Eine Frage der Liebe - Nora Roberts - E-Book

Eine Frage der Liebe E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Packend und voller Gefühl

Jessica führt als Inhaberin eines kleinen Antiquitätenladens im Herzen Neuenglands ein ruhiges Leben – bis der New Yorker Polizist James Sladerman plötzlich in ihr Leben tritt, um sie zu beschützen. Denn eine internationale Bande von Diamantenschmugglern missbraucht ausgerechnet Jessicas Geschäft für ihre kriminellen Machenschaften. Doch James’ Aufgabe erweist sich als äußerst schwierig. Schon bald fühlt er sich zu der schönen Jessica hingezogen, die sich von ihm absolut keine Vorschriften machen lassen will. Auch dann nicht, als die Situation zu eskalieren droht …

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Seitenzahl: 355

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Die Originalausgabe A MATTER OF CHOICE erschien in demDreifachband FROM THE HEART
Der Titel ist bereits in dem Dreifachband »Die Unendlichkeit der Liebe« enthalten, ISBN 978-3-453-35299-5
Copyright © 1996 by Nora Roberts
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2001by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, MünchenCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Wilhelm HeyneVerlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 MünchenCopyright © dieser Ausgabe 2013 by Diana Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Redaktion: Birgit GrollUmschlaggestaltung: t.mutzenbach design, MünchenUmschlagmotiv: © by Alan Klehr, LuckyPix, CorbisSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-10854-0V002
www.diana-verlag.dewww.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Jessica Winslow betreibt einen kleinen Antiquitätenladen. Als die Polizei herausfindet, dass in ihrem Geschäft die Fäden eines Diamantenschmugglerrings zusammenlaufen, wird Sergeant James Sladerman eingesetzt, um undercover zu ermitteln. Er gibt sich als Schriftsteller aus und quartiert sich kurzerhand in Jessicas Haus ein. Doch schon bald lassen sich Auftrag und Privatleben nur noch schwer voneinander trennen, denn James fühlt sich zu der attraktiven jungen Frau immer stärker hingezogen. Und auch sie scheint seine Gefühle zu erwidern. Doch Jessica hat ihren eigenen Kopf und lässt sich nicht gern bevormunden. Dies muss James am eigenen Leib erfahren, als sich die Situation zuspitzt und Jessica in größter Gefahr schwebt …

Die Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und gehört heute zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Auch in Deutschland erobert sie mit ihren Romanen regelmäßig die Bestsellerlisten. Im Diana Taschenbuch sind zuletzt erschienen: Lockruf der Gefahr, Die falsche Tochter sowie Gestohlene Träume. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Prolog

James Sladerman fixierte mit finsterer Miene seine Schuhspitzen. Dieser finstere Ausdruck war nicht von seinem Gesicht gewichen, seit er am Morgen auf seinem Schreibtisch im Dezernat die Nachricht vorgefunden hatte, Commissioner Dodson in seinem Büro aufsuchen zu sollen. Er stieß eine dicke Rauchwolke aus und drückte anschließend die Zigarette in dem schweren Mosaikaschenbecher zu seiner Linken aus. Inzwischen hatte er sich kaum bewegt. Slade verstand sich aufs Warten.

Erst in der Nacht zuvor hatte er über fünf Stunden in einem dunklen, eiskalten Wagen ausgeharrt, und das in einer Gegend, in der es ratsam war, niemandem den Rücken zuzudrehen und auf seine Brieftasche aufzupassen. Es waren öde, fruchtlose fünf Stunden gewesen; die Überwachung hatte rein gar nichts gebracht. Doch Slade wusste aus seiner langjährigen Erfahrung, dass die Polizeiarbeit überwiegend aus endlosen Fußmärschen, stundenlangem Warten und Papierkram bestand, die nur von gelegentlichen Gewaltakten unterbrochen wurden. Dennoch zog er die fünfstündige Überwachung bei weitem den zwanzig Minuten vor, die er gerade in dem beige gestrichenen und mit Teppichen ausgelegten Vorzimmer des Commissioners verbracht hatte. Es roch nach Zitronenpolitur und jetzt auch nach seinem Virginiatabak. Die Tasten einer Schreibmaschine klapperten mit monotoner Effizienz, als die Sekret ärin des Commissioners ihre Berichte tippte.

Was, zum Teufel, wollte er von ihm?, fragte sich Slade zum wiederholten Male. Im Laufe seiner Karriere hatte Slade tunlichst jeden Kontakt mit der politischen Seite der Polizeiarbeit vermieden, da er mit einer strikten Abneigung gegen jede Art von Bürokratie behaftet war. Bei seinem Aufstieg vom Kadetten zum Detective Sergeant hatte es wenig Gelegenheit gegeben, dass seine Wege sich mit Dodsons kreuzten.

Beim Begräbnis seines Vaters war es zu einem kurzen, persönlichen Kontakt mit Dodson gekommen. Captain Thomas C. Sladerman wurde mit allen Ehren beigesetzt, die ihm nach 28 Jahren im Dienste der Polizei zustanden, zumal er bei der Ausübung seiner Pflicht ums Leben gekommen war. Slade erinnerte sich, dass der Commissioner sich sehr mitfühlend gegenüber der Witwe und der jungen Tochter verhalten hatte. Auch gegenüber dem Sohn hatte er die passenden Worte gefunden. Vielleicht war er tatsächlich ein wenig betroffen gewesen. Zu Beginn ihrer Karriere waren Dodson und Sladerman Partner gewesen. Sie waren beide noch jung gewesen, als sich ihre Wege trennten – der eine fand eine Nische in der Politik und der Verwaltung, der andere entschied sich für den Kampf auf der Straße.

Danach waren sie sich nur noch ein einziges Mal begegnet. Damals lag Slade im Krankenhaus und erholte sich von einer Schusswunde. Der Besuch des Polizeichefs bei dem einfachen Detective hatte zu Gerüchten und Spekulationen geführt, die Slade nicht nur in Verlegenheit brachten, sondern auch ziemlich geärgert hatten.

Inzwischen pfiffen es wahrscheinlich schon die Spatzen von sämtlichen Dächern, dass der Alte ihn zu sich beordert hatte. Seine Miene verfinsterte sich zu einem Grollen. Einen Moment überlegte er, ob er sich irgendeiner dienstlichen Verfehlung schuldig gemacht hatte und schalt sich gleich darauf, dass er sich benahm wie ein Schuljunge, der zum Direktor zitiert wurde.

Ach, zum Teufel, fluchte Slade im Stillen und versuchte sich zu entspannen. Der Stuhl war weich – zu weich und zu kurz. Um die fehlende Sitzfläche auszugleichen, drückte Slade die Wirbelsäule an die Rundung der Rückenlehne und streckte die langen Beine von sich. Seine Augen waren halb geschlossen. Nach diesem Gespräch würde er wieder seinen Beobachtungsposten beziehen. Falls er die Aktion heute Nacht zu einem erfolgreichen Abschluss brächte, könnte er sich auf ein paar freie Abende an seiner Schreibmaschine freuen. Mit ein bisschen Glück – und einem Monat konzentrierter Arbeit ohne Unterbrechungen – könnte er es schaffen, seinen Roman zu Ende zu bringen. Seine Umgebung ausblendend, ging er im Geiste das Kapitel durch, an dem er gerade arbeitete.

