Ein Mann aus Samt und Seide - Evelyn Holst - E-Book
SONDERANGEBOT

Ein Mann aus Samt und Seide E-Book

Evelyn Holst

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Liebe in all ihren Regenbogenfarben: Der humorvolle Roman »Ein Mann aus Samt und Seide« Evelyn Holst jetzt als eBook bei dotbooks. Erfolgreicher Schauspieler und kerniger Kerl bei Tag, schillernder Star des exklusiven Tiffany-Clubs bei Nacht … Josef Maria ist der begehrteste Leinwandheld Deutschlands und kann sich kaum noch an eine Zeit vor seinem Doppelleben erinnern, denn niemals darf die Presse davon Wind bekommen, dass er privat am liebsten Frauenkleider trägt und sich mit Diamanten schmückt. Als er eines Abends nur knapp den Schlagzeilen entgehen kann, wird es höchste Zeit für einen PR-Coup: Josef muss endlich heiraten. Die richtige dafür scheint ausgerechnet Gina zu sein, eine bodenständige Single-Mutter, die am Set seines neuen Films arbeitet. Doch Josef ahnt nicht, dass Gina ihre ganz eigenen Gründe hat, seinen Antrag anzunehmen – und welche Gefühlsturbulenzen ihn erwarten … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der einfühlsame Beziehungsroman »Ein Mann aus Samt und Seide« von Evelyn Holst wird Fans von Hera Linds scharfzüngigem Humor und Ildikó von Kürthys wunderbar lebensnahen Figuren begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 364

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Erfolgreicher Schauspieler und kerniger Kerl bei Tag, schillernder Star des exklusiven Tiffany-Clubs bei Nacht … Josef Maria ist der begehrteste Leinwandheld Deutschlands und kann sich kaum noch an eine Zeit vor seinem Doppelleben erinnern, denn niemals darf die Presse davon Wind bekommen, dass er privat am liebsten Frauenkleider trägt und sich mit Diamanten schmückt. Als er eines Abends nur knapp den Schlagzeilen entgehen kann, wird es höchste Zeit für einen PR-Coup: Josef muss endlich heiraten. Die richtige dafür scheint ausgerechnet Gina zu sein, eine bodenständige Single-Mutter, die am Set seines neuen Films arbeitet. Doch Josef ahnt nicht, dass Gina ihre ganz eigenen Gründe hat, seinen Antrag anzunehmen – und welche Gefühlsturbulenzen ihn erwarten…

Über die Autorin:

Evelyn Holst studierte Geschichte und Englisch auf Lehramt. Nach dem ersten Staatsexamen arbeitete sie dreizehn Jahre als Reporterin für den »Stern«, u. a. als Korrespondentin in New York. Für ihre Reportage »Es ist so still geworden bei uns« wurde sie mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. Seitdem verfasste sie zahlreiche Romane, die auch verfilmt wurden, sowie Originaldrehbücher für Fernsehfilme. Evelyn Holst ist mit dem Filmemacher Raimund Kusserow verheiratet, mit dem sie gemeinsam zwei erwachsene Kinder hat.

Bei dotbooks veröffentlichte Evelyn Holst auch ihre Romane: »Aus Versehen Liebe«, »Ein Mann aus Samt und Seide«, »Du sagst Chaos, ich sag Familie«, »Ein König für gewisse Stunden«, »Gibt's den auch in liebenswert?«, »Der Mann auf der Bettkante«.

Ebenfalls bei dotbooks erscheint ihre Hamburg-Krimireihe:

»Die Sünde – Alexa Martini ermittelt«

»Der Verdacht – Alexa Martini ermittelt«

»Das Verlangen – Alexa Martini ermittelt«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2022

Copyright © der Originalausgabe 2004 by Ullstein Buchverlage GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von Sarema / shutterstock.com, VerisStudio / shutterstock.com und MyStocks / shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-172-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt und geschrieben wurde – und als solches von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Ein Mann aus Samt und Seide« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Evelyn Holst

Ein Mann aus Samt und Seide

Roman

dotbooks.

Prolog

Das winzige, marzipanschweinchenrosa Wesen im Kinderwagen war so schnuckelig, daß seine stolze Mutter ständig stehenbleiben und schrille Entzückungsschreie über sich und das Baby ergehen lassen mußte.

»Zum Reinbeißen«, flüsterte eine ältere Dame mit gespitztem Mündchen und zupfte am rosa Mützenband, »wie heißt denn das kleine Schätzchen?«

»Maria«, flüsterte die Mutter zurück, um das Baby nicht zu wecken.

»Da wird mal ein wunderschönes Mädchen draus«, sagte die ältere Dame, »eine richtige Prinzessin.«

»Das hoffe ich sehr«, lächelte die Mutter und ging weiter.

Kapitel 1

»Der Mann ist einfach zu schön, um wahr zu sein«, flüsterte Gina Bohm, die junge Maskenbildnerin, ihrem Kollegen Raimund Riesig zu, der gerade der Nachtclubsängerin Dorothee die Lippen blutrot konturierte. »Warum nur sind alle schönen Männer schwul oder nicht zu haben?«

Raimund lächelte geschmeichelt. »Wahrscheinlich ist der liebe Gott auch schwul«, sagte er und griff zum Lipgloss. »Zu haben ist er jedenfalls nicht.«

»Zu witzig«, murmelte Gina. Als wenn sie das nicht längst wüßte. Als hätte sie sich ernsthaft, außer jede Nacht in ihren Träumen, eine Chance bei ihm ausgerechnet. Sie ließ ihren Blick über die Wohnzimmerkulissen schweifen, in denen heute und in den nächsten Wochen das Psychodrama Nur meine Liebe zählt fürs Fernsehen gedreht wurde.

Er saß auf einem knallroten Sofa in Herzform und studierte das Drehbuch. Wie jedes Mal, wenn sie seinen Anblick ganz ungestört in sich einsaugen durfte, durchfuhr sie eine kleine, heiße Stichflamme. Von den Augen bis in die Kniekehlen. Josef Maria Baumgarten war Männlichkeit pur. Was nicht nur an seinem stattlichen, breitschultrigen Körper, an seinen dichten blonden Haaren mit grauen Sprenkeln drin und an den blauen, von Lachfältchen umkränzten Augen lag, die wie der Ozean je nach Stimmung die Farbe wechselten, sondern vielmehr an der unglaublichen Lässigkeit, mit der er diese Schönheit durchs Leben trug. Es schien, als sei sie ihm gleichgültig, fast lästig, und das machte den 46jährigen Josef Maria Baumgarten nur noch unwiderstehlicher.

»Was ist das denn wieder für ein Schwachsinnstext?« rief er jetzt und kritzelte wütend im Drehbuch. »Kommt mal her, ihr Blindköpfe!«

Peter Bäder, der Regisseur, und Elmar Hügel, der geplagte Drehbuchschreiber, eilten ahnungsvoll ans rote Sofa. Zorniges Gemurmel, angstvoll beantwortet, denn mit Baumgarten, das wußten alle, stand und fiel diese TV-Produktion.

