, dass es sich nicht vermeiden lassen wird, den Besitz zu verkaufen, Komtess“, sagte er dann mit gepresster Stimme.

Der Herzschlag des Mädchens setzte für eine Sekunde aus.

„Den … ganzen Besitz …?“

„Ja. Die daraus zu erwartenden Mittel werden eben ausreichen, um die Verpflichtungen zu erledigen.“

„So viel ist das?“

„Ja, ich kann leider nichts anderes sagen.“

Delia schloss die Augen. Ihre Hände krampften sich ineinander. Die Augen öffneten sich wieder, sie waren übernatürlich klar, sie glänzten wie in einer Krankheit.

„Was bleibt mir, Baron?“ Die Stimme war kaum mehr als ein tonloses Flüstern.

„Allenfalls zwanzig- oder dreißigtausend Mark.“

„Von dem ganzen Besitz?“

„Ja.“

„Sie sind sicher?“

„Ich irre mich kaum – leider.“

Delia blickte auf die verschlungenen Muster des kostbaren Teppichs.

„Zwanzigtausend Mark, das ist ja auch eine ganze Menge, nicht wahr?“

„Gewiss … Für Sie jedoch …“

„Es gibt viele Menschen, die solch eine Summe noch nie besessen haben.“

„Ja, Komtess.“

„Ich werde mich eben einschränken müssen, Baron. Ich hatte eine glückliche, sorgenfreie Jugend. Ich lebte im Luxus. Ich nahm alles als selbstverständlich hin. Vielleicht zu selbstverständlich …“

Baron Zagau schmerzte es tief, diese Ergebenheit des Mädchens ansehen zu müssen. Wenn sie geweint, wenn sie gejammert hätte, wäre es vielleicht leichter zu ertragen gewesen.

„Komtess, falls ich mir ein persönliches Wort erlauben darf …“

„Bitte?“

„Ich möchte Sie an Ihre Verwandten erinnern, die – soviel ich weiß – sämtlich in glänzenden Verhältnissen leben.“

„Meine Verwandten?“ Delias Stimme war so erstaunt, als höre sie in diesem Augenblick zum ersten Mal von ihren entfernten Angehörigen.

„Ich meine, es wäre den Herrschaften doch ein leichtes, mit Hilfe einer Umlage die schlimmsten Folgen für Sie abzuwenden!“

Delias Augen wurden starr.

„Sie meinen, sie sollen Vaters Schulden bezahlen?“

„Ist das nicht verwandtschaftliche Pflicht?“

„Nein, Baron, das ist einzig und allein meine Sache.“

„Komtess, ich bewundere Ihren Stolz, aber Sie sollten überlegen, dass Sie sich nicht deswegen ruinieren können.“

„Ich bin nicht ruiniert. Ich behalte eine hübsche Summe. Und schließlich bin ich selbst ja auch noch da. Von meinen Verwandten will ich nichts, nicht einen Pfennig.“

„Vielleicht könnte ich trotzdem einmal vorfühlen. Ich meine …“

„Nein! Vater hat mit der Verwandtschaft nicht gutgestanden. Ich bin die Erbin, also bin ich verpflichtet, alles zu regeln. In dieser Frage brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren.“

„Wie Sie wünschen.“

„Gibt es sonst noch etwas, Baron?“

„Ich benötige Ihre Vollmachten, Komtess.“

„Ich unterschreibe.“

Der Baron suchte ein paar Papiere heraus, und Delia setzte ihren Namen unter die Texte. Der Baron war damit ermächtigt, in ihrem Namen den gesamten beweglichen und festen Besitz zu veräußern. Die daraus einkommende Summe sollte zur Begleichung der vorhandenen Schulden, die hoch in die Millionen gingen, dienen. Der Rest sollte Delia zugutekommen und ihr zur freien Verwendung stehen.

Eine halbe Stunde später, nachdem Delia dem Baron noch eine Tasse Kaffee aufgezwungen hatte, verließ er sie. Es kam ihm vor, als habe er soeben ein Begräbnis hinter sich.