»Sergeant Sladerman?«

Verärgert über die Ablenkung hob Slade den Blick. Langsam klärte sich sein Gesichtsausdruck. Es war eine Zeitverschwendung gewesen, den Fußboden anzustarren, wenn die Sekretärin des Polizeichefs einen so viel ergötzlicheren Anblick bot, stellte er fest und setzte sofort sein scharmantestes Lächeln auf.

»Der Commissioner erwartet Sie jetzt.« Die Sekretärin erwiderte sein Lächeln und wünschte sich insgeheim, er möge sie noch einmal so ansehen wie eben, statt in dumpfem Schweigen vor sich hin zu starren. Er hatte ein Gesicht, auf das jede Frau mit Interesse reagierte – markant geschnitten, gutes Kinn und dunklen Teint, den er von den italienischen Vorfahren mütterlicherseits geerbt hatte. In Ruhe hatte sein Mund hart gewirkt, aber jetzt, in der Bewegung, zeigte er gewisse Ansätze von Leidenschaftlichkeit. Schwarze Haare und graue Augen empfand sie bei einem Mann schon immer als eine unwiderstehliche Kombination, besonders wenn das Haar wie in diesem Fall dicht und ein bisschen zerzaust und die Augen rauchgrau und geheimnisvoll waren. Wirklich ein interessanter Typ, entschied sie und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Slade seinen langen, schlaksigen Körper aus dem Besuchersessel hievte.

Als Slade ihr zu der schweren Eichentür folgte, bemerkte er, dass sie keinen Ehering trug und überlegte, ob er sie nach dem Gespräch mit Dodson um ihre Telefonnummer bitten sollte. Doch der Gedanke rückte sofort in den Hintergrund, als sie ihn in das Büro des Commissioners geleitet hatte.

An der rechten Wand hing eine Perillo-Lithografie – ein Cowboy auf einem bunt bemalten Pony. Die linke Wand war gerahmten Fotografien, Ernennungsurkunden und Diplomen vorbehalten. Wenn Slade die Kombination etwas merkwürdig fand, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Der repräsentative Schreibtisch, der vor dem Fenster stand, war aus dunklem Eichenholz. Darauf lagen ordentlich gestapelte Akten, in der Mitte stand ein vergoldetes Schreibset, auf der linken Seite der obligate, dreiteilige Bilderrahmen. Dahinter saß Dodson, ein dunkelhaariger, gepflegter kleiner Mann, der Slade schon immer mehr an einen Gemeindepfarrer als an den Polizeichef von New York City erinnerte. Seine Augen waren von einem angenehmen hellen Blau, die Wangen von einer frischen, gesunden Röte. Silberne Strähnen durchzogen sein Haar. Alles in allem war Dodson das Paradebeispiel onkelhafter Freundlichkeit. Doch die Linien in seinem Gesicht waren nicht durch Humor entstanden.

»Sergeant Sladerman«, sagte Dodson und wies Slade mit einer Handbewegung und einem Lächeln an, auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Ganz der Vater, dachte er flüchtig, als Slade sich hinsetzte. »Habe ich Sie warten lassen?«

»Ein bisschen.«

Ganz der Vater, dachte Dodson abermals und stellte das Lächeln ab. Abgesehen davon, dass sein wahres Interesse, wie man hörte, mehr dem Schreiben als der Polizeiarbeit galt. Tom hatte diese Faible nie richtig ernst genommen, erinnerte sich Dodson. Mein Sohn ist ein Cop, genau wie sein alter Herr. Ein verdammt guter Cop. Und darauf baute Dodson im Augenblick.

»Wie geht’s der Familie?«, erkundigte er sich beiläufig, ohne seine blauen Augen von ihm abzuwenden.

»Gut. Danke der Nachfrage, Sir.«

»Gefällt es Janice auf dem College?« Er bot Slade eine Zigarre an. Als der Detective dankend ablehnte, zündete er sich eine an. Slade wartete mit der Antwort, bis sich die erste beißende Rauchwolke aufgelöst hatte. Woher wusste Dodson, wunderte er sich, dass seine Schwester das College besuchte?

»Ja, es gefällt ihr.«

»Und was macht die Schriftstellerei?«

Er musste alle Tricks aktivieren, die er in seiner Ausbildung gelernt hatte, um seine Überraschung zu verbergen. Seine Augen waren so klar und ruhig wie seine Stimme, als er erwiderte: »Ein mühsames Geschäft.«

Keine Zeit für Smalltalk, dachte Dodson, während er die Asche seiner Zigarre abklopfte. Der Bursche konnte es kaum erwarten, hier rauszukommen. Aber in seiner Position als Commissioner war er im Vorteil. Er zog noch einmal genüsslich an seiner Zigarre und beobachtete, wie die Rauchkringel träge an die Decke schwebten. »Ich habe die Kurzgeschichte von Ihnen im Mirror gelesen«, fuhr Dodson fort. »Nicht schlecht.«

»Vielen Dank.« Was, zum Teufel, wollte er von ihm?, fragte sich Slade ungeduldig.

»Kein Glück mit dem Roman?«

Für den Bruchteil einer Sekunde und kaum wahrnehmbar verengten sich Slades Augen. »Noch nicht.«

Dodson lehnte sich, an seiner Zigarre kauend, zurück und studierte den Mann ihm gegenüber. Er war seinem Vater auch äußerlich sehr ähnlich, sinnierte er. Dasselbe lange, schmale Gesicht, aus dem Intelligenz und Härte sprachen. Er fragte sich nur, ob der Sohn mit dem gleichen entwaffnenden Scharm lächeln konnte wie sein Vater. Die Augen jedoch hatte er von seiner Mutter – dunkelgrau und nachdenklich, darin geübt, jegliche Gefühle zu verbergen. Dann war da noch seine Beurteilung, überlegte Dodson weiter. Er war vielleicht nicht der brillante Cop, der sein Vater gewesen war, aber er war gewissenhaft. Und, Gott sei Dank, weniger impulsiv. Nach seinen Jahren bei der Truppe, die drei Letzten im Morddezernat, konnte man ihn zweifellos als Profi bezeichnen. Andererseits, wenn ein verdeckter Ermittler mit zweiunddreißig noch kein Profi war, dann war er ein toter Mann. Slade stand in dem Ruf, abgebrüht zu sein, vielleicht ein wenig zu abgebrüht, aber seine Verhaftungen waren sauber. Dodson konnte keinen Mann gebrauchen, der Ärger suchte, sondern einen, der genau wusste, was zu tun ist, wenn er auf Schwierigkeiten traf.