Er spielte darin einen verheirateten Geschäftsmann namens Klaus Bertelsmann, der sich in eine Nachtclubsängerin verliebt und seiner unbändigen Liebe zu ihr Ehe und Ehre opfert. Eine Idiotenrolle, hatte Baumgarten noch vor dem Drehbeginn verkündet, aber sein Manager Kai Kuschel (kein Künstlername) war hart geblieben. »Darf ich dir deine Kontoauszüge unterbreiten, Chef?« hatte er maliziös gefragt, »und eine Aufstellung deiner monatlichen Kosten? Allein die Champagnertrüffelrechnung für deine Mutter rechtfertigt diese Rolle.«

Also saß Josef Maria jetzt auf dem roten Sofa und ärgerte sich. Elmar Hügel hatte ihm eine Figur auf den Leib geschrieben, wie es so schrecklich hieß, die er absolut bescheuert fand. Die Rolle des liebeskranken Fabrikanten war so gefühlvoll angelegt, so weinerlich, daß er nach Drehschluß fast alle Dialoge umformulierte.

»Meine Liebe zu dir ist der Quell, aus dem sich meine Kraft speist«, las er jetzt vor und machte einen dicken Strich durch den Satz.

Hügel zuckte zusammen. »Was wollen Sie denn statt dessen sagen, Herr Baumgarten?« fragte er. »Ich schreibe, was Sie wollen. Diktieren Sie.«

Natürlich tust du das, du Trottel, dachte Josef Maria, das ist schließlich dein erstes wichtiges Drehbuch und du willst im Geschäft bleiben. »Bertelsmann ist ein richtiger Mann, ein Satansbraten, ein Höllenkerl«, sagte er streng, »der quatscht nicht von Kraftquellen. Der redet übers Ficken, wenn überhaupt.«

Hügel griff nach einem Taschentuch und wischte sich die Stirn. »Aber selbstverständlich«, keuchte er ins Taschentuch, »wenn einer etwas von richtigen Männern versteht, dann ganz sicher Sie. Wie also soll Bertelsmann der Sängerin seine Liebe gestehen?«

Ach, seufzte Gina sehnsüchtig, ach du lieber Gott. Baumgarten mußte eine kleine, heiße Sekunde lang einen geradezu aberwitzigen Lachreiz unterdrücken. Ach, wie gut, dachte er, daß niemand weiß.

Da er spürte, daß aller Augen bewundernd auf ihm ruhten, stand er auf. Sie wollten ganz offensichtlich eine Gratisvorstellung, also gut. Er drückte sich ein kleines Runzeln in die Stirn, das Nachdenklichkeit und tiefes Gefühl signalisieren sollte. Als er aufsah, fiel sein Blick auf ein junges, sehr hübsches Mädchen, das mit aufgeschraubtem Lippenstift vor der Garderobe stand. »Komm mal her, Mädel«, sagte er, und mit wild pochendem Herzen ging Gina auf ihn zu. Josef Maria legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr tief in die Augen: »Ich habe mich lange gegen dieses Gefühl gewehrt«, sagte er, und seine angerauhte, sehr tiefe Stimme ließ alle anwesenden Frauen, und natürlich Raimund, innerlich erschauern, »aber ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, daß ich dir alles opfern werde. Meine Ehe, meine Firma, sogar die Liebe meiner Kinder. Du bist mir alles wert.« Abrupt ließ er Ginas Schultern los und drehte sich um. »So redet Bertelsmann«, sagte er nur. »Haben Sie mitgeschrieben, Hügel?«

Dann verschwand er in der Kulisse, während Gina wie betäubt zu den Schminktischen ging. Eigentlich mußte ihr Pullover dringen in die Reinigung. Aber das ging nun nicht mehr. Er hatte ihn schließlich berührt.

Kapitel 2

Ächzend ließ er sich auf die Massageliege fallen, die, so stand es in jedem seiner Verträge, neben der Couch in seiner Garderobe stehen mußte. Josef Maria Baumgarten war massagesüchtig. Am liebsten zweimal täglich, zuzüglich einer ausführlichen Fußreflexzonenbehandlung. Dafür war Joe zuständig, ein Wunderknabe aus Jamaica, der mit seinen kräftigen dunklen Händen so genau die Knoten und Ablagerungen in Josefs Körper traf, daß der jedes Mal wohlig aufjaulte.

»Mach mich fertig, Joe«, sagte er und ließ sich auf den Bauch fallen. »Ich bin völlig verspannt, diese Rolle schafft mich.« Die nächsten Minuten grunzte er nur, während seine Gedanken, lässig und träge, zu dem vor ihm liegenden Abend spazierten. Eine Preisverleihung im Vier Jahreszeiten stand an, irgendeine Fernsehzeitschrift hatte ihn zum beliebtesten männlichen (ha!) Schauspieler des Jahres erkoren. Die Veranstaltung langweilte ihn, noch bevor sie begonnen hatte. Es war immer dasselbe. Ein riesiges Büfett mit den üblichen arterienverengenden Leckerbissen wie Aal, Hummer und Mousse au Chocolat. Wogende Dekolletees, die sich scheinbar unabsichtlich an ihn preßten, während er einem der zahlreichen Schmarotzerjournalisten zum hundertsten Mal auf die Frage: »Wie kommt es, daß ein so attraktiver Mann wie Sie noch nicht verheiratet ist?« mit einem seiner dafür zurechtgelegten Bonmots antwortete.

Da müssen Sie meine Mutter fragen.

Attraktiv? Sie haben mich noch nie morgens nach dem Aufwachen gesehen.

Haben Sie jemanden für mich?

Ich warte, bis ich siebzig bin, und dann heirate ich eine Krankenschwester.

Dann lachten sie meistens, diese kümmerlichen Schreiberlinge. Bis sie bei Durchsicht des Archivs feststellten, daß er diese Antworten seit zwanzig Jahren gab.

»Was macht dein Sexualleben, Joe?« fragte er jetzt den Masseur. Nicht, weil es ihn wirklich interessierte, aber Joe massierte besser, wenn er sich nicht langweilte. Wie zum Beweis drückte Joe einmal kräftig zu. »Da ist diese Ehefrau aus Düsseldorf«, fing er an und walkte tief zwischen Josefs Schulterblättern. »Ein Body zum Küssen, einfach unersättlich, diese Frau, und von meiner Vermieterin hab ich dir ja schon erzählt, bei der massier ich meine Mieterhöhung ab, falls du verstehst, was ich meine, und dann ist da noch …«

»Hör auf, du Angeber«, sagte Josef, aber er wußte, daß Joe keineswegs angab. Er lebte seit fünfzehn Jahren in Deutschland, und die Frauen waren verrückt nach seinem zimtfarbenen Körper, seinen erfahrenen Massagehänden und seinem vom lieben Gott sehr großzügig geformten Fortpflanzungsorgan. Er hätte schon zig Mal heiraten können, besonders bei Ehefrauen war sein Zuspruch riesig, aber sein Spaß am Leben war zu groß. Außerdem fürchtete er die Wut der von ihm gehörnten Ehemänner. Und die mittelalterliche Sachbearbeiterin von der Ausländerbehörde lief sowieso jedes Mal rosarot an, wenn er wegen einer Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung, immer in hautengen Jeans, vor ihrem Schreibtisch Platz nahm.