So war es letzten Endes auch. Der Besitz der Grafen Rhede, ein großes Gut mit prachtvollen Feldern, ausgezeichneten Waldungen und einem anerkannt wertvollen Viehbestand, dieses herrliche Anwesen sollte jetzt, nach mehreren Jahrhunderten, in fremde Hände übergehen.

Der Baron hatte das Gefühl, als sei er es, der sich von seiner Habe trennen müsste. Graf von Rhede war sein Freund gewesen, sie hatten miteinander kaum als Rechtsanwalt und Klient, sondern stets als Mann zu Mann verhandelt.

Dennoch hatte der Baron von den immer größer werdenden Verpflichtungen des Grafen nichts geahnt. Aktienverluste, eine Fehlernte, das gewohnt großzügige Leben, die Aufnahme von Darlehen zu horrenden Wucherzinsen hatten in wenigen Jahren die gesunde Substanz des Gutes angegriffen.

Der Graf, einmal in Schwierigkeiten geraten, hatte sich immer tiefer hineingeritten. Er war es gewohnt gewesen, Geldsorgen nicht zu kennen. Geld hatte man eben, man dachte nicht darüber nach. Fehlte es momentan, dann verschaffte man es sich.

Das Ende war nun da. Mit dem Tode des Grafen – er war vor zwei Monaten bei einem Ausritt unglücklich vom Pferd gestürzt – hatten die begangenen Fehler jäh ihre Wirkung gezeigt.

Der Baron hatte dies alles so lange wie möglich vor der Komtess verborgen. Nun aber, da die Gläubiger mit präzisen Drohungen auf den Plan traten, hatte er klaren Tisch machen müssen.

Delias Haltung hatte ihn tief beeindruckt. Wahrlich, das war altes, gutes Blut, das aus diesem Mädchen sprach. Eben noch ein Kind, kaum mehr als ein Backfisch mit ihren dreiundzwanzig Jahren, hatte sich die Komtess von einer Sekunde zur anderen zu einem konsequent handelnden Menschen gewandelt.

Der Baron war aber nicht der Mann, der sich von idealistischen Erwägungen allein leiten ließ. So wertvoll ihm die Vorzüge des Mädchens schienen, so stolz er letzten Endes auf die schöne Tochter seines Freundes war, er war nicht gewillt, tatenlos ihren Untergang anzusehen.

♥♥♥

Als der Baron eine Stunde später in der Stadt ankam und sein Büro erreichte, ließ er eine Verbindung zu dem Schwager des Grafen, dem Freiherrn von Görgers, herstellen. Zagau kannte ihn flüchtig.

Der Zufall wollte es, dass Baron Görgers das Gespräch selbst annahm. Er lebte in der Nähe von Frankfurt auf seinem gut gehenden Gut.

Nach den ersten Begrüßungsworten kam Baron Zagau sofort auf den Kern der Dinge.

„Dann stimmt es also doch!“, rief der Freiherr von Görgers.

„Was stimmt, Baron?“

„Ich habe so allerhand über meinen verehrten Schwager munkeln hören, lieber Zagau.“

„Das erleichtert mein Anliegen, Baron.“

„Ein Anliegen?“

„Sie wissen, dass die Komtess jetzt allein auf den Schulden sitzt.“

„Sie hat geerbt.“

„Gewiss. Leider hat sie auch die Schulden des Vaters geerbt.“

„Das tut mir leid, lieber Zagau.“

„Ich habe der Komtess vor einer Stunde sagen müssen, dass der gesamte Besitz verkauft werden muss.“