»Slade …« Er erlaubte sich ein kleines Lächeln. »So nennt man Sie doch, oder?«

»Ja, Sir.« Die Vertraulichkeit war ihm unangenehm; das Lächeln machte ihn misstrauisch.

»Ich bin sicher, Sie haben von Justice Lawrence Winslow gehört.«

Der Name erregte seine Neugier und er ging rasch seine mentale Datenbank durch. »Stand dem New Yorker Berufungsgericht vor, ehe er vor ungefähr fünfzehn Jahren zum Vorsitzenden Richter des Schwurgerichts von Connecticut gewählt wurde. Starb vor vier oder fünf Jahren an einem Herzinfarkt.«

Nur Fakten und Zahlen, dachte Dodson bei sich. Der Bursche verschwendete keine Worte. »Er war außerdem ein verdammt guter Jurist, ein Richter, der das eigentliche Wesen der Rechtsprechung begriffen hatte. Ein guter Mann. Seine Frau hat vor zwei Jahren wieder geheiratet und lebt jetzt in Südfrankreich.«

Na und?, dachte Slade ungehalten, als Dodson nachdenklich über seine Schulter hinweg ins Leere starrte.

»Seine Tochter, Jessica, ist mein Patenkind.« Na und?, schoss es Slade abermals durch den Kopf, als Dodson den Blick wieder auf ihn richtete. »Sie lebt im Haus der Familie in der Nähe von Westpoint. Wunderschönes Anwesen – nur einen Steinwurf vom Strand entfernt. Absolut ruhig und friedlich.« Er trommelte mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischkante. »Ich könnte mir vorstellen, dass das der ideale Platz für einen Schriftsteller wäre.«

Slade beschlich eine unangenehme Vorahnung, die er rasch verdrängte. »Möglich.« Wollte sich der Alte als Kuppler betätigen?, dachte Slade und musste beinahe laut lachen. Nein, das war zu lächerlich.

»In den letzten neun Monaten hat sich in ganz Europa eine Flut von Diebstählen ereignet.«

Der abrupte Themenwechsel verblüffte Slade so sehr, dass ihm die Überraschung deutlich im Gesicht geschrieben stand. Doch er brachte seine Züge sofort wieder unter Kontrolle, hob eine Braue und schwieg.

»Schwere Diebstähle«, fuhr Dodson fort. »Überwiegend aus Museen – Edelsteine, Münzen, Briefmarken. Frankreich, England, Spanien und Italien sind die am meisten betroffenen Länder. Nachforschungen der verantwortlichen Stellen legen die Vermutung nahe, dass die gestohlenen Gegenstände in die Staaten geschmuggelt worden sind.«

»Schmuggel fällt in das Ressort des FBI«, gab Slade knapp zurück. Und hat, dachte er bei sich, nichts mit einem Detective des Morddezernats zu tun – oder mit der verwöhnten Tochter irgendeines Richters. Diesem Gedanken folgte sogleich ein weiterer, sehr unangenehmer, den Slade geflissentlich ignorierte.

»Schmuggel fällt in das Ressort des FBI«, wiederholte Dodson eine Spur zu liebenswürdig für Slades Geschmack. Er legte die Hände aneinander und beobachtete den jüngeren Mann über die Kuppen seiner gepflegten Finger hinweg. »Ich habe gute Kontakte zum FBI. Und aufgrund der  … delikaten Natur dieses Falles, hat man mich um meine Mithilfe gebeten.« Er unterbrach sich kurz, um Slade Gelegenheit zu geben, einen Einwurf vorzubringen, der nicht kam, und fuhr dann fort. »Einige Spuren der Ermittlungen weisen auf einen kleinen, renommierten Antiquitätenladen hin. Das FBI weiß, dass es dort einen Mittelsmann gibt. Meinen Informationen zufolge haben sie die mutmaßlichen Zwischenlager auf einige wenige eingeschränkt, und dieser Laden ist eines davon. Und man geht davon aus, dass einer der Mitarbeiter an den Transaktionen beteiligt ist.« Er machte eine Pause, um den Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch zurechtzurücken. »Das FBI will einen Profi auf die Sache ansetzen und direkt in den Laden einschleusen, damit ihnen der Boss der Organisation nicht noch einmal durch die Lappen geht. Er ist sehr gerissen«, setzte Dodson nachdenklich hinzu.

Dodson gab Slade abermals Gelegenheit zu einem Einwurf, doch als dieser wieder schwieg, fuhr er nach wenigen Augenblicken fort. »Angeblich wird die Schmuggelware in Antiquitäten versteckt – sehr gut versteckt –, dann zu besagtem Antiquitätengeschäft exportiert, dort entnommen und schließlich abgesetzt.«

»Offenbar hat das FBI die Sache unter Kontrolle«, bemerkte Slade, ohne seine Ungeduld zu verbergen, und schüttelte eine Zigarette aus der Packung.

»Es gibt ein oder zwei Komplikationen«. Dodson wartete, bis Slade sich die Zigarette angezündet hatte. »Es liegen weder konkrete Beweise vor, noch ist die Identität des Chefs der Organisation bekannt. Eine Hand voll Komplizen, ja, aber wir wollen ihn … oder sie«, setzte er leise hinzu.

Der Tonfall ließ Slade aufhorchen. Lass die Finger davon, ermahnte er sich. Die Sache geht dich nichts an. Er schluckte die Fragen hinunter, die ihm auf der Zunge lagen, nahm einen Zug von seiner Zigarette und wartete.

»Und es gibt noch ein Problem und das ist sehr delikat.« Zum ersten Mal seit Betreten des Büros, zeigte Dodson Anzeichen von Nervosität. Er nahm den goldenen Füller aus der Halterung des Schreibsets, drehte ihn ein paarmal zwischen den Fingern und streckte ihn wieder zurück. »Das Antiquitätengeschäft, das angeblich in diese Transaktionen verwickelt ist, gehört meiner Patentochter.«

Slades dunkle Augenbrauen hoben sich, doch die Augen darunter gaben keine Gefühlsregung preis. »Justice Winslows Tochter.«

»Es wird allgemein angenommen, dass Jessica von den illegalen Machenschaften, die in ihrem Geschäft abgewickelt werden, keine Ahnung hat – falls dem tatsächlich so ist.« Dodson griff wieder nach dem Füllfederhalter und rollte ihn diesmal zwischen den Handflächen hin und her. »Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie unschuldig ist. Nicht nur, weil sie meine Patentochter ist«, setzte er, Slades Gedanken vorwegnehmend, hinzu, »sondern weil ich sie kenne. Sie ist genauso integer wie ihr Vater es war. Jessica hält Larrys Andenken in hohen Ehren. Und«, fügte er hinzu, während er den Füller aus der Hand legte, »sie braucht das Geld eigentlich nicht.«

»Eigentlich«, murmelte Slade, das Bild einer verwöhnten Erbin mit zu viel Geld und zu viel Freizeit vor Augen. Schmuggeln als willkommene Abwechslung, als Kick, um das monotone Einerlei von Partys, Einkaufsbummeln und Jetsetting zu würzen.