»Finished«, rief er jetzt und gab Josef einen leichten Klaps auf den Po, kniff spielerisch hinein. »Hier wirst du ein bißchen weich, Josef. Kocht die Mami zu gut?«

Mamii. mit einem Ruck löste sich Deutschlands beliebtester Schauspieler von der Massageliege.

»Scheiße, ich muß los!« sagte er und stürmte davon, während er im Laufen sein Hemd zuknöpfte. Wenn’s um Preisverleihungen ging, war mit Bertha Baumgarten nicht zu spaßen. Bestimmt war sie längst angezogen, aufgerüscht bis zu den Augenbrauen, sein Smoking hing tadellos gebügelt in seinem Ankleidezimmer, genauso faltenfrei wie seine Unterwäsche. Genauso faltenfrei wie sein gesamtes Privatleben. Bis auf diese eine samtdunkle, seidenweiche Ecke. Ob sie einen Verdacht hatte? Schließlich hatten sie sein ganzes bisheriges Leben zusammengewohnt. Er war nie aus dem Elternhaus ausgezogen. Sein Vater, ein nach den vorsichtigen Beschreibungen von Bertha eher ungehobelter, wenn auch sehr reicher Mann, war unter ungeklärten Umständen ‒ man munkelte etwas von Mafia-Rache ‒ frühzeitig verstorben. Egal! Er war tot, Mami Alleinerbin, die schöne Jugendstilvilla am Stadtpark gehörte ihnen.

Josef Maria bewohnte die beiden oberen Stockwerke, Bertha Baumgarten residierte im Parterre, das auf einen großen Garten mit altem Baumbestand hinausführte. Marittel, die blutjung vor über vierzig Jahren als Kindermädchen angefangen hatte, war inzwischen eine gestandene Frau, gottlob ohne Anhang und deshalb zur Haushälterin avanciert. Das würde sie bleiben, so verkündete sie gern, bis sie mit den Füßen voran aus ihrer kuscheligen Einliegerwohnung getragen würde.

Es war also ein gutversorgtes, gemütliches Zuhause, in das Josef Maria Baumgarten nach seiner Massage zurückkehrte. Eins, in dem eine anspruchsvolle Ehefrau und womöglich schreiende Babys eher gestört hätten.

Es war einfach besser so.

Er parkte seinen Jeep in der Auffahrt und riß die Haustür auf.

Bertha Baumgarten stand am Fuß der Treppe, die in die oberen beiden Stockwerke führte und sah ihn grimmig an. »Es ist sieben vorbei, Maria.« Ihr Mund war vorwurfsvoll gespitzt. »Bist du wieder beim Massieren eingeschlafen?« Josef seufzte. »Nenn mich bitte Josef«, sagte er in dem Wissen, daß es nutzlos war. »Ich bin schließlich ein, nun ja, also ich bin schließlich ein Mann.«

Jetzt seufzte Bertha tief auf. »Das bist du leider, Maria. Dein Smoking liegt bereit. Der Fernsehsender schickt eine Limousine, die in einer halben Stunde da sein wird. Schaffst du das?«

Josef gab ihr im Vorübergehen einen Kuß. »Mach dir nichts draus, Mami«, sagte er und stieg die Treppe hinauf. »In jedem Mann steckt eine schöne Frau. Aber nur bei ganz wenigen kommt sie heraus.«

Kopfschüttelnd sah Bertha Baumgarten ihm nach. Ach, Maria, dachte sie, du warst ein so entzückendes Baby. Und jetzt bist du so ein großer haariger Mann geworden. Aber es gibt Schlimmeres. Es gibt häßliche, große haarige Männer. »Bring Maria den Karottensaft«, sagte sie zu Marittel, die bereits mit einem Tablett im Flur stand, »und achte drauf, daß er nicht wieder trödelt.«

Josef Maria stand nackt vor seinem mannshohen Spiegel und zog den Bauch ein, als Marittel wortlos das Tablett auf dem Fensterbrett abstellte.

»Bin ich dicker geworden, was meinst du?« fragte er, sich besorgt musternd. Marittel trat hinter ihn und schaute ebenfalls in den Spiegel. Sie kannte ihn als Baby, statt Bertha hatte sie seine Windeln gewechselt, bis er mit knapp drei Jahren endlich stubenrein war, sein nackter Körper war ihr also seit Jahrzehnten bis in jede Pore, in jede Speckfalte zutiefst vertraut. »Tja«, meinte sie und reichte ihm sein Glas mit Karottensaft, »ein bißchen schon. Hier um die Hüften herum bist du weicher geworden.«

Ärgerlich nahm Josef Maria ihr das Glas ab, leerte es in einem Zug. »Schon gut, Marittel, so genau wollte ich es nun auch nicht wissen. Laß mich jetzt allein.«

»Wenn du die Wahrheit nicht vertragen kannst«, meinte diese nur ungerührt und wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Du hast übrigens Stoppeln auf der Brust, Josef. Probier’s mal mit Enthaarungswachs. Das hält länger als diese Cremes.«

Verdammt, dachte Josef und fühlte nach. Sie hatte recht. Für seine vorletzte Rolle als Zuhälter hatte er sich die Brusthaare abrasieren müssen und sich danach so sehr an eine haarlose, weiche Brust gewöhnt, daß er sie sich seitdem regelmäßig enthaarte. Was mühsam war, denn sein Schöpfer hatte ihn, ausgerechnet ihn, mit einer so dichten Körperbehaarung bedacht, daß er schon als 15jähriger in einer Schüleraufführung einen Orang-Utan ganz ohne Kostüm spielen konnte.

Seufzend ging er in seine Kleiderkammer und zog sich an.

Kapitel 3

»Ich unterscheide meine Mitmenschen in Wesen, die es mit mir treiben, und solche, die es nicht tun«, dozierte Raimund und hackte mit flinken Fingern die Schalotten für die Spaghettisauce in dünne Streifen.

Gina lachte. »Dann unterteilst du also die Menschheit in eine winzig kleine und in eine riesengroße Gruppe«, neckte sie und drückte ihm zum Trost einen feuchten Kuß in den Nacken. »Und welche Konsequenzen ziehst du aus dieser Unterscheidung?«

Raimund schob die Schalotten in die Pfanne und drehte sich um. »Daß der Großteil der Menschheit total bescheuert ist und nicht weiß, was ihr entgeht. In meinem Falle natürlich ‒ was ihm entgeht. Wo ist übrigens dein ungezogenes Gör?« Gina, die inzwischen den Küchentisch deckte, wies mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer, aus dem undeutliches Gemurmel drang. »Wenn du damit meine vorbildlich, wenn auch ohne männliche Bezugsperson erzogene Tochter Jennifer meinst, die spielt mit ihren Barbies.«

»Hat sie wenigstens einen Ken?« fragte Raimund.