„Ist das wahr?“

„Leider.“

„Graf Rhede hat eben ein bisschen gar zu flott gelebt, wie ich sehe.“

„Man kann ihm keinen Vorwurf mehr machen.“

„Gewiss nicht. Und was wird nun?“

„Ich habe die Vollmachten für den Verkauf des Besitzes vor mir liegen.“

„Und?“

„Ich wollte zuerst mit Ihnen sprechen, bevor ich die Dinge in die Wege leite.“

„Wieso?“

„Ich dachte, Sie wüssten einen besseren Weg, Görgers.“

„Wissen Sie, ich habe mich selbst im Moment ein bisschen engagiert. Rationalisierung – Sie wissen schon. Kein Personal, man muss es durch Maschinen ersetzen. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich gern dies oder jenes übernehmen können. Ich wäre beispielsweise am Viehbestand interessiert gewesen.“

„Sie wollen kaufen, Baron?“

„Natürlich! Was denn sonst?“

„Ich … ich glaubte, Sie würden mit einer gewissen Summe der Komtess unter die Arme greifen.“

„Das ist doch wohl ein schlechter Witz, Zagau! Wie komme ich dazu, die Schulden anderer Leute zu bezahlen?“

„Es handelt sich um Ihren Schwager!“

„Der stets auf dem hohen Ross gesessen hat, Zagau! Das wollen wir nicht vergessen. Und der sehr viel Wert darauf legte, dass seine Schwester, meine Frau, so rasch wie möglich ausgezahlt wurde. Verzeihen Sie, Baron, aber ich bin an der Sache nicht interessiert.“

„Ja, ich versehe … Entschuldigen Sie …“

„Nichts für ungut, Zagau!“

Der Baron legte den Hörer auf.

Delia von Rhede hatte recht behalten. Die Verwandtschaft durfte nicht angesprochen werden.

Eine Viertelstunde lang saß Zagau bewegungslos hinter seinem Schreibtisch. Dann, in einem plötzlichen Entschluss, hob er den Hörer wieder ab und wählte die Nummer seiner Privatwohnung.

Das Mädchen war am Apparat. Der Baron trug ihm auf, seine Frau zu rufen.

„Wilhelm? Wann kommst du zum Essen?“, meldete sie sich gleich darauf.

„Ich werde erst abends heimfahren, Brunhilde.“

„Wie schade!“

„Es lässt sich leider nicht anders einrichten.“

„Musst du zum Gericht?“

„Nein, es ist wegen Delia.“

„Die Arme. Wie hat sie es aufgenommen?“

„Bewundernswert.“

„Dass man ihr aber auch wirklich nicht helfen kann …“

„Vielleicht doch, Brunhilde.“

„Du hast Hoffnung? Die Verwandten?“

„Nein, Liebste. Ich habe einen einzigen Versuch unternommen, aber der reicht mir vollkommen.“

„Was sonst, Wilhelm?“

„Man müsste jemanden finden, der es wert ist, den Besitz der Rhedes zu übernehmen. Ich möchte nicht, dass irgendein Neureicher, ein hochgekommener Krawattenfabrikant oder ein Großschlächter, sich in das schöne Schloss setzt.“

„Ich bin ganz der gleichen Ansicht, Wilhelm“, pflichtete seine Frau spontan bei. „Hast du jemanden ins Auge gefasst?“

„Halte dich fest, Brunhilde: Ich habe gedacht, dass du das übernimmst.“

„Wilhelm, du solltest in dieser Sache keine dummen Scherze machen. Du solltest daran denken …“

„Ich denke an alles, Brunhilde. Ich denke zum Beispiel daran, dass dein Eigenvermögen die zwei Millionen, die aufzuwenden wären, ohne Weiteres hergibt. Ich denke weiter daran, dass …“

„Es geht hier nicht um das Geld, Wilhelm!“, unterbrach sie ihn erregt. „Es geht um Delia!“

„Eben!“

„Wenn ich das Gut kaufen soll, warum soll sie dann von dort fort?“

„Weil sie nie und nimmer damit einverstanden wäre. Sie lässt sich nicht von unserer Güte aushalten.“

„Aber ich …“

„Ich habe mir alles reiflich überlegt, Brunhilde. Sie würde es nie annehmen. Wir müssen es also, falls du bereit dazu bist, heimlich tun.“