»Das FBI kommt der Sache allmählich näher«, erklärte Dodson. »Und es kann gut sein, dass Jessica innerhalb der nächsten Wochen mit dem ganzen Schlamassel konfrontiert wird. Das könnte gefährlich für sie werden.« Slade unterdrückte ein höhnisches Schnauben. »Selbst das Schild der Unkenntnis wird sie nicht beschützen können, wenn es sich tatsächlich herausstellen sollte, dass ihr Laden in diese Sache verwickelt ist. Ich habe versucht sie zu überreden, nach New York zu kommen und mich zu besuchen, aber …« Seine Stimme verlor sich. Ein Ausdruck amüsierter Verzweiflung huschte über sein Gesicht. »Jessica ist stur wie ein Esel. Behauptet, zu beschäftigt zu sein und meint, ich solle doch sie besuchen kommen.« Kopfschüttelnd stieß Dodson einen Laut aus, der als Seufzer durchgehen konnte. »Ich habe einen Besuch in Erwägung gezogen, fürchte jedoch, dass meine Anwesenheit dort die Ermittlungen gefährden könnte. Auf alle Fälle habe ich das Gefühl, dass Jessica beschützt werden muss. Diskret. Sie braucht jemanden, der mit solchen Situationen vertraut ist und der sich in ihrer Nähe aufhalten kann, ohne Misstrauen zu erwecken.« Ein Lächeln zupfte an seinen Augenwinkeln. »Jemand, der die Ermittlungen vor Ort unterstützen kann.«

Slade runzelte die Stirn. Diese Unterhaltung gefiel ihm immer weniger. Ohne Eile drückte er seine Zigarette aus. »Und wie soll ich das Ihrer Meinung nach bewerkstelligen?«

Dodson lächelte jetzt übers ganze Gesicht. Die Unsicherheit in Slades Stimme behagte ihm ebenso wie seine Direktheit. »Jessica hört auf mich – bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls.« Er lehnte sich in dem dick gepolsterten Ledersessel zurück und entspannte sich sichtlich. »Sie hat sich kürzlich über das Chaos in ihrer Bibliothek beklagt und dass sie nicht genügend Zeit zum Katalogisieren und Ordnen ihrer Bücher hat. Ich werde sie anrufen und ihr sagen, dass ich ihr den Sohn eines gemeinsamen alten Freundes von mir und ihrem Vater schicken werde. Das entspricht übrigens der Wahrheit«, setzte er hinzu. »Tom und Larry lernten sich vor einigen Jahren kennen. Ihre Deckung ist denkbar einfach. Sie sind ein Schriftsteller, der für ein paar Wochen ein ruhiges Plätzchen zum Schreiben sucht, und als Gegenleistung werden Sie ihre Bibliothek aufräumen.«

Slades Augen hatten sich während Dodsons lässig vorgebrachter Rede immer mehr verdunkelt. »Die Zuständigkeit  …«, begann er.

»Ein bisschen Papierkram«, fiel ihm Dodson ins Wort, »das kann geregelt werden. Außerdem werden es die Jungs vom FBI sein, die die Schlinge knüpfen, wenn es so weit ist.«

»Ich soll also als Bibliothekar und Babysitter fungieren«, fasste Slade mit einem missmutigen Schnauben zusammen. »Sehen Sie, Commissioner, ich stehe kurz davor, den Bitronelli-Mord zum Abschluss zu bringen.« Er legte Daumen und Zeigefinger aneinander. »Wenn …«

»Das sollten Sie auch«, unterbrach ihn Dodson erneut, diesmal jedoch mit frostiger Stimme. »Die Presse amüsiert sich bestens dabei, die New Yorker Polizei als Stümperhaufen darzustellen. Und wenn Sie dem Täter schon so dicht auf den Fersen sind«, setzte er gewichtig hinzu, »sollte es kein Problem für Sie darstellen, in ein paar Tagen nach Connecticut aufzubrechen. Das FBI ist sehr daran interessiert, einen Cop am Schauplatz des Geschehens zu wissen. Einen Cop, der es versteht, Augen und Ohren offen zu halten. Sie haben Erkundigungen über Sie eingezogen und meinen Vorschlag gebilligt.«

»Wunderbar«, murmelte Slade. Er stand auf und schlenderte nachdenklich durch den Raum. »Ich bin beim Mord-, nicht beim Raubdezernat.«

»Sie sind ein Cop«, stellte Dodson klar.

»Yeah.« Auf eine versnobte kleine Erbin aufpassen, dachte Slade wütend, die entweder aus Langeweile schmuggelte oder zu dämlich war, um zu merken, was sich vor ihrer Nase abspielte. »Na wunderbar«, knurrte er nochmals.

Wenn Janice das College hinter sich hatte, überlegte er, würde er seinen Dienst quittieren und sich ganz aufs Schreiben konzentrieren. Er hatte die Nase gestrichen voll. Er war das Elend leid, mit dem er beinahe jeden Tag seines Lebens konfrontiert wurde. Er konnte den Dreck, die Sinnlosigkeit und die miesen Exemplare der Gattung Mensch nicht mehr ertragen, mit denen er sich abgeben musste. Und er konnte die Erleichterung im Blick seiner Mutter nicht mehr ertragen, wenn er nach Hause kam. Mit einem Seufzer ergab er sich in sein Schicksal. Vielleicht waren ein paar Wochen Connecticut ja eine nette Abwechslung.

»Wann?«, wollte er wissen, als er sich zu Dodson umdrehte.

»Übermorgen«, gab Dodson ruhig zurück. »Ich werde Ihnen jetzt genaue Instruktionen geben und anschließend Jessica anrufen und Ihre Ankunft avisieren.«

Mit einem Achselzucken nahm Slade wieder Platz.

1

Der Herbst färbte das Laub der Bäume golden und erfüllte die Luft mit seinem würzigen Duft. Ergreifende Farbspiele vor einem stahlblauen Himmel. Das graue Asphaltband der Straße durchschnitt die Hügel und wand sich ostwärts zum Atlantik. Der Wind, der durch das offene Wagenfenster pfiff, war kühl. Slade fragte sich unwillkürlich, wie lange es her war, seit er zuletzt so frische, saubere Luft geatmet hatte. Er hasste die Großstadtgerüche, den Schweiß, die Auspuffgase. Falls man sein Buch annähme, könnte er vielleicht mit seiner Mutter und Janice aus der Stadt wegziehen – ein Haus auf dem Land oder an der Küste suchen. Immer falls und sobald. Er konnte sich nicht leisten, in Konjunktiven zu denken.

Noch ein Jahr bei der Polizei – noch ein Jahr, um das Geld für Janice’ College zusammenzukratzen – und dann  … Slade schüttelte den Kopf und stellte das Radio an. Es brachte nichts, an das nächste Jahr zu denken. Er war nicht in Connecticut, um die Landschaft zu bewundern. Er hatte nur wieder einen Job zu erledigen – einen, der ihn wütend machte.

Jessica Winslow, sinnierte er, siebenundzwanzig Jahre alt. Das einzige Kind von Justice Lawrence Winslow und Lorraine Nordan Winslow. Ratcliff-Absolventin, eine der besten ihres Jahrgangs. Sie war bestimmt Cheerleaderin gewesen, dachte er und schnaubte verächtlich. Pferdeschwanz und Perlenkette. Ralph Lauren Pullis und Gucci-Slipper.

Bemüht, seine Vorurteile nicht überhand nehmen zu lassen, ging er weiter seinen Info-Katalog durch. Sie eröffnete House of Winslow vor vier Jahren. Erledigte bis vor zwei Jahren den Wareneinkauf allein. Gute Ausrede, um in Europa herumzugondeln, setzte er in Gedanken hinzu, während er den Zigarettenanzünder hineindrückte.

Michael Adams, Jessica Winslows Mitarbeiter und gegenwärtiger Einkäufer. Zweiunddreißig, Yale-Absolvent. Zahlen, überlegte Slade, eine Rauchwolke ausstoßend, die sofort zum offenen Fenster hinauswehte. Sohn von Robert und Marion Adams, ebenfalls eine Prominentenfamilie aus Connecticut. Kein sicherer Anhaltspunkt, doch Slade war angewiesen worden, ihn im Augen zu behalten. Er legte den Ellbogen aufs Fenster und dachte nach. Als Chefeinkäufer wäre Adams in der idealen Position, die Operation in Übersee zu organisieren.

David Ryce, seit achtzehn Monaten Verkäufer. Dreiundzwanzig. Sohn von Elizabeth Ryce, der Haushälterin der Winslows. Dodson sagte, dass man ihm oft allein die Führung des Geschäfts anvertraute. Das gäbe ihm Gelegenheit, die Transaktionen vor Ort abzuwickeln.

Systematisch ging Slade anschließend die Liste der Angestellten im Haus der Winslows durch. Gärtner, Köchin, Haushälterin, Hausmädchen. Und das alles für eine einzige Person. Jessica könnte wahrscheinlich nicht einmal ein Ei kochen, wenn ihr Leben davon abhinge.

Die Torflügel des Winslow-Anwesens standen weit offen. Die Durchfahrt war breit genug für zwei Wagen. Slade bog in die lange, geschotterte Zufahrt ein, die von blütenlosen Azaleenbüschen gesäumt wurde. Ein schrilles Vogelgezwitscher empfing ihn, dann wurde es still. Er fuhr beinahe eine Viertelmeile, ehe er den Wagen vor dem Haus parkte.

Es war groß, aber dabei nicht bedrückend. Sonne und Meerluft hatten die alten Backsteinziegel verwittern lassen. Aus einem der Schornsteine des Walmdachs stieg Rauch auf. Die grauen Fensterläden waren nicht nur Dekoration, bemerkte er, sondern boten auch ausreichend Schutz, wenn ein Sturm aufkam. Er roch die Chrysanthemen, noch ehe er sie sah.

Sie wuchsen knapp an der Hausmauer, und die kupfer-, gold- und rostfarbenen riesigen Blüten bildeten einen angenehmen Kontrast zu den knallroten Büschen dahinter. Sie heiterten ihn auf, ebenso wie der schwache Geruch nach Holzfeuer. Hier herrschte keine Trägheit, sondern Frieden. Davon hatte er in letzter Zeit viel zu wenig gehabt, sinnierte er und vertrieb seine Stimmung mit einem Kopfschütteln, als er die Stufen zum Eingang emporstieg. Er machte eine Faust und klopfte zweimal hart gegen die schwere Holztür. Er hasste Türklingeln.

In weniger als einer Minute wurde die Tür geöffnet. Er musste den Kopf senken, ein ganzes Stück, um die winzige, mittelalte Frau mit einem sympathisch hässlichen Gesicht und grau meliertem Haar anzusehen. Ein Hauch von Reinigungsmittel mit Tannenduft umwehte sie, der ihn an die Küche seiner Mutter erinnerte.

»Zu wem möchten Sie?«, erkundigte sie sich mit dem typisch breiten New-England-Dialekt.

»Ich bin James Sladerman. Miss Winslow erwartet mich.«

Die Frau musterte ihn mit wachsamen, schwarzen Augen. »Sie müssen der Schriftsteller sein«, stellte sie fest, offenbar nicht übermäßig beeindruckt. Sie machte einen Schritt zurück, um ihn eintreten zu lassen.

Als sich die Tür hinter ihm schloss, blickte Slade sich in der Diele um. Dem hellen, auf Hochglanz gebohnerten Eichenboden, den kein Teppich bedeckte, sah man die Jahre trotz der sorgfältigen Pflege an. An den hellbeige tapezierten Wänden hingen vereinzelt Gemälde. Auf einem hohen, runden Tisch stand eine hellgrüne Glasvase mit einem üppigen Herbstblumenstrauß. Er fand keine protzige Zurschaustellung von Reichtum, aber er spürte ihn. Er hatte ein Foto des Gemäldes zu seiner Rechten in einem Kunstband gesehen. Der blaue Schal, der nachlässig über dem Treppengeländer hing, war aus Seide.

Slade wollte sich gerade wieder zu der Haushälterin umdrehen, als ein Poltern oben an der Treppe ihn in der Bewegung innehalten ließ.

Ein Wirbelwind aus blonden Haaren und fliegenden Röcken kam die Holztreppe herabgefegt. Das Klappern von Absätzen zerriss die Stille des Hauses. Slades erster Eindruck beschränkte sich auf Geschwindigkeit, Bewegung und Energie.

»Betsy, du sorgst dafür, dass David im Bett bleibt, bis das Fieber runter ist. Lass ihn ja nicht aufstehen. Verdammt, verdammt, ich bin schon viel zu spät dran! Wo sind meine Schlüssel?«

Einen Schritt vor Slade blieb sie so abrupt stehen, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Automatisch griff er nach ihrem Arm, um sie zu stützen. Heftig atmend hob sie den Blick von seiner Hemdbrust und starrte ihn an.

Es war ein exquisites Gesicht – heller Elfenbeinteint, oval, fein geschnitten, mit hohen Wangenknochen, die ihm einen fast primitiven Touch verliehen. Indianischer Einschlag? Wikinger?, fragte er sich. Keltisch? Ihre großen Augen hatten die Farbe von altem Whiskey und lagen unter Brauen, die sich neugierig hoben. Dazwischen erschien eine kaum sichtbare steile Falte. Eine Trotzfalte, stellte Slade fest. Seine Schwester hatte auch so eine. Sie war klein, stellte er fest. Ihr Kopf reichte ihm nur knapp bis an die Schulter. Ihr Duft hatte etwas Herbstliches – Moschusartiges – Blüten und Rauch. Der Arm unter seiner Hand, der in einem dünnen Wollblazer steckte, war schlank. Er spürte, wie er sich entzündete – er als Mann für sie als Frau – und ließ hastig die Hand sinken.

»Das ist Mr. Sladerman«, verkündete Betsy. »Dieser Schriftsteller.«

»Ah ja.« Das Lächeln glättete die steile Falte zwischen den Brauen. »Onkel Charlie hat mir erzählt, dass Sie kommen.«

Slade brauchte eine Sekunde, um Onkel Charlie mit Dodson in Verbindung zu bringen. Nicht sicher, ob er einen Fluch oder ein Lachen unterdrückte, ergriff er ihre ausgestreckte Hand. »Charlie meinte, Sie könnten ein bisschen Hilfe brauchen, Miss Winslow.«

»Hilfe.« Sie rollte mit den Augen und räusperte sich. »Ja, so könnte man es nennen. Die Bibliothek … Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich davonstürme, wo Sie gerade angekommen sind, aber mein Verkäufer ist krank, und mein Einkäufer ist momentan in Frankreich unterwegs.« Sie verbog ihr Handgelenk, um einen gehetzten Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen. »Ich habe einen Kunden, mit dem ich mich vor zehn Minuten im Laden treffen wollte.«

»Ach, machen Sie sich um mich keine Sorgen.« Wenn diese hektische Person einen Laden schmeißen kann, dann kann ich es mir erlauben, die Sache gemächlich angehen zu lassen, entschied er und lächelte. »Ich kann mich hier ja einstweilen etwas häuslich einrichten.«

»Prima. Dann sehen wir uns zum Dinner.« Um sich spähend, murmelte sie wieder etwas von ihren Schlüsseln.

»In Ihrer Hand«, meinte Slade.

»Wie dumm von mir.« Sie ließ einen Seufzer hören, als sie die Hand öffnete und den Schlüsselbund anstarrte. »Wenn ich in Eile bin, geht erst recht alles schief.« Sie schüttelte amüsiert den Kopf und strich sich die Haare von den Schultern. »Lassen Sie das mit der Bibliothek lieber für heute. Das Chaos dort könnte Sie so verschrecken, dass Sie Ihre Koffer gar nicht erst auspacken und noch flüchten, ehe ich dort aufgeräumt haben. Betsy …« Sie war schon fast an der Tür, als sie sich im Laufen noch einmal umdrehte. »Sag David, er ist gefeuert, falls er das Bett verlässt. Bis später.«

Als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, schnalzte Betsy indigniert mit der Zunge.

Zehn Minuten später inspizierte Slade seine Zimmerfluchten, die beinahe so groß waren wie die Wohnung, in der er aufgewachsen war. Im Schlafzimmer lag ein verblichener Teppich, der, wie er feststellte, nicht alt war, sondern antik. In dem kleinen offenen Kamin, der mit schwarzem Marmor verkleidet war, lagen ordentlich aufgeschichtete Holzscheite. Im Wohnzimmer empfing ihn ein wuchtiger Schreibtisch, darauf eine Vase mit den Chrysanthemen, die er vorhin so bewundert hatte, ein Briefbeschwerer aus Bronze und eine altmodische Schreibfeder. Ohne zu zögern räumte er den Schreibtisch leer, um Platz für seine Schreibmaschine zu schaffen.

Mit etwas Glück könnte aus seiner Schriftstellerei mehr werden als nur ein Alibi, dachte er. Wenn er nicht gerade auf die Tochter des Hauses aufpassen musste, fand er bestimmt Zeit, ein paar Kapitel zu Papier zu bringen. Freilich war da noch die Bibliothek, um die er sich kümmern musste. Mit einem resignierten Seufzer wandte er dem Schreibtisch den Rücken zu und ging wieder nach unten.

Während er durch die verschiedenen Räumlichkeiten schlenderte, registrierte der auf Cop gedrillte Teil seines Gehirns automatisch die Lage und die Form der einzelnen Zimmer, gleichzeitig nahm der Dichter in ihm die Atmosphäre wahr. Auf seinem Erkundungsgang durch den ersten Stock fand Slade an Jessicas Geschmack nichts auszusetzen. Die Winslow-Tochter bevorzugte gedämpfte Farben und klare Linien. Wie bei ihrer Kleidung, überlegte er, als er sich an das mausgraue Kostüm erinnerte, unter dem sie allerdings eine grellgrüne Bluse getragen hatte. Ein Hinweis auf eine etwas andere Neigung?

Slade blieb stehen, um über das glänzende Rosenholz eines Flügels zu streichen. Verglichen damit war das zerschrammte Klavier, das seine Mutter wie einen Schatz hortete, nur noch zum Einheizen gut, dachte er und wandte sich achselzuckend ab, um das nächste Zimmer in Augenschein zu nehmen.

Die Bibliothek. Umgeben von dem Duft nach altem Leder und Staub betrachtete er die größte private Büchersammlung, die er je gesehen hatte. Zum ersten Mal seit er Dodsons Büro betreten hatte, heiterte sich Slades Stimmung ein wenig auf. Eine rasche Bestandsaufnahme sagte ihm, dass die Bücher alle gelesen waren, aber ohne jedes Konzept in den Regalen standen. Slade bestieg die zweistufige Trittleiter und inspizierte die oberen Regalreihen. Ohne Konzept war noch untertrieben, stellte er fest. Heilloses Durcheinander wäre der passendere Ausdruck gewesen. Robert Burns neben Kurt Vonnegut …

Eine Menge Arbeit, dachte er, die ihm sogar Spaß gemacht hätte, wenn sie der einzige Grund seines Hierseins gewesen wäre. Er ließ den Blick über die langen Bücherreihen wandern, ehe er abwesend einen Band herausnahm. Im Augenblick gab es in der Sache Jessica Winslow nichts zu unternehmen, überlegte er, ehe er sich mit dem Buch in einem der Ledersessel niederließ.

Jessica bog in den Parkplatz neben ihrem Laden ein und stellte erleichtert fest, dass er leer war. Sie hatte sich verspätet, aber ihr Kunde ebenfalls. Oder, überlegte sie stirnrunzelnd, er hatte das Warten satt gehabt und war wieder weggefahren. Mit einem halbherzigen Fluch auf den Lippen schloss sie die Ladentür auf und eilte dann von einem Schaufenster zum nächsten, um die Rollos hochsausen zu lassen. Immer noch im Laufschritt ging sie ins Hinterzimmer, warf ihre Handtasche in eine Ecke, schnappte sich den Teekessel und füllte ihn mit Wasser. Im Vorbeigehen begoss sie den welken Efeu, der im rückwärtigen Fenster ums Überleben kämpfte, ehe sie den Kessel auf den Herd stellte. Auf halbem Weg zurück in den Verkaufsraum machte sie kehrt und stellte die Herdplatte an. Zufrieden seufzend setzte sie ihren Weg fort.

Der Verkaufsraum an sich war nicht sehr groß – aber so hatte sich Jessica einen Laden auch nie vorgestellt. Gemütlich und intim sollte er sein, dachte sie, mit ihrer persönlichen Note. Der Laden war für sie mehr als nur ein Ort des Handels; er war ihre Berufung, ihre Liebe. Den geschönlichen äftlichen Teil – Rechnungen, Ablage und Buchhaltung – erledigte sie sehr gewissenhaft. Ja, sie konzentrierte ihre organisatorischen Fähigkeiten voll und ganz auf diesen Laden, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass in ihren anderen Lebensbereichen oft das reinste Chaos herrschte.

Der Laden war der Mittelpunkt ihres Lebens, und das schon von Anfang an. Ursprünglich war sie auf der Suche nach etwas gewesen, das ihr Leben nach dem Abschluss des College ausfüllte. Die Idee, einen Antiquitätenladen zu er öffnen, war langsam herangereift und hatte sich dann rasch entwickelt. Jessica besaß zu viel Willenskraft und Tatendrang, um ziellos in den Tag hineinzuleben. Nachdem sie einmal beschlossen hatte, ein Geschäft zu eröffnen, hatte sie alles Nötige in Windeseile in die Wege geleitet. Und genau dieser unbändige Tatendrang hatte den Laden zum Florieren gebracht. Er warf Profit ab. Das Geld selbst bedeutete ihr wenig, doch die Tatsache, dass es ihr Laden war, der dieses Geld einbrachte, bedeutete ihr alles.

Sechs Monate war sie kreuz und quer durch New England gefahren, auf der Suche nach geeigneten Stücken, und anschließend nach Europa. Ein großes Warenlager anzuhäufen war nie ihr Ziel gewesen; sie setzte auf Exklusivität. Nach der Eröffnung war der Ansturm eher bescheiden gewesen; meist kamen Freunde und die Freunde von Freunden. Dass Winslows Tochter einen Laden aufgemacht hatte, lockte zu Anfang zwangsläufig auch Schaulustige an. Aber das störte Jessica nicht. Ein Kunde war ein Kunde, und ein zufriedener Kunde war die beste Reklame.

Die ersten zwei Jahre hatte sie den Laden allein geführt. Dass ihr die Arbeit über den Kopf wachsen könnte, hatte sie nie in Erwägung gezogen. Doch als es eines Tages tatsächlich so weit war, hatte sie Michael Adams eingestellt, um die Einkäufe in Übersee zu übernehmen. Er war liebenswürdig, verlässlich und kompetent. Die weibliche Kundschaft verehrte ihn. Ganz allmählich hatte sich aus ihrer geschäftlichen Beziehung eine Freundschaft entwickelt.

Als der Laden immer besser lief, hatte sie David Ryce angestellt. Er war fast noch ein Bursche gewesen, der nicht recht wusste, was er mit sich anfangen sollte und aus Langeweile immer wieder in Schwierigkeiten geriet. Jessica hatte sich für David entschieden, weil sie zusammen aufgewachsen waren; später wurde er für sie unentbehrlich. Er war ein guter Rechner und ein unermüdlicher Arbeiter. Er besaß diese »Mit-allen-Wasser-gewaschen«-Mentalität, die ihn zu einem guten Geschäftsmann machte.

Mit allen Wassern gewaschen …, überlegte Jessica. James Sladerman. Merkwürdig, dass ihr dabei dieser Schriftsteller in den Sinn kam. Doch bei diesem nur sehr kurzen Zusammentreffen in der Halle hatte sie etwas an ihm wahrgenommen. Etwas, das ihr sagte, dass er ein Mann war, der sich behaupten konnte – im Geschäftsleben, vielleicht. In einer dunklen Gasse, mit Sicherheit. Mit einem leisen Lächeln schob sie die Hände in die Taschen ihrer Kostümjacke. Wie kam sie nur auf so was?

Die Finger, die ihren Arm umfasst hatten, waren stark gewesen. Seine Statur drahtig. Nein, es waren seine Augen gewesen, erinnerte sie sich. Sie hatten etwas … Hartes. Und dennoch hatte sie das nicht abgestoßen oder eingeschüchtert, sondern angezogen. Selbst als er sie diese drei, vier Sekunden angesehen hatte, mit einer Intensität, die ihr unter die Haut zu kriechen schien, hatte sie keine Furcht empfunden. Sicherheit, kam es ihr plötzlich. Sie hatte sich in seiner Gegenwart sicher gefühlt. Merkwürdig, dachte sie und biss sich gedankenverloren auf die Unterlippe. Weshalb sollte sie sich plötzlich sicher fühlen, wenn sie überhaupt keinen Schutz brauchte?

Als das Glöckchen über der Ladentür bimmelte, drehte sich Jessica um und schob ihre sonderbaren Gedanken zur Seite.

»Miss Winslow, verzeihen Sie bitte, dass ich mich verspätet habe.«

»Aber das macht doch nichts, Mr. Chambers.« Jessica überlegte kurz, ob sie ihm sagen sollte, dass sie ebenfalls nicht pünktlich gewesen war, ließ es dann aber. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Im Hinterzimmer pfiff der Teekessel. »Ich koche gerade Tee. Trinken Sie doch eine Tasse mit mir, ehe wir uns die neuen Schnupftabakdosen ansehen.«

Chambers zog einen recht schäbigen Hut von seinem beinahe kahlen Schädel. »Sehr gern, vielen Dank. Ich finde es sehr freundlich, dass Sie mich immer verständigen, wenn Sie eine neue Lieferung hereinbekommen.« Er lächelte und entblößte perfekte Zahnprothesen.

»Ich würde es nie wagen, die Schnupftabakdosen einem anderen Kunden zu zeigen, ehe Sie sie gesehen haben.« In der Küche goss Jessica kochendes Wasser in zwei Teetassen. »Michael hat sie in Frankreich entdeckt. Zwei sind dabei, die Sie besonders interessieren dürften.«

Er wird auf die verzierte anspringen, dachte Jessica lächelnd und stellte die Tassen auf ein Tablett. Er war vernarrt in diese kleinen, bunt emaillierten Dosen, die die feinen Herren mit Spitzenmanschetten an den Ärmeln damals bei sich zu tragen pflegten. Sie musterte Chambers’ untersetzte Gestalt und fragte sich, ob er sich als Kavalier der alten Schule oder vielleicht sogar als Salonlöwe betrachtete. Immerhin hatte ihn sein Faible für Schnupftabakdosen zu einem Stammkunden gemacht, der ihr Geschäft schon mehr als einmal weiterempfohlen hatte. Eigentlich war er auf seine penible, umständliche Art richtig süß, überlegte sie, während sie das Teetablett auf einem Tisch abstellte.

»Zucker?«, fragte sie ihn.

»Ach, eigentlich sollte ich ablehnen.« Chambers tätschelte seinen stattlichen Bauch. »Aber vielleicht ein Würfelchen.« Sein Blick huschte rasch über Jessicas lange Beine, als sie diese elegant überschlug. Schade, dachte er mit einem stummen Seufzer, dass er nicht zwanzig Jahre jünger war.

Eine halbe Stunde später verließ er glücklich und mit zwei Schnupftabakdosen aus dem achtzehnten Jahrhundert in der Tasche den Laden. Jessica wollte gerade die Rechnung ausstellen, als sie das Brummen eines Motors hörte. Sie hob den Kopf und sah einen großen Lieferwagen vor dem Laden anhalten. Als sie das Firmenlogo auf den Stahltüren las, runzelte sie verwundert die Stirn. Sie hätte schwören können, dass die Lieferung, die Michael geschickt hatte, erst morgen fällig war.

Sie erkannte den Fahrer, winkte und ging zur Tür.

»Hi, Miss Winslow.«

»Hallo, Don.« Sie nahm den Lieferschein entgegen, den er ihr reichte, und murmelte, dass sie ihn erst morgen erwartet habe.

»Mr. Adams hat gesagt, es eilt.«

»Mmm.« Sie klapperte mit ihren Schlüsseln in der Tasche, während sie die Liste überflog. »Diesmal hat er sich, wie mir scheint, selbst übertroffen. Und am Samstag kommt schon die nächste Lieferung. Ich verstehe gar … oh!« Ihre Augen begannen zu leuchten. »Der Schreibsekretär. Der Queen Anne. Ich wollte Michael noch bitten, nach einem Ausschau zu halten, habe es aber dann vergessen. Na, so ein Glück!« Eigentlich sollte sie ihn erst ausladen lassen und ihn sich ansehen, dachte sie flüchtig. Nein, entschied sie dann, ich lasse mich überraschen. Lächelnd sah sie den Fahrer an. »Der Rest kommt in den Laden, aber der Schreibtisch geht zu mir nach Hause. Macht es Ihnen was aus?«

»Nun …«

Ein Lächeln ist nie vergeudet, dachte Jessica, die den Schreibtisch schon in ihrem Salon sah. »Wenn es nicht zu viele Umstände macht«, fügte sie hinzu.

Der Fahrer verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß. »Ich nehme an, das geht in Ordnung. Joe hat bestimmt nichts dagegen.« Er gab seinem Partner, der gerade die breiten Ladentüren des Lieferwagens öffnete, das Okayzeichen.

»Vielen Dank. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Nach so einem Sekretär suche ich schon eine Ewigkeit.«

Zufrieden mit sich und der Welt ging Jessica ins Hinterzimmer, um noch einmal Tee zu kochen.

Jessica stürmte genauso durch die Haustür, wie sie Stunden zuvor hinausgestürmt war. »Betsy!« Sie hängte ihre Handtasche über den Pfosten des Treppengeländers. »Ist er gekommen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte sie auf den Salon zu.

»Seit Ihrem sechsten Lebensjahr predige ich Ihnen, langsam zu gehen«, rief ihr Betsy aus dem Salon entgegen. »Damals trugen Sie wenigstens ein ordentliches Schuhwerk.«

»Betsy.« Jessica drückte die alte Haushälterin ungestüm, aber liebevoll an sich. »Ist er gekommen?«

»Ja, selbstverständlich.« Die Haushälterin zupfte ihre Schürze wieder glatt. »Er steht da, wo Sie es gesagt haben. Und er läuft Ihnen auch nicht weg, ob Sie jetzt langsam gehen oder wie eine Irre rennen.« Der letzte Satz war für die Katz, denn Jessica war schon an ihr vorbeigestürmt.

»Oh, ist der schön!« Ehrfürchtig strich sie mit der Fingerspitze über das Holz und machte sich dann daran, in ihrer typischen hektischen Art den Schreibtisch von allen Seiten zu inspizieren. Es war ein zierliches kleines Möbelstück. Ein Damensekretär. Jessica öffnete die schräge Klappe und seufzte beglückt über die makellose Ansicht des Innenteils. »Wirklich ein Prachtstück. Warte, bis David es sieht.« Sie zog eine der kleinen Schubladen auf. Sie glitt mühelos heraus. »Genau das, was ich gesucht habe. Was für ein Glück, dass Michael darauf gestoßen ist.« Niederkauernd fuhr sie mit der Hand an einem der schlanken, gedrechselten Beine entlang.

»Er ist hübsch«, stimmte Betsy zu und dachte dabei an die vielen geschnitzten Verzierungen, die sie abzustauben hatte. »Ich wette, der hätte einen hübschen Batzen Geld eingebracht.«

»Der Vorteil eines eigenes Ladens besteht darin, dass man ein paar hübsche Stücke für sich selbst herauspicken kann.« Jessica kam wieder hoch und schloss die Klappe. »Jetzt brauche ich nur noch ein verschnörkeltes altes Tintenfass oder vielleicht eine Porzellandose für oben drauf.«

»Das Abendessen ist gleich so weit.«

»Oh, das Abendessen«, wiederholte Jessica und erinnerte sich an ihren Gast. »Mr. Sladerman, ich habe ihn schmählich vernachlässigt. Ist er oben?«

»In der Bibliothek«, verkündete Betsy grimmig. »Hat sich den ganzen Tag nicht blicken lassen. Nicht mal zum Lunch.«

»Oh, Mann.« Jessica pflügte mit gespreizten Fingern durch ihr Haar. Er sah gar nicht so aus wie einer, der für Unordnung so viel Geduld aufbringt. »Ich wollte ihn eigentlich ganz behutsam mit seiner Aufgabe vertraut machen. Na schön, ich werde besonders nett zu ihm sein, damit er uns nicht gleich wieder davonläuft. Was gibt es zum Abendessen?«, fragte sie über die Schulter hinweg.

»Gefüllte Schweinskotelettes und Kartoffelpüree.«

»Das könnte helfen«, murmelte Jessica auf dem Weg zur Bibliothek.

Sie machte die Tür leise auf und gerade so weit, um den Kopf hindurchzustecken. Manche Dinge, entschied sie, musste man langsam angehen. Er saß an dem langen Arbeitstisch, umgeben von riesigen Bücherstapeln. Vor ihm lag ein dicker Schreibblock und der Bleistift in seiner Hand war schon zur Hälfte abgeschrieben. Das Haar fiel ihm in die Stirn, aber sie konnte sehen, dass er seine Brauen konzentriert zusammengekniffen hatte – oder aber frustriert. Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf.

»Hi.«

Er sah auf. Sein Blick hielt sie fest. Jessica erschauderte unter diesem Blick, der ihre Haut unwillkürlich zum Prickeln brachte. Sie schwelgte in dem Gefühl, genoss es. Ohne es zu merken, verblasste ihr Lächeln zu einem Ausdruck der Verblüffung.