»Wozu braucht eine gestandene Frau denn einen Mann?« fragte Gina zurück. »Im Ernstfall ist doch eh keiner da.«

»Und was ist mit mir, du undankbare Ziege?« Raimunds Stimme klang beleidigt. »Wer steht hier an deinem Herd und kocht für dich und deine Göre nach einem langen Arbeitstag ein schmackhaftes Mahl, damit ihr nicht schon wieder zu diesem schottischen Spezialitätenlokal gehen müßt?«

»Wir lieben McDonald’s, Jenny und ich«, protestierte Gina sofort, aber er hatte einen wunden Punkt angesprochen. Allzu viele Abende, wenn sie erschöpft von irgendwelchen Dreharbeiten nach Hause kam, wo sie als Maskenbildnerin die Schönen noch schöner und die Älteren auf so jung wie irgend möglich schminken mußte, landeten sie und Jenny bei Pizza oder Junior-Tüten. Raimund, der ein exzellenter Koch war, sorgte als einziger für eine gelegentliche Vitaminzufuhr.

»Du bist da, aber du bist kein richtiger Mann«, sagte sie und fügte schnell, als sie seinen Gesichtsausdruck sah, hinzu: »Das ist ein großes Kompliment, du Idiot, also mach jetzt kein beleidigtes Gesicht. Willst du einen richtig schön männerfeindlichen Witz hören?«

Raimund lächelte und schnitt die Tomaten klein. »Nur zu«, sagte er.

»Warum haben Männer Beine?«

Raimund zuckte die Achseln.

»Damit sie nicht sackhüpfen müssen«, prustete Gina los. »Und warum haben sie eine Gehirnwindung mehr als ’ne Kuh?«

»Du wirst es mir gleich sagen.«

»Damit sie nicht in ihre Büros scheißen. Noch einer?« Raimund seufzte. »Aber dann ist Schluß.«

»Zwei alte Frauen gehen spazieren. Ein Exi kommt ihnen entgegen, öffnet seinen Mantel. Sagt die eine: ›Machen Sie bitte den Mantel wieder zu, junger Mann. Wir haben im Krieg genug Elend gesehen.‹« Gina lachte schallend, fast widerstrebend fiel Raimund mit ein.

Sie kannten sich aus der Schule, seit sie beide die siebte Klasse wiederholen mußten. Gina war verzweifelt in ihren Sportlehrer verliebt gewesen, einen glücklichen Familienvater, auf dessen erotischer Richterskala sie noch nicht einmal ansatzweise auftauchte. Raimund war gerade bewußt geworden, daß er schwul war, und er hatte so seine Probleme damit. Damals, vor fünfzehn unendlichen Jahren, kannte er keinen einzigen Jungen, der so empfand wie er. Das hatte sich inzwischen gründlich geändert. Zu gründlich, wie sein Vater Erwin Riesig, der als verwitweter Pastor im Ruhestand lebte, manchmal vorsichtig anmerkte, wenn sein einziger Sohn bei einem seiner Besuche wieder mal einen anderen Verlobten mitbrachte, der seine Nacht im Gästezimmer begann und sie im Bett seines Sohnes fortsetzte. Aber er war lernfähig. Und er liebte seinen Sohn. Trotzdem bezog er jetzt nur noch das schmale Kinderbett in Raimunds Jugendzimmer. Das sehr eng war. »Meinst du nicht, wir könnten ins Ehebett?« hatte ein Verlobter mal gefragt. »Die eine Hälfte ist doch sowieso immer leer. Und dein Vater hätte hier genug Platz.« Er wurde nicht wieder eingeladen.

»Erinnerst du dich noch an unseren Sportlehrer Hartmut Gosau?« fragte Raimund.

»Klar«, sagte Gina und rief: »Jenny, komm zum Essen, es gibt Nudeln und Tomatensauce von Onkel Raimund. ‒ Warst du eigentlich auch in ihn verknallt?«

»Der war nie mein Typ«, lachte er, »zu klein, zu dünn, zu …«

»Nicht Baumgarten genug, meinst du sicher.« Gina hatte Jenny auf den Hochstuhl gesetzt und ihr ein Lätzchen umgebunden. »Womit wir wieder bei deinem Lieblingsthema wären«, seufzte Raimund. »Klar, der Mann sieht klasse aus, aber verrenn dich nicht. Der lebt nicht nur in einer anderen Welt, der existiert auf einem anderen Planeten. Hör also endlich auf mit dieser Schulmädchenschwärmerei.«

Gina stellte ihrer Tochter eine Schüssel mit Spaghetti hin, drückte ihr einen Löffel in die Hand. Obwohl erst vier Jahre alt, war Jenny schon eine sehr appetitliche Esserin. »Mami, Sajette«, rief sie fordernd, und Gina drückte ihr eine Serviette in die Hand. Jenny wischte sich vorsichtig die Sauce quer übers Gesicht und aß weiter.

Auch Raimund war tief über seinen Teller gebeugt. Gefräßige Stille breitete sich aus.

Draußen wurde es langsam dunkel, auf der Straße hupten Autos, ihre Scheinwerfer leuchteten wie große Glühwürmchen. Drinnen, in Ginas kleiner Wohnküche, war es warm und gemütlich.

»Ich weiß ja, daß ich total bescheuert bin«, gestand Gina in die Stille hinein, »aber gestern nacht hab ich geträumt, daß ich ihn heiraten werde. Es war ein merkwürdiger Traum. Die Trauung fand in der Petrikirche statt, alle waren da, seine und meine Kollegen. Dein Vater war unser Pastor. Wir gingen durch das große Kirchenschiff, Jenny und ihre Freundinnen haben Blumen gestreut. Nur eins war komisch …« Sie blickte auf. Jenny hatte ihren Teller in beide Hände genommen und leckte ihn ab, Raimund wickelte sehr konzentriert die Spaghetti um seine Gabel, sah nicht hoch. Zu oft hatte er sich Ginas diesbezügliche Träumereien anhören müssen. »Während wir also zum Altar schritten, schaute ich an mir herunter. Und konnte es kaum fassen: Ich trug einen Smoking, und er hatte mein Brautkleid an.« Jennys Teller war leergeleckt. »Noch mehr Nudeln«, forderte sie.

Auch Raimund war von Ginas Traum nicht sonderlich beeindruckt. »Dein Schwarm als Fummeltrine? Das werd ich ihm morgen beim Schminken erzählen. Er wird sich totlachen.«

Kapitel 4

Er wachte auf, als sich Angoras raue Katzenzunge an seinen Augenlidern zu schaffen machte. Verdammt! Er haßte dieses Vieh, aber seine Mutter hatte sie ihm vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt, mit den anzüglichen Worten: »Damit du was zum Kuscheln hast, Maria. Der Traum von Enkelkindern hat sich ja wohl langsam ausgeträumt.« Und obwohl Katzen ja eigentlich stolze Tiere sind, war es Angora völlig egal, daß Josef Maria Baumgarten sie jedes Mal, wenn sie allein waren, auf den Balkon sperrte, sie erst wieder reinließ, wenn Frauenschritte auf der Treppe zu hören waren.

Sie liebte ihr Herrchen abgöttisch, schleckte und leckte es mit Hingabe. Am liebsten im Schlaf, wenn er es nicht merkte, denn der liebe Gott hatte Angora als Sofarolle geschaffen, frische, kalte Luft war ihr deshalb zutiefst zuwider. Sie hatte die Nacht an Herrchens Bettende verbracht, was er zum Glück nicht registrierte, weil er wieder mal so betrunken nach Hause gekommen war, daß er Sekunden nach Matratzenberührung bereits zu schnarchen anfing. Angora, die geduldig unterm Bett gewartet hatte, war blitzschnell aufs Bett gesprungen und hatte sich zu seinen Füßen zusammengerollt. Ihr rechtes Ohr lag neben seinem linken großen Zeh. Beglückt schnupperte sie an seinem Nagel, kaute vorsichtig, ganz vorsichtig, daran herum, wandte sich dann aber angewidert ab. Ein beißender, unangenehmer Geschmack brannte auf ihrer Katzenzunge. Der Geschmack von Nagellack! Sie war in den äußersten Winkel gerückt und eingeschlafen.

Als sie jetzt, im Morgengrauen, aufgewacht war, rutschte sie pfötchensanft nach vorn und leckte zur Begrüßung zärtlich sein Gesicht. Seine große Nase, an den Flügeln etwas zerfurcht, das Grübchen an seinem Kinn, die breite Stirn mit den senkrechten Nasenwurzelfalten. Schlabber, schleck. Gerade ließ sie die Zunge über Herrchens Augenlidern schweben, als diese aufklappten und ein Ausdruck angeekelter Überraschung in seine Augen stieg.

»Scheiße, Mistvieh!« Mit brutalem Schwung warf Josef Maria Baumgarten das Fellbündel von sich. Unsanft landete Angora auf seinem zerknüllten Kleiderhaufen. Seine rotgeränderten Augen streiften den Wecker auf dem Nachttisch. Halb neun! In zehn Minuten mußte er in der Maske, in einer Stunde der erfolgreiche, superattraktive Klaus Bertelsmann sein!

Er stemmte sich schwungvoll aus dem Bett, als eine Welle der Übelkeit ihn zurücktaumeln ließ. Es waren gestern bei dieser grauenvollen Preisverleihung wohl doch ein paar Prosecco mehr geworden.

»Trink, Maria!« Lautlos hatte Bertha Baumgarten sein Zimmer betreten und stand jetzt mit einem Glas Wasser, in dem sie vier Aspirin aufgelöst hatte, vor seinem Bett. »Der Fahrer wartet schon. Deine Sachen liegen im Ankleidezimmer. Die siehst übrigens verheerend aus, mein Sohn. Dein Maskenbildner wird sich freuen.«

Da hatte Bertha ausnahmsweise recht. Das kann ja wohl bitte jetzt nicht wahr sein, dachte Raimund, als sich der beste deutsche Schauspieler, einer der wenigen, die eine Tagesgage von 10000 Euro bekamen, stöhnend in den Stuhl vor dem Schminkspiegel fallen ließ und seine dunkle Sonnenbrille abnahm.

»Ich will nichts hören, Raimund«, grunzte er nur. »Ich weiß selbst, wie ich aussehe.«

Wie ein ausgekotzter Männerarsch, Mr. Superstar. Aber Raimund verkniff sich jede Bemerkung und griff zur Grundierung. Behutsam, man nannte ihn nicht umsonst »die Samtpfote aus Blankenese«, tupfte er Josef Marias tiefe Augenschatten weg, die kleinen Krater auf den Nasenflügeln, die scharfen Furchen in den Mundwinkeln.

»’ne lange Nacht gehabt, Herr Baumgarten?« fragte er, nicht aus Höflichkeit, sondern damit der Wäschesack vor ihm nicht wieder einschlief. Befehl von Peter Bäder, der mit der Produktionsfirma, die diese Fernsehproduktion vorfinanzierte, keine Überstunden abrechnen konnte und dem deshalb sehr daran lag, seinen männlichen Star wieder funktionsfähig zu machen.

Durch dessen ständige Drehbuchänderungen waren sie sowieso drei Drehtage im Verzug ‒ Kosten, die er als Regisseur anderweitig wieder einsparen mußte. Bäder, in einer Ecke über Dispositionen gebeugt, seufzte tief. Baumgarten war einer der besten Schauspieler, mit denen er je gearbeitet hatte. Ein echter Vollblutmime, ein bißchen früher Emil Jannings oder Heinrich George. Raumfüllend, platzverdrängend. Leider gab es in der heutigen Zeit immer weniger Rollen für Schauspieler wie ihn. Sollte er Doktörchen spielen in einer dieser hirnverbrannten Krankenhausserien? Den Liebhaber mimen in einem Schwarzwaldschwachsinn, für eine dieser blutleeren, talentlosen Blondinen, die sich neuerdings für die deutsche Antwort auf Julia Roberts hielten? Wenn überhaupt, dann wäre eine Vollblutfrau wie die Loren eine passende Partnerin für ihn. Leider auch schon über sechzig. Bäder schüttelte den Kopf, um ihn freizumachen von trübsinnigen Gedanken, die ihm auch nicht weiterhalfen. Hier und jetzt mußte er seinen männlichen Hauptdarsteller so weit in Form bringen, daß er fähig war, die Schlüsselszene dieses peinlichen Melodrams Nur meine Liebe zählt hinzulegen.

Klaus Bertelsmann, der mächtige Tycoon, dem die Liebe zur Nachtclubsängerin Dorothee den Verstand vernebelt hatte, mußte seiner schwerkranken Frau Alicia alles gestehen. Eine sehr schwierige Szene, weil der Zuschauer diese Figur weiterhin sympathisch finden sollte. Noch schwieriger, wenn die schwerkranke Frau von Loni Gassmann verkörpert wurde, der beliebten Volksschauspielerin, die mit Mann und drei adoptierten Kindern fest im deutschen Zuschauerherzen verankert war. Da half es wenig, daß Bertelsmanns große Liebe Dorothee von Cleo Blume gespielt wurde, einer vierfach geschiedenen Mimin, deren riesengroßer Busen in umgekehrtem Verhältnis zu ihren schauspielerischen Mitteln stand. Sie war jedoch deutlich anderer Meinung und deshalb sehr anspruchsvoll auf dem Set. In ihrer Garderobe stand eine große Vase mit Lilien, die alle drei Tage erneuert werden mußten. Wenn auch nur ein Blatt heruntergefallen war, weigerte Cleo sich, ihre Garderobe zu verlassen. »Ihr denkt wohl, weil ich eine schwache, junge Frau bin, könnt ihr alles mit mir machen. Aber da habt ihr euch leider, leider getäuscht.«

Magenschleimhautzerfressende Arbeitsverhältnisse also, und er, Peter Bäder, war der Ringmeister. Er sollte die Peitsche schwingen, damit der Zirkus in Bewegung blieb. Wo zum Donnerwetter steckte der verdammte Baumgarten? Mit schnellen Schritten, mühsam beherrscht, ging er in die Maske, wo Loni Gassmann, auf leichenblaß geschminkt, eine Zigarette rauchte. Zwei ihrer Kinder, eine kleine Koreanerin, ein noch kleinerer Brasilianer, kauerten zu ihren Füßen und spielten mit ausrangierten Schminkutensilien. »Hallo, Peti«, grüßte Loni, sie war immer fröhlich, die Gute. »Sag mir, wenn ich mich ins Krankenbett legen soll, dann mach ich die Lulle aus.«

Bäder lächelte, obwohl er es haßte, wenn man ihn Peti nannte. »Du kannst ins Bett, wenn dein Ehemann sich imstande sieht, seine Beichte abzulegen«, sagte er, während er sich dem Stuhl am Ende des langen Schminktisches näherte, auf dem Baumgarten noch immer mit geschlossenen Augen saß. »Na, mien Jung, wie geht es uns?« Er stand jetzt neben ihm. Keine Antwort.

Bäder sah Raimund an. Der zuckte ratlos mit den Schultern. »Er redet heute morgen nicht mit uns«, meinte er nur, »ich tu mein Bestes.«

In der Tat sah Baumgarten immer noch wie eine Leiche aus, aber immerhin wie eine gut geschminkte. »Leg noch ein bißchen Rot auf die Wangen«, sagte Bäder resigniert und verschwand. Baumgarten grunzte nur.

Raimund griff nach hinten und schraubte das Rougetöpfchen auf. Er wußte blind, wo seine Sachen lagen, und vergriff sich nie. Privat schon, nie hier. Er tupfte seinen Mittelfinger ins Rote, fuhr dann sanft an Baumgartens Wangenknochen hoch.

»Meine Freundin hat übrigens vorige Nacht von Ihnen geträumt«, sagte er leise. »Ein sehr merkwürdiger Traum.« Jetzt hob sich ein Augenlid. »Sie haben eine Freundin?« knurrte Josef Maria. »Wie man sich täuschen kann.« Das Lid klappte wieder runter.

Raimund ärgerte sich. Er war gern schwul, das war nicht das Problem, trotzdem haßte er es, wenn Leute ihn dafür hielten. Sah er so tuntig aus, wirkte er so weich? Da er selbst auf Heteromänner stand, wollte er im Tiefsten, Allertiefsten seiner Seele auch für hetero gehalten werden. Nur von schwulen Männern natürlich, nicht von Frauen. Irgendwie bescheuert, aber so war’s halt.

»Ich meine Gina, meine Kollegin«, besserte er nach, »die jetzt gerade Ihre große Liebe schminkt.«

»Und?« Baumgartens Stimme klang unendlich gelangweilt.

»Was hat die werte Kollegin so geträumt? Haben wir zusammen auf der Bühne gestanden, und ich hab meinen Text vergessen?« Seine Stimme klang amüsiert und eine Spur überheblich.

»Nicht ganz«, meinte Raimund und puderte die glänzenden Stellen weg. »Sie hat von einer Riesenhochzeit geträumt. In einer Kirche.«

»Davon träumen alle Frauen, mein Lieber«, meinte Baumgarten belehrend. »Tuschen Sie meine Wimpern noch ein bißchen nach, meine Augen wirken sonst zu blaß.« Raimund schraubte die Wimperntusche auf. »Mag sein«, gab er zu und tuschte, »nur war in diesem Traum das Ganze seitenverkehrt. Die Braut trug Smoking, und Sie, der Bräutigam, steckten in einem wunderschönen Spitzenkleid. Ganz in Weiß«, jetzt summte er, »mit einem Blumenstrauß, so siehst du in meinen schönsten Träu…«

Ruckartig setzte sich Baumgarten auf, starrte den Maskenbildner an, der ganz verwirrt zurückblinzelte. Was wußte dieses Männchen? Wollte er ihn erpressen, sich über ihn lustig machen?

»...men …« Raimunds Stimme versickerte unter den bösen, harten Augen der schlagartig auferstandenen Leiche. »Ist irgendwas, Herr Baumgarten?« fragte er vorsichtig. »Es war doch nur Ginas Traum. Für Träume kann man doch nichts.«

»Wer ist Gina?« fragte Josef Maria streng.

Raimund zeigte auf die andere Seite des langen Schminktisches. »Die Rotgelockte am vorletzten Tisch«, sagte er, und ungewollt kroch Stolz in seine Stimme. »Meine beste Freundin. Ein tolles Mädchen.«

Baumgarten folgte seinem Blick. Natürlich. Jetzt fiel sie ihm wieder ein. Gestern hatte er ihr eine Liebeserklärung gemacht. Er hatte nicht weiter auf sie geachtet, sie war eins der vielen gesichtslosen Wesen, die auf dem Set herumwuselten, auf ihn einredeten, an ihm herumzupften, ihm im Grunde lästig waren. Doch der schwule Pinsel hatte ausnahmsweise recht. Warum war ihm diese junge Frau nicht schon früher aufgefallen? Wie sie so dastand und konzentriert die üppigen Augenbrauen von Dorothee zu einem weichen Bogen zupfte, sah sie, klein, zart, mit feuerroten, durch ein gelbes Gummiband mühsam gebändigten Locken, wie ein Engel aus. Oder wie ein kleines Teufelchen. Wieso träumte dieses Mädchen von ihm? Und derart ungehörige Träume! Raimund hatte den bewundernden Blick bemerkt und entschloß sich, einen kleinen Liebespfeil abzuschicken. Er verkuppelte nur zu gern, selten erfolgreich, aber mit Begeisterung. »Gina schwärmt übrigens sehr für Sie«, flüsterte er und beobachtete sein Opfer scharf, »obwohl sie im Grunde mit Männern nichts am Hut hat. Der Vater ihrer Tochter hat sie sitzenlassen, seitdem verkriecht sie sich. Im Grunde sind Männer richtige Schweine, sagt sie. Anwesende natürlich ausgenommen, Herr Baumgarten.«

Der lächelte. Plötzlich fand er die ganze Situation höchst amüsant. »Woher wollen Sie wissen, daß ich kein Schwein bin?« fragte er. »Vielleicht bin ich nur vorsichtiger als andere Männer.«

Raimund lachte. »Sie nicht, Herr Baumgarten. So was können Sie sich doch gar nicht erlauben.«

Da hast du leider recht, mein Lieber, dachte Baumgarten. Wie unbewußt wanderte sein Blick wieder zu Gina. Die sich genau in der Sekunde umdrehte, weil sie etwas Intensives, Kribbelndes im Rücken spürte. Ihre Augen, schwarz wie Brikett, verhakten sich mit seinen gletscherkühlen. Sekundenlang. Dann zog Baumgarten, so als erkenne er plötzlich einen kleinen, peinlichen Irrtum, die Augenbrauen hoch und wandte sich ab.

Schade, dachte er flüchtig, es wäre möglicherweise nett gewesen. Aber zu kompliziert wohl auch.

»Bin ich soweit?« fragte er Raimund, dem der Blickwechsel nicht entgangen war, und erhob sich. Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er in der Kulisse.

»Hallo, Mädel, fürs Tagträumen wirst du nicht bezahlt.« Cleo Blumes Stimme drang durch Ginas Versunkenheit wie eine besonders fiese Kreissäge. »Mal mir ein Kim-Basinger-Gesicht, und zwar hoppla, wenn ich bitten darf.«

Lieber Gott, betete Gina stumm aus dem Fenster, zu den kleinen Schäfchenwolken am blitzeblauen Sommerhimmel, nur eine einzige Nacht mit ihm, dann will ich auch nie wieder was von dir. Nur eine einzige Nacht.

Oder wenn dir das zu unverschämt ist, dann wenigstens ein Kuß.

Ein einziger Kuß.

Hörst du überhaupt zu, lieber Gott?

Kapitel 5

»Wir können«, sagte Baumgarten nur und ging ins Schlafzimmer, wo Alicia, auf Kissen gestützt, in ihrer Ehebetthälfte lag. Die andere Hälfte war demonstrativ verwaist, auf die setzte sich Klaus Bertelsmann und nahm die Hände seiner schwerkranken Ehefrau in beide Hände.

Kameramann und Beleuchter gingen in Position. »Ton ab«, rief Bäder.

»Kamera läuft …«

Ein ganz leichter Ruck ging durch Josef Maria Baumgarten, wie eine kleine, feine Welle von oben nach unten. Die Schultern sackten ab, die Stirn furchte sich, die Mundwinkel gingen nach unten. Ein von seinem schlechten Gewissen schwergeplagter Mann saß da auf dem Bett, so traurig wirkte er, so reuevoll, daß er das Mitleid aller Zuschauer auf sich zog.

»Du weißt, warum ich hier bin, Alicia?« Seine Stimme vibrierte tief und männlich. »Du weißt, was ich dir sagen muß?«

Loni alias Alicia lächelte schmerzlich. Ein großes Lächeln war es, dem Tode geweiht, alles verzeihend. »Du willst mir sagen, daß du mich nicht mehr liebst«, flüsterte sie, hob die Hand und streichelte seine Wange.

»Ich liebe dich, Alicia, aber ich liebe dich als Freund. Als Freund, der dir auf deinem schweren Weg beistehen wird. Ich werde immer für dich dasein, bis zum Tod. Wenn sie alle gegangen sind, dann werde ich auf diesem Bett sitzen, deine Hand halten und dich in die Ewigkeit begleiten.«

Wie die robuste, kerngesunde Loni Gassmann es schaffte, ihrer Alicia dieses herzerweichend jenseitige Lächeln zu geben, war allen ein Rätsel.

Schminkkunst war eben nur die Grundlage, der Rest war Schauspielkunst.

»Ich danke dir, mein Freund. Und ‒ ich verzeihe dir. Sei glücklich, wenn ich einmal nicht mehr bin. Ich werde auf meiner Wolke sitzen und dir zuwinken.«

Mit einer wunderschön rollenden Träne, die Loni mühelos auf ihre mehlweiße Wange gezaubert hatte, wandte sie sich ab. »Geh, mein Liebster. Geh ‒ und mach die andere glücklich. So glücklich, wie du mich zwanzig Jahre lang gemacht hast.«

Und Bertelsmann, der eisenharte Tycoon, der bereits zum Frühstück die Leichen seiner Gegner verspeiste, schluchzte ein trockenes Schluchzen, so männlich zurückhaltend, dabei so tief empfunden, daß alle Zuschauer, vom Regisseur bis zum Catering-Fräulein, das gerade mit einer leckeren Aufschnittplatte die Halle betreten hatte, feuchte Augen bekamen.

Der alte Bock hat’s wieder hingekriegt, dachte Bäder bewundernd. Dann löste er sich aus der Erstarrung und rief: »Cut. Das war’s.« Neben ihm stand Elmar Hügel und starrte mit fassungsloser Wut ins Drehbuch. Die Schlüsselszene, auf die er so stolz war, an der er nächtelang liebevoll herumgefeilt hatte, alles, alles hatte dieser Baumgarten verändert. Hügel fühlte sich leer, wie ausgeweidet. Starrten ihn nicht alle voller Mitleid an? Wahrscheinlich war er in diesem Business erledigt, blitzschnell würde es sich herumsprechen, daß seine Dialoge so schlecht waren, daß der Hauptdarsteller sie völlig neu schreiben mußte. War wohl am besten, wenn er wieder als Fernsehredakteur anfing, kleine Brötchen backte. Sein Haß auf Baumgarten, der ihm diese Schmach angetan hatte, war so abgrundtief, daß er das spitze Obstmesser, das neben dem kunstvollen Früchtearrangement auf einer Platte lag, am liebsten ergriffen und in Baumgartens Brust gedrückt hätte. Ganz tief hinein. Das hast du von deinen Scheißänderungen, du Drehbuchschänder, du!

Bäder hatte Hügels Blick bemerkt. Er wußte, was in ihm vorging. Kannte seinen Abschiedsschmerz. Jeder Schreiber war so. Alle glaubten sie, ihre Worte seien in Gold gegossen. In Platin. Aber das Leben, es war nicht so. Ein Drehbuch war eine Arbeitsvorlage, ein Entwurf, mehr nicht. Am liebsten waren Bäder Autoren, die ihr Werk ablieferten und sich dann in Luft auflösten. Aber Hügel war noch jung und ehrgeizig. Klebte am Set, verfolgte alles mit Argusaugen. Und nun dies.

»Die Änderungen waren doch marginal«, flüsterte er ihm beruhigend zu, »der große, dramatische Bogen ist erhalten geblieben. Und die Szene ist toll so, die schmückt dich. Auch wenn du sie nicht ganz genauso geschrieben hast.« Aber meine war viel besser, schrie es in Hügel, aber er sagte nichts.

Josef Maria Baumgarten tauchte auf wie aus einem tiefen Traum. Die ehrfurchtsvollen Blicke der Umstehenden, das begeisterte Schulterklopfen des Regisseurs nahm er gar nicht wahr. Er brauchte seine Zeit, um die Hüllen zu wechseln, die Figur über Bord zu werfen, wieder er selbst zu werden. Ein intensiver, fast schmerzlich-süßer Prozeß. Wer bin ich eigentlich? dachte er plötzlich. Und die Antwort, die er sich, ganz im stillen, ganz heimlich, geben mußte, war so ungeheuerlich, daß er fast laut losgelacht hätte. Aber nur fast.

Sein Blick fiel auf das Tablett mit den Sandwiches, und mit schnellen Schritten bahnte er sich einen Weg durch die Menge.

»Ich will alles mit Räucheraal«, grinste er. »Den Rest könnt ihr euch teilen.«

Dann registrierte er Elmar Hügel, der sich wortlos an ihm vorbeidrücken wollte. »Na, Hügelchen, ordentlich was gelernt heute?« Er klopfte ihm herzhaft auf den Rücken, der Autor sackte leicht zusammen. »Sehen Sie, so schreibt man gute Dialoge.«

»Vielen Dank, Herr Baumgarten«, sagte Hügel sanft. »Ich werde in Zukunft daran denken.«

Hügel häufte sich drei Aalbrötchen auf seinen Teller und verschwand um die Ecke. Dort warf er sie in den Papierkorb, denn er war allergisch gegen Fisch.

Die Sonne tauchte gerade tieforange und riesenrund in den warmen Abendhimmel, als Josef Maria Baumgarten über den Parkplatz ging. Er war hundemüde, aber seltsam aufgekratzt. Wo, verdammt, hatte er seinen Jeep geparkt? Die Produktionsfirma hatte ihm natürlich einen Parkplatz reserviert, aber heute morgen war er so kaputt gewesen, daß er seinen Wagen irgendwo abgestellt hatte.

Plötzlich hörte er ein Kinderlachen. »Mami, laß, das kitzelt.«

»Komm jetzt runter, das ist nicht unser Auto«, drängte eine Frauenstimme.

Unbestimmt neugierig folgte Baumgarten den Stimmen. Was machte ein kleines Kind um diese Zeit auf dem Gelände? Er bog um eine Parkuhr, da sah er seinen Jeep, und auf der Kühlerhaube hockte ein kleines Mädchen und hämmerte vergnügt mit den Hacken aufs Motorblech.

»Laß das sofort sein, Jenny.« Die Frauenstimme klang gehetzt und ängstlich. »Wenn da Dellen reinkommen, muß Mama sie bezahlen. Und dann haben wir kein Geld mehr für Eis und Pommes.«

Baumgarten lächelte. Bestechung. Der älteste Müttertrick der Welt. »Bleib ruhig sitzen, meine Kleine«, sagte er, und mit einem spitzen Aufschrei fuhr die Frau herum. Ihre feuerroten Locken, jetzt ungebändigt, leuchteten in der Dämmerung wie glühende Flammen.

»Sie haben mich zu Tode erschreckt, Herr Baumgarten«, keuchte sie, »ich wollte Jenny nur die Schuhe zubinden, und da hab ich sie kurz auf Ihren Wagen gesetzt, es tut mir schrecklich leid …«

Gina lächelte mühsam ein Rumpelstilzchenlächeln. Ach, wie gut, daß er nicht weiß, daß ich noch vor einer Minute durch sein Autofenster gespäht habe wie ein Hardcore-Groupie.

»Das ist doch überhaupt kein Problem, Frau … äh, also …« Diese Frau hat also von mir geträumt, dachte er, während er seinen Autoschlüssel herausholen wollte. Er langte in seine Hosentasche, wo er immer lag, griff ins Leere. Er tastete die anderen Taschen ab. Wo war sein Autoschlüssel, verdammt?

»Ich heiße Gina. Gina Bohm«, sagte die Rothaarige und hob ihre Tochter vom Auto, »und das ist meine Tochter Jenny. Sag hallo, Jenny.«

Das kleine Mädchen mit genauso feuerroten Haaren reichte ihm eine winzige, verschmierte Kinderpfote. »Tag, Opa«, sagte es freundlich.

Baumgarten spürte Ärger in sich aufwallen. Opa! Wirkte er so betagt auf diese kleine Rotzgöre? »Tag, Jenny«, sagte er etwas steif. »Ich heiße Josef Maria.«

Das Mädchen kicherte. »Dann heißt du ja wie ’ne Oma, Maria.«

Er machte ein ernstes Gesicht. »Da hast du eigentlich recht, Jenny, wenn du willst, kannst du mich Oma Mia nennen. Ich hab nichts dagegen.« Er sah Ginas fassungslosen Blick und mußte plötzlich schallend lachen. »Ich kann ja auch nichts dafür, daß meine Mutter mich so genannt hat. Sie kommt halt aus Bayern, da ist das normal.«

Normal, was ist das schon? durchfuhr es ihn wie aus heiterer Hölle, und seine gute Laune war wie weggewischt. »Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?« fragte er, aber seine Stimme klang so kühl, so förmlich, daß Gina den Kopf schüttelte. »Danke, aber ich muß mein Auto von der Werkstatt abholen.«

Sie nahm Jenny an die Hand. Im Weggehen drehte sie sich noch einmal um. »Sie haben Ihren Autoschlüssel übrigens im Zündschloß steckenlassen.« Ihre Stimme klang genauso kühl wie seine. »Nicht so besonders schlau von Ihnen.«

»Danke«, antwortete er, vage beschämt, und stieg in sein Auto. Und stutzte. Waren seine Lederhandschuhe und die Tennisschläger nicht auf dem Rücksitz gewesen? Jetzt lagen sie auf der Ablage. Komisch. Er fuhr los, und als er an Mutter und Kind vorbeikam, kurbelte er seine Scheibe herunter. »Ein ganz entzückender Traum übrigens, den Sie da von uns geträumt haben.« Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.

Pussibärchen, was kann ich für dich tun?

Bist du wahnsinnig geworden?

Wovon redest du eigentlich?

Du hast Baumgarten von meinem Traum erzählt, du Schwein. Wie kommst du denn auf diese absurde Idee?

Er hat mich darauf angesprochen. Damit hast du wohl nicht gerechnet.

Erzähl! Was hat er gesagt? Los, nun sag schon.

Er fand den Traum entzückend.

Entzückend! Das ist doch super. Wahrscheinlich träumt er jetzt von dir.

Wahrscheinlich hält er mich für das schwachsinnigste Groupie, das je in seinem Auto herumgeschnüffelt…

Du hast in seinem Auto geschnüffelt?

Das war nur so ein Beispiel. Auf jeden Fall bin ich jetzt total sauer auf dich, und zur Strafe werde ich dir nie wieder was Privates erzählen.

Auch nicht, wenn ich dir meine ganz private Aprikosentorte backe?

Die mit Marzipan und Mandelkruste?

Dieselbe.

Raimi?

Ich hasse es, wenn du mich Raimi nennst.

Raimund?

Ich höre.

Jenny darf ihn Oma Mia nennen.

Spinnst du jetzt total?

Küßchen. Bis morgen.

Kapitel 6

Langsam, ganz langsam kroch das Kribbeln in ihm hoch, während er vom Parkplatz auf die Straße bog. Gina und Jenny hatte er bereits vergessen, als er durch die Industrievororte fuhr, wie immer mit überhöhter Geschwindigkeit, wie immer mit lauter Reggae-Musik. Er liebte diese »Negertöne«, wie seine Mutter sie nannte, und hatte es aufgegeben, sie darauf hinzuweisen, daß man sehr stark pigmentierte Mitmenschen nicht Neger nannte. »Ich hab Neger immer Neger genannt«, beharrte sie, »dieses neumodische Gedöns mit schwarz oder farbig, das ist doch lächerlich.«

Eigentlich hatte sie recht, trotzdem störte ihn dieser Ausdruck, genauso wie er bei dem Wort »schwul« innerlich zusammenzuckte. Klang wie schwül, wie schwülstig, wie … Wie immer, wenn seine Gedanken in diese Richtung abtauchten, drückte er sie weg, nahm Taucherkappe und Brille ab und schwamm wieder ans Ufer. In den ganz normalen Wahnsinn. In die ganz alltägliche Zwangsjacke, in der er seine Seele und seinen Körper gefangenhielt. Bis auf die wenigen Momente, wo er sie losließ.

An diesem Abend blieb das Kribbeln, verstärkte sich, langsam, wurde so intensiv wie ein dicker Mückenstich. Pochte, pochte… Er ließ alle Fenster herunter, ließ die kühle Luft ins Auto, dachte an all das, was in seinem Leben wichtig war und zerstört würde, wenn … Dachte an seine letzte, ganz große Liebe und ihre entsetzt aufgerissenen Augen, als sie ihn sah, wie ihn noch niemand gesehen hatte. Hörte ihren gellenden Schrei, ihre hohen Absätze, die hektisch über die Terrasse zu ihrem Auto klapperten, das Knallen der Autotür.