„Und dann erfährt sie, dass wir beide fröhlich auf dem Gute ihrer Vorfahren Hof halten.“

„Eben nicht. Wir setzen einen guten Verwalter hin, lassen uns dort nicht sehen und wirtschaften drauflos.“

„Wilhelm, entschuldige, aber das klingt abenteuerlich!“

„Auch dann, wenn ich dir sage, dass wir einen jährlichen Gewinn von gar nicht geringem Ausmaß zu erwarten haben? Du könntest aus diesem Gewinn praktisch die von dir aufgewendete Kaufsumme wieder zurückgewinnen, mit gewissen Zinsen sogar, und es wird nur eine Frage von Jahren sein, bis du die zwei Millionen mit den Zinsen wieder auf deinem Konto hast.“

„Und das Gut?“

„Ist dann schuldenfrei.“

„Und was wird mit Delia?“

„Das werden wir sehen. Sie ist eine Rhede, und die Rhedes haben seit Jahrhunderten auf diesem Schloss gesessen. Warum soll sich das jetzt ändern?“

„Wilhelm, du bist und bleibst ein Rechtsanwalt. Komm heim, dann sprechen wir noch einmal in Ruhe darüber.“

„Bis heute Abend dann.“

Der Baron pfiff vergnügt vor sich hin. Mit ein paar raschen Griffen räumte er die Akten in seinen Schreibtisch und schloss gut ab. Die Akten mit der Aufschrift „Rhede“ gehörten in keine unbefugten Hände, genauso wenig wie der Besitz der Rhedes selbst in falsche Hände kommen durfte.

Baron Zagau trat nun ans Fenster und schaute nachdenklich in die Ferne.

Delia musste das elterliche Gut verlassen. Sie wurde mit einer für ihre bisherigen Verhältnisse geringen Summe praktisch auf die Straße gesetzt.

Sie musste der Meinung sein, dass fremde Menschen auf ihrem Besitz Einzug hielten. Sie musste sich grämen, Kummer musste sie erfüllen. In Wirklichkeit irrte sie. In Wirklichkeit blieb das Schloss, blieben die traditionserfüllten Räume, in denen viele Rhedes geboren worden waren, in denen sie geheiratet hatten, in denen Nachkommen herumgetollt hatten und in denen der Tod neben sie getreten war, unberührt.

War es wohltätig, sie in ihrem Irrtum zu belassen?

Der Baron schob die Frage fort. Es galt, die Gefahr des Augenblicks abzuwenden. Es galt, die gierigen Hände moderner, rücksichtsloser Geldmänner abzuwehren, ihren Griff zu verhindern.

Alles andere musste die Zukunft mit sich bringen.

♥♥♥

Die Sonne stand hoch am Himmel. Dennoch war der Park menschenleer. Das alte Schloss schien ohne Leben.

Vor dem Portal des schönen alten Schlosses stand ein kleiner Wagen. Die Türen waren geöffnet. Koffer lagen auf den Rücksitzen, der Gepäckraum bot kaum mehr einem Regenschirm Platz.

Delia von Rhede trat aus dem Schloss, wo sie einst die Herrin gewesen war. Ihr Gesicht war bleich. Sie trug ein schwarzes Kostüm, eine schmucklose weiße Bluse darunter. Ihre Hand umklammerte den Griff einer schweinsledernen Aktentasche.

Mit seltsam weichen und zugleich endgültig wirkenden Bewegungen ging das Mädchen auf das Auto zu.

Sie erreichte es, beugte sich hinein und verstaute die Aktentasche auf dem Nebensitz. Sie zögerte noch einen Augenblick, dann schwang sie sich mit einer entschlossenen Bewegung auf den Platz hinter dem Lenkrad.

Ihre Hand zitterte ein bisschen, als sie den Schlüssel in das Zündschloss steckte und den Motor startete. Das Gesicht des Mädchens war unbewegt. Niemand hätte die Gedanken hinter der klaren Stirn erraten